Grundschule aktuell 89 Kinder vermessen?
Kinder vermessen? Kinder vermessen?
Heft Nr. 89 • I. Quartal • Februar 2005 • Best. Nr. 6024 • D9607F Grundschulverband – Arbeitskreis Grund schu le e. V. • Niddastraße 52 • 60329 Frank furt/Main • Tel. 0 69 / 77 60 06 • www.grundschulverband.de Beilage: Leporello »Pädagogische Leistungskultur«
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Heft Nr. <strong>89</strong> • I. Quartal • Februar 2005 • Best. Nr. 6024 • D9607F<br />
Grundschulverband – Arbeitskreis Grund schu le e. V. • Niddastraße 52 • 60329 Frank furt/Main • Tel. 0 69 / 77 60 06 • www.grundschulverband.de<br />
Beilage: Leporello »Pädagogische Leistungskultur«
Editorial<br />
<strong>Grundschule</strong><br />
<strong>aktuell</strong><br />
Inhalt<br />
Unsere Zeitschrift hat einen neuen Titel! Was 1969 mit Gründung des<br />
»Arbeitskreises <strong>Grundschule</strong>« als Mitteilungsblatt begann, entwickelte sich<br />
über die Jahre zu einer eigenständigen Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />
die<br />
■ sich kritisch in bildungspolitische Debatten einmischt,<br />
■ <strong>aktuell</strong>e, für die Schulpraxis bedeutsame Forschungsergebnisse lesefreundlich<br />
publiziert und<br />
■ im thematischen Rahmen <strong>aktuell</strong>e innovative Schulpraxis vorstellt und<br />
Anregungen zur Schul- und Unterrichtsgestaltung vermittelt.<br />
Diese Veränderung des Charakters wird sich fortan auch im Titel ausdrücken.<br />
Vorstand und Delegiertenversammlung des Grundschulverbandes haben beschlossen,<br />
von 2005 an – beginnend mit diesem Heft – den Titel in »GRUND-<br />
SCHULE AKTUELL – Zeitschrift des Grundschulverbandes« zu ändern.<br />
Unter der Lupe. Zentrale Lernstandsüberprüfungen sind eine der Maßnahmen,<br />
die sich bundesdeutsche Kultusministerien ausgedacht haben, um aus<br />
der »PISA-Schieflage« herauszukommen. Zuletzt haben sieben Bundesländer<br />
»Vergleichsarbeiten in Klasse 4« in den Fächern Deutsch und Mathematik<br />
schreiben lassen. Grund genug, Aufgabenstellungen, »Setting« und bildungspolitische<br />
Kontexte dieses Vorhabens kritisch »unter die Lupe« zu nehmen.<br />
Hans Brügelmann fragt, was zentrale Testprogramme leisten sollen und<br />
können, Horst Bartnitzky analysiert und kommentiert die Aufgaben für<br />
Deutsch, Christoph Selter die für Mathematik.<br />
Pädagogische Leistungskultur. Zu einer guten Schule, die sich die Bildungsansprüche<br />
der <strong>Kinder</strong> zu eigen macht, gehört die Entwicklung einer pädagogischen<br />
Leistungskultur. Aktivitäten und praktische Anstöße dazu gehören<br />
zur Tradition des Grundschulverbandes. »Leistungen der <strong>Kinder</strong> – würdigen<br />
statt urteilen« war der Titel unseres Heftes 85. Seither hat der Grundschulverband<br />
ein Projekt »Pädagogische Leistungskultur« angestoßen, um unsere<br />
Überlegungen und Argumente wirksam in die <strong>aktuell</strong>e Bildungsdiskussion<br />
einzubringen. In diesem Jahr werden wir alltagstaugliche Materialien für eine<br />
pädagogische Leistungsbewertung veröffentlichen, zunächst für die Fächer<br />
Deutsch, Mathematik und Sachunterricht in den Klassen 1 und 2 (siehe S. 33).<br />
Leporello. Diesem Heft liegt ein Leporello bei, das als Plakat im Lehrerzimmer<br />
ausgehängt werden und an Kolleg/innen weitergegeben werden kann. Es<br />
formuliert griffig die Aspekte pädagogischer Leistungskultur für Konferenzen<br />
und Veranstaltungen und präsentiert augenfällig, worum es geht: Um<br />
die <strong>Kinder</strong>! Weitere Exemplare des Leporellos können bei der Geschäftsstelle<br />
angefordert werden.<br />
He.<br />
Impressum<br />
, die Zeitschrift des Grundschulverbandes erscheint<br />
viertel jährlich und wird allen Mit glie dern zugestellt.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das einzelne Heft kostet 5 €;<br />
für Mitglieder und bei Sam mel be stel lun gen ab 10 Hefte 3 € (incl. Versand).<br />
Verlag: Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Niddastraße 52, 60329 Frankfurt/Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80;<br />
Internet: www.grundschulverband.de, E-Mail: info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Horst Bartnitzky (für den Vorstand des Grundschulverbandes)<br />
Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers, Tel. 0 28 41 / 2 17 14,<br />
E-Mail: ulrichhecker@aol.com<br />
Redaktionelle Mitarbeit: Friederike Heinzel (Forschung);<br />
Edgar Bohn, Sibylle Jaszovics, Beate Schweitzer (aus den Lan des grup pen)<br />
Titelfotos: Bert Butzke<br />
Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung, Publikationen GmbH,<br />
Bödekerstr. 73, 30161 Hannover, Tel. 05 11 / 9 61 69 – 11, Fax: 05 11 / 9 61 69 – 99<br />
Anzeigenverwaltung: Brigitte Bell, Verlagsgruppe Beltz, Tel. 0 62 01 / 6 00 73 80,<br />
Fax 0 62 01 / 6 00 73 93<br />
Druck: Druckhaus Beltz, 69502 Hemsbach<br />
ISSN 1430-7804<br />
Beilagen: »Eine Welt in der Schule« als ständige Beilage; Leporello k-i-n-d<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
1
Tagebuch<br />
<strong>Kinder</strong> brauchen Menschen, die für sie da sind<br />
Ute Andresen<br />
Grundschullehrerin<br />
(seit 1967 in Bayern)<br />
und Autorin,<br />
im Hochschuldienst<br />
(seit 1992 in Erfurt),<br />
Giselastr. 11,<br />
80802 München,<br />
www.ute-andresen.de<br />
Dierk verblüffte uns, als er aus der Zeitung vorlas, bevor<br />
er in die Schule kam. Ganz von allein hatte er das gelernt!<br />
Frauke, die Zwillingsschwester, konnte das nicht. Zwei<br />
<strong>Kinder</strong> in einer Familie, unzertrennlich, also gleichen<br />
Einflüssen ausgesetzt. Er kann vierzig Jahre später nicht<br />
sagen, wie er zu lesen anfing. Sie weiß noch genau, dass<br />
beide mit dem Vater in der Zeitung »Buchstabensuchen«<br />
gespielt haben. Rätselhaft, dass er daraufhin lesen lernte,<br />
sie aber nicht. Gut für sie, dass der Schulbeginn klarstellte:<br />
»Es ist für dich wie für alle <strong>Kinder</strong> hier in<br />
der Klasse an der Zeit, dass du jetzt auch lesen<br />
lernst.« Das tat sie im Handumdrehn.<br />
Als Felix verstanden hatte, wie aus Buchstaben<br />
Wörter und Sätze werden, hieß es: Lesen üben!<br />
Lotte sollte auf dem Sofa sitzen, die Fibel halten<br />
und mit dem Finger das Wort zeigen, das dran<br />
war. Er hockte auf den Knien daneben, schaute<br />
mit ins Buch, mühte sich auszusprechen und<br />
Sinn zu erkennen, und wirbelte dabei immer wieder<br />
um sich selbst. Mehrmals musste sie es so<br />
mit ihm und seiner Anspannung und Unruhe aushalten,<br />
dann konnte er stillsitzen, sein Buch selber halten und<br />
brauchte sie nicht mehr, um Leser zu werden.<br />
Pauline war stolz, echt lesen zu können und übte die<br />
Hausaufgabe, einen Fibeltext. Doch manchmal schwankte<br />
ihre Stimme, und was sie hören ließ, hatte keinen rechten<br />
Sinn. Die Mutter verbesserte sie jedes Mal, aber die Unsicherheit<br />
blieb. Bis die Mutter erkannte, dass Pauline<br />
gelegentlich zwei Buchstaben nicht klar unterschied: das<br />
»l« und das »n«. Die fühlten sich wohl in ihrem Mund gar<br />
zu ähnlich an. Das ließ sich klären, die beiden Buchstaben<br />
wurden unterscheidbar. Die Unsicherheit verschwand,<br />
bevor sie sich festsetzen konnte.<br />
Dierk, Frauke, Felix, Pauline – alle vier <strong>Kinder</strong> bekamen,<br />
was sie jeweils brauchten, vor und neben den methodischen<br />
Bemühungen der Schule um ihr Lesenlernen:<br />
Jemand war für sie da. Jemand lenkte ihren Blick. Jemand<br />
las vor. Jemand gab ein Beispiel. Jemand zeigte Interesse.<br />
Jemand stellte Aufgaben, Jemand gab Halt mit Geduld.<br />
Jemand versuchte eine Unsicherheit zu verstehen. Jemand<br />
erklärte und löste einen Knoten. Es war auch sonst<br />
für sie gesorgt mit Essen und Trinken, Stiften und Papier,<br />
Büchern und Spielzeug, Bewegung und frischer Luft, Anregung<br />
und Ruhe, Aufmerksamkeit und Liebe, Schutz und<br />
Sicherheit, Freiheit und Grenzen. Sie hatten das meiste,<br />
was <strong>Kinder</strong> brauchen, um sich ohne Verzögerung gut<br />
auf die Schule hin zu entwickeln. Und sie waren für ihre<br />
weitere Entwicklung nicht nur auf die Schule angewiesen.<br />
Man kann sie wohl reich nennen.<br />
Arme <strong>Kinder</strong> bekommen daheim nicht soviel Gutes und<br />
kommen mit Rückständen in ihrer Entwicklung in die<br />
Schule. In Deutschland lernen sie dort weniger als in anderen<br />
Ländern. In der Sichtweise der OECD verschwenden<br />
wir damit Ressourcen, und das ist unwirtschaftlich. Mitmenschlich<br />
betrachtet: Wir verweigern ihnen die Entwicklung<br />
ihrer Möglichkeiten, und das ist beschämend! Aber<br />
wir schämen uns noch lange nicht. Um solcher Regung<br />
fähig zu sein, müssten wir mitfühlend wahrnehmen, wie<br />
ihr Leben nachhaltig beschädigt wird, weil ihre Grundbedürfnisse<br />
daheim nicht erfüllt werden, und ihnen darum<br />
entwickelte Fähigkeiten, Tatkraft, Selbstvertrauen, Mut,<br />
Hoffnung, Neugier und Disziplin für entschlossenes Lernen<br />
in der Schule fehlen. Was brauchen diese <strong>Kinder</strong> von<br />
der <strong>Grundschule</strong>, um Entwicklung nachzuholen, Rückstände<br />
aufzuholen?<br />
In Finnland bemüht man sich, solchen <strong>Kinder</strong>n in der<br />
Schule zu geben, was Eltern ihnen schuldig bleiben:<br />
Warme Mahlzeiten, menschliche Wärme, Sorge um Gesundheit<br />
und sozialverträgliches Verhalten. Außerdem<br />
die verlässliche Zugehörigkeit zu einer großen Gruppe, in<br />
der allen <strong>Kinder</strong>n die gleichen Aufgaben zugetraut werden<br />
und dazu rasche individuelle Hilfe bei Lernproblemen. Da<br />
entsteht der finnische Vorsprung.<br />
Wann stellen wir die armen <strong>Kinder</strong> in den Mittelpunkt<br />
unserer Bemühungen, die Leistung der <strong>Grundschule</strong> zu<br />
verbessern? Wir sollten nicht länger die Mängel von Unterricht<br />
vertuschen, der sich am Strahlen gut entwickelter<br />
<strong>Kinder</strong> freut und die im Schatten übersieht und vernachlässigt.<br />
Wir sollten auch ehrlich und streng prüfen, ob der<br />
Offene Unterricht in der Praxis immer das ist und das hält<br />
bzw. überhaupt halten kann, was seine Verfechter sich<br />
und uns versprechen.<br />
Fragen wir uns endlich: Wie viel Differenzierung und Individualisierung<br />
ist in der Schule, die ein Ort des Miteinander<br />
sein soll, überhaupt sinnvoll? Wie viel ist zu schaffen?<br />
Welche Nebenwirkungen gibt es auch da? Warum schleppen<br />
so viele <strong>Kinder</strong> Entwicklungsrückstände durch die<br />
<strong>Grundschule</strong> mit? Brauchen wir all diese Evaluation und<br />
Diagnostik, die uns Zeit und Kraft für die <strong>Kinder</strong> und den<br />
Unterricht rauben? Wie finden alle <strong>Kinder</strong> zuverlässig Ansporn,<br />
Kraft, Ziel und Maß für eigene Anstrengungen?<br />
Fragen wir endlich die guten Lehrerinnen! Sie werden<br />
keine Patentrezepte haben, nur immer wieder neu den<br />
wirklichen <strong>Kinder</strong>n angepasste, meist sehr schlichte und<br />
oft ganz altmodische Antworten.<br />
Ute Andresen<br />
2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
Thema: Vergleichsarbeiten unter Thema: der VERA Lupe<br />
Leistungen feststellen –<br />
Fremdkörper oder Teil der pädagogischen Leistungskultur?<br />
Vergleichsarbeiten,<br />
Orientierungsarbeiten<br />
und Verwandtes<br />
Leisten die Schulkinder genug? Werden<br />
die <strong>Kinder</strong> angemessen gefördert? Und<br />
wie steht es um die diagnostischen Fähigkeiten<br />
der Lehrerinnen und Lehrer?<br />
Für die Schulpolitik und die Öffentlichkeit<br />
fallen die Antworten allesamt negativ<br />
aus, immer wieder begründet mit den<br />
miserablen Ergebnissen der PISA-Studie.<br />
Nicht zur Kenntnis genommen werden<br />
zumeist die Ergebnisse der IGLU-Studie.<br />
Danach müssten nämlich die Antworten<br />
für die <strong>Grundschule</strong> deutlich positiver<br />
ausfallen als für die Sekundarstufen-<br />
Schulen.<br />
Nun sollen also bundeseinheitliche<br />
Fachleistungsstandards, fälschlich Bil -<br />
dungs standards genannt, sowie regelmäßige<br />
landesweite Leistungstests die<br />
prekäre Situation bessern. In sieben<br />
Bundesländern wurden im vergangenen<br />
Herbst in allen 4. Grundschulklassen<br />
Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathematik<br />
(VERA) geschrieben, nämlich in<br />
Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Nordrhein-Westfalen,<br />
Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.<br />
In den anderen Bundesländern gibt es<br />
zum Teil ähnliche Aktionen mit Vergleichs-<br />
oder Orientierungsarbeiten. Die<br />
Hoffnungen, die hieran von den Veranstaltern<br />
geknüpft werden, sind hoch. Bei<br />
VERA zum Beispiel wird zwar zunächst<br />
eingeschränkt: »Verglichen mit den Erfahrungen<br />
und Erkenntnissen von Lehrerinnen<br />
und Lehrern kann das Ergebnis einer<br />
Vergleichsarbeit, bezogen auf die Beurteilung<br />
einzelner Schülerinnen und Schüler,<br />
immer nur ein ergänzender Mosaikstein<br />
sein.« Nach dieser Bescheidung folgt aber<br />
nicht der Hinweis darauf, was denn die<br />
anderen »Mosaiksteine« sein müssen, die<br />
in den Erfahrungen und Erkenntnissen<br />
der Lehrkräfte stecken. Vielmehr wird im<br />
weiteren Text hoch gegriffen, was denn<br />
die Vergleichsarbeiten alles vermögen:<br />
»… das Leistungsprofil der eigenen<br />
Klasse« komme in den Blick, die »Stärken<br />
und Schwächen, verglichen mit den Paral-<br />
lelklassen« usw. (Projekt VERA, Teil: Pädagogische<br />
Nutzung der Vergleichsarbeiten,<br />
S. 1). Damit wird denn doch suggeriert,<br />
dass mit solchen Tests die wesentlichen<br />
Leistungen der <strong>Kinder</strong> in den Blick kommen.<br />
Und genau dies ist sachlich falsch<br />
und fatal in seiner Signalwirkung.<br />
Lernergebnisse<br />
und Lernprozesse<br />
Leistungen der <strong>Kinder</strong> beziehen sich auf<br />
Lernergebnisse wie auf Lernprozesse.<br />
Lern ergebnisse können punktuell abfragbare<br />
Wissens- und Fähigkeitsstände sein,<br />
wie sie zum Beispiel in den Tests erfasst<br />
werden sollen. Hierzu zählen auch informelle<br />
Tests der Lehrkraft oder Klassenarbeiten.<br />
Lernergebnisse dokumentieren<br />
sich aber auch in den eigenen Arbeiten<br />
der <strong>Kinder</strong> – in ihren Textentwürfen und -<br />
überarbeitungen, im Lesetagebuch, in der<br />
Darstellung der eigenen Rechenwege, in<br />
den Ergebnissen einer Internet-Recherche<br />
zu einem Thema eigenen Interesses oder<br />
im Vortrag über ein sachunterrichtliches<br />
Experiment. Gerade diese eigenen Arbeitsdokumente<br />
sind durch Tests nicht<br />
erfassbar. Die Leistungen der <strong>Kinder</strong>, die<br />
hinter den Dokumenten liegen, schon gar<br />
nicht. Nur die Lehrkraft selbst kann die<br />
Leistung würdigen, wenn zum Beispiel ein<br />
eher schüchternes Kind es schafft, einen<br />
informativen Vortrag über sein Hobby zu<br />
halten. Gerade diese Leistungen aber sind<br />
die hochwertigen Leistungen einer modernen<br />
Schule, die die Selbstständigkeit<br />
der <strong>Kinder</strong> und ihre Kompetenz als eigenaktive<br />
Lerner zu fördern trachtet.<br />
Lernprozesse sind häufig noch wichtiger<br />
als Lernergebnisse. Wie nutzen die<br />
<strong>Kinder</strong> ihre Schreibtabelle? Wie gehen sie<br />
mit Unsicherheiten bei der Schreibweise<br />
eines Wortes um? Wie führen sie ihre<br />
Schreibkonferenz durch? Wie gehen sie<br />
mit den Angeboten der Schulbücherei<br />
um, was und wie lesen sie? Wie finden sie<br />
ihre Problemlösewege – welche Irrwege<br />
gehen sie, welche Strategien verfolgen<br />
sie dabei, wie gehen sie mit erkannten<br />
Irrtümern um, wie finden sie die Problemlösung<br />
und wie bereiten sie sie für eine<br />
Darstellung vor anderen auf? Wie denken<br />
sie über eigene Lernwege nach?<br />
Je mehr die Schule die Selbstständigkeit<br />
der <strong>Kinder</strong> fördern will und muss,<br />
desto wichtiger werden solche qualifizierten<br />
individuellen Lernprozesse. In<br />
Tests sind sie nicht einholbar.<br />
Der Blick auf alle<br />
Lernbereiche und auf<br />
überfachliche Aspekte<br />
Leistungen erbringen <strong>Kinder</strong> nicht nur<br />
in Deutsch und Mathematik, sondern<br />
auch in anderen Lernbereichen – im Sachunterricht,<br />
in den Fächern ästhetischer<br />
Bildung. Stehen Deutsch und Mathematik<br />
im Mittelpunkt der Tests, dann verkürzt<br />
sich nicht nur der öffentliche Blick auf<br />
die Schule, wie das seit der PISA-Debatte<br />
der Fall ist, sondern auch allmählich der<br />
Blick der Schule selbst auf diese Fächer.<br />
Was ohnehin fälschlich als »Nebenfach«<br />
gilt, wird weiter zur schulischen Folklore,<br />
die gegebenenfalls auch wegfallen kann.<br />
Dieser Verlust an Bildung führt auf Dauer<br />
zu einem Verlust an Kultur.<br />
Die Leistungen der <strong>Kinder</strong> sind auch<br />
nicht nur fachbezogen zu diskutieren.<br />
Der Grundschulverband hat neun überfachliche<br />
Prinzipien zeitgemäßer Grundschularbeit<br />
formuliert, die wesentlich<br />
zum Bildungskonzept der modernen<br />
Schule gehören, zum Beispiel Lernen<br />
als Selbstaneignung von Welt, Lernen in<br />
Gemeinschaft mit anderen, <strong>Grundschule</strong><br />
als Lernfeld für Demokratie (Grundschulverband<br />
2003, S. 5 ff.). Diese Prinzipien<br />
konkretisieren sich in unverzichtbaren<br />
Zielsetzungen wie der Förderung von<br />
Lernkompetenzen, von Problemlösefähigkeiten,<br />
von kooperativem Handeln,<br />
von der Achtsamkeit auf andere Meinungen,<br />
vom demokratischen Miteinandersprechen<br />
und Aushandeln und manchem<br />
anderen mehr.<br />
Erst dieses Gesamtensemble aus<br />
Lernergebnissen und Lernprozessen, aus<br />
fachbezogenem und überfachlichem<br />
Lernen und Leisten gibt den Blick auf<br />
Bildung frei.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
3
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
Horst Bartnitzky<br />
Vorsitzender<br />
des Grundschulverbandes<br />
VERAs fremder Blick und<br />
der verfremdete Unterricht<br />
Landesweite Tests begründen sich immer<br />
auch mit dem »Blick von außen« oder wie<br />
es in den VERA-Unterlagen heißt, dem<br />
»fremden Blick auf das Leistungsprofil<br />
der Klassen«. Außenevaluierung ist dazu<br />
der Fachbegriff. Das ist im Prinzip richtig:<br />
Die Evaluierungen durch <strong>Kinder</strong> und Lehrkräfte<br />
sollen ergänzt werden durch die<br />
Evaluierung von außen, beides muss in<br />
Beziehung zueineinander gebracht werden<br />
und zu weiterem Nachdenken führen.<br />
Nur führt der »fremde Blick« bei VERA<br />
und Vergleichbarem zugleich zu einem<br />
verfremdeten Unterricht mit fremden Inhalten<br />
und Aufgabenstellungen. Da wird<br />
den <strong>Kinder</strong>n ein Text vorgegeben, den<br />
sie nicht selbst gewählt haben, der im<br />
unterrichtlichen Zusammenhang keine<br />
Rolle spielt. Ihr Interesse ist gar nicht auf<br />
diesen Text gerichtet und eine Neugieroder<br />
Fragehaltung ist nicht entwickelt.<br />
Nun sollen sie den Text lesen und irgendwelche,<br />
aber nicht ihre eigenen Fragen<br />
dazu beantworten. Oder sie sollen einen<br />
Text selber schreiben, zum Beispiel, wie<br />
beim VERA-Test, einen Brief an die Oma<br />
mit dem bescheidenen Wunsch, sie möge<br />
einem doch einen Computer schenken<br />
– so mal eben. In diese durch und durch<br />
künstliche Situation sollen sich nun die<br />
Viertklässler versetzen, um zu zeigen,<br />
dass sie adressatengerecht und höflich<br />
einen Brief schreiben können.<br />
Abgesehen von der grundsätzlichen<br />
Kritik an solchen entfremdeten Aufgabenstellungen<br />
(siehe Rumpf 2004), wirkt<br />
das persönliche Interesse ganz wesentlich<br />
bei jeder Leistungsanstrengung mit.<br />
Und dies gilt um so mehr, je jünger <strong>Kinder</strong><br />
sind. Entsprechend wenig aussagekräftig<br />
werden die Ergebnisse sein. Im Übrigen<br />
gilt auch hier der alte Psychologensatz:<br />
»Ein Test ist kein Test«, weil bei einem einzigen<br />
Test immer Tagesform und <strong>aktuell</strong>e<br />
Randbedingungen das Ergebnis beeinflussen,<br />
übrigens auch das Vorabtraining<br />
der Lehrkraft mit den <strong>Kinder</strong>n sowie situative<br />
Hilfestellungen. Trotz dieser Mängel<br />
werden die Ergebnisse vermutlich wieder<br />
gehandelt, als seien sie Offenbarung der<br />
tatsächlichen Leistungen.<br />
Dass der fremde Blick nicht notwendigerweise<br />
entfremdete Aufgaben bedeuten<br />
müssen, zeigen die Schweden. Hier<br />
werden am Ende der Klasse 5 nationale<br />
Fachprüfungen durchgeführt. Aber dort<br />
gilt die Integration in den Unterricht: »Es<br />
ist gedacht, dass die verschiedenen Teile<br />
der Fachprüfungen im größtmöglichen<br />
Ausmaß in den geregelten Unterricht<br />
integriert werden können. Dies bedarf jedoch<br />
einer gewissen Planung: Die Prüfungen<br />
sollten nicht als Zusatz zur übrigen<br />
Arbeit in der Schule angesehen werden,<br />
sondern vielmehr als Material, welche gewisse<br />
Teile der täglichen Arbeit ersetzen.«<br />
(Skolverket, Kapitel Durchführung)<br />
Hier wird der Respekt vor dem konkreten<br />
Unterricht, den Leistungsmöglichkeiten<br />
der <strong>Kinder</strong> und der Arbeitssituation<br />
der Lehrkräfte deutlich; entfremdete Aufgabenstellungen<br />
werden vermieden.<br />
Übrigens vermeidet das schwedische<br />
Prüfungsmaterial auch die Klausurmanie,<br />
wie sie die deutschen Schultests<br />
beherrscht – mit der Vereinzelung der<br />
Schüler, den genauen Zeitvorgaben und<br />
lehrer-zentrierten Aufgabenstellungen.<br />
In den schwedischen Anleitungen heißt<br />
es zum Beispiel:<br />
Das Material enthält »sowohl Aufgaben,<br />
welche die Schüler individuell<br />
lösen sollen als auch Aufgaben, die<br />
sie zusammen lösen sollen.« – »Es ist<br />
vorteilhaft, den Prüfungscharakter des<br />
Materials herunterzuspielen.« – »Die<br />
Lehrkräfte können … beschließen, mehr<br />
oder weniger Zeit zu veranschlagen. Es<br />
ist nicht beabsichtigt, die Schüler unter<br />
Zeitdruck arbeiten zu lassen, sondern<br />
ihnen die Möglichkeit zu geben, mit den<br />
Aufgaben fertig zu werden.« Zudem enthalten<br />
die Materialien immer auch Bögen<br />
zur Selbstbeurteilung oder -einschätzung<br />
durch die Schülerinnen und Schüler<br />
selbst. »Eine derartige Selbstbeurteilung<br />
bezweckt, das Bewusstsein des Schülers<br />
für das eigene Lernen zu schärfen und<br />
seine Verantwortung dafür zu unterstreichen,<br />
welches eines der übergreifenden<br />
Ziele des Lehrplans ist.« (Skolverket, Kapitel<br />
Durchführung)<br />
Um noch einmal den Unterschied zur<br />
deutschen entfremdeten Klausurmanie<br />
zu zeigen, setze ich die Angaben aus<br />
der Handreichung zur Durchführung der<br />
VERA-Aufgaben daneben:<br />
»Erläutern Sie bitte, dass die Untersuchung<br />
unter Klassenarbeitsbedingungen<br />
durchgeführt wird: Hilfestellungen zu<br />
den Aufgaben, die Benutzung des Taschenrechners<br />
in Mathematik bzw. eines<br />
Wörterbuches in Deutsch und Kommunikation<br />
unter den Schülerinnen und Schülern<br />
ist nicht gestattet.« (Projekt VERA,<br />
Teil: Handreichung zur Durchführung der<br />
Vergleichsarbeiten, S. 5). Die Abfolge ist<br />
dann minutengenau vorgeschrieben:<br />
Deutsch: 42 Minuten Arbeit, dann<br />
Hefte schließen, 10 Minuten Pause. Dann<br />
10 Minuten Satzdiktate und anschließend<br />
32 Minuten Weiterarbeit. Krasser kann der<br />
Unterschied zwischen der Grundhaltung<br />
in Schweden, die Schulen und <strong>Kinder</strong> respektiert,<br />
und der technizistischen Kälte<br />
