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zur theorie des pflegehandelns - E-LIB - Universität Bremen

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Kapitel 3<br />

Indem der Mensch mittels der Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme seinen Körper als Objekt betrachtet, kann er über<br />

seine äußere Erscheinung und seine Leistungsfähigkeit, also die Fähigkeiten <strong>des</strong> eigenen Körpers reflektieren,<br />

bzw. ein wenn auch unvollständiges Image von seinem Körper entwickeln. Dies ist die Voraussetzung dafür,<br />

dass der Mensch auf seine körperlichen Fähigkeiten Einfluss nehmen und sie im Sinne einer Disziplinierung<br />

verbessern kann. Andererseits kann der Mensch durch sein Handeln nicht nur auf die Funktionsweise seines<br />

Körpers, sondern auch auf das Erleben <strong>des</strong>selben Einfluss nehmen. Allerdings darf hierbei nach Joas (1992 a:<br />

247) mit Blick auf die Handlungsfähigkeit <strong>des</strong> Menschen die Instrumentalisierung <strong>des</strong> Körpers durch den Handelnden<br />

oder durch verselbständigte ‚Disziplinen’ nicht als vollständig gedacht werden. Der Körperkontrolle auf<br />

der Bühne <strong>des</strong> Lebens entspricht immer eine periodische Lockerung dieser Kontrolle hinter den Kulissen. Eine<br />

Handlungs<strong>theorie</strong> muss sich laut Joas mit der Herausbildung der Körperkontrolle wie mit der Fähigkeit zu ihrer<br />

Lockerung, d.h. mit der intentionalen Reduktion der Instrumentalisierung <strong>des</strong> Körpers beschäftigen, ein Gedanke<br />

der für die Pflege zentral ist.<br />

Über die Art, wie wir unseren Körper pflegen und mit ihm umgehen, teilen wir Anderen etwas von uns mit.<br />

Nach McCarthy (1984: 116) sind der Gebrauch und die Verschönerung von Objekten – wie <strong>des</strong> menschlichen<br />

Körpers - Mittel der Selbstdarstellung: „The personality is more when it is adorned“. Eine Verschönerung ist eine<br />

Art von Ausstrahlung, die von der Persönlichkeit ausgeht und sinnliche Aufmerksamkeit provoziert. Der<br />

Körper ist somit ein zentraler Bezugspunkt für den Menschen. Seine Erfahrungen mit anderen Menschen werden<br />

nachhaltig von seinem Körper, <strong>des</strong>sen Merkmalen und Fähigkeiten geprägt. Der Körper repräsentiert das Selbst<br />

<strong>des</strong> Menschen auf ganz besondere Weise. In seinen Beziehungen zu anderen Menschen spielen der Körper, die<br />

äußere Erscheinung (Schönheit, körperliche Fehler, Hautfarbe, Alter usw.), seine Geschlechtszugehörigkeit, seine<br />

Leistungsfähigkeit (in Sport und Beruf etc.) eine wichtige Rolle. Andere Menschen reagieren auf ihn. Die Reaktionen<br />

der Anderen beeinflussen das Bild, das sich jemand vom eigenen Körper macht. In dieses Körperbild<br />

fließen die eigenen und die Beurteilungen und Haltungen der Anderen ein. Das Körperbild ist damit ein wichtiger<br />

Aspekt <strong>des</strong> Selbst und <strong>des</strong> Selbstkonzepts, wobei hervorzuheben ist, dass die Konzeptionen vom eigenen<br />

Körper, von <strong>des</strong>sen Organen und Funktionsweisen sich je nach dem kulturellen Umfeld mehr oder weniger stark<br />

unterscheiden (Field 1978, MSS, PP, PA, Lin<strong>des</strong>mith et al. 1999: 145, Corbin/ Strauss 1988/1993, Corbin 2003,<br />

Strauss 1993, Backes 2008; Gugutzer 2008) 40 . Im nächsten Abschnitt soll auf die Herausbildung der bisher nur<br />

angedeuteten grundlegenden Fähigkeit <strong>zur</strong> Rollenübernahme eingegangen werden. Ohne diese Fähigkeit ist<br />

menschliches und somit auch pflegerisches Handeln nicht möglich.<br />

3.2.2 MENSCHLICHES HANDELN UND ROLLENÜBERNAHME<br />

Individuelles Verhalten und Handeln sind wie jede individuelle Tätigkeit in einen gesellschaftlichen Prozess eingebettet.<br />

Meads Interesse bestand darin, den Prozess zu rekonstruieren, durch den Menschen für sich selbst die<br />

wichtigsten Objekte werden. Dieser Prozess verweist auf ein wichtiges Konzept <strong>des</strong> Meadschen Werks, das der<br />

‚Übernahme von Rollen’ (role-taking), insbesondere der ‚Übernahme der Sicht von Anderen’ 41 oder auch <strong>des</strong> ‚in<br />

der Perspektive <strong>des</strong> Anderen sein’ 42 . Hinweise auf dieses Konzept finden sich schon in den frühen Schriften (s.<br />

40<br />

In ihrer Arbeit ‚Identität und Körper in der (post)modernen Gesellschaft‘ befasst sich Anne-Christin Stockmeyer (2004:<br />

55ff) mit dem Stellenwert der Körper/Leib-Thematik in Identitäts<strong>theorie</strong>n. In diesem Zusammenhang prüft sie, welche Rolle<br />

dem menschlichen Körper in Meads Werk beigemessen wird. Sie kommt zu dem Schluss, dass der Körper bei Mead eine untergeordnete<br />

Rolle spielt und auf ein vorsoziales Moment reduziert erscheint. Erst über die Vergesellschaftung sei es möglich,<br />

d.h. durch die Wahrnehmung <strong>des</strong> Körpers aus der Außenperspektive, den Körper als <strong>zur</strong> eigenen Person zugehörig zu<br />

erfahren. Ihre Einschätzung basiert auf einer äußerst eingeschränkten Kenntnis von Mead (nur Teil III, GIG) und der auf<br />

Mead aufbauenden Arbeiten. An ihrer Rezeption wird deutlich, wie problematisch die deutsche Übersetzung <strong>des</strong> Meadschen<br />

‚self’ mit Identität ist. Sie erschwert bzw. behindert geradezu ein Verständnis der Rolle, die dem Körper bei der Herausbildung<br />

<strong>des</strong> Selbst bei Mead zukommt.<br />

41<br />

Die englische Begriffe ‚role’ und ‚attitude’ werden vielfach synonym benutzt (s. Charon 2001, Martin 2005). Dies geschieht<br />

auch in der deutschen Literatur (s. Geulen 1982).<br />

42<br />

Miller (1982: 17) behauptet, dass Mead diese Wendung, beeinflusst von A.N. Whitehead, in seinen späteren Lebensjahren<br />

häufiger benutzte als ‚taking the role of the other’.<br />

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