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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

wohnheiten – ursprünglich von Instinkten. Folglich erreichen uns unsere Zwecke und Befehle bezüglich unseres<br />

Handelns mittels <strong>des</strong> ‚strahlenbrechenden’ (spiegelnden) Mediums unserer körperlichen und moralischen<br />

Gewohnheiten. [...] Ein unmittelbares, scheinbar instinktives Gefühl für die Richtung und für das Ziel<br />

verschiedener Handlungslinien ist in Wirklichkeit das Gefühl von Gewohnheiten, die unterhalb <strong>des</strong> direkten<br />

Bewusstseins arbeiten“ (Dewey 1922/2007: 32).<br />

Die im menschlichen Handeln verankerten Gewohnheiten wirken bei diesem und können nur in diesem zum<br />

Ausdruck gelangen. Der Begriff ‚Gewohnheit’ bezeichnet menschliches Handeln,<br />

„das durch vorheriges Handeln beeinflusst und in einem gewissen Sinn erworben worden ist; die Gewohnheit<br />

enthält selbst eine gewisse Ordnung oder Systematisierung kleiner Handlungselemente, die projektiv<br />

sind, dynamisch, bereit <strong>zur</strong> offenen Manifestation und die in einer abgeschwächten untergeordneten Form<br />

auch dann funktionsfähig sind, wenn sie die offensichtliche Handlung nicht beherrschen“ (Dewey<br />

1922/2007: 40f, s. auch Strauss 1991a: 9).<br />

Daher greift es zu kurz, Gewohnheiten nur mit Wiederholung zu assoziieren. Sie müssen laut Dewey vielmehr<br />

als Dispositionen verstanden werden, in einer bestimmten Form zu reagieren bzw. sich zu verhalten. Sie verkörpern<br />

eine spezifische Sensibilität oder Zugänglichkeit zu bestimmten Klassen von Stimuli, zu bestehenden Vorlieben<br />

und Abneigungen, statt die bloße Wiederholung bestimmter Handlungen zu sein. Gewohnheiten haben<br />

mit Willen zu tun und, wie Sullivan (2001: 35) betont, mit Handlungsfähigkeit (agency). Dieses zeigt sich besonders<br />

deutlich in der Fähigkeit <strong>zur</strong> Fortbewegung und <strong>zur</strong> Nutzung der Sprache. In diesem Zusammenhang ist<br />

auch der adaptive Charakter von Gewohnheiten zu sehen, den Mead am Beispiel <strong>des</strong> Überquerens einer Straße<br />

illustriert. Hiernach passt sich der Mensch der jeweiligen Situation an, ohne sich <strong>des</strong>sen immer bewusst zu sein.<br />

Dies verweist auf eine ‚schützende Sensibilisierung’ <strong>des</strong> Menschen, die genetischen Ursprungs ist. Die Anpassung<br />

<strong>des</strong> Menschen kommt in seinen Handlungsimpulsen zum Ausdruck, die immer in Bezug <strong>zur</strong> spezifischen<br />

Umwelt stehen, in die das Handeln eingebettet ist und das auf die Erhaltung <strong>des</strong> Lebensprozesses mittels der Selektion<br />

der hierfür geforderten Stimuli gerichtet ist. So gesehen schafft sich der Mensch seine Umwelt (SW: 112,<br />

s. auch Baldwin 1992: 259).<br />

Dewey und Mead verweisen immer wieder auf den gesamten Handlungszusammenhang und darauf, dass das<br />

Handeln einschließlich <strong>des</strong> gewohnheitsmäßigen Handelns immer in Beziehung <strong>zur</strong> sozialen Umwelt sowie in<br />

einer spezifischen Situation erfolgt. So können nach Mead (PP: 53)<br />

„die Haltungen unseres Organismus vielleicht der Stoff genannt werden, aus dem Ideen entstehen. Es handelt<br />

sich um Gewohnheiten, wenn wir in die Vergangenheit <strong>zur</strong>ückschauen und bezogen auf die Ergebnisse<br />

ihrer Antworten um frühe ‚adjustments’ innerhalb der Handlung, wenn wir in die Zukunft sehen. Diese gehören<br />

bislang zu dem, was wir die unmittelbare Vergangenheit und Zukunft nennen könnten“.<br />

Und weiter heißt es:<br />

„Diese Beziehung, die zwischen einem Ereignis und seiner Situation besteht, zwischen einem Organismus<br />

und seiner Umwelt, mit ihrer wechselseitigen Abhängigkeit, bringt uns <strong>zur</strong> Relativität und zu den Perspektiven<br />

in denen dieses [Ereignis, Hinzufügung MMK] in der Erfahrung erscheint. Die Beschaffenheit der Umwelt<br />

antwortet auf die Gewohnheiten und auf die selektiven Haltungen <strong>des</strong> Organismus, und die Merkmale,<br />

die zu den Objekten in der Umwelt gehören, können nur in Begriffen der Sensibilität dieser Organismen<br />

ausgedrückt werden. Das Gleiche trifft auf Ideen zu. Der Organismus steht durch seine Gewohnheiten und<br />

antizipatorischen Haltungen selbst in Beziehung zu dem, was über seine unmittelbare Gegenwart hinausreicht“<br />

(PP: 53).<br />

Das auf sich selbst bezogene pflegerische Handeln eines gesunden Menschen ist eingebettet in eine Vielzahl von<br />

Handlungen, Interaktionen und Transaktionen in Zusammenhang mit den Aktivitäten <strong>des</strong> Lebens. Die sich dahinter<br />

verbergenden Gewohnheiten bzw. Routinen, die sich der Mensch im Rahmen seiner Sozialisation angeeignet<br />

hat, sind für ihn mit bestimmten Werten verbunden (s. auch Mitchell 2000: 147). In diesem Zusammenhang<br />

ist der Umstand anzuerkennen, dass jeder Mensch ‚seine menschliche Karriere als hilfloses abhängiges<br />

Wesen’ beginnt und dass die Plastizität <strong>des</strong> menschlichen Wesens die Vermittlung menschlicher Handlungsfähigkeiten<br />

ebenso wie pflegerischer Handlungskompetenzen prinzipiell in einem sehr begrenzten, aber auch in<br />

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