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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

Änderung unterzogen. Mit Blick auf die Durchführung von Handlungen etwa im Zusammenhang mit den Aktivitäten<br />

<strong>des</strong> Lebens verweist Strauss (1993: 121) auf die Bedeutung von ‚Körperprozessen’. Diese dienen dazu, die<br />

Durchführung von Handlungen, die Erscheinung <strong>des</strong> Menschen oder seine Repräsentation zu verbessern, zu fördern,<br />

aufrechtzuerhalten, bzw. zu verunglimpfen, zu zerstören oder zu verändern. Durch diese Prozesse erfolgt<br />

die Formung <strong>des</strong> Selbst, der Identität 122 , der eigenen Biografie und von körperlichen Eigenschaften. Zu diesen<br />

Prozessen zählt nach Strauss (1993: 122) auch eine bestimmte Art sich zu kleiden, der Schutz <strong>des</strong> Körpers, sein<br />

Missbrauch, die spezielle Formung oder Darstellung <strong>des</strong> Körpers, das Trainieren <strong>des</strong> Körpers, mit dem Körper<br />

zu arbeiten oder Erfahrungen mit dem Körper zu machen. Bisher wurden Gewohnheiten und Routinen auf der<br />

personalen Ebene betrachtet. Es ist aber notwendig, ihre Funktionsweise in einem erweiterten Kontext, d.h. im<br />

institutionellen Rahmen wie Familie, Organisation oder Beruf zu sehen (s. auch MT 364f). In diesem Zusammenhang<br />

lenkt Strauss (1993: 196) den Blick auf eine bisher eher implizit genannte Funktion von Gewohnheiten<br />

und zwar auf ihren Beitrag <strong>zur</strong> Effizienz (Leistungs- bzw. Funktionsfähigkeit) und/oder ihre Wirksamkeit 123 .<br />

Im organisatorischen Kontext etwa der beruflichen/professionellen Pflege nehmen die im Zusammenhang mit<br />

den Aktivitäten <strong>des</strong> Lebens stehenden pflegerischen Maßnahmen die Form von beruflichen Routinen bzw. Gewohnheiten<br />

an. Diese werden u.a. durch die in der Berufsgruppe hierzu entwickelten allgemeinen Vorstellungen,<br />

Werte und durch das dazu vorliegende Wissen geformt. In den jeweiligen Teams werden sie weiter gehegt und<br />

gepflegt, d.h. kultiviert (s. auch Mitchell 2000: 149). Sie verweisen auf die allgemeine Funktion und berufliche<br />

Rolle einer/s Gesundheits- und Krankenpflegerin/s, deren sachgerechte Ausführung den Einzelnen eine gewisse<br />

Sicherheit verleiht, aber auch ein Gefühl der Zugehörigkeit zum Team X bzw. <strong>zur</strong> Berufsgruppe. Die beruflichen<br />

Routinen erfordern intellektuell-kognitive, aber auch manuelle Fähigkeiten, die emotional getönt sind. Weiter<br />

verkörpern sie die von der Berufsgruppe gepflegten Werte. Die in einer Berufsgruppe entwickelten Routinen<br />

werden im organisatorischen Kontext mittels Arrangements in Kraft gesetzt. Sie beruhen auf expliziten oder<br />

stillschweigenden Übereinkünften zwischen oder unter den Handelnden. Diese Arrangements sind Ergebnis von<br />

Aushandlungsprozessen, von Überzeugungsarbeit, Zwang oder Manipulation (s. Strauss 1993: 196). Sie werden<br />

häufig zu Regeln und Anordnungen sowie zu institutionalisierten Routinen. In diesem Kontext ist das Festhalten<br />

an wirkungslosen oder ineffektiven Routinen zu sehen. Deren Beibehaltung kann seitens mächtiger Interessengruppen<br />

bei Verletzung organisatorischer Regeln, die die zuvor symbolisch konsensual oder ausgehandelten<br />

Übereinkünfte verdrängen sollen, durch Sanktionen abgesichert werden. Wie schwierig es offenbar ist, in Organisationen<br />

zu einer Neuausrichtung organisatorischer Routinen zu gelangen, veranschaulicht Strauss am Beispiel<br />

<strong>des</strong> sog. ‚schwierigen Patienten’. Statt sich auf diesen und seine Erfordernisse einzustellen, kann beobachtet<br />

werden, das alles daran gesetzt wird, das Netzwerk von in Organisationen anzutreffenden Routinen aufrechtzuerhalten.<br />

Der tiefere Grund, sich nicht aktiv mit ‚schwierigen Patienten’ auseinanderzusetzen, könnte nach<br />

Strauss darin bestehen, dass letztere unter Umständen eine Neuausrichtung <strong>des</strong> Stationsarrangements erforderlich<br />

machen würden, was bedeutende organisatorische Änderungen <strong>zur</strong> Folge haben könnte. Daher könnte der<br />

implizite Tauschgewinn als weniger erstrebenswert erscheinen als eine generell gute Patientenversorgung (s.<br />

Strauss 1993: 198f).<br />

Das Ziel der beruflichen Pflege müsste darin bestehen, die pflegerischen Belange der zu pflegenden Menschen in<br />

den Mittelpunkt ihres Handelns zu rücken. Dies bedeutet unter Umständen, die ‚bestehende Ordnung’ der Patientenversorgung<br />

in Frage zu stellen und für ein umfassenderes Verständnis der Versorgung kranker Menschen<br />

einzutreten. Damit werden zwangsläufig eingefahrene Organisationsroutinen und Traditionen nicht nur der Pflege<br />

selbst, sondern auch anderer Gesundheitsberufe hinterfragt. Dies kann die in diesen Gewohnheiten verkörperten<br />

Symbolik auf den Plan rufen, erhebliche Konflikte erzeugen und innerhalb <strong>des</strong> Teams und <strong>des</strong> interdiszipli-<br />

122<br />

Im Mittelpunkt stehen Identitäten als gesunde oder kranke Person, als pflegebedürftige oder nicht pflegebedürftige Person<br />

(s. Corbin 2003).<br />

123<br />

Von Gruppen oder Institutionen.<br />

143

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