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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

Die Übertragung von Arbeitshypothesen auf soziale Probleme stellt für Mead ein Mittel dar, durch das soziale<br />

Reformen im täglichen Leben vorangebracht werden können. Menschliches Handeln, soziales Leben und soziale<br />

Institutionen werden von Menschen hervorgebracht. Sie unterliegen Veränderungen und sie können von Menschen<br />

aktiv verändert werden. So gesehen können Arbeitshypothesen in der konkreten Pflege eingesetzt werden,<br />

um konkrete, an der jeweiligen Situation orientierte Veränderungen gemeinsam mit dem zu pflegenden Menschen<br />

herbeizuführen. Allerdings müssen wir, wenn wir uns sozialen Fragen wie der Pflege zuwenden, laut<br />

Mead (1899: 371; GA II: 367) die menschliche Initiative mitberücksichtigen. Dies bedeutet, dass in pflegerischen<br />

Situationen, die darin involvierten Menschen diejenigen Kräfte sind, die untersucht werden müssen. D.h.<br />

wir sind selbst Teil der zu untersuchenden Kräfte und ggf. durchzuführenden Reformen. Mit Blick auf Reformen<br />

scheinen wir die Möglichkeit <strong>des</strong> Wandels einschließlich unseres eigenen miteinzubeziehen, auch wenn wir unser<br />

Selbst <strong>zur</strong> gleichen Zeit für feststehend halten. Die Rolle <strong>des</strong> reflektierenden Bewusstseins oder Denkens besteht<br />

nicht in der Schaffung einer idealistischen Welt, sondern einer Welt, die nach Mead stets als das Ergebnis<br />

irgendeiner spezifischen Problemlösung gedacht werden muss,<br />

„die eine Neuordnung der Welt, wie sie ist, mit sich bringt, […], um die bestehenden Schwierigkeiten zu<br />

beseitigen. Der Erfolg dieser Bemühungen zeigt sich in der Möglichkeit, diese Neuordnung in die Welt, wie<br />

sie ist, einzupassen“ (GA II: 368; Mead 1899: 371).<br />

Ausgehend vom pragmatistischen Handlungsverständnis ist alle Wahrnehmung der Welt und alles Handeln in ihr<br />

im unreflektierten Glauben an selbstverständliche Gegebenheiten und erfolgreiche Gewohnheiten verankert (s.<br />

Joas 1992a: 190). Am Beispiel <strong>des</strong> pflegerischen Handelns kann aufgezeigt werden, wie trügerisch diese Vorstellung<br />

ist. Beim täglichen Handeln ebenso wie in der Pflege werden wir immer wieder mit Problemen konfrontiert,<br />

durch die der bisher gewohnte, automatisch wirkende Ablauf <strong>des</strong> Handelns unterbrochen wird. Laut Joas<br />

(1992a: 190)<br />

„erweist sich die Welt als Quell solcher Erschütterung unreflektierter Erwartungen; die Handlungsgewohnheiten<br />

prallen von der Widerspenstigkeit der Welt ab. Dies ist die Phase <strong>des</strong> realen Zweifels. Aus dieser<br />

Phase heraus führt nur eine Rekonstruktion <strong>des</strong> unterbrochenen Zusammenhangs. Die Wahrnehmung muss<br />

neue oder andere Aspekte der Wirklichkeit erfassen; die Handlung muss an anderen Punkten der Welt ansetzen<br />

oder sich selbst umstrukturieren. Diese Rekonstruktion ist eine kreative Leistung <strong>des</strong> Handelnden.<br />

Gelingt es, durch die veränderte Wahrnehmung die Handlung umzuorientieren und damit wieder fortzufahren,<br />

dann ist etwas Neues in die Welt gekommen: eine neue Handlungsweise, die sich stabilisieren und<br />

selbst wieder <strong>zur</strong> unreflektierten Routine werden kann“.<br />

Beim auf sich selbst wie auf Andere bezogenen pflegerischen Handeln ist Tag für Tag eine Vielzahl unterschiedlicher<br />

Probleme zu bewältigen. Ein nicht zu unterschätzen<strong>des</strong> Dilemma besteht darin, dass das Auftreten dieser<br />

Probleme schwer vorherzusagen ist. Sie sind kontext- und situationsspezifisch (Ort, Tagesform etc.). Die für die<br />

Bewältigung dieser Probleme gefundenen Lösungen, die zunächst den Charakter von ‚Arbeitshypothesen’ haben,<br />

stellen nach Mead kreative Akte dar, auch wenn sie vielfach nur unscheinbare, kleine oder flüchtige Veränderungen<br />

erzeugen, deren sich die Handelnden selber nicht einmal immer bewusst sein müssen. Ihre Richtigkeit<br />

erweist sich, wenn sie ‚im wahrsten Sinne funktionieren’. Dann gehen sie in der Regel in unsere Erfahrung ein<br />

und werden zu ‚erfolgreichen Handlungsgewohnheiten’, die dann aus dem ‚Bewusstsein von etwas’ in den Hintergrund<br />

rücken und zu unserer unbestrittenen Welt gehören (s. auch Carreira da Silva 2008: 68). Ein anderer<br />

Aspekt ist, dass all diese pflegerischen Akte für Andere nicht immer unmittelbar und für längere Zeit sichtbar<br />

sind, so dass etwa die auf die Angst eines Patienten vor einer OP bezogene Handlung <strong>des</strong> Beruhigens oder Zuversichtzusprechens<br />

im Vergleich zum ‚heroischen Akt’ der Operation als unbedeutend erscheint.<br />

In pflegerischen Situationen geht es immer wieder um die Rekonstruktion von unterbrochenen Handlungszusammenhängen.<br />

Aufgrund <strong>des</strong> ‚flüchtigen’ Charakters <strong>des</strong> pflegerischen Handelns bleiben die mit ihm verbundenen<br />

kreativen Leistungen einschließlich ihres emotionalen, physischen, psychischen und sozialen Werts häufig<br />

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