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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

gehensweise geriete das, was ständig passiert, das Unerwartete, aus dem Blick. Mead (1899: 369; GA II: 366)<br />

betont, dass<br />

„wir nicht nur die unmittelbar stattfindende Veränderung erkennen [müssen], sondern auch die Gegenreaktion<br />

der gesamten Welt, innerhalb derer die Veränderung stattfindet. Keine menschliche Voraussicht reicht<br />

an sie heran (ebenda: 369; 366).<br />

Es reicht nicht aus, die in den Naturwissenschaften eingesetzten ‚Arbeitshypothesen’ und eine entsprechende<br />

Arbeitshaltung auf die soziale Welt zu übertragen. Mead betont, dass wir mit dem Gebrauch von Arbeitshypothesen<br />

nur über eine Methode und eine Kontrolle bei ihrer Anwendung verfügen. So wie der experimentell arbeitende<br />

Wissenschaftler bei seinem Streben nach Erkenntnis nicht auf eine endgültige Welt zielt, sondern auf die<br />

Lösung eines Problems der gegebenen Welt (GAII: 49; PA: 60), geht es auch bei der Lösung sozialer Probleme<br />

um Probleme einer gegebenen Welt (a world that is there). 97<br />

Das Entscheidende bei dieser ‚Arbeitshaltung’ ist, dass die Voraussicht von WissenschaftlerInnen nicht über die<br />

Überprüfung von Hypothesen hinausreicht. Ist eine Arbeitshypothese erfolgreich, dient sie als Basis für weitere<br />

neue Fragen. Unter Entwicklungsgesichtspunkten können die Antworten immer nur von vorläufiger Art sein (s.<br />

auch PA: 56; GA II. 44f). Mit Blick auf soziale Reformen oder die Anwendung der Intelligenz bei der Lösung<br />

sozialer Probleme müssen wir von ähnlichen Annahmen ausgehen. Hierbei müssen wir nach Mead (1899: 370)<br />

„den wesentlich gesellschaftlichen Charakter der menschlichen Antriebe und Handlungen unterstellen. Wir<br />

können Menschen nicht durch gesetzliche Verfügungen zu sozialen Wesen machen, doch wir können es der<br />

wesentlich gesellschaftlichen Natur ihres Handelns gestatten, unter Bedingungen zum Ausdruck zu gelangen,<br />

welche diese Natur begünstigen. Welche Form von gesellschaftlicher Organisation hierzu geeignet sein<br />

wird, hängt von Bedingungen ab, die notwendigerweise außerhalb unseres Wissens [Horizonts] liegen. Wir<br />

gehen davon aus, dass die menschliche Gesellschaft Gesetzen unterliegt, welche Solidarität voraussetzen,<br />

und wir suchen diese Gesetze herauszufinden, damit sie angewandt werden können“.<br />

Die <strong>zur</strong> Bewältigung eines Problems aufgestellten Hypothesen können <strong>zur</strong> Lösung <strong>des</strong>selben beitragen, müssen<br />

es aber nicht. Gelingt dieses, dann stellt dies eine Erweiterung der Handlungsfähigkeit <strong>des</strong> betreffenden Menschen<br />

dar 98 .<br />

Mit Blick auf die wissenschaftliche Methode und Arbeitshypothesen muss nach Mead grundsätzlich eine Unterscheidung<br />

zwischen der Welt unseres unmittelbaren Handelns und der Welt der sogenannten wissenschaftlichen<br />

Daten vorgenommen werden (PA: 33; GA II: 21). Die Wissenschaft bewegt sich zwischen der gegebenen Welt<br />

und derjenigen <strong>des</strong> reflektierenden Denkens und Entdeckens, d.h. <strong>des</strong> Erkennens. Letztere bildet die Ideenstruktur<br />

im Geist <strong>des</strong> jeweiligen Menschen ab. Es besteht ein Unterschied zwischen dem, was <strong>zur</strong> Erfahrung und dem,<br />

was zum Kopf eines Menschen gehört und was als ‚subjektiv’ bezeichnet werden kann. Hierbei handelt es sich<br />

um ideelle Objekte (PA: 46; GA II: 34). Reflexives Denken kann auf zweierlei Weise durchgeführt werden: deduktiv,<br />

indem alte Bedeutungen in Bezug auf das vorliegende Problem bestätigt werden oder induktiv, indem<br />

nach neuen Bedeutungen gesucht wird. Diese leiten das Verhalten unter Beachtung der problematischen Situation<br />

in eine neue Richtung (Cook 1993: 116, Carreira da Silva 2008: 73).<br />

97<br />

Die Daten <strong>des</strong> experimentell arbeitenden Wissenschaftlers beziehen sich immer auf eine Lösung von Problemen in der<br />

Welt, die um ihn herum gegeben ist, der Welt also, an der die Gültigkeit seiner hypothetischen Rekonstruktionen überprüft<br />

wird (GA II: 51; PA: 62).<br />

98<br />

Nach Mead (GAII: 57: PA: 68) besteht eine wichtige Funktion für den Wissenschafter darin, „das intelligente Verhalten in<br />

Bezug auf das Ungewisse oder Problematische aus<strong>zur</strong>ichten“. Er schreibt weiter: „Sofern also die Handlung über die gegebene<br />

Zukunft hinausreicht und eine wiederbelebte Vergangenheit verwendet, geht sie in eine Sphäre der Ungewissheit über. Ein<br />

Handeln, das die erworbene oder ererbte Vergangenheit einsetzt, um diese Ungewissheit vom Standpunkt <strong>des</strong> Ergebnisses<br />

aus zu reduzieren, auf das sich die Handlung zubewegt, bezeichnen wir als ‚intelligent’ im allgemeinsten Sinn <strong>des</strong> Wortes.<br />

Eine solche Intelligenz, die fast deckungsgleich ist mit dem Bereich <strong>des</strong> Lebendigen, überschreitet bei weitem den Bereich<br />

<strong>des</strong> Geistes, markiert aber das Gebiet, innerhalb <strong>des</strong>sen der Geist arbeitet“.<br />

129

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