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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

(s. auch Dewey 1993: 74f). Beim pflegerischen Handeln in seinen unterschiedlichen Formen, das größtenteils<br />

Routinehandeln ist, geht es darum, wie wir Gewohnheiten 113 nutzen, ob wir uns von ihnen beherrschen lassen<br />

oder ob wir über sie verfügen. Dies verweist auf den zweiten und den dritten von Garrison genannten Aspekt von<br />

Gewohnheiten.<br />

Die Fähigkeit <strong>des</strong> Menschen viele verschiedene Routinen zu beherrschen, bezeichnet nach Dewey (1995: 269)<br />

eine hohe Sensibilität, eine Explosionsfähigkeit. Ihm zufolge kann eine alte Gewohnheit wie ‚ein starres ausgefahrenes<br />

Gleis’ wirken und der Ausbildung einer neuen Gewohnheit entgegenstehen. Die Tendenz, eine neue<br />

Gewohnheit zu bilden, unterbricht hingegen eine alte Gewohnheit, was zu Instabilität, Neuheit, Emergenz und<br />

unerwarteten und nicht voraussagbaren Kombinationen führt. In diesem Zusammenhang kommt ein weiterer Aspekt<br />

zum Tragen, der in der Pflege Berücksichtigung finden sollte. Menschliches und somit auch pflegerisches<br />

Handeln sind in kulturelle Normen 114 und Traditionen eingebettet. Diese bilden die Standards für das persönliche<br />

Handeln. Sie sind das Muster, an dem sich der einzelne Mensch abarbeiten muss. Hierbei hat der Mensch allerdings<br />

die Möglichkeit, die gesellschaftlichen Vorgaben entsprechend den situativen Bedingungen neu zu gestalten.<br />

Er kann, sofern er will, Sitten intelligent an Bedingungen anpassen und sie so neu schaffen. Sitten konstituieren<br />

in jedem Fall Standards. Sie stellen aktive Anforderungen an bestimmte Handlungen dar. Da Gewohnheit<br />

unbewusste Erwartungen schaffen, fungieren. sie wie eine Perspektive. Sie sind wie Energien, die in gewisse<br />

Kanäle oder auch Handlungsmuster umgeleitet werden. Kommt es zu einer Störung, ist die hervorgerufene Emotion<br />

das Ergebnis <strong>des</strong> Zusammenbruchs bzw. Versagens von Gewohnheiten. Die Reflexion ist laut Dewey<br />

(1922/2007: 75f) hingegen die schmerzhafte Bemühung, diese neu aus<strong>zur</strong>ichten.<br />

Ein weiterer für die Pflege wichtiger Aspekt besteht darin, wie Gewohnheiten, etwa das Gehen, Sich-Waschen,<br />

Sprechen, Denken vermittelt worden sind und welche Erfahrungen damit verbunden werden. Es geht darum, wie<br />

sich diese Gewohnheiten im Rahmen der Sozialisation ausbilden konnten. Nach Dewey (1922/2007: 70) können<br />

die Erfahrungen, die ein Mensch bei der Ausbildung seiner Gewohnheiten erfährt, durch die Art der Unterstützung<br />

oder durch die Rollenbilder, die er hierbei von den ihn umgebenden Menschen erhalten hat, sowohl mit negativen,<br />

eingrenzenden Erfahrungen als auch mit positiven, befähigenden Erfahrungen verbunden sein. Das Kind<br />

eignet sich die für sein Überleben wichtigen Gewohnheiten über seine Beziehungen zu anderen Menschen erst<br />

an. Ausgangspunkt dieses Lernprozesses sind die originär ungelernten Handlungen, die in diesem Prozess ihren<br />

unverwechselbaren Platz haben und wichtig sind. Impulse werden von Dewey als Angelpunkte betrachtet, über<br />

die die Reorganisation der Handlungen erfolgt. Sie sind die Kräfte oder auch die Wirkungen von Abweichungen,<br />

die alten Gewohnheiten eine neue Richtung geben und ihre Qualität verändern (Dewey 1922/2007: 92f, Strauss<br />

1991a: 9). Kinder sind zuerst noch nicht in der Lage, ihre diversen Handlungsimpulse zu koordinieren. Sie sind<br />

hierbei auf die Unterstützung von Erwachsenen angewiesen. Die Impulse <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> sind nach Dewey<br />

(1922/2007: 94)<br />

„lediglich Ansatzpunkte für die Assimilation von Wissen und von Fertigkeiten erwachsener Personen, von<br />

denen sie (die Kinder) abhängig sind. Sie sind Fühler, die ausgestreckt werden, um die Nahrung aus den Sitten<br />

zu ziehen, die mit der Zeit dazu führen, dass das Kind zu einem unabhängigen Handeln in der Lage ist.<br />

Sie sind Kräfte für die Überführung [transfer] von bestehenden sozialen Fähigkeiten in persönliche Fähigkeiten.<br />

Sie sind Mittel eines rekonstruktiven Wachstums. […] Angeborene Aktivitäten sind Organe der<br />

Neu-Organisation und Neu–Anpassung“<br />

Bei der Ausbildung von Gewohnheiten und Handlungsmustern kommt dem Menschen seine Fähigkeit <strong>zur</strong> Selbstreflexion<br />

zugute. Sie ermöglicht ihm, sein tägliches Handeln immer wieder zu verbessern, zu verfeinern oder<br />

durch die Einschaltung von Maschinen (etwa Fahrzeugen) oder Hilfsgeräten (Brille, Hörgerät, Gehhilfe usw.) zu<br />

erweitern und Mängel zu kompensieren. Alle diese verschiedenen Aktivitäten<br />

113<br />

In dem Kompetenzstufenmodell von Benner (1984) sind ExpertInnen jene, die über ihre Gewohnheiten frei verfügen können,<br />

sie meisterhaft und virtuos beherrschen.<br />

114<br />

Dewey spricht von ‚customs’, was mit Sitte, Brauch, Gepflogenheit oder Gewohnheit übersetzt werden kann.<br />

139

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