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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

In der Gestalt <strong>des</strong> ‚generalisierten Anderen’ beeinflussen soziale Prozesse das Verhalten der involvierten Menschen<br />

und deren Ausführung. Die Gesellschaft übt über das Verhalten ihrer einzelnen Mitglieder Kontrolle aus.<br />

In dieser Form treten der soziale Prozess oder die Gesellschaft als bestimmender Faktor in das Denken <strong>des</strong> Menschen<br />

ein. Beim abstrakten Denken übernimmt der Einzelne die Haltung <strong>des</strong> generalisierten Anderen in Bezug<br />

auf sich selbst, ohne Bezug auf die Ausdrucksformen irgendeines bestimmten anderen Menschen zu nehmen. Im<br />

konkreten Denken übernimmt er die Haltung nur insoweit, als diese in den Ausdrucksweisen der in einer gegebenen<br />

sozialen Situation oder an einer Handlung beteiligten Menschen zum Tragen kommt. Der einzelne<br />

Mensch kann nur durch die Übernahme der Haltung <strong>des</strong> generalisierten Anderen in der einen oder anderen Weise<br />

in Bezug auf sich selbst überhaupt denken. Das Denken - oder eine internalisierte symbolvermittelte Kommunikation,<br />

die das Denken konstituiert -, kann so überhaupt erst entstehen (MSS: 155f; GIG: 198).<br />

Nach Lin<strong>des</strong>mith et al. (1999: 268) bezieht sich der Begriff <strong>des</strong> ‚generalisierten Anderen’ nicht auf eine aktuelle<br />

Gruppe von Menschen, sondern mehr auf eine Vorstellung oder auf eine Interpretation, die ein Mensch aus seinen<br />

Erfahrungen ableitet. Er reguliert sein eigenes Handeln in Hinblick auf diese unterstellten Meinungen und<br />

Haltungen der Anderen. An anderer Stelle heben Lin<strong>des</strong>mith et al. mit Blick auf das moralische Handeln hervor,<br />

dass es sich beim ‚generalisierten Anderen’ um erlernte Vorstellungen handelt, die zwei wichtige Implikationen<br />

haben:<br />

1. Kinder erwerben moralische Sichtweisen nicht automatisch oder mechanisch<br />

2. Menschen verfügen, auch wenn sie <strong>zur</strong> gleichen Gruppe gehören, nicht über identische verallgemeinerte<br />

Andere (Lin<strong>des</strong>mith et al. 1999: 269f).<br />

Der Begriff <strong>des</strong> ‚generalisierten Anderen’ ist sowohl kritisiert als auch erweitert worden. Lin<strong>des</strong>mith et al. (1999:<br />

270) verweisen auf den von Lonnie Athen eingeführten Begriff <strong>des</strong> ‚phantom others’. Auf diesen beziehen sich<br />

Kinder wie Erwachsene im Selbstgespräch, das sie ständig mit sich führen. Der Einfluss dieser ‚phantom others’<br />

auf die Entwicklung <strong>des</strong> Selbst ist vergleichbar mit dem von in einer Situation real anwesenden Menschen.<br />

Um die Bedeutung <strong>des</strong> ‚generalisierten Anderen’ in Bezug auf die Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme zu verstehen,<br />

ist es sinnvoll, dieses Konzept im Kontext der verschiedenen sozialen Gruppen zu betrachten, mit denen ein<br />

Mensch in seinem Leben konfrontiert wird. Unter Bezugnahme auf Tamotsu Shibutani spricht Charon (2001: 77)<br />

aus der Perspektive der Entwicklung von der Phase der Bezugs- bzw. Referenzgruppe. In dieser Phase kommt<br />

der Mensch mit unterschiedlichen sozialen Gruppen in Berührung. Er oder sie teilt die Perspektiven einer jeden<br />

Gruppe, einschließlich der Perspektive, die benutzt wird, um sich selbst innerhalb dieser Gruppen zu bestimmen.<br />

Charon zufolge muss der Einzelne zumin<strong>des</strong>t zeitweise die Sichtweise der sozialen Gruppe übernehmen, um in<br />

ihr erfolgreich handeln zu können. Lin<strong>des</strong>mith et al. (1999), aber auch Strauss (1993) sprechen in diesem Zusammenhang<br />

von sozialen Welten 54 . Hierunter versteht letzterer im Sinne einer Arbeitsdefinition<br />

„Gruppen mit geteiltem Engagement für bestimmte Aktivitäten, die Ressourcen vielfältigster unterschiedlichster<br />

Art miteinander teilen, um ihre Ziele zu erreichen, und die eine gemeinsam geteilte Ideologie darüber<br />

ausbilden, wie sie ihr Geschäft betreiben“ (Clarke, zitiert in Strauss 1993: 212)<br />

54<br />

Strauss greift das Konzept ‚soziale Welten‘ von Tamotsu Shibutani (1955) auf. Dieser hatte das Konzept der Referenzgruppe<br />

in Richtung soziale Welten/Arenen weiter ausgearbeitet (Strauss 1993, s. Strübing 2005:170ff, 2007: 73ff). Das Konzept<br />

der Referenzgruppen wurde nach Shibutani zum damaligen Zeitpunkt in der Wissenschaft auf dreierlei Weise genutzt: 1)<br />

es dient dem Vergleichen oder Kontrastieren, 2) es verweist auf eine Gruppe, zu der ein Mensch hinstrebt und deren Anerkennung<br />

er gewinnen oder aufrechterhalten möchte und 3) es sind damit Gruppen gemeint, deren Perspektiven vom Handelnden<br />

übernommen werden. Shibutani verfolgte den dritten Ansatz, der von verschiedenen Vertretern <strong>des</strong> Pragmatismus<br />

ausgearbeitet worden war wie von William I. Thomas oder von George H. Mead mit dem Konzept der Rollen- bzw. Perspektivenübernahme.<br />

Bei der Weiterentwicklung dieses Konzepts ist Strauss (1993: 210) stark von Meads Vorstellung der unendlichen<br />

Bildung von Diskursuniversen beeinflusst. Ihn interessiert aus der von Mead übernommenen Entwicklungsperspektive<br />

insbesondere die Entstehung, Entwicklung, Absplitterung, Desintegration, das ‚an einem Strang Ziehen’ und das<br />

Abfallen von Segmenten, um neue Gruppen zu bilden. Ein anderes Konzept in diesem Zusammenhang ist das der Arena.<br />

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