09.12.2012 Aufrufe

zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Kapitel 3<br />

2. Die Rolle <strong>des</strong> Anderen kann als ein Objekt bzw. Gegenstand betrachtet werden und zwar vom Standpunkt<br />

eines personalisierten Dritten oder einer depersonalisierten Norm.<br />

3. Die Rolle <strong>des</strong> relevanten Anderen kann vom Standpunkt seiner Wirkung in der Interaktion in Bezug auf<br />

das mögliche eigene Verhalten betrachtet werden, die zum individuellen oder gemeinsam geteilten<br />

Zweck beiträgt (Turner 1955/56: 321).<br />

Der Standpunkt, den der Handelnde bei der Rollenübernahme einnimmt, kann sich im Verlauf einer einzelnen<br />

Handlung ändern, oder er kann das Leben mit alternativen Standpunkten schwermachen. Die Art, wie die imaginierte<br />

Rolle <strong>des</strong> Anderen das Verhalten <strong>des</strong> Handelnden bestimmt, wird je nach Standpunkt verschieden sein.<br />

Was nun die andere Achse der ‚other-determining-self relationship’ betrifft, die der Reflexivität im Prozess der<br />

Rollenübernahme, so kann diese reflexiv bzw. nichtreflexiv sein (Turner 1955/56: S. 321). Von einer reflexiven<br />

Rollenübernahme kann gesprochen werden, wenn die Rolle <strong>des</strong> Anderen als Spiegel benutzt wird, in dem die<br />

Erwartungen oder Bewertungen <strong>des</strong> Selbst aus der Rolle <strong>des</strong> Anderen gesehen werden. In einer aktuellen Situation<br />

muss der Handelnde bestimmen, wie er seine Rolle spielen soll. Hierbei bestimmen die Anforderungen an<br />

diese Rolle, welche Aspekte der Anderen-Rolle hervorgehoben werden. In diesem Zusammenhang kann eine der<br />

wichtigsten Unterscheidungen unter den Anderen-Haltungen darin bestehen, welche davon Erwartungen oder<br />

Bewertungen oder Images in Bezug auf das Selbst sind und welche nicht. Nach Turner (1955/56: 322) ist die<br />

Rollenübernahme reflexiv, wenn sich die Aufmerksamkeit <strong>des</strong> Rollenübernehmers auf die Art richtet, wie er<br />

Anderen erscheint. Reflexivität hängt mit dem zusammen, was wir als Selbstbewusstsein bezeichnen. Bei der<br />

reflexiven Rollenübernahme betrachtet der Mensch nicht nur die Wirkung seiner Handlung oder ihre Kompatibilität<br />

mit gewissen Standards oder Regeln, sondern er sieht sich selbst als Objekt der Bewertung durch andere. So<br />

hat er die Möglichkeit, seiner Konzeption vom eigenen Verhalten eine zusätzliche Perspektive hinzuzufügen.<br />

Anhand der Kriterien der Reflexivität und <strong>des</strong> Standpunkts, die miteinander kombiniert werden, können die verschiedenen<br />

Arten beschrieben werden, in der die Selbst-Andere-Beziehung 59 das Handeln bestimmen kann.<br />

Nach Joas (1992b: 266) ermöglicht der von Turner eingeführte Begriff <strong>des</strong> ‚role standpoints’, eine klarere Unterscheidung<br />

zwischen kognitiver Rollenübernahme und einer Identifikation mit den Identitäten und Intentionen<br />

der beteiligten Handlungspartner. Noch wichtiger aber sei Turners Begriff <strong>des</strong> ‚role-making’ (s. Turner 1977:<br />

117). Letzterer meint vornehmlich die aktive Selbstdefinition sozialer Beziehungen durch die wechselseitige Abarbeitung<br />

aneinander gerichteter Ansprüche und Erwartungen. Diese Situation einer interaktiven Entstehung gemeinsamer<br />

Bedeutungen und einer in sich flexiblen und prozesshaften Interaktion ist für Turner wie für Mead<br />

nicht ein problematischer Grenzfall äußerster Instabilität, sondern das Kennzeichen alltäglicher Interaktionen,<br />

das auch den formalisiertesten und hochgradig institutionalisierten Organisationen nicht völlig abgeht (s. hierzu<br />

auch Krappmann 2005: 117f). Soziale Beziehungen sind nicht als endgültig stabilisierte Erwartungsmuster, Rollenhandeln<br />

ist nicht als bloße Umsetzung von Vorschriften zu denken; vielmehr fordern die Definition der Beziehung<br />

und die Entwicklung eines Handlungsplans selbst aktive und kreative Leistungen der Interpretation und<br />

<strong>des</strong> Entwurfs. Dies ist wichtig in Bezug auf die Beziehung zwischen Patient und Pflegekraft und in Bezug auf<br />

59<br />

Turner (1955/56: 319ff) untersucht den Prozess der Rollenübernahme aus der Sicht der drei genannten Standpunkte in Bezug<br />

auf ihre nonreflexive und reflexive Form:<br />

1. Der Standpunkt der other-role wird übernommen: der Andere dient als Modell oder Standard.<br />

2. Im Gegensatz dazu kann der Wunsch, den Erwartungen der Anderen zu entsprechen bzw. in ihren Augen positiv/günstig<br />

zu erscheinen, das Selbstverhalten in Richtung Konformität mit den Anderen formen.<br />

3. Der Standpunkt eines Dritten oder einer Norm wird nichtreflexiv übernommen.<br />

4. Die Rollenübernahme vom Standpunkt eines Dritten aus ist reflexiv. Hat sich der Standpunkt <strong>des</strong> Dritten stabilisiert und<br />

verallgemeinert, dann wird er zu einem ziemlich konsistenten Standpunkt <strong>des</strong> Individuums und wird in der reflexiven<br />

Rollenübernahme als ein voll und ganz entwickeltes Selbstkonzept oder Selbst-Image wirksam.<br />

5. Wenn Rollenübernahme vom Standpunkt der interaktiven Wirkungen auftritt, wird es reflexiv, wenn das reflektierte<br />

Selbst-Image vom Handelnden als Mittel der Zielerreichung manipuliert wird. Ist hingegen der Handelnde wie beim viel<br />

zitierten Meadschen Baseballspiel mit den Haltungen der Anderen in Bezug auf das Spiel befasst, dann haben wir es mit<br />

einer nichtreflexiven Rollenübernahme zu tun“.<br />

Jeder der beschriebenen Typen beinhaltet nach Turner (1955/56: 323) eine andere Selbst-Andere- Beziehung.<br />

101

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!