Gedanken wie Seifenblasen - Bottrop
Gedanken wie Seifenblasen - Bottrop
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Eine Woche<br />
Ein Thema<br />
Paolo Franci<br />
Unzählige GEDANKEN<br />
Aktionen<br />
EDANKEN<br />
GEDANKEN<br />
GEDANKEN<br />
DEMENZ-AKTIONSWOCHE BOTTROP<br />
16. bis 23. Juni 2012<br />
GEDANKEN<br />
Weitere Informationen unter:<br />
GEDANKEN<br />
www.gedanken-<strong>wie</strong>-seifenblasen.de
INHALT<br />
Warum eine Demenz-Aktionswoche? 6<br />
Der Auftakt: Zusammen getrommelt 10<br />
Paten und Partner 16<br />
MITEINANDER<br />
Sommercafé <strong>wie</strong> damals 20<br />
Stadtrundgang auf den Spuren vergangener Zeiten 22<br />
Sommerball: Komm lass uns tanzen! 24<br />
Sternstunden: ein Abend voller Erlebnisse 26<br />
Kohle weckt Erinnerungen 28<br />
Seniorentanz – ein munterer Reigen auf dem Berliner Platz 30<br />
Tiere tun gut 32<br />
Das Pferd auf dem Flur . . . 33<br />
KREATIVITÄT / THEATER, TON UND TÖNE<br />
Schlag auf Schlag im Bildhauer-Workshop 34<br />
Vom braunen Ton zum bunten Bild 36<br />
Fotos erfassen das Wesen der Demenz 38<br />
Farben und Formen ins Bild gesetzt 39<br />
Absurdes Straßentheater: vom Asphaltwässern... 40<br />
... zum Spaziergang im Bademantel 41<br />
Ein Fischlein wollte Hochzeit machen... 42<br />
Ton um Ton mit Spaß an der Musik 43<br />
Assauer gibt der Demenz ein prominentes Gesicht 44<br />
Ton an, Streifen läuft – Filme zum Thema Demenzkranke 46<br />
Kreatives Schaffen kennt keine Vorschriften 47<br />
IN GUTEM GEIST<br />
„Spirituelle Tankstelle“ gab Kraft 48<br />
Gottesdienste für Demenzkranke gestalten 50<br />
„Für den Augenblick“ und darüber hinaus 50<br />
4
5<br />
„Die Welt mit anderen Augen sehen“ 52<br />
Demenz-Parcours 53<br />
Wenn der „Tatort“ zu hektisch wird... 53<br />
GUTER RAT FüR ANGEHÖRIGE<br />
Guter Rat war nicht teuer 54<br />
„Silviahemmet Touch“ - Wohlgefühl durch Berührung vermitteln 56<br />
„Snoezelen“ - angenehme Reize für alle Sinne 57<br />
„Breathworks“ oder Achtsamkeit im Alltag 58<br />
Innere Kraftquellen aufdecken 59<br />
Zeit für ein Gespräch - denken Sie auch an sich! 59<br />
Ein offenes Ohr schenkte der „Sieben Freunde e. V.“ 59<br />
Gutes Wohnen trotz Demenz 60<br />
Knappschaft brachte die grauen Zellen in Schwung 61<br />
DEMENZ UND MIGRATION<br />
Alt werden in der Fremde 62<br />
FACHLICHES<br />
Formen der Demenz und therapeutische Möglichkeiten 64<br />
VORBEUGUNG<br />
Balance finden zwischen Tun und Lassen 66<br />
AUSBILCK<br />
Ein Kraftakt, der Perspektiven eröffnet 68<br />
DANKSAGUNG 70<br />
IMPRESSUM 72
MITEINANDER 6<br />
Foto: © Pläsken<br />
Hochfliegende Pläne: Dr. Astrid Danneberg<br />
(links) und Barbara Josfeld gaben den Anstoß<br />
zur Aktion „<strong>Gedanken</strong> <strong>wie</strong> <strong>Seifenblasen</strong>“ und<br />
begleiteten die am Ende über 150 Aktionen.
7<br />
Warum eine Demenz-Aktionswoche?<br />
Augenfällig statt verborgen, öffentlich im Gespräch statt versch<strong>wie</strong>gen: Sieben Tage lang<br />
erlebten die <strong>Bottrop</strong>er Bürger einen ungewohnt offensiven Umgang mit Demenz und Dementen.<br />
Die Aktionswoche unter dem Titel „<strong>Gedanken</strong> <strong>wie</strong> <strong>Seifenblasen</strong>“ beanspruchte vom<br />
16. bis 23. Juni 2012 einen prominenten Schauplatz in der Stadtmitte, sie fand eine Bühne<br />
in den Geschäftshäusern der City, sie wurde begleitet von Musik und Gesang, sie gab der<br />
Lebensfreude Raum, bot Gesprächsstoff und Anlass zum Nachdenken über Demenz, Humor<br />
und Vergessen, war eingebettet in ein vielfältiges Beratungs- und Informationsangebot.<br />
Mit diesem großen Schritt an die Öffentlichkeit<br />
gingen das Gesundheitsamt und viele<br />
weitere Akteure neue Wege im Umgang mit<br />
der Demenz, damit Erkrankte und Angehörige<br />
mehr Lebensqualität gewinnen Ziel<br />
war es, Berührungsängste durch Begegnungen<br />
abzubauen, den Erkrankten neue<br />
Aktionsräume zu eröffnen, die Bürger zu<br />
sensibilisieren und vor allem: Lebensfreude<br />
als verbindendes Element von Betroffenen<br />
und Nicht-Betroffenen in den Vordergrund<br />
zu rücken Denn der Demenzkranke verliert<br />
zwar allmählich die Erinnerung, doch er lebt<br />
intensiv im Hier und Jetzt: Diesen Augenblick<br />
mit ihm gemeinsam zu erleben, schenkt auch<br />
Angehörigen Zufriedenheit und das seltene<br />
Gefühl der Nähe Mit diesem positiven Ansatz<br />
schuf die Aktionswoche ein Gegengewicht zu<br />
Gefühlen <strong>wie</strong> Unsicherheit, Scham und Angst,<br />
mit denen Erkrankte und Angehörige häufig<br />
auf die Demenz reagieren<br />
<strong>Bottrop</strong> muss sich <strong>wie</strong> alle Städte der Region<br />
auf einen demographischen Wandel einstellen,<br />
der die Zahl der alten, mithin auch<br />
der dementen Bürger rascher als im übrigen<br />
Bundesgebiet steigen lässt Die Auseinandersetzung<br />
mit dem Thema Demenz treiben<br />
im Gesundheitsamt Psychiaterin Dr Astrid<br />
Danneberg und Demenzberaterin Barbara<br />
Josfeld voran Als eine von wenigen Städten<br />
im Ruhrgebiet gibt es in <strong>Bottrop</strong> seit 2006<br />
die Demenzberatung, die seit 2008 über<br />
Stiftungsgelder als Angebot des Gesundheitsamtes<br />
der Stadt etabliert ist Der mobile<br />
Demenzservice des Gesundheitsamtes trägt<br />
Information und Testverfahren in alle Stadtteile;<br />
das Thema ist der Öffentlichkeit nicht<br />
fremd Dies hat der Demenz-Veranstaltungswoche<br />
den Boden bereitet und viel zu ihrer<br />
Akzeptanz vor Ort beigetragen<br />
Den Anstoß gaben Barbara Josfeld und<br />
Dr Astrid Danneberg Dabei stand gedanklich<br />
eine Kampagne aus dem Herbst 2009 in Berlin<br />
Pate, die das Thema Demenz mit künstlerischen<br />
Mitteln und in positiver Darstellung<br />
öffentlich inszeniert hatte Dieser Gedanke<br />
fiel auf fruchtbaren Boden: Bei einer Umfrage<br />
im Frühjahr 2010 zeigten sich die Akteure<br />
der <strong>Bottrop</strong>er Kunstszene spontan zum<br />
Mitmachen bereit Doch ließ sich die Absicht<br />
nicht verwirklichen, eine Veranstaltung nach<br />
Berliner Vorbild in <strong>Bottrop</strong> umzusetzen Denn<br />
dieser Plan hätte nicht nur den Gestaltungsspielraum<br />
der lokalen Akteure eingeschränkt,<br />
er hätte vor allem den finanziellen Rahmen<br />
gesprengt Den Verantwortlichen im Gesundheitsamt<br />
war klar: Außer Manpower, also der<br />
Arbeitskraft der Mitarbeiter, konnte die<br />
Stadtverwaltung nur geringe Mittel investieren,<br />
denn die Finanzlage der Stadt war und<br />
ist äußerst angespannt Tatsächlich wurde die<br />
Demenz-Aktionswoche ausschließlich mit<br />
Sponsoren- und Stiftungsgeldern verwirklicht<br />
Vor diesem Hintergrund war das große<br />
ehrenamtliche Engagement vieler Beteiligter<br />
von unbezahlbarem Wert<br />
Im Mai 2011 stand fest: <strong>Bottrop</strong> stemmt die<br />
Veranstaltungswoche namens „<strong>Gedanken</strong><br />
<strong>wie</strong> <strong>Seifenblasen</strong>“ aus eigener Kraft und mit<br />
eigenen Akteuren Dieser Plan konnte nur gelingen,<br />
wenn er Wurzeln schlug in der Stadt,<br />
wenn viele <strong>Bottrop</strong>er ihre Ideen einbrachten<br />
und die Aktion als ihr eigenes Anliegen vorantrieben<br />
Über die lokalen Medien wurde die<br />
Öffentlichkeit informiert, Oberbürgermeister<br />
Bernd Tischler übernahm die Schirmherrschaft<br />
Das Gesundheitsamt rief alle Interessenten<br />
zu einer Ideenwerkstatt zusammen,<br />
vier weitere folgten bis Mai 2012 Beim ersten<br />
Treffen zeigte sich, dass der Funke bereits<br />
gezündet hatte Am Ende lagen Zusagen für<br />
30 Aktionen auf dem Tisch, 30 weitere Ideen<br />
waren geboren<br />
Der Umfang der Aktionswoche wuchs Im<br />
Gesundheitsamt wurden die Arbeitsbereiche<br />
umstrukturiert Um Psychiaterin Dr Danneberg
MITEINANDER 8<br />
und Barbara Josfeld von täglichen Aufgaben<br />
zu entlasten, musste für die Demenzberaterin<br />
ein zusätzliches Zeitkontingent von 300<br />
Stunden geschaffen werden Ein Jahr vor der<br />
Veranstaltung übernahm eine Lenkungsgruppe<br />
Vorbereitung und Planung Ihre Zusammensetzung<br />
repräsentierte gleichermaßen<br />
die Beteiligten <strong>wie</strong> die gesellschaftlichen<br />
Gruppen, die für die Aktionswoche eine Rolle<br />
spielten und daher in die Planung eingebunden<br />
sein sollten: Neben den Initiatorinnen aus<br />
dem Gesundheitsamt waren Stadtkämmerer<br />
Willi Loeven, Andrea Multmeier als Vorsitzende<br />
des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtverbandes<br />
in <strong>Bottrop</strong>, Ratsfrau Renate Palberg als<br />
Vorsitzende des Sozial- und Gesundheitsausschusses,<br />
Stadtpressesprecher Andreas Pläsken<br />
und Apotheker Peter Stadtmann beteiligt<br />
Im Oktober 2011 richtete das Presseamt<br />
auf der Homepage der Stadt Seiten für die<br />
Aktionswoche ein Fortan konnte sich jeder<br />
Interessierte über den Planungsstand informieren<br />
Im Februar 2012 lagen alle schriftlichen<br />
Zusagen vor 80 Akteure, hinter denen<br />
mehrere 100 Beteiligte standen, bereiteten<br />
150 Veranstaltungen vor - vom Keyboard-Kurs<br />
über einen Pony-Besuch im Altenheim bis<br />
zum Sommerball in einer Tanzschule Die<br />
KONTAKT<br />
Foto: © Josfeld<br />
Gut beschirmt: Auch Marvin zählte zu den<br />
engagierten jungen Paten, die während der Aktionswoche<br />
ihre älteren Schützlinge begleiteten.<br />
Stadt ließ 10 000 Ankündigungsflyer drucken,<br />
die über Apotheken und Arztpraxen verteilt<br />
wurden<br />
Zwei Monate vor dem Start lief die Patenaktion<br />
an 30 Schüler aus weiterführenden<br />
Schulen wurden mehrere Wochen lang im<br />
Umgang mit Demenzkranken geschult und<br />
an demenziell veränderte Partner vermittelt,<br />
die sie während der Aktionswoche begleiteten<br />
und unterstützten<br />
Auskunft geben im Gesundheitsamt der Stadt <strong>Bottrop</strong>:<br />
Dr. med. Astrid Danneberg, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Leiterin des Sozialpsychiatrischen<br />
Dienstes und Psychiatriekoordinatorin (Telefon 0 20 41 / 70 33 34), und Barbara<br />
Josfeld, Diplom-Sozialarbeiterin und Diplom-Sozialpädagogin (Telefon 0 20 41 / 70 37 73).