hierzulande nicht beschrieben werden.<br />
Kontrastprogramm:<br />
Zu den Methoden der<br />
Leistungsfeststellung<br />
So vielfältig die Leistungsaspekte sind,<br />
so vielfältig müssen auch die Methoden<br />
sein, um Leistungsentwicklungen und<br />
Leistungsstände von <strong>Kinder</strong>n festzustellen.<br />
Lehrerinnen und Lehrer, Schulen als<br />
System haben dazu über die Jahrzehnte<br />
ein Repertoire an Methoden zur Leistungsfeststellung<br />
entwickelt – geeignete<br />
und weniger geeignete, punktuell einsetzbare<br />
und langfristig wirksame.<br />
Zu deren Weiterentwicklung kommt<br />
es darauf an, Methoden unter folgenden<br />
Gesichtspunkten miteinander zu kombinieren:<br />
1. Sie müssen alltagstauglich sein.<br />
D. h.: wenig Aufwand und dennoch aussagekräftig,<br />
leicht in den Unterricht integrierbar<br />
und leicht auswertbar, möglichst<br />
auch mit den <strong>Kinder</strong>n zu besprechen.<br />
2. Sie dürfen nicht zur Hauptsache<br />
werden.<br />
D. h.: keine ständige Protokollierung oder<br />
umfangreiche Listenführungen; Hauptsache<br />
bleibt die pädagogische Handlungsfähigkeit,<br />
für die Leistungsfeststellungen<br />
nur eine Unterstützung darstellt.<br />
3. Sie müssen in den Unterricht integriert<br />
werden.<br />
D. h.: keine vom Unterricht abgehobenen<br />
Klausuren und Diagnosen, sondern Leistungsfeststellungen<br />
als Bestandteile des<br />
Unterrichts, die aus dem Unterricht erwachsen<br />
und in ihn wieder zurückführen.<br />
4. Sie müssen zum guten Teil die <strong>Kinder</strong><br />
als Lerner dialogisch einbeziehen.<br />
D. h.: keine Reduktion auf lehrerzentrierte<br />
Verfahren, vielmehr vorwiegend Verfahren,<br />
die die <strong>Kinder</strong> selbst einbeziehen<br />
oder die sogar von ihnen selbst durchgeführt<br />
werden.<br />
5. Sie müssen alle Lernbereiche und die<br />
überfachlichen Ziele mit in den Blick<br />
nehmen.<br />
D. h.: keine Reduktion auf die traditionellen<br />
Klassenarbeitsfelder, sondern<br />
4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
Einbezug möglichst vieler Zielperspektiven<br />
der Grundschularbeit, fachlich wie<br />
überfachlich.<br />
Das Projekt: »Pädagogische<br />
Leistungskultur«<br />
Der Grundschulverband fördert diese<br />
Entwicklungen durch sein Projekt »Pädagogische<br />
Leistungskultur«. Hierzu liegt<br />
bereits ein grundlegender Band vor:<br />
»Leistungen der <strong>Kinder</strong> wahrnehmen<br />
– würdigen – fördern« (Bartnitzky /<br />
Speck-Hamdan 2004). In diesem Band<br />
werden von den Überlegungen zur pädagogischen<br />
Leistungskultur her vier<br />
zentrale Arbeitsaspekte der Lehrkräfte<br />
formuliert und mit Kurztexten erläutert<br />
(Bartnitzky 2004, bes. S. 34 ff.):<br />
Leistungen der <strong>Kinder</strong> wahrnehmen<br />
In den Arbeitsergebnissen dokumentieren<br />
sich die Leistungen von <strong>Kinder</strong>n<br />
nur an der Oberfläche. Die wirklichen<br />
Leistungen sind nicht einfach ablesbar.<br />
Dazu gehört das Wissen um individuelle<br />
Lernbedingungen und Fortschritte,<br />
Anstrengungen und Lösungsstrategien.<br />
Viele Leistungen schlagen sich gar nicht<br />
schriftlich nieder: einander zuhören, miteinander<br />
kooperieren, selbstvergessen lesen,<br />
über das eigene Lernen nachdenken.<br />
Wahrnehmen setzt auch voraus: Lernbedingungen<br />
recherchieren, Lernstrategien<br />
kennen, <strong>Kinder</strong> beobachten, mit <strong>Kinder</strong>n<br />
über ihr Lernen und Leisten sprechen.<br />
Leistungen der <strong>Kinder</strong> würdigen<br />
Um <strong>Kinder</strong> auf ihren Lernwegen zu fördern,<br />
werden sie in ihrem Entwicklungsprozess<br />
ermutigend begleitet. Generelle<br />
Anforderungen dienen als Arbeitsperspektive,<br />
nicht aber als Hürde. Würdigen<br />
heißt dann: Lernentwicklungen bestätigen,<br />
Schwierigkeiten als Stationen auf<br />
dem Lernweg sehen, mit dem Kind über<br />
das Lernen nachdenken. Die <strong>Kinder</strong> sind<br />
in das Würdigen dialogisch eingebunden:<br />
mit individuellen und gemeinsamen<br />
Lerngesprächen, mit Portfolios und Lerntagebüchern,<br />
mit Präsentationen und<br />
Projektergebnissen. Noten sind hierbei<br />
nicht nur entbehrlich, sondern kontraproduktiv.<br />
<strong>Kinder</strong> individuell fördern<br />
<strong>Kinder</strong> in Grundschulklassen liegen in<br />
ihrer Entwicklung um drei bis vier Jahre<br />
auseinander. Sie unterscheiden sich<br />
zudem in ihren Lebensbedingungen, in<br />
ihren grundlegenden Erfahrungen, in ihren<br />
Fähigkeiten und Interessen erheblich<br />
voneinander. Individuelle Förderung ist<br />
deshalb ebenso unabdingbar wie die Differenzierung<br />
der Anforderungen. Wichtige<br />
Aspekte der Förderung sind: die Orientierung<br />
an tragfähigen Grundlagen für<br />
erfolgreiches Lernen, ein Unterricht, der<br />
für die Lernwege der <strong>Kinder</strong> offen ist, eine<br />
anregende Lernumgebung, Lernberatung<br />
und Selbstdifferenzierung der <strong>Kinder</strong>.<br />
Lernwege öffnen<br />
Statt des Lehrgangs für alle orientiert sich<br />
der Unterricht an den Lerngängen der<br />
<strong>Kinder</strong>. Eine entscheidende Weichenstellung<br />
nimmt die Würdigung der Leistungen<br />
ein: Sie verbindet den Rückblick mit<br />
dem Blick auf die weitere Lernperspektive<br />
– auf Vorhaben und Wege, Aufgaben und<br />
Arbeitspensen. Die <strong>Kinder</strong> erwerben Strategien<br />
und Methoden selbsttätigen Arbeitens.<br />
Die Lernumgebung ist förderlich<br />
gestaltet mit Anregungen und Arbeitsmitteln,<br />
mit Zeit für eigenständiges und<br />
für kooperatives Arbeiten. Individuelles<br />
Lernen ist dabei eingelagert in die Gemeinsamkeit<br />
des Lernens.<br />
Die vier Arbeitsaspekte wurden schriftgrafisch<br />
sinnig mit dem Wort »kind«<br />
verbunden. Die Grafik ist diesem Heft<br />
auch in Form eines Leporellos beigelegt.<br />
Es kann aufgestellt, aber auch als Plakat<br />
aufgehängt werden.<br />
Auf der Basis dieser Arbeitsaspekte stellt<br />
zur Zeit eine Gruppe im Grundschulverband<br />
ein Methodenrepertoire zusammen,<br />
das die oben genannten Gesichtspunkte<br />
zu berücksichtigen versucht. Dabei wur-<br />
Pädagogische Leistungskultur als Projekt des<br />
Grundschulverbandes (1), soeben erschienen:<br />
Bartnitzky, Horst / Speck-Hamdan, Angelika<br />
(Hrsg.): Leistungen der <strong>Kinder</strong> wahrnehmen<br />
– würdigen – fördern. Grundschulverband:<br />
Frankfurt/M. 2004, Beiträge zur Reform der<br />
<strong>Grundschule</strong> Band 118, s. auch S. 33<br />
den vier Bausteine entwickelt, die den<br />
Arbeitsaspekten konkrete Realisierungsmöglichkeiten<br />
zuordnen:<br />
1<br />
Lernstände feststellen<br />
(punktuelle Feststellungen, auch in Abständen zu wiederholen;<br />
Tests und testähnliche Verfahren)<br />
2<br />
Lernentwicklungen bestätigen<br />
(durch die Lehrkraft, aber auch durch die <strong>Kinder</strong> selbst;<br />
z. B. Mathepass, Forscherheft, Lesetagebuch, Sammeln<br />
im Portfolio)<br />
3<br />
Lerngespräche führen<br />
(Gespräche über das Lernen, die die <strong>Kinder</strong> mit der Lehrkraft<br />
und die sie untereinander führen; z. B. Beratung,<br />
Schreibkonferenz, Präsentation mit Gespräch, Auswertungsgespräch)<br />
4<br />
eigene Lernwege beschreiben<br />
(Reflexionen über die eigene Arbeit und Lernentwicklung;<br />
z. B. eigene Rechenwege, Lerntagebuch, Kommentar<br />
zum eigenen Portfolio, Selbstzeugnis)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
5
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
Pädagogische Leistungskultur als Projekt des Grundschulverbandes (2)<br />
Dr. H. Krieg, Frankfurt<br />
In diesem Jahr wird ein Mitgliederband erscheinen,<br />
der Materialien für die Klassen 1<br />
und 2 enthält, zunächst für die Lernbereiche<br />
Deutsch, Mathematik, Sachunterricht<br />
sowie für überfachliche Aspekte. Danach<br />
werden Materialien für die Klassen 3 und<br />
4 sowie für den Ästhetischen Lernbereich<br />
erarbeitet. Fortbildungsangebote zu den<br />
Materialien werden rechtzeitig bekannt<br />
gegeben.<br />
Auslese oder<br />
Leistungskultur<br />
Landesweite Tests sollen damit nicht<br />
grundsätzlich abgelehnt werden. Nur:<br />
Jeder Beitrag zur Leistungsfeststellung<br />
muss sich immer relativieren, muss klären,<br />
zu welchen Leistungsfeldern er welche<br />
Auskunft geben kann. Und er muss<br />
zur pädagogischern Leistungskultur beitragen<br />
und darf sie nicht torpedieren.<br />
Bei den politisch hoch gewichteten<br />
Vergleichsarbeiten VERA fehlt es sowohl<br />
an didaktischer Klarstellung als auch an<br />
erkennbarer Unterstützung schulischer<br />
Arbeit. Mehr noch: Sie befördern den selektiven<br />
Charakter der Schule, indem sie<br />
direkt in die Übergangsentscheidungen<br />
eingreifen: Sie wurden an den Anfang<br />
der Klassen 4 platziert, die Anforderungen<br />
sind auf drei Fähigkeitsniveaus<br />
zugeschnitten, die Ergebnisse werden<br />
entsprechend den Eltern mitgeteilt. Die<br />
Eltern erfahren also, ob ihr Kind nur elementare<br />
(Niveau 1), erweiterte (Niveau 2)<br />
oder fortgeschrittene Fähigkeiten besitzt<br />
(Niveau 3). Was liegt näher, als die drei<br />
Niveaus den drei weiterführenden Schulen<br />
zuzuordnen? Aus dem beabsichtigten<br />
Instrument zur weiteren Schulentwicklung<br />
wird ein Ausleseinstrument für das<br />
gegliederte Schulsystem. Die höchst<br />
begrenzte Aussagekraft wird faktisch zur<br />
globalen Leistungseinschätzung umgemünzt<br />
– der Zeitpunkt, das Elterninteresse,<br />
das einschüchternde Testzeremoniell,<br />
der wissenschaftliche Hintergrund<br />
und die ministeriellen Absegnungen<br />
werden es schon richten.<br />
Die Eltern sollen nach ministerieller<br />
Weisung aber nicht nur die Ergebnisse<br />
ihres eigenen Kindes erfahren, sondern<br />
auch die ihrer Klasse und ihrer Schule. Sie<br />
können mithin schulintern die Ergebnisse<br />
der Parallelklassen und schul übergreifend<br />
die Ergebnisse verschiedener Schulen<br />
miteinander vergleichen. Dies ist faktisch<br />
Schulranking. Alle Schulen in bildungsferneren<br />
Milieus sind damit auf der<br />
Verliererstraße, Schulen im »upper class«-<br />
Viertel die Gewinner – völlig unabhängig<br />
von der didaktischen Qualität des jeweiligen<br />
Unterrichts.<br />
Dass dies bei VERA zudem auf der Grundlage<br />
didaktisch unzureichender, zum<br />
Teil skandalöser Aufgaben geschieht,<br />
die <strong>Kinder</strong>n ihre Leistungsmöglichkeiten<br />
vorenthalten, macht das ganze Unterfangen<br />
vollends zu einem schulpolitischen<br />
Desaster (siehe die kritischen Beiträge<br />
in diesem Heft zu Deutsch S. 10 und zu<br />
Mathematik S. 17).<br />
Bleibt es dabei, dann wird die Schule<br />
sich langfristig auf die Schmalspurigkeit<br />
der Testaufgaben und die Selektivität<br />
ihrer Ergebnisse einstellen; wichtige Bildungsansprüche<br />
und -aspekte werden<br />
auf der Strecke bleiben. Schulentwicklung<br />
nach PISA müsste wahrhaftig anders<br />
aussehen.<br />
Bleibt die Hoffnung, dass dies, wie so<br />
manches andere in der Schullandschaft,<br />
der Spuk eines Jahres war und wir nun zur<br />
Weiterentwicklung der »Pädagogischen<br />
Leistungskultur« zurückkehren können.<br />
Das gleichnamige Projekt des Grundschulverbandes<br />
kann dazu beitragen.<br />
HORST BARTNITZKY<br />
Literatur<br />
Bartnitzky, Horst (2004): Die pädagogische Leistungskultur – eine<br />
Positionsbestimmung. In: Bartnitzky/Speck-Hamdan (Hrsg.)<br />
Bartnitzky, Horst / Speck-Hamdan, Angelika (Hrsg.) (2004): Leistungen<br />
wahrnehmen – würdigen – fordern. Frankfurt a. M.: Grundschulverband<br />
Grundschulverband (Hrsg.) (2003): Bildungsansprüche von Grundschulkindern<br />
– Standards zeitgemäßer Grundschularbeit.<br />
In: Grundschulverband <strong>aktuell</strong> H. 81<br />
Rumpf, Horst (2004): Diesseits der Belehrungswut. Weinheim und<br />
München: Juventa, darin besonders das Kapitel: Verformte Nachdenklichkeit?<br />
– PISA-Leistungen im Zwielicht, S. 75 ff.<br />
Projekt VERA (online). Kontakt:<br />
www.uni-landau.de/vera<br />
Skolkverket: Prüfungen im Frühlingshalbjajhr 2003 und 2004, aus<br />
dem Schwedischen übersetzt von Kathrin Faßrainer. Als Download:<br />
www.grundschulverband.de > Standards > Schwedische Fachprüfungen<br />
6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
Wahrheit durch VERA?<br />
Anmerkungen zum ersten Durchgang der landesweiten Leistungstests<br />
in sieben Bundesländern 1<br />
Die am Anfang der vierten Klasse in<br />
Rheinland-Pfalz und sechs weiteren Bundesländern<br />
im September dieses Jahres<br />
durchgeführte Lernstandserhebung VERA<br />
(VERgleichsArbeiten … 2 ) hat unter LehrerInnen<br />
viel Aufregung verursacht. Meine<br />
Reaktion ist ambivalent: Als Forscher<br />
habe ich großen Respekt davor, was die<br />
VERA-KollegInnen unter den gegebenen<br />
Rahmenbedingungen geleistetet haben.<br />
Gleichzeitig frage ich mich, ob man sich<br />
auf die gegebenen politischen und organisatorischen<br />
Rahmenbedingungen hätte<br />
einlassen sollen. Funktion, Anlage und<br />
Durchführung der Studie haben darunter<br />
gelitten.<br />
Die Erfahrungen aus diesem Durchgang<br />
sollten deshalb als Chance genutzt<br />
werden, um zu lernen. Das gilt für diejenigen,<br />
die die Tests entwickeln bzw. ihren<br />
Einsatz verordnen und durchführen, aber<br />
auch für die LehrerInnen, die kritisch prüfen<br />
müssen, was sie mit den Ergebnissen<br />
anfangen können – und was nicht.<br />
Was sollen und was können<br />
zentrale Testprogramme<br />
leisten? 3<br />
Drei Funktionen von VERA sind in der<br />
Außendarstellung von verschiedenen<br />
Beteiligten unterschiedlich stark betont<br />
worden und faktisch auch unterschiedlich<br />
gut einlösbar:<br />
■ Bei der Bestandsaufnahme von grundlegenden<br />
Leistungen auf Landesebene<br />
(»System-Monitoring«) hat das deutsche<br />
Schulsystem tatsächlich einen Nachholbedarf.<br />
Diese Funktion können standardisierte<br />
Testprogramme und konkret auch<br />
VERA von ihrer Anlage her gut erfüllen (zu<br />
einigen spezifischen Vorbehalten s. u.).<br />
■ Auch die Rückmeldung der Ergebnisse<br />
an einzelne Schulen und LehrerInnen ist<br />
hilfreich. Zum einen können LehrerInnen<br />
genauer sehen, in welchen Bereichen ihre<br />
Klassen relativ zu anderen Lerngruppen<br />
Stärken und Schwächen haben – bedingt<br />
durch besondere Vorerfahrungen der<br />
<strong>Kinder</strong>, durch eigene Schwerpunkte im<br />
Unterricht, durch die Anlage der verwendeten<br />
Schulbücher oder andere Faktoren.<br />
Deren Bedeutung ist allerdings nur vor<br />
Ort von den Beteiligten selbst zu klären.<br />
Außerdem können LehrerInnen im Vergleich<br />
mit Klassen, die unter ähnlichen<br />
Bedingungen arbeiten (»Referenzschulen«),<br />
ihre Anforderungen an die <strong>Kinder</strong><br />
und ihre Maßstäbe bei der Leistungsbeurteilung<br />
überprüfen. Dies darf aber<br />
nicht einfach Anpassung an die externen<br />
Kriterien bedeuten, sondern verlangt eine<br />
Reflexion der externen und der eigenen<br />
Annahmen.<br />
■ Der Anspruch einer »Diagnose« des<br />
Lernstands einzelner <strong>Kinder</strong> allerdings<br />
überfordert die Instrumente. Eine punktuelle<br />
Messung muss inhaltlich auf<br />
wenige Ausschnitte begrenzt werden.<br />
Zudem ist sie immer fehlerbehaftet,<br />
d. h. der festgestellte Wert kann nur als<br />
Anhaltspunkt für eine Bandbreite, innerhalb<br />
derer der »wahre« Wert mit einiger<br />
Sicherheit liegt, genommen werden. Je<br />
mehr man das Fehlerrisiko minimieren<br />
will, umso breiter muss man die Bandbreite<br />
möglicher Schwankungen ansetzen<br />
– und umso weniger hilfreich ist dann<br />
das Ergebnis. In Kennwerten für Gruppen,<br />
also in Werten für ganze Klassen oder gar<br />
ein Bundesland, gleichen sich individuelle<br />
Schwankungen weitgehend aus, so<br />
dass das Fehlerrisiko der entsprechenden<br />
Durchschnittswerte entsprechend<br />
gering ist. Einmalige Tests bei einzelnen<br />
Personen bieten dagegen nur grobe Annäherungen<br />
an die tatsächliche Leistung.<br />
Sinnvoll nutzen lassen sich die Ergebnisse<br />
trotzdem, wenn man Abweichungen zur<br />
eigenen Einschätzung als »Warnlampe«<br />
nutzt, also als Anlass, um die Differenzen<br />
durch weitergehende Beobachtungen<br />
aufzuklären.<br />
Für alle drei Ebenen gilt gleichermaßen:<br />
Die Ergebnisse sind als ein Element in<br />
einem umfassenderen Rechenschaftssystem<br />
zu sehen 4 , als ein wichtiges und<br />
bisher unterrepräsentiertes Evaluationsinstrument,<br />
aber auch als ein in seiner<br />
Aussagekraft und Geltung begrenztes.<br />
Das größte Problem in der seit TIMSS<br />
öffentlich geführten Schuldebatte sind<br />
ihre Schrumpfung auf den Vergleich von<br />
Punktwerten und die Überhöhung der<br />
Testautorität. PolitikerInnen und Medien<br />
schauen nur noch auf den Output.<br />
Berichte der Schulaufsicht, Forschungsergebnisse<br />
zu Lehr-/Lern-Prozessen und<br />
ihren Bedingungen verlieren an Bedeutung.<br />
Auch viele LehrerInnen nehmen<br />
die Vergleichsdaten nicht als nützliche<br />
Zusatzinformation über Stärken und<br />
Schwächen ihrer Klasse, sondern trauen<br />
oft ihrem eigenen Urteil nicht mehr,<br />
obwohl es aus einer längerfristigen Erfahrung<br />
erwächst. Testergebnisse einzelner<br />
<strong>Kinder</strong> werden für Eltern (und oft auch für<br />
LehrerInnen) zum »wahren« Wert für ihre<br />
Leistung, statt zu einem Indikator, der<br />
interpretationsbedürftig ist.<br />
Konkrete Anmerkungen<br />
zu den Aufgaben und<br />
Verfahren von VERA<br />
Analysiert man die Test- und die Begleitunterlagen,<br />
unterhält man sich mit KollegInnen<br />
aus der Grundschulpädagogik<br />
bzw. der Fachdidaktik und befragt man<br />
LehrerInnen aus den beteiligten Bundesländern<br />
nach ihren ersten Erfahrungen<br />
mit VERA, so stößt man auf sehr unterschiedliche<br />
Reaktionen. Manche KollegInnen,<br />
die VERA im oben genannten<br />
Sinn als ein Element im Rahmen verschiedener<br />
Informationsquellen verstehen, finden<br />
die Tests nützlich. Auch viele <strong>Kinder</strong><br />
haben die Aufgabe, »zu zeigen, was ihr<br />
könnt«, als Herausforderung positiv angenommen.<br />
Andere, vor allem leistungsschwächere<br />
SchülerInnen und <strong>Kinder</strong> mit<br />
Migrationshintergrund, erlebten viele<br />
Aufgaben und den Umfang insgesamt als<br />
völlige Überforderung. Darüber hinaus<br />
gibt es eine Reihe von Problemen, die bei<br />
der Weiterentwicklung des Instrumentariums<br />
und seinem zukünftigen Einsatz<br />
bedacht werden müssen:<br />
Zum inhaltlichen Ansatz<br />
Einige Aufgaben bieten interessante<br />
Anregungen für Leistungskontrollen, die<br />
LehrerInnen nutzen sollten, um ihr eigenes<br />
Repertoire zu erweitern. Die Formate<br />
bringen aber – wegen der notwendigen<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
7
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
Standardisierung von Durchführung und<br />
Auswertung – unvermeidlich auch Einschränkungen<br />
mit sich 5 :<br />
■ Aufgaben ohne Kontextbezug, wie<br />
er z. B. in den Lehrplänen für Deutsch<br />
gefordert wird, sind für viele SchülerInnen<br />
überraschend. Sie verändern auch<br />
das Lösungsverhalten, z. B. wenn in 20<br />
Minuten ein Text<br />
zu einem Thema<br />
geschrieben werden<br />
soll, obwohl<br />
den SchülerInnen<br />
beigebracht worden<br />
ist, dass das<br />
Schreiben guter Texte ein Brainstorming,<br />
eine Textplanung, mehrere Zyklen der<br />
Überarbeitung (z. B. in Schreibkonferenzen)<br />
und insgesamt eine rege Kommunikation<br />
mit anderen voraussetzt. Dagegen<br />
untersagen die Instruktionen bei VERA<br />
ausdrücklich Fragen an die Lehrerin und<br />
Gespräche der <strong>Kinder</strong> untereinander.<br />
■ Die Richtigkeits-Orientierung, wie<br />
sie für eine standardisierte Auswertung<br />
erforderlich ist, gerät in Konflikt mit der<br />
Mehrdeutigkeit von Verhalten, insbesondere<br />
von sprachlichen Vorlagen einerseits<br />
und Lösungen andererseits, und sie fördert<br />
bei SchülerInnen eine Haltung, die<br />
nach gewünschter Lösung sucht, statt<br />
dem eigenem Denken zu trauen.<br />
■ Werden Hilfsmittel, deren Gebrauch<br />
die SchülerInnen nicht nur gewohnt sind,<br />
sondern deren Beherrschung auch explizit<br />
als Lernziel von den Lehrplänen eingefordert<br />
wird (z. B. Wörterbücher zur Kontrolle<br />
der Richtigschreibung von Wörtern)<br />
vorenthalten, entsteht eine Konkurrenz<br />
zu den Prinzipien des Unterrichts und<br />
den Erfahrungen der SchülerInnen.<br />
■ Auch das dicht konzentrierte Abarbeiten<br />
von unzusammenhängenden Aufgaben<br />
unter Zeitdruck (z. B. in Form von<br />
Diktaten) steht im Widerspruch zu Leistungssituationen,<br />
wie sie neuere Lehrpläne<br />
fordern und wie die <strong>Kinder</strong> in vielen<br />
Klassen sie gewohnt sind. Das ganze<br />
»Setting« wird von den <strong>Grundschule</strong>n, die<br />
nach den Richtlinien und Lehrplänen der<br />
letzten Jahre arbeiten, als Fremdkörper<br />
empfunden. Und diejenigen, die gerade<br />
die ersten Schritte machen, werden eher<br />
entmutigt – oder sogar in ihren alten Vorstellungen<br />
bestätigt.<br />
■ Die unterstellte Eindimensionalität<br />
der Fähigkeitsniveaus innerhalb z. B. von<br />
Arithmetik, Geometrie und Sachrechnen/<br />
Größen in Mathematik, wird dem nicht<br />
gerecht, was zunehmend über »eigene<br />
Wege« des mathematischen und schriftsprachlichen<br />
Lernens bekannt ist 6 .<br />
■ Über die Angemessenheit einzelner<br />
Aufgaben, z. B. der Deutung von wenig<br />
gängigen Sprichwörtern im Deutschtest,<br />
wird nach der Auswertung zu diskutieren<br />
sein.<br />
Diese kritischen Anmerkungen stellen<br />
nicht in Frage, dass die Ergebnisse als<br />
wichtige Indikatoren für die angepeilten<br />
Leistungen dienen können. Aber die gewonnenen<br />
Daten müssen entsprechend<br />
interpretiert werden 7 , Punktwerte dürfen<br />
nicht at face value zu Urteilen über <strong>Kinder</strong><br />
oder LehrerInnen werden.<br />
Damit sind wir bei der Durchführung<br />
von VERA und ihren Folgen:<br />
Zur Wirkung der<br />
Erhebungssituation<br />
Die Schulen sind sehr unterschiedlich<br />
mit den Vorgaben umgegangen, so dass<br />
sowohl das Durchschnittsniveau als<br />
auch die Vergleichbarkeit der Ergebnisse<br />
einzelner Klassen ernsthaft in Frage zu<br />
stellen sind. Zudem deuten sich schon<br />
jetzt ambivalente bis problematische<br />
Auswirkungen auf den Unterricht an. 8<br />
■ In einer Reihe von Schulen wurden<br />
Aufgaben(typen) geübt 9 , so dass die<br />
Ergebnisse über Klassen hinweg nicht<br />
vergleichbar sind.<br />
■ Manche LehrerInnen haben ihren<br />
Klassen oder einzelnen <strong>Kinder</strong>n entgegen<br />
den ausdrücklichen Anweisungen geholfen,<br />
so dass die empirisch gewonnenen<br />
Daten nur schwer als »Referenz«-Daten<br />
zu etablieren sind.<br />
■ Zudem wurde bei der Bewertung von<br />
Lösungen unterschiedlich »kulant« mit<br />
Lösungen umgegangen – zum Schutz<br />
einzelner SchülerInnen, aber auch im Interesse<br />
des eigenen Unterrichtserfolgs …<br />
■ Testformate beginnen darüber hinaus,<br />
die Aufgabenformate im Unterricht<br />
zu bestimmen, obwohl Lernsituationen<br />
anderen Prinzipien gehorchen als Leistungskontrollen.<br />
■ Es zeichnet sich eine Einengung des<br />
Unterrichts auf die in den Tests geforderten<br />
Inhalte und Kompetenzen ab, z. B.<br />
auf technische Informations»entnahme«<br />
aus Textstücken statt persönlicher Auseinandersetzung<br />
