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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

bole werden zu Allgemeinbegriffen, weil sie geteilt werden können, aber sie müssen nicht von allen geteilt werden,<br />

um Allgemeinbegriffe zu sein. Gemeinschaften definieren sich durch ihre gemeinsame Stimme, die Stimme<br />

eines verallgemeinerten Anderen (Aboulafia 2001: 26).<br />

3.2.2.4 WEITERENTWICKLUNG DER FÄHIGKEIT ZUR ROLLENÜBERNAHME:<br />

Die Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme beschreibt somit eine grundlegende Fähigkeit, auf der die menschliche Interaktion<br />

und Kooperation beruht und mittels derer der Mensch zu seinem Selbst findet. Die Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme<br />

drückt im wahrsten Sinne <strong>des</strong> Wortes die Sozialität <strong>des</strong> Menschen aus und begründet seine spezifische<br />

Fähigkeit, mehrere Dinge <strong>zur</strong> gleichen Zeit zu sein (s. McCarthy 1984: 108; Tillman 1970: 542ff, Gillespie<br />

2005, Martin 2005, 2006). Der Prozess der Rollenübernahme dient der Verhaltensorientierung, er ist die<br />

Vorwegnahme eines situationsspezifischen Verhaltens. Er ist tentativ und sagt noch nichts über das tatsächliche<br />

Handeln in einer Situation aus. Er ist aber ein notwendiger Bestandteil <strong>des</strong> menschlichen Handelns (s. Joas<br />

1992b: 252), <strong>des</strong>sen erste, unmittelbare Wirkung in der Kontrolle liegt, die der Einzelne über seine eigenen Reaktionen<br />

erlangt (s. MSS: 254; GIG: 301). Der Begriff der Rolle beschreibt die Tendenz <strong>des</strong> Menschen, sich so<br />

zu verhalten, als ob es festgelegte Rollen gäbe. Er beschreibt mehr oder weniger klar umrissene Handlungsmuster.<br />

Im täglichen Handeln, z.B. in einer pflegerischen Situation, sind die Handelnden gezwungen, die jeweilige<br />

Handlungssituation zu definieren. Sie müssen ihr Handeln aneinander ausrichten, es koordinieren und aufeinander<br />

abstimmen, was mit Hilfe der wechselseitigen Zuweisung von Rollen 56 bzw. von Handlungsmustern geschieht<br />

57 . Diese Rollen zeigen recht unterschiedliche Grade von Konkretheit und Beständigkeit, auch wenn wir<br />

im täglichen Handeln vom Vorhandensein fester Rollen ausgehen. In diesem Prozess geht es nicht nur um die<br />

Übernahme von Rollen, sondern auch um deren Konstruktion und aktive Ausgestaltung (vgl. Turner 1977:116f).<br />

Der Begriff der Rolle 58 wird von Mead nach Joas (1992b: 252)<br />

„ursprünglich in einem Modell praktischer Verständigung und kollektiver Selbstbestimmung eingeführt. Er<br />

bezeichnet zunächst die Verhaltenserwartung an den Interaktionspartner; Rollenübernahme, d.h. „taking the<br />

role of the other“ ist die Antizipation <strong>des</strong> situationsspezifischen Verhaltens <strong>des</strong> Anderen“.<br />

Turner (1955/56: 318) hat sich mit unterschiedlichen Formen der Rollenübernahme befasst, deren kritischer Unterschied<br />

sich um die Art und Weise dreht, in der die Selbst-Andere-Beziehung dem Einzelnen eine Richtlinie<br />

für die Formulierung bietet, wie sein eigenes Verhalten sein sollte. Er betrachtet die Selbst-Andere-Beziehung<br />

als einen Aspekt <strong>des</strong> gesamten sozialen Handelns. Er interessierte sich dafür, wie der Modus <strong>des</strong> Schlussfolgerns<br />

auf die Rolle <strong>des</strong> Anderen das Inkraftsetzen der Selbst-Rolle formt, und dafür, wie die zugewiesene Anderen-<br />

Rolle in Beziehung gesetzt wird <strong>zur</strong> Wahl und dem Inkraftsetzen der Selbst-Rolle. Da dieser Aspekt für das<br />

pflegerische Handeln nicht unwichtig ist, soll kurz darauf eingegangen werden. Turner (1955/56: 318ff) hebt<br />

zwei Hauptachsen für die Unterscheidung von Typen von Beziehungen hervor, bei denen das Selbst über Andere<br />

bestimmt wird (other-determining-self relationships):<br />

1. der Standpunkt, der im Prozess der Übernahme der Rolle <strong>des</strong> Anderen eingenommen wird<br />

2. die reflexive und nicht reflexive Rollenübernahme.<br />

Was den Standpunkt betrifft, so kann ein Mensch, der sich in die Position eines anderen versetzt und die Rolle<br />

<strong>des</strong> Anderen phantasievoll konstruiert, dieses von drei verschiedenen allgemeinen Standpunkten her tun:<br />

1. Er kann, muss aber nicht den Standpunkt <strong>des</strong> Anderen als seinen eigenen annehmen. Beinhaltet die Rollenübernahme<br />

dies, dann ist der Prozess der Rollenübernahme unwillkürlich (automatisch) bestimmend<br />

für das Handeln Die Rollenübernahme erlaubt sowohl die Manipulation <strong>des</strong> Anderen als auch, sich auf<br />

ihn (adjustment) einzustellen bzw. sich ihm anzupassen.<br />

56<br />

Turner (1977: 116) versteht den Begriff Rolle als eine Art Idealisierung, die uns zwingt, jede Handlungssituation in mehr<br />

oder weniger explizite Bündel interagierender Rollen zu transformieren.<br />

57<br />

Martin (2006: 67) spricht statt von Rollen von Perspektiven, ein Begriff den Mead in späteren Arbeiten häufiger benutzt.<br />

Unter einer Perspektive ist eine Orientierung auf eine Umwelt zu verstehen, die mit dem Handeln in dieser Umwelt verbunden<br />

ist.<br />

58<br />

Joas (1992b: 259) nennt das Werk von Mead als wichtigste Quelle für die Entwicklung und Entstehung der Rollen<strong>theorie</strong>.<br />

Er gibt in seinem Aufsatz einen Überblick über wichtige Entwicklungen.<br />

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