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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

Geschlechts- und Berufsstatus zugleich aktualisiert werden) zum Zuge kommen, als ‚multistrukturierte Interaktion’<br />

bezeichnet werden. Da jede Interaktion einen Verlauf aufweist und es dabei zu einem Wechsel der Statusbasis<br />

kommen kann, bezeichnet Strauss (1997: 76) den Interaktionsprozess als einen multistrukturierten Prozess.<br />

Unabhängig von der Art der Interaktion sind diese Prozesse laut Strauss (1974/1997: 79f) konventionell strukturiert,<br />

weil gewohnte Identitäten angenommen und <strong>zur</strong> Grundlage <strong>des</strong> Handelns gemacht werden. Weiter macht er<br />

darauf aufmerksam, dass die Interaktion zugleich ein strukturierter und ein interpersonaler Prozess ist. Beide Aspekte<br />

seien wichtig für die Interaktion. Mit Blick auf das pflegerische Handeln sind beide zu beachten, weil, wie<br />

Strauss betont, die verschiedenen Modi ein unermeßliches Potential für die Entstehung neuer Statusarten und<br />

Identitäten beinhalten.<br />

Für das pflegerische Handeln ist wichtig, dass die Selbstkonzeptionen 90 und die Identitäten <strong>des</strong> zu pflegenden<br />

Menschen wie die der pflegenden Personen Wandlungen ausgesetzt sind. Strauss (1974/1997) bezeichnet diese<br />

als Identitätstransformationen 91 . Er untersucht einige Wendepunkte in der Identität erwachsener Menschen. Für<br />

die Pflege sind jene wichtig, die unter dem Begriff <strong>des</strong> ‚geregelten Statusübergangs’ zusammengefasst werden.<br />

Hierzu zählen etwa der Übergang einer Auszubildenden in den Status einer examinierten Gesundheits- und<br />

Krankenpflegerin. Im Laufe ihrer beruflichen Karriere kann eine Gesundheits- und Krankenpflegerin weitere<br />

Statuspassagen erleben, z.B. von der Mitarbeiterin <strong>zur</strong> Führungskraft oder <strong>zur</strong> Lehrkraft, von der Vollzeitarbeiternehmerin<br />

hin <strong>zur</strong> Teilzeitarbeiternehmerin und umgekehrt. Weitere Statuspassagen sind etwa von der ledigen<br />

Frau <strong>zur</strong> Ehefrau, von der kinderlosen Frau <strong>zur</strong> Mutter etc. Auch für den zu pflegenden Menschen lassen sich<br />

Statuspassagen ausmachen, vom Gesunden zum Kranken, vom Akutkranken zum chronisch Kranken, von einem<br />

Menschen, der sich selbst pflegen kann, hin zu einem Menschen, der auf die Pflege anderer angewiesen ist. Im<br />

weiteren Verlauf der Arbeit wird auf verschiedene Statuspassagen eingegangen, das Augenmerk soll an dieser<br />

Stelle aber wieder auf das menschliche Handeln gerichtet werden.<br />

Ein anderer für das pflegerische Handeln wichtiger Aspekt besteht darin, wie Identitäten beim Handeln zugewiesen,<br />

hergestellt und aufrechterhalten werden. Dieser Prozess der Herstellung von ‚Identitäten’ wird in der Literatur<br />

auch als ‚othering’ beschrieben, ein Prozess der Differenzierung und Distanzierung von ‚den Anderen’ aufgrund<br />

<strong>des</strong> Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit oder der sozialen Stellung innerhalb einer Gesellschaft.<br />

Aus feministischer Sicht sind insbesondere solche Folgen dieses Prozesses beschrieben worden, in denen Frauen<br />

aufgrund ihres Geschlechts ausgegrenzt und die von ihnen zu leistende Arbeit entwertet worden ist 92 . Am Beispiel<br />

der Pflege und anderer Gesundheitsberufe zeigt Celia Davies (2003: 191) auf, wie das Selbst und der Andere<br />

zusammen eingeschlossen sind und dass das Selbst <strong>des</strong> Anderen bedarf, um sich selbst Sinn zu verleihen. Eine<br />

Folge dieses ‚Aufeinander-bezogen-Seins’ sei eine Logik <strong>des</strong> binären Denkens in der Form von ‚A’ und ‚Nicht-<br />

A’, von Qualitäten bzw. Eigenschaften, die wertgeschätzt werden und solchen, die nicht wertgeschätzt werden 93 .<br />

Mary K. Canales hat sich in verschiedenen Arbeiten (1997, 2000, 2004) mit dem Othering auseinandergesetzt. In<br />

einer Arbeit befasst sie sich mit den Wirkungen <strong>des</strong> Othering auf die Wahrnehmung <strong>des</strong> Selbst. Sie hat sich hier<br />

vor allem auf zwei Prozesse konzentriert: ausschließende und einschließende Prozesse. Was letztere betrifft,<br />

greift sie auf die Ideen <strong>des</strong> Symbolischen Interaktionismus <strong>zur</strong>ück und hier vor allem auf Meads Konzept der<br />

90<br />

Unsere Selbstkonzeptionen basieren offensichtlich auf Identitäten. Sie beziehen sich auf die Einschätzung <strong>des</strong> Individuums,<br />

wer und was es ist, und sie sind im Gegensatz zu Identitäten im wesentlichen ‚subjektiv’, für andere nicht erkennbar<br />

und eher ‚partikulär’ als universal (Field 1978: 247). Sie sind nicht notwendigerweise konsensuell.<br />

91<br />

Ein Teil der zu Beginn dieses Kapitels erwähnten Arbeiten <strong>zur</strong> professionellen Identität befassen sich mit diesem Wandel<br />

(s. etwa MacIntosh 2003, Björkström et al. 2007, Ware 2008).<br />

92<br />

S. Lorber 1999, Goffman 2001, Reuter 2002, Connell 2006, Alcoff 2006.<br />

93<br />

Joy L. Johnson et al. (2004: 260ff) haben die Praktiken <strong>des</strong> ‚Othering’ und die Wirkungen <strong>des</strong>selben untersucht, die in den<br />

Interaktionen zwischen GesundheitsdienstleisterInnen und Frauen zum Tragen kommen, die aus Südasien nach Canada immigriert<br />

sind. Sie konnten drei allgemeine Praktiken aus ihren Daten herauslesen: „Essentializing explanations, culturalist<br />

explanations und racializing explanations.“ Maccallum (2002) befasst sich mit unterschiedlichen Formen <strong>des</strong> Othering im<br />

Allgemeinen und im Bereich der Psychiatrie. Lingard et al. 2002 haben die diskursive Konstruktion <strong>des</strong> ‚Anderen’ im OP als<br />

Teil der Herausbildung der professionellen Identität in einem Gesundheitsteam untersucht.<br />

125

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