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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

die entsprechenden physiologischen Handlungen stattfinden können. Die physiologischen Gegebenheiten sind<br />

zwar Bedingungen der Handlungen <strong>des</strong> Selbst, sie liegen aber außerhalb seiner Erfahrung (s. PA: 450).<br />

Im folgenden Abschnitt sollen diese Überlegungen am Beispiel der Körperpflege auf die vier Phasen <strong>des</strong> Meadschen<br />

Handlungsmodells 71 bezogen werden, die er in dem posthum veröffentlichten Buch ‚The Philosophy of the<br />

Act’ (1938/1972, im Folgenden PA) ausgearbeitet hat: die Phase <strong>des</strong> Impulses, der Wahrnehmung, der Manipulation<br />

und <strong>des</strong> Handlungsvollzuges.<br />

3.3.2 ZU DEN HANDLUNGSPHASEN DES MEADSCHEN HANDLUNGSMODELLS<br />

Die vier Phasen <strong>des</strong> Meadschen Handlungsmodells müssen in Zusammenhang mit anderen wichtigen Konzepten<br />

Meads gesehen werden wie dem der Zeit, der multiplen Perspektiven der handelnden Personen, der Rolle <strong>des</strong><br />

Selbst im sich entfaltenden Handlungsprozess sowie <strong>des</strong> Zusammenspiels <strong>des</strong> ‚I‘ und ‚me’ als Phasen 72 <strong>des</strong>selben<br />

(s. Strauss 1993: 3, Gillespie 2005). All diese Konzepte sind für die verschiedenen Formen <strong>des</strong> pflegerischen<br />

Handelns von Bedeutung. Ganz allgemein erfolgt menschliches Handeln immer in Beziehungen. Wir handeln in<br />

Bezug auf, mit anderen oder für andere Menschen sowie in Bezug auf Dinge und Ereignisse. Menschliches Handeln<br />

kann nur in Bezug auf die dabei eingegangenen unterschiedlichen Beziehungen verstanden werden, d.h. es<br />

findet in einem Feld bestehend aus vielfältigen Perspektiven (Perspektiven- bzw. Rollenübernahme) statt, die der<br />

Einzelne und die ebenfalls dabei involvierten Anderen zeitgleich oder hintereinander einnehmen können (s.<br />

Strauss 1993: 21, Martin 2005: 236; Gillespie 2005: 24ff). Dieses ist mit Blick auf die einzelnen Handlungsphasen<br />

ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass das Handeln eine sichtbare und eine verdeckte Seite hat.<br />

Letztere verweist auf die Fähigkeit <strong>des</strong> Menschen <strong>zur</strong> Reflexivität (s. Strauss 1993: 22), das heißt zum Denken.<br />

Weiter findet Handeln immer in zeitlich-räumlichen Bezügen statt. Ein anderer wichtiger Aspekt <strong>des</strong> Meadschen<br />

Handlungsmodells besteht laut Gillespie (2005: 27) darin, dass soziales Handeln auf soziale Interaktionen verweist,<br />

die zu Institutionen mit etablierten Positionen geworden sind wie bspw. die Eltern-Kind-Beziehung, die<br />

Beziehung Käufer-Verkäufer, die Beziehung zu pflegender Mensch – pflegende Person, die Beziehung Vorgesetzte/r<br />

- MitarbeiterIn. Diese Beziehungen verweisen auf soziale Strukturen, die über die Zeit stabil sind. Mit<br />

Blick auf das menschliche Handeln ermöglicht die Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme dem Menschen, sich sein eigenes<br />

Handeln beim Handeln in einer dieser Beziehungen durch den Wechsel der eigenen Position aus der Position<br />

<strong>des</strong> Anderen zu vergegenwärtigen wie auch aus den Reaktionen der Anderen auf sein Handeln und seine<br />

Reaktion auf sein eigenes Handeln. Mit Blick auf die Entwicklung dieser Fähigkeit unterstreicht Gillespie (2005:<br />

29f), dass die im organisierten kindlichen Spiel eingenommenen Haltungen/Rollen größtenteils komplementäre<br />

sind und dass sie zugleich aufgrund ihrer unterschiedlichen Position innerhalb <strong>des</strong> sozialen Handlungsprozesses<br />

nicht vergleichbar sind. Erst wenn es dem heranwachsenden Menschen gelingt, diese unterschiedlichen Positio-<br />

71<br />

Nach Strauss (1993: 3; 1991: 10f) arbeitet Mead das Handlungsschema von Dewey weiter aus und reichert es um wichtige<br />

Elemente an. Deweys Modell besteht im Kern aus der Vorstellung, dass Handeln etwas Fortlaufen<strong>des</strong> (ongoing) ist, dass Erfahrung<br />

integraler Bestandteil <strong>des</strong> Handelns ist, dass Handeln hauptsächlich aus Routinen besteht, dass eine unterbrochene<br />

Routine infolge einer Blockierung zu einer Reorganisation und dann <strong>zur</strong> Fortsetzung <strong>des</strong> Handelns führt. An anderer Stelle<br />

führt Strauss (in Legewie/Schervier-Legewie 2004: 16) aus, dass in Deweys Handlungsschema mentale Prozesse wie Vorstellen,<br />

Planen und Entscheiden, erst wenn die Routine durch Störungen unterbrochen wird, ins Spiel kommen und dann zu<br />

einer Reorganisation <strong>des</strong> Handlungsflusses führen. Dabei spielt Interaktion eine zentrale Rolle, sowohl für den Handlungsablauf<br />

wie für das Selbst und die Welt. […] Etwas weiter heißt es, dass Mead zu diesem Handlungsschema wesentliche Elemente<br />

hinzufügte: seine Unterscheidung von Handlungsphasen, seine radikale Konzeption der Komplexität und Flexibilität<br />

jeder Handlung, seine Ausarbeitung der sozialen Interaktion und der multiplen Perspektiven der Akteure, seine Konzeption<br />

<strong>des</strong> Selbst als Prozess einschließlich der Selbstreflexion und <strong>des</strong> Zusammenspiels von "I and Me", schließlich seine Betonung<br />

von Körper und Zeitlichkeit. (in Legewie/Schervier-Legewie 2004: 19]. Gillespie (2005: 25) bezeichnet die Handlungs<strong>theorie</strong><br />

von Dewey als eine Widerspruchs<strong>theorie</strong> (contradiction theory). Mead war offenbar schnell klar, dass diese Theorie noch<br />

un<strong>zur</strong>eichend war. Eine Weiterentwicklung gelang ihm aber erst, als er seine Aufmerksamkeit der Subjekt-Subjekt Beziehung<br />

zuwandte. Dieses gelingt ihm, indem er die Fähigkeit <strong>des</strong> Menschen, die Perspektive <strong>des</strong> Anderen einzunehmen, aktiv<br />

in die Analyse mit einbezieht. Für die Subjekt-Subjekt-Beziehung ist das Konzept der Rollenübernahme von außerordentlicher<br />

Bedeutung (Gillespie 2005: 27).<br />

72<br />

Laut Athens (2002: 28) hat Mead die soziale Handlung generell in eine konflikthafte und eine kooperative untergliedert.<br />

Die einzelne soziale Handlung wiederum besteht aus fünf allgemeinen analytischen Bestandteilen: Rollen, Haltungen, signifikante<br />

Sprache, Rollenübernahme und soziale Objekte.<br />

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