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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

schon erwähnt, hat das Kind anfangs kein Selbst. Es wird aber von seinen Eltern und von den es umgebenden<br />

Bezugspersonen angesprochen. Nach Wiley scheint es so zu sein, dass das Kind zuerst die ‚Rollenübernahme’<br />

als jemand lernt, der Informationen erhält anstatt sie zu senden. Danach lernt das Kind die ‚Rollenübernahme’<br />

als aktiv Kommunizierender (bedeutungsvolles Lächeln, bedeutungsvolle Laute). Über diese frühe Form der<br />

Rollenübernahme im Sinne eines wechselseitigen Nehmens und Gebens hat das Kind die Chance, ein Selbst zu<br />

entwickeln und zu werden. Damit dies möglich ist, muss das Kind von seinen Eltern anerkannt werden 44 . Das<br />

Bindeglied zwischen Anerkennung/Erkennen und der Möglichkeit, ein Selbst zu werden, sieht Wiley (2003:<br />

505) im Vertrauen.<br />

Dieses kindliche Verhalten mündet später in zahlreiche Formen <strong>des</strong> Spiels, in denen das Kind die Rollen der Erwachsenen<br />

übernimmt. Mead sieht in der überall anzutreffenden Gewohnheit, mit Puppen zu spielen, einen<br />

Hinweis auf diese im Kind ausdrucksbereite elterliche Haltung oder zumin<strong>des</strong>t einiger bestimmter elterlicher<br />

Haltungen (s. Mead 2001b: 82; MSS: 365; GIG 1973: 414f). Aufgrund der langen Abhängigkeit von seinen unmittelbaren<br />

Bezugspersonen, einer Zeit also, in der das Kind sich auf seine Beziehungen zu diesen zentriert, hat<br />

es unbegrenzte Möglichkeiten für das Hin- und Herspielen dieser Art der Übernahme von Rollen Anderer. So<br />

lenkt das Kind für eine beachtliche Zeit seine Aufmerksamkeit auf das soziale Umfeld, das sein Bezugssystem<br />

ihm bietet. Hierbei sucht es durch seine Gesten, insbesondere vokale Gesten, Unterstützung und Nahrung, Wärme<br />

und Schutz. Diese Gesten lösen nach Mead zwangsläufig im Kind selbst die elterlichen Antworten aus (s.<br />

Mead 2001b: 82; MSS: 364; GIG 1973: 415). Das Kind regt sich selber an, Geräusche oder Gesten zu erzeugen,<br />

die es bei den Eltern anregt. Was das Kind letztlich produziert, hängt von seinem Umfeld ab. Nach Mead bestimmt<br />

das Leben um das Kind herum indirekt, welche elterlichen Antworten es in seinem Verhalten reproduziert,<br />

denn die direkte Stimulation der elterlichen Antworten findet sich unvermeidlich in seinen kindlichen Appellen.<br />

Auf die Stimulation der Erwachsenen reagiert es als Kind. Bezogen auf die Selbststimulation heben Lin<strong>des</strong>mith<br />

et al. (1999: 231) hervor, dass Kinder durch diesen Prozess lernen,<br />

„von sich selbst als Personen zu denken, die persönliche Sichtweisen, Gefühle, Ambitionen und Ziele haben.<br />

Ein solches Erkennen bedeutet notwendigerweise, dass sie sich selbst entlang von Linien erkennen oder<br />

erfassen, die den Konzeptionen ähnlich sind, die Andere von ihnen haben. [...] Wie Mead aufgezeigt hat,<br />

sind kleine Kinder weniger bewandert auf der ‚Me’-Seite. Sie reagieren direkt auf Stimuli, da sie nicht die<br />

Mittel – oder nur unangemessene Mittel – haben, die Rolle <strong>des</strong> Anderen zu übernehmen. Im weiteren Verlauf<br />

entwickeln Kinder in Bezug auf ihre eigenen Reaktionen auf sich selbst (1.) ein Bewusstsein von ihren<br />

eigenen Reaktionen; (2.) lernen sie etwas über deren Konsequenzen und sie erlangen (3.) eine gewisse Objektivität<br />

in Bezug auf diese (Reaktionen)“.<br />

Die Bedeutung der Sprache in diesem Zusammenhang liegt auf der Hand, denn durch sie können Menschen sich<br />

der diversen Objekte bewusst werden. Dazu müssen sie in der Lage sein, diese zu benennen und zu klassifizieren.<br />

Wenn sie lernen, Symbole auf sich selbst und auf ihre Handlungen anzuwenden, werden sie sich ihrer selbst<br />

bewusst.<br />

Mit Blick auf die Pflege in ihren verschiedenen Erscheinungsformen ist jene Haltung wichtig, die Mead bei Erwachsenen<br />

als ‚sympathy’, d.h. Mitfühlen, bezeichnet. Diese rührt von der gleichen Fähigkeit her wie die Fähigkeit<br />

<strong>zur</strong> Übernahme der Rollen Anderer. Sie ist kein Bestandteil der unmittelbaren Reaktion zu helfen, zu unterstützen<br />

oder zu schützen. Sie ist ein direkter Impuls, der nicht unvereinbar mit der gelegentlichen Ausübung <strong>des</strong><br />

gegenseitigen Impulses ist 45 . Damit Mitfühlen (Sympathie/Wohlwollen) oder die ‚attitute of care’ 46 entstehen<br />

kann, muss man sich nach Mead (s. MSS: 366; GIG: 416 ) selbst <strong>zur</strong> Pflege und <strong>zur</strong> Beachtung Anderer stimulieren,<br />

indem man bis zu einem gewissen Maß die Haltung der zu pflegenden Person übernimmt, was umgangs-<br />

44<br />

Dieses Thema hat Axel Honneth (1992) in seinem Buch ‚Kampf um Anerkennung’ aufgegriffen (s. auch Pkt. 3.2.4.3)<br />

45<br />

Eltern handeln gelegentlich in einer sehr ordinären elterlichen Weise, die herzlos scheint, sie zerstören und konsumieren<br />

ihren Nachwuchs. (GIG: 416)<br />

46<br />

‚Nach Mead (MSS: 298f; GIG: 346f) ist der Begriff ‘Sympathie/Mitfühlen’ ambivalent und schwer zu interpretieren. Er<br />

bezieht sich hierbei auf eine Haltung <strong>zur</strong> Pflege oder auch ‚assistance of one individual by another’ (MSS: 299)<br />

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