9<br />
Sechs Wochen vor dem Start intensivierte die<br />
Lenkungsgruppe die Öffentlichkeitsarbeit Mit<br />
einer Auflage von 20 000 Exemplaren erreichte<br />
die Programmbroschüre mit detaillierten<br />
Informationen zu jedem Veranstaltungstag<br />
über Geschäfte, Behörden, Apotheken,<br />
Praxen und die Akteure ein breites Publikum<br />
Plakate sicherten der Aktionswoche im<br />
Vorfeld Aufmerksamkeit, Lokalpresse und<br />
-funk berichteten mehrfach und ausführlich,<br />
die ersten überregionalen Medien meldeten<br />
Interesse an<br />
Die Aktionswoche löste ein lebhaftes Echo<br />
aus, Kamerateams von RTL, Sat 1 und WDR<br />
berichteten über Akteure und Aktionen in<br />
<strong>Bottrop</strong> Dieses Medieninteresse war vor allem<br />
Foto: © Kaprol<br />
dem Einsatz der <strong>Bottrop</strong>er Schüler als Paten<br />
geschuldet Ohne ihr Engagement wäre die<br />
Veranstaltungswoche nicht möglich gewesen<br />
Der Vielzahl aller Beteiligten und Unterstützer<br />
sei herzlich gedankt<br />
Action, bitte: Christel in´t Veen vom Senioren-<br />
theater „Spätblüte“ gab beim Eröffnungsfest<br />
auf dem Berliner Platz den Startschuss für einen<br />
temperamentvollen Einsatz der schauspielbegeisterten<br />
Damen.
MITEINANDER 10<br />
Der Auftakt: Zusammen getrommelt<br />
Der Auftakt ließ die Innenstadt aufhorchen, nachdem Oberbürgermeister Bernd Tischler<br />
als Schirmherr die Aktionswoche eröffnet hatte. Der Trommelklang vom Berliner Platz war<br />
weithin zu hören und weckte Neugier bei den zahlreichen Wochenmarkt-Besuchern - viele<br />
von ihnen zog es zur Bühne, wo sich schließlich rund 400 Besucher zusammen fanden.<br />
Sie bildeten mit Senioren aus den Altenheimen der Stadt, ihren Angehörigen und jungen<br />
Begleitern, Helfern und Akteuren der Demenzwoche eine bunte und altersgemischte<br />
Zuschauergruppe in wechselnder Zusammensetzung, denn auf dem Berliner Platz herrschte<br />
lebhaftes Kommen und Gehen. In der ersten Bank-Reihe mit dabei: Heike Taut-Franci,<br />
Leiterin der Selbsthilfe-Gruppen Angehörige Demenzkranker, und ihr Ehemann Paolo. Der<br />
56-Jährige lebt seit sechs Jahren mit Alzheimer-Demenz und ist zur Symbolfigur der Aktionswoche<br />
geworden. Denn die Fotos des fröhlichen <strong>Bottrop</strong>ers inmitten schillernder <strong>Seifenblasen</strong><br />
warben auf jeder Programmbroschüre für das zentrale Anliegen der Veranstaltung:<br />
Lebensfreude und Demenz sind keine unvereinbaren Gegensätze; sie gehen vielmehr eine<br />
Verbindung ein, die Perspektiven eröffnet. Diese lebensfrohen Momente hat Paolo Francis<br />
Freund, der Hobby-Fotograf Hartmut Schmuchal, mit der Kamera dokumentiert.<br />
Foto: © Pläsken<br />
Das Interesse des Publikums verteilte sich<br />
auf zwei Schauplätze Auf der Bühne bot ein<br />
buntes Programm mit Kabarett und Musik,<br />
Zauberei und <strong>Seifenblasen</strong>-Kunst viel für Augen<br />
und Ohren und lud zum Mitmachen ein<br />
Den zweiten Schwerpunkt bildete der „Markt<br />
der Möglichkeiten“: An Informationsständen<br />
stellten Einrichtungen und Organisationen<br />
Mit Schwung: Irena Bilenka-Chaplin zeigte dem<br />
Publikum, dass <strong>Seifenblasen</strong> mehr als nur ein<br />
Kinderspaß sein können. Die Showkünstlerin<br />
hat es in dieser Kunst immerhin zur Weltmeisterschaft<br />
gebracht.
11<br />
ihre alters- und demenzspezifischen Angebote<br />
vor Wer Informationen suchte über<br />
Mittel und Wege, Demente und pflegende<br />
Angehörige zu unterstützen, fand einen Ansprechpartner<br />
oder vereinbarte einen Termin<br />
Vielen Anbietern begegneten die Besucher<br />
während der Woche an Informationsständen<br />
ein weiteres Mal<br />
Am Stand der Caritas stand das Erinnern im<br />
Mittelpunkt, ebenso das Erinnert-Werden, das<br />
durch Alltagsgegenstände vergangener Jahre<br />
ausgelöst werden kann Fachbereichsleiter<br />
Martin Schindler nahm die stark beanspruchten<br />
Angehörigen Demenzkranker in den Blick<br />
und führte die uralte chinesische Bewegungsmeditation<br />
Taijiquan vor, die innere<br />
Ruhe und Ausgeglichenheit fördern soll Die<br />
Arbeiterwohlfahrt <strong>Bottrop</strong> / Gelsenkirchen<br />
demonstrierte, auf welche Weise Sinne angeregt<br />
werden können Unterstützung leistete<br />
dabei Handpuppe „Paula“, mit der sich Hartmut<br />
Skrok unter die Besucher mischte und<br />
das Gespräch suchte Der Einrichtungsleiter<br />
des AWO-Altenheims „Schattige Buche“ weiß<br />
Paulas Qualitäten zu schätzen: „Die hat echt<br />
Charme Und man kann ihr nicht böse sein “<br />
Die Diakoniestation führte vor, <strong>wie</strong> die Spielekonsole<br />
„Wii“ zur Motivation genutzt werden<br />
kann, um Bewegungsabläufe zu trainieren<br />
Die Farb- und Lichttherapie <strong>wie</strong>derum unterstützt<br />
bei demenziell veränderten Menschen<br />
Stimmungen, indem sie beruhigend oder<br />
anregend wirkt<br />
Für Farbtupfer, die auch mit Gerüchen<br />
Erinnerungen weckten, sorgte mit Rosen<br />
und Lavendel auf dem Platz der Garten- und<br />
Landschaftsgestalter Dirk Blanik aus Kirchhel-<br />
len Ebenso anregend wirkte das „Fingerfood“,<br />
das die Gastronomie- und Hauswirtschaftsschüler<br />
des Berufskollegs vorbereitet hatten<br />
Unermüdlich waren sie mit Tabletts, beladen<br />
mit leckeren kleinen Häppchen, auf dem<br />
„Markt der Möglichkeiten“ unterwegs, und<br />
die Besucher griffen gern zu Mancher Angehörige<br />
nahm die Anregung mit nach Hause,<br />
Oberbürgermeister Bernd Tischler:<br />
Foto: © Pläsken<br />
Hemdsärmeliger Charme: Dr. Ludger Stratmann<br />
absolvierte in der neuen guten Stube <strong>Bottrop</strong>s,<br />
dem Berliner Platz, ein Heimspiel in Sachen<br />
medizinisches Kabarett.<br />
Demenzpatienten appetitliche Kleinigkeiten<br />
im Vorübergehen anzubieten, wenn ihnen<br />
die Ruhe für eine „richtige Mahlzeit“ fehlt<br />
Der Rhythmus der Trommel beschwört einen<br />
vertrauten Klang herauf, erinnert er doch<br />
an den Herzschlag, der den Takt des Lebens<br />
„Die wichtigste Erkenntnis im Umgang mit dieser Krankheit muss heißen: Demenz macht nicht<br />
handlungsunfähig! Es ist eher die Angst vor der Krankheit, die den Betroffenen handlungsunfähig<br />
macht und dazu führt, dass er sich zurückzieht und soziale Kontakte aufgibt. Genau das ist<br />
der falsche Weg im Umgang mit Demenz.“
MITEINANDER 12<br />
vorgibt Trommeln sind auch auf hervorragende<br />
Weise geeignet, ein musikalisches<br />
Gemeinschaftserlebnis zu stiften Beide<br />
Eigenschaften macht sich der Theologe und<br />
Familientherapeut Johnny Lamprecht zunutze,<br />
der das Trommelspiel perfekt beherrscht<br />
Wozu sind Trommeln gut?, wollte Moderator<br />
Philipp Steimel von dem Mann wissen, der<br />
seine Kunst während eines mehrjährigen<br />
Afrika-Aufenthalts gelernt hat Lamprecht<br />
verzichtete auf musiktherapeutisch fundierte<br />
Erklärungen und gab stattdessen eine<br />
schlichte Antwort in Form eines afrikanischen<br />
Sprichworts: Drei Mittel lindern Sorgen - nämlich<br />
Trommeln, Singen und Tanzen<br />
Der Musiker setzte dieses Rezept in die Tat<br />
Foto: © Pläsken<br />
um, kräftig unterstützt auf der Bühne von den<br />
Jungen und Mädchen aus der Konrad-Grundschule<br />
Darüber hinaus fanden 50 Trommeln<br />
Abnehmer im Publikum - in erfahrenen<br />
oder Anfänger-Händen Sie waren dort gut<br />
aufgehoben, denn die einfach gebauten<br />
Schlaginstrumente können auch Laien Erfolgserlebnisse<br />
vermitteln Ihr Klang teilt sich<br />
nicht nur über den Hörsinn mit, er wird als<br />
Vibration im ganzen Körper spürbar Johnny<br />
Lamprecht gab zu einprägsamen Melodien<br />
vom Tonband den Takt vor - und der Berliner<br />
Platz fand allmählich seinen Rhythmus<br />
Die Mutigsten trommelten frisch drauflos,<br />
andere schlugen zunächst vorsichtig und<br />
zaghaft, dann mit wachsendem Vergnügen,<br />
Dicht an dicht: Beim Auftritt des bekannten<br />
<strong>Bottrop</strong>er Kabarettisten Ludger Stratmann blieb<br />
in den Bankreihen kein Platz frei.<br />
während die Konrad-Schüler zur Musik tanzten<br />
Die Bewegung auf der Bühne sprang auf<br />
das Publikum über, sie fand einen Widerhall<br />
bei Alten und Jungen, bei Demenzkranken<br />
und anderen Senioren - wer hätte sie unterscheiden<br />
können in diesem Moment, geprägt<br />
von gemeinsamer Freude an der Musik? Finger<br />
schnippten, Köpfe wippten, Füße zuckten,<br />
Hüften <strong>wie</strong>gten sich im Takt der Melodie bei<br />
Elefantentanz und Mutmach-Lied<br />
Kinder und Vortrommler hämmerten den<br />
Besuchern ihre selbstbewusste und fröhliche
13<br />
Botschaft ein: „Ich bin klasse, du bist klasse “<br />
Das Publikum entwickelte zusehends mehr<br />
Spaß an der ungewöhnlichen Aktion und<br />
an den starken Tönen, die das improvisierte<br />
Orchester zum Himmel schickte<br />
„Das hält Demenz und Vergesslichkeit ein wenig<br />
auf“, verkündete Johnny Lamprecht auf der<br />
Bühne, der den beteiligten Schülern augenzwinkernd<br />
eine Leistungssteigerung um „eine<br />
Viertelnote in Mathe“ in Aussicht stellte Ob<br />
diese Rechnung aufgeht, mag dahingestellt<br />
sein, aber grundsätzlich gibt die Wissenschaft<br />
dem Trommelkünstler recht Langzeitstudien<br />
haben ergeben, dass aktives Musizieren neben<br />
Wahrnehmung und Denken die motorischen<br />
Fähigkeiten trainiert Ebenso deutlich <strong>wie</strong><br />
Schachspielen und Tanzen reduziert Instrumentalspiel<br />
das Risiko einer Demenzerkrankung<br />
Also: Weitertrommeln!!<br />
Mit hemdsärmeligem Charme, lässig in Jeans<br />
und eine Hand in die Hüfte gestemmt: Als<br />
der Trommelzauber verklungen war, ließ ein<br />
gut gelaunter Doktor Ludger Stratmann das<br />
Publikum spüren, dass er sich bei diesem Auftritt<br />
in seiner Heimatstadt pudelwohl fühlte<br />
Und mancher ältere Zuschauer erinnerte sich<br />
noch an die Praxis des Allgemeinmediziners<br />
in <strong>Bottrop</strong>, wo „Herr Doktor“ durch konzentriertes<br />
Zuhören in der Sprechstunde den<br />
Grundstein legte für seine zweite Karriere als<br />
bundesweit erfolgreicher Kabarettist<br />
Steht für die gute Sache: Oberbürgermeister<br />
Bernd Tischler eröffnete mit überzeugenden<br />
Worten die Aktionswoche mit ihren vielfältigen<br />
Aktivitäten.<br />
Foto: © Pläsken
MITEINANDER 14<br />
Stratmann bekannte sich vor vollbesetzten<br />
Bankreihen auf dem Berliner Platz zu seiner<br />
Vorliebe für den schnörkellosen, direkten<br />
Umgangston, der den „Ruhris“ aus der Seele<br />
