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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

ISS). Ausgearbeitet hat er es in seinem Aufsatz ‚The Social Self’ (s. Cook 1993: 78; Dodds et al. 1997; Deegan<br />

2001b: liv; GAII: 91ff). In seinen späteren Schriften beleuchtete er es immer wieder aus verschiedenen Perspektiven.<br />

Das Konzept der Rollenübernahme enthält eine Makrodimension bzw. eine strukturelle Dimension. Das<br />

Konzept verweist auf eine spezifisch menschliche Fähigkeit als anthropologische Kategorie, die an die menschliche<br />

Sprache gebunden ist und für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit (selfhood) zentral ist. Nach<br />

Charon (2001: 109) ist die Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme wahrscheinlich die entscheidende geistige Aktivität,<br />

die für die Aneignung wie für den Gebrauch von Symbolen notwendig ist. Menschen setzen diese geistige Aktivität<br />

in jeder sozialen Situation ein. Die Rollenübernahme ermöglicht dem Menschen, sich die Welt aus der Perspektive<br />

von Anderen vorzustellen. Sie ist die Grundlage menschlichen Handelns, denn wenn wir uns etwas vorstellen,<br />

handeln wir, indem wir das Vorgestellte nutzen, um Situationen, mit denen wir konfrontiert sind, zu bewältigen.<br />

Der geistige Vorgang, aus sich selbst herauszutreten und sich die Welt bildlich aus den Rollen der Anderen<br />

heraus vorzustellen, ermöglicht dem Menschen sich selbst von außen her als Objekt zu betrachten. Dieser<br />

Vorgang, die Rollen- bzw. Perspektivenübernahme, ist für das menschliche Bewusstsein und jede Kooperation<br />

wesentlich (s. Charon 2001: 110). Er erlaubt dem Menschen sein eigenes Handeln an den Rollen bzw. Perspektiven<br />

anderer Menschen oder Gruppen 43 (s. Carreira da Silva 2008: 31ff) aus<strong>zur</strong>ichten. Im Folgenden konzentriere<br />

ich mich auf den Prozess der Herausbildung dieser menschlichen Fähigkeit und dabei vor allem auf Aussagen,<br />

die für das pflegerische Handeln von Bedeutung sind.<br />

3.2.2.1 ERSTE ANSÄTZE ZUR ROLLENÜBERNAHME<br />

Unter dem Titel ‚The Child and Learning to take the role of the other’ hat Deegan einen Auszug aus Meads<br />

Buch ‚Mind, Self and Society’ (MSS) zusammengestellt, in dem sich zentrale Ideen Meads zu der Fähigkeit der<br />

Übernahme der Rolle Anderer finden. Die Ausführungen beginnen mit der Illustration der Rolle, die der vokalen<br />

Geste bei der Pflege/Versorgung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> durch die Eltern zukommt. Nach Mead (2001b: 81f; MSS: 364;<br />

GIG: 414) gehören die phonetischen Elemente, aus denen sich später die artikulierte Sprache bildet, zu den sozialen<br />

Haltungen, die zusammen mit deren vokalen Gesten antwortende Haltungen in Anderen auslösen. So gehört<br />

etwa der ängstliche Schrei <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> zu der Tendenz, auf die Eltern zuzufliehen und deren beruhigender Ton ist<br />

Teil ihrer schützenden Bewegung. Die vokale Geste der Furcht ruft die korrespondierende Geste <strong>des</strong> Schutzes<br />

hervor. An diesem Beispiel hebt Mead zwei wichtige Verhaltensformen hervor, die aus der Beziehung zwischen<br />

dem Kind und den Eltern entstehen. Das ist zum einen die Imitation <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> und zum Anderen die ‚mitfühlende<br />

Antwort’ (sympathetic response) der Eltern. Die Basis für beide Verhaltensweisen findet sich im Menschen,<br />

der sich selbst so stimuliert, wie Andere auf ihn reagieren. Dies ist an zwei Bedingungen gebunden:<br />

1. Ein Mensch muss durch den gleichen Stimulus beeinflusst werden wie der Andere und zwar durch den<br />

gleichen Sinneskanal, was bei der vokalen Geste der Fall ist.<br />

2. Der Impuls, der sich bei demjenigen, der den Laut von sich gibt, einen Ausdruck zu verschaffen sucht,<br />

muss funktional von der gleichen Art wie der Stimulus sein, auf den derjenige, der den Laut hört, antwortet<br />

(s. Mead 2001b: 81f).<br />

Diese Bedingungen sieht Mead in dem vertrauten Beispiel eines Kin<strong>des</strong> gegeben, dass zunächst schreit und<br />

gleich darauf beruhigende Geräusche von sich gibt. Letztere gehören zu der schützenden Haltung der Eltern.<br />

Hier haben wir es mit einer frühen Form der Rollenübernahme zu tun, die in ihren Anfängen dem Geist, den<br />

Symbolen und dem Selbst in der kindlichen Entwicklung vorausgeht. Mead argumentiert, dass zuerst die Rollenübernahme<br />

vorhanden ist. Diesen Gedanken greift Wiley (2003: 505) auf. Er sieht eine wichtige Aufgabe <strong>des</strong><br />

Neugeborenen und <strong>des</strong> kleinen Kin<strong>des</strong> darin, die Zeichen und Gesten, die es von anderen Menschen empfängt,<br />

von nichtsignifikanten in signifikante zu verwandeln. Erst dadurch entsteht das kindliche Selbst ‚in einem ‚Bündel<br />

mit anderem’, ein Entwicklungsschritt, der eng mit dem Erwerb sprachlicher Fähigkeiten verbunden ist. Wie<br />

43<br />

Menschen leben in einer Welt bestehend aus Objekten. Die meisten der uns umgebenden Objekte sind physischer Art. Wir<br />

können sie greifen, fühlen und nutzen, weshalb Mead sie auch als ‚Objekte der unmittelbaren Erfahrung’ bezeichnet. Menschen<br />

können wie die physischen Objekte ebenfalls als Objekte betrachtet werden. Sie unterscheiden sich allerdings von ersteren,<br />

insofern die reflexive Intelligenz den Menschen zu einem sozialen Objekt macht (s. ISS: 193ff).<br />

90

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