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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

Eine dritte Bedingung ist die Zeit, insofern die Zeit den Eltern erlaubt, ihr Kind in unterschiedlichen Situationen<br />

zu erleben. Durch die Beobachtung, wie ihr Kind in unterschiedlichen Situationen kognitiv wie affektiv in Bezug<br />

auf andere und auf sie selbst reagiert, können sie seine Verhaltensweisen besser nachvollziehen und verstehen<br />

lernen und darüber ihre eigenen Fähigkeiten <strong>zur</strong> Rollenübernahme verbessern. Auch dies ist ein Faktor, der für<br />

die Gestaltung pflegerischer Situationen wichtig ist. In ihrer Untersuchung arbeiten die Autoren heraus, dass die<br />

Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme von verschiedenen Faktoren abhängt und dass sie für viele Alleinerziehende kein<br />

natürlicher Prozess ist. Ein anderer Aspekt, auf den sie stießen und der für eine erfolgreiche Elternschaft ebenso<br />

wichtig ist, besteht in dem Wert, den die Eltern für ihr Kind haben und in ihrer Sorge um es. Auch in dieser Hinsicht<br />

kann vermutet werden, dass der Wert, der der Pflege von Menschen in einer Gesellschaft ganz allgemein<br />

beigemessen wird, Einfluss auf den Erwerb dieser fundamental wichtigen menschlichen Fähigkeit hat und darauf,<br />

inwieweit diese Fähigkeit im beruflichen/professionellen Kontext gezielt gefördert und weiterentwickelt<br />

werden kann.<br />

Es sollte deutlich geworden sein, dass die Entwicklung der Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme von der Art und Anzahl<br />

der Beziehungen eines Menschen zu anderen Menschen und dem sozialen Umfeld abhängt. Hierbei handelt<br />

es sich um objektive Beziehungen, die Entwicklungen ermöglichen, aber auch einschränken können. Je vielfältiger<br />

und differenzierter diese sind, um so mehr besteht die Möglichkeit, diese allgemeine Fähigkeit zu kultivieren<br />

(s. auch Keith 1999). Diese Fähigkeit gilt es mit Blick auf die Pflege, in der beruflichen Ausbildung und in der<br />

späteren Berufstätigkeit weiterzuentwickeln. Zudem sollte untersucht werden, durch welche Faktoren eine solche<br />

Weiterentwicklung begünstigt oder behindert wird 65 . Die Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme ist fundamental für das<br />

menschliche Handeln 66 . Im nächsten Abschnitt, wo es um die Struktur und Funktionsweise <strong>des</strong> Selbst beim<br />

menschlichen Handeln geht, wird immer wieder auf sie eingegangen. An dieser Stelle sei lediglich erwähnt, dass<br />

Jane Addams, eine der frühen Vertreterinnen eines feministischen Pragmatismus und wichtige Weggefährtin<br />

Meads sich mit dem Lebenszyklus <strong>des</strong> Menschen in der Stadt beschäftigt hat. Sie hat sich insbesondere mit zwei<br />

wichtigen Lebensphasen beschäftigt, mit der Jugend und dem Alter. Das gemeinsame Merkmal dieser beiden<br />

Lebensphasen ist, dass beide von der Wirtschaft unterbewertet werden und dass beide Gruppen zum Idealismus<br />

neigen (s. Deegan 1988/2005: 295ff). Die Beschäftigung mit ihren Einsichten könnte für die Pflegewissenschaft<br />

von großem Interesse sein. So überführt sie Freuds Gedanken in das pragmatistische Verständnis menschlichen<br />

Handelns. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Verbindungen zwischen Jane Addams und Lillian D. Wald (s. Daniels<br />

1989), die zu den frühen Pflegeführungskräften zählt, bestanden. Es wäre interessant, den Einfluss Addams<br />

auf Walds Vorstellungen von Pflege näher zu untersuchen.<br />

3.3 ZUR PROZESSUALEN STRUKTUR UND FUNKTIONSWEISE DES SELBST<br />

Das auf die eigene Person <strong>zur</strong>ückverweisende Wort ‚Selbst’ 67 beinhaltet auch das zentrale Merkmal dieses<br />

Selbst. Es besteht darin, dass der Mensch sowohl Objekt als auch Subjekt <strong>des</strong> eigenen Handelns ist. Im Englischen<br />

wird dieser Sachverhalt durch die Abgrenzung von ‚I’ (ich) und ‚Me’ (mich, mir) sprachlich verdeutlicht.<br />

Im Gegensatz zum Tier kann der Mensch sein eigenes Handeln reflektieren und sich selbst zum Objekt seiner<br />

65<br />

Die Rollen- oder Perspektivenübernahme wird in der Pflegewissenschaft im Zusammenhang mit Empathie diskutiert (s.<br />

auch Bischoff-Wanner 2002). Michele M. Lobchuk (2006) hat mit Blick auf die Erfordernisse kommunikativer Kompetenzen<br />

und einer genauen Wahrnehmung von informell Pflegenden das Konzept der ‚Perspektivenübernahme’ einer Konzeptanalyse<br />

unterzogen und bezieht sich dabei auf u.a. auf Mead. Sie interpretiert aber seine Ideen als angeborene Fähigkeit. Aufgrund<br />

ihres Vorgehens verkennt sie, dass es sich bei der Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme um eine grundlegende soziale Fähigkeit<br />

handelt, die allen Menschen zu eigen ist und die sich im Verlauf <strong>des</strong> Lebens in sozialen Interaktionen und im Handeln ausbildet<br />

und das Potenzial hat, sich aufgrund von Erfahrungen weiter auszubilden. Sie ist nicht einfach da, sondern muss entwickelt<br />

werden.<br />

66<br />

Alex Gillespie (2005: 21) behauptet, dass widersprüchliche Vorstellungen zu diesem Konzept im Umlauf sind. Den Grund<br />

hierfür sieht er darin, dass es nicht im Zusammenhang mit Handeln diskutiert wird.<br />

67<br />

Nach Krappmann (2005: 24) wird das Selbst überwiegend als ‚self concept’ verstanden. Dieses verweist auf die Vorstellung,<br />

die ein Mensch von sich hat (self as object). Im Kontext der Meadschen Begriffsverwendung ist dies ungenau. Hier beinhaltet<br />

das Selbst zwei Aspekte, das I und das Me, wobei nur letzteres auf das Selbstkonzept verweist.<br />

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