spricht: „<strong>Bottrop</strong> ist alles andere als eine<br />
Bussi-Bussi-Gesellschaft “ Für deren falschen<br />
Zungenschlag hat er nichts übrig Aber für<br />
falsches Deutsch: „Wir sprechen keinen Dialekt<br />
Wir sprechen einfach falsch, das muss man<br />
richtig können “ Wie’s geht, demonstrierte er<br />
mit einprägsamen Beispielen und unbewegter<br />
Miene - das Lachen überließ er dem Publikum<br />
Ausführlich beschäftigte sich der „Doc“ bei<br />
diesem Heimspiel mit dem Alter und seinen<br />
unschönen Begleiterscheinungen, die mit<br />
Gelassenheit ertragen werden wollen Bei<br />
Feststellungen <strong>wie</strong> „Ich sitze morgens auf<br />
der Bettkante und überrede mein Kreuz zum<br />
Mitmachen“ war ihm das verständnissinnige<br />
Schmunzeln der älteren Zuhörer auf dem<br />
Berliner Platz sicher - sie wissen, <strong>wie</strong> es sich<br />
Foto: © Pläsken<br />
anfühlt, wenn die Knochen „Zicken machen“<br />
Stratmanns medizinisches Kabarett nimmt der<br />
Krankheit mit Humor viel von ihrem furchteinflößenden<br />
Charakter Sie verliert ihr überwältigendes<br />
Bedrohungspotenzial und schrumpft<br />
auf menschliches Maß Auch auf dem Berliner<br />
Platz lachten alle mit und feierten diesen<br />
kleinen Sieg über jede Art von Krankheit - vom<br />
Herzinfarkt bis zur Demenz Das <strong>Bottrop</strong>er<br />
Publikum ließ seinen Doktor Stratmann nicht<br />
ohne Zugabe gehen und bekam im Gegenzug<br />
Neues von Hausmeister Jupp und seiner Inge<br />
zu hören, darunter die Erkenntnis: „Milben<br />
fressen nur appe Haut “ Laut lesen hilft an<br />
dieser Stelle<br />
Einen großen Auftritt hatten zum Auftakt einer<br />
Veranstaltungswoche, die in ihrem Titel mit<br />
<strong>Seifenblasen</strong> spielt, die luftigen, schillernden<br />
Gebilde selbst Showkünstlerin Irena Bilenka-Chaplin<br />
und ihr Mann Alexander haben<br />
den Umgang mit <strong>Seifenblasen</strong> zur Kunst<br />
Was sagst du? Hartmut Skrok (links), Einrichtungsleiter<br />
des AWO-Altenheims „Schattige<br />
Buche“, lieh Handpuppe „Paula“ seine Stimme.<br />
Dirk Hackstein war ganz Ohr.<br />
entwickelt, und sie führten einem staunenden<br />
Publikum eine Kombination aus Tanz und<br />
Jonglage, Schauspiel und Lichtshow vor Im<br />
Mittelpunkt schwebten dabei die fragilen Gebilde,<br />
geboren aus Seifenlauge und mit Atemtechnik<br />
und Blasrohr in veränderliche Form gebracht<br />
Mit einem kleinen glücklichen Lächeln<br />
im Gesicht beobachteten die Zuschauer, <strong>wie</strong><br />
<strong>Seifenblasen</strong> zum Format riesiger Käseglocken<br />
wuchsen, <strong>wie</strong> sie sich dehnten, bogen und<br />
unter geschickten Händen in die Länge zogen<br />
Zum Abschluss hüllten die beiden Künstler<br />
verblüffte Kinder aus dem Publikum in körpergroße<br />
<strong>Seifenblasen</strong> ein<br />
Unterdessen schob sich eine ungewöhnliche<br />
Gruppe älterer Damen im Schneckentempo<br />
über den Berliner Platz und drängten sich als<br />
sanfte Störenfriede ins Blickfeld der Zuschauer:<br />
Neun Akteurinnen des <strong>Bottrop</strong>er Seniorentheaters<br />
„Spätblüte“ setzten sich als demenziell Erkrankte<br />
in Szene Mit Kamm, Bürste und einem
15<br />
Röhrchen Seifenlauge in der Hand, nur mit<br />
einem Nachthemd bekleidet, stark verzögert<br />
in allen Aktionen und mit entrücktem Blick auf<br />
Reize konzentriert, die nur sie wahrnahmen,<br />
bewegten sich die Schauspielerinnen durch<br />
die Zuschauerreihen Mit dieser Demonstration<br />
trugen sie Verhaltensweisen, die auch von<br />
manchen Angehörigen als absurd, peinlich<br />
oder lächerlich empfunden werden, in die<br />
Gesellschaft hinein, die auf dem Berliner Platz<br />
hinschauen konnte, ohne sich für ihre Neugier<br />
und ihr Lachen zu schämen Die „Spätblüte“<br />
setzte sich mit dieser Aktion mit theatralischen<br />
Mitteln für eine Forderung von Dr Astrid Danneberg<br />
und Barbara Josfeld ein: Der Umgang<br />
mit Demenz und Dementen in der Gesellschaft<br />
solle selbstverständlich werden<br />
Bühnenzauber ganz anderer Art erlebte das<br />
INFO<br />
Die Konradschule hatte im Vorfeld der Aktionswoche mit einem starken Aufgebot von Schülern<br />
und Eltern das Caritas-Altenheim St. Teresa besucht und dort mit den Bewohnern getrommelt.<br />
An diese Erfahrungen knüpften die Schüler bei ihrer Trommel-Einlage auf der Bühne an.<br />
Inzwischen überlegt die Schulleitung, eine Trommel-Gruppe als kontinuierliches Angebot im St.<br />
Teresa-Heim zu installieren.<br />
Publikum beim Auftritt von Liar, zu Deutsch:<br />
Der Lügner Hinter diesem Künstlernamen<br />
verbirgt sich der gebürtige Franzose Michael<br />
Prescler, der seit einigen Jahren in Gladbeck<br />
lebt Als professioneller Bühnenkünstler mit<br />
Hang zu Magie und Illusion bekennt er sich<br />
zur Schwindelei, wenn sie denn der guten<br />
Unterhaltung dient Mit einer Mischung aus<br />
Zauberei und Comedy ließ er die Augen der<br />
jungen Zuschauer leuchten und verblüffte<br />
Foto: © Pläsken<br />
die Älteren Wer lässt sich nicht gern hinters<br />
Licht führen, wenn es dort so spielerisch und<br />
heiter zugeht?<br />
Bands und Chöre sorgten am Nachmittag<br />
auf der Bühne im Stundentakt für musikalische<br />
Abwechslung, und dabei waren alle<br />
Altersgruppen vertreten Temperamentvoll<br />
präsentierte die Flamenco-Tanzschule Türk aus<br />
Mönchengladbach rhythmisches Klatschen,<br />
unterstützt von der AWO <strong>Bottrop</strong> Die jungen<br />
und jung gebliebenen Sänger des <strong>Bottrop</strong>er<br />
Chors „Gospel-Inspiration“, den Thomas<br />
Hessel leitet, stellten einen Querschnitt<br />
des vielseitigen Repertoires vor Der Chor<br />
des Josef-Albers-Gymnasiums, betreut von<br />
Ingo Scherbaum, senkte anschließend den<br />
Altersdurchschnitt auf der Bühne um einige<br />
Jahre ab, den <strong>wie</strong>derum die Seniorenrockband<br />
„Breeze“ um einige Jahrzehnte in die<br />
Höhe schnellen ließ Ihr Auftritt litt unter dem<br />
zunehmend unbeständigen Wetter - aber die<br />
Mitglieder nahmen es mit Humor Oder schon<br />
mit Altersweisheit?<br />
Im Takt: Die beiden Steppkes hatten schnell<br />
gelernt und trommelten mit Begeisterung nach<br />
afrikanischem Rhythmus.
MITEINANDER 16<br />
Paten und Partner<br />
Foto: © Kaprol<br />
Auf den ersten Blick trennen Lichtjahre den agilen 17-Jährigen und die 85-jährige Demenzkranke,<br />
die auf den Rollstuhl ange<strong>wie</strong>sen ist. Aber dem Gesundheitsamt war es wichtig,<br />
vor allem bei der Generation der Jugendlichen, die bald Verantwortung übernehmen wird<br />
in Gesellschaft und Berufsleben, Verständnis zu wecken für die steigende Zahl alter und<br />
demenziell veränderter Menschen. Die jungen Leute sollten durch eigenes Erleben eine<br />
neue Sichtweise auf die Bevölkerungsgruppe der „Alten“ gewinnen. Das Experiment gelang:<br />
Nachdem Barbara Josfeld das Projekt an den Gymnasien und der Berufsschule vorgestellt<br />
hatte, ließen sich 30 Jugendliche aus dem Heinrich-Heine-Gymnasium und dem Berufskolleg<br />
zu Paten ausbilden und begleiteten demenzkranke Senioren bei Veranstaltungen<br />
der Aktionswoche. Ihre Unterstützung war in vielen Situationen gefordert, wenn kräftige<br />
Hände, gesunde Beine, flinke Reaktionen und Einfühlungsvermögen ausgleichen mussten,<br />
was durch Alter und Krankheit verloren ging.<br />
Drei mit Köpfchen: Isabel und Julia spüren<br />
hautnah Zuneigung.<br />
Viele der Schüler berichteten anschließend,<br />
dass ihnen ihre alten Partner offen Dankbarkeit<br />
und Zuneigung zeigten, und einige<br />
wollen den Kontakt zu ihren Schützlingen<br />
fortsetzen und sie weiterhin in den Heimen<br />
besuchen Wie auch immer sich dieser Vorsatz<br />
entwickelt: Den alten Menschen haben<br />
die Jugendlichen ein großes Geschenk<br />
gemacht, und sie haben die Anerkennung<br />
mancher Erwachsenen gewonnen, die ihnen<br />
diesen Einsatz nicht zugetraut hatten<br />
Bei einer zehnstündigen Schulung bereiteten
17<br />
Ganz Ohr: Lavendel weckt viele Erinnerungen,<br />
erfährt Yasemin.<br />
Foto: © Pläsken (o.), © Plönnigs (u.)<br />
In Bewegung: Tatjana lässt sich in die Kunst des<br />
gepflegten Gesellschaftstanzes einführen.<br />
Demenzberaterin Barbara Josfeld und Caro<br />
Stöbling, Mitarbeiterin des Arbeiter-Samariter-Bundes,<br />
die 30 jungen Leute in Theorie<br />
und Praxis auf ihre Aufgabe vor Die Mehrzahl<br />
der Schüler des Berufskollegs absolvierte zur<br />
gleichen Zeit gemäß ihres Ausbildungsplanes<br />
sechswöchige Praktika in Altenheimen<br />
Den Paten wurde anschließend ein alter<br />
Partner zugeteilt und sie nahmen Kontakt<br />
auf Während dieser sensiblen Phase blieben<br />
die Paten und ihre beiden Trainerinnen über<br />
das soziale Netzwerk Facebook im Internet<br />
in Kontakt, was sich als sehr hilfreich er<strong>wie</strong>s
MITEINANDER 18<br />
Von Paten gepostet:<br />
„Das mach’ ich wirklich gern, wenn man dann die Freude in den Gesichtern der Senioren<br />
sieht, das macht mich in gewisser Weise auch glücklich. Ich bin stolz auf meine Partnerin, was<br />
die kann.“<br />
„Flexibilität war ständig gefragt,“ stellt Barbara<br />
Josfeld fest Denn die instabile gesundheitliche<br />
Verfassung der Senioren erforderte<br />
häufige Umplanungen, und in manchem<br />
Altenheim war die Skepsis gegenüber den<br />
Paten groß Auch bei den Schülern, die mit<br />
dem Projekt Neuland betraten, änderten sich<br />
manche Voraussetzungen<br />
Dabei lernte Barbara Josfeld Facebook als<br />
schnelles und intensiv genutztes Kommu-<br />
Foto: © Josfeld<br />
nikationsmedium kennen und schätzen Als<br />
sich eine alte Dame mit der unerwarteten<br />
Bitte nach Begleitung („Haben Sie nicht einen<br />
Schüler für mich?“) bei der Demenzberaterin<br />
meldete, übermittelte sie diese Frage via<br />
Facebook an die Paten Nach einer Minute,<br />
berichtet sie, lag eine Rückmeldung vor: „Ich<br />
könnte das machen, da meine Dame nicht<br />
jeden Tag zu Veranstaltungen gehen möchte<br />
Da hab’ ich ja Zeit “<br />
Nach der ersten harmonischen Begegnung<br />
mit ihrer 89-jährigen Partnerin Marga sei sie<br />
erleichtert gewesen, ebenso ihre Freundin<br />
Julia, berichtet die Schülerin Isabel Kreie in der<br />
Wochenzeitung „Der Stadtspiegel“ Bei einem<br />
zweiten Besuch sprachen sie ab, welche<br />
Sehr vertraut: Im Laufe der Aktionswoche<br />
entwickelten Alt und Jung teilweise innige<br />
Beziehungen. Anabella hat „ihre“ Seniorin ins<br />
Herz geschlossen.