mit der inhaltlichen<br />
»Botschaft«.<br />
■ Es ist absehbar, dass Eltern und die<br />
lokale Presse Informationen aus der verpflichtenden<br />
schulinternen Diskussion<br />
für ein informelles äußeres Ranking nutzen<br />
werden, ohne dass die notwendigen<br />
Einschränkungen mit bedacht werden<br />
(können).<br />
■ Der Zeitpunkt der Erhebung und die<br />
Dreistufigkeit des Kompetenzmodells<br />
legen eine Zuordnung zu den Schularten<br />
der Sekundarstufe nahe und werden vor<br />
allem von Eltern oft so missverstanden.<br />
Die ministeriell immer wieder beschworene<br />
individuelle Förderung ist im letzten<br />
Halbjahr der Grundschulzeit kaum mehr<br />
möglich<br />
Im Vergleich zu den in NRW in den<br />
Vorjahren eingeführten Parallelarbeiten<br />
mindert der weniger enge Lehrplanbezug<br />
den Wert der Ergebnisse, ebenso die nicht<br />
mehr notwendige Zusammenarbeit von<br />
KollegInnen den Ertrag für die innerschulischen<br />
Entwicklungsprozesse.<br />
Zu den organisatorischen<br />
Rahmenbedingungen<br />
Auch wenn die logistische Leistung<br />
der Landauer Forschergruppe und der<br />
Projektleitungen in den Bundesländern<br />
bewundernswert ist: Viele Schulen klagen<br />
über den Zeitdruck, die unzureichende<br />
Vorbereitung und den hohen personellen<br />
und finanziellen Aufwand bei der Durchführung.<br />
Als abträglich für die alltägliche<br />
Arbeit unter sowieso schon schwierigen<br />
Bedingungen werden insbesondere genannt:<br />
■ hoher Materialaufwand für das Kopieren<br />
bei begrenztem Etat (in der<br />
Sekundarstufe wurden die Materialien<br />
zentral vervielfältigt …);<br />
■ hoher Zeitaufwand, einsetzbare Testhefte<br />
zusammenzustellen, und hoher<br />
Korrekturaufwand 10 – beides zieht<br />
Zeit von anderen Aktivitäten ab;<br />
■ sehr kurzfristige Anforderung der<br />
Ergebnisse aus den Referenzschulen<br />
und damit immenser Zeitdruck bei<br />
der Auswertung (Herbstferien als Korrekturzeit<br />
…);<br />
■ die Fehleranfälligkeit bzw. unzulängliche<br />
Passung der komplizierten<br />
Auswertungsvorgaben und des Computersystems;<br />
■ die nicht immer abgestimmten Informationen<br />
von verschiedenen Quellen<br />
und an verschiedene Zielgruppen, so<br />
dass Unsicherheit und zum Teil auch<br />
Argwohn entstanden ist;<br />
■ die als nicht repräsentativ wahrgenommene<br />
Auswahl der Beispielaufgaben,<br />
die den Schulen im Frühjahr zur<br />
Vorinformation zugeschickt worden<br />
waren;<br />
8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
■ der geringe Ertrag für die Weiterentwicklung<br />
des Unterrichts und die<br />
Förderung einzelner <strong>Kinder</strong>.<br />
Die von der Politik erzeugte Hektik hat sowohl<br />
der Testzentrale in Landau als auch<br />
anderen Beteiligten die Arbeit erschwert<br />
und manchen Goodwill in den Schulen<br />
verschenkt. Insbesondere das Versprechen,<br />
es werde kein Ranking geben,<br />
wird durch die Verpflichtung, allen Eltern<br />
nicht nur die Ergebnisse ihres Kindes,<br />
sondern ebenso die Durchschnittswerte<br />
seiner Klasse und der Schule mitzuteilen,<br />
faktisch wertlos. Wer in Ländern wie<br />
England und den USA beobachtet hat,<br />
welche Konsequenzen die Publikation<br />
von globalen Testdaten einzelner Schulen<br />
z. B. auf die Immobilienpreise von Stadtteilen<br />
hat 11 , wird sich keine Illusionen<br />
machen, was den verständigten Umgang<br />
mit solchen Daten in der Öffentlichkeit<br />
betrifft. Zu hoffen ist, dass aus diesen<br />
Schwierigkeiten für weitere Erhebungen<br />
gelernt wird.<br />
Fazit<br />
■ Für ein regelmäßiges System-Monitoring,<br />
bei dem die Entwicklung des<br />
Schulsystems insgesamt erfasst werden<br />
soll, würde es reichen, alle vier bis sechs<br />
Jahre Erhebungen durchzuführen. Außerdem<br />
könnte man sich (wie bei PISA<br />
und IGLU) auf repräsentative Stichproben<br />
beschränken und anderen Schulen eine<br />
freiwillige Teilnahme (wie bei LUST 12 )<br />
ermöglichen, was die Belastungen solcher<br />
Testprogramme mindern und ihre<br />
Akzeptanz beträchtlich erhöhen dürfte.<br />
Zugleich würden damit Mittel frei für<br />
andere Evaluationsaktivitäten (s. u.).<br />
■ Um LehrerInnen hilfreiche Informationen<br />
zur Kalibrierung ihrer Maßstäbe<br />
und für den Vergleich der eigenen mit<br />
anderen Klassen zu geben, wäre bei<br />
den nächsten Terminen ein Wechsel auf<br />
andere Kompetenzbereiche von Deutsch<br />
bzw. Mathematik und auch auf andere<br />
Lernbereiche wie Sachunterricht und die<br />
musisch-ästhetischen Fächer sinnvoll.<br />
Dabei sollten generell auch weniger standardisierte<br />
Formate erprobt werden.<br />
Der letzte Punkt hat aus meiner Sicht<br />
in der nahen Zukunft Priorität, soll das<br />
Evaluationssystem nicht Schlagseite<br />
bekommen. Der Grundschulverband<br />
hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die<br />
entsprechende Hilfen für Sprache, Mathematik<br />
und Sachunterricht entwickeln<br />
und in Form eines Fortbildungspakets publizieren<br />
soll. Es ist zu hoffen, dass auch<br />
staatliche Institutionen zumindest einen<br />
Teil ihrer Ressourcen in solche Aktivitäten<br />
investieren.<br />
Hans Brügelmann<br />
Literatur<br />
Bartnitzky, H. / Speck-Hamdan, A. (Hrsg.)<br />
(2004): Pädagogische Leistungskultur:<br />
Leistungen der <strong>Kinder</strong> wahrnehmen – würdigen<br />
– fördern. Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong>,<br />
Bd. 118. Grundschulverband: Frankfurt<br />
Bartnitzky, H., u. a. (1999): Zur Qualität<br />
der Leistung – 5 Thesen zu Evaluation und<br />
Rechenschaft der Grundschularbeit. Grundschulverband<br />
– Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.:<br />
Frankfurt. Auch in: Schmitt, R. (Hrsg.) (1999):<br />
An der Schwelle zum dritten Jahrtausend.<br />
BundesGrundschulKongress 1999. Grundschulverband<br />
– Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>:<br />
Frankfurt, 165 – 196<br />
Brügelmann, H. (Hrsg.) (1998): <strong>Kinder</strong> lernen<br />
anders: vor der Schule – in der Schule. Libelle:<br />
CH-Lengwil<br />
Brügelmann, H. (i. D.): Schule verstehen<br />
– Forschungsbefunde zu Kontroversen über<br />
Erziehung und Unterricht. Libelle: CH-Lengwil<br />
(erscheint im Sommer 2005)<br />
Metzger, K., u. a. (2004): Sprachbezogene<br />
Leistungen würdigen. Die <strong>aktuell</strong>e Leistungsdiskussion<br />
und erfolgreicher Deutschunterricht.<br />
In: Bartnitzky / Speck-Hamdan (2004),<br />
250 – 269<br />
Dr. Hans Brügelmann<br />
Professor für Erziehungswissenschaft Uni Siegen<br />
Fachreferent für schulische Qualitätsentwicklung<br />
im Grundschulverband<br />
Anmerkungen<br />
1 Ich danke verschiedenen KollegInnen (die z. T. ausdrücklich lieber<br />
ungenannt bleiben wollen …) für hilfreiche Anmerkungen zu einer<br />
Vorfassung dieses Papiers<br />
2 Informationen des Projekts unter: http://www.uni-landau.de/vera/<br />
3 Vgl. dazu ausführlicher meine Beiträge in Bartnitzky/ Speck-<br />
Hamdan (2004) und in GSV-<strong>aktuell</strong> Nr. 79, 82, 83, sowie in Brügelmann<br />
(i. D., Kap. 47– 51).<br />
4 Vgl. Bartnitzky u. a. 1999<br />
5 Vgl. zur inhaltlichen Kritik die konkreten Anmerkungen von Bartnitzky<br />
und Selter in diesem Heft sowie Metzger<br />
u. a. (2004).<br />
6 Vgl. anschaulich, auch für Eltern, die Beiträge in Brügelmann<br />
(1998).<br />
7 Die Landauer Forschungsgruppe hat dazu unter dem Titel »Pädagogische<br />
Nutzung der Vergleichsarbeiten« und »Handreichung<br />
zur Analyse der Falschlösungen« wichtige Hinweise gegeben,<br />
deren Berücksichtigung helfen könnte, das vielerorts beklagenswerte<br />
Niveau der Feststellung, Interpretation und Bewertung von<br />
Schülerleistungen anzuheben. Zu befürchten ist auf der anderen<br />
Seite, dass viele LehrerInnen und Eltern sich mit Summenwerten<br />
begnügen und ihre Urteile auf oberflächliche Vergleiche stützen<br />
werden.<br />
8 Das ging bis zu Diskussionen, ob die <strong>Kinder</strong> während der vorgesehenen<br />
10-minütigen Pause während der Deutscharbeit die Klasse<br />
verlassen und miteinander sprechen dürften – oder ob die Pause<br />
schweigend im Klassenraum zu verbringen sei, unterbrochen allenfalls<br />
vom Gang zur Toilette! Wenn die Klausurlogik sich entfaltet …<br />
9 … in mindestens einer mir bekannten Klasse sogar zum Üben mit<br />
nach Hause gegeben!<br />
10 Mindestwert ca. ein Halbtag pro Fach und Klasse bis hin zu einem<br />
Tag schriftliche Auswertung in den Ferien zu Hause und einem<br />
weiteren Tag Eingabe am PC für die zentrale Auswertung in Landau.<br />
11 S. <strong>aktuell</strong> http://www.mercurynews.com/mld/mercurynews/living/<br />
education/10045224.htm?1c [Abruf: 4.11.2004]<br />
12 Vgl. meinen Beitrag in GSV-<strong>aktuell</strong> Nr. 84<br />
■ Für die Individualbeobachtung<br />
müssten Instrumente zur Lernbegleitung<br />
entwickelt werden, um differenziertere<br />
Einschätzungen anzuregen und zu unterstützen,<br />
als sie durch eine punktuelle<br />
Messung möglich sind.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
9
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
VERA Deutsch 2004: Ungeeignet und bildungsfern<br />
Fünf Teile hatten die Deutsch-Aufgaben<br />
für die Viertklässler, die am 30. September<br />
2004 in exakt 42 + 10 + 32 Minuten<br />
zu erledigen waren, dazwischen lag eine<br />
Pause von zehn Minuten: Leseverständnis<br />
(nicht kontinuierlicher Text), Sprachbetrachtung,<br />
Leseverständnis (kontinuierlicher<br />
Text), Schreiben und Orthografie.<br />
Bei drei Teilen waren die Aufgaben für<br />
alle identisch, bei zwei Teilen konnten die<br />
Schulen vorab aus Alternativen wählen.<br />
Ich kommentiere im Folgenden die<br />
didaktische und inhaltliche Qualität der<br />
einzelnen Teile, dabei muss ich aus Platzgründen<br />
exemplarisch vorgehen.<br />
1. Teil: Die Wetterkarte –<br />
Leseverständnis bei einem<br />
nicht kontinuierlichen Text<br />
Als nicht-kontinuierlich werden Texte<br />
bezeichnet, die nicht Zeile für Zeile erlesen<br />
werden können, sondern bei denen<br />
Informationen durch Sprünge zwischen<br />
den Informationselementen gewonnen<br />
werden, also Texte mit Grafiken, Tabellen,<br />
Karten, Formularen. Die Lesefähigkeit für<br />
solche Texte gehört zu den wichtigen<br />
Kompetenzen für die alltägliche und berufliche<br />
Lebensbewältigung; zum Beispiel<br />
wird sie benötigt beim Gebrauch eines<br />
Fahrkarten-Automaten und zur Recherche<br />
im Internet, ganz zu schweigen von<br />
beruflichen Zusammenhängen. Entsprechende<br />
Aufgaben finden sich in den<br />
Tests der PISA-Studie für Fünfzehnjährige,<br />
während die IGLU-Studie auf solche Texte<br />
zugunsten eines Sachtextes verzichtet<br />
hatte. Mit gutem Grund: Die geforderte<br />
Leseleistung des Hin- und Herspringens<br />
zwischen Grafik und Text, das Verständnis<br />
der oft abstrakten Zusammenhänge<br />
wird in der <strong>Grundschule</strong> zwar bereits<br />
vielfältig geübt – bei Lexikonartikeln, in<br />
Sachbüchern, bei der Internet-Recherche.<br />
Ob die <strong>Kinder</strong> aber alleine solche Aufgaben<br />
schon lösen können, hängt neben<br />
vielerlei sprachlichen Schwierigkeiten<br />
auch davon ab, ob die <strong>Kinder</strong> mit der<br />
Thematik bereits Vorwissen und Fragehaltung<br />
verbinden, ob ihnen die spezielle<br />
grafische Aufarbeitung bekannt ist. Hier<br />
entscheidet also die konkrete Situation,<br />
ein nicht lösbares Problem für Testkonstrukteure.<br />
Die VERA-Konstrukteure haben<br />
nun entgegen der IGLU-Studie einen<br />
solchen Text doch aufgenommen – eine<br />
Wetterkarte, zu der dann zehn Aufgaben<br />
gestellt werden:<br />
Entgegen der Eingangsbehauptung »…<br />
findest du täglich in allen Tageszeitungen<br />
…« finden viele <strong>Kinder</strong> Wetterkarten in<br />
Tageszeiten eben nicht: Grundschulkinder<br />
sind keine Zeitungsleser und viele<br />
Elternhäuser halten gar keine Tageszei-<br />
10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
Thema: Vergleichsarbeiten unter Thema: der VERA Lupe<br />
tung. Schon der Einleitungssatz zeigt die<br />
Kindferne der Ansprache.<br />
Das Thema Wetter ist zwar ein Standardthema<br />
in der <strong>Grundschule</strong>, das Lesen<br />
einer Wetterkarte auch. Nicht festgelegt<br />
ist aber, wann Wetterkarten im Unterricht<br />
zum Thema werden, das kann vor<br />
Anfang der Klasse 4 sein, also bis zum<br />
Testzeitpunkt, das kann aber auch erst<br />
im Laufe der Klasse 4 erfolgen. Entsprechendes<br />
gilt für Unterthemen, die für die<br />
Testauf gaben wichtig sind: Themen wie<br />
Biowetter, Himmelsrichtungen, Windrichtung,<br />
mete o rologische Definition von<br />
Sonnenaufgang und Sonnenuntergang,<br />
außerdem geografische Orientierung<br />
auf der Deutschlandkarte, zum Beispiel<br />
müssen die <strong>Kinder</strong> für die Aufgaben<br />
wissen, wo Norddeutschland und die<br />
Nordsee zu finden sind. Haben <strong>Kinder</strong><br />
keine Eltern, die ein besonderes Faible für<br />
Wetterkarten haben, und wurden Wetterkarte<br />
oder Deutschlandkarte bis Anfang<br />
Klasse 4 unterrichtlich nicht bearbeitet,<br />
dann haben die <strong>Kinder</strong> für diese Aufgaben<br />
schlechte Karten. Schlimmer noch<br />
bei <strong>Kinder</strong>n aus sprachschwachen Milieus<br />
und Migrantenkindern mit geringeren<br />
Deutschkenntnissen. Sie bleiben, bevor<br />
sie überhaupt eine der zehn Aufgaben<br />
durchlesen, bereits an der abstrakten nominalisierten<br />
Sprache hängen: Biowetter,<br />
Luftfeuchtigkeit, Kreislaufsystem, Aufheiterungen<br />
… Damit ist die Falle gebaut:<br />
Nicht die Lesefähigkeit wird geprüft, sondern<br />
ob ein Thema unterrichtlich bereits<br />
behandelt wurde und ob die <strong>Kinder</strong> aus<br />
bildungsorientierten Elternhäusern kommen.<br />
Am Ende wird bei der Auswertung<br />
wieder die Quote der »Risikokinder« beklagt;<br />
tatsächlich grenzt aber bereits die<br />
Aufgabenstellung ganze Schülergruppen<br />
von der richtigen Lösung aus.<br />
Die Aufgaben selbst beginnen scheinbar<br />
einfach:<br />
Hier ist die Kenntnis der Jahreszeiten<br />
erforderlich, die in der Regel ab Klasse 1<br />
schon erarbeitet wird. Unglücklich ist das<br />
abgeteilte Präfix der Verbklammer. <strong>Kinder</strong><br />
können über die in sich sprachlich sinnlosen<br />
Antwortvorgaben »Winter voraus«,<br />
»Sommer voraus« stolpern. »Volldampf<br />
voraus« kennen einige <strong>Kinder</strong>, aber »Winter<br />
voraus«? Die Aufgabe zielt auf Leseverständnis<br />
in der Wetterkarte, hier wird<br />
aber durch die Aufgabenformulierung<br />
bereits der Fallstrick gelegt. Einfacher und<br />
klarer wäre eine Formulierung wie: »Die<br />
abgebildete Wetterkarte sagt das Wetter<br />
für einen Tag voraus und zwar<br />
■ für einen Tag im Winter<br />
■ für einen Tag im Sommer<br />
usw.<br />
Sieht man die weiteren Aufgaben<br />
durch, dann muss man über mangelnde<br />
Sachkenntnisse der Testkonstrukteure<br />
staunen:<br />
»Aufg. e) Du verbringst deine Ferien in<br />
Norddeutschland. Kannst du einen Grillabend<br />
draußen planen? Begründe deine<br />
Entscheidung.« Es folgen zwei Schreibzeilen.<br />
Ein kundiges Kind überlegt: Bis wohin<br />
reicht denn Norddeutschland? Kiel,<br />
Rostock und Hamburg gehören auf<br />
jeden Fall dazu. Hier könnte man den<br />
Grill abend planen, denn nur »wolkig«<br />
muss einen nicht davon abhalten, die<br />
Sonne ist eh untergegangen; in Bremen<br />
aber sollte man eher drinnen grillen. Für<br />
so viel Text reichen aber die Schreibzeilen<br />
nicht. Die Antwort wäre auch falsch. Sieht<br />
man die Korrekturanweisungen durch,<br />
muss zunächst klipp und klar mit »Ja«<br />
oder »Nein« geantwortet werden, dann<br />
folgt die Begründung. Dafür sind nur zwei<br />
Antworten richtig:<br />
»Nein, weil für den Abend Regen angesagt<br />
ist.«<br />
»Ja, aber dann muss man Regenklamotten<br />
und eine Plane mitnehmen.«<br />
Für die Testkonstrukteure zählt<br />
offenbar nur Bremen zu Norddeutschland.<br />
Nicht nur die Leute in Schleswig-<br />
Holstein, Hamburg und Mecklenburg-<br />
Vorpommern werden sich über solche<br />
eigenartige Geografie wundern.<br />
»Aufg. h) Du möchtest den Sonnenaufgang<br />
beobachten. Wann musst du<br />
aufstehen?«<br />
Da nach der Wettervorhersage die<br />
Sonne um 5:34 aufgeht, müsste man,<br />
so denkt das Kind zu recht, schon etwas<br />
früher aufstehen. Wo kann man die niedrig<br />
stehende Sonne sehen? Wie komme<br />
ich dahin und wie lange brauche ich dafür?<br />
Also: aufstehen, anziehen, einen Weg<br />
gehen – also bis spätestens kurz nach<br />
5.00 müsste man schon aus den Federn.<br />
Wieder ein Blick in die Korrekturanweisung:<br />
Die korrekte Lösung ist »jeder<br />
Zeitpunkt bis einschließlich 5:34 Uhr«. Im<br />
Ernst: Wer um 5:34 Uhr erst aufsteht, wird<br />
den Sonnenaufgang schwerlich erleben.<br />
Ähnlich unsinnig ist die vorgegebene<br />
»korrekte« Lösung bei der Aufgabe zum<br />
Sonnenuntergang. Mit der fehlerhaften<br />
Lösungsvorgabe wird genau das nicht<br />
überprüft, was eigentlich Sinn der Aufgaben<br />
im Bereich Lesen ist: neben der richtigen<br />
Informationsentnahme nämlich die<br />
richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Wer<br />
5.34 Uhr angibt, hat sie nicht gezogen.<br />
Nun sind Grundschullehrerinnen und<br />
-lehrer nicht so herzlos, <strong>Kinder</strong> in diese<br />
sprachlichen und sachlichen Fallen laufen<br />
zu lassen. Also wurden, wie man unter der<br />
Hand immer wieder hört, unerlaubte Hilfen<br />
vielerlei Art gegeben. Die Ergebnisse<br />
sind so für die vergleichende Auswertung<br />
natürlich nicht brauchbar.<br />
Horst Bartnitzky,<br />
Autor zahlreicher<br />
Veröffentlichungen<br />
zur Deutschdidaktik.<br />
2. Teil: Wortarten, Wortbedeutungen<br />
und Satzglieder<br />
– Sprachbetrachtung<br />
Die Kategorie, unter denen diese Aufgaben<br />
laufen, nämlich Sprachbetrachtung<br />
ist eine didaktische Hochstapelei. Tatsächlich<br />
geht es weder um Betrachtung<br />
noch um Reflexion sondern um Kenntnisse:<br />
sieben Multiple-Choice-Aufgaben<br />
zu den Wortarten Verb und Adjektiv und<br />
acht zu Satzgliedern. Dazwischen sieben<br />
Aufgaben zu Redewendungen und Wortbedeutungen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
11
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
Zu den Wortarten<br />
Natürlich ist eine solche Aufgabe möglich.<br />
Aber sie zeigt nichts von dem, was<br />
für den Lernbereich Sprachbetrachtung /<br />
Sprachreflexion / Sprachuntersuchung<br />
wichtig ist. Dies nämlich sind die Denkleistungen<br />
der <strong>Kinder</strong>, die hinter den<br />
Entscheidungen für eine Wortart stehen.<br />
Ein Verb (oder Tunwort) erkennt man<br />
eben nicht einfach daran, dass man dort<br />
»etwas tut«. Was wären denn dann die<br />
»Tunixwörter« wie faulenzen oder bleiben,<br />
die Hilfs- und Modalverben? <strong>Kinder</strong> müssen<br />
vielmehr ein Gespür für Wortarten<br />
entwickeln und das ist nur über Denkbewegungen<br />
und sprachliche Operationen<br />
möglich. Ein Beispiel: Warum ist das<br />
angekreuzte Wort ein Verb? Hierzu gibt es<br />
grammatische Proben: Kann ich mit dem<br />
Wort so etwas machen wie: ich schreibe,<br />
er schreibt? Also: ich zehn, er zehn – geht<br />
nicht. Ich ausleihe, er ausleiht – geht,<br />
hier muss aber der Wortbaustein aus<br />
nach hinten gestellt werden: ich leihe<br />
aus, er leiht aus. Allerdings fragt man<br />
sich, warum ausgerechnet ein Verb mit<br />
abtrennbarem Präfix als erstes genommen<br />
wurde, warum nicht das einfachere<br />
wohnen, das zwei Aufgaben später als<br />
Verb identifziert werden soll. Wieder ein<br />
eingebauter Fallstrick.<br />
Die Leistung der <strong>Kinder</strong> zur grammatischen<br />
Terminologie ist nicht das unter<br />
Teststress rasch Angekreuzte, sondern die<br />
Denkleistung, das Operieren mit Wörtern,<br />
das Ausprobieren, zu welcher Kategorie<br />
ein Wort gehört. Reines Abfragen öffnet<br />
aber kein Fenster auf die Denkbewegungen,<br />
die für jeden Grammatikunterricht<br />
das zentrale Anliegen sein müssen.<br />
Zu den Satzgliedern<br />
»Ein Satzglied im oberen Satz ist eingerahmt.<br />
Kreuze das gleiche Satzglied im unteren<br />
Satz an.<br />
Man stolpert sofort über die eingebauten<br />
Fallen: Nähkästchen sind aus der Mode<br />
gekommen, viele Mütter haben keins.<br />
Was also sollen sich <strong>Kinder</strong> darunter<br />
vorstellen? Rechtschriftlich gedacht:<br />
Das Personalpronomen sein ist groß geschrieben,<br />
das suggeriert, es müsse am<br />
Satzanfang stehen; tatsächlich aber ist<br />
es die richtige Lösung und müsste dann<br />
klein geschrieben werden. In der vorgegebenen<br />
Form ist es dort nicht einsetzbar.<br />
Die angebotenen Satzglieder bilden, von<br />
oben nach unten gelesen, einen eigenen<br />
Satz – ein Aufgabenformat, das die meisten<br />
<strong>Kinder</strong> nicht kennen werden, weil es<br />
schulisch ungebräuchlich ist. Eine weitere<br />
Falle.<br />
Die <strong>Kinder</strong> verwenden in einem<br />
modernen Grammatikunterricht die<br />
sprachlichen Proben: umstellen, ersetzen,<br />
ergänzen, weglassen. Sie haben den Rang<br />
eigener Ziele im Lernbereich »Sprache und<br />
Sprachgebrauch untersuchen«. So auch in<br />
den Bildungsstandards im Fach Deutsch<br />
Klasse 4, auf die sich die Kultusministerkonferenz<br />
verständigt hat (dort S. 15). Die<br />
sprachlichen Proben sind grundlegende<br />
Operationen, um ein Gefühl auch für<br />
Satzglieder zu erhalten. Deshalb werden<br />
viele <strong>Kinder</strong> hier die Ersatzprobe verwenden.<br />
Was lässt sich für Fäden und Bänder<br />
einsetzen? Richtig wäre: das Taschenmesser.<br />
Was hat aber Michas Taschenmesser<br />
im Nähkästchen verloren? Vom Alltagswissen<br />
her betrachtet: gar nichts. Also<br />
kann die Antwort auch nicht richtig sein.<br />
Dann eher schon Petra, falls das Kind eine<br />
Puppe dieses Namens hat.<br />
Wieder wären Begründungen wichtig,<br />
um zu erkennen, warum ein Kind eine<br />
bestimmte Lösung gefunden hat. Was<br />
holt Micha …?, ebenso: Was schenkt er<br />
Petra …? Fäden und Bänder sind also eine<br />
Wen-oder-was-Ergänzung, Taschenmesser<br />
ebenso.<br />
An den Kostproben kann deutlich<br />
werden: Sprachschwächere und unsichere<br />
<strong>Kinder</strong> werden irre und raten; klug<br />
denkende, ihr Alltagswissen nutzende<br />
<strong>Kinder</strong> geraten in die Fallen, ohne dass sie<br />
erklären dürfen, wie sie ihre möglicherweise<br />
auch falschen Antworten gefunden<br />
haben. Lernprozesse,<br />
um die sich<br />
die <strong>Grundschule</strong><br />
viel müht, nämlich<br />
mit Sprache<br />
zu operieren und<br />
über sprachliche<br />
Auffälligkeiten<br />
und Strukturen nachzudenken, sind nicht<br />
gefragt. Stattdessen Aufgabenstellungen,<br />
bei denen offenbar mit Lust Fallen eingebaut<br />
wurden. Was kann man da schon<br />
mit den Ergebnissen anfangen?<br />
Zu Wortbedeutungen<br />
Hierzu gibt es zwei Aufgabentypen. Die<br />
eine über Redensarten, die andere zu<br />
treffenden Wörtern. Je ein Beispiel soll<br />
kommentiert werden.<br />
Ähnlich folgen die Redewendungen: »sich<br />
etwas aus dem Kopf schlagen«, »mit dem<br />
Kopf durch die Wand gehen«, »sich den<br />
Kopf zerbrechen«.<br />
Ohne Zweifel sind Redewendungen<br />
ein Thema im Sprachunterricht der<br />
<strong>Grundschule</strong>. Nur – es gibt unzählige:<br />
Redensarten aus der Ritterzeit, Redewendungen<br />
zum Wort Zeit, zum Wort Geld<br />
