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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

„wenn aber die unmittelbaren Interessen mit anderen, von uns bisher nicht erkannten Interessen in Widerspruch<br />

geraten, neigen wir dazu, diese anderen Interessen zu übersehen und nur jene zu beachten, die sich<br />

uns unmittelbar darbieten. Die Schwierigkeit liegt für uns darin, diese anderen und umfassenderen Interessen<br />

in eine rationale Beziehung zu bringen. Hier ist Raum für Irrtümer – Irrtümer aber sind keine Sünden“.<br />

Mead setzt sich in seinen ethischen Schriften mit dem Thema der organisierten Wohltätigkeit auseinander. Am<br />

ausführlichsten geschieht dies in seinem Aufsatz ‚Philanthropy from the point of view of ethics’ (s. SW, GAI).<br />

Hier geht er der Entwicklung <strong>des</strong> menschlichen Impulses, anderen zu helfen, nach. Er beschreibt Wohltätigkeit<br />

in einem Kontext von Verpflichtungen und Rechten. Weiter geht Wohltätigkeit mit einer gewissen Belastung<br />

einher. In unserem wohltätigen Handeln beziehen wir uns nach Mead (SW: 396; GAI: 404) immer auf ‚eine erwünschte<br />

soziale Ordnung’. Mead geht auf die von den Kirchen geprägte Vorstellung von Wohlfahrt ein, die die<br />

Vorstellungen von Pflege nachhaltig geprägt hat (s. bspw. Käppeli 2004). Für die berufliche/professionelle Pflege<br />

sind seine Ausführungen über die Entwicklung einer reflektierten, intelligenten Wohltätigkeit aufschlussreich.<br />

Eine solche Wohltätigkeit ergibt sich nicht aus dem Impuls, anderen Menschen helfen zu wollen, sondern muss<br />

im Gegenteil ausgebildet werden. Mead betont, dass eine über einen Automatismus hinausgehende Haltung, anderen<br />

helfen zu wollen, an die Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme gebunden ist (s. auch Pkt. 3.2.2.4). Der Impuls zu<br />

helfen, äußert sich darin, dass der Mensch ‚von Anfang an auf das Leid reagiert, indem er es abwehrt oder versucht,<br />

es zu lindern. Das Eingehen auf einen Anderen oder das Beseitigen eines Übels erfolgt zunächst aus einer<br />

unmittelbaren gefühlsmäßigen Haltung. Die Verpflichtung zu einem entsprechenden Handeln bildet sich erst<br />

aufgrund eines Konflikts unterschiedlicher Wertvorstellungen heraus. Mead schreibt:<br />

„Werden jedoch unter dem Gesichtspunkt einer mitfühlenden (sympathetic) Identifikation mit der Not Anderer<br />

Wertvorstellungen formuliert, so besitzen diese eine eigentümliche Unmittelbarkeit und Schärfe, während<br />

andererseits gerade ihre Unmittelbarkeit und Schärfe gegen eine Formulierung in Hinblick auf rationale<br />

Mittel spricht. Es fällt schwer, das unmittelbare Interesse daran, jemanden zu helfen, der leidet, in Langzeitpläne<br />

<strong>zur</strong> Beseitigung der Ursachen dieses Leidens zu übersetzen“ (SW: 398; GA I: 406).<br />

Auch wenn ein Mensch bereit ist, einem anderen zu helfen, bedeutet dieses nicht, dass Menschen diese Bereitschaft<br />

mit politischem Handeln oder mit gesellschaftlichen Institutionen - wie im Fall der Pflege mit Krankenversicherung<br />

oder Pflegeversicherung - in Verbindung bringen. Diese Form wird von Mead als ‚impulsive Wohltätigkeit’<br />

bezeichnet. Sie muss so weiterentwickelt werden, dass sie zu Vorstellungen von den sozialen Bedingungen<br />

führt, unter denen etwa eine ‚Pflegebedürftigkeit’ bzw. eine Einschränkung <strong>des</strong> pflegerischen Handelns<br />

nicht existieren würde oder solange wie möglich durch präventive Maßnahmen verhindert werden könnte. Hieraus<br />

könnten Pläne entstehen, wie den Phänomenen praktisch begegnet werden kann. Übertragen auf die Pflege<br />

wäre dies eine Aufgabe der Pflegewissenschaft und der Professionellen. Es ist aber auch eine Aufgabe der Geselllschaft,<br />

denn eine reflektierende, intelligente Wohltätigkeit geht mit der Veränderung der bestehenden Bedingungen<br />

einher.<br />

Die Gedanken der Pragmatisten in Hinblick auf ethische Fragen werden im Rahmen einer pragmatisch inspirierten<br />

feministischen Care-Ethik aufgegriffen. Hier entwickelt Erin McKenna (2002: 145) Vorstellungen von einem<br />

pragmatistischen feministischen Selbst. Hierbei greift sie auf Vorstellungen von Addams und Gilman <strong>zur</strong>ück, in<br />

denen der Mensch und das in sozialen Beziehungen sowie im menschlichen Handeln sich herausbildende Selbst<br />

als ein formbares und aktives Phänomen gesehen wird, als Prozess und als Handeln<strong>des</strong>, kurz als ein aktives, relationales<br />

Selbst. Dieser offene und dynamische Charakter <strong>des</strong> Selbst kommt insbesondere in Meads Vorstellungen<br />

zeitlicher und räumlicher Perspektiven zum Ausdruck 105 . Ausgehend von diesem dynamischen Selbst betonen<br />

Addams wie Gilman die sozialen Verpflichtungen, die aus der Verbundenheit der Menschen untereinander<br />

resultieren. Sie warnen vor einer zu großen Distanz zum Anderen, aber auch davor, den Anderen nicht zu erken-<br />

105<br />

McKenna (2002: 145) verweist darauf, dass sich nach Mead (PP) die Vergangenheit selbst nicht ändert. Was sie für uns in<br />

der Gegenwart bedeutet, ist etwas, was wir uns fragen können, wenn wir unsere kritische und kreative Intelligenz nutzen, um<br />

uns der Zukunft zu nähern. Die Vergangenheit ist wie die Zukunft eine Hypothese.Die pragmatistische Annahme radikalisiert<br />

die räumliche und die zeitliche Perspektive. Raum und Zeit werden sehr flüssig und sie gewinnen ihre Bedeutung und ihren<br />

Zweck nur durch menschliches Handeln und nicht umgekehrt.<br />

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