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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

2. der Bereitschaft, mit einem Menschen zu fühlen.<br />

Was die erste Form betrifft, so kann diese auftreten, ohne dass man sich in die Lage <strong>des</strong> Anderen versetzt. Bei<br />

der zweiten Form hingegen reagiert man nicht nur auf den Anderen,<br />

„sondern man ist in der Haltung, die wir Sympathie nennen. Sympathie und Imitation beruhen beide auf der<br />

Übernahme der Rolle <strong>des</strong> anderen, sie rekonstruieren den Menschen – d.h. es geht nicht einfach um die Akzeptanz<br />

<strong>des</strong> anderen als real, sondern sie stellen eine aktuelle Konstruktion <strong>des</strong> anderen dar, durch das Sichan-seine-Stelle-Setzen<br />

und durch Sprechen in seiner Sprachmelodie. […] Das Ego ist mehr oder weniger<br />

bewusst, nimmt zuerst den einen Teil und dann den anderen wahr. Der Mensch konstruiert andere und<br />

nimmt ihre Rolle in Bezug auf sich selbst ein. Wäre dieser Prozess nicht vorhanden, würde der Mensch<br />

nicht von der Gemeinschaft beeinflusst, in der er lebt. Es ist die kreative Imagination, die für den Einfluss<br />

verantwortlich ist, den andere auf das Selbst haben“ (ISS: 67).<br />

Mit Blick auf das pflegerische Handeln ist die Idee ‚Anderen helfen zu wollen’ nach Meads Verständnis von<br />

‚Mitfühlen’ nicht hinreichend. Sie erfordert mehr, als sich bloß an die Stelle <strong>des</strong> Anderen zu setzen oder sich mit<br />

ihm zu identifizieren. Dies zeigen die Ausführungen <strong>zur</strong> Ausbildung der Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme und zu<br />

den unterschiedlichen Formen derselben. Identifikation bedeutet für Mead, dass Unterschiede beseitigt werden,<br />

was bei einer emotionalen Identifikation mit einem anderen der Fall ist. Intelligentes Mitfühlen hingegen erfordert<br />

das Anerkennen von Unterschieden. Meads Verständnis von Mitfühlen basiert auf seinem Demokratieverständnis.<br />

Nur vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, was er unter einer ‚sympathetic relationship’ 64 versteht.<br />

Mead (s. ISS: 82f) zufolge kann das elterliche Handeln etwa in der Form <strong>des</strong> ärztlichen oder pflegerischen<br />

Handelns auch eine institutionelle Form annehmen. Die Differenz der Funktionen (zwischen Patient und Arzt<br />

oder Patient und Pflegekraft, MMK) ermöglicht eine ‚sympathetic’ oder ‚mitfühlende’ Beziehung. Damit das<br />

Mitfühlen wirksam werden kann, muss es eine natürliche Beziehung zwischen den Menschen geben. Ihre Basis<br />

besteht in der normalen Differenz der Funktionen. Mit anderen Worten, die Funktionen oder Rollen von Patient<br />

und Pflegekraft sind in dieser Beziehung nicht gleich, sondern verschieden. Ihre Beziehung ist keine hierarchische,<br />

sondern eine partizipative. Eine solche Beziehung erfordert eine gewisse Vertrautheit mit dem anderen<br />

Menschen. Es handelt sich um konkrete und nicht um abstrakte oder ‚virtuelle' Beziehungen (ISS: 82), die das<br />

bewusste Anerkennen dieser Beziehung erfordert (s. Keith 1999).<br />

Werden diese Gedanken auf die unterschiedlichen Formen pflegerischen Handelns übertragen, dann unterscheiden<br />

sich diese radikal von der schlichten Gleichsetzung <strong>des</strong> pflegerischen Handelns mit der Rolle der Frau. Die<br />

Rollenübernahme kann nicht einfach unterstellt werden, sondern sie ist etwas, das im Sozialisationsprozess aktiv<br />

angeeignet werden muss. Hierauf weist die Untersuchung von Teresa Tsushma und Viktor Cecas (2001: 268)<br />

über Rollenübernahme und Einzel-Eltern-Familien hin. Sie stellen fest, dass die Fähigkeit und Neigung <strong>zur</strong><br />

Übernahme der Rollen Anderer zwischen den Menschen entsprechend den sozialen Situationen erheblich variieren.<br />

Sie untersuchen die Bedingungen und Konsequenzen der Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme im familiären<br />

Kontext. Rollenübernahme erfolgt hier nicht nur in der Zweierbeziehung, sondern auch in der Vater-Mutter-<br />

Kind-Beziehung, einer Dreierbeziehung. Die andere Form der Rollenübernahme erfolgt, wenn die Familie in ihrer<br />

Funktion als Gesamteinheit, vergleichbar mit der Funktion <strong>des</strong> generalisierten Anderen, betrachtet wird. Mit<br />

Blick auf das pflegerische Handeln seien an dieser Stelle einige der von ihnen genannten Bedingungen für Rollenübernahmen<br />

wie etwa die elterliche Verpflichtung genannt. Verpflichtung kann allgemein drei Dimensionen<br />

aufweisen, eine instrumentelle, eine affektive und eine moralische Dimension. Eine zweite Bedingung besteht in<br />

dem Vorhandensein geteilter Bedeutungen zwischen Eltern und Kind. Dieses wird durch den Gebrauch der<br />

Sprache und das gemeinsame Verständnis von Gesten ermöglicht. In ihrer Kommunikation und Interaktion mit<br />

dem Kind hängt die Aushandlung dieser Bedeutungen zwischen Kind und Eltern von der Fähigkeit letzterer ab,<br />

wie sie ihr Bewusstsein über den Entwicklungsstand ihres Kin<strong>des</strong> und <strong>des</strong>sen motivationalen Zustand hierbei<br />

nutzen. Dieser Aspekt ist ebenfalls von fundamentaler Bedeutung für die Gestaltung pflegerischer Situationen.<br />

64<br />

Sie ist nur vor dem Hintergrund seines radikalen Demokratieverständnisses möglich, welches sich von idealistischen und<br />

dogmatischen Ideen unterscheidet (s. Carreira da Silva 2008, Deegan 2008).<br />

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