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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

um mich auf ihn und auf seinen jeweiligen Unterstützungsbedarf beziehen zu können, muss die pflegende Person<br />

in den Worten Meads ein intelligentes Mitgefühl entwickeln,<br />

„eines, in der ein Mensch sich durch seine eigenen individuellen Abweichungen an die Stelle <strong>des</strong> Anderen<br />

versetzt. Einfach mit einem anderen leiden ist vergleichsweise unwichtig. Aber wenn man sich an die Stelle<br />

<strong>des</strong> Anderen setzen und etwas Neues einbringen kann, erhält man die Mittel für das Verständnis <strong>des</strong> Anderen.<br />

Die Anerkennung von Differenzen ist wesentlich für intelligentes soziales Handeln. Indem man sich<br />

selbst an die Stelle <strong>des</strong> Anderen setzt, erkennt man auf der Basis der eigenen Besonderheit/Eigenart das, was<br />

das Besondere beim Anderen ist. Man muss die andere Person von sich selbst unterscheiden, um sie anzuerkennen“<br />

(ISS: 93f).<br />

Dies ist nicht leicht. So wie es möglich ist, den Menschen bei der Meisterung pflegerischer Aufgaben positiv zu<br />

unterstützen, ist auch das Gegenteil der Fall. Allerdings werden die aufzubringende Energie und Geduld bei der<br />

Unterstützung von noch nicht ausgebildeten Fähigkeiten bei einem kleinen Kind bzw. beim Aufrechterhalten<br />

von Fähigkeiten bei einem kranken, auf Pflege angewiesenen Menschen leicht unterschätzt 128 .<br />

Was den zweiten Ort der Pflege betrifft, die Pflege in bzw. durch Institutionen, so findet diese aufgrund vertraglicher<br />

Regelungen statt. In diesem Zusammenhang spielt die zweite Anerkennungsform eine Rolle. Diese kommt<br />

aufgrund von Rechtsverhältnissen, d.h. aufgrund vertraglich geregelter Tauschbeziehungen auf der Basis rechtlicher<br />

Regeln zustande, bei denen sich die beteiligten Personen wechselseitig als Träger legitimer Besitzansprüche<br />

anerkennen 129 (Honneth 1992: 33ff). Für Hegel und Mead spielt die wechselseitige Anerkennung der an diesen<br />

Interaktionen beteiligten Personen auf der Basis gesellschaftlicher Regeln und Normen eine zentrale Rolle.<br />

Für Mead sind letztere in der Figur <strong>des</strong> ‚verallgemeinerten Anderen’ aufgehoben. Im Zuge der Sozialisation verinnerlichen<br />

die Menschen die in der Gesellschaft geltenden Normen und Gesetze. Über die unter Pkt. 3.2.2 beschriebenen<br />

Entwicklungsschritte <strong>des</strong> Spiels und <strong>des</strong> organisierten Spiels lernt der Mensch sich zunächst aus der<br />

Perspektive einzelner Anderer kennen, später dann aus der Perspektive verallgemeinerter Anderer bis zu dem<br />

Punkt, wo er sich aus der Perspektive eines generalisierten Anderen als Mitglied einer arbeitsteilig organisierten<br />

Gesellschaft zu begreifen lernt. In diesem Kontext lernt der Mensch, dass er neben Rechten auch Pflichten hat.<br />

Wie er damit umgeht, ist für Mead eine offene Frage, die auf die zwischen dem ‚I’ und dem ‚Me’ bestehende<br />

Dialektik verweist und darauf, welcher der beiden Aspekte in einer gegebenen Situation im Mittelpunkt steht.<br />

Geht es um die gesellschaftliche Seite, das ‚Me’, dann verleihen die soziale Stellung eines Menschen und die daraus<br />

abgeleiteten Rechte den Menschen als Mitgliedern einer Gesellschaft eine ‚gewisse Würde’. Diese Würde<br />

bildet die Quelle ihrer Antworten in Bezug auf die Werte der Gesellschaft, deren Mitglied sie sind. Geht es hingegen<br />

um das ‚I’, steht die Selbstbehauptung <strong>des</strong> Menschen auf dem Spiel oder es geht, anderes formuliert, um<br />

die Potenzialitäten <strong>des</strong> Selbst, also um die Möglichkeiten <strong>des</strong> ‚I’, die im aktuellen Handeln realisiert werden<br />

bzw. sich realisieren könnten. Die Spannung zwischen dem, was wir tun, und dem, was wir laut unseren Wünschen<br />

tun könnten, ist eine Quelle von Minderwertigkeitskomplexen. Minderwertigkeitsgefühle und Überlegenheitsgefühle,<br />

die wir gegenüber anderen Menschen in unserer Umwelt hegen, sind zwei Seiten einer Medaille.<br />

In diesem Zusammenhang spricht Mead von der Selbstachtung <strong>des</strong> Menschen. Als Mitglieder einer Gesellschaft<br />

hängt unsere Selbstachtung u.a. davon ab, ob wir uns selber als selbstachtende Menschen begreifen. Dies<br />

reicht meist nicht aus, da wir uns als von anderen Menschen verschieden anerkannt sehen wollen. Auch wenn<br />

uns unsere soziale Stellung, unser Beruf etc. gewisse Anhaltspunkte für unsere Selbstidentifikation geben, ist das<br />

Gefühl der Überlegenheit (oder Minderwertigkeit) stärker. Was bedeutet dieses für die Pflege?<br />

Die gegenseitige Anerkennung sozialer Rechte und Pflichten diskutiert Mead verstreut in seinen Arbeiten anhand<br />

der Bedeutung von Eigentum, der Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, der Bedeutung <strong>des</strong> mit gesellschaftlichen<br />

Positionen verbundenen sozialen Status und der damit einhergehenden Interaktionsmuster. Nach<br />

128<br />

Untersuchungen im Zusammenhang mit Demenz sprechen diesbezüglich eine klare Sprache.<br />

129<br />

So wird die Arbeitsbeziehung zwischen Pflegekraft und Patient in diversen Gesetzeswerken wie Krankenversicherung,<br />

Pflegeversicherung etc. geregelt. Ein großes Problem besteht darin, dass Pflege vermittelt über den Arzt zustande kommt.<br />

147

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