19<br />
Foto: © Josfeld<br />
Zwei, die sich gut verstehen: Marie lässt keinen<br />
im Regen stehen – erst recht nicht ihren Aktionswochen-Partner.<br />
Veranstaltung der Aktionswoche auf dem Programm<br />
stehen soll, und so besuchte man gemeinsam<br />
das Sommercafé „<strong>wie</strong> in alten Zeiten“<br />
im Restaurant Overbeckshof - eine begehrte<br />
Adresse an jenem Tag, <strong>wie</strong> sich herausstellte<br />
„Den ganzen Nachmittag über konnte man in<br />
strahlende Gesichter schauen“, berichtet Isabel<br />
Sie hat dabei auch gelernt, dass Lebensfreude<br />
nicht von Alter und Demenz abhängig ist<br />
Für einige Paten bedeutete die Aktionswoche<br />
eine sehr intensive Zeit mit mehreren<br />
Begegnungen, andere sahen ihre Partner nur<br />
ein oder zwei Mal Dr Astrid Danneberg: „Ich<br />
war beeindruckt, <strong>wie</strong> liebevoll die Paten mit<br />
ihren demenzkranken Partnern umgingen Sie<br />
haben sich sehr gut auf sie eingelassen und<br />
Von Paten gepostet:<br />
einstellen können, ihre Fähigkeiten wahrgenommen<br />
und gefördert und kleine Missgeschicke<br />
mit Humor genommen “<br />
Einen lebendigen Eindruck vom Miteinander<br />
der Paten und ihrer Partner soll eine kurze<br />
Filmdokumentation vermitteln, an der vier<br />
18-jährige <strong>Bottrop</strong>er nach Abschluss des Projekts<br />
arbeiten Alexander Hoffmann, Thiemo<br />
Ehlert, Nico Linde und Laura Traeder haben<br />
die Demenz-Aktionswoche mit Videokamera<br />
und Mikrofon begleitet, sie haben recherchiert,<br />
Interviews und Hintergrundgespräche<br />
geführt Bei der Fertigstellung ihrer Dokumentation<br />
wurden sie unterstützt vom Team des<br />
Webradios „FunkHaus <strong>Bottrop</strong>“, das über den<br />
Computer ein Radioprogramm verbreitet<br />
„Meine Omi ist die coolste, sie hat nach dem Sommercafé, was wir beide schön fanden, versucht,<br />
mich mit einem Pfleger aus dem Heim zu verkuppeln, das war sooo lustig! Außerdem<br />
bietet sie mir immer an, mich auch mal im Rollstuhl zu schieben.“
MITEINANDER 20<br />
Foto: © Kaprol<br />
Sommercafé <strong>wie</strong> damals<br />
Es war <strong>wie</strong> damals - die schönen Momente<br />
gingen viel zu schnell vorüber. Ein kleiner<br />
Spaziergang durch den Stadtgarten, am<br />
Springbrunnen und an bunten Blumen<br />
vorbei. Die Sonnenuhr zeigte die Nachmittagsstunde<br />
an, aus dem Overbeckshof<br />
klang fröhliche Akkordeon-Musik und lockte<br />
zu Kaffee und Kuchen. Als frisch Verliebte,<br />
junge Eheleute oder stolze Eltern haben sie<br />
damals dort auf der Terrasse gesessen, und<br />
an einem Donnerstag während der Aktionswoche<br />
saßen sie <strong>wie</strong>der dort. Das Klönen<br />
war deutlich ruhiger geworden, und einige<br />
parkten erst mal ihren Rollator in der Ecke,<br />
bevor sie Platz nahmen.<br />
Mit ihrem „Sommercafé <strong>wie</strong> damals“ holten<br />
Silvia Elschner vom KWA Stift Urbana und<br />
etliche Helfer zahlreiche lebhafte Erinnerungen<br />
ans Tageslicht. „Unsere 66 Senioren,<br />
die sich angemeldet haben, kommen aus<br />
unterschiedlichen <strong>Bottrop</strong>er Einrichtungen,<br />
aber was sie alle verbindet, ist eben der<br />
Overbeckshof. Die Erinnerungen schaffen<br />
Gemeinschaft und Verbundenheit – eine<br />
wichtige Erfahrung für Demenzkranke“,<br />
betonte Silvia Elschner.<br />
In die Tasten gehauen: Christa Beukert gab<br />
dem Sommercafé mit ihrem Akkordeon eine<br />
beschwingte Note.
21<br />
Begleitet wurden die Seniorinnen und Senioren<br />
nicht nur von Mitarbeitern der Einrichtungen,<br />
sondern auch von ihren Paten aus<br />
<strong>Bottrop</strong>er Schulen Und so klönten Isabel Kreie<br />
(15) und Julia Stecking (16) vom Heinrich-Heine-Gymnasium<br />
mit „ihrer“ Marga (89) und<br />
lauschten neugierig, <strong>wie</strong> es „früher so war im<br />
Overbeckshof“ Um Paten für die Seniorin zu<br />
werden, hatten sich die beiden gemeinsam<br />
mit den anderen Schülerinnen und Schülern<br />
im Vorfeld über die Krankheit „Demenz“<br />
informiert und waren im Rollstuhl durch die<br />
Innenstadt und den Supermarkt gefahren<br />
„Wir wollten wissen, <strong>wie</strong> man sich fühlt, wenn<br />
man auf den Rollstuhl ange<strong>wie</strong>sen ist, und wo<br />
in unserer Stadt Schwächen und Hindernisse<br />
sind “ Auch Yvonne Peters und Anna Bako<br />
vom Berufskolleg hatten keinerlei Berührungsängste<br />
„Ach was, ich kenne Demenz und ihre<br />
Folgen für den kranken Menschen aus unserer<br />
eigenen Familie“, winkte Yvonne ab und lachte,<br />
„das ist gar kein Problem “<br />
Mittendrin in dieser lockerleichten Atmosphäre<br />
spielte Christa Beukert Akkordeon und<br />
weckte mit alten Volksliedern und musikalischen<br />
Schmonzetten <strong>wie</strong> „Wenn bei Capri die<br />
rote Sonne im Meer versinkt“ Erinnerungen<br />
Ohne Mikro und Verstärker versteht sich –<br />
eben genauso <strong>wie</strong> damals „Die Musik ist<br />
toll, aber für mich könnte sie sogar noch ein<br />
bisschen mehr Schwung haben“, erzählte<br />
Else Kubis Die 91-Jährige wohnt mit Leib und<br />
Seele im Caritashaus St Teresa, lacht und singt<br />
gerne und steckt mit ihrer Fröhlichkeit sogar<br />
andere Mitbewohner an „Der Stadtgarten<br />
und der Overbeckshof sind das Schönste, was<br />
<strong>Bottrop</strong> zu bieten hat - und hach, einen schö-<br />
Foto: © Danneberg<br />
Ausgelassener Spaß: In einer Polonäse zogen die Senioren durch den Overbeckshof und über die<br />
Terrasse. Dabei wurde lauthals gesungen.<br />
nen Walzer könnte ich jetzt hören“, freute<br />
sich die gebürtige Oberhausenerin, während<br />
Altentherapeutin Marion Grömmke auf dem<br />
Nachbarstuhl leise lachend den Walzer „Wir<br />
kommen alle in den Himmel“ anstimmte<br />
„Was sollen wir im Himmel, wir sind doch hier<br />
gut aufgehoben, und außerdem ist meine<br />
Mutter über 100 geworden, da habe ich gute<br />
Gene“, erwiderte Else Kubis zwar resolut, aber<br />
doch mit einem Augenzwinkern Auch ihre<br />
Mitbewohnerin, Frau Kuss, liebt den Stadtgarten<br />
innig „Die alten Bäume, die Blumen,<br />
der ganze Park ist toll, und genau deswegen<br />
sind mein Mann und ich hier früher so gerne<br />
spazieren gegangen“, erinnerte sie sich, und<br />
schon schwelgte sie bei Kaffee und Kuchen<br />
gemeinsam mit den jungen Helferinnen<br />
Alina Tollkötter und Charleen Wagner in<br />
Erinnerungen<br />
Das „Sommercafé <strong>wie</strong> damals“ war für die<br />
Besucher eine spannende und erfolgreiche<br />
Reise in die Vergangenheit Denn gerade für<br />
Demenzkranke sind <strong>Gedanken</strong> <strong>wie</strong> <strong>Seifenblasen</strong>,<br />
aber Erinnerungen oftmals so unvergänglich<br />
<strong>wie</strong> kostbare Diamanten<br />
Corinna Prange
MITEINANDER 22<br />
Stadtrundgang auf den Spuren vergangener Zeiten<br />
Jedes aktuelle Stadtbild, das über Jahrzehnte gewachsen ist und sich verändert hat, bietet<br />
eine Fülle von Anknüpfungspunkten für Erinnerungen. Sie sind abgespeichert im Gedächtnis<br />
der alten Einwohner, die von Kindesbeinen an <strong>Bottrop</strong>s Entwicklung miterlebt haben.<br />
An diesem Punkt setzte das Angebot des Stadtarchivs an, das aber mit Vorbedacht nicht<br />
beschränkt war auf die Generation 60plus: Archivleiterin Heike Biskup und Elsbeth Müller,<br />
Mitarbeiterin der Historischen Gesellschaft, begleiteten an fünf Werktagen einen Stadtrundgang<br />
durch Alt-<strong>Bottrop</strong>.<br />
Treffpunkt war mit der St Cyriakus-Kirche<br />
eines der ältesten Bauwerke in der City Von<br />
dort aus führte ein einstündiger Spaziergang<br />
zu sieben weiteren historischen Gebäuden<br />
oder Plätzen, die einen Überblick über<br />
augenfällige Veränderungen vermittelten Die<br />
langsamsten Teilnehmer gaben das Lauftempo<br />
vor Der 80-jährige Heinz Siegel hatte sich<br />
gemeinsam mit Ehefrau Klara, die auf den<br />
Rollstuhl ange<strong>wie</strong>sen ist, vom Fahrdienst des<br />
Foto: © Danneberg<br />
DRK in die Innenstadt bringen lassen Dort<br />
angekommen, ließ die 78-Jährige die Blicke<br />
schweifen Sie ist alte <strong>Bottrop</strong>erin, lebte mit ihrem<br />
Mann fünf Jahrzehnte an der Gladbecker<br />
Straße Als ihre Beine sie noch trugen, führten<br />
sie ihre täglichen Wege oft durch die Straßen<br />
im Stadtkern Nun braucht sie dafür Hilfe<br />
Heike Biskup überließ die Erinnerungsarbeit<br />
nicht nur ihren Mit-Läufern, sie hatte vielmehr<br />
für historisches Anschauungsmaterial auf<br />
der Strecke gesorgt, das dem Gedächtnis auf<br />
die Sprünge helfen sollte An acht Stationen<br />
warteten in Schaufenstern ausgestellte historische<br />
Fotos im Großformat auf die Gruppe<br />
Die Bilder drehten die Jahre zurück, sie<br />
zeigten den Alltag in der jungen Großstadt<br />
<strong>Bottrop</strong> in den ersten Jahrzehnten des 20<br />
Jahrhunderts Zumeist mussten die beiden<br />
Führerinnen, in Stadtgeschichte sattelfest,<br />
nicht lange auf die ersten Kommentare warten:<br />
An diesem Standort ratterte früher die<br />
Straßenbahn durch die Hochstraße, mancher<br />
hatte den Ton noch im Ohr Gegenüber, vor<br />
der Schauburg, zählten die Filmfreunde ihre<br />
Pfennige, um die Eintrittskarte zu bezahlen<br />
- <strong>wie</strong> hießen noch gleich die anderen Kinos<br />
in <strong>Bottrop</strong>? Die Frage löste ungläubiges<br />
Staunen aus bei den jungen Teilnehmern<br />
des Stadtrundgangs, die ihre Heimatstadt als<br />
Kino-Standort bereits vor Jahren abgeschrie-<br />
So war es: Heike Biskup (rechts), Leiterin des<br />
Stadtarchivs, und Elsbeth Müller, Mitarbeiterin<br />
der Historischen Gesellschaft, fanden aufmerksame<br />
Zuhörerinnen.
