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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

die Gestaltung <strong>des</strong> gesamten pflegerischen Prozesses 60 . Planungsgrundlage dieses Prozesses ist – in der Meadschen<br />

Terminologie - der Lebensprozess und die aktuelle Lebenssituation <strong>des</strong> Patienten.<br />

Lauer/Bordman (1970/71) haben Turners Gedanken aufgegriffen. Sie haben den genetischen Zusammenhang<br />

zwischen der Rollenübernahme im engeren Sinn und den anderen Bedeutungen dargelegt (s. Joas 1992b: 267).<br />

Sie unterscheiden drei Dimensionen, die eine Rollenübernahme jeweils aufweisen kann.<br />

1. Sie kann reflexiv sein oder nicht.<br />

2. Die Rollenübernahme kann ‚appropriativ’ im Sinne der Internalisierung der Haltungen der Anderen in<br />

die Struktur <strong>des</strong> Selbst sein oder nicht. Sie kann die Haltung Einzelner, von Gruppen, realen oder imaginierten<br />

Personen oder auch nur selektive Aspekte dieser Haltungen enthalten.<br />

3. Die Rollenübernahme kann ‚synesic‘ 61 oder nicht-synesic sein. Bei dieser Form der Rollenübernahme<br />

wird nicht nur das Rollenverhalten <strong>des</strong> Anderen antizipiert, sondern es geht hier vielmehr um das Erreichen<br />

eines Verständnisses <strong>des</strong> Anderen, d.h. seiner Gefühle, Wahrnehmungen und seiner Definition der<br />

Situation. Diese Form der Rollenübernahme kann bei der ästhetischen und therapeutischen Arbeit angetroffen<br />

werden (s. Lauer/Bordman 1970/71: 139).<br />

Die Rollen- oder Perspektivenübernahme als eine grundlegende menschliche Fähigkeit ermöglicht Entwicklungen<br />

und damit Veränderungen auf der Basis der Konstruktion und Rekonstruktion der eigenen Rolle/Haltung/Perspektive<br />

und der von anderen in den unterschiedlichsten Handlungssituationen 62 , in die ein<br />

Mensch im Leben involviert ist. An dieser Stelle sei lediglich erwähnt, dass Mead seine Vorstellungen zum<br />

Konzept der Rollenübernahme kontinuierlich weiterentwickelt hat, indem er dieses Konzept mit Vorstellungen<br />

von Zeit verknüpft (s. PP, Tillman 1970, Strauss 1991 a, 1991 b, 1993, Martin 2005, Gillespie 2005).<br />

Was nun den kooperativen Charakter <strong>des</strong> Mitfühlens bzw. der Pflege 63 betrifft, markiert dieser nach Mead (MSS<br />

299f; GIG 347f) auch zugleich deren Grenze. Um dem Mitfühlen bzw. der Pflege einem Anderen gegenüber<br />

Ausdruck zu verleihen, ist die mitfühlende/pflegende Person auf eine Antwort <strong>des</strong> Anderen angewiesen. Weiter<br />

weist Mead darauf hin, dass die Kontrolle <strong>des</strong> eigenen Handelns, indem man handelt wie der Andere, nicht auf<br />

freundliches Verhalten begrenzt ist. Allerdings neigen Menschen dazu, den Begriff ‚sympathetic’ für freundliche<br />

Akte zu reservieren und für Haltungen, die die wesentlichen Bindungsbande im Leben jeder menschlichen<br />

Gruppe sind. Was auch immer wir als menschlich bezeichnen, hat seine Wurzel im elterlichen Impuls; es gibt<br />

keinen Zweifel, dass die grundlegende Haltung, Anderen in verschiedener Weise Unterstützung zu geben, am<br />

deutlichsten in der Beziehung zu Kindern zum Ausdruck kommt. Hilflosigkeit jeder Art reduziert uns zu Kindern<br />

und löst bei den anderen Mitgliedern der Gesellschaft, zu der man gehört, elterliche Antworten aus. Mehr<br />

als in jedem anderen Sinn, ist die Gesellschaft psychologisch gesehen aus der Familie hervorgegangen. Die elterlichen<br />

Haltungen dienen ebenso wie die kindlichen zuallererst der Selbststimulation. Sie betonen daher wertvolle<br />

Antworten und sie bieten den Mechanismus <strong>des</strong> Geistes. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass Mead die Entwicklung<br />

von ‚sympathy’ im Zusammenhang mit der Entwicklung <strong>des</strong> Selbst sieht. Es handelt sich um die gleiche<br />

Entwicklung, die an die Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme gebunden ist. Dies bedeutet, dass wir den Ursprung<br />

<strong>des</strong> pflegerischen Handelns, sowohl <strong>des</strong> auf uns selbst wie <strong>des</strong> auf andere bezogenen pflegerischen Handelns in<br />

dieser Fähigkeit suchen müssen. Mead (ISS: 67) betont, dass die Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme <strong>zur</strong> Unterscheidung<br />

zweier Formen von Sympathie führt,<br />

1. der Bereitschaft, jemandem beizustehen, ihm behilflich zu sein<br />

60<br />

Der Pflegeprozess als methodisches Mittel ist als Handlungsplan aufzufassen, der einer ständigen Revision ausgesetzt ist,<br />

der aber zugleich auch als wichtiges Strukturierungs- und Steuerungsmittel dient, auf den sich die Akteure als gemeinsamen<br />

Bezugsrahmen beziehen können.<br />

61<br />

Synesic, aus aus dem Griechischen ‚synesis‘ kommend, wird von Lauer/Bordman (1970/71: 147) im Sinne von Zusammengehen<br />

oder Zusammenfließen verwendet, wobei es die Fähigkeit <strong>des</strong> Verstehens/Begriffsvermögens (comprehension),<br />

<strong>des</strong> Erkennens (insight) und der Verständigung(understanding) bezeichnet.<br />

62<br />

S. hierzu auch Krappmann 2005, Kap. 4.2 ‚Role Taking’ und Empathy<br />

63<br />

Wie alle anderen Fähigkeiten wird die Fähigkeit <strong>zur</strong> eigenen Pflege im Laufe der Entwicklung <strong>des</strong> Selbst erworben. Sie ist<br />

an die Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme gebunden.<br />

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