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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

Routine bzw. von den gewohnten Handlungsabläufen bzw. Handlungsmustern führen. Darüber hinaus ist die<br />

Handlungsfähigkeit eines Menschen nicht nur eine Frage seiner Leistungsfähigkeit und ebensowenig nur abhängig<br />

von körperlichen Bedingungen. Sie hängt genauso von Zufällen, Gegebenheiten und Umständen ab. So kann<br />

der Mensch unter bestimmten Umständen sein gewohntes Leistungsniveau nicht erbringen. Es bedarf gewisser<br />

Anpassungen, damit das Zusammenspiel von Körper- und Umweltbedingungen wieder gelingt. Dafür und <strong>zur</strong><br />

Bewältigung einer Unterbrechung <strong>des</strong> gewohnten Handlungsverlaufs hat der Mensch unterschiedliche Strategien,<br />

Techniken und Hilfsmittel entwickelt, die es ihm ermöglichen, mit solchen Situationen und Herausforderungen<br />

fertig zu werden (Strauss 1988: 95). Eine hiervon ist die Selbsttäuschung. Diese Form <strong>des</strong> Handelns kann<br />

auch in pflegerischen Situationen immer wieder beobachtet werden. Sie kann ein Hinweis dafür sein, dass der zu<br />

pflegende Mensch seine gegenwärtige Situation nicht wahrhaben will oder akzeptieren kann 119 . Im Umgang mit<br />

Körperbeschwerden hat der Mensch ebenfalls vielfältige Strategien ausgebildet. Man bittet jemand anderen um<br />

Hilfe, schiebt Dinge auf, benutzt Hilfsmittel etc. (s. Strauss 1988: 94). Eine andere Form besteht im Kaschieren<br />

bzw. Verstecken durch Kleidung (s. Stone 1981, Field 1978). Bei der Rekonfiguration alltäglicher Handlungsroutinen<br />

im Falle von Einschränkungen unterschiedlichster Art (chronische Krankheit, Pflegebedürftigkeit, veränderte<br />

Rahmenbedingungen) spielen räumlich-zeitliche Aspekte ebenso eine Rolle wie das Zusammenspiel<br />

zwischen Körper, Selbst und sozialem Umfeld. Hierbei kommt der Darstellung der eigenen Person als leistungsfähige,<br />

moralisch kompetente Person eine wichtige Rolle zu. Nach Rosenfeld/ Faircloth (2004: 516) haben die<br />

gewählten Bewältigungsstrategien nicht nur Einfluss auf die physische Erscheinung, sie formen in der Interaktion<br />

mit anderen Menschen auch die entstehende Identität (z.B. als von anderen Personen abhängige etc.). Sie<br />

verweisen auf die Bedeutung, die der Inanspruchnahme von Hilfe beigemessen wird. Diese kann seitens derjenigen,<br />

die um Hilfe gebeten werden als Faulheit oder als legitimierte Notwendigkeit aufgrund eines objektiven<br />

Unvermögens ausgelegt werden.<br />

Da der Mensch seinen Körper als Objekt begreifen kann, ist er nicht nur beim Handeln auf seinen Körper angewiesen,<br />

sondern er/sie kann auch in Hinblick auf seinen Körper handeln. Durch entsprechende Übungen kann<br />

er/sie seine bzw. ihre körperliche Leistungsfähigkeit verbessern. In diesem Prozess bewertet er/sie auch die<br />

Handlungen, die zu dieser Verbesserung führen, wie z.B. die Atemtechnik beim Schwimmen, die Reaktionsfähigkeit<br />

<strong>des</strong> Körpers beim sportlichen Wettkampf, oder den Umgang mit einer Gehhilfe etc. Daher muss er/sie die<br />

körperlichen Fähigkeiten und Reaktionen vor und nach einer Handlung in seine Überlegungen mit einbeziehen.<br />

Die Menschen denken über ihre Handlungsmöglichkeiten, d.h. über ihre geistigen wie körperliche Fähigkeiten<br />

nach. Das Nachdenken über den eigenen Körper beinhaltet eine kontinuierliche innerliche, geistige Auseinandersetzung<br />

zwischen den verschiedenen Aspekten <strong>des</strong> Selbst. Hierzu gehören:<br />

� “die Vorstellungen von einem Bild bzw. Entwurf <strong>des</strong> eigenen Körpers<br />

� die Reaktionen auf dieses Bild, vielleicht auch noch die Reaktionen auf die Reaktionen<br />

� schließlich die Handlungen, die auf den Körper als solchen gerichtet sind<br />

� sowie die Beobachtung <strong>des</strong> Körpers in Aktion und der Reaktionen auf diese Aktion“ (Strauss 1988: 96).<br />

Alle Menschen sind mehr oder weniger körperlichen Einschränkungen unterworfen, insofern das, was wir mit<br />

unserem Körpern tun können, auch von unseren körperlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, sprich angeeigneten<br />

Gewohnheiten, abhängt. Wir lernen, damit umzugehen, ebenso wie wir lernen, unserem Körper und den Signalen,<br />

die er aussendet, zu vertrauen. Corbin (2003: 257) sagt, dass<br />

„wir unseren Körper als selbstverständlich nehmen und unsere Selbstkonzeptionen und Identitäten um das<br />

herum, was wir tun können, aufbauen und weniger um das herum, was wir nicht tun können“.<br />

119<br />

Mitchell (2000: 148) führt ein Beispiel einer solchen Selbsttäuschung an, wo der betroffene Mensch bestimmte Hinweise<br />

seines Körpers nicht wahrhaben wollte. Sie passten nicht mit seinem Selbstkonzept und seinem Eintreten für die Legalisierung<br />

von Steroiden zusammen. Charmaz (1991) weist ebenfalls auf die Strategie der Selbsttäuschung hin, aber auch auf weitere<br />

Strategien wie die der Konstruktion von ‚fiktionalen Identitäten’.<br />

141

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