23<br />
ben hatten Manchmal brachten solche Szenen<br />
Generationen miteinander ins Gespräch<br />
Eine andere Dame aus der Gruppe griff den<br />
Erzählfaden auf, steuerte ihre Erinnerungen an<br />
das Kaufhaus Althoff bei, das seit den neunziger<br />
Jahren des 19 Jahrhunderts das Gesicht<br />
der Innenstadt prägte, auch wenn der Name<br />
inzwischen gewechselt hat Auch Klara Siegel<br />
hat dort gekauft, und wenn’s etwas Besonderes<br />
sein sollte, fuhr man nach Essen Ehemann<br />
Heinz Siegel nickte Er freute sich, dass seine<br />
Frau die Innenstadt <strong>wie</strong>dersehen konnte Die<br />
alte Dame sprach nicht viel bei diesem Rundgang,<br />
und ihr Schweigen wurde respektiert<br />
Jeder erinnert sich auf seine Weise<br />
Der Weg führte an der Martinskirche vorbei<br />
zum Glockenspielhaus Die beiden Führerinnen<br />
Heike Biskup und Elsbeth Müller begleiteten<br />
die Führung zwar mit Fakten und Daten<br />
zur Stadtgeschichte Aber sie verstanden sich<br />
in erster Linie als Gesprächspartner, die auf<br />
Erinnerungen ihrer Gäste reagierten, diese<br />
Gedächtnisbilder ergänzten und behutsam<br />
nachfragten, um selbst zu lernen Denn bald<br />
wird es keine Zeitzeugen mehr geben, die von<br />
einem Rendezvous an der Persiluhr berichten<br />
können: Der Zeitmesser, ein Werbeträger<br />
im Großformat, diente den jungen Leuten<br />
als Treffpunkt auf dem Pferdemarkt, als der<br />
kurzfristig den Namen Hans-Sachs-Platz trug<br />
Unterwegs in der City: Rollstuhlfahrerin<br />
Klara Siegel und ihr Ehemann Heinz freuten sich<br />
über die ungewöhnliche Stadtführung.<br />
Bekanntlich war diese Veränderung dem Nazi-Regime<br />
geschuldet und nicht von Dauer<br />
Die Gruppe näherte sich <strong>wie</strong>der der St Cyriakus-Kirche<br />
Mit Rücksicht auf die Zusammensetzung<br />
der Gruppe habe sich der Rundgang<br />
auf den Weg um das „Karstadt-Karree“<br />
beschränkt, erklärte die Archivleiterin Wie<br />
zur Bestätigung wurde Heinz Siegel unruhig:<br />
Foto: © Danneberg<br />
Er wollte den Fahrdienst nicht warten lassen,<br />
den das DRK während der Aktionswoche<br />
kostenlos zur Verfügung stellte und der das<br />
Ehepaar zurückbrachte ins Seniorenheim Auf<br />
diesen Transport-Service waren die Siegels ange<strong>wie</strong>sen<br />
- <strong>wie</strong> so viele ältere und behinderte<br />
<strong>Bottrop</strong>er, die an der Aktionswoche teilgenommen<br />
haben
MITEINANDER 24<br />
Sommerball: Komm lass uns tanzen!<br />
Mit Bedacht hatte Tanzlehrer Peter Frank für seinen Tanzabend den schönen altmodischen<br />
Begriff Sommerball gewählt. Das Wort klingt gleichermaßen stilvoll <strong>wie</strong> heiter, es<br />
verheißt ein kleines gesellschaftliches Ereignis, wer will und kann, darf sich erinnern: An<br />
durchtanzte Nächte, in denen Musik in der Luft lag, an leichten Schwindel nach zu vielen<br />
Drehungen im Dreivierteltakt. Auch bei Peter Frank erklang der „Schneewalzer“, den viele<br />
Gäste in ihrem langen Leben schon so oft gehört haben. Franz und Christel van Troyen<br />
bildeten keine Ausnahme. „Meine Frau hat immer sehr gern getanzt“, sagte der 81-jährige<br />
<strong>Bottrop</strong>er, der mit seiner Lebenspartnerin an einem der kleinen Tische am Rand der<br />
Tanzfläche Platz genommen hatte. Franz van Troyen trug Krawatte, <strong>wie</strong> es sich für den<br />
älteren Herren gehört, der seine Frau zum Tanz ausführt, und die 80-Jährige hatte sich<br />
ebenfalls auf dezente Weise schick gemacht. Christel van Troyen <strong>wie</strong>gte sich im Takt der<br />
Musik, sie klatschte mit, ihre Augen leuchteten: „Ich hab’ meinen Spaß.“<br />
So sollte es sein Peter und seine Mutter<br />
Helga Frank sind Profis und Pädagogen auf<br />
dem Parkett, sie bringen Erfahrung mit im<br />
Umgang mit Senioren Sie wussten daher, <strong>wie</strong><br />
ein dreistündiger Sommerball gestaltet sein<br />
muss, der alten und dementen Menschen<br />
Freude bereitet „Alte Leute sind ein dankbares<br />
Publikum, aber sie wollen persönlich<br />
angesprochen werden“, sagte Peter Frank<br />
AM RANDE NOTIERT<br />
Foto: © Plönnigs<br />
Aufgedreht: Ob im großen Kreis, in der Gruppe<br />
oder zu Zweit – das gemeinsame Tanzen<br />
machte sichtlich Spaß.<br />
Also gab es ein Gläschen Sekt zum Auftakt<br />
und eine persönliche Begrüßung, ein kleines<br />
Tanzprogramm mit bekannten Melodien,<br />
vereinfachten Rhythmen und einprägsamen<br />
Schrittfolgen, viele Pausen, eine große<br />
Sitztanz-Runde für die nicht mehr mobilen<br />
Besucher, eine Tango-Vorführung fürs Auge –<br />
und das kalte Buffet mit „Fingerfood“ lieferte<br />
das nahe gelegene KWA-Stift Urbana<br />
Der Ablauf erinnerte ein wenig an eine<br />
Tanzmuffel Dirk Hackstein, Praktikant im Gesundheitsamt, konnte dem energischen Zugriff<br />
von Helga Frank nicht ausweichen und fand sich an der Seite der erfahrenen Tänzerin auf dem<br />
glatten Parkett <strong>wie</strong>der, wo die beiden beim Tanz allerdings eine gute Figur abgaben. Brigitte<br />
Konietzni hatte die Szene beobachtet und war von der Haltung des Studenten beeindruckt:<br />
„Junger Mann, sie sind mein Held.“
25<br />
Tanzstunde, und <strong>wie</strong> „damals“ widersetzte sich<br />
keiner der Besucher, als Helga Frank die Gäste<br />
sanft, aber nachdrücklich auf die Tanzfläche<br />
dirigierte Wie ging das noch beim Foxtrott?<br />
Peter Frank demonstrierte die einfach gehaltenen<br />
Schritte und spielte dabei den Entertainer:<br />
„Den Fuß nur kurz auftippen, als ob man einer<br />
Fliege eine Kurznarkose geben wollte “ Beim<br />
anschließenden praktischen Einsatz gab’s viel<br />
zu lachen für Tanzpaare, die erst an jenem<br />
Fotos: © Plönnigs (2)<br />
Formvollendet: Christel und Franz von Troyen<br />
sind erfahrene Tänzer.<br />
Taktangebend: Tanzlehrer Peter Frank führte die<br />
Damenriege an.<br />
Abend zueinander gefunden hatten, während<br />
altgediente Eheleute <strong>wie</strong> die van Troyens von<br />
ihrer jahrelangen Tanzerfahrung profitierten<br />
und mühelos über die Tanzfläche glitten<br />
Wer zuschauen musste, kam bald darauf beim<br />
Sitztanz auf seine Kosten Unter der Regie<br />
von Helga Frank wurde jedes Gelenk von der<br />
Hand bis zum Fuß in wohldosierte Bewegung<br />
versetzt Tanzen bedeutet neben Geselligkeit<br />
auch körperlichen Einsatz und Berührung - sel-<br />
tene Erfahrungen für einsame, alte Menschen<br />
Franz van Troyen gab dem Sommerball zum<br />
Abschluss die Gesamtnote „gut bis sehr gut“<br />
Auch Brigitte Konietzni war zufrieden: „Mir<br />
hat es super gefallen“, meinte sie, während<br />
sie ihren Rollator in Richtung Ausgang schob<br />
„Aber mir gefällt jeder Tag“, setzte die 65-Jährige<br />
nach, die gesundheitlich viele Tiefschläge<br />
verkraften musste „Denn alles, was Leben ist,<br />
ist wertvoll “
MITEINANDER 26<br />
Sternstunden: ein Abend voller Erlebnisse<br />
Wer von einer Sternstunde spricht, meint ein besonderes und besonders schönes Erlebnis.<br />
Sternstunden sind in der Regel selten, doch die Bewohner in den Altenheimen des Diakonischen<br />
Werks in Gladbeck und Bottop haben seit 2006 schon zahlreiche Sternstunden erlebt.<br />
Ihr Programm soll religiöse, musikalische und thematische Elemente zu einem stimmungsvollen<br />
Erlebnis in Gemeinschaft verbinden.<br />
Foto: © Danneberg<br />
Es ist angerichtet: Liebevoll zubereitete<br />
Häppchen ermunterten die Seniorinnen beim<br />
abendlichen Treffen im Seniorenzentrum Hans<br />
Dringenberg zum Zugreifen.
27<br />
Während der Demenz-Aktionswoche richtete<br />
das Seniorenzentrum Hans Dringenberg<br />
an der Welheimer Straße eine Sternstunde<br />
„zwischen Tag und Dämmerung“ aus, bei<br />
der auch Gäste aus Diakonie-Heimen aus<br />
den Nachbarstädten willkommen waren An<br />
den liebevoll und farbig gedeckten Tischen<br />
blieb kein Stuhl unbesetzt, als Anette Bruse,<br />
Pfarrerin und Altenheim-Seelsorgerin, die<br />
Sternstunde mit einer Andacht eröffnete<br />
Gemeinsam mit Elisabeth Nagel, Mitarbeiterin<br />
des Sozialen Dienstes, und Sybille Gottwick,<br />
Pfarrerin in der Altenheimseelsorge, führte sie<br />
durch den Abend<br />
Jede Sternstunde steht unter einem Motto<br />
Im Hans-Dringenberg-Zentrum ließen sich die<br />
Besucher von den Beiträgen der Mitarbeiterinnen<br />
auf die Spur der Sterne führen, die in Musik<br />
und Literatur so zahlreich vertreten sind<br />
Viele Lieder <strong>wie</strong> „Weißt Du, <strong>wie</strong>viel Sternlein<br />
stehen“ stimmte die Runde an - einmal mehr<br />
er<strong>wie</strong>sen sich die Senioren beim traditionellen<br />
Liedgut als textsicher bis zur letzten Strophe<br />
Gedichte, kleine Geschichten, gefühlvoll und<br />
humorig, und vertraute Klänge weckten Erinnerungen<br />
und vermittelten Geborgenheit<br />
Erleben und Genießen: Was auf den Tisch<br />
kommt und <strong>wie</strong> es präsentiert wird, regt<br />
die Sinne an und spielt auch im Alter eine<br />
große Rolle Die Küche hatte bei der Zubereitung<br />
griffbereit präsentierter Häppchen<br />
keinen Aufwand gescheut Zu Käse und<br />
Fleischwurst, in mundgerechte sternförmige<br />
Bissen geschnitten, gesellten sich Kartoffelchips<br />
mit lustigen Gesichtern und bunte<br />
Lakritze Zur Feier der Sternstunde wurde eine<br />
Erdbeer-Bowle serviert, Platten mit Pizza und<br />
Schmalzbroten ermunterten zum Zugreifen<br />
Die Mitarbeiterinnen mischten sich schließlich<br />
unter die Gäste und zogen die Tischnachbarn<br />
in entspannter Atmosphäre ins Gespräch Man<br />
sprach über das Wetter, die Kinder Und über<br />
Sterne Pfarrerin Sybille Gottwick erzählte die<br />
Geschichte von einem Zivildienstleistenden<br />
im Altenheim, dem eine Seniorin einen Stern<br />
am Firmament schenkt Im kleinen Maßstab<br />
erlebten alle Gäste der Sternstunde Ähnliches:<br />
Jeder fand auf seinem Teller eine Papiertüte,<br />
darin ein Gläschen Marmelade, einen selbstgebastelten<br />
roten Stern und eine Abschrift<br />
des Sterntaler-Märchens<br />
Zum Abschluss bedankten sich die Besucher<br />
mit herzlichem Applaus bei ihren Gastgebern<br />
für eine Sternstunde in ihrem Alltag<br />
Lass ´mal sehen: Jeden Gast erwartete an seinem<br />
Platz eine Tüte voller Überraschungen <strong>wie</strong><br />
ein Gläschen mit Erdbeermarmelade und ein<br />
selbstgebastelter Papierstern.<br />
Foto: © Danneberg
MITEINANDER 28<br />
Kohle weckt Erinnerungen<br />
Der Bergbau hat in den <strong>Bottrop</strong>er Familien<br />
als Arbeitgeber über Jahrzehnte eine<br />
wichtige Rolle gespielt. Er hat Spuren<br />
hinterlassen - im Stadtbild ebenso <strong>wie</strong> im<br />
Gedächtnis der Familien, die ihren Alltag an<br />
der Arbeit „auf Zeche“ orientierten. Mit dem<br />
Projekt „Kohle weckt Erinnerung“ knüpften<br />
die Museumspädagogen Börje Nolte<br />
und Hildegard Priebel an diese kollektiven<br />
Erfahrungen an.<br />
Sie beließen es beim Besuch im AWO-Seniorenzentrum<br />
„Schattige Buche“ nicht<br />
bei Worten, sie führten die Gruppe von<br />
zehn demenzkranken Bewohnern über<br />
sinnliche Wahrnehmung zur Erinnerung<br />
Nolte erschien in Bergmannskluft, mit Kohle<br />
eingestaubt bis zu den schweren Stiefeln,<br />
er trug Halstuch, Helm und brachte weitere<br />
Utensilien mit, die seiner Figur Authentizität<br />
und damit Wiedererkennungswert verliehen<br />
Foto: © Kaprol<br />
Sein Erscheinungsbild wirkte ungewöhnlich<br />
in der geschützten Welt des Altenheims, löste<br />
aber keine Furcht aus, sondern Neugier Nolte<br />
ließ einen Kohlebrocken herumgehen, der<br />
betastet und in vielen Händen gewogen wurde<br />
Er wusste auch, welche Fragen er stellen<br />
musste: „Haben Sie schon ihre Kohle von der<br />
Zeche bekommen? Ihr Deputat?“<br />
Der junge Mann ging im Stuhlkreis in die<br />
Knie und erreichte damit Augenhöhe mit den<br />
Senioren Viele Gesichter wandten sich ihm<br />
zu, einige reagierten stark interessiert und<br />
streckten die Hände aus, als er eine Meterlatte<br />
herauszog Hildegard Priebel mischte sich<br />
ein und zeigte einen „westfälischen Frosch“,<br />
eine Grubenlampe Börje Nolte selbst hielt<br />
eine Wetterlampe in die Höhe Bei diesem<br />
Anblick wurde ein ehemaliger Bergmann in<br />
der Runde hellwach: „Das mit der Lampe, das<br />
müssen Sie erklären“, verlangte er Nolte tat<br />
ihm den Gefallen, erzählte von der Flamme,<br />
deren Verlöschen dem Bergmann den gefährlich<br />
geringen Sauerstoffgehalt der Atemluft<br />
signalisierte Der alte Mann nickte zufrieden:<br />
Ja, so war das<br />
Die Gerätekiste der Museumspädagogen<br />
gab weitere Erinnerungsstücke frei - vom<br />
Bergmannshemd, an dessen rauhen Baumwollfasern<br />
sich die Frauen in der Waschküche<br />
abgearbeitet haben, bis zum Abbauhammer<br />
Glück auf, der Steiger kommt: Mit Börje<br />
Nolte hielt der Bergmannsalltag Einzug im<br />
AWO-Se-niorenzentrum „Schattige Buche“. Der<br />
Museums-pädagoge erzählte von den Zeiten<br />
„vor Kohle“.
