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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

unerkannt 99 . Der Wert, der im erzielten Ergebnis zu sehen ist, erschließt sich dem betroffenen Mensch zum Teil<br />

unmittelbar (die verlorene Zahnbürste wurde wiedergefunden, die Zähne konnten geputzt werden, der störende<br />

Mundgeruch wurde beseitigt und man traute sich wieder unter Menschen, oder durch das Aufschütteln der<br />

Kopfkissen und die Unterstützung beim Finden einer besseren Liegeposition konnte ein unangenehmes Gefühl<br />

zeitweise beseitigt werden), zum Teil bleibt er verdeckt und zum Teil kann er für die Betroffenen erst im Rahmen<br />

der Reflexion aufgedeckt werden. Mead analysiert die Bedeutung von ‚Erfahrung’. Unter Erfahung (GA II:<br />

42; PA: 53) versteht er die Assimilation <strong>des</strong>sen, was auftritt, und <strong>des</strong>sen, was wiederkehrt, an das, was vergänglich<br />

und was vergangen ist. Erfahrung ist etwas Prozesshaftes und etwas, was ständig im Entstehen ist.<br />

Allgemein spielen in der pragmatistischen Tradition Begriffe wie Problem und Problemlösung, Intelligenz, Rekonstruktion<br />

und Konstitution von Bedeutung eine wichtige Rolle (Joas 1992a: 187, Joas/Knöbl 2004, Carreira<br />

da Silva 2008). Diese Begriffe stellen auch Anknüpfungspunkte für die Pflegewissenschaft dar. So heben<br />

Kim/Sjöström (2006) die Verwurzelung der pragmatistischen Tradition in der menschlichen Erfahrung hervor.<br />

Weiter betonen sie, dass Ideen vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer Konsequenzen für die Praxis betrachtet<br />

werden. Letzteres wird auch von Kasper (1995) betont. Kritisch sei laut Kasper (1995) jedoch, dass in der alltagssprachlichen<br />

Verwendung <strong>des</strong> Begriffs ‚pragmatic’, dieser auf ‚praktisch’ verkürzt und damit gleichgesetzt<br />

wird, statt ihn auf eine spezifische philosophische Methode zu beziehen. Dies könnte auch der Grund sein, weshalb<br />

das Potenzial <strong>des</strong> Pragmatismus seitens der Pflegewissenschaft noch nicht entdeckt worden ist 100 . Anders<br />

sah es bei der ersten Generation von Studenten/innen aus, die bei den Pragmatisten studierte. Nach Seigfried<br />

(1996: 57) wurden von diesen die folgenden zwei Aspekte der pragmatistischen Philosophie als besonders befähigend<br />

(empowering) empfunden. Die von den Pragmatisten vertretene These, wonach Theorien direkt aus der<br />

Erfahrung entspringen und aus ihr erklärt werden können, ermöglichte ihnen, ihren eigenen Erfahrungen zu vertrauen,<br />

auch wenn diese anerkannten Dogmen zuwiderliefen. Das zweite vom Prozesscharakter der Wirklichkeit<br />

abgeleitete Prinzip verweist auf die Definition von Erkenntnis 101 (Wissen) als Ergebnis eines in Übereinstimmung<br />

mit den ins Auge gefassten Zielen befindlichen Experimentierens. Diese beiden Aspekte werden sozial<br />

und kontextuell begründet. Die Ideen und Thesen von Mead & Dewey wie auch anderer Pragmatisten wurden<br />

von den Vertreterinnen eines feministischen Pragmatismus und vor allem von den Frauen, die im Social Settlement<br />

Hull House arbeiteten, in ihrer Arbeit aktiv aufgegriffen und einer empirischen Überprüfung unterzogen 102<br />

(s. die Beiträge in Seigfried 2002, Deegan 2001a, b, 2008).<br />

Ein anderes Feld, wo kreatives Handeln erforderlich ist, ist der Bereich der Ethik. So wie Mead die wissenschaftliche<br />

experimentelle Methode in Form von Arbeitshypothesen auf soziale Probleme 103 überträgt, wendet er sie<br />

99<br />

Welche Anstrengungen inkl. Frustrationen damit verbunden sind, aber auch welchen Stolz das Meistern problematischer<br />

Situationen erzeugen kann, kann bei kleinen Kindern beobachtet werden, wenn sie lernen, sich selber anzuziehen, zu waschen<br />

etc.<br />

100<br />

Kim/Sjöström (2006: 197f) fassen die Diskussion <strong>des</strong> Pragmatismus in der Pflegewissenschaft wie folgt zusammen: Vertretung<br />

eines Pluralismus 1) in Bezug auf die Wissensentwicklung, 2) in Bezug <strong>zur</strong> eingesetzten Methodologie und 3) in Bezug<br />

<strong>zur</strong> Praxis. Den Beitrag <strong>des</strong> Pragmatismus für die Pflege als Wissenschaft und als konkrete Praxis erkennen sie in der<br />

Betonung von Konsequenzen und Erfahrung ebenso wie im utilitaristischen Gebrauch von Wissen. Ihre Darstellung ist insgesamt<br />

wenig fundiert, da sie primär auf Sekundärliteratur basiert. Das für die Pflege in dieser Tradition steckende Potenzial<br />

wird allerdings nicht freigelegt. Es findet sich ab und zu ein Hinweis auf Mead. Die Arbeit ist stärker auf Pierce und Dewey<br />

fokussiert; was auch auf Kasper (1995) sowie Warms/Schroeder (1999) zutrifft.<br />

101<br />

Nach Strübing (2007: 127) verfechten die Vertreter <strong>des</strong> amerikanischen Pragmatismus einen handlungsbasierten gegenüber<br />

einem mentalistischen Wissensbegriff der cartesianischen Introspektion.<br />

102<br />

Diese einzigartige Leistung der Frauen stellte einen wichtigen Beitrag <strong>zur</strong> Weiterentwicklung der pragmatistischen Philosophie<br />

dar, allerdings einen bisher wenig anerkannten (s. Seigfried 1996: 59).<br />

103<br />

Joas (1992b: 298) behauptet, dass sich anhand Meads moralbezogenen Schriften am deutlichsten demonstrieren lässt, dass<br />

er die Grenzen von Kants Ethik erkannt und überschritten hat. Er schreibt: „Seine Kritik hieran enthält das originelle Argument,<br />

dass das Selbstprüfungsverfahren <strong>des</strong> kategorischen Imperativs dort seinen Wert verliert, wo es nicht um die Bestimmung<br />

der Pflicht selbst geht, sondern um die Lösung einer Pflichtenkollision oder um die Bestimmung <strong>des</strong> konstruktiven<br />

Wegs, der Pflicht zu genügen. Mit der Frage nach dem richtigen Weg der Pflichterfüllung wird das Gehäuse einer kantianischen<br />

Gesinnungsethik gesprengt“.<br />

131

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