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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

weiliges Selbst in einem gewissen Ausmaß eine gemeinsame Struktur teilen. Das wird über den skizzierten ‚generalisierten<br />

Anderen’ (s. Pkt. 3.2.2.3) sowie über die von den Menschen geschaffenen Institutionen wie Familie,<br />

Schule, Beruf möglich. Letztere sind für die Sozialisation der Gesellschaftsmitglieder wichtig, indem sie dazu<br />

beitragen, dass Menschen gemeinsame Antworten, gemeinsame Interessen und eine gemeinsame Organisation<br />

ihres Selbst (ihrer Selbste) entwickeln, die für das Verständnis der Anderen und für die Synchronisation mit den<br />

Anderen erforderlich sind. Andererseits erzeugt der Sozialsationsprozess auch Unterschiede zwischen den Menschen.<br />

Der Mensch möchte sich selbst in seinem Handeln zum Ausdruck bringen und er möchte in seiner Verschiedenheit<br />

und Einzigartigkeit von den Anderen anerkannt werden (s. MSS: 200 ff; GIG 244). Zudem entwickeln<br />

wir je nachdem, in welchen sozialen Gruppen wir handelnd tätig sind, unterschiedliche Selbste, die in Beziehung<br />

zu den verschiedenen Aspekten der Handlungshorizonte und der jeweiligen Situationen stehen. Welche<br />

Aspekte <strong>des</strong> Selbst beim Handeln zum Tragen kommen, hängt von der jeweiligen Situation und Erfahrung ab,<br />

wobei in diesem Zusammenhang wichtig ist, dass die sozialen Gruppen, innerhalb derer wir handeln, real nicht<br />

gegenwärtig sein müssen. Statt<strong>des</strong>sen beziehen wir uns häufig beim Handeln auf abstrakte soziale Gruppen, die<br />

sich in gesellschaftlichen Regeln etc. widerspiegeln. Zugang zu diesen abstrakten Gruppen erhalten wir größtenteils<br />

über Bildungsmaßnahmen. Hierüber können wir indirekt uns sonst nicht zugängliche Sichtweisen kennenlernen.<br />

Martin (2005: 241) betont, dass Bildung und erweiterte soziale Erfahrungen den Menschen multiplen generalisierten<br />

Anderen aussetzen, deren Perspektiven sie nicht nur nacheinander, sondern auch gleichzeitig teilen.<br />

Durch die Übernahme der Rolle <strong>des</strong> generalisierten Anderen und der größeren Gesellschaft tendieren Menschen<br />

dahin, sich selbst als einheitliche Wesen wahrzunehmen. Allerdings kann das Selbst aufgrund <strong>des</strong>sen, dass wir in<br />

unterschiedlichen sozialen Gruppen und Kontexten mit unterschiedlichen Anforderungen an uns handeln, in<br />

mehrere Teile aufbrechen. Wir haben variable Möglichkeiten hierauf zu reagieren, d.h. wir können je nach Anforderung<br />

unterschiedliche Selbste 68 generieren. Dies hängt von den Reaktionen der anderen in den Handlungsprozess<br />

involvierten Personen und von ihren Reaktionen auf uns ab (s. MSS: 143f, GIG: 185f, Baldwin 2002:<br />

115f, ISS:162f) Krappmann (2005: 155) spricht in diesem Zusammenhang von Ambiguitätstoleranz. Eine andere<br />

Verhaltensmöglichkeit besteht in den diversen Varianten der Abwehr. Insgesamt bieten die o.g. abstrakten sozialen<br />

Gruppen, d.h. der Umgang mit verschiedenen generalisierten Anderen Möglichkeiten der radikalen Ausweitung<br />

und/oder Veränderung individueller Perspektiven, die uns im täglichen unmittelbaren Handeln und in der<br />

Erfahrung verfügbar sind. Letzteres ist mit Blick auf die in Teil II noch zu diskutierenden pflegetheoretischen<br />

Ansätze wichtig.<br />

Das Eingebundensein der Menschen in unterschiedlichen sozialen Gruppen, Beziehungskonstellationen und Situationen<br />

führt bei Erwachsenen zu einer gewissen Varianz bezüglich <strong>des</strong> Niveaus der Organisation <strong>des</strong> Selbst.<br />

Nach Baldwin (2002: 114f) wird die Entstehung eines hoch entwickelten und strukturierten Selbst von mehreren<br />

Faktoren beeinflusst:<br />

1. „Die Komplexität <strong>des</strong> Selbst ist zum Teil abhängig von der Fähigkeit <strong>des</strong> Menschen <strong>zur</strong> Rollenübernahme<br />

und der Fähigkeit, das Selbst aus der Perspektive eines Anderen zu sehen. […]<br />

2. Problematische Situationen bringen wichtige Erfahrungen für die Entwicklung <strong>des</strong> Selbst mit sich. Konflikte<br />

und Probleme beinhalten Entwicklungsmöglichkeiten, weil sie uns nötigen, innezuhalten und über<br />

die Lösung der Probleme zu reflektieren. […]<br />

68<br />

Mead geht auf das Problem der Spaltung der Persönlichkeit ein. Eine solche scheint bei emotional umwälzenden bzw.<br />

spannungsgeladenen Ereignissen eher möglich zu sein. An anderer Stelle betont er mit Blick auf das Handeln, dass die Einheit<br />

und Struktur <strong>des</strong> gesamten Selbst die Einheit und Struktur <strong>des</strong> sozialen Prozesses als Ganzes reflektiert; und je<strong>des</strong> der<br />

elementaren Selbste, aus denen es (das Selbst, MMK) besteht, reflektiert die Einheit und Struktur der verschiedenen Prozesse,<br />

in die ein Mensch verwickelt ist. In der Fußnote 4 (MSS: 144; GIG: 186) formuliert er diesen Sachverhalt wie folgt: „Die<br />

Einheit <strong>des</strong> Geistes ist nicht identisch mit der Einheit <strong>des</strong> Selbst. Die Einheit <strong>des</strong> Selbst wird durch die Einheit aller Beziehungsmuster<br />

<strong>des</strong> sozialen Verhaltens und der Erfahrungen, in die ein Mensch verwickelt ist, konstituiert und dies wird reflektiert<br />

in der Struktur <strong>des</strong> Selbst; allerdings treten viele der Aspekte oder Merkmale dieses gesamten Musters nicht in das Bewusstsein,<br />

insofern ist die Einheit <strong>des</strong> Geistes gewissermaßen eine Abstraktion der umfassenderen Einheit <strong>des</strong> Selbst“.<br />

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