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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

einem sehr weiten Rahmen ermöglicht. Wie Dewey (1922/2007) betont, kann diese Plastizität eines Kin<strong>des</strong> von<br />

Erwachsenen als Aufforderung aufgefasst werden, dem Kind ein Umfeld zu bieten, wo das Kind von dem ihm<br />

<strong>zur</strong> Verfügung stehenden Fähigkeiten vollen Gebrauch machen kann, indem es die Gewohnheit zu lernen erwirbt<br />

(s. Dewey 1993: 69). Die menschliche Plastizität oder Formbarkeit kann aber auch als Mittel der Unterwerfung<br />

unter die Gewohnheiten der Erwachsenen benutzt werden (s. auch Deegan 1988: 299). Die Ausbildung von Gewohnheiten<br />

hängt somit nicht nur von physischen, sondern auch von sozialen Bedingungen ab. Die im Rahmen<br />

der Sozialisation ausgebildeten pflegerischen Handlungskompetenzen können als Ergebnis der Ausbildung von<br />

Handlungsroutinen sehr rigide sein, sie können aber auch eine gewisse, durch frühere Erfahrungen geformte<br />

‚Kunstfertigkeit’ widerspiegeln und äußerst flexibel sein (s. Dewey 1922/2007: 64f; Hester 2001: 5).<br />

Alle Gewohnheiten beruhen auf einer Art ‚Mechanisierung’ oder auch ‚Automatisierung’, die diese physiologisch<br />

verankern und die bei entsprechenden Hinweisen spontan und automatisch funktionieren. Nach Mead können<br />

wir davon ausgehen, dass ein Großteil unseres Handelns bezogen auf die ‚Aktivitäten <strong>des</strong> Lebens’ auf unbewusster<br />

Ebene oder im Bereich <strong>des</strong> unmittelbaren Handelns abläuft. Dies ist ein Ergebnis <strong>des</strong> oben erwähnten<br />

Vorgangs der Mechanisierung oder auch Routinisierung. Am Beispiel der Planung einer Reise erläutert er (MSS:<br />

126f; GIG: 167f) zum einen die Funktionsweise <strong>des</strong> zentralen Nervensystems, zum anderen die von Gewohnheiten.<br />

Die Planung einer solchen Reise kann in mehrere Teilaktivitäten zergliedert werden, bei der der Mensch auf<br />

eine Gruppe von untereinander in Beziehung stehenden Gewohnheiten <strong>zur</strong>ückgreift. Nicht alle laufen bewusst<br />

ab. Sie werden uns erst bewusst, wenn ein Problem auftaucht (s. MSS: 90.ff). In diesem Zusammenhang ist die<br />

von Strauss (1993: 191ff, Mitchell 2000: 149) vorgenommene Differenzierung zwischen Routinen und Nichtroutinen<br />

sowie zwischen Routinen und regelmäßigem Handeln aufschlussreich. Sie ist für das pflegerische Handeln<br />

ebenso von Bedeutung wie die Idee, dass in jedem Handeln, auch wenn es zum ersten Mal erfolgt, Aspekte von<br />

Routinen in Form von körperlichen Fähigkeiten oder kulturell abgeleiteten Gesten, von Sprechen und Hören enthalten<br />

sind (s. Strauss 1993: 193). Wird das Wort Routine weiter ausgedehnt, so kann man behaupten, dass die<br />

Wahrnehmung und Erinnerung, die in jede nichtreflexive Handlung einfließen und diese ermöglichen, durch<br />

wiederholte Erfahrungen in der sozialen Welt routinisiert worden sind. Wiederholen sich Handlungen immer<br />

wieder, werden sie mit der Zeit zum selbstverständlichen Handeln, das – wie erwähnt -, mehr oder weniger bewusstseinsfern<br />

abläuft. Erst in problematischen Situationen werden sie zum Gegenstand von Selbstreflexion. In<br />

diesem Kontext muss auch das Versuch-und-Irrtum-Handeln gesehen werden, das vor allem auf Gewohnheiten<br />

basiert.<br />

Die erwähnte Routinisierung <strong>des</strong> Handelns kann auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen. Zur Verdeutlichung<br />

dieses Sachverhalts bedienen sich Mead und Dewey <strong>des</strong> Beispiels eines Künstlers. Künstler liefern für<br />

Dewey (1922/ 2007: 71) das Beispiel ‚meisterhafter Techniker‘, deren Techniken von Gedanken und Gefühlen<br />

durchdrungen sind. Künstler haben die Möglichkeit, ihr Können auf zwei grundverschiedene Arten darzustellen.<br />

Die eine ist mechanisch. Hier dominiert der Mechanismus der Routinisierung das Geschehen. Das Können <strong>des</strong><br />

Künstlers kann sich aber auch darin zeigen, dass er sein Instrument bzw. sein jeweiliges Metier aufgrund einer<br />

kontinuierlichen Einübung der dafür erforderlichen Fähigkeiten beherrscht und dass er von dieser ‚mechanischen’<br />

Fertigkeit durch seine Einfühlung und Vorstellungskraft Besitz genommen hat, so dass diese zu einem<br />

flexiblen Instrument seines Denkens wird. Dewey unterscheidet zwischen intelligenten und routinemäßigen Gewohnheiten<br />

111 . Der Unterschied zwischen beiden besteht in ihrer Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Bedingungen<br />

(s. auch Sullivan 2001: 33). Gewohnheiten können einen Menschen ‚beherrschen’, etwa die Gewohnheit<br />

zu rauchen, oder wenn ein Mensch Dinge nur auf eine ganz bestimmte eingefahrene Art und Weise tut, ohne von<br />

seinen geistigen Möglichkeiten Gebrauch zu machen 112 . Eine andere Situation liegt beim Künstler vor. Hier kann<br />

der Mensch auf eine Gewohnheit <strong>zur</strong>ückgreifen und diese frei sowie situationsangemessen nutzen und variieren<br />

111 Hierunter versteht er vor allem ein geistloses Handeln.<br />

112 Weil es immer schon so gemacht worden ist.<br />

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