und viele andere mehr. Es ist schierer<br />
Zufall, wenn gerade die Redewendungen<br />
des Tests im Unterricht bis Anfang Klasse<br />
4 bearbeitet worden wären. Im Übrigen<br />
sind diese Redewendungen gar nicht<br />
überall (mehr) geläufig. Was also wird<br />
12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
hier überprüft? Eben nicht die schulische<br />
Entwicklungsarbeit, vielmehr das sprachliche<br />
Wissen, das <strong>Kinder</strong> von zu Hause<br />
mitbringen. Gehören diese Redewendungen<br />
dort zum Sprachrepertoire, dann kennen<br />
<strong>Kinder</strong> ihre Bedeutung. Sonst nicht.<br />
Dann müssen sie hier raten. Durch die<br />
Schule denkerisch geförderte und sprachlich<br />
sensibilisierte <strong>Kinder</strong> werden auf<br />
Lösungen kommen wie »heimzahlen«,<br />
das ist doch so viel wie zurückgeben, oder<br />
mit der Assoziation »Heim« wie zu Hause:<br />
»an jemanden Miete bezahlen«. Beide<br />
klugen Lösungen sind aber falsch. <strong>Kinder</strong><br />
aus sprachlich wenig gefördertem Milieu<br />
und Migrantenkinder sitzen ratlos vor der<br />
Aufgabe. Aufschluss über die schulische<br />
Arbeit geben diese Aufgaben nicht und<br />
Nachdenken wird durch Fehlernotation<br />
bestraft.<br />
3. Teil: Christian –<br />
Lese verständnis bei einem kontinuierlichen Text<br />
Über Streitsituationen und Möglichkeiten<br />
der Schlichtung zu sprechen, gehört zum<br />
Alltag in jeder Grundschulklasse. Streiten<br />
und Streit schlichten kennen die <strong>Kinder</strong><br />
als korrespondierende Wörter. Aber wer<br />
sagt, dass es nur diese Korrespondenz<br />
gibt? Nirgendwo ist das festgelegt. <strong>Kinder</strong><br />
denken konkret, viele auch konkret-fantasievoll.<br />
Warum also sollte Kathi nicht<br />
versuchen, den Streit zu vertreiben?<br />
<strong>Kinder</strong> fallen schnell Bilder oder kleine<br />
Geschichten ein, wie Streit vertrieben<br />
werden kann. Auch Streit schließen wäre<br />
möglich, der Streit wäre beendet, <strong>Kinder</strong><br />
könnten auch an verschließen denken:<br />
den Streit einsperren. Sogar den Streit<br />
verbessern kann man, denn Streit ist<br />
nicht immer zu schlichten. Aber er muss<br />
angemessen, das heißt mit Worten statt<br />
mit verbaler oder physischer Gewalt<br />
ausgetragen werden. Bei dieser Aufgabe<br />
könnten <strong>Kinder</strong> also mehrere oder sogar<br />
alle Antworten ankreuzen und würden<br />
damit auch ihr Mitdenken unter Beweis<br />
stellen. Wieder gibt es leider keine Möglichkeit,<br />
dass die <strong>Kinder</strong> im Test dies auch<br />
ausdrücken, also verbalisieren können.<br />
Sieht man in die Korrekturanweisung,<br />
dann findet man: mehrere Antworten<br />
sind als Fehler einzutragen. Wieder also<br />
wird Nachdenken bestraft.<br />
Dieser Text soll nicht kritisch gelesen<br />
werden, etwa mit der Überlegung: Was<br />
hätten die <strong>Kinder</strong> schon am Anfang<br />
anders machen können? Wie kann man<br />
einen Neuen in die Klasse integrieren?<br />
Nein, der Text wird, wie die nachfolgenden<br />
sieben Aufgaben belegen, affirmativ<br />
gelesen – das war so und das war gut so.<br />
Lediglich die letzte Aufgabe fragt nach<br />
einer eigenen Stellungnahme, aber auch<br />
hier werden die Antwortmöglichkeiten<br />
eingeschränkt. Dazu später mehr. Nebenbei<br />
fällt übrigens auf, dass die Zeichensetzung<br />
bei wörtlicher Rede durchgängig<br />
fehlerhaft ist. Solche Kleinigkeiten, wie<br />
auch das putzige Wort »raufen« mit dem<br />
steinzeitalten fibelsprachlichen Ausruf:<br />
»Oje, wie die raufen!« sind hier zu vernachlässigen<br />
vor dem Skandal dieser<br />
Textauswahl.<br />
Die Situation des Neuen in der Klasse<br />
wird genutzt, um ihn sogleich als rüpelhaften<br />
Außenseiter zu brandmarken.<br />
Genau so werden Vorurteile gegen Minderheiten<br />
gestärkt und die Aggressivität<br />
der Mehrheit begründet: Minderheiten<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
13
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
sind unsympathisch, passen nicht in die<br />
Gruppe, sind aggressiv und so weiter. Die<br />
Rollen sind klar verteilt:<br />
Der Neue als unsympathischer und<br />
arroganter Schlägertyp, der nur durch<br />
Finten siegen kann; der sympathische<br />
Liebling, der auch noch der starke Held<br />
ist; das Mädchen an der Seite des Helden<br />
und schließlich die Meute der Übrigen,<br />
die mit Gebrüll auf der Seite des Siegers<br />
steht. Am Ende muss der Besiegte die<br />
Gruppengesetze bedingungslos akzeptieren.<br />
Dies ist eine Konstellation, wie sie<br />
aus Kriegs-, Wild-West- und Blut-und-Boden-Filmen<br />
hinlänglich bekannt ist.<br />
In der Geschichte wird dieser für einen<br />
Grundschultext skandalöse Plot dadurch<br />
legitimiert, dass der Neue, also Christian,<br />
eben gerne »rauft«. Kein Gedanke<br />
aber daran, dass man mit einem Neuen<br />
anders umgehen kann und muss, um<br />
ihn zu integrieren, anstatt sich gleich<br />
mit ihm zu prügeln. Da wird die zunehmende<br />
Gewalt in Schulen beklagt und<br />
nun wird eine Prügelgeschichte mit der<br />
Unterwerfung eines Neuen als affirmativ<br />
zu lesender Text von sieben Kultusministerien<br />
abgesegnet und zur Pflichtlektüre<br />
für Hunderttausende von Viertklässlern<br />
gemacht. Friedenserziehung sieht wahrlich<br />
anders aus.<br />
Die Aufgaben sind dann die üblichen<br />
Leseaufgaben:<br />
Informationen dem Text entnehmen:<br />
»Christian ist groß und stark. Wie ist<br />
Jakob? Nenne mindestens zwei Eigenschaften!«<br />
Den Text interpretieren: »Als Jakob<br />
über Kathis Schultasche stolpert, sagt<br />
Christian: ›Danke, liebe Kathi.‹ Warum<br />
sagt er das?« Dann werden vier Antworten<br />
vorgegeben, »er ist schadenfroh« ist<br />
die richtige.<br />
Lediglich die letzte Aufgabe fragt nach<br />
persönlicher Einschätzung:<br />
Hier ist besonders interessant, welche<br />
Antworten in der Korrekturanweisung<br />
als korrekt und als falsch gekennzeichnet<br />
sind:<br />
Es ist schiere Willkür, welche Antworten<br />
als korrekt oder als falsch gelten. Warum<br />
sie so eingeordnet sind, wissen nur die<br />
Konstrukteure, für <strong>Kinder</strong> oder Lehrkräfte<br />
erschließt sich das nicht. »Langweilig,<br />
weil sie zu wenig Action hat« ist offenkundig<br />
falsch, weil hier Action überreich<br />
geboten wird, soll aber als richtig gelten.<br />
Warum ist »ausführlich erzählt« richtig,<br />
»tolle Sachen passieren« aber falsch.<br />
Beides ist, wenn man so will, gleich unpräzise.<br />
»Blöd, weil man so viele Fragen<br />
beantworten muss« gilt als falsch, weil<br />
die Antwort keinen Bezug zum Text hat.<br />
Das ist kleinlich gedacht. Denn die Fragen<br />
haben das Textverständnis der <strong>Kinder</strong> mit<br />
geleitet, die Überlegungen und Antworten<br />
gehören für <strong>Kinder</strong> nun zur Geschichte.<br />
Wenn sie nicht bereits gänzlich verschult<br />
denken und alles hinnehmen, wie es ihnen<br />
angeboten wird, dann mag ihnen auf<br />
die Nerven gehen, in einer so zeitlich eingegrenzten<br />
Zeit so viele Fragen zu diesem<br />
Text beantworten zu müssen. <strong>Kinder</strong>, die<br />
so antworten, zeigen selbstbewusst ihre<br />
Meinung. Abweichendes Denken ist aber<br />
hier wie schon bei allen Aufgaben zuvor<br />
gar nicht gefragt.<br />
Das Kriterium, nach dem Antworten<br />
als korrekt oder als fehlerhaft bewertet<br />
werden, liegt eben nicht im Inhaltlichen<br />
(wo sie hingehörten), sondern allein<br />
in der Form der Antwort. »Gut, weil sie<br />
Einleitung, Hauptteil und Schluss hat<br />
(formaler Textbezug)« wäre zum Beispiel<br />
ebenso eine korrekte Antwort wie »Lustig,<br />
wie der Christian den Jakob auf den<br />
Boden drückt (inhaltlicher Textbezug)«.<br />
Mit dem nicht kontinuierlichen und<br />
diesem kontinuierlichen Text sind, unabhängig<br />
von der Qualität der Aufgabenstellungen,<br />
nur Bruchteile von dem erfasst,<br />
was die Lesekompetenz ausmacht.<br />
Das soll zur Einordnung noch klargestellt<br />
werden: lebendige Vorstellungen beim<br />
Lesen und Hören literarischer Texte,<br />
überhaupt: Umgang mit <strong>Kinder</strong>literatur,<br />
eigene Leseerfahrungen, eigene Gedanken<br />
zu Texten, die Lesekommunikation<br />
in der Klasse, handelnder Umgang mit<br />
Texten – dies alles sind Ziele in den Bildungsstandards<br />
Deutsch Klasse 4, wie sie<br />
die Kultusministerkonferenz vereinbart<br />
hat (KMK, S. 15). In den Tests findet sich<br />
nichts davon.<br />
14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
4. Teil: Jan und der Computer – Schreiben<br />
Offenbar haben die Testkonstrukteure<br />
versucht, kindorientiert die Fähigkeiten<br />
zu prüfen, einer kommunikativen<br />
Schreibaufgabe zu genügen. Das ist im<br />
Grundsatz zu loben. Aber was ist aus der<br />
Grundidee geworden? Ein Junge wünscht<br />
sich von seiner Oma ohne jeden weiteren<br />
Zusammenhang schlankweg einen<br />
Computer. Abgesehen davon, dass es<br />
offenbar einen Opa nicht gibt, dürften<br />
viele Omas finanziell nicht in der Lage<br />
sein, einen solchen Wunsch zu erfüllen<br />
und viele Omas würden wohl auch nicht<br />
bereit sein, einen so »happigen« Wunsch<br />
zu befriedigen. Das Ansinnen ist schlicht<br />
maßlos und Ausdruck der Maßlosigkeit,<br />
mit der heute Werbung <strong>Kinder</strong>wünsche<br />
suggeriert und mit der auch <strong>Kinder</strong><br />
oft beschenkt werden. Dies <strong>Kinder</strong>n in<br />
4. Klassen vorzustellen, als sei es das Normalste<br />
von der Welt, ist ein Schlag gegen<br />
die Konsumerziehung, die auch Auftrag<br />
der Schule ist. Es ist auch unsensibel für<br />
die Situation vieler <strong>Kinder</strong>, die wissen,<br />
dass ihre Oma und mit ihr der Opa von<br />
einer kleinen Rente leben müssen. Was<br />
sollen diese <strong>Kinder</strong> bei dieser Aufgabe<br />
denken? Anders gefragt: In welchem Land<br />
leben diese Testkonstrukteure? Offenbar<br />
in Wunschhausen und sie denken, auch<br />
die <strong>Kinder</strong> leben dort.<br />
Dann kommt der angefangene Brief. Er<br />
ist ein abschreckendes Beispiel dafür, wie<br />
Briefe nicht geschrieben werden dürfen.<br />
Die persönliche Zuwendung, die doch<br />
Kernstück in einem Brief an die Oma<br />
sein müsste, schrumpft auf die Floskel<br />
»Hoffentlich geht es dir gut.« Tatsächlich<br />
interessiert das nicht die Bohne, denn<br />
der Junge geht anschließend sofort zur<br />
Sache. Dass die Oma in einem Brief auch<br />
etwas von ihrem Enkel erfahren möchte,<br />
kommt gar nicht in den Blick. Kaltschnäuziger<br />
kann ein Brief an die Oma<br />
nicht beginnen. Dann gesteht der Junge<br />
seine Brieffaulheit ein: »Sicher wunderst<br />
du dich, warum ich dir schreibe.« Offenbar<br />
hat die Oma<br />
noch nie einen Brief<br />
vom Enkel erhalten.<br />
Warum eigentlich?<br />
Denn die Oma wohnt<br />
doch wohl weit weg,<br />
warum sonst sollte ein<br />
Wunsch in einem Brief<br />
geschrieben werden.<br />
Dieser Briefanfang<br />
eignet sich durchaus<br />
als didaktische Provokation: <strong>Kinder</strong> würden<br />
rasch herausfinden, was hier alles<br />
falsch ist, und würden zu anderen und<br />
angemesseneren Lösungen kommen.<br />
Aber so viel eigenständiges Denken ist<br />
– wieder einmal – nicht gefragt. Auch<br />
hier soll die Vorgabe unkritisch bearbeitet<br />
werden.<br />
Hier entlarvt sich das ganze Dilemma<br />
entfremdeter Aufgaben: Es geht nicht<br />
um Aufgaben, die <strong>Kinder</strong> als die ihren<br />
ansehen können, um Fragen, die ihnen<br />
wichtig sind, erst recht geht es nicht um<br />
ihre Sichtweisen oder ihre Meinungen.<br />
Vielmehr werden künstliche Situationen<br />
hergestellt, in die <strong>Kinder</strong> sich hineinversetzen<br />
sollen, obwohl sie ihnen fremd<br />
sind und, wie bei dieser Aufgabe, sogar<br />
befremdlich. Von der entfremdeten Situation<br />
aus sollen sie dann agieren. Je<br />
jünger <strong>Kinder</strong> sind, desto weniger ist ihnen<br />
das möglich. Ihre Leistungsfähigkeit<br />
entfalten sie nur, wenn sie sich betroffen<br />
fühlen. Da hilft auch keine <strong>Kinder</strong>tümelei<br />
mit »Wunschhausen«.<br />
Ausgewertet werden soll der Brief<br />
dann von der Lehrkraft nach formalen<br />
Kriterien wie Umfang, Schriftbild, Satzkomplexität,<br />
Unterschrift, nach sprachlichen<br />
Kriterien wie Perspektivübernahme,<br />
grammatische Korrektheit, Wortschatz<br />
sowie inhaltlichen Kriterien wie Argumentation,<br />
Originalität und Angemessenheit<br />
der Formulierungen. Auch hier<br />
sind Beispiele angegeben, um den Blick<br />
der Lehrkraft für die Kriterien zu schärfen.<br />
Doch ist die Lehrkraft zum Glück<br />
eigenständig und viele können nach<br />
ihrer Kenntnis der Denkbewegungen von<br />
<strong>Kinder</strong>n die Qualitäten differenzierter<br />
einschätzen.<br />
5. Teil Satzdiktate –<br />
Orthografie<br />
In den zehn Minuten nach der 10-Minuten-Pause<br />
werden 6 Sätze diktiert.<br />
Jeder Satz hat so seine Tücken, deshalb<br />
wurde er so konstruiert. Und eine Regel<br />
gilt: Wörterbücher sind verboten. Die<br />
Begründung ist der Handreichung zur<br />
Durchführung zu entnehmen: »Erläutern<br />
Sie bitte, dass die Untersuchung<br />
unter Klassenarbeitsbedingungen durchgeführt<br />
wird: … die Benutzung eines<br />
Wörterbuches in Deutsch sowie die<br />
Kommunikation unter den Schülerinnen<br />
und Schülern sind nicht gestattet.«<br />
Auch hier zeigt sich die Unkenntnis der<br />
Testkonstrukteure über modernen Grundschulunterricht.<br />
Das Wörterbuch nutzen<br />
gehört zu den grundlegenden Zielen<br />
des Rechtschreibunterrichts. Das in der<br />
Klasse eingeführte Wörterbuch kann,<br />
nein muss deshalb auch bei Klassenarbeiten<br />
verwendet werden. Will man dies<br />
mit Diktaten verbinden, könnten <strong>Kinder</strong><br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
15
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
in einem ersten Gang die Sätze schreiben<br />
und in einem zweiten Gang mit Hilfe<br />
des Wörterbuches Korrektur lesen und<br />
Änderungen mit anderer Farbe eintragen.<br />
Eine schlichte und auch testkompatible<br />
Methode.<br />
Wie zu erfahren ist, wurden den<br />
Testkonstrukteuren vielerlei Beispiele für<br />
didaktisch angemessenere Lernkontrollen<br />
im Rechtschreiben vorgestellt. Auch<br />
wurde erläutert, warum Diktate gerade<br />
nicht das geeignete Mittel sind, um die<br />
Rechtschreibleistungen von <strong>Kinder</strong>n zu<br />
ermitteln. Es half nichts. Es blieb bei<br />
dem, was offenbar Testkonstrukteure mit<br />
Rechtschreiben aus eigener Schulzeit verbinden:<br />
bei Diktaten. Deshalb hier noch<br />
mal: Die wenigsten Bundesländer schreiben<br />
Diktate verbindlich vor. Die Ziele in<br />
den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz<br />
führen notwendigerweise<br />
zu anderen Formen der Überprüfung<br />
der Rechtschreibung als zu Diktaten; da<br />
ist die Rede von: Rechtschreibstrategien<br />
verwenden, fehlersensibel sein, Rechtschreibhilfen<br />
verwenden, methodisch<br />
sinnvoll abschreiben, Übungsformen<br />
selbstständig nutzen, Texte auf ihre orthografische<br />
Richtigkeit überprüfen und<br />
korrigieren (KMK, S. 14).<br />
Sieht man die Diktattexte durch, ist<br />
wieder die Entfremdung der Aufgaben<br />
offenkundig: Warum soll das schreibende<br />
Kind am liebsten Fußball spielen? Vermutlich<br />
hat keine Lehrerin am Tag vorher<br />
einen Schatz versteckt. Die meisten <strong>Kinder</strong><br />
haben keinen Hund usw. Warum nur<br />
müssen die Sätze so persönlich formuliert<br />
sein und damit ihre inhaltliche Falschheit<br />
deutlich machen? Warum werden <strong>Kinder</strong><br />
gezwungen, Sätze über sich aufzuschreiben,<br />
die unwahr sind? Weil die <strong>Kinder</strong><br />
nicht ernst genommen werden und sie<br />
sollen wohl auch nicht ernst genommen<br />
werden. Denn Menschen funktionieren<br />
in der Gesellschaft am besten, wenn sie<br />
persönliche Interessen und Denkmöglichkeiten<br />
erst gar nicht entwickeln. Genau<br />
dieses zynische Menschenbild wird<br />
mit den Aufgaben in den vorgestellten<br />
Vergleichsarbeiten bedient.<br />
Bildung aber ist etwas ganz anderes.<br />
Horst Bartnitzky<br />
Anmerkungen<br />
1. Fundstellen:<br />
Projekt Vera: www.uni-landau.de/vera<br />
KMK: www.kultusministerkonferenz.de/schul/<br />
Bildungsstandards/GS_Deu<br />
2. Zur Sprachdidaktik:<br />
Hierzu gibt es eine reiche Literaturlage.<br />
Zusammenfassend kann man sich orientieren<br />
bei:<br />
Metzger, Klaus / Spiegel, Ute / Spinner,<br />
Kaspar H.: Sprachbezogene Leistungen<br />
würdigen. In: Bartnitzky / Speck-Hamdan<br />
(Hrsg.): Leistungen der <strong>Kinder</strong> wahrnehmen<br />
– würdigen – fördern. Frankfurt a. M.: Grundschulverband<br />
2004<br />
»Allein vor einem Berg unbekannter Aufgaben …«<br />
Als stellvertretender Schulleiter einer<br />
<strong>Grundschule</strong> habe ich die Organisation<br />
und den Ablauf an unserer Schule koordiniert.<br />
Aus dieser Perspektive heraus<br />
möchte ich folgende Aspekte äußern:<br />
■ Die Arbeiten sollen nicht benotet<br />
werden, nicht in die Leistungsbeurteilung<br />
mit einfließen. Nichtsdestotrotz wurden<br />
alle Kollegen aufgefordert, die Mathematikarbeiten<br />
online mit einer Note für den<br />
einzelnen Schüler abzuschließen.<br />
■ Wir führen in der <strong>Grundschule</strong> die<br />
<strong>Kinder</strong> behutsam an die Form der Klassenarbeit<br />
heran. Wobei – auch in den neuen<br />
Richtlinien – an keiner Stelle zu lesen ist,<br />
dass von allen <strong>Kinder</strong>n einer Klasse zum<br />
selben Zeitpunkt dieselbe Klassenarbeit<br />
geschrieben werden soll.<br />
In VERA werden die Schülerinnen und<br />
Schüler gnadenlos vor eine 94-minütige<br />
(!) Deutscharbeit gepflanzt. Ach ja, es<br />
gab ja 10 Minuten Pause …<br />
■ Faktoren, die die Lernentwicklung<br />
fördern, werden völlig außer Acht gelassen:<br />
»Der Unterricht fördert die Fähigkeit<br />
und die Bereitschaft, das eigene Lernen<br />
bewusst und zielgerecht zu gestalten<br />
und mit anderen zusammenzuarbeiten.<br />
Die Lehrkräfte legen deshalb Wert auf eigenständiges<br />
und selbstverantwortliches<br />
Lernen.« (NRW Richtlinien, 16 f)<br />
Bewusst wurden die <strong>Kinder</strong> mit Lerninhalten<br />
konfrontiert, die erst im Verlauf<br />
des vierten Schuljahres »gelehrt« werden.<br />
Wie funktioniert Lernen? Indem man<br />
sich alleine vor einen Berg unbekannter<br />
Aufgaben setzt und diese unter Zeitdruck<br />
irgendwie und auf sich allein gestellt zu<br />
lösen hat? Sicher nicht! Lernen ist immer<br />
ein Zusammenspiel von kommunikativen<br />
und kooperativen Methoden mit kognitivem<br />
Training.<br />
■ Führt man altersgemischte Lerngruppen<br />
der Jahrgänge 1 – 4, dann ist die zentrale<br />
Erfassungsinstitution Universität<br />
Landau (immerhin ist sie jetzt bekannt<br />
geworden!) völlig überfordert. Gibt man<br />
für eine Lerngruppe Schülerzahlen von<br />
8 oder 10 an, gilt dies als Fehler und es<br />
sind scheinbar keine Auswertungen<br />
möglich. Man erhält vielmehr Post vom<br />
zuständigen Ministerium, sich möglichst<br />
gestern dazu zu äußern, wann denn die<br />
Dateneingabe endlich abgeschlossen sei.<br />
Ein Hoch auf die Akzeptanz der altersgemischten<br />
Lerngruppen! (Veras Hotlines<br />
sind übrigens ständig besetzt. Versuchen<br />
Sie es mal: 0 63 41 / 2 80-1 13 / 4 78 oder<br />
2 60).<br />
■ Ja sicher, ich weiß doch, man möchte<br />
mit VERA bewusst die Spitzen herausfinden,<br />
die unser Land weiterbringen.<br />
<strong>Kinder</strong>, wir brauchen euch!<br />
Wir haben eure Ausbildung vermasselt!<br />
Wer 15 Jahre alt ist, kann nicht lesen;<br />
wer Ausländer ist, kann kein Deutsch; wer<br />
der sozialen Unterschicht angehört, hat<br />
praktisch keine Chance auf ein Abitur.<br />
Helft uns, <strong>Kinder</strong>! Wir müssen weiterselektieren,<br />
wir müssen die Spitzen eines<br />
jeden Jahrgangs herausfinden, damit sie<br />
uns zeigen, wie Lernen funktioniert.<br />
Wir wissen es nicht mehr!<br />
(Der Autor ist der Redaktion bekannt.)<br />
16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
VERA Mathematik 2004<br />
VERbesserungsbedürftige Aufgaben! VERkapptes Ausleseinstrument?<br />
Am 28.09.04 – in NRW war dies drei Wochen<br />
nach Schuljahresbeginn – schrieben<br />
alle Viertklässlerinnen und Viertklässler<br />
in den beteiligten sieben Bundesländern<br />
die VERA-Vergleichsarbeit in Mathematik.<br />
Zehn der insgesamt 20 Aufgaben<br />
zur Lernstandserhebung waren zentral<br />
vorgegeben und sind mittlerweile auf<br />
der Projekt-Website einsehbar (www.unilandau.de/vera).<br />
Die zehn weiteren<br />
Aufgaben wurden von jeder Schule individuell<br />
aus einem Internet-Aufgabenpool<br />
zusammengestellt.<br />
Die <strong>Kinder</strong> hatten 50 Minuten Zeit,<br />
um die Aufgaben unter verschärften<br />
Klassenarbeitsbedingungen zu bearbeiten.<br />
Anschließend mussten die<br />
Korrekturanweisungen für die einzelnen<br />
Aufgaben aus dem Internet heruntergeladen<br />
werden. Die Lehrerinnen und Lehrer<br />
analysierten die Aufgabenbearbeitungen<br />
bis Mitte November und übermittelten<br />
dann ihre kodierten Bewertungen dem<br />
Landauer Server. Mittels eines Passwortes<br />
kann nun jede Schule ihre Ergebnisse auf<br />
der VERA-Website abrufen.<br />
Zu einem solch ambitionierten Projekt<br />
wie VERA mit seinen Chancen und<br />
Gefahren gibt es vieles zu sagen (vgl.<br />
Brügelmann 2005). Ich konzentriere<br />
mich hier auf drei ausgewählte Aspekte,<br />
die auch in dem folgenden Zitat von Peek<br />
und Dobbelstein (2003, 18; Hervorh.<br />
durch CS) zum Ausdruck kommen, den<br />
VERA-Koordinatoren für NRW.<br />
»Inwieweit Lernstandserhebungen<br />
positive Impulse in die Schulen bringen<br />
und dazu beitragen, fachdidaktische<br />
und pädagogische Zielperspektiven weiterzuentwickeln,<br />
oder unsere Schul- und<br />
Lernkultur negativ verändern, hängt entscheidend<br />
von der Qualität der Testaufgaben,<br />
von der Auseinandersetzung und<br />
Akzeptanz von Lernstandserhebungen<br />
in den Kollegien und insbesondere vom<br />
Umgang mit den Ergebnissen sowohl in<br />
den Schulen als auch auf Seiten der Bildungspolitik<br />
ab.«<br />
1. Zur Qualität<br />
der Testaufgaben<br />
Exemplarisch bespreche ich im Folgenden<br />
für jeden der drei Inhaltsbereiche Arithmetik,<br />
Geometrie und Sachrechnen eine<br />
Aufgabe ausführlicher und thematisiere<br />
daran jeweils eine zentrale Fragestellung.<br />
Inwieweit stammen die Aufgaben<br />
aus dem Kernbereich des Unterrichts?<br />
Von den zehn zentralen Aufgaben sind<br />
drei der Arithmetik zuzuordnen, so auch<br />
die Aufgabe 2.<br />
In manchen Bundesländern ist die Vorrangregel<br />
›Klammer vor Punkt- vor Strichrechnung‹<br />
erst Inhalt des 4. Schuljahres.<br />
Die entsprechenden <strong>Kinder</strong> verfügten<br />
also zum Zeitpunkt der Testdurchführung<br />
– zumindest in Bezug auf b) und c) – über<br />
keine diesbezüglichen schulischen Vorerfahrungen.<br />
So wurde dann eher die Fähigkeit<br />
erhoben, mitgeteilte Konventionen<br />
unmittelbar anwenden zu können.<br />
Die Aufgabenbearbeitung wird dadurch<br />
erschwert, dass das Minuszeichen<br />
und der Malpunkt optisch nur schwer zu<br />
differenzieren sind. Zudem ist die Passage<br />
›geht vor‹ nicht unbedingt selbsterklärend.<br />
Die Aufgabenanforderung entstammt<br />
zudem nicht dem Kernbereich<br />
des Arithmetikunterrichts der Klassen 1<br />
bis 4, so wie ihn die einzelnen Lehrpläne<br />
und die bundesweiten Bildungsstandards<br />
vorsehen.<br />
■ Bei der Aufgabe 7 sind in drei eher<br />
ungewohnte Gleichungen des Typs 72<br />
_ 8 = 4 _ 5 die richtigen Rechenzeichen<br />
einzusetzen.<br />
■ Die Aufgabe 8 lautet: ›Du würfelst<br />
mit zwei Würfeln. Das Produkt der<br />
Augenzahlen ist 12. Die Summe der<br />
Augenzahlen ist 7. Welche Augenzahlen<br />
zeigen deine Würfel?‹<br />
Da also auch die anderen beiden Arithmetikaufgaben<br />
weniger das abtesten,<br />
was normalerweise im Zentrum des<br />
Unterrichts stehen sollte, ist es eine berechtigte<br />
Frage, ob man hier tatsächlich<br />
von einer inhaltsbezogenen Erhebung<br />
des Lernstandes sprechen kann oder nicht<br />
eher die Fähigkeit abgetestet wird, neue<br />
bzw. wenig bekannte Aufgabenanforderungen<br />
zu bewältigen.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
17
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
Inwieweit fangen die Auswertungskriterien<br />
das Denken der <strong>Kinder</strong><br />
authentisch ein?<br />
Der Geometrie können drei Aufgaben<br />
zugeordnet werden.<br />
■ Bei der Aufgabe 3 müssen in vier Abbildungen<br />
jeweils die Anzahlen der<br />
Kugeln bestimmt werden, aus denen<br />
Pyramiden mit quadratischer Grundfläche<br />
gebaut wurden.<br />
■ In den beiden Teilaufgaben von 5 geht<br />
es darum, durch das gedankliche Umlegen<br />
von zwei Dreiecken aus einem<br />
vorgestellten Quadrat eine vorgegebene<br />
Figur zu erzeugen.<br />
Bei der Aufgabe 9 sollen – so der Aufgabentext<br />
– alle möglichen Symmetrieachsen<br />
eingezeichnet werden. Zunächst:<br />
Bei den Teilaufgaben d) und e) kann nicht<br />
festgestellt werden, ob ein Kind (1) zu<br />
dem Schluss gekommen ist, dass es keine<br />
Symmetrieachsen gibt, (2) zu keinem<br />
Ergebnis gekommen ist oder (3) diese<br />
etwa aus Zeitmangel gar nicht bearbeitet<br />
hat. In allen drei Fällen werden die beiden<br />
Teilaufgaben als richtig gewertet, sofern<br />
sich bei a) bis c) Spuren einer Auseinandersetzung<br />
finden.<br />
Für jede der fünf Figuren gibt es Hinweise,<br />
wie die nicht vollständig korrekten<br />
Antworten zu kodieren sind. Am Beispiel<br />
des Rechtecks kann dabei verdeutlicht<br />
werden, dass vernünftige Leistungen<br />
von <strong>Kinder</strong>n nicht immer angemessen<br />
berücksichtigt werden. Die Figur beispielsweise<br />
durch das Anzeichnen eines<br />
zweiten Rechtecks zu erweitern und eine<br />
Symmetrieachse einzuzeichnen, ist eine<br />
produktive Leistung.<br />
Nirgendwo steht aber explizit, dass<br />
man die vorgegebenen Figuren nicht<br />
verändern darf. Das zeichnerische Vervollständigen<br />
symmetrischer Figuren<br />
entspricht zudem der Unterrichtserfahrung<br />
vieler <strong>Kinder</strong>. Solches Vorgehen wird<br />
jedoch genauso als falsch klassifiziert<br />
(Fehler F1) wie die Antworten F2 und F3,<br />
bei denen die <strong>Kinder</strong> eine oder auch beide<br />
Symmetrieachsen einzeichnen.<br />
Die ausführlichen Korrekturanweisungen<br />
signalisieren also zwar einerseits<br />
eine genaue Analyse der Denkwege, die<br />
dann andererseits bei der Beurteilung der<br />
Leistungen nicht hinreichend einbezogen<br />
wird. Schließlich muss eine teilrichtige<br />
Antwort der Typen F2 oder F3 genauso als<br />
falsch bewertet werden wie die Reaktion<br />
eines Kindes, das keine Ahnung von Symmetrie<br />
zu haben scheint und irgendetwas<br />
einzeichnet.<br />
Inwieweit ist die Aufgabenstellung<br />
verständlich?<br />
Vier der zehn Aufgaben schließlich entstammen<br />
dem Sachrechnen.<br />
■ ›Tom hat 11 Münzen. Es sind nur 1 €-<br />
und 20-Cent-Münzen. Zusammen<br />
hat er 7 Euro. Wie viele Münzen sind<br />
es von jeder Sorte? Probiere aus!‹ (Aufgabe<br />
1)<br />
■ In der Aufgabe 4 sind sieben Umwandlungsaufgaben<br />
des Typs 112 min =<br />
h min aus den Größenbereichen<br />
Zeit, Längen und Geld zu bearbeiten.<br />
■ Bei der Aufgabe 6 sollen die <strong>Kinder</strong><br />
eine Rechengeschichte aus dem Ufo-<br />
Kontext dem Zahlensatz 8 · 24 zuordnen.<br />
Zur Auswahl steht zum Beispiel:<br />
›Von 24 Ufos sind schon 8 abgestürzt.<br />
Wie viele sind übrig?‹<br />
Um die vierte Aufgabe zum Sachrechnen<br />
(Nr. 10) richtig zu beantworten,<br />
müssen die <strong>Kinder</strong> den Begriff ›preiswert‹<br />
so verstehen, wie er von den Aufgabenkonstrukteuren<br />
gemeint ist.<br />
Das billigste ist zweifelsohne das<br />
400-g-Glas, weshalb es Sinn machen<br />
könnte, die Antwort A anzukreuzen. Versteht<br />
man jedoch ›preiswert‹ im Sinne<br />
des Preis-Leistungs-Verhältnisses, dann<br />
ist B richtig. Die Antwort C anzukreuzen,<br />
würde der (häufig in der Schule vermittelten)<br />
Alltagserfahrung entsprechen, dass<br />
18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
große Mengen relativ gesehen günstiger<br />
sind.<br />
Die vierte und die fünfte Antwortmöglichkeit<br />
beinhalten die gewöhnungsbedürftige<br />
Formulierung ›gleich preiswert‹.<br />
Es ist nicht vollkommen ausgeschlossen,<br />
dass diese angekreuzt wurden, wenn<br />
die <strong>Kinder</strong> zwischen zwei Deutungen<br />
des Wortes ›preiswert‹ schwankten:<br />
›Einerseits ist A das billigste, aber B das<br />
günstigste.‹<br />
Nebenbei bemerkt: Die Zeichnung<br />
suggeriert eine ähnliche Form der drei<br />
Gläser und deren gleiche Höhe. Um<br />
beispielsweise die fünffache Menge an<br />
Schokoladencreme aufnehmen zu können,<br />
müsste das Glas C im Vergleich zu<br />
A jedoch um einiges breiter gezeichnet<br />
werden.<br />
Manche meiner Anmerkungen möge<br />
man mir als Spitzfindigkeiten auslegen.<br />
Dabei bin ich mir – auch aus eigener Erfahrung<br />
– der Schwierigkeiten durchaus<br />
bewusst, gute Aufgaben für einen schriftlichen<br />
Test zu konstruieren, der von einer<br />
großen Anzahl von Schülerinnen und<br />
Schülern absolviert und dann (mit vertretbarem<br />
Aufwand) ausgewertet werden<br />
soll. Es gibt vermutlich nicht so viele Aufgaben,<br />
an denen man nicht irgendetwas<br />
kritisieren könnte.<br />
Gleichwohl sollte man an die Aufgabenkonstruktion<br />
auch höchste fachdidaktische<br />
Ansprüche stellen. Das könnte<br />
auch bedeuten, offenere Aufgabenformate<br />
aufzunehmen, die den <strong>Kinder</strong>n<br />
besser ermöglichen würden zu zeigen,<br />
was sie können (vgl. van den Heuvel-<br />
Panhuizen 1995).<br />
Das erhöht natürlich den Korrekturaufwand.<br />
Aber das Signal, das sonst von<br />
diesen Tests für die Gestaltung der schulischen<br />
Praxis ›vor Ort‹ ausgehen könnte,<br />
wäre, dass Mathematik im Wesentlichen<br />
aus Lückentexten und Multiple-Choice-<br />
Aufgaben besteht. Die Aufgaben werden<br />
vermutlich – anders als die nur wenig<br />
bekannten IGLU-Aufgaben – zukünftig<br />
einen gewissen Vorbildcharakter für<br />
Testaufgaben und damit wohl auch für<br />
Lernaufgaben haben.<br />
2. Zum Umgang<br />
mit den Ergebnissen<br />
Zur Analyse und zur Kommunikation der<br />
Ergebnisse werden in allen drei Inhaltsbereichen<br />
drei sog. Fähigkeitsstufen unterschieden.<br />
In der Arithmetik beispielsweise<br />
konkretisiert sich das wie folgt: (1)<br />
Elementare Fähigkeiten: grundlegende<br />
Kenntnisse arithmetischer Verfahren;<br />
(2) Erweiterte Fähigkeiten: umfassende<br />
Kenntnis der Addition und Subtraktion;<br />
(3) Fortgeschrittene Fähigkeiten: flexible<br />
Beherrschung der Grundrechenarten.<br />
Diese Niveaus sind im Wechselspiel<br />
aus theoretischer (Experteneinschätzungen)<br />
und empirischer Fundierung entstanden,<br />
aber letztlich eine Setzung – bei<br />
IGLU oder PISA etwa gibt es fünf Niveaus.<br />
Sie wären in einem gesonderten Beitrag<br />
sicherlich noch genauer zu hinterfragen.<br />
Die Schulen können nun unterschiedliche<br />
Ergebnisse abrufen:<br />
■ Fähigkeitsstufen: eine grafische<br />
Darstellung, aus der hervorgeht, wie<br />
viel Prozent der <strong>Kinder</strong> der eigenen<br />
Klasse und der eigenen Schule sich<br />
gemäß Auswertung in Arithmetik, in<br />
Geometrie und in Sachrechnen auf<br />
Fähigkeitsstufe 1, 2 oder 3 befinden,<br />
selbiges auch im landesweiten Vergleich<br />
und in Relation zu Schulen,<br />
die hinsichtlich relevanter Merkmale<br />
als vergleichbar angesehen werden<br />
(›fairer Vergleich‹),<br />
■ <strong>Kinder</strong>: eine Tabelle, bei der für jedes<br />
Kind verzeichnet ist, auf welcher Stufe<br />
es in den drei Inhaltsbereichen jeweils<br />
eingeordnet wurde,<br />
■ Aufgaben: eine Grafik, die für jede<br />
(Teil-)Aufgabe die Prozentsätze der<br />
jeweiligen Falschlösungen der eigenen<br />
Klasse im Vergleich mit den<br />
Ergebnissen einer Normierungsstudie<br />
angibt, sowie eine Übersicht, bei der<br />
für jede Aufgabe verzeichnet ist, wie<br />
viel Prozent der <strong>Kinder</strong> der eigenen<br />
Klasse und der Zentralstichprobe<br />
diese korrekt lösten,<br />
■ Diagnosefähigkeiten: eine grafische<br />
Darstellung, die Vorabeinschätzungen<br />
der Lehrpersonen, wie viel Prozent der<br />
eigenen <strong>Kinder</strong> die Aufgaben lösen<br />
können, mit den tatsächlich erreichten<br />
Werten vergleicht (diese Vorabeinschätzung<br />
musste allerdings zu<br />
einem Zeitpunkt erfolgen, als ihnen<br />
die Auswertungskriterien noch nicht<br />
bekannt waren), sowie weitere Daten<br />
zur Diagnosegenauigkeit im Vergleich<br />
mit anderen Lehrpersonen.<br />
Diese Übersicht lässt vermuten, dass<br />
ergänzende Informationen zur Individualdiagnose<br />
und Hin-weise für die individuelle<br />
Förderung wohl kaum zu erwarten<br />
sind (vgl. auch Brügelmann 2005). Denn<br />
für ein Kind heißt es dann beispielsweise<br />
lediglich<br />
Arithmetik: Stufe 1, Geometrie: Stufe 2,<br />
Sachrechnen: Stufe 1<br />
VERA ist jedoch nur eine Momentaufnahme,<br />
die einen eingeschränkten<br />
Bereich der mathematischen Kompetenzen<br />
auf sicherlich noch verbesserungswürdige<br />
Weise erhoben hat. Diagnose<br />
gibt es eben nicht auf die Schnelle; hier<br />
gilt es für die Individualbeobachtung geeignetere<br />
Instrumente zu entwickeln und<br />
einzusetzen (vgl. Sundermann & Selter,<br />
i. V.). Auf diese Relativität weisen auch<br />
die Landauer Wissenschaftler hin und<br />
betonen ausdrücklich den ergänzenden<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
19
Thema: Vergleichsarbeiten unter der Lupe<br />
Charakter der interpretationsbedürftigen<br />
Daten von VERA (vgl. die Handreichung<br />
›Zum pädagogischen Nutzen von Vergleichsarbeiten‹).<br />
Hingegen heißt es im auf der Projekt-<br />
Site abrufbaren Elternbrief überraschend<br />
unmissverständlich (Hervorh. durch CS):<br />
»Sie sehen unten eine Tabelle, die Sie über<br />
das derzeitige Leistungsprofil Ihres Kindes<br />
in wichtigen Teilbereichen der Fächer Mathematik<br />
und Deutsch informiert.« Dort<br />
ist dann von der Lehrperson durch Ankreuzen<br />
die jeweilige Stufe in Arithmetik,<br />
Geometrie und Sachrechnen kenntlich zu<br />
machen. Zudem heißt es: »Wenn Ihr Kind<br />
in einem Teilbereich keine auswertbare<br />
Leistung gezeigt hat, empfehlen wir<br />
Ihnen, sich an die Lehrkräfte der Schule<br />
zu wenden. Diese können Ihnen darüber<br />
Auskunft geben, welche Ergebnisse Ihr<br />
Kind bisher im Unterricht erzielt hat.« So<br />
wird das Testergebnis explizit über das<br />
Lehrerurteil gestellt.<br />
Möglicherweise wird die – keineswegs<br />
zweifelsfreie – Zuschreibung eines Kindes<br />
zu den drei Niveaustufen das sein, was<br />
letztlich viele Lehrerinnen und Eltern<br />
primär zur Kenntnis nehmen werden. Ich<br />
erwarte, dass natürlich auch der ›faire‹<br />
Christoph Selter<br />
ist Grundschullehrer und Diplom-<br />
Pädagoge.<br />
Er arbeitet als Hochschullehrer<br />
für Mathematik und ihre Didaktik<br />
an der PH Heidelberg.<br />
Sein Arbeitsschwerpunkt ist<br />
das Lehren und Lernen von<br />
Mathe matik im Grundschulalter.<br />
http://www.ph-heidelberg.de/wp/<br />
selter/<br />
Vergleich für Diskussionen sorgen wird.<br />
Nur: Welche mathematikunterrichtsbezogenen<br />
Konsequenzen werden Schulen<br />
daraus ziehen können?<br />
Meine zugegebenermaßen zugespitzte<br />
Vermutung bez. der anderen<br />
Daten ist: Ob der Fehler 1 in der eigenen<br />
Klasse von 4 % der <strong>Kinder</strong> begangen<br />
wurde (ein Schüler!) und in der Vergleichsgruppe<br />
von 5 % ist in den Augen<br />
vieler Lehrpersonen (mit Recht) für die<br />
Weiterentwicklung des eigenen Unterrichts<br />
genauso wenig wirklich zentral wie<br />
die Erkenntnis, dass andere Lehrerinnen<br />
und Lehrer die Prozentsätze richtiger<br />
Lösungen besser oder schlechter vorhersagten<br />
als man selbst.<br />
Was eigentlich auch mit dem Anspruch<br />
der individuellen Förderung konzipiert<br />
worden ist – wozu allerdings fast zur<br />
Mitte des vierten Schuljahres kaum Zeit<br />
verbleibt –, wird dann vielleicht vorwiegend<br />
zur Selektion verwendet. Schließlich<br />
sind es drei Niveaustufen, und die Ergebnisse<br />
werden am Jahresende bekannt, einer<br />
für das Aussprechen der Übergangsempfehlungen<br />
hoch relevanten Zeit.<br />
Es bleiben weitere offene Fragen in<br />
Bezug auf die Durchführung und die<br />
Wirkung von VERA, die Brügelmann<br />
(2005) anspricht und denen ich nur einen<br />
Gesichtspunkt hinzufügen möchte:<br />
Momentan ist für Lernstandserhebungen<br />
nach den Vorgaben der Landesregierungen<br />
kein Schulranking vorgesehen. Was<br />
passiert aber bei einem möglichen Regierungswechsel,<br />
zum Beispiel 2005 in NRW?<br />
Mitglieder der FDP-Fraktion sprechen sich<br />
bereits nachhaltig dafür aus, Test-Ergebnisse<br />
als Grundlage für ein Ranking zu<br />
nutzen (http://www.fdp-fraktion-nrw.de/,<br />
Abruf 13.12.04).<br />
3. Zur Akzeptanz<br />
in den Kollegien<br />
Die Akzeptanz von zentralen Lernstandserhebungen<br />
hängt wesentlich davon ab,<br />
dass die Lehrerinnen und Lehrer sie als<br />
Erleichterung und Bereicherung erfahren.<br />
Versucht man, Eindrücke und Rückmeldungen<br />
aus der Unterrichtspraxis zu<br />
systematisieren, so scheint dieses beim<br />
ersten Durchlauf, der offensichtlich unter<br />
enormem Zeitdruck stattfand, auf breiter<br />
Basis nicht der Fall gewesen zu sein.<br />
VERA weist sicherlich eine Reihe von<br />
begrüßenswerten Elementen auf; das<br />
Projekt soll die Lehrpersonen bei der<br />
Weiterentwicklung des Unterrichts unterstützen.<br />
VERA wird jedoch nach meinen<br />
Eindrücken häufig als zusätzliche Pflicht<br />
erlebt, die Zeit absorbiert, die nicht wenige<br />
der ohnehin schon am Rande der Belastbarkeit<br />
arbeitenden Lehrerinnen und<br />
Lehrer aus eigener Sicht lieber effektiver<br />
einsetzen würden, da sie den Ertrag von<br />
VERA als nicht angemessen erachten. An<br />
den Schulen, zu denen ich Kontakt habe,<br />
dauerte das Auswählen, Ausdrucken,<br />
Kopieren, Heften, Auswerten, Studieren<br />
der Korrekturanweisungen, Eingeben und<br />
Hochladen der Resultate allein für Mathematik<br />
mehr als 20 Zeitstunden, also eine<br />
halbe Arbeitswoche.<br />
Damit VERA die gewünschte Wirkung<br />
entfalten kann, ist es m. E. im nächsten<br />
Durchgang nicht nur erforderlich, die<br />
organisatorischen und technischen Probleme<br />
besser in den Griff zu bekommen,<br />
sondern auch die Aufgabenqualität zu<br />
steigern und die Ergebnisse so aufzuarbeiten,<br />
dass eine über die Zuweisung<br />
zu Niveaustufen hinausgehende Unterrichtsrelevanz<br />
besser zu erkennen ist.<br />
Christoph Selter<br />
Literatur<br />
Brügelmann, Hans (2005): Wahrheit durch<br />
VERA? In: <strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>. H. <strong>89</strong>, S. 7 – 9<br />
Peek, Rainer & Peter Dobbelstein (2003):<br />
Mehr als Wiegen und Messen. In: Forum<br />
Schule, H. 2, S. 14 – 18<br />
van den Heuvel-Panhuizen, Marja (1995):<br />
Leistungsmessung im aktiv-entdeckenden<br />
Mathematikunterricht. In: Brügelmann,<br />
Hans u. a. (Hg.): Am Rande der Schrift.<br />
Zwischen Sprachenvielfalt und Analphabetismus.<br />
Lengwil: Libelle, S. 87 – 107<br />
Sundermann, Beate & Christoph Selter<br />
(i. V.): Leistung im Mathematikunterricht:<br />
mehr als Klassenarbeiten. Berlin: CVK<br />
20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
Praxis: Leistungen wahrnehmen und fördern<br />
»Weil wir viel entdecken, erfinden und machen …«<br />
Leistungen im Mathematikunterricht<br />
»Weil wir viel entdecken, erfinden und<br />
machen«, darum findet Kevin – am Ende<br />
der Klasse 4 befragt nach seinem Lieblingsfach<br />
– Mathe gut. In seiner Klasse<br />
hatte sich im Laufe der vier Grundschuljahre<br />
eine Kultur entwickelt, in der die<br />
Mathematik als Arbeit und Abenteuer<br />
erlebt wurde. Neugierig auf Neues,<br />
Schwieriges, entdeckten die <strong>Kinder</strong><br />
selbstständig und mit großem Eifer<br />
mathematische Zusammenhänge im<br />
Umgang mit geeigneten Materialien, übten<br />
sie Erkanntes in vielfältiger Weise ein<br />
und, was für sie das Wichtigste war: Sie<br />
durften selbst Erfinder sein und darüber<br />
mit ihren Mitschülerinnen, Mitschülern<br />
und der Lehrerin diskutieren. Die Lehrerin<br />
war übrigens immer wieder überrascht<br />
von der Vielzahl, der Vielfalt und der Qualität<br />
der Ideen. Dass dies alles auch in die<br />
Leistungsbewertung einfließen musste,<br />
versteht sich von selbst.<br />
Lernstände feststellen<br />
Wenn der Lehrer / die Lehrerin beobachtet,<br />
was die <strong>Kinder</strong> tun, kann er / sie Lernstände<br />
feststellen. Dabei richtet er / sie<br />
seinen Blick nicht auf das Produkt der<br />
Leistung sondern auf den Lernprozess.<br />
Dazu müssen Situationen geschaffen<br />
werden, die Beobachtungen ermöglichen.<br />
Das geschieht am leichtesten in einem<br />
Unterricht mit offenen Angeboten, in<br />
dem die <strong>Kinder</strong> einzeln oder in Kleingruppen<br />
arbeiten. Wenn die Lernumgebung<br />
einen hohen Aufforderungscharakter<br />
zeigt und so beschaffen ist, dass sie die<br />
Lernenden anregt, selbstständig zu handeln<br />
und sich die Inhalte – soweit möglich<br />
– selbst zu erschließen, dann hat der<br />
Lehrer / die Lehrerin genügend Zeit, etwa<br />
den folgenden Beobachtungskriterien<br />
nachzuspüren:<br />
■ Eigene Ideen (Prescht das Kind vor?<br />
Bringt es Beobachtungen aus der Umwelt?)<br />
■ Problemlöseverhalten (Welche Strategien<br />
entwickeln die <strong>Kinder</strong>? Können<br />
sie Bekanntes in Neues integrieren?)<br />
■ Arbeitshaltung<br />
■ Selbsteinschätzung<br />
■ Anstrengungsbereitschaft<br />
■ Soziales Verhalten (Wie arbeitet das<br />
Kind mit anderen zusammen?)<br />
■ Anspruchsniveau (Was wählen die<br />
<strong>Kinder</strong> aus? Schwierige anspruchsvolle<br />
Aufgaben oder leichte? Wählen<br />
sie überhaupt etwas aus oder erwarten<br />
sie eine Aufgabenstellung?)<br />
Vor allem zu Beginn der 1. Klasse ist es<br />
erforderlich, zur Schülereingangsdiagnostik<br />
die Lernstände der Einzelnen<br />
festzustellen. <strong>Kinder</strong> werden nicht als<br />
»unbeschriebene Blätter« eingeschult.<br />
Ihre Kompetenzen, vor allem auch im<br />
mathematischen Bereich, sind bei vielen<br />
weitaus höher, als die Inhalte der Richtlinien<br />
und der Schulbücher anbieten.<br />
Allerdings sind sie bei den Einzelnen auch<br />
sehr unterschiedlich. Deshalb ist es eine<br />
der ersten Aufgaben, die Vorkenntnisse<br />
und das Niveau des mathematischen Verständnisses<br />
bei jedem Kind festzustellen,<br />
um evtl. Fördermaßnahmen einleiten zu<br />
können bzw. Fordermaterialien bereitzustellen.<br />
Einen ersten Einblick kann man<br />
sich verschaffen mit der Frage »Was weißt<br />
du schon über Mathematik? … über Zahlen?<br />
… übers Wiegen? u. a.« Die Ergebnisse<br />
geben erste Anlässe zu Nachfragen oder<br />
Gesprächen. Einen weiteren Einblick in<br />
die Lernstände geben Beobachtungen.<br />
– wie oben beschrieben –, aber auch spielerische<br />
Formen wie die Fotorallye. 1<br />
Beobachtungsbögen und Diagnoseaufgaben<br />
möge man der Fachliteratur<br />
entnehmen, sie würden den Rahmen<br />
dieses Artikels sprengen.<br />
Auch im Laufe der Grundschuljahre müssen<br />
die <strong>Kinder</strong> kontinuierlich beobachtet<br />
werden und Lernstände immer wieder<br />
punktuell festgestellt werden. So können<br />
Vorerfahrungen aktualisiert und in den<br />
Unterricht integriert werden.<br />
Auch hier kann man ausgehen von<br />
der Frage »Was weißt du schon über …?«<br />
Standardisierte Tests können hilfreich<br />
sein, wenn der Lehrer / die Lehrerin sicher<br />
sein will, dass die Qualität der Arbeit den<br />
angestrebten Kompetenzen der Richtlinien<br />
und Lehrpläne entspricht.<br />
Besonders zu empfehlen ist die<br />
Teilnahme an Wettbewerben wie dem<br />
Landeswettbewerb NRW. 2 Die Ergebnisse<br />
geben nicht nur dem Lehrer / der Lehrerin<br />
Aufschluss über die Leistungsstände,<br />
sondern dienen auch den Schülerinnen<br />
und Schülern als Bestätigung ihrer Fähigkeiten<br />
und motivieren stark, sich mit<br />
noch schwierigeren Problemstellungen<br />
auseinander zu setzen.<br />
Lernentwicklungen bestätigen<br />
Wenn Schülerinnen und Schüler selbstständig<br />
arbeiten, individuell unterschiedliche<br />
Denkstrukturen und Lösungswege<br />
entwickeln, wenn sie selbst erforschen,<br />
um mathematisches Verständnis zu entwickeln,<br />
sind die Ergebnisse ihrer Lernprozesse<br />
individuell verschieden. Die<br />
klassischen Klassenarbeiten und Tests<br />
scheiden somit aus.<br />
Nun fürchten aber viele Eltern, dass<br />
sie dann keinen Überblick mehr über die<br />
Leistungen ihrer <strong>Kinder</strong> haben und auch<br />
die Zeugnisnote nicht mehr als arithmetisches<br />
Mittel errechnen können, (was<br />
ja eigentlich sowieso nicht erlaubt ist).<br />
Den Überblick soll nun der Mathepass<br />
ermöglichen, allerdings einen Überblick<br />
über alle erbrachten Leistungen. Er hält<br />
fest, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten,<br />
Kenntnisse, Einstellungen und Haltungen<br />
das einzelne Kind zu einem bestimmten<br />
Zeitpunkt erbracht oder erworben hat.<br />
»Aus der qualitativen Gesamtschau<br />
erwächst dann eine Bewertung. Diese<br />
Kommentare haben gegenüber einer Bepunktung<br />
zudem den Vorteil, den Schülern<br />
inhaltliche Rückmeldungen über die<br />
spezifischen Qualitäten ihrer Arbeit zu<br />
geben.« 3<br />
Nun kann ein Mathepass so angelegt<br />
sein, dass er die Lernentwicklung für ein<br />
halbes Jahr beschreibt. 4 Das dient vor<br />
allem der Elterninformation. Manchmal<br />
erscheint es aber für die <strong>Kinder</strong> überschaubarer,<br />
die Entwicklung in einem<br />
Teilbereich zu bestätigen. Wenn es z. B.<br />
um das Schnelligkeitstraining der Einmaleinsreihen<br />
geht, bietet sich folgendes<br />
Verfahren an: Das Kind trainiert mit<br />
entsprechenden Materialien und meldet<br />
sich bei der Lehrerin zum »Test«. Die überprüft<br />
und bestätigt durch einen Stempel<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
21
Praxis: Leistungen wahrnehmen und fördern<br />
Henny Küppers<br />
war Lehrerin und<br />
Fachleiterin, sie<br />
arbeitete an Volks-,<br />
Haupt-, Gesamtund<br />
<strong>Grundschule</strong>.<br />
Sie lebt in Krefeld.<br />
hennykueppers@<br />
t-online.de<br />
im »1x1-Ausweis«. <strong>Kinder</strong>, die alle Reihen<br />
»geschafft« haben, dürfen selbst ihre Mitschüler<br />
testen.<br />
Neben Mathepässen der beschriebenen<br />
Art eignen sich auch Urkunden,<br />
Bescheinigungen u. Ä. zur Bestätigung<br />
der Lernentwicklung.<br />
Lerngespräche führen<br />
1. Mathegespräche<br />
In einem Offenen Unterricht bringen <strong>Kinder</strong><br />
häufig und gern von sich aus Fragen<br />
ein, die sie geklärt haben möchten. »Ich<br />
habe da gestern im Fernsehen etwas über<br />
… gesehen.« »Meine Mutter hat mir etwas<br />
über … erzählt.« »Mein Bruder rechnet im<br />
Gymnasium mit … . Können wir das auch<br />
mal machen?« »Ich hab auf einem Plakat<br />
… gesehen. Hat das auch was mit Mathe<br />
zu tun?« »Gibt es eigentlich außer<br />
dem Zehnersystem auch noch andere<br />
Zahlensysteme?«<br />
Das sind typische Einleitungssätze<br />
zu Problemen, die uns häufig dann im<br />
Unterricht beschäftigen. Grundschulkinder<br />
sollte man nicht unterschätzen.<br />
Sie sind oft zu viel schwierigeren<br />
Auseinandersetzungen bereit und in<br />
der Lage, als man von den Richtlinien<br />
her ahnen kann. Grundsätzlich trauen<br />
sie sich erst mal alles zu. Die auf<br />
Fragen wie oben angedeutet folgenden<br />
Unterrichtsstunden verlaufen äußerst<br />
spannend. Es entsteht in der Klasse eine<br />
Atmosphäre, in der die Mathematik als<br />
eine Herausforderung erlebt wird, der es<br />
sich zu stellen lohnt. Die <strong>Kinder</strong> befassen<br />
sich freiwillig mit den Inhalten, sie haben<br />
ein gutes Gespür dafür zu entscheiden,<br />
ob sie für sie geeignet sind oder nicht.<br />
Wer damit überfordert ist, steigt aus und<br />
bearbeitet andere Aufgaben.<br />
Am Weltspartag brachten wir Pfennige,<br />
die wir im 2. Schuljahr gesammelt<br />
hatten (das Ziel waren 100 Pfennige), zur<br />
Sparkasse: 13780 Stück. Das sind »locker<br />
vom Hocker« 140 DM. Auf dem Rückweg<br />
wurde hochgerechnet. Wie lange haben<br />
wir jetzt gesammelt? 3 Monate. Wie viel<br />
Monate hat noch mal ein Jahr? Dann sind<br />
es am Ende des 3. Schuljahres etwa 4 x<br />
140 DM, also rund 600 DM, am Ende von<br />
Klasse 4 doppelt soviel, also 1200 DM. Da<br />
für die <strong>Kinder</strong> längst feststand, dass sie<br />
bis zu einer Million weiter sammeln wollten,<br />
war die Rechnerei hiermit noch nicht<br />
beendet. Wenn wir in dem Tempo weitermachen,<br />
brauchen wir ca. 20 Jahre, bis wir<br />
eine Million Pfennige haben. Da das nicht<br />
erreichbar ist, wollen sie ausrechnen, wie<br />
viel Geld jedes Kind pro Tag mitbringen<br />
muss, damit wir das Ziel doch noch erreichen.<br />
Da mir das beim Gehen doch etwas<br />
zu kompliziert zu sein scheint, schlage<br />
ich vor, dieses Problem in der Schule mit<br />
Hilfe von Papier und Bleistift anzugehen.<br />
Sie erinnern mich in den nächsten Wochen<br />
und Monaten immer wieder daran,<br />
bis ich endlich nachgebe.<br />
Wir errechnen über 3 DM pro Kind pro<br />
Tag. Das schreckt sie nicht ab, daran zu<br />
glauben, dass wir es doch noch schaffen<br />
werden, weil wir dann nämlich »eine<br />
Klassenfahrt nach Afrika oder Kanada<br />
machen«.<br />
2. Gespräche über Präsentationen/<br />
(Gruppen-)Arbeitsergebnisse<br />
Michaela hat sich diese Zahlenanordnung<br />
zum Entdecken ausgedacht. Auf<br />
Bitten der Lehrerin vergrößert sie sie auf<br />
ein DIN-A4-Blatt. Fünf Schüler melden<br />
sich, die sich damit beschäftigen wollen.<br />
Danach stellen sie ihre Überlegungen der<br />
Klasse vor. Das Ergebnis sieht so aus:<br />
Die Gruppe präsentiert das Ergebnis der<br />
Klasse und diskutiert es mit allen <strong>Kinder</strong>n.<br />
(Die Linien sind übrigens farblich<br />
unterschiedlich, so dass die Entdeckungen<br />
deutlicher ins Auge springen.)<br />
3. Knobelaufgaben<br />
»Sich kreativ verhalten«, »mathematisieren«<br />
und »argumentieren« sind grund -legende<br />
Qualifikationen, die in allen neuen<br />
Lehrplänen für Mathematik gefordert<br />
werden. Deshalb stehen eine Knobelkartei<br />
und Denkspiele ständig bereit, werden<br />
erweitert und ergänzt, zunehmend auch<br />
von <strong>Kinder</strong>n.<br />
Hausaufgaben werden als Wochenhausaufgaben<br />
gestellt, damit die <strong>Kinder</strong><br />
lernen, ihre Arbeit selbstständig zu<br />
strukturieren. Es sind Aufgaben aus<br />
verschiedenen Bereichen, u. a. regelmäßig<br />
die Knobelei der Woche. Es kommt<br />
nicht darauf an, dass die <strong>Kinder</strong> diese<br />
Aufgabe lösen, sondern dass sie sich<br />
damit auseinander setzen. Wenn sie die<br />
Schwierigkeiten spüren, sind sie stärker<br />
motiviert, wenn wir Montags uns mit der<br />
Lösung befassen. Sie können im Laufe der<br />
Woche die Lehrerin immer wieder ansprechen.<br />
Sie wird ihnen nur Tipps für den<br />
Lösungsweg geben oder Lösungsansätze<br />
bestätigen. So entsteht im Laufe der Woche<br />
eine gute Kommunikation zwischen<br />
Lehrerin und Kind, die der Lehrerin auch<br />
Aufschluss über die Denkwege Einzelner<br />
gibt.<br />
Die ständige Herausforderung, die<br />
Denkspiele – wie z. B. der »Turm von<br />
Hanoi« – darstellen, bereichern die Arbeit<br />
dadurch, dass immer wieder neue<br />
Erkenntnisse zu immer wieder neuen<br />
Diskussionen führen, bis die zugrunde<br />
liegende mathematische Struktur erfasst<br />
ist.<br />
Die <strong>Kinder</strong> finden ihre Bemühungen<br />
bei regelmäßig in der Schule oder darüber<br />
hinaus stattfindenden Wettbewerben<br />
durch gute Ergebnisse belohnt.<br />
Eigene Lernwege beschreiben<br />
1. Lerntagebuch<br />
Das Lerntagebuch ist ein geeignetes<br />
Medium, um eigene Ideen, Lernwege,<br />
Entdeckungen und Erfindungen festzuhalten.<br />
Die <strong>Kinder</strong> sind vom 1. Schultag an<br />
daran gewöhnt, Dinge, die ihnen wichtig<br />
sind, ins Lerntagebuch zu schreiben, zu<br />
zeichnen, zu kleben, …<br />
22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
Praxis: Leistungen wahrnehmen und fördern<br />
Hier werden Lernprozesse schriftlich<br />
dokumentiert: Wie hast du die Aufgabe<br />
gelöst? Wie hast du gerechnet? Das Lerntagebuch<br />
stellt für die <strong>Kinder</strong> eine Grundlage<br />
dar zur Selbstreflexion, ist gleichzeitig<br />
für den Lehrer ein Diagnosemittel für<br />
den Lernstand des Schülers.<br />
2. Portfolio<br />
<strong>Kinder</strong> forschen, machen Entdeckungen<br />
und Erfindungen, stellen Spiele oder Arbeitsblätter<br />
(z. B. Zum Üben) her.<br />
Besonders gelungene Arbeiten werden<br />
im Portfolio gesammelt, gewürdigt und<br />
entsprechend weiterverwendet.<br />
3. Selbstzeugnis<br />
»Die schriftliche Addition kann ich jetzt<br />
schon, weil ich so oft verdoppelt habe.«<br />
Und das war tatsächlich so. Andreas<br />
hatte mit großer Freude eine Zeit lang<br />
alle möglichen (mehr als zehnstelligen)<br />
Zahlen verdoppelt und dabei entdeckt,<br />
dass es sinnvoll ist, mit dem kleinsten<br />
Stellenwert zu beginnen. Diese Erkenntnis<br />
hatte er schnell auf die schriftliche<br />
Addition übertragen.<br />
Schülerinnen und Schüler, die ihre eigenen<br />
Lernprozesse reflektieren, lernen ihre<br />
Stärken und Schwächen kennen, können<br />
sich besser einschätzen. Sie übernehmen<br />
zunehmend Verantwortung für ihr Lernen<br />
und gewinnen an Selbstvertrauen. Ein<br />
selbstbewusstes Kind ist eher bereit,<br />
mit Ausdauer und Geduld vorhandene<br />
Schwächen und Schwierigkeiten zu überwinden.<br />
Henny Küppers<br />
Anmerkungen<br />
1 Scherer/Bönig, Mathematik für <strong>Kinder</strong><br />
– Mathematik von <strong>Kinder</strong>n; S. 63 ff;<br />
Grundschulverband 2004<br />
2 Landesweiter Mathematikwettbewerb für<br />
Schülerinnen und Schüler der Klassen 4,<br />
Dortmund<br />
3 T. Lenders, Selbstständiges Lernen und<br />
Leistungsbewertung, in Der Mathematikunterricht,<br />
Heft 3/2004, S. 71<br />
4 Der »Mathepass« erscheint demnächst in<br />
H. Bartnitzky u. a. (Hrsg.): Pädagogische<br />
Leistungskultur: Materialien für Klasse 1<br />
und 2 (Mitgliederband 119, Reihe »Beiträge<br />
zur Reform der <strong>Grundschule</strong>«)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
23
Praxis: Leistungen wahrnehmen und fördern<br />
Lesen- und Schreibenlernen in der Eingangstufe:<br />
beobachten, dokumentieren, begleiten<br />
Diagnostische Kompetenzen gehören zu<br />
den Schlüsselkompetenzen des Lehrerberufes.<br />
1 Vor allem in der <strong>Grundschule</strong><br />
und hier in besonderem Maße in der<br />
Eingangsstufe hat diese Kompetenz an<br />
Bedeutung gewonnen. Dabei geht es<br />
um mehr, als es Lernstandserhebungen,<br />
engmaschige Beobachtungsraster und<br />
computerausgewertete Leistungskurven<br />
nahe legen: Es geht um ein professionelles<br />
Handeln im<br />
Diagnostische Kompetenz umfasst<br />
Schulalltag, um in<br />
die Kenntnis von geeigneten Beobachtungs-<br />
und Diagnoseverfahren, die<br />
bezogen auf das Material und die Zeit<br />
ökonomisch sind<br />
und die Fähigkeit, die gewonnenen Erkenntnisse<br />
systematisch festzuhalten,<br />
z. B. in Form von Schülerberichten, Beobachtungsbögen,<br />
Lernbegleitbögen.<br />
Angelika Gadow<br />
Grund- und Hauptschullehrerin,<br />
Fachleiterin für<br />
Deutsch am Studienseminar<br />
Kleve<br />
heterogenen Lerngruppen<br />
Entwicklungsprozesse<br />
angemessen<br />
fördern<br />
zu können. Es geht<br />
um die Erhebung<br />
der individuellen<br />
Lernvoraussetzungen,<br />
damit Aufgabenstellungen,<br />
die<br />
Materialauswahl, unterschiedliche methodische<br />
Zugänge und die Zeitplanung<br />
kurzfristig und auf längere Sicht besser<br />
auf die Bedürfnisse der einzelnen <strong>Kinder</strong><br />
abgestimmt werden können.<br />
In der Regel kommen <strong>Kinder</strong> neugierig<br />
und lernfreudig in die Schule – und sie<br />
kommen dort an mit sehr unterschiedlichen<br />
Vorerfahrungen. Für einige von ihnen<br />
eröffnet die Schule einen Blick in eine<br />
neue Welt, in die Welt der Schriftsprache.<br />
Viele aber haben schon vielfältige Erfahrungen<br />
im Umgang mit Schrift gemacht.<br />
Diesen unterschiedlichen Voraussetzungen<br />
muss eine Lehrerin in Deutschland<br />
in der Regel in Klassen gerecht werden,<br />
die eher von 30 als nur von 20 <strong>Kinder</strong>n besucht<br />
werden. Diese <strong>Kinder</strong> bleiben<br />
im Durchschnitt nicht mehr<br />
als fünf Stunden täglich in der<br />
Schule, sie werden durchweg von<br />
einer Lehrperson unterrichtet und<br />
nur im Ausnahmefall von einem<br />
Team. Und die in der Stundentafel<br />
vorgesehenen Förderstunden sind<br />
im Alltag häufig die Stunden, die<br />
neben Kunst, Musik und Religion<br />
am ehesten bei Unterrichtsausfall<br />
gestrichen werden.<br />
Für diesen Alltag müssen geeignete<br />
Elemente und eine Organisation der<br />
Dokumentation gefunden werden, die es<br />
erlauben, den Überblick zu behalten, Beobachtungen<br />
zu bündeln, Akzente zu setzen,<br />
die aber vor allem auch Gelegenheit<br />
geben, mit den Eltern und zunehmend<br />
auch mit dem Kind über diese Beobachtungen<br />
in Austausch zu treten.<br />
Ein Hängeregister mit farbigen Hängetaschen,<br />
in denen die Dokumente gesammelt<br />
werden, steht auf dem Arbeitstisch<br />
der Lehrerin oder in ihrem Arbeitsbereich.<br />
Hier werden Beobachtungsbögen zum<br />
Lern- und Arbeitsverhalten und solche<br />
zum Leistungsstand in den einzelnen<br />
Bereichen, die Ergebnisse punktueller<br />
Leistungsfeststellungen, aber auch kommentierte<br />
Kopien von einigen aussagekräftigen<br />
<strong>Kinder</strong>arbeiten gesammelt.<br />
Ein zweites Hängeregister mit<br />
ebensolchen farbigen, geschlossenen<br />
Hängetaschen steht den <strong>Kinder</strong>n zur<br />
Verfügung. Hier heben sie ihre fortlaufend<br />
wachsenden Lerndokumentationen<br />
auf. Für Deutsch können das z.B. der<br />
Lesepass, das Lesetagebuch,<br />
das Geschichtenheft,<br />
das<br />
Abschreibheft, das<br />
Wörterforscherund<br />
das Abc-Heft<br />
sein.<br />
Die Reiter der<br />
beiden Hängetaschen<br />
werden von<br />
den <strong>Kinder</strong>n selbst beschriftet werden,<br />
auf die Vorderseite der Mappe kann ein<br />
mit Folie überzogenes Bild des Kindes<br />
geklebt werden: Hier wird keine »Akte«<br />
geführt, hier werden gemeinsam Lerndokumente<br />
gesammelt.<br />
Erste Einblicke in den<br />
Umgang mit Schrift<br />
Diagnostische Kompetenz umfasst<br />
die genaue Kenntnis über die Sache,<br />
z. B. über besondere Schwierigkeiten,<br />
die Lernanfänger haben können,<br />
Kenntnisse über den Aufbau und die<br />
Systematik der Schriftsprache, Kenntnisse<br />
über die Stufen der Schreibentwicklung.<br />
Bereits kurz nach dem Schulanfang erlauben<br />
Beobachtungsaufgaben 2 , wie sie an<br />
vielen Stellen in der Fachliteratur vorgestellt<br />
werden, einen Blick darauf, welche<br />
Vorstellungen <strong>Kinder</strong> von Schrift haben:<br />
Buchstabendiktate, freie Schreibaufgaben<br />
und Aufgaben zum Wiedererkennen<br />
von bekannten Logos geben Aufschluss<br />
darüber, wie viele Buchstaben ein Kind<br />
bereits kennt, wie groß der Umfang seines<br />
»naiven Sichtwortschatzes« ist und<br />
ob es Wörter auch dann erkennen kann,<br />
wenn sie nicht in einem vertrauten Kontext<br />
und im Kontrast zu ähnlichen Wörtern<br />
stehen. Diese Groberhebung kann<br />
mit der gesamten Gruppe gemacht werden<br />
und ist weder in der Durchführung<br />
noch in der Auswertung aufwändig.<br />
Trotz ihrer einfachen Handhabung<br />
erlauben diese ersten Lese- und<br />
Schreibaufgaben den Lehrerinnen, die<br />
<strong>Kinder</strong> genauer wahrzunehmen, bei denen<br />
auf Grund fehlender Vorläuferfertigkeiten<br />
eventuelle Schwierigkeiten beim<br />
Schriftspracherwerb möglich sind. Die<br />
geforderten Fähigkeiten geben nämlich<br />
einen Hinweis auf die Vorerfahrungen<br />
im Umgang mit Schrift durch Vorlesen<br />
oder Vorbilder im häuslichen Umfeld.<br />
Somit sind die Ergebnisse, wenn sie auch<br />
keine gezielten Hinweise auf nötige Förderbereiche<br />
geben, Aussagen über den<br />
Entwicklungsstand<br />
des einzelnen<br />
Kindes und zeigen<br />
auf, welche ersten<br />
Konsequenzen<br />
für die Planung<br />
des Unterrichts<br />
gezogen werden<br />
müssen:<br />
Im Durchschnitt<br />
kennen <strong>Kinder</strong> bei der Einschulung 7 – 14<br />
Buchstaben und 1 – 2 Wörter, wobei große<br />
und kleine Buchstaben als zwei gekannte<br />
Buchstaben gezählt werden, auch gespiegelte<br />
Buchstaben als gekannt gelten und<br />
zu den Wörtern auch Vornamen zählen.<br />
■ <strong>Kinder</strong>, die über diesen Werten liegen,<br />
brauchen Anforderungen, die über<br />
elementare Übungen, in denen Laute<br />
abgehört, einzelne Buchstaben wieder<br />
erkannt und nachgeschrieben werden,<br />
hinausgehen.<br />
■ <strong>Kinder</strong>, die unter den oben genannten<br />
Werten liegen, brauchen weitergehende<br />
Aufmerksamkeit, die zum Teil auch mit<br />
zeitaufwändigeren Beobachtungen ver-<br />
24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
Praxis: Leistungen wahrnehmen und fördern<br />
bunden sind, die nicht mehr nur in der<br />
Gesamtgruppe geleistet werden können.<br />
Auch wenn letztlich nicht belegt ist,<br />
dass phonologische Bewusstheit allein<br />
hinreichend dafür ist, das alphabetische<br />
Prinzip zu begreifen, so unterstützt der<br />
spielerische Umgang mit Lautelementen<br />
<strong>Kinder</strong> offensichtlich beim Lesenlernen.<br />
Von daher macht es Sinn, die Fähigkeit<br />
von <strong>Kinder</strong>n, die mit nur geringen Vorläuferfähigkeiten<br />
in die Schule kommen,<br />
zunächst im Bereich der Lautanalyse<br />
genauer zu beobachten. Aufgaben wie<br />
z.B. das Erkennen von Reimwörtern,<br />
das Gliedern von<br />
vorgesprochenen<br />
Wörtern in Silben,<br />
das Heraushören<br />
von gleichen Anlauten<br />
und das<br />
Heraushören eines<br />
Lautes werden von<br />
vielen Begleitmaterialien<br />
der Fibeln<br />
angeboten und<br />
können dazu genutzt<br />
werden, sowohl mit dem einzelnen<br />
Kind als auch in Gruppen von <strong>Kinder</strong>n<br />
oder als gemeinsame Sprachspiele mit<br />
der ganzen Klasse. Die von Hans Brügelmann<br />
und Erika Brinkmann zusammengestellte<br />
»Ideenkiste« bietet hierzu<br />
und zu den weiteren Lernfeldern des Anfangsunterrichts<br />
eine Fülle von Aufgaben<br />
und gezielten Beobachtungshinweisen.<br />
Begleitung auf<br />
dem weiteren Weg<br />
Diagnostische Kompetenz umfasst<br />
Im weiteren Verlauf der ersten Klasse<br />
lassen sich Einblicke in die Entwicklung<br />
der Verschriftungsfähigkeiten gewinnen,<br />
wenn <strong>Kinder</strong> wiederholt vor die Aufgabe<br />
gestellt werden, bisher nicht geübte Wörter<br />
selbstständig zu konstruieren. Im Abstand<br />
von 6– 8 Wochen wird den <strong>Kinder</strong>n<br />
eine Anzahl von Wörtern diktiert, die die<br />
<strong>Kinder</strong> je nach Vermögen selbstständig<br />
konstruieren können.<br />
Diese Aufgabenform wird seit vielen<br />
Jahren mit immer wieder leicht verändertem<br />
Wortmaterial von verschiedenen<br />
Autoren vorgestellt. 4 Gemeinsam ist<br />
allen Wortsammlungen:<br />
■ Es handelt sich um Wörter, die den<br />
<strong>Kinder</strong>n inhaltlich bekannt sind, die<br />
jedoch nicht zu ihren Übungs- oder Fibelwörtern<br />
gehören.<br />
■ Die Wörter repräsentieren ausgewählte<br />
Phänomene: Es sind kurze und<br />
die Fähigkeit, anderen Menschen<br />
die Ergebnisse von Beobachtungen<br />
verdeutlichen zu können. Die aktive<br />
Einbeziehung der Eltern und <strong>Kinder</strong><br />
ist wichtig. In Gesprächen werden die<br />
gewonnenen Ergebnisse transparent<br />
gemacht und die weiteren Planungen<br />
abgesprochen.<br />
längere, aber lauttreue Wörter, es sind<br />
Wörter mit mehrteiligen Graphemen, mit<br />
Auslautverhärtungen, mit häufigen, aber<br />
schlecht abhörbaren Endungen, mit Konsonantenhäufungen.<br />
■ Die zu beobachtenden Schreibstrategien<br />
werden qualitativ unterschiedlichen<br />
Stufen zugeordnet und mit Punkten<br />
bewertet. Jedes Wort erhält eine entsprechende<br />
Punktzahl, das arithmetische Mittel<br />
der in der Folge geschriebenen Proben<br />
zeigt die fortschreitende Entwicklung.<br />
An vielen Schulen wird inzwischen<br />
die Hamburger-Schreib-Probe 5 eingesetzt,<br />
die die Lernentwicklung<br />
vom<br />
Ende der 1. Klasse<br />
an über die <strong>Grundschule</strong><br />
hinweg bis<br />
Klasse 9 erfassen<br />
kann. Auf der<br />
Grundlage ausgewählter<br />
Einzelwörter<br />
wird in diesem<br />
Test nicht nur die<br />
Anzahl der richtig<br />
geschriebenen Wörter und die sog. Graphemtreffer<br />
ausgewertet, der Test ermöglicht<br />
es vor allem, die jeweiligen Rechtschreibstrategien<br />
der <strong>Kinder</strong> zu erkennen.<br />
Auf der Basis einer so differenzierten<br />
Aussage sind dann z. B. Fördermaßnahmen<br />
auch mit <strong>Kinder</strong>n aus verschiedenen<br />
Klassen gezielter zu planen.<br />
Die Texte der <strong>Kinder</strong><br />
Darüber hinaus kann die Lehrerin das<br />
Konzept der HSP für ihre »Alltagsdiagnose«<br />
anwenden. 6 Denn weitaus interessanter<br />
als die bisher dargestellten<br />
»Stichproben« und in ihrer Aussagekraft<br />
Jasmin<br />
bekannte<br />
Buchstaben<br />
Lautorientierung<br />
Wortgrenzen<br />
häufige Wortbausteine/<br />
Wörter<br />
O = teilweise, + = meistens<br />
4. 10.<br />
M,l,a,s,t,i,u<br />
notiert Anlaute<br />
/Munt/ vollständig<br />
viel deutlicher sind die eigenen Texte der<br />
<strong>Kinder</strong>.<br />
Texte schreiben die <strong>Kinder</strong> von Anfang<br />
an. Sind es zunächst Bilder, die das Gemeinte<br />
ausdrücken, so nutzen <strong>Kinder</strong>, die<br />
im Unterricht dazu ermuntert werden,<br />
schnell die Möglichkeit, nicht Darstellbares<br />
durch Schrift zu ergänzen und zu<br />
ersetzen. Lehrerinnen, die mit Hilfe der<br />
oben aufgeführten Diagnoseverfahren<br />
ihren Blick für die Besonderheiten der<br />
Verschriftlichung während des Schriftspracherwerbs<br />
geschärft haben, erhalten<br />
durch diese Texte vielfältige Hinweise,<br />
die im Laufe der beiden Eingangsklassen<br />
kontinuierlich erweitert werden können.<br />
In die Matrix eines Beobachtungsbogens<br />
gebracht, können die verschiedenen<br />
Beobachtungen übersichtlich gebündelt<br />
werden (siehe Tabelle).<br />
Die Matrix ist bewusst »grob« angelegt<br />
und umfasst zunächst auch nicht<br />
alle Bereiche. Im Unterrichtsalltag ist es<br />
wichtig, arbeitsökonomisch<br />
Akzente zu<br />
setzen. Bei einem<br />
Kind wie dem oben<br />
dargestellten erübrigt<br />
es sich, den<br />
Buchstabenbestand<br />
und den Bestand an häufigen Wortbausteinen<br />
/ Wörtern weiter zu protokollieren,<br />
weil es bereits früh in der Lage war,<br />
lautorientiert zu verschriften.<br />
Dieser Beobachtungsbogen würde<br />
bei einem Kind, das hier noch mehr Zeit<br />
braucht, anders aussehen: Die zeitlichen<br />
Abstände wären kürzer und die Lehrerin<br />
würde das jeweilige Buchstabeninventar<br />
aufführen.<br />
Da in der Eingangstufe der Schwerpunkt<br />
der Arbeit im Bereich des Schrei-<br />
15. 12.<br />
+ bei längeren<br />
Wörtern manchmal<br />
nicht bis zum<br />
Schluss<br />
O<br />
ich<br />
12. 1.<br />
+<br />
+<br />
Diagnostische Kompetenz umfasst<br />
die Fähigkeit, die Bereiche genau zu<br />
beschreiben, die beobachtet werden<br />
sollen.<br />
bei und wir haben<br />
sich<br />
22. 4.<br />
+ schreibt Nomen<br />
mit großem Anfangsbuchstaben<br />
auch : ie, chs !!<br />
+ teilweise bereits<br />
Satzgrenzen<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
25
Praxis: Leistungen wahrnehmen und fördern<br />
bens von Texten beim Planen und Aufschreiben<br />
und weniger im Überarbeiten<br />
liegt, bietet es sich an, dass die <strong>Kinder</strong><br />
ihre Texte sofort in ein festes Heft, das<br />
Geschichtenheft, schreiben und so automatisch<br />
eine Dokumentation über<br />
ihren Lernweg entsteht, der auch von<br />
Eltern nachvollzogen werden kann. Ihnen<br />
ist ein vom Können ausgehender Blick<br />
auf die Texte ihrer <strong>Kinder</strong> allerdings oft<br />
ungewohnt. Geprägt von ihren eigenen<br />
Erwartungen sehen sie eher die Defizite,<br />
die Lücken, die Fehler. Das gemeinsame<br />
Durchblättern des Geschichtenheftes,<br />
begleitet durch sachliche Hinweise durch<br />
die Lehrerin, z. B. im Rahmen eines Elternsprechtages,<br />
kann hier zu einem Perspektivwechsel<br />
führen.<br />
Um sich als Lehrerin selbst schnell<br />
einen Überblick zu verschaffen, kann<br />
es hilfreich sein, einige aussagekräftige<br />
Texte eines Kindes pro Halbjahr zu kopieren,<br />
schriftlich zu kommentieren und<br />
in die eigene Dokumententasche zu<br />
übernehmen.<br />
Lesen in freien Lesezeiten<br />
Die Dokumentation der Leseentwicklung<br />
erscheint auf den ersten Blick unweit<br />
schwieriger als die der Schreibentwicklung.<br />
Folgt man jedoch den begründeten<br />
Forderungen nach freien Lesezeiten, wie<br />
sie inzwischen in vielen Schulen erfolgreich<br />
praktiziert werden, ergeben sich<br />
auch hier vielfältige Möglichkeiten der<br />
dokumentierbaren Lernbeobachtung.<br />
Während die <strong>Kinder</strong> selbstständig<br />
lesen, wird die Lehrerin sie möglichst zurückhaltend<br />
beobachten – wenn sie nicht<br />
selber liest und so ein Lesevorbild gibt. Sie<br />
wird bemerken, welche Bücher das Kind<br />
auswählt, ob es unterschiedliche Bücher<br />
liest oder immer wieder dasselbe Buch<br />
nutzt. Es gibt <strong>Kinder</strong>, die das Lesen selbst<br />
unter wenig angespannten Bedingungen<br />
verweigern. Wo könnten die Gründe liegen?<br />
Mit wie viel Ausdauer bleibt ein Kind<br />
beim Buch? Auch Beobachtungen, ob es<br />
beim Lesen die Lippen bewegt oder den<br />
Finger nutzt und wie lange es für eine<br />
Seite braucht, geben Aufschluss über das<br />
Lesevermögen. Wenn der Lesestoff freigestellt<br />
wird, erhält die Lehrerin überdies<br />
viele Informationen über das häusliche<br />
Lesen, über Lesevorlieben oder Interessensgebiete.<br />
Diese Beobachtungen werden<br />
notiert, entweder in einen Bogen<br />
ähnlich dem oben abgebildeten oder in<br />
einem knappen Text.<br />
Diese Außensicht wird ergänzt durch<br />
das, was die <strong>Kinder</strong> selbst dokumentieren.<br />
In Lesepässen halten sie fest, welche<br />
Bücher sie gelesen haben. Dabei geht es<br />
zunächst noch nicht um eine inhaltliche<br />
Auseinandersetzung oder um eine Bewertung,<br />
sondern nur um das Festhalten<br />
des eigenen<br />
Erfolges und des<br />
Fortschritts. Ein<br />
solcher Lesepass<br />
kann zunächst ein<br />
aus einem Blatt<br />
gefaltetes Büchlein<br />
sein, in dem die<br />
Buchtitel jeweils<br />
mit dem Datum<br />
aufgeführt werden.<br />
Wenn die vorgegebene Anzahl, die gering<br />
gehalten sein sollte, erreicht ist, erhalten<br />
die <strong>Kinder</strong> durch den Stempel und die<br />
Unterschrift der Lehrerin ein Zertifikat<br />
(s. Kopiervorlage rechts).<br />
Dieser kleine Lesepass wird im Laufe<br />
der Zeit ersetzt durch eine Kladde im DIN-<br />
A5-Format, Nach jeder Lesezeit notieren<br />
die <strong>Kinder</strong> das Datum, den Autor oder<br />
die Autorin, den Titel des Buches und<br />
die gelesenen Seiten. Je nach Vermögen<br />
setzen sie sich dann mit dem Gelesenen<br />
auseinander: Sie malen dazu ein Bild oder<br />
einen Comic, sie erzählen kurz das Wichtigste<br />
nach oder überlegen jeweils, wie<br />
es weitergehen könnte, sie bewerten das<br />
Gelesene und schreiben ihre Begründung<br />
auf. Aus dem einfachen Lesepass wird<br />
so ein sehr persönliches Dokument, ein<br />
Lesetagebuch, das schon früh die Lesevorlieben<br />
der <strong>Kinder</strong> wiedergeben kann<br />
und in dem die Lehrerin auch »nach«lesen<br />
kann, wie die Leseentwicklung eines Kindes<br />
verlaufen ist. 7<br />
Lesetests<br />
Diagnostische Kompetenz umfasst<br />
Im Heft Nr. 84 / November 2003 wurde<br />
der von W. Metze entwickelte Stolperwörter-Lesetest<br />
vorgestellt, auf den an<br />
dieser Stelle nur hingewiesen werden<br />
soll. Dieser Test zeigt recht zuverlässig<br />
an, wenn ein Kind besondere Aufmerksamkeit<br />
benötigt. Da er jeweils am Ende<br />
des Schuljahres wiederholt wird, kann<br />
er Leseentwicklungen eines Kindes gut<br />
nachvollziehbar machen. Sein Vorteil<br />
liegt darin, dass er auch unter den in den<br />
Klassen üblichen Bedingungen schnell<br />
mit allen <strong>Kinder</strong>n bearbeitet werden kann<br />
und somit alltagstauglich ist.<br />
Über das Lernen sprechen<br />
die Fähigkeit, geeignete Beobachtungssituationen<br />
herbeizuführen oder<br />
wahrzunehmen, z. B. das gezielte<br />
Zuhören und Zuschauen in Phasen<br />
offener Arbeit, das Nutzen von informellen<br />
Gesprächen mit <strong>Kinder</strong>n, das<br />
gemeinsame Auswerten mit einzelnen<br />
<strong>Kinder</strong>n oder in der gesamten Gruppe.<br />
Eine langfristig angelegte Sammlung von<br />
Dokumenten sowohl durch die Lehrerin<br />
als auch durch die <strong>Kinder</strong>, wie sie hier<br />
dargestellt wurde und die durch weitere<br />
Dokumente der <strong>Kinder</strong> ergänzt werden<br />
kann, bleibt<br />
dennoch immer<br />
dann fruchtlos<br />
und lediglich ein<br />
Sammeln von Einzelaussagen,<br />
ohne<br />
ein Gesamtbild zu<br />
gewinnen, wenn<br />
diese Dokumente<br />
nicht genutzt werden,<br />
um mit den<br />
<strong>Kinder</strong>n über ihren Lernweg zu sprechen.<br />
Auch in der Eingangsstufe können Fragen<br />
wie »Was ist dir heute schwer gefallen?«,<br />
»Wer kann dir einen Hinweis geben, wie<br />
es besser geht?« den <strong>Kinder</strong>n helfen, das<br />
eigene Lernen selbst »unter die Lupe zu<br />
nehmen«. Eine Abschlussrunde ab Freitag<br />
unter dem Impuls »Das kann ich jetzt!<br />
Das weiß ich jetzt!« dient den <strong>Kinder</strong>n<br />
als Lernbestätigung und der Lehrerin als<br />
Rückmeldung. Mit zunehmender Schreibfähigkeit<br />
kann diese Rückmeldung in<br />
regelmäßigen Abständen auch schriftlich<br />
erfolgen.<br />
Anmerkungen<br />
1 Helmke / Hosenfeld / Schrader: Vergleichsarbeiten als Instrument<br />
zur Verbesserung der Diagnosekompetenz von Lehrkräften.<br />
In: Arnold / Griese (Hrsg.): Schulmanagement und Schulentwicklung.<br />
Hohengehren, 2004<br />
2 Richter / Brügelmann: Der Schulanfang ist keine Stunde Null.<br />
Schrifterfahrungen, die <strong>Kinder</strong> in die Schule mitbringen. In:<br />
Brügelmann / Richter (Hrsg.): Wie wir recht schreiben lernen.<br />
Lengwil, 1994<br />
Brinkmann: Lernen die <strong>Kinder</strong> denn dabei genug? In : <strong>Grundschule</strong><br />
Deutsch 1/2004<br />
3 Brinkmann / Brügelmann: Ideen-Kiste 1, Schrift-Sprache. Hamburg<br />
2000<br />
4 Dehn: Zeit für die Schrift. Lesenlernen und Schreibenkönnen.<br />
Bochum, 1988<br />
Brinkmann: Lernen die <strong>Kinder</strong> denn dabei genug? In : <strong>Grundschule</strong><br />
Deutsch 1/2004<br />
Brinkmann / Brügelmann: 9 Wörter Diktat. In: Buchstaben, Wörter<br />
und Bilder. Kopier vorlagen zur Ideen-Kiste<br />
5 May: Hamburger Schreibprobe (HSP 1 – 9)<br />
6 Vgl. May: Strategiebezogene Rechtschreib diagnose – mit und ohne<br />
Test: Analyse von freien Schreibungen mit Hilfe der HSP-Kategorien.<br />
In: Balhorn / Bartnitzky / Büchner / Speck-Hamdan (Hrsg.):<br />
Schatzkiste Sprache 1. Frankfurt (AKG – Band 103)<br />
7 Bertschi-Kaufmann: Bücher öffnen Welten<br />
8 www.lesetest1-4.de<br />
9 Vgl. von Wedel-Wolff: Üben im Leseunterricht der <strong>Grundschule</strong>.<br />
Braunschweig 2001. S. 88 – 92<br />
10 Dazu auch: Projekt LUST www.uni-siegen.de/~agprim/lust.<br />
26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
1<br />
3<br />
2 4
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Baden-Württemberg<br />
Anschrift: Dipl.-Päd. Adolf Messer, Stockacker 15, 79252 Stegen, www.gsv-bw.de<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Berliner Allee 22d, 86153 Augsburg<br />
Anschlussfähigkeit des Bildungsauftrages<br />
– Kooperation von <strong>Kinder</strong>garten<br />
und <strong>Grundschule</strong> in Bayern<br />
Der »Gemeinsame Rahmen der Länder<br />
für die Frühe Bildung in <strong>Kinder</strong>tageseinrichtungen«<br />
der Jugendministerkonferenz<br />
vom 13./14.05.04 und der<br />
Kultusministerkonferenz vom 03./<br />
04.06.04 intendiert die Anschlussfähigkeit<br />
des Bildungsauftrags über<br />
institutionelle Grenzen hinweg. Angestrebt<br />
werden damit eine Kontinuität<br />
von Bildungsprozessen und eine<br />
Vermeidung von Brüchen, die die <strong>Kinder</strong><br />
häufig beim Wechsel vom <strong>Kinder</strong>garten<br />
in die <strong>Grundschule</strong> erfahren.<br />
Die langjährige Forderung des Grundschulverbandes<br />
nach einer engeren<br />
Verzahnung von vorschulischen Einrichtungen<br />
mit der <strong>Grundschule</strong> und<br />
die bereits im bayerischen Lehrplan der<br />
<strong>Grundschule</strong> von 1981 formulierte Kooperation<br />
der beiden Institutionen sind<br />
somit wieder <strong>aktuell</strong>.<br />
In Bayern werden gegenwärtig erneut<br />
Bemühungen unternommen, dieser<br />
Forderung zu entsprechen. Seit vergangenem<br />
Schuljahr wird im Rahmen einer<br />
Initiative zur besseren Verzahnung von<br />
Vorschule und Schule eine Kooperation<br />
zwischen <strong>Kinder</strong>garten und <strong>Grundschule</strong><br />
durch Kooperationsbeauftragte<br />
angestrebt. In diesem Schuljahr folgt<br />
ein Schulversuch »KIDZ <strong>Kinder</strong>garten<br />
der Zukunft« (www.km.bayern.de/km/<br />
lehrerinfo/amtliches/meldung/01524/<br />
index.asp). Im Rahmen der Initiative<br />
wurden von beiden Institutionen Kooperationsbeauftragte<br />
bestimmt, die<br />
in sog. Tandems (bestehend aus einer<br />
Erzieherin und einer Grundschullehrerin)<br />
arbeiten. Die einführende überregionale<br />
Fortbildung fand getrennt für<br />
beide Personenkreise statt. Die Umsetzung<br />
des Vorhabens ist deutlich<br />
von den regionalen Bedingungen abhängig.<br />
Einzelne Initiativen wie beispielsweise<br />
die der Landeshauptstadt<br />
München als dem größten kommunalen<br />
Träger von <strong>Kinder</strong>tagesstätten in<br />
der Bundesrepublik und der Universität<br />
München als einem der Hauptstudienorte<br />
für das Lehramt an <strong>Grundschule</strong>n<br />
in Bayern demonstrieren, wie<br />
eine gemeinsame Fortbildung mit großem<br />
Erfolg und reger Nachfrage umgesetzt<br />
werden kann. Denn letztlich sind<br />
die Kooperationspartner vor Ort auf<br />
sich alleine gestellt. Der Schulversuch<br />
KIDZ ist ein Gemeinschaftsprojekt der<br />
Bayerischen Staatsministerien für Unterricht<br />
und Kultus und für Arbeit und<br />
Sozialordnung, Familie und Frauen und<br />
wird unterstützt von der Stiftung Bildungspakt<br />
Bayern und von der Vereinigung<br />
der Bayerischen Wirtschaft.<br />
Ziel ist die schrittweise und wissenschaftlich<br />
abgesicherte Optimierung<br />
Runder Tisch <strong>Grundschule</strong><br />
will bessere Bildungskonzepte<br />
»Chancen ergreifen: Schule gemeinsam<br />
gestalten!« Unter diesem Motto<br />
lud der Runde Tisch <strong>Grundschule</strong> in Baden-Württemberg<br />
zur dritten gemeinsamen<br />
Tagung nach Ludwigsburg ein.<br />
Gemeinsam vertraten die Vertreter/<br />
innen von GEW und VBE, Aktion Humane<br />
Schule (AHS), Landeselternbeirat,<br />
Arbeitskreis Gesamtelternbeiräte und<br />
der GSV-Landesgruppe die Auffassung:<br />
»Nur wenn wir Schule gemeinsam gestalten,<br />
können wir die Chancen der<br />
Veränderung nutzen!« Auch darüber,<br />
dass bessere Bildungskonzepte notwendig<br />
sind, herrschte unter den Anwesenden<br />
Einigkeit.<br />
Bernd Rechel brachte dies auf den<br />
Punkt: »Was seit 2001 und PISA I auf<br />
den Weg gebracht wurde, reicht nicht<br />
aus, um im internationalen Vergleich<br />
wirklich zu bestehen. Die Mängel im<br />
Bildungssystem sind auch in Baden-<br />
Württemberg unübersehbar, trotz aller<br />
Anstrengungen, die der Runde Tisch<br />
durchaus anerkennt.«<br />
In seinem Hauptvortrag ließ Richard<br />
Meier die Errungenschaften der Grundschulpädagogik<br />
der letzten 40 Jahre in<br />
ihren wesentlichen Zügen Revue passieren<br />
und machte deutlich, dass hier<br />
bereits viel geleistet wurde. Andererseits<br />
bleibe noch viel zu tun: »Die Lernarbeit<br />
in der <strong>Grundschule</strong> muss sich<br />
konsequent weiter entwickeln weg<br />
vom Lehren hin zum Lernen lassen und<br />
›Lernen machen‹. Dazu notwendig ist<br />
ein lebendiger Wechsel zwischen gemeinsamer<br />
und individueller Zuwendung<br />
zur Situation und Aufgabe.«<br />
In »Ideenwerkstätten« wurde zu unterschiedlichen<br />
Themenstellungen<br />
über diese notwendigen Weiterentwicklungen<br />
nachgedacht und an Beispielen<br />
aufgezeigt, dass es durchaus<br />
Spielräume gibt, die auch genutzt werden<br />
sollten.<br />
(für die Landesgruppe: Edgar Bohn)<br />
eines individuellen und begabungsgerechten<br />
Übergangs von <strong>Kinder</strong>garten<br />
und <strong>Grundschule</strong>. <strong>Kinder</strong> im Alter von<br />
drei bis sechs Jahren werden in einer<br />
Gruppe gemeinsam von einer Erzieherin<br />
und einer Grundschullehrerin<br />
individuell betreut, unterrichtet und<br />
gefördert. Nach Durchlaufen der KIDZ-<br />
Stufe sollen diese <strong>Kinder</strong> in die zweite<br />
Grundschulklasse eingeschult werden.<br />
Angelegt ist der Versuch auf fünf Jahre.<br />
Im Schuljahr 2004/2005 nehmen drei<br />
Schulen mit ihren kooperierenden <strong>Kinder</strong>gärten<br />
in Mittelfranken teil.<br />
Aus der Sicht der Landesgruppe besteht<br />
in beiden Vorhaben die weitreichende<br />
Möglichkeit, die Anschlussfähigkeit<br />
von Wissen, Fähigkeiten und<br />
Fertigkeiten der <strong>Kinder</strong> zu sichern.<br />
Gleichwohl muss eine Vernetzung von<br />
Bildungsinhalten und -prozessen das<br />
Professionsverständnis der beteiligten<br />
Personen und das Selbstverständnis<br />
der Institutionen samt ihrer Aufgaben<br />
im Blick haben. Beide Institutionen,<br />
<strong>Kinder</strong>garten und <strong>Grundschule</strong>, sollten<br />
die Felder selbst bestimmen, auf denen<br />
sie zusammenarbeiten. Perspektivisch<br />
könnten eine bessere curriculare<br />
Abstimmung und systematische Konzepte<br />
entwickelt werden, die bisher<br />
vorhandene Erkenntnisse nutzen.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Christina Mahrhofer)<br />
Bremen<br />
Vorsitzende: Karin Sanders,<br />
Langenstr. 11, 28816 Stuhr<br />
Mitgliederversammlung<br />
am 29.11.2004<br />
Auf der diesjährigen Mitgliederversammlung<br />
wurde der Vorstand der Landesgruppe<br />
einstimmig bestätigt (Vorsitzende:<br />
Karin Sanders / Delegierte:<br />
Roswitha Kremin / Schatzmeisterin:<br />
Dr. Petra Milhoffer / Schriftführerin:<br />
Inge Tietjen / Medienfachmann: Günter<br />
Griesch). In einem einführenden<br />
Referat erläuterte Frau Prof. Dr. Petra<br />
Milhoffer (Universität Bremen) neuere<br />
Erkenntnisse einer geschlechtergerechten<br />
Leseförderung.<br />
Die leider sehr geringe Beteiligung bei<br />
unserer Mitgliederversammlung führte<br />
zu Überlegungen, ob die derzeit intensiven<br />
Grundschulaktivitäten der<br />
Landesgruppe unter diesen Voraussetzungen<br />
personell weiterhin leistbar<br />
sind.<br />
Offensichtlich ist diese Form der Mitgliederversammlung<br />
nicht mehr zeitgemäß.<br />
Darum wird überlegt, über<br />
eine Mitgliederbefragung Anregungen<br />
und Wünsche zu sammeln.<br />
PISA, VERA, KESS 4<br />
In den vergangenen Wochen hat die<br />
Landesgruppe mit verschiedenen<br />
Stellungnahmen in der Presse und im<br />
Rundfunk auf die Studien reagiert.<br />
Eine Umfrage zu VERA an allen Bremer<br />
<strong>Grundschule</strong>n zeigte, mit welch<br />
hohem Arbeitsaufwand die Durchführung<br />
der Vergleichsarbeiten für jede<br />
Lehrerin verbunden war.<br />
Hinzu kommt, dass durch die neuen,<br />
weit überdimensionierten Zeugnisse<br />
für die <strong>Grundschule</strong> sehr viel Arbeitszeit<br />
der Lehrerinnen gebunden wird.<br />
Integrativer Schulanfang<br />
Bis zum Jahre 2006 soll möglichst in allen<br />
Bremer <strong>Grundschule</strong>n der integrative<br />
Schulanfang ohne Vorklassen die<br />
Regel werden. Zur inhaltlichen Unterstützung<br />
plant die Landesgruppe eine<br />
Veranstaltung.<br />
(für die Landesgruppe: Roswitha Kremin)<br />
Veranstaltung<br />
»Jahrgangsübergreifendes<br />
Lernen«<br />
7. April 2005<br />
im Landesinstitut für Schule<br />
28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Berlin<br />
Vorsitzende: Ing rid Kornmesser, Kohlfurter Str. 4, 10999 Berlin; E-Mail: ikornmesser@yahoo.de<br />
Neuer Landesgruppenvorstand<br />
gewählt<br />
Auf unserer Mitgliederversammlung<br />
am 25. 11. 04 wurden für die nächsten<br />
vier Jahre in den Landesgruppenvorstand<br />
gewählt: Inge Hirschmann<br />
(Vors./Delegierte, Schulleiterin einer<br />
Kreuzberger <strong>Grundschule</strong>), Peter<br />
Heyer (Vors., Ruheständler), Ingrid<br />
Kornmesser (Schatzm./Ersatzdel.,<br />
Projektleiterin des Berliner BLK-Ganztags-Projekts),<br />
Maria Feiten (Lehrerin<br />
an einer Reinickendorfer katholischen<br />
Schule), Cornelia Schaffert (Sonderpädagogin<br />
an einer Kreuzberger<br />
<strong>Grundschule</strong>), Madlen Schmitz (Lehrerin<br />
an einer Wilmersdorfer <strong>Grundschule</strong>),<br />
Gerti Sinzinger (Schulleiterin<br />
einer Kreuzberger <strong>Grundschule</strong>) und<br />
Ulla Widmer-Rockstroh (Lehrerin an<br />
einer Weddinger <strong>Grundschule</strong>).<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: DR. Barbara Wegner, Institut für Grundschulpädagogik, Universität Potsdam,<br />
Postfach 60 15 53, 14415 Potsdam<br />
Brandenburg hat gewählt<br />
In der Koalitionsvereinbarung der Landesregierung<br />
von Brandenburg werden<br />
die <strong>Grundschule</strong>n als das Bildungsfundament<br />
bezeichnet und sollen weiterhin<br />
die Jahrgangsstufen 1 bis 6 umfassen.<br />
Der weitere Ausbau des Systems<br />
der flexiblen Schuleingangsphase wird<br />
angestrebt. Sofern dies von Schülerinnen<br />
und Schülern und deren Eltern<br />
gewünscht wird, können Gymnasien<br />
bereits nach vier Jahren <strong>Grundschule</strong><br />
besucht werden. Das Bestehen einer<br />
Eignungsprüfung wird vorausgesetzt.<br />
An Gymnasien soll die allgemeine<br />
Hochschulreife nach zwölf Jahren erreicht<br />
werden. Dass durch ein derartiges<br />
Angebot das regionale Grundschulnetz<br />
nicht in Frage gestellt wird,<br />
soll durch den Schulträger gesichert<br />
werden.<br />
Mit diesen Vereinbarungen ging das<br />
Versprechen einher, dass der Bildungsbereich<br />
auf Grund der <strong>aktuell</strong>en Brisanz<br />
von Kürzungen ausgenommen<br />
wird. Diese Versprechen scheinen jedoch<br />
angesichts der derzeitigen Presseberichte,<br />
dass alle Ressortbereiche<br />
von den Sparmaßnahmen betroffen<br />
sein werden, Wahlversprechen zu sein,<br />
die man schon nach zwei Monaten so<br />
nicht mehr einlösen kann.<br />
In diesem Zusammenhang stellen<br />
sich für uns als Landesgruppe viele<br />
Fragen, unter anderem, inwieweit die<br />
Sparmaßnahmen Auswirkungen auf<br />
das bisherige System der 6-jährigen<br />
<strong>Grundschule</strong> haben werden:<br />
■ Wird Flex wirklich flächendeckend<br />
ausgebaut werden können? Wie<br />
können andere innovative Projekte<br />
zur Stärkung der <strong>Grundschule</strong> weiter<br />
gefördert werden?<br />
■ Welche Auswirkungen hat die<br />
Schulzeitverkürzung auf die Jahrgangsstufen<br />
5 und 6? Wird der Ausbau<br />
der äußeren Differenzierung<br />
beabsichtigt? Wird die Frage der<br />
Arbeitsschwerpunkte<br />
Auch für die nächsten vier Jahre sehen<br />
wir unsere Hauptaufgabe darin, die<br />
6-jährige <strong>Grundschule</strong> als eine wohnungsnahe<br />
Schule für ihre Aufgabe<br />
zu stärken, wirklich alle <strong>Kinder</strong> im gemeinsamen<br />
Lernen in ihrer individuellen<br />
Bildungsentwicklung zu fördern<br />
und dabei selektive Tendenzen zurückzudrängen.<br />
Einzelne Arbeitsschwerpunkte<br />
werden dabei sein:<br />
1. Umsetzung der positiven schulgesetzlich<br />
festgelegten Ziele der flexiblen<br />
Schulanfangsphase und Verbesserung<br />
deren bisher zu ungünstigen<br />
Rahmenbedingungen.<br />
2. Kritisch konstruktive Begleitung der<br />
Entwicklung aller Berliner <strong>Grundschule</strong>n<br />
von »Stundenschulen« zu Ganztagsschulen<br />
in Kooperation von Schule<br />
und Jugendhilfe. Vor allem muss<br />
verhindert werden, dass es auf Dauer<br />
beim derzeitigen Nebeneinander kostenfreier<br />
gebundener Ganztagsgrundschulen<br />
und Halbtagsschulen mit kostenpflichtigen<br />
Angeboten für einen Teil<br />
der <strong>Kinder</strong> bleibt.<br />
3. Verankerung lernfördernder Verfahren<br />
der Lernprozessbegleitung, der<br />
Leistungsermittlung und -bewertung<br />
in der Praxis.<br />
4. Entwicklung und Qualitätssicherung<br />
eines flächendeckenden Konzepts für<br />
das Sprachenlernen (Deutsch, Herkunftssprachen,<br />
Fremdsprachen).<br />
5. Unterstützung der Schulen bei<br />
der Erarbeitung und Evaluation ihres<br />
Schulprogramms.<br />
Infodienst der Berliner Landesgruppe<br />
Der Vorstand der Berliner Landesgruppe<br />
verschickt in unregelmäßigen<br />
Abständen an Mitglieder des Grundschulverbandes<br />
per Mail <strong>aktuell</strong>e Informationen<br />
zur Berliner Schulentwicklung.<br />
Wer daran interessiert ist, wende<br />
sich bitte an: peterheyer@snafu.de<br />
(für die Landesgruppe: Peter Heyer)<br />
Einführung der zweiten Fremdsprache<br />
für die <strong>Grundschule</strong> thematisiert?<br />
■ Wie werden sich die Gymnasialklassen<br />
ab Klasse 4 profilieren?<br />
(für die Landesgruppe: Marion Gutzmann)<br />
Grundschulfachtagung<br />
»Motor der Schulentwicklung:<br />
Schulinternes Curriculum«<br />
12. Februar 2005, 10.30 – 16.30 Uhr<br />
an der Universität Potsdam<br />
Niedersachsen<br />
Vorsitzende: Dr. Eva Gläser,<br />
Fasanenstr. 1, 38102 Braunschweig<br />
Niedersächsische Kerncurricula<br />
für die <strong>Grundschule</strong><br />
Laut Ministerium sollen im Jahr 2005<br />
Kerncurricula für alle Fächer der<br />
<strong>Grundschule</strong> entwickelt werden. Nach<br />
der Anhörung Ende 2005 kommen sie<br />
zum Schuljahr 2005/2006 in die Schulen.<br />
Sie sollen sich an den von der KMK<br />
vorgegebenen Bildungsstandards orientieren.<br />
Da diese für den Grundschulbereich<br />
nicht für alle Fächer vorliegen<br />
und eine Stufung in »Kompetenzen«<br />
nur für wenige Lernbereiche vorgedacht<br />
ist, bleibt zu fragen, auf welchen<br />
theoretischen Grundlagen die curricularen<br />
Vorgaben erstellt werden.<br />
Internetforum des Kultusministeriums<br />
zur Entwicklung<br />
der Kerncurricula<br />
Um die noch zur Verfügung stehende<br />
Zeit für das Einbringen eigener Überlegungen<br />
auszuschöpfen, sollten Kollegien,<br />
Verbände und Eltern aktiv und<br />
zahlreich das vom Kultusministerium<br />
angebotene Internetforum nutzen:<br />
Unter dem Motto »Niedersachsen<br />
macht Schule – Niedersachsen machen<br />
Schule« kann jede und jeder sich öffentlich<br />
zu den Entwürfen äußern.<br />
Zwischenschritte der Erarbeitung sollen<br />
auf diesen Seiten auch veröffentlicht<br />
werden: www.cuvo-nibis.de<br />
(cuvo ist die Abkürzung für curriculare<br />
Vorgaben).<br />
Vergleichsarbeit im Fach Deutsch<br />
Im Juni 2005 wird im Fach Deutsch<br />
eine Vergleichsarbeit in allen dritten<br />
Klassen geschrieben. »Musteraufgaben«<br />
stehen bereits im Internet<br />
(www.nibis.de). Die Rechtschreibkompetenz<br />
wird anhand der Bereiche<br />
Lauttreue, Großschreibung von Konkreta,<br />
Länge, Kürze und Auslautverhärtung<br />
überprüft. Rechtschreibhilfen<br />
(Wörterlisten, Rechtschreibduden oder<br />
Rechtschreibprogramme) werden als<br />
sinnvoll angesehen. Daher wird eine<br />
Wörterliste für die Zentrale Deutscharbeit<br />
erstellt, die die Schülerinnen<br />
und Schüler benutzen sollen. Auch<br />
für den Bereich der Lesekompetenz<br />
sind Musteraufgaben im Internet veröffentlicht.<br />
(für die Landesgruppe: Dr. Eva Gläser)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
29
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Hes sen<br />
Anschrift: Ilse Marie Krauth, Steigerwaldweg 3, 63456 Hanau<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Vorsitzender: Ralph Grothe, Hasengang 3, 17309 Pasewalk<br />
Fortbildung<br />
»Lehrkräfte sind verpflichtet, ihre berufsbezogene<br />
Grundqualifikation zu<br />
erhalten und weiterzuentwickeln. Über<br />
die Wahl der hierfür geeigneten Fortbildungsangebote<br />
entscheiden die<br />
Lehrkräfte in eigener Verantwortung.«<br />
Dies steht im Dritten Gesetz zur Qualitätssicherung<br />
in hessischen Schulen,<br />
das im Januar 2005 in Kraft treten soll.<br />
Bisher hatten die Lehrkräfte diese Verpflichtung<br />
zwar auch, aber niemand<br />
hat sich darum gekümmert, ob sie sie<br />
erfüllt haben. Das soll nun neu geregelt<br />
werden. Jede Lehrkraft muss künftig<br />
ein Qualifizierungsportfolio führen<br />
und es fortlaufend aktualisieren.<br />
Seine Auswertung ist Gegenstand von<br />
Mitarbeitergesprächen. Für alle Fortbildungsaktivitäten,<br />
die in der unterrichtsfreien<br />
Zeit stattfinden sollen,<br />
werden je nach Kategorie und nach<br />
einem ausgeklügelten System Punkte<br />
vergeben. Die Lehrkraft muss in<br />
drei Jahren mindestens 150 Leistungspunkte<br />
nachweisen. Die Schulleitung<br />
kann zu Fortbildungsmaßnahmen verpflichten.<br />
In diesem Zusammenhang ergeben<br />
sich offene Fragen:<br />
■ Wer bietet Fortbildung an?<br />
■ Wer bestimmt die Themen der Angebote?<br />
■ Wie wird ermittelt, welche Fortbildung<br />
die Lehrkräfte wirklich wollen<br />
und brauchen?<br />
■ Wie soll gewährleistet werden, dass<br />
das in den letzten Jahren völlig unzureichende<br />
Angebot so erweitert<br />
wird, dass jede Lehrkraft sich nach<br />
ihrem Bedarf fortbilden kann?<br />
■ Wer überprüft, ob das komplizierte<br />
Punktesystem eingehalten wurde?<br />
■ Wer überprüft, ob die Lehrkraft<br />
tatsächlich Fachliteratur und Fachzeitschriften<br />
gelesen hat?<br />
■ Mit welchen Mitteln wird dies<br />
überprüft?<br />
■ Was geschieht mit Lehrkräften, die<br />
keine 150 Punkte nachweisen?<br />
Lehrkräfte brauchen Fortbildung und<br />
sie sind bereit dazu. Die Themen müssen<br />
stimmen. Dies hat der enorme Zuspruch<br />
gezeigt, den wir mit unserer<br />
Reihe zu Diagnose und Förderung erfahren<br />
haben. Für sie ist die Erbsenzählerei<br />
von Punkten völlig unnötig. Diejenigen,<br />
die bisher keine Fortbildungen<br />
besucht haben, werden auch mit Hilfe<br />
dieser Leistungspunkte nicht zum<br />
– erstrebenswerten – lebenslangen<br />
Lernen finden.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Ilse Marie Krauth)<br />
Erneute Novellierung<br />
des Schulgesetzes<br />
Im März soll durch den Landtag die<br />
neunte Novellierung des Schulgesetzes<br />
beschlossen werden. Damit will<br />
das Land auf die demographische Entwicklung,<br />
die sich aus dem Schülerrückgang<br />
ergibt und auf neue Erkenntnisse<br />
der Pädagogik reagieren.<br />
Wir merken an, dass hier vor allem<br />
finanzpolitische Fragen im Vordergrund<br />
stehen, und es eher eine inhaltliche<br />
Diskussion über Ziele und Aufgaben<br />
einer neuen Schule in unserem<br />
Lande geben sollte. Erst dann kann<br />
über strukturelle Veränderung nachgedacht<br />
werden.<br />
Wir kritisieren die Schnelligkeit, mit<br />
der diese Novellierung erfolgen muss.<br />
Dies führt zur Verunsicherung der Lehrer<br />
und Eltern. So bleibt diese Schulgesetzveränderung<br />
ein Schnellschuss<br />
und die Chance, Visionen für die zukünftige<br />
Bildung im Lande auf eine<br />
tragfähige Grundlage zu stellen, wird<br />
vertan.<br />
Dazu gehört nach unserer Auffassung<br />
das längere gemeinsame Lernen. Hier<br />
hat die <strong>Grundschule</strong> als eine im Lande<br />
anerkannte Schulart ein großes<br />
Potential. Nicht zuletzt durch die Ergebnisse<br />
in der länderübergreifenden<br />
Vergleichsarbeit (VERA) wurde dies<br />
deutlich.<br />
Gerade in ihrer Eigenständigkeit kann<br />
die <strong>Grundschule</strong> die vor ihr stehenden<br />
Aufgaben am besten erfüllen.<br />
In unserem Land gehören dazu solche<br />
Fragen wie die Veränderung der Einschulungspraxis<br />
und der Integration<br />
von benachteiligten <strong>Kinder</strong>n.<br />
Aber auch die Weiterentwicklung der<br />
<strong>Grundschule</strong> zur Ganztagsschule hat<br />
gerade in unserem Flächenland einen<br />
hohen Stellenwert. Hier soll es nicht<br />
um eine Stundenschule mit anschließender<br />
Betreuung gehen, sondern um<br />
einen Ort, in dem <strong>Kinder</strong> mit ihren Lehrerinnen<br />
und Lehrern gemeinsam mehr<br />
Zeit verbringen, die für sinnvolles und<br />
differenziertes Lernen genutzt wird.<br />
(für die Landesgruppe: Ralph Grothe)<br />
Sachsen<br />
Vorsitzende: Sibylle Jaszovics,<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Vorsitzende: Gisela Cappel, Habichtstr. 1 d, 58285 Gevelsberg<br />
Vergleichsarbeiten in Klasse 4<br />
Im September schrieben alle Schülerinnen<br />
und Schüler der Klassen vier<br />
Vergleichsarbeiten in den Fächern<br />
Deutsch und Mathematik. Gab es bereits<br />
im Vorfeld zur Konzeption und<br />
Zielsetzung kritische Fragen, so verstärkte<br />
sich diese Kritik nach der<br />
Durchführung: Neben der ungenügenden<br />
Absicherung der Rahmenbedingungen<br />
(hoher Zeitaufwand, hoher<br />
Materialaufwand, unklare und<br />
nicht abgestimmte Informationen<br />
zum Vorgehen) erscheint insbesondere<br />
der inhaltliche Ansatz fragwürdig:<br />
So widersprechen z. B. wesentliche<br />
Teile der Aufgaben in Deutsch den<br />
Anforderungen der <strong>aktuell</strong>en Fachdidaktik<br />
und den Aussagen der gerade<br />
neu (!) zu erprobenden Lehrpläne,<br />
indem schrift licher Sprachgebrauch<br />
ohne Sinnzusammenhang und ohne<br />
die Möglichkeit zur Überarbeitung des<br />
Textes geprüft wird; Rechtschreibkompetenzen<br />
mittels Diktaten und nicht<br />
z. B. die Fähigkeiten zum Gebrauch von<br />
Wörterbüchern erfasst werden. Für den<br />
Bereich der Unterrichtsentwicklung<br />
besteht somit die große Gefahr, dass<br />
tradierte und noch zu überwindende<br />
didaktisch-methodische Vorgehensweisen<br />
auf diesem Wege wieder Gewicht<br />
gewinnen.<br />
Diese und andere Fragwürdigkeiten<br />
wird der Landesvorstand im Januar in<br />
einem Gespräch mit Vertretern des Ministeriums<br />
erörtern.<br />
Am 12. März findet die Mitgliederversammlung<br />
statt, zu der der Vorstand<br />
herzlich einlädt. Als Alternative und<br />
notwendige Korrektur zu den oben beschriebenen<br />
Leistungsfeststellungen<br />
soll hier in zwei Workshops ein vom<br />
Grundschulverband entwickeltes Konzept<br />
zur pädagogischen Leistungskultur<br />
vorgestellt werden.<br />
(für die Landesgruppe: Beate Schweitzer<br />
Mitgliederversammlung<br />
12. 03. 2005,<br />
10.00 – 16.00 Uhr<br />
GGS Landgrafenschule,<br />
Landgrafenstr. 1 – 3, 44139 Dortmund<br />
Anmeldungen bitte an:<br />
email@mb-bertling.de<br />
Neuwahl des Vorstandes<br />
Anfang Dezember 2004 traf sich die<br />
Wahlkommission, um die Stimmen<br />
der Briefwahl auszuzählen. 35 der 66<br />
stimmberechtigten Mitglieder nahmen<br />
an der Briefwahl teil. Dem Landesgruppenvorstand<br />
für die Wahlperiode<br />
2004 bis 2008 gehören an:<br />
Bärbel Grösel (Schulleiterin), Sibylle<br />
Jaszovics (Lehrerin/ Fachberaterin),<br />
Karin Liebing (Lehrerin / Fortbildnerin),<br />
Margot Zimmer (Schulleiterin).<br />
Im Januar 2005 findet die konstituierende<br />
Sitzung statt.<br />
Allen Mitgliedern, die sich an der Wahl<br />
beteiligten, herzlichen Dank und dem<br />
neuen Vorstand alles Gute für die bevorstehende<br />
Arbeit.<br />
30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Anschrift: Werner Lang, Am Wintersberg 8, 67756 Hinzweiler<br />
Fortbildungsreihe wird fortgesetzt<br />
Im Anschluss an die Fortbildungsveranstaltungen<br />
von Jürgen Reichen haben<br />
der Landesvorstand und das Pädagogische<br />
Zentrum Bad Kreuznach an<br />
11 Standorten Veranstaltungen zum<br />
Thema: »Integrierte Fremdsprachenarbeit,<br />
Klassenstufe 1 – 4« angeboten,<br />
um die Kolleg/innen in der Fremdsprachenarbeit<br />
zu unterstützen.<br />
Diese Workshops stießen auf breites<br />
Interesse, was die Teilnehmerzahl von<br />
rund 500 belegt. Die Resonanz war<br />
überaus positiv.<br />
Die Landesgruppe beabsichtigt aufgrund<br />
der hohen Zustimmung, die<br />
Fortbildungsreihe jeweils zu <strong>aktuell</strong>en<br />
grundschulspezifischen Neuerungen<br />
fortzusetzen.<br />
Südwestring 11, 04668 Klinga<br />
Landesgrundschultag<br />
Am 08.03.2005 findet an der Universität<br />
Koblenz der nächste Landesgrundschultag<br />
statt. Damit setzen wir unseren<br />
nunmehr jährlichen Rhythmus<br />
der Grundschultage fort. Er wird sich<br />
schwerpunktmäßig mit »Deutsch«<br />
beschäftigen, da für Rheinland-Pfalz<br />
ein neuer Rahmenplan erarbeitet wurde.<br />
Neben dem Hauptreferat von Prof.<br />
Hans Brügelmann wird ein Streitgespräch<br />
mit ihm und der Bildungsministerin<br />
Doris Ahnen stattfinden. Am<br />
Nachmittag bieten ca. 30 Workshops,<br />
u. a. einer mit J. Reichen, eine große,<br />
praxisbezogene Vielfalt aus dem Fach<br />
Deutsch und der Grundschularbeit insgesamt<br />
an.<br />
In den Anschlusstagen wird Jürgen<br />
Reichen weitere Fortbildungen in Kooperation<br />
mit der Landesgruppe durchführen,<br />
wie schon zuvor an verschiedenen<br />
Standorten.<br />
Was bringt die Koalitionsvereinbarung<br />
zwischen CDU und SPD?<br />
■ Das letzte <strong>Kinder</strong>gartenjahr wird<br />
zu einem Schulvorbereitungsjahr<br />
weiterentwickelt. Projekte werden<br />
gemeinsam von Erzieherinnen und<br />
Grundschullehrerinnen entwickelt<br />
und verwirklicht. Dafür werden drei<br />
Wochenstunden je Gruppe (13 <strong>Kinder</strong>)<br />
und Erzieherin vom Land zusätzlich<br />
finanziert. Für den Einsatz von Grundschullehrerinnen<br />
im zweiten Halbjahr<br />
werden drei Stunden je Gruppe und<br />
Woche und Lehrerin zusätzlich finanziert.<br />
Die personelle Ausstattung der<br />
<strong>Grundschule</strong>n wird insgesamt im Umfang<br />
von 800 Stellen angehoben.<br />
■ Bis zum Jahr 2010 sollen in allen<br />
Teilen Sachsen Ganztagsangebote vorhanden<br />
sein.<br />
■ Auf Antrag der Schulträger werden<br />
»Schulen mit besonderem pädagogischen<br />
Profil / Gemeinschaftsschulen«<br />
ermöglicht.<br />
■ Mit dem Ziel, die Bildungsberatung<br />
weiter zu verbessern und die Entscheidung<br />
der Eltern zu respektieren, soll<br />
die »Schulordnung <strong>Grundschule</strong>« geändert<br />
werden.<br />
■ Die Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells<br />
für Lehrkräfte, das<br />
nicht mehr ausschließlich auf Unterrichtsverpflichtung<br />
basiert, wird geprüft.<br />
Im Koalitionsvertrag werden viele vom<br />
Grundschulverband seit Jahren angemahnte<br />
Veränderungen auf den Weg<br />
gebracht. Das stimmt uns hoffnungsvoll.<br />
Zu jedem der hier genannten und<br />
zu weiteren Schwerpunkten gibt es<br />
Nachfragen unsererseits. Geplant ist<br />
deshalb ein Arbeitsgespräch mit den<br />
bildungspolitischen Sprechern von<br />
CDU und SPD.<br />
(für die Landesgruppe: Sibylle Jaszovics)<br />
Vera kritisch beleuchtet<br />
Ende September 2004 wurden in<br />
Rheinland-Pfalz Vergleichsarbeiten<br />
(Vera) in Mathematik (zweites Mal)<br />
und Deutsch (erstmalig) von den <strong>Kinder</strong>n<br />
geschrieben. Auch wenn die<br />
Landesgruppe grundsätzlich vergleichende<br />
Arbeiten nicht ablehnt, sind<br />
dennoch viele Fragen dazu offen und<br />
müssen kritisch beleuchtet werden:<br />
Was messen eigentlich Vergleichsarbeiten<br />
wirklich? Sind Zeitpunkt, Inhalt<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Förderung von Ganztagsschulen<br />
in Sachsen-Anhalt<br />
Im Rahmen des Investitionsprogrammes<br />
»Zukunft Bildung und Betreuung<br />
2003 bis 2007« (IZBB) gibt es für Sachsen-Anhalt<br />
insgesamt 125,8 Millionen<br />
Euro. Dieser Beitrag finanziert die Investitionen<br />
für eine attraktive Ganztagsschule.<br />
Das Land soll im Rahmen<br />
des Gemeinschaftsprojektes nötiges<br />
zusätzliches Personal im Ganztagsbetrieb<br />
bereitstellen.<br />
Schulen und Kommunen wurden 2003<br />
aufgefordert, Konzepte und Vorschläge<br />
zur weiteren Ausgestaltung bestehender<br />
bzw. zur Einrichtung neuer<br />
Ganztagsschulen einzureichen. Mitte<br />
dieses Jahres veröffentlichte das Kultusministerium<br />
nun die Landesprioritätenliste.<br />
Diese umfasst 63 Projekte,<br />
davon 48 Projekte kommunaler Schulträger,<br />
10 Projekte freier Schulträger<br />
sowie 5 Projekte an Landesschulen.<br />
und Umfang kindgemäß und gerechtfertigt?<br />
Ist eine zusätzliche Arbeit bei<br />
der ohnehin hohen Anzahl von Klassenarbeiten<br />
(Schulordnung immer<br />
noch nicht geändert!) sinnvoll? Welche<br />
Aussagekraft haben sie für Eltern und<br />
Lehrer/innen? Diese Fragen sind für die<br />
Landesgruppe auch nach dem zweiten<br />
Durchlauf bisher unbefriedigend beantwortet<br />
worden und werden kontrovers<br />
diskutiert.<br />
(für die Landesgruppe: Karen Stumme)<br />
Vorsitzende: Petra Uhlig, Richard-Wagner-Str. 29, 06114 Halle<br />
Wie werden die <strong>Grundschule</strong>n<br />
gefördert?<br />
Bei genauerem Betrachten drängt sich<br />
der Eindruck auf, dass Ganztagsgrundschulen<br />
gegenüber anderen Schulformen<br />
weniger berücksichtigt wurden:<br />
■ Für <strong>Grundschule</strong>n in kommunaler<br />
Trägerschaft waren Bewerbungen von<br />
vornherein nur in Kooperation mit verschiedenen<br />
Formen der Hortbetreuung<br />
auf der Grundlage eines abgestimmten<br />
pädagogischen Konzeptes möglich.<br />
Wo ist da die neue Qualität der Ganztagsgrundschule?<br />
Viele <strong>Grundschule</strong>n<br />
haben die Kooperation mit dem Hort<br />
ohnehin in ihr Schulprogramm aufgenommen.<br />
■ Von den rund 95 Millionen Euro für<br />
die Schulen in kommunaler Trägerschaft<br />
kommen nur ca. 15 Millionen<br />
einzelnen <strong>Grundschule</strong>n zu.<br />
■ Alle Schulen, die in freier Trägerschaft<br />
gefördert werden, sind <strong>Grundschule</strong>n.<br />
Für sie stehen rund 10,5 Millionen<br />
Euro zur Verfügung.<br />
Wurden deshalb nur so wenige <strong>Grundschule</strong>n<br />
in kommunaler Trägerschaft<br />
genehmigt? Unseres Wissens hat bisher<br />
keine genehmigte <strong>Grundschule</strong> in<br />
kommunaler Trägerschaft zusätzliches<br />
Personal zur Umsetzung des Ganztagskonzeptes<br />
vom Land zur Verfügung<br />
gestellt bekommen.<br />
Ganztagsschulen können die »Treibhäuser<br />
der Zukunft« sein. Im Grundschulbereich<br />
werden dafür die Grundlagen<br />
gelegt.<br />
(für die Landesgruppe: Petra Uhlig)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005<br />
31
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Schleswig-Holstein<br />
Vorsitzende: Bent Hirschelmann / Sybille Pahlke,<br />
Treidelweg 15, 24794 Borgstedt<br />
Studienfahrt nach Göteborg<br />
Im April 2004 besuchte eine Gruppe<br />
von 24 Lehrkräften die <strong>Grundschule</strong><br />
Torpaskola in Göteborg, an der <strong>Kinder</strong><br />
von der Vorschule bis zur 9. Klasse<br />
beschult werden. Angegliedert ist<br />
ein Haus für autistische Schülerinnen<br />
und Schüler.<br />
Wir wurden herzlich empfangen und<br />
zwei Tage lang vom Kollegium sowie<br />
Schülerinnen und Schülern über das<br />
schwedische Schulsystem und diese<br />
Schule im Besonderen anschaulich informiert.<br />
Beeindruckt waren wir von<br />
der räumlichen Ausstattung für Lehrende<br />
und Lernende sowie den zeitlichen<br />
Rahmenbedingungen für die<br />
Kooperation der Lehrkräfte miteinander<br />
und für die lerngruppenbezogene<br />
Rhythmisierung eines Schultags.<br />
Die kurzen Einblicke in die Lernformen<br />
zeigten uns, dass auch wir uns<br />
an unseren Schulen methodisch nicht<br />
zu verstecken brauchen. Das Zusammenspiel<br />
von partnerschaftlichem,<br />
respektvollem Umgang der Lehrkräfte<br />
mit ihren Schülerinnen und Schülern<br />
unter Einsatz von modernen Medien in<br />
gut ausgerüsteten Klassen- und Fachräumen<br />
wirkte allerdings entspannter<br />
und stressfreier als in unseren Schulen.<br />
Die Zuteilung von zwei bis drei Erwachsenen<br />
für Lerngruppen bis zu 25<br />
<strong>Kinder</strong>n machte individuelle Beratung<br />
und Hilfe im Unterricht möglich. Offensichtlich<br />
war auch die Hinführung<br />
zu eigenverantwortlichem Lernen und<br />
Handeln der <strong>Kinder</strong>.<br />
Ein ausführlicher Bericht mit Fotos<br />
ist im Internet unter der Adresse<br />
der Landesgruppe veröffentlicht<br />
(www.grundschulverband-sh.de).<br />
Länger gemeinsam lernen<br />
– Ein Gewinn für alle<br />
Am 30. Oktober stellte Prof. Dr. Ulf<br />
Preuss-Lausitz vor ca. 300 Zuhörern<br />
in Neumünster wissenschaftlich belegbare<br />
Erkenntnisse zur erhöhten<br />
Lernwirksamkeit in heterogenen Lerngruppen<br />
überzeugend dar. Auf der<br />
anschließenden Podiumsdiskussion<br />
herrschte Einigkeit darüber, dass die<br />
frühe Selektion nach Klasse 4 zur Verschlechterung<br />
von Bildungschancen<br />
beiträgt. Es blieb jedoch unklar, in welcher<br />
Weise die jetzige Landes regierung<br />
konkrete Schritte in Richtung einer<br />
Verlängerung der gemeinsamen Lernzeit<br />
aller <strong>Kinder</strong> gehen wird und was<br />
nach der Landtagswahl im Februar<br />
geschehen wird. Ein Antrag der Südschleswiger<br />
Wählervereinigung zur<br />
Erweiterung der Grundschulzeit auf<br />
6 Jahre fand keine Unterstützung bei<br />
SPD und den Grünen. Die Landesgruppe<br />
wird weiterhin tatsächliche Umsetzungen<br />
fordern.<br />
In Zusammenarbeit mit anderen Verbänden<br />
wie der Aktion Humane Schule,<br />
der Gemeinnützigen Gesellschaft<br />
Gesamtschule und mit Unterstützung<br />
der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
sollen ähnliche Veranstaltungen<br />
auch in Zukunft durchgeführt<br />
werden.<br />
Der neue Vorstand<br />
bleibt fast der alte<br />
Die Mitgliederversammlung am<br />
30. 10. 04 war äußerst spärlich besucht.<br />
Wir werten dies folgendermaßen:<br />
1. Schade, wo wart ihr vielen<br />
Reformunterstützer denn? Ihr habt einen<br />
interessanten Sonnabend in Neumünster<br />
verpasst. 2. Toll, wir sind bis<br />
auf Sabine Jesumann (Sabbatjahr) wiedergewählt<br />
worden. 3. Die Mehrheit<br />
wird, wenn auch still, hinter uns stehen,<br />
denn ansonsten hätte es Klagen<br />
und Gegenkandidaten gegeben. Danke<br />
für das Vertrauen, wir werden wieder<br />
unser Bestes geben.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
S. Jesumann und A. Klimmek)<br />
Thüringen<br />
Vorsitzende: Steffi Jünemann, Hauptstr. 7, 99734 Nordhausen<br />
Qualitätsentwicklung<br />
an Thüringer Schulen<br />
Am 27. November 2004 fand an der<br />
Universität in Erfurt ein Forum zum<br />
Thema »Schulleitung und Schulentwicklung«<br />
statt. Zentrales Anliegen<br />
des Forums war es, die Entwicklung der<br />
selbstständigen und eigenverantwortlich<br />
handelnden Schule zu unterstützen<br />
und dabei den Zusammenhang<br />
zwischen Qualitäts- und Schulentwicklung<br />
zu hinterfragen.<br />
Mit Blick auf die Zukunft forderte Kultusminister<br />
Prof. Dr. Jens Göbel »Mehr<br />
Mut zur Eigenverantwortung«. Die<br />
Weichen seien gestellt und Gestaltungsspielräume<br />
eröffnet .<br />
Die einzelne Schule solle künftig noch<br />
intensiver ihre schulische Entwicklung<br />
selbst gestalten und die Ergebnisse<br />
ihres Handelns auch selbst verantworten.<br />
In den anschließenden Arbeitsgruppen<br />
wurden verschiedene Ansätze<br />
und Instrumente für Qualitäts- und<br />
Unterrichtsentwicklung sowie Praxiserfahrungen<br />
erfolgreich verlaufender<br />
Schulentwicklungsvorhaben beleuchtet<br />
und diskutiert.<br />
Zwei dieser AGs wurden durch die Landesgruppe<br />
Thüringen geleitet:<br />
■ Martina Dubiel und Antje Knuth<br />
stellten das Leitbild »Führungskraft<br />
Lehrer« der BDA (Bundesvereinigung<br />
der Deutschen Arbeitgeberverbän-<br />
Christina Ehlers war Grundschullehrerin und Schulleiterin,<br />
zuletzt Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität<br />
Oldenburg.<br />
Im Grundschulverband hat sie in verschiedenen Funktionen<br />
mitgearbeitet: im Projekt »Eine Welt in der Schule«, als<br />
Vorsitzende und Delegierte der Landesgruppe Bremen, als<br />
Schriftführerin im Bundesvorstand.<br />
Immer bereicherte sie die Arbeit durch ihr fröhliches,<br />
warmherziges und entschiedenes Engagement für eine kindgerechtere<br />
Schule.<br />
Wir halten sie in ehrendem Andenken.<br />
Für den Grundschulverband:<br />
Horst Bartnitzky, Bundesvorsitzender<br />
de) als ein Leitbild aus der Wirtschaft<br />
vor und luden die Teilnehmer der Arbeitsgruppe<br />
zur kritischen Auseinandersetzung<br />
mit diesem Papier ein. Im<br />
Anschluss wurden Ansätze erarbeitet,<br />
wie man als Schulleiter/in Lehrerinnen<br />
und Lehrer für diese wichtige Thematik<br />
sensibilisieren kann.<br />
■ »Wie kann ich in leitender Funktion<br />
die Entwicklung der Schuleingangsphase<br />
begleiten und unterstützen«:<br />
Kathrin Heckert und Christina Köhler<br />
entwickelten mit den Teilnehmer/<br />
innen einen strukturierten Weg von<br />
der Motivation über Analyse, Schwerpunktfindung,<br />
Zielformulierung und<br />
Aktivitätenplanung bis hin zur Dokumentation<br />
und Evaluation anhand theoretischer<br />
Grundlagen und praktischer<br />
Beispiele.<br />
Weiterhin war die Landesgruppe Thüringen<br />
mit einem Informations- und<br />
Bücherstand präsent.<br />
(für die Landesgruppe: Kathrin Heckert)<br />
Symposium »Lernen im<br />
Miteinander von <strong>Kinder</strong>garten<br />
und <strong>Grundschule</strong>«<br />
Schwerpunkt:<br />
<strong>Kinder</strong> wahrnehmen – Leistungen<br />
würdigen – individuell fördern<br />
Sonnabend, 16. 04. 2005, 9:00 Uhr<br />
Universität in Erfurt<br />
Dr. Christina Ehlers<br />
* 10. 2. 1958 † 5. 1. 2005<br />
32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>89</strong> • Februar 2005
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Aktuelles<br />
aus der Arbeit des<br />
Grundschulverbandes<br />
Die pädagogische<br />
Leistungskultur<br />
ist zurzeit ein zentrales Thema für die Arbeit des<br />
Grundschulverbandes:<br />
Soeben erschienen ist der Band 118 der Reihe<br />
»Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong>« mit dem<br />
Titel Leistungen der <strong>Kinder</strong> wahrnehmen –<br />
würdigen – fördern. Auf der Grundlage dieses<br />
Bandes, der auch reichhaltig Praxisbeispiele und<br />
vielfältige Anregungen zu neuen Formen des<br />
Umgangs mit Leistungen bietet, werden nun<br />
Module für die tägliche Praxis von Schulen und<br />
Lehrerfortbildung erarbeitet.<br />
Der Band 119 unserer Mitgliederreihe Pädagogische<br />
Leistungskultur – Materialien für Klasse 1 und 2<br />
wird im Sommer 2005 erscheinen und aus fünf<br />
Broschüren und einer CD mit kopierfähigen Vorlagen<br />
bestehen, die zusammen in einem Schuber<br />
verschickt werden. Hier werden Sie Materialien<br />
für Klasse 1 und 2 finden. Im Jahr 2006 folgen dann<br />
Diskutieren Sie mit !<br />
Auf der neu gestalteten Homepage haben wir neben<br />
weiteren neuen Themenschwerpunkten ein Diskussionsforum<br />
eingerichtet.<br />
In diesem Forum stellen wir regelmäßig ein <strong>aktuell</strong>es<br />
Thema zur Debatte, in das ein Sach beitrag einführt.<br />
Das erste Forum befasst sich mit dem Thema Vergleichsarbeiten<br />
(VERA), dem auch ein großer Raum in unserer<br />
Zeitschrift »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>« gewidmet ist.<br />
Schreiben Sie uns –<br />
Ihre Erfahrungen sind uns wichtig!<br />
www.grundschulverband.de<br />
Band 118 ISBN 3-930024-87-X<br />
Best.-Nr.: 1076<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Erscheinungsdatum Dez. 2004<br />
die Materialien für Klasse 3 und 4. Band 119 ISBN 930024-88-8<br />
Best.-Nr.: 1077<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Erscheint im Sommer 2005<br />
letter + newsletter + newsletter + newsletter + newsletter + newsletter<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
der Grundschulverband gibt einen Newsletter heraus, um seine Mitglieder <strong>aktuell</strong> über Neues aus Verband und<br />
Bildungspolitik zu informieren.<br />
Zum Bezug des Newsletters haben wir zwei Anmeldemöglichkeiten bereit gestellt:<br />
das Internet unter www.grundschulverband.de/newsletter (hier liegt ein vorbereitetes Formular für Sie bereit)<br />
oder<br />
per E-Mail an newsletter@grundschulverband.de. Falls Sie diesen Weg wählen, teilen Sie uns möglichst auch<br />
Ihre Mitgliedsnummer mit und geben Ihre vollständige Anschrift an.