29<br />
Foto: © Kaprol<br />
mit Gebrauchsspuren Wieder war es der alte<br />
Bergmann, der Noltes Frage aufnahm und<br />
beantwortete: Das Loch im Bereich des Griffs<br />
des Geräts wurde für den Pressluftschlauch<br />
gebraucht Das wird er wohl nie vergessen<br />
INFO<br />
Die beiden Museumspädagogen sind freie<br />
Mitarbeiter des LWL-Industriemuseums<br />
„Zeche Nachtigall“ und haben insgesamt<br />
fünf Programme für Senioren mit unterschiedlichen<br />
Schwerpunkten <strong>wie</strong> „Küche und<br />
Haushalt“ oder „Pause machen - buttern“ vorbereitet.<br />
Alle sind mit dem Bergbau verknüpft.<br />
Auskunft gibt Börje Nolte im Industriemuseum<br />
des Landschaftsverbandes unter<br />
Telefon 02 11 / 688 74 83.<br />
Das AWO-Seniorenzentrum „Schattige Buche“<br />
hat die Reihe mit fünf Veranstaltungen<br />
gebucht. Die Museumspädagogen besuchen<br />
dieselbe Gruppe demenziell veränderter Männer<br />
und Frauen im Abstand von zwei Wochen.<br />
Nach zwölf Wochen wird das Programm<br />
<strong>wie</strong>derholt. Diese Regelmäßigkeit soll Struktur<br />
und Sicherheit schaffen, was für Demenzpatienten<br />
sehr wichtig ist.<br />
Auskunft gibt im Seniorenzentrum, Michael<br />
Mengede, Telefon 0 20 41 / 77 21 30.<br />
Die Grubenlampe voran: Beim ehemaligen<br />
Bergmann in der Runde wurden Erinnerungen<br />
wach an jene Zeiten seines Berufslebens, als ein<br />
Blick auf die Lampe Leben retten konnte.
MITEINANDER 30<br />
Seniorentanz – ein munterer Reigen auf dem Berliner Platz<br />
Zum Abschluss der Aktionswoche erlebten die Besucher den Berliner Platz beim Seniorentanzfest<br />
noch einmal als Zentrum der Bewegung. Eine Polonäse, in die sich Stadtkämmerer<br />
Willi Loeven und Jutta Pfingsten als Vorsitzende des Seniorenbeirats einreihten, eröffnete<br />
das mehrstündige Programm. Dabei nahmen Gruppen mit 50 Tänzern und mehr die große<br />
Aktionsfläche in Besitz, eingerahmt von Stühlen für das Publikum, das bei den Sitztanz-Einlagen<br />
kräftig mitmachte. Zu bekannten Melodien <strong>wie</strong> „Horch, was kommt von draußen<br />
rein“ hatten die übungsleiterinnen Choreografien in unterschiedlichen Sch<strong>wie</strong>rigkeitsgraden<br />
entwickelt und gaben per Mikrofon Anweisungen, die auf dem Platz zur Musik in<br />
Schrittfolgen umgesetzt wurden: Mit Schwung, Spaß und Präzision. Auch Oberbürgermeister<br />
Bernd Tischler schloss sich am Nachmittag den Tänzern an.<br />
Foto: © Danneberg<br />
In Formation: Beim Fest zum Abschluss der<br />
Aktionswoche tanzte auf dem Berliner Platz<br />
niemand aus der Reihe.<br />
Ziel war neben dem individuellen Vergnügen<br />
ein harmonisches Gesamtbild, und den<br />
Akteuren gelangen Synchronschritte, die<br />
manchen Zuschauer verblüfften „Tja, nachmachen“,<br />
kommentierte eine grauhaarige<br />
Tänzerin vergnügt die erstaunten Blicke Wer<br />
diese Aufforderung in die Tat umsetzt, ist auf<br />
einem guten Weg, um Demenz vorzubeugen:<br />
Tanzen zu lernen, stimuliert die Gehirnzellen<br />
Körper und Geist laufen auf Hochtouren,<br />
wenn Musik in koordinierte Bewegung umgesetzt<br />
wird<br />
Organisiert wurde das Fest vom Arbeitskreis<br />
Seniorentanz, der viele Mitglieder aktivieren<br />
konnte Die Gruppe hat Erfahrung in der
31<br />
Farbenfroh: Eine türkische Folkloregruppe zog<br />
viele Blicke auf sich.<br />
Munterer Reigen: Tanzlehrerin Helga Frank<br />
(Mitte) und ihre Mitstreiterinnen brachten viele<br />
<strong>Bottrop</strong>er auf die Beine.<br />
Organisation dieser Veranstaltung, die in<br />
<strong>Bottrop</strong> bereits zweimal „open air“ über die<br />
Bühne gegangen ist Sozialamt und Seniorenbeirat<br />
leisteten Unterstützung<br />
Während der Pausen wirbelten junge Beine<br />
über die Tanzfläche: Kinder- und Jugendgruppe<br />
der Kleinen Karnevals-Gesellschaft<br />
(KKG) zeigten temperamentvollen Einsatz,<br />
bei dem die schwedische Popgruppe „ABBA“<br />
Pate stand Eine türkische Folkloregruppe<br />
und die Formation „Tirkedi“ aus Oberhausen,<br />
die israelische Tänze vorführte, präsentierten<br />
Kostproben östlicher Tanzkultur Getanzt wird<br />
überall auf der Welt, wo Musik erklingt und<br />
Menschen beisammen sind<br />
Fotos: © Traeder (2)
MITEINANDER 32<br />
Foto: © Kaprol<br />
Tiere tun gut<br />
Hunde bringen Freude und Abwechslung<br />
in den Alltag eines Pflegeheims, und sie<br />
wecken bei den Bewohnern Erinnerungen an<br />
Erlebnisse mit den Vierbeinern Der Arbeiter<br />
Samariter Bund unterhält einen ehrenamtlichen<br />
Besuchshundedienst für die Städte<br />
Essen und <strong>Bottrop</strong>, in dem 20 Hundebesitzer<br />
vernetzt sind Ob ein Vierbeiner als Besuchshund<br />
taugt, hängt nicht in erster Linie von<br />
der Rasse ab Beim Eröffnungsfest der Demenz-Aktionswoche<br />
demonstrierten sowohl<br />
Mops „Bruno“ als auch der schwarze Retriever<br />
„Balou“ ihre Qualitäten als freundliche und<br />
gutmütige Partner von Senioren<br />
KONTAKT<br />
ASB <strong>Bottrop</strong>, Telefon 0 20 41 / 375 80 00<br />
E-Mail: epost@asb-bottrop.de<br />
Der Hund als Therapeut: Tiere bringen Abwechslung<br />
in den Alltag im Seniorenheim. Sie sorgen<br />
für Körperkontakt und sinnliche Erfahrungen,<br />
wecken bei vielen alten Menschen Erinnerungen.<br />
Voraussetzung ist, dass die Tiere ihre Gutmütigkeit<br />
und Belastbarkeit bei der Ausbildung<br />
be<strong>wie</strong>sen haben.
33<br />
Der Griff zur Mähne: Pflegedienstleiterin Marita<br />
Neumann (Mitte) kennt den Effekt, den die Nähe<br />
eines Ponys bei Senioren auslöst.<br />
Im Aufzug: Sputnik und Lucky bevorzugen das<br />
Fahrstuhlfahren auf dem Weg von einer Station<br />
zur anderen im Caritas-Haus St. Johannes in<br />
Kirchhellen.<br />
Das Pferd auf dem Flur . . .<br />
Der Anblick von Hunden löst in <strong>Bottrop</strong>er<br />
Heimen keine Aufregung mehr aus, aber ein<br />
Pony-Besuch ist ein ungewöhnliches Erlebnis<br />
Gespannt warteten die Senioren auf allen<br />
Stationen im Caritas-Haus St Johannes in<br />
Kirchhellen auf den angemeldeten Ponybesuch,<br />
der sich mit Hufgetrappel auf dem Flur<br />
ankündigte „Sputnik“ und „Lucky“ reagierten<br />
lammfromm, als sich ihnen viele Hände<br />
entgegen streckten - die üppigen Mähnen<br />
der Tiere wippten in bequemer Griffhöhe vor<br />
den Senioren und ermunterten zum Zugreifen<br />
Michael Westermann streichelte kräftig<br />
drauflos, bis Heinrich Wessel intervenierte:<br />
„Nicht gegen den Strich streicheln!“ Wie so<br />
Foto: © Kaprol (2)<br />
viele Kirchhellener hat er früher selbst Pferde<br />
gehalten „Die Pferde stimulieren alle Sinne<br />
Das Hufgeklapper und Schnauben, das warme,<br />
weiche Fell, die strubbelige Mähne und<br />
der typische Geruch erinnern an vergangene<br />
Zeiten“, stellte Marita Neumann fest Seit zwei<br />
Jahren arbeitet die Pflegedienstleiterin des<br />
Seniorenstiftes Haus Berge in Essen-Bergeborbeck<br />
bei der Betreuung von Senioren und<br />
Demenzkranken mit Ponys Altenpflegerin<br />
Jenny Lützenburg besuchte mit einem der<br />
Tiere auch bettlägerige Senioren, bevor Menschen<br />
und Ponys den Rückweg antraten - mit<br />
dem Aufzug Das fällt auch Pferden leichter<br />
als Treppensteigen
KREATIVITÄT / THEATER, TON UND TÖNE 34<br />
Schlag auf Schlag im Bildhauer-Workshop<br />
Unablässiges Hämmern klang über den Hof, jeder Schlag wirbelte eine kleine Wolke von<br />
Steinstaub auf, der sich als feiner Film auf Mensch und Mobiliar niederschlug. Bernhard<br />
Bross arbeitete, als ob er es bezahlt bekäme, doch mit mehr als 80 Jahren ist er von der<br />
Erwerbsarbeit weit entfernt. Aber die Tätigkeit, die ihm Bildhauer Guido Hofmann-Flick<br />
angeboten hatte, übernahm er mit Freude und bearbeitete seitdem konzentriert einen<br />
Sandsteinblock mit Hammer und Meißel: Das war seine Aufgabe. Bernhard Bross hat früher<br />
unter Tage im Bergbau malocht, <strong>wie</strong> so viele <strong>Bottrop</strong>er Kumpels. Dieser biografische Hintergrund<br />
erklärte in den Augen des Skulpturen-Künstlers das Engagement seines schweigsamen<br />
Gastes. Hofmann-Flick hatte zuvor Flächen auf einem Steinstück rot eingefärbt<br />
und vorgeschlagen: „Hauen Sie das mal weg, Bernhard!“ Das ließ sich der alte Herr nicht<br />
zweimal sagen.<br />
Foto: © Kaprol<br />
Der 88-jährige Wilhelm Bons hingegen<br />
bewegte sich im Freiluft-Atelier in Kirchhellen<br />
außerhalb seines beruflichen Erfahrungshorizontes,<br />
denn schließlich war er früher<br />
Konditor Aber auch Taubenzüchter! Aus dem<br />
Steinstück vor seinen Knien hat er die Umrisse<br />
einer Taube herausgeschlagen, er wünschte<br />
sich selbst sein Lieblingstier als Motiv Nun<br />
fehlte nicht mehr viel, um seine erste eigene<br />
Skulptur zu vollenden „Die bekommt einen<br />
Ehrenplatz in ihrem Zimmer, das verspreche<br />
ich ihnen“, gelobte Betreuungsassistentin<br />
Barbara Günther feierlich Sie kennt die beiden<br />
Senioren, die im AWO-Heim „Schattige<br />
Buche“ leben, sie begleitete und beobachtete<br />
die beiden auch am dritten Tag des Bildhauer-Workshops<br />
bei ihrem Besuch im Atelier<br />
Ihr Fazit: „Das sollte man öfter machen! Das<br />
ist in erster Linie ‘was für Männer “ Im Atelier<br />
wirke Herr Bons aufgeschlossener als in seiner<br />
gewohnten Umgebung, stellte die Betreuerin<br />
fest An Mal- und Bastelangeboten im Heim<br />
zeige er wenig Interesse<br />
Gelernt ist gelernt: Bernhard Bross kennt sich als<br />
ehemaliger Bergmann mit der Bearbeitung von<br />
Stein bestens aus. Im Freiluftatelier in Kirchhellen<br />
konnte er fast kein Ende finden...
35<br />
Aber die Armmuskeln anzustrengen, präzise<br />
Schläge mit Hammer und Meißel zu landen,<br />
das machte dem Rollstuhlfahrer Freude Erst<br />
recht, weil er bei diesem Ausflug nicht allein<br />
war Verena Albus (16) und Laura Leinberger<br />
(17) leisteten ihm schon seit einigen Wochen<br />
auch im Heim Gesellschaft, und Wilhelm<br />
Bons hat seine beiden Patinnen ins Herz<br />
geschlossen Die Schülerinnen wussten: Es<br />
war etwas Besonderes, dass der Rentner sich<br />
noch nach einigen Tagen an das gemeinsam<br />
erlebte Fest auf dem Berliner Platz erinnerte,<br />
mit dem die Veranstaltungswoche „<strong>Gedanken</strong><br />
<strong>wie</strong> <strong>Seifenblasen</strong>“ eröffnet wurde Davon hat<br />
Foto: © Kaprol<br />
er sogar den anderen Teilnehmern im Atelier<br />
erzählt Bevor sie Wilhelm Bons kennen<br />
lernten, berichteten Verena und Laura, hatten<br />
sie Angst vor der unbekannten Aufgabe und<br />
fühlten sich unsicher Dieses Gefühl legte sich<br />
rasch nach der ersten Begegnung Die Schülerinnen<br />
sind nun entschlossen, den Kontakt<br />
zu dem alten Herrn nicht abreißen zu lassen<br />
und ihn öfter in der „Schattigen Buche“ zu besuchen<br />
Unabhängig von diesem Vorsatz, der<br />
in die Zukunft weist, genoss der 88-Jährige im<br />
Atelier die Aufmerksamkeit der Schülerinnen,<br />
die seine Steintaube mit vereinten Kräften<br />
und Schmirgelpapier bearbeiteten<br />
Ein interessierter Blick: Bildhauer Guido<br />
Hofmann-Flick schaut Wilhelm Bons bei der<br />
Arbeit über die Schulter. Der 88-Jährige hatte<br />
sich die Taube als Motiv gewählt.
KREATIVITÄT / THEATER, TON UND TÖNE 36<br />
Vom braunen Ton zum bunten Bild<br />
Ein wenig ratlos saßen die vier demenzkranken Teilnehmer des Keramik-Workshops vor<br />
den Rechtecken aus brauner Tonmasse auf dem Tisch. Die glatte Tonplatte, die Bernhardine<br />
Lützenburg für jeden im Werkraum der Marie-Curie-Realschule vorbereitet hatte, wirkte<br />
einschüchternd - ähnlich einem weißen Blatt Papier. Die Malerin und Bildhauerin kennt<br />
diesen Effekt. Sie ging von einem zum anderen mit Vorschlägen, die helfen sollten, die<br />
Schwellenangst zu überwinden.<br />
Tüchtige Töpfer: Kulturpreisträgerin Bernhardine<br />
Lützenburg (3. v. l.) ging den Senioren bei der<br />
Arbeit mit Ton zur Hand. Die Tonplatten sollen,<br />
zum Relief verbunden, einen Platz im Gesundheitsamt<br />
erhalten.<br />
Foto: © Danneberg
37<br />
Frau O griff die Idee des Meeres-Motivs auf<br />
Aus einem dunklen Klumpen auf der Tonplatte<br />
formte sie eine Insel, rundherum versetzte<br />
Bernhardine Lützenburg mit dem Druck von<br />
Gabelzinken probeweise das „Wasser der See“<br />
in Wellenbewegung Frau O war fasziniert<br />
und griff selbst zur Gabel<br />
Herr M brauchte keine Anregung Sein<br />
abstraktes Werk nahm ihn völlig in Anspruch<br />
Konzentriert drückte er die Drahtschlinge<br />
<strong>wie</strong>der und <strong>wie</strong>der in den Tonrand, sodass ein<br />
saumartiges Muster entstand „Das machen<br />
Sie prima“, meinte die Leiterin des Workshops<br />
Altenpflegerin Hedwig Polok, Geschäftsführerin<br />
des Pflegedienstes „Pflege heute“,<br />
arbeitete an ihrer eigenen Tonplatte und<br />
beobachtete die Teilnehmer „Die Beschäftigung<br />
mit den Händen tut allen gut, und Ton<br />
nimmt nichts übel “<br />
Frau S entschloss sich nach einigem Überlegen,<br />
die Berggipfel auf ihrem Tonstück mit<br />
Tannenbäumen zu bestücken Sie trug ein<br />
schickes Brillenmodell Darauf angesprochen,<br />
ergänzte sie kichernd den Werbespruch: „Von<br />
Fielmann “<br />
Frau O fand Spaß daran, ihr Meeresbild mit<br />
weiteren Elementen zu ergänzen Auf den<br />
Strand an der Insel ritzte sie einen menschlichen<br />
Umriss und stattete die Gestalt<br />
anschließend mit einer Badehose aus Sie zog<br />
an den Seiten des Kopfes Striche in den Ton<br />
„Das werden lange Ohrenschützer Damit er<br />
beim Baden das Wasser nicht in die Ohren<br />
bekommt“, erklärte sie<br />
Die einzelnen Tonplatten sollen, zum Relief<br />
verbunden, einen Platz im Gesundheitsamt<br />
erhalten<br />
Präzisionsarbeit: Sein abstraktes Werk nahm<br />
Herrn M. völlig in Anspruch.<br />
Foto: © Danneberg
KREATIVITÄT / THEATER, TON UND TÖNE 38<br />
Fotos erfassen das Wesen der Demenz<br />
Wie verändert Demenz Wahrnehmung, Erleben und Handeln des Erkrankten? Ist dieser<br />
Prozess fotografisch darstellbar? Auf diese Frage gaben drei gelungene Fotos dreier Schülerinnen<br />
des Josef-Albers- und des Heinrich-Heine-Gymnasiums eine Antwort, die während<br />
der Aktionswoche im Karstadt-Kaufhaus zu sehen waren.<br />
Die Aufnahmen entstanden im Frühjahr bei<br />
einem Workshop mit dem Fotografen Michael<br />
Kaprol Das erste zeigt den Inhalt eines<br />
Kühlschranks, zweckentfremdet gefüllt mit<br />
Alltagsgegenständen <strong>wie</strong> Brille, Kaffeemühle<br />
und Büchern; das zweite gibt den Blick frei<br />
auf einen Waldweg, gesäumt von Schildern<br />
mit tagesstrukturierenden Handlungsanweisungen<br />
<strong>wie</strong> „Zähne putzen“ und „Türe<br />
schließen“; das dritte Foto stellt Paare von<br />
Gegenständen nebeneinander, die in den Augen<br />
mancher Demenzkranker zum Verwechseln<br />
ähnlich sind: Baguette und Nudelholz,<br />
Ananas und Zierpflanze<br />
Marie Grimpe vom Heinrich-Heine-Gymnasium<br />
(siehe Bild Seite 60), Kim Nguyen<br />
(Bild oben) und Marie-Claire Sadowski (Bild<br />
unten), beide vom Josef-Albers-Gymnasium,<br />
formulierten ihre fotografischen Ideen sehr<br />
präzise und legten auch bei der praktischen<br />
Umsetzung große Selbstständigkeit an den<br />
Tag, erklärte Michael Kaprol Er wunderte sich<br />
zunächst über das verhaltene Interesse der<br />
<strong>Bottrop</strong>er Schulen an dem Foto-Workshop:<br />
War das Projekt unattraktiv? Zu anspruchsvoll?<br />
Die Mail einer Schülerin lieferte ihm<br />
einen neuen Erklärungsansatz: „Ich werde bei<br />
dem Projekt leider nicht mitmachen können,<br />
weil da ein paar aus meiner Familie gegen<br />
sind Tut mir leid, aber da lässt sich leider<br />
nichts dran ändern “ Vorbehalte, vielleicht<br />
auch persönliche Betroffenheit verhinderten<br />
einen offenen Umgang mit dem Thema<br />
Demenz Michael Kaprol fand diese Mail so<br />
bemerkenswert, dass er sie in die Ausstellung<br />
mit aufnahm<br />
Die Kamera im Kühlschrank: Beim Fotoprojekt mit<br />
Michael Kaprol drückten die drei Teilnehmerinnen<br />
das Wesen der Demenz in Fotografien aus.
39<br />
Farben und Formen ins Bild gesetzt<br />
Die Geschäftsleute vor Ort standen der Aktionswoche aufgeschlossen gegenüber und stellten<br />
bereitwillig Schauflächen in ihren Häusern zur Verfügung. Daher entdeckten Passanten auf<br />
ihren Wegen durch die Innenstadt ungewöhnliche Motive in den Schaufenstern des Modehauses<br />
Mensing, des Karstadt-Kaufhauses und der Buchhandlungen Humboldt und Erlenkämper.<br />
Bei Mensing blickte ein selbstvergessener Paolo<br />
Franci auf einem großformatigen Foto fasziniert<br />
einigen <strong>Seifenblasen</strong> hinterher Ein Freund<br />
des demenzkranken <strong>Bottrop</strong>ers, Hartmut<br />
Schmuchal, hat den 56-Jährigen porträtiert und<br />
mit diesen Aufnahmen der Demenz-Aktionswoche<br />
unter dem Titel „<strong>Gedanken</strong> <strong>wie</strong> <strong>Seifenblasen</strong>“<br />
ein weit verbreitetes Symbolbild gegeben<br />
Bei dieser Vorstellung zuckte Heike Taut-Franci<br />
als Ehefrau zunächst lange zurück; im Frühjahr<br />
2012 konnte sie dazu stehen: „Einen langen Weg<br />
habe ich gemacht, das zu lernen“, stellte sie fest<br />
Ebenfalls bei Mensing waren Arbeiten von<br />
Marie-Curie-Realschülerinnen ausgestellt Die<br />
10 Klasse wandte das Prinzip des Schweizers<br />
Ursus Wehrli („Kunst aufräumen“) auf die Bilder<br />
der Künstler Wassili Kandinsky und Paul Klee an:<br />
Die Schülerinnen lösten in ihren Arbeiten die<br />
Ordnung der Elemente in den Bilder-Vorgaben<br />
auf und gaben ihnen eine neue Struktur Mit<br />
dieser Aktion trafen sie nach Auffassung von<br />
Demenzberaterin Barbara Josfeld den Kern der<br />
dementen Sicht auf die Welt Auflösung der<br />
Struktur, Neuordnung der Inhalte: Nach diesem<br />
Prinzip gingen auch die Realschülerinnen der<br />
Klasse 9 vor, die im Modehaus Mensing bunte<br />
Mobiles aufhängten<br />
Auch die steinernen Dekorationsstücke in<br />
einem weiteren Mensing-Schaufenster ver<strong>wie</strong>sen<br />
auf eine Kunstaktion, waren sie doch bei<br />
Foto: © Kaprol<br />
einem Workshop im Kirchhellener Atelier des<br />
Bildhauers Guido Hofmann-Flick bei der Arbeit<br />
mit demenziell veränderten Senioren entstanden,<br />
und darüber hinaus stellten Schüler des<br />
Josef-Albers-Gymnasiums ein schwebendes<br />
Scrabble-Buchstaben-Mobile zur Schau<br />
In einem Karstadt-Schaufenster waren Bilder zu<br />
sehen, die im Mai beim Workshop unter dem<br />
Titel „Malen, was Freude macht“ im Atelier des<br />
Künstlers Reinhard Wieczorek entstanden waren<br />
Der <strong>Bottrop</strong>er Kulturpreisträger stand fünf<br />
über 70-jährigen Demenzpatienten beim Malen<br />
zur Seite Für alle Werke galt: Entscheidend<br />
ist das Tun, nicht das Produkt, betonte Reinhard<br />
Wieczorek Auch Hobby-Maler Paolo Franci<br />
nahm <strong>wie</strong> früher den Pinsel in die Hand Seine<br />
Malerei war damals stets gegenständlich, die<br />
Bildfläche strukturiert Im Gegensatz dazu bestimmt<br />
heute nur noch Farbe in unbestimmten<br />
Konturen das Bild Der gelernte Schlosser mit<br />
italienischen Wurzeln wurde beim Workshop<br />
betreut von seiner Patin Farina Heidemann, einer<br />
20-jährigen Schülerin des Berufskollegs Die<br />
unbefangene Schülerin war für den 56-jährigen<br />
an der Staffelei eine bessere Partnerin als seine<br />
Ehefrau, die Paolos aktuelle Malversuche an den<br />
Verlust seiner Gestaltungskraft erinnerten<br />
Die „Lebendige Bibliothek“ im Kulturzentrum<br />
begleitete die Aktionswoche mit einer<br />
Buchausstellung<br />
Ein Fingerzeig: Kulturpreisträger<br />
Reinhard Wieczorek half den Hobbymalern bei<br />
der Umsetzung ihrer kreativen Ideen.
KREATIVITÄT / THEATER, TON UND TÖNE 40<br />
Absurdes Straßentheater: vom Asphaltwässern...<br />
Mit „verrückten“ Auftritten, die dem Verhalten<br />
Demenzkranker nachempfunden waren,<br />
setzten sich Schüler der Altenpflegeschule<br />
des Caritas-Bidungswerks aus Dorsten in der<br />
<strong>Bottrop</strong>er Innenstadt in Szene Schüler des<br />
Berufskollegs schminkten und kostümierten<br />
die angehenden Altenpfleger, die anschließend<br />
in die Innenstadt ausschwärmten,<br />
um auf ein Kommando als zwanzigköpfige<br />
Gruppe gemeinsam in Aktion zu treten: Die<br />
Foto: © Kaprol<br />
Schüler fegten energisch und zum Klang des<br />
Heino-Hits „Blau blüht der Enzian“ den ZOB,<br />
setzten dem Asphalt mit Staubsauger und<br />
Harke zu und nahmen Bügeleisen und -brett<br />
in Betrieb Beobachter der an unterschiedlichen<br />
Orten in der Fußgängerzone <strong>wie</strong>derholten<br />
Aktion reagierten mit Kopfschütteln, aber<br />
zumeist amüsiert, berichtet Dozentin Gabriele<br />
Bötticher Nach dem Auftritt erklärten die Altenpflegeschüler<br />
die Situation und erläuterten<br />
den Zuschauern ihr Anliegen: Jeder demenziell<br />
veränderte Mensch bleibt trotz seiner<br />
Krankheit ein unverwechselbares Individuum<br />
Viele Züge seines verwirrenden Verhaltens finden<br />
eine Erklärung in seiner Persönlichkeit und<br />
Biographie, sind also weniger dement, als es<br />
scheint Das sollte im Umgang mit demenziell<br />
veränderten Menschen nicht in Vergessenheit<br />
geraten<br />
Die Altenpflegeschüler - viele von ihnen<br />
absolvierten in <strong>Bottrop</strong>er Pflegeeinrichtungen<br />
den praktischen Teil ihrer Ausbildung<br />
- wurden vom KWA Stift Urbana nach <strong>Bottrop</strong><br />
eingeladen<br />
Verrückte Aktion: Altenpflegeschüler aus Dorsten<br />
legten bei ihrem Auftritt am Busbahnhof ein<br />
Verhalten an den Tag, das alle Passanten in<br />
Erstaunen versetzte. Sie bürsteten das Pflaster,<br />
wässerten den Asphalt...
41<br />
... zum Spaziergang im Bademantel<br />
Die Altenpflegeschüler des maxQ-Fachseminars<br />
bauten ihr Theaterstück, das mehrmals<br />
in der Fußgängerzone zu sehen war, auf<br />
realistischen Erfahrungen auf Unter dem<br />
Titel „Zweisam einsam der Weg ins<br />
Vergessen“ zeichneten fünf junge Akteure<br />
die Entwicklung der Demenz in unterschiedlichen<br />
Stadien und drei Spielszenen<br />
nach: Das ungewöhnliche Verhalten eines<br />
Familienvaters verwirrt Ehefrau und Tochter,<br />
Schräge Szene: Altenpflegeschüler aus <strong>Bottrop</strong><br />
zeichneten in ihrem Theaterstück die Entwicklung<br />
der Demenz in drei Stadien nach. Am Ende<br />
geht der Familienvater im Bademantel spazieren<br />
und erkennt zum Schluss seine Tochter nicht<br />
mehr.<br />
die sich schließlich mit einem Pflegedienst<br />
fachkundige Hilfe ins Haus holen und die<br />
Diagnose Demenz akzeptieren Denn wenn<br />
der Vater seine 35-jährige Tochter nicht<br />
mehr erkennt, ist die Krankheit nicht mehr<br />
zu leugnen<br />
Im Publikum saßen auch Anna und Leo<br />
Gaschka Der <strong>Bottrop</strong>erin erschien in den<br />
Spielszenen manches vertraut Bei ihrem<br />
81-jährigen Ehemann Leo zeigten sich<br />
Foto: © Kaprol<br />
vor 20 Jahren die ersten Anzeichen einer<br />
demenziellen Veränderung „In den ersten<br />
Jahren habe ich den Symptomen keine<br />
große Aufmerksamkeit geschenkt“, erinnerte<br />
sich die <strong>Bottrop</strong>erin Vor dem Hintergrund<br />
ihrer Erfahrungen unterstützte sie die<br />
Demenz-Aktionswoche: „Gut, dass man so<br />
etwas in Angriff genommen hat Das Thema<br />
wird immer noch versch<strong>wie</strong>gen, denn es ist<br />
mit Scham verbunden “
KREATIVITÄT / THEATER, TON UND TÖNE 42<br />
Ein Fischlein wollte Hochzeit machen...<br />
Beim musikalischen Puppentheater „Frido<br />
und das vergessliche Buch“ im AWO-Seniorenzentrum<br />
„Schattige Buche“ lernten die Senioren<br />
eine neue Spielart eines der bekanntesten<br />
deutschen Volkslieder kennen Bisher<br />
wollten bekanntlich stets Amsel und Drossel<br />
heiraten, aber das Kooperationsprojekt der<br />
„Lebendigen Bibliothek“ und der Rheinba-<br />
benschule stellte den Text um Nun hieß es:<br />
„Ein Fischlein wollte Hochzeit halten in dem<br />
grünen Weiher “ Neun- bis elfjährige Grundschüler<br />
steckten mehrere Wochen lang die<br />
Köpfe zusammen und verfassten gemeinsam<br />
mit Autorin Pia Löber ein eigenes Puppentheaterstück,<br />
das Jung und Alt gefallen sollte<br />
Es setzte sich auf kindgerechte Weise mit<br />
Foto: © Danneberg<br />
dem Thema Demenz auseinander, bot aber<br />
auch alten Zuschauern mit Wort und Musik<br />
Anknüpfungspunkte, um Erinnerungen zu<br />
aktivieren - und zu irritieren Als Basis dienten<br />
die Kinderbücher von Otfried Preußler Musiklehrerin<br />
Annette Borgmann half den Kindern<br />
beim Einstudieren der Lieder und begleitete<br />
die Aufführung mit ihrer Musikgruppe<br />
Vorgespielt: Die junge <strong>Bottrop</strong>erin Pia Löber hatte<br />
ein eigenes Puppentheaterstück entwickelt, dass<br />
Grundschüler im AWO-Seniorenzentrum „Schattige<br />
Buche“ aufführten.
43<br />
Ton um Ton mit Spaß an der Musik<br />
Auch erwachsene Musikliebhaber, die nicht<br />
von Kindesbeinen an mit einem Instrument<br />
und der Welt der Noten aufgewachsen sind,<br />
können mit einem elektronischen Keyboard<br />
musizieren Wie es funktioniert, erfuhren fünf<br />
lernwillige Interessenten beim Schnupperkurs<br />
für Senioren in der „Lebendigen Bibliothek“,<br />
ausgerichtet von Heribert Matschey vom<br />
„Musikforum“ und dem Musikpädagogen<br />
Dennis Tegeder Sie gaben einen Überblick<br />
über die Funktionsweise des Instrumentes,<br />
erläuterten die zunächst verwirrende Vielzahl<br />
von Knöpfen und führten die Teilnehmer<br />
dann zu einem musikalischen Erfolgserlebnis:<br />
Denn mit ein wenig Hilfestellung gelang<br />
jedem Besucher eine Melodie Das Geheimnis<br />
des Instruments: „Man muss nicht alles selbst<br />
machen“, stellte Tegeder fest Wichtig ist hingegen<br />
das Wissen, welche Knöpfe zu drücken<br />
sind, um einem Keyboard viele Klangfarben<br />
bis hin zum satten Orchester-Sound zu<br />
entlocken<br />
Übung macht auch an diesem Instrument<br />
den Meister Darüber hinaus haben neuro-<br />
Fotos: © Kaprol (2)<br />
biologische Forschungen nachge<strong>wie</strong>sen:<br />
Wer lernt, ein Instrument zu spielen, wirkt in<br />
gewissem Umfang einem kognitiven Abbau<br />
entgegen Das Nervensystem passt sich auch<br />
im fortgeschrittenen Alter an neue Anforderungen<br />
an, und dieser Prozess kann zur<br />
Vorbeugung einer Demenz beitragen<br />
Fingerfertig: Heribert Matschey vom „Musikforum“<br />
vermittelte Ton um Ton musikalische<br />
Erfolgserlebnisse.
KREATIVITÄT / THEATER, TON UND TÖNE 44<br />
Foto: © Josfeld<br />
Assauer gibt der Demenz<br />
ein prominentes Gesicht<br />
Auch Jugendliche setzen sich mit dem Thema<br />
Demenz auseinander, wenn sich ihnen<br />
ein interessanter Zugang eröffnet. Einen<br />
solchen entdeckten 14 Berufsschüler in der<br />
Biographie des ehemaligen Schalke-Managers<br />
Rudi Assauer, die 2012 unter dem Titel<br />
„Wie ausgewechselt“ auf dem Buchmarkt<br />
erschien. Assauer bekennt sich darin zu<br />
seiner Alzheimer-Erkrankung, die inzwischen<br />
ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hat.<br />
Ohne die Unterstützung seiner Tochter wäre<br />
er heute hilflos.<br />
Prominentes Beispiel: Auch der ehemalige<br />
Schalke-Manager Rudi Assauer ist an Demenz<br />
erkrankt und hat dies in bemerkenswerter Weise<br />
öffentlich gemacht. Im Jahr 2012 erschienen<br />
unter dem Titel „Wie ausgewechselt“ seine Memoiren<br />
auf dem Buchmarkt.
45<br />
Aufgepasst: 14 Berufsschüler lasen in der „Lebendigen<br />
Bibliothek“ aus der Assauer-Biographie.<br />
Viel Aufmerksamkeit: Die Veranstaltung zog vor<br />
allem ein junges Publikum an.<br />
Die 18- bis 20-Jährigen setzten sich intensiv<br />
mit dem Text auseinander, wählten Abschnitte<br />
aus und stellten diese Auszüge bei einer<br />
Lesung in der „Lebendigen Bibliothek“ der<br />
Öffentlichkeit vor<br />
Zu Beginn der Arbeit hatten viele seiner Schüler<br />
keine Vorstellung von der Krankheit und<br />
ihren Folgen, berichtete Dr Alexander Moor,<br />
Lehrer am Berufskolleg Der prominente Buchautor<br />
füllte diese Wissenslücken mit anschaulicher<br />
Schilderung Rudi Assauer beschreibt<br />
in seinem Buch die ersten Anzeichen, die<br />
ihm 2005 auffielen, und die er zunächst nicht<br />
wahrhaben wollte – <strong>wie</strong> so viele Betroffene:<br />
„Bestimmte Dinge, ob Namen, ob Termine<br />
– sie sind ums Verrecken nicht mehr da Wie<br />
gelöscht Man fühlt sich ohnmächtig “<br />
Vergesslichkeit und Erinnerungslücken<br />
nahmen zu, die Umwelt wurde aufmerksam<br />
auf die Aussetzer Als seine Sekretärin einen<br />
Demenz-Test vorschlug, wusste Assauer im<br />
Grunde bereits, dass er ernsthaft krank war „Ich<br />
Fotos: © Danneberg (2)<br />
hatte mit niemandem darüber geredet Da<br />
ist dieses Schamgefühl Als könnte man was<br />
dafür! Man will es nicht zugeben Mit wem soll<br />
man auch sprechen? Mit jemandem aus der<br />
Familie? Nein Mit der Partnerin? Schon gleich<br />
gar nicht Gibt es etwas Peinlicheres? Wenn<br />
man sich den Arm bricht oder sonst einen<br />
Knochen, gibt’s einen Gips und fertig, wird<br />
schon <strong>wie</strong>der Aber Alzheimer!“<br />
INFO<br />
Rudi Assauer lebt heute bei seiner Tochter in<br />
Herten Gern sieht er Fußballspiele im Fernsehen,<br />
kommentiert sie aber nur noch selten<br />
Meistens schweigt er Versunken in seiner<br />
eigenen Welt<br />
Lehrer Dr Moor sah die Auseinandersetzung<br />
seiner Schüler mit Assauers Biographie als<br />
kleinen Baustein in der Entwicklung zum<br />
Erwachsenen<br />
Rudi Assauer, 1944 im saarländischen Sulzbach geboren, wuchs in Herten auf. Er spielte als<br />
Fußball-Profi unter anderem für Borussia Dortmund und Werder Bremen. Seine anschließende<br />
Karriere als Fußball-Manager führte ihn zu Schalke 04. Während seiner zweiten Amtszeit<br />
für die Königsblauen gewann der Verein 1997 den UEFA-Cup so<strong>wie</strong> 2001 und 2002 den<br />
DFB-Pokal. 2006 trat Assauer von seiner Position zurück.
KREATIVITÄT / THEATER, TON UND TÖNE 46<br />
Ton an, Streifen läuft – Filme zum Thema Demenzkranke<br />
Die Zahl der Filmproduktionen, die sich mit<br />
dem Thema Demenz beschäftigen, ist in<br />
den letzten Jahren gestiegen Zwei Beispiele<br />
waren bei der Aktionswoche zu sehen: Das<br />
AWO-Demenz-Servicezentrum für Menschen<br />
mit Zuwanderungsgeschichte hatte unter<br />
dem Titel „Das Herz vergisst nicht - Kalp<br />
unutmaz“ einen Film über das Leben mit<br />
Demenz in türkischstämmigen Familien ausgewählt<br />
Die Familienangehörigen schildern<br />
in Interviews ihre Alltagsprobleme und Einschränkungen<br />
Der Film wurde in türkischer<br />
Originalsprache aufgenommen und deutsch<br />
untertitelt Weitere Informationen im Web<br />
unter „www awo-gelsenkirchen de“<br />
Das Filmforum der VHS zeigte den deutschen<br />
Fotos: © Taut-Franci (l.), Danneberg (r.)<br />
Spielfilm „Vergiss dein Ende“, gedreht im<br />
Jahr 2011 Regisseur Andreas Kannengießer<br />
legt den Schwerpunkt auf die enorme Last,<br />
welche die Pflege eines demenzkranken Ehemannes<br />
für seine Frau bedeutet Schließlich<br />
fällt sie die Entscheidung, die fallen muss,<br />
wenn sie selbst an ihrer Aufgabe nicht zu<br />
Grunde gehen will<br />
Schauplatz St. Cyriakus-Kirche: auch an diesem<br />
ungewöhnlichen Ort waren Dokumentarfilme<br />
zu sehen, die auf die Bedürfnisse älterer<br />
Zuschauer und Demenzkranker zugeschnitten<br />
sind.
47<br />
Kreatives Schaffen kennt keine Vorschriften<br />
Für kreatives Schaffen gibt es keine Vorschriften - nur Anregungen, <strong>wie</strong> sie bei der Aktionswoche<br />
unter anderem in der Katholischen Familienbildungsstätte angeboten wurden.<br />
Sich selbst oder den dementen Angehörigen als schöpferisch zu erleben, schenkt Freude<br />
und Ablenkung, die Wahrnehmung konzentriert sich auf Positives. Diese Sicht tut gut im<br />
strapaziösen Alltag, <strong>wie</strong> pflegende Angehörige wissen.<br />
Carola Dirkhoff stellte beispielsweise die<br />
individuelle Gestaltung eines Seidentuchs<br />
vor Die <strong>Bottrop</strong>erin ist Mitglied der Kunstgemeinschaft<br />
(www kunstgemeinschaft-bottrop<br />
de) und Dozentin für Seidenmalerei an der<br />
Volkshochschule Bernadette Beughold bot<br />
einen Mal-Workshop für Demenzkranke an:<br />
Mitzubringen waren keine Vorkenntnisse, aber<br />
Neugier und Freude (www beughold com)<br />
Catrin Klauenberg demonstrierte, <strong>wie</strong> sich<br />
schlichte Bögen in kunstvolle Papierschachteln<br />
verwandeln lassen und <strong>wie</strong> Grußkarten<br />
entstehen Auch das Aufziehen von Perlen<br />
betrachtet die <strong>Bottrop</strong>erin als kreativen Akt,<br />
der Konzentration bündelt – während sich<br />
gleichzeitig im Innern Strukturen bilden<br />
(www zier-art com)<br />
Fotos: © Josfeld (2)<br />
Farbiges auf Seide: Workshopