Leseprobe AiB 01_2017
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Arbeitsrecht<br />
im Betrieb<br />
<strong>AiB</strong> | FACHZEITSCHRIFT FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />
aib-web.de<br />
38. JAHRGANG<br />
ISSN <strong>01</strong>741225<br />
D 3591<br />
1 | 2<strong>01</strong>7<br />
BETRIEBSRATSMOBBING<br />
Abwehr durch<br />
Schulterschluss<br />
aktuelles Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – eine Mogelpackung<br />
grundlagen Der Betriebsrat als Wächter der Beschäftigtendaten<br />
arbeits- und gesundheitsschutz Update von Gefährdungsbeurteilungen nötig
titelthema<br />
betriebsratsmobbing<br />
<strong>AiB</strong> 1 | 2<strong>01</strong>7<br />
Dem Mobbing<br />
keine Chance<br />
union busting Manche Arbeitgeber erklären Betriebsräten und der<br />
Mitbestimmung den Kampf. Vier Fälle zeigen, wie Betriebsratsmitglieder<br />
aufs Schärfste angegangen wurden, um ihre Arbeit zu boykottieren.<br />
Es gibt aber wirksame Mittel, dagegen vorzugehen.<br />
VON SUSAN PAESCHKE<br />
10
<strong>AiB</strong> 1 | 2<strong>01</strong>7<br />
betriebsratsmobbing<br />
titelthema<br />
Samstagmorgen 10.00 Uhr – zuhause bei<br />
Monika K. klingelt es an der Tür. Draußen<br />
steht ein Bote, der ihr einen Brief<br />
überbringt. Es ist ihre Kündigung und<br />
die Androhung einer Schadensersatzklage über<br />
750.000 Euro wegen Rufschädigung. Ihr wird<br />
eine Frist bis kommenden Montag um 9.00 Uhr<br />
gesetzt, sich zu erklären.<br />
Angeblich wirtschaftliche Schädigung<br />
»Nur gemeinsam<br />
ist man stark und<br />
kann diesen<br />
Konlikt lösen.«<br />
SUSAN PAESCHKE<br />
Monika P. ist Betriebsratsvorsitzende in einem<br />
mittelständischen Produktionsbetrieb. Seit<br />
Langem gibt es mit dem Gesundheitsschutz in<br />
der Produktionshalle Probleme. Die Absaugeinrichtungen<br />
sind nicht ausreichend und die<br />
Temperaturen im Sommer unerträglich, Investitionen<br />
sind jedoch nicht geplant. Nach einer<br />
Begehung durch die zuständige Behörde gibt<br />
es eine Reihe von baulichen Aulagen, die aber<br />
Investitionen notwendig machen würden. Seit<br />
dieser Begehung stehen der Betriebsrat und<br />
die Vorsitzende unter erheblichem Druck. In<br />
einer vom Arbeitgeber einberufenen Mitarbeiterversammlung<br />
wird ihr vorgeworfen, die<br />
Firma zu ruinieren. Seither wird sie ignoriert<br />
oder abgemahnt. Die Beschäftigten werden<br />
mit Arbeitsplatzverlust bedroht, für den Fall,<br />
dass sie Kontakt zum Betriebsrat aufnehmen –<br />
sie mussten sogar entsprechende Erklärungen<br />
unterschreiben. Das wurde allerdings vom<br />
Arbeitsgericht unterbunden. Der im Prozess<br />
anwesende Pressevertreter berichtete in der<br />
Tagespresse über diesen Konlikt.<br />
Geplante Zermürbungstaktik<br />
Dienstagmittag trift sich der Betriebsrat eines<br />
Einzelhandelsunternehmens. In diese Sitzung<br />
wird die Anhörung der Kündigung für ein Betriebsratsmitglied<br />
hereingereicht. Der betrefende<br />
Kollege Daniel W. wird direkt von der Arbeit<br />
freigestellt und erhält sofortiges Hausverbot.<br />
Zuvor hatte er einer Auszubildenden Unterstützung<br />
bei einem Personalgespräch angeboten.<br />
In der jüngeren Vergangenheit hatte das Gremium<br />
weitreichende Betriebsvereinbarungen<br />
zum Thema Überwachung der Arbeitnehmer<br />
und zu Pausenregelungen durchsetzen können.<br />
Im Zuge dieser Verhandlungen war die<br />
Anzahl der Betriebsratsmitglieder auf ein Minimum<br />
geschrumpft. Der betrefende Kollege ist<br />
auch Vorsitzender des Wahlvorstands für eine<br />
neue Wahl. Zeitgleich mit der Kündigung wird<br />
eine Amtsenthebung des Wahlvorstands beim<br />
Arbeitsgericht beantragt. Da in diesem Unternehmen<br />
viele Mitarbeiter in befristeten oder geringfügigen<br />
Verträgen arbeiten, zeigen gezielte<br />
Einzelgespräche des Arbeitgebers ihre Wirkung.<br />
Fehler werden provoziert<br />
Mittwoch 10.00 Uhr Arbeitsgericht. Hier wird<br />
gerade die inzwischen achte Kündigung der Betriebsratsvorsitzenden<br />
einer Plegeeinrichtung<br />
verhandelt. Seit etwa eineinhalb Jahren gibt<br />
es mit der neuen Leitung des Hauses heftige<br />
Auseinandersetzungen. Andere Betriebsratsmitglieder<br />
wurden ebenfalls schon mehrfach<br />
gekündigt, Hausverbote in regelmäßigen Abständen<br />
wundern niemanden mehr. Auch vor<br />
Strafanzeigen wegen Diebstahl oder Verletzung<br />
der Aufsichtsplicht schreckt die Einrichtung<br />
nicht zurück. Inzwischen gibt es über 40 Verfahren.<br />
In der Regel sind die Verfahren für den<br />
Arbeitgeber nicht erfolgreich, sollen aber die<br />
Interessenvertretung von den eigentlichen Themen<br />
ablenken. Außerdem hat der Arbeitgeber<br />
den ofenen Krieg erklärt. Dazu gehört auch<br />
eine 1:1-Begleitung bei der täglichen Arbeit, um<br />
Fehler zu provozieren und zu dokumentieren.<br />
Union Busting als Geschäftsmodell<br />
So oder so ähnlich können sich Konlikte um<br />
die Mitbestimmung und Mobbing von Betriebsräten<br />
im Betrieb darstellen. 1 Meist steckt<br />
dahinter ein Konlikt um Verteilung von Ressourcen,<br />
Belastung, Macht. Betriebsräte oder<br />
engagierte Kolleginnen und Kollegen geraten<br />
ins Visier, weil sie Dinge thematisieren und<br />
sich für andere Lösungen einsetzen. Auslöser<br />
gibt es viele. So kann eine neue Führung, die<br />
Wahrnehmung der Mitbestimmungsrechte,<br />
darum geht es<br />
1. Betriebsratsmitglieder<br />
werden mit Schadensersatzklagen<br />
überzogen,<br />
Kündigungen werden<br />
ausgesprochen und Hausverbote<br />
erteilt.<br />
2. Das zermürbt auf<br />
Dauer die Betrofenen<br />
und macht ein demokratisches<br />
Handeln in<br />
Betrieben unmöglich.<br />
3. Angesagt sind hier:<br />
Schnell reagieren, Solidarität<br />
mit den Betrofenen<br />
herstellen und die Öfentlichkeit<br />
einschalten.<br />
demokratie<br />
im betrieb<br />
Für besondere Initiativen,<br />
Projekte, Personen, Aktionen,<br />
die in der Arbeitswelt<br />
Beteiligung und<br />
Demokratie gefördert<br />
haben, vergibt Arbeit und<br />
Leben NRW im Herbst<br />
2<strong>01</strong>7 zum 5. Mal den Preis<br />
»Demokratie im Betrieb«.<br />
Bewerbungsschluss ist<br />
der 15. Juli. Weitere Infos<br />
und Vorschläge unter<br />
www.aulnrw.de oder<br />
ruiner@aulnrw.de.<br />
1 Die hier dargestellten Fälle sind echten Fällen nachgebildet. Die<br />
betroffenen Kolleginnen und Kollegen wollten namentlich nicht<br />
in Erscheinung treten.<br />
11
grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
Datenschutz im Betriebsrat<br />
<strong>AiB</strong> 1 | 2<strong>01</strong>7<br />
Datenschutz<br />
im Betriebsrat<br />
datenschutz Der Betriebsrat sollte auch beim Datenschutzrecht<br />
Vorbild sein: Zum einen hat er die Beschäftigten davor zu schützen,<br />
dass mit ihren Daten Schindluder getrieben wird, zum anderen<br />
muss auch er datenschutzrechtliche Bestimmungen bei den ihm<br />
anvertrauten Daten einhalten. Wie das gelingt, zeigen wir hier.<br />
VON EBERHARD KIESCHE UND MATTHIAS WILKE<br />
darum geht es<br />
1. Was den Datenschutz<br />
anbelangt, schauen<br />
Arbeitgeber, Aufsichtsbehörden<br />
und Gerichte<br />
nun vermehrt auf<br />
Betriebsrats gremien.<br />
2. Auch der Betriebsrat<br />
muss für die ihm<br />
anvertrauten Daten<br />
datenschutzrechtliche<br />
Vorschriften einhalten.<br />
3. Dies kann mit einem<br />
Daten schutzkonzept<br />
und einem BR-Sonderbeauftragten<br />
gelingen.<br />
Aufgepasst: Mittlerweile haben Arbeitgeber<br />
das informationelle Selbstbestimmungsrecht<br />
der Beschäftigten<br />
entdeckt, vor allem dann, wenn<br />
sie damit Informations-, Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte<br />
der Betriebsräte einschränken<br />
können. Aufsichtsbehörden sind auf die<br />
Datenverarbeitung von Betriebsräten aufmerksam<br />
geworden und führen anlassbezogen nach<br />
§ 38 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) in Unternehmen<br />
auch Kontrollen bei Betriebsräten<br />
durch. Inzwischen ahnden auch Arbeitsgerichte<br />
1 Datenschutzverstöße des Betriebsrats.<br />
Teil der verantwortlichen Stelle<br />
Betriebsräte sind, wie das Bundesarbeitsgericht<br />
(BAG) schon 1997 festgestellt hat, Teil<br />
der verantwortlichen Stelle nach § 3 Abs. 7, 8<br />
BDSG (Verantwortliche Stelle ist jede Person<br />
oder Stelle, die personenbezogene Daten für<br />
sich selbst erhebt, verarbeitet oder nutzt oder<br />
Werden dem Betriebsrat<br />
Daten von Beschäftigten<br />
anvertraut, muss er<br />
diese schützen.<br />
1 LAG Berlin-Brandenburg 15.5.2<strong>01</strong>4 – 18 TaBV 828/12.<br />
40
<strong>AiB</strong> 1 | 2<strong>01</strong>7 Datenschutz im Betriebsrat grundlagen der betriebsratsarbeit<br />
dies durch andere im Auftrag vornehmen<br />
lässt.) und damit dem Datenschutz verplichtet.<br />
Gibt der Arbeitgeber personenbezogene<br />
Daten der Beschäftigten an den Betriebsrat<br />
weiter, damit dieser seine Rechte wahrnehmen<br />
kann, stellt das eine Datennutzung durch den<br />
Arbeitgeber dar und ist keine Datenübermittlung.<br />
Hierbei muss aber aber die Kenntnis der<br />
Beschäftigtendaten für die Erfüllung der Betriebsrats-Aufgaben<br />
nach § 32 Abs. 1 BDSG<br />
und nach dem BetrVG erforderlich sein.<br />
Das BAG hat 1997 auch festgestellt, dass<br />
die Datenverwendung des Betriebsrats nicht<br />
der Kontrolle des Arbeitgebers und des betrieblichen<br />
Datenschutzbeauftragten unterliegt.<br />
Der Betriebsrat muss eine umfassende<br />
Selbstkontrolle für sein eigenes Datenschutzmanagement<br />
einführen. Er hat eigenständig<br />
über alle erforderlichen Maßnahmen des Datenschutzes<br />
und der Datensicherheit nach § 9<br />
und Anlage zu § 9 BDSG zu beschließen, so<br />
beispielweise 2 bei der Internetnutzung durch<br />
die Mitglieder des Betriebsrats. Aus diesem<br />
Grund ist es Betriebsratsgremien dringend anzuraten,<br />
ein Datenschutzmanagementsystem<br />
im Betriebsratsbüro zu etablieren und betriebsintern<br />
zu veröfentlichen. Hierfür gibt es eine<br />
Reihe aktueller Anlässe.<br />
Datenschutzverstöße vor den Gerichten<br />
So entschied das LAG Berlin-Brandenburg beispielsweise,<br />
dass der Betriebsrat Beweismittel,<br />
die er aufgrund eines Datenschutzverstoßes<br />
rechtswidrig erlangt hat, nicht verwerten darf. 3<br />
Betriebsratsmitglieder, die durch wiederholte<br />
Einsichtnahme in elektronisch geführte<br />
Personalakten gegen das BDSG verstoßen,<br />
können außerordentlich gekündigt oder aus<br />
dem Betriebsratsgremium ausgeschlossen werden,<br />
weil sie ihre Vorbildfunktion im Beschäftigtendatenschutz<br />
verletzt hat. 4<br />
Datenschutzanweisung im Betriebsrat<br />
Die folgende Datenschutzanweisung für die<br />
Datenverwendung im Betriebsratsgremium<br />
sollte nicht kopiert werden, sondern stets<br />
noch auf das jeweilige Unternehmen, die Beschäftigtenanzahl,<br />
das Gremium und dessen<br />
Strukturen und Prozesse angepasst werden.<br />
Sie wendet sich an Beschäftigte, Arbeitgeber,<br />
betriebliche Datenschutzbeauftragte und Aufsichtsbehörden<br />
für den Datenschutz. 5 v<br />
Vereinbarung:<br />
Datenschutzprozessbeschreibung<br />
für Betriebsratsgremien<br />
} Präambel<br />
Der Betriebsrat (nachfolgend BR) schützt<br />
und fördert die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten<br />
(§ 75 Abs. 2 BetrVG). Von daher<br />
ist es selbstverständlich, dass er ihre personenbezogenen<br />
Daten nur im Rahmen seiner<br />
Aufgaben, Rechte und Plichten nach dem<br />
Betriebsverfassungsgesetz und nur bei Erforderlichkeit<br />
und Verhältnismäßigkeit nach<br />
den Anforderungen des Bundesdatenschutzgesetzes<br />
(BDSG) und zukünftig nach der<br />
EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DS-<br />
GVO) verwendet.<br />
} Maßnahmen<br />
Der BR setzt zum Schutz der Persönlichkeitsrechte<br />
der Mitarbeiter nach § 4 Abs. 1 und<br />
32 BDSG und einzelnen Normen des BetrVG<br />
wie z. B. § 80 Abs. 1, 2 BetrVG die folgenden<br />
Maßnahmen zur Selbstkontrolle um:<br />
1. Als Sonderbeauftragter des BR für den<br />
Datenschutz, der die Verarbeitung der personenbezogenen<br />
Daten im BR-Gremium<br />
überwacht, wird für die Dauer der laufenden<br />
Amtsperiode XXX durch Beschluss<br />
des BR vom … bestellt. Sein/ihr Vertreter<br />
ist … Beide BR-Mitglieder werden fortlaufend<br />
qualiiziert, damit sie ihre Aufgaben<br />
mit der erforderlichen Fachkunde durchführen<br />
können (Anlage 1: Aufgabenbeschreibung<br />
für den BR-Sonderbeauftragten).<br />
2. Der BR-Sonderbeauftragte und sein Vertreter<br />
können dem BR-Vorsitzenden unmittelbar<br />
vortragen und sind in der Ausübung<br />
ihrer Fachkunde weisungsfrei. Beide Personen<br />
werden für ihre Aufgabenerfüllung<br />
im notwendigen Umfang freigestellt (Anlage<br />
2: Zur Position des BR-Sonderbeauftragten).<br />
3. Der BR-Sonderbeauftragte kontrolliert<br />
nicht die Schwerbehindertenvertretung<br />
(nachfolgend SBV). Die SBV regelt und<br />
kontrolliert ihre Datenverarbeitung und<br />
den Datenschutz selbst, kann aber die<br />
terminhinweis<br />
Mehr zu diesem Thema<br />
beim Seminar »Datenschutz<br />
im Betriebsratsbüro«.<br />
Im Vordergrund<br />
stehen die Umsetzung<br />
der gesetzlichen Datenschutzanforderungen<br />
im<br />
Betriebsrats-Gremium,<br />
die EU-DS-GVO, aktuelle<br />
Rechtsprechung und<br />
konkrete Handlungsmöglichkeiten<br />
für das<br />
Gremium. Termin: 27. bis<br />
29. Juni 2<strong>01</strong>7, Ort: Bremen<br />
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€ 19,90<br />
ISBN: 978-3-7663-6586-6<br />
www.bund-verlag.de/6586<br />
2 BAG 12.8.2009 – 7 ABR 15/08, Rnr. 27.<br />
3 Siehe Fußn. 1.<br />
4 LAG Berlin-Brandenburg, ZD 2<strong>01</strong>3, 239 mit Anm. Stück.<br />
5 Die Autoren danken den an der Erarbeitung des Konzepts<br />
beteiligten BR-Gremien und sind für Anregungen dankbar.<br />
kontakt@bund-verlag.de 41<br />
Info-Telefon: 069 / 79 50 10-20
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
Neue Regeln anwenden<br />
<strong>AiB</strong> 1 | 2<strong>01</strong>7<br />
Neue Regeln<br />
anwenden<br />
gesetzesnovelle Die neue Arbeitsstättenverordnung ist nach<br />
langem Streit nun beschlossen. In vielen Betrieben müssen die<br />
Gefährdungs beurteilungen angepasst werden, weil es neue<br />
Vorschriften gibt. Gremien sollten die Arbeits plätze überprüfen.<br />
VON KATHARINA HOFER UND SEBASTIAN WURZBERGER<br />
darum geht es<br />
1. Die geänderte Arbeitsstättenverordnung<br />
enthält<br />
strengere Vorschriften<br />
für den Arbeitgeber.<br />
2. Die veränderte Rechtslage<br />
kann eine erneute<br />
Gefährdungsbeurteilung<br />
im Betrieb notwendig<br />
machen.<br />
3. Betriebsräte sollten<br />
nach § 87 Abs. 1 Nr. 7<br />
BetrVG auf eine Überprüfung<br />
der Gefährdungsbeurteilung<br />
bestehen.<br />
praxistipp 1<br />
Der Ablauf der<br />
Gefährdungsbeurteilung<br />
sollte in<br />
einer Betriebsvereinbarung<br />
festgehalten<br />
werden. Der<br />
Betriebsrat hat ein<br />
Initiativrecht. Er<br />
kann jeden Schritt<br />
mit regeln.<br />
Der Arbeitgeber ist für die Gesundheit<br />
seiner Beschäftigten verantwortlich.<br />
Er muss Gefahren physischer<br />
und psychischer Natur<br />
für jeden einzelnen Arbeitsplatz erkennen<br />
und Maßnahmen festlegen, die den Gefahren<br />
entgegenwirken. Dazu dient die Gefährdungsbeurteilung<br />
in § 5 Arbeitsschutzgesetz<br />
(ArbSchG). Konkretere Ausführungen zu den<br />
Plichten des Arbeitgebers im Arbeitsschutz<br />
enthält die jetzt reformierte Arbeitsstättenverordnung.<br />
Die nun strengeren Vorschriften können<br />
Anpassungen der Gefährdungsbeurteilungen<br />
nötig machen.<br />
Das ist neu in der Arbeitsstättenverordnung<br />
Neu sind konkretere Hinweise für die Arbeitsschutz-Unterweisung.<br />
Arbeitgeber waren zwar<br />
schon bisher verplichtet, ihre Beschäftigten<br />
auf Gefahren hinzuweisen. Die neue Verordnung<br />
enthält nun aber konkretere Hinweise,<br />
über welche Gefährdungen Arbeitgeber<br />
ihre Beschäftigten unterweisen müssen (etwa<br />
Brandschutzmaßnahmen, Erste Hilfe, Fluchtwege<br />
und Notausgänge).<br />
Ebenso neu: Die Regeln der Bildschirmarbeitsverordnung<br />
gehen vollständig in die Arbeitsstättenverordnung<br />
(ArbStättVO) ein. Bildschirmarbeitsplätze,<br />
auch im Home-Oice,<br />
müssen nicht nur die richtige Arbeit shöhe,<br />
genügend Arbeitsläche und ausreichende<br />
Lichtverhältnisse haben. Klargestellt ist jetzt,<br />
dass die Einhaltung dieser Vorschriften durch<br />
den Arbeitgeber an den Heimarbeitsplätzen<br />
kontrolliert werden muss – zumindest für die<br />
erstmalige Einrichtung des Home-Oice. Der<br />
Arbeitgeber muss mittels Unterweisung sicherstellen,<br />
dass die Home-Oice-Mitarbeiter<br />
die Arbeitsschutzvorschriften kennen und die<br />
Begehung der Wohnung durch den Betriebsarzt<br />
oder die Fachkraft für Arbeitssicherheit<br />
ermöglichen. Eine Vereinbarung muss konkret<br />
regeln, wie der Heimarbeitsplatz aussieht und<br />
wie die Arbeitszeiten ausgestaltet werden.<br />
} Praxistipp:<br />
Prüfen Sie, welche dieser Änderungen bei Ihnen<br />
im Betrieb relevant sind. Werden Home-<br />
Oice Arbeitsplätze ausreichend kontrolliert?<br />
Kann gewährleistet werden, dass die Mitarbeiter<br />
ihre Pausen einhalten? Finden regelmäßige<br />
und ausreichende Unterweisungen statt? Gibt<br />
es auch am Home-Oice-Arbeitsplatz ein Fenster<br />
als Lichtquelle?<br />
definition<br />
Die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)<br />
richtet sich an Arbeitgeber und enthält<br />
Festlegungen für das Einrichten und Betreiben<br />
von Arbeitsstätten. Arbeitsstätten sind<br />
Orte in Gebäuden oder im Freien, die sich<br />
auf dem Gelände eines Betriebs oder einer<br />
Baustelle beinden und zur Nutzung für Arbeitsplätze<br />
vorgesehen sind bzw. zu denen<br />
die Beschäftigten im Rahmen ihrer Arbeit<br />
Zugang haben.<br />
52
<strong>AiB</strong> 1 | 2<strong>01</strong>7<br />
Neue Regeln anwenden<br />
arbeits- und gesundheitsschutz<br />
Und so wird es umgesetzt<br />
Haben Sie festgestellt, dass etwa die Unterweisungen<br />
in Ihrem Betrieb bisher nicht vollständig<br />
durchgeführt oder die Heimarbeitsplätze Ihrer<br />
Kollegen nie begutachtet wurden, fordern Sie<br />
den Arbeitgeber, geeignete Maßnahmen zum<br />
Schutz der Gesundheit zu ergreifen. Grundlage<br />
dafür ist § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, der dem<br />
Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht<br />
gibt. Die Regeln zur Gefährdungsbeurteilung<br />
aus dem ArbSchG selbst enthalten keine<br />
endgültigen Vorgaben zur Umsetzung. Das<br />
heißt: Sie haben einen eigenen Beurteilungsspielraum,<br />
wie die Gefährdungsbeurteilung<br />
umgesetzt werden soll und können selbst die<br />
inhaltlichen Schwerpunkte dafür festlegen. Geeignete<br />
Methoden sind etwa Beurteilungsverfahren<br />
(welche?) und Erhebungsinstrumente<br />
wie Fragebögen oder Checklisten, die für die<br />
Bedürfnisse des Betriebs ausgestaltet werden.<br />
Das Gremium sollte sich zunächst eigene<br />
Gedanken zur Umsetzung machen und diese<br />
weiter mit dem Arbeitgeber erarbeiten. Welche<br />
Anforderungen ergeben sich aus den neuen<br />
Regelungen für die einzelnen Arbeitsplätze?<br />
Wie können diese durch bauliche, technische<br />
oder organisatorische Maßnahmen umgesetzt<br />
werden? Dies wird bei der Einrichtung eines<br />
Home-Oice-Arbeitsplatzes besonders deutlich.<br />
Dieser muss genauso ausgestattet sein, wie der<br />
Bildschirmarbeitsplatz im Betrieb. Neben der<br />
Einhaltung ergonomischer Vorgaben für Stuhl,<br />
checkliste<br />
Tastatur und Maus müssen ausreichend Tageslicht<br />
und Pausen gewährleistet werden. Ein realistisches<br />
Bild erhält der Betriebsrat nur, wenn<br />
er die Mitarbeiter rechtzeitig und umfassend<br />
zu möglichen Risiken befragt. Für Home-Ofice<br />
Arbeitsplätze bedeutet dies im Idealfall,<br />
gemeinsam mit dem Arbeitnehmer die individuellen<br />
Gegebenheiten vor Ort zu besichtigen,<br />
um eine möglichst weitgehende Umsetzung der<br />
gesetzlichen Vorgaben zu garantieren.<br />
Einigungsstelle im Arbeitsschutz<br />
Die Lösungsvorschläge sollten dem Arbeitgeber<br />
schriftlich, zum Beispiel in Form einer<br />
Handlungsempfehlung oder Betriebsvereinbarung<br />
vorgelegt werden. Wird der Arbeitgeber<br />
auch auf Auforderung des Betriebsrats nicht<br />
aktiv, kann der Betriebsrat die Einigungsstelle<br />
anrufen und versuchen, auf diesem Weg seine<br />
Vorschläge durchzusetzen. Allein die Drohung<br />
reicht oft schon aus, um den Arbeitgeber zum<br />
Handeln zu bewegen. v<br />
Vorgehen für eine Gefährdungsbeurteilung –<br />
die wichtigsten Punkte:<br />
1. Anlass für die neue Gefährdungsbeurteilung<br />
in Betriebsvereinbarung festlegen<br />
(etwa die regelmäßige Überprüfung schon<br />
getrofener Maßnahmen oder neue Überprüfung<br />
wegen geänderter Vorschriften).<br />
2. Alternativ: Antragsrecht der Betriebsparteien<br />
für die Gefährdungsbeurteilung<br />
in einzelnen Arbeitsbereichen einräumen.<br />
3. Physische und psychische Belastungen<br />
für die einzelnen Arbeitsbereiche prüfen<br />
und neu festlegen – haben sie sich seit<br />
der letzten Gefährdungsbeurteilung verändert?<br />
Katharina Hofer,<br />
Rechtsanwältin,<br />
AfA Rechtsanwälte Nürnberg.<br />
www.afa-anwalt.de<br />
Sebastian Wurzberger,<br />
Wirtschaftsjurist, LL.B.,<br />
AfA Rechtsanwälte Nürnberg.<br />
www.afa-anwalt.de<br />
4. Bereits erkannte Gefährdungen prüfen,<br />
neue Gefährdungen ermitteln und beurteilen<br />
mittels Beschäftigtenbefragung,<br />
Workshops und Arbeitsplatzanalyse.<br />
5. Festlegung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen,<br />
wie etwa den Einbau weiterer<br />
Fenster zwecks Lichtquelle oder die Durchführung<br />
ausführlicher Unterweisungen.<br />
6. Durchführung der Maßnahmen und Wirksamkeitskontrolle<br />
zum Beispiel durch<br />
Folge befragung oder erneute Gefährdungsbeurteilung.<br />
7. Ergebnisse dokumentieren.<br />
praxistipp 2<br />
Der Arbeitgeber ist<br />
für das Umsetzen<br />
der Gefährdungsbeurteilung<br />
im Betrieb<br />
verantwortlich. Der<br />
Betriebsrat hat eine<br />
Überwachungsplicht.<br />
Keine falsche<br />
Zurück haltung!<br />
praxistipp 3<br />
Arbeitsschutzschulungen<br />
gehören<br />
zum Grundlagenwissen<br />
gemäß § 37<br />
Abs. 6 BetrVG. Jedes<br />
Betriebsratsmitglied<br />
hat Anspruch auf<br />
Schulungen un abhängig<br />
von der Unfallhäuigkeit<br />
im Betrieb<br />
und muss über<br />
Grundwissen verfügen<br />
(BAG 15.5.1986,<br />
6 ABR 74/83).<br />
praxistipp 4<br />
Neu ist, dass auch<br />
psychische Belastungen<br />
in der<br />
ArbstättV geregelt<br />
sind. Sie müssen<br />
bei jeder Gefährdungsbeurteilung<br />
berücksichtigt<br />
werden. Belastungen<br />
durch Lärm,<br />
falsche Beleuchtung<br />
oder ergonomische<br />
Mängel gehen in<br />
die Gefährdungsbeurteilung<br />
ein.<br />
lesetipp<br />
Mehr Informationen zur<br />
Gefährdungsbeurteilung<br />
und der Durchführung<br />
im Titelthema <strong>AiB</strong> 9/2<strong>01</strong>5<br />
ab S. 10.<br />
53
Schnell. Verständlich. Rechtssicher.<br />
Arbeitsrecht<br />
im Betrieb<br />
<strong>AiB</strong> | FACHZEITSCHRIFT FÜR DEN BETRIEBSRAT<br />
BETRIEBSRATSMOBBING<br />
Abwehr durch<br />
Schulterschluss<br />
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§<br />
Ihr gutes Recht:<br />
§<br />
Laut BAG vom 19. März 2<strong>01</strong>4 ist die Zeitschrift »<strong>AiB</strong>«<br />
trotz Internetzugang für die Betriebsratsarbeit erforderlich.<br />
(AZ:7 ABN 91/13)<br />
Ganz nah dran.<br />
Ihr Partner im Arbeits- und Sozialrecht.