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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

Im Laufe der Zeit gewinnt unsere Selbstwahrnehmung laut Charon (2001: 81) eine gewisse Stabilität, insofern<br />

wir Wissen darüber gewinnen, wer wir sind und was wir imstande sind zu tun. Dieses Verständnis von uns selbst<br />

übertragen wir auf die verschiedenen Handlungssituationen. Dies versetzt uns in die Lage zu unterscheiden, wer<br />

wir in Beziehung zu den Dingen und Menschen um uns herum sind. Aufgrund unserer Erfahrungen aus früheren<br />

Interaktionen haben wir Erwartungen, wie andere sich uns gegenüber und wie wir uns ihnen gegenüber verhalten<br />

sollten, d.h. wir werden im Laufe der Zeit zunehmend mit unseren eigenen Handlungen vertrauter. Aus den über<br />

die Zeit anhaltenden Selbstwahrnehmungen entstehen Selbstkonzept, Selbsturteil und Identität, wobei letztere<br />

jeweils Aspekte <strong>des</strong> Selbstkonzepts sind.<br />

3.4.1.1 Selbstwahrnehmung: Die Entwicklung <strong>des</strong> Selbstkonzepts 86<br />

Das Selbst als Objekt, das ‚Me’, entsteht in der Interaktion mit anderen Menschen über die Wahrnehmung der<br />

eigenen Person. Hierher gehören auch emotionale Erfahrungen, Vorstellungen und körperliche Empfindungen (s.<br />

Pkt. 3.2.1.1). Dabei spielt die Zeit eine Rolle, da sowohl im gegenwärtigen Handeln wie im Handlungsentwurf<br />

auf vergangene Erfahrungen <strong>zur</strong>ückgegriffen wird. Bildlich gesprochen werden die einzelnen Erfahrungen entlang<br />

einer ‚Schnur unseres Selbst’ organisiert (MSS:135; GIG: 177). Dieser ‚innere Faden’ verleiht dem Selbst<br />

eine gewisse Kontinuität. In der Selbstreflexion repräsentiert das Selbstkonzept die verinnerlichten Haltungen<br />

anderer ‚Me’. Nach Strauss (1993: 112) bringt der von Sozialpsychologen häufig verwendete Begriff <strong>des</strong> Selbstkonzepts<br />

die dynamische Polarität <strong>des</strong> Selbst als Subjekt-Objekt zum Vorschein. Allerdings ist dieser Begriff<br />

nicht ohne ein handeln<strong>des</strong> Selbst denkbar, dass sich selbst als Objekt Aufmerksamkeit zollt. Als ein Ergebnis der<br />

Sozialisation ist es nicht endgültig, sondern das Selbstkonzept als eine umfassende Organisation der verschiedenenen<br />

Aspekte <strong>des</strong> Selbst, einschließlich der Haltungen und Handlungen in Bezug auf den eigenen Körper ändert<br />

sich aufgrund seines prozessualen Charakters entsprechend der Vielfalt der Handlungssituationen und der jeweiligen<br />

sozialen Beziehungen im Laufe der Zeit. Dennoch ist es bis zu einem bestimmten Ausmaß über die Zeit<br />

und Situationen hinweg stabil. Deshalb ist es sinnvoll, das Selbst als Objekt als Selbstkonzept zu bezeichnen, das<br />

sich von Selbst-Images unterscheidet (s. hierzu auch Turner 1968). In der Regel bleibt das Selbstkonzept, wenn<br />

andere uns überraschen oder in Bezug auf uns in einer ungewöhnlichen Art handeln, aufgrund seiner Stabilität<br />

ohne große Veränderungen bestehen. Kommt es jedoch zu einer ernsthaften Konfrontation mit jemandem, so<br />

kann dies eine größere Auswirkung auf uns haben. Ist diese Konfrontation für unser Leben wichtig, kann sie einen<br />

bedeutsamen Einfluss auf unser Selbstkonzept im Sinne einer Veränderung oder Rekonstruktion <strong>des</strong> Selbstkonzepts<br />

87 haben (s. auch Charmaz 1991, 2000). Das Selbstkonzept ist ein ‚sich wandelnder, sich anpassender<br />

Prozess’, der das, was wir in einer Situation tun, beeinflusst“ (Charon 2001: 82). Bezogen auf die berufliche<br />

Pflege bedeutet dies, dass das berufliche Selbstkonzept aus den verschiedenen Beziehungen der Pflegekraft zu<br />

den Patienten, Kollegen, Angehörigen anderer Berufsgruppen usw. resultiert, und das heißt, aus den Haltungen<br />

der Berufsgruppe, also den von ihr allgemein akzeptierten Normen und Werten, aber auch aus denen anderer relevanter<br />

Gruppen wie Ärzte, Physiotherapeuten, Sozialarbeiter oder Theologen (Mischo-Kelling 2001a).<br />

Der Mensch ist eingebunden in ein Netz von Beziehungen zu anderen Menschen. Welche Beziehungen für sein<br />

jeweiliges ‚Me’ von Bedeutung sind und welche nicht, bestimmt er aber selbst. Die Summe der in einer Gruppe<br />

oder Gesellschaft vorherrschenden Haltungen werden, wie erwähnt, als ‚generalisierter Anderer’ bezeichnet.<br />

Nicht alle ‚Me’s werden zu einem mehr oder weniger einheitlichen Selbstkonzept organisiert, sondern nur diejenigen,<br />

die für das jeweilige Handeln von Bedeutung sind. Die Organisation der einzelnen ‚Me‘ zu einem Selbstkonzept<br />

ist erforderlich, um Handlungsfähigkeit zu ermöglichen. Die unterschiedlichen Haltungen gehen in das<br />

86<br />

Shibutani (1991: 61) behauptet, dass das Wort Selbstkonzept implizit in Meads Werk enthalten sei. Mead selber habe immer<br />

den Begriff ‚self’ verwendet und sich nicht auf ‚self-concepts’ bezogen, sondern auf Prozesse der ‚Selbstkontrolle’.<br />

87<br />

Die Auswirkungen einer chronischen Erkrankung auf das Selbstkonzept und auf die Identitäten eines Menschen sind seit<br />

der zweiten Hälfte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts gut untersucht worden (s. bspw. die Arbeiten von Strauss et al. 1985, Corbin/Strauss<br />

1988, Corbin 2003, Charmaz 1991, 1997, Rosenfeld/ Faircloth 2004). Die Folgen von Pflegebedürftigkeit auf das Selbstkonzept<br />

sowie auf soziale und personale Identitäten sind hingegen ein noch zu beforschen<strong>des</strong> Feld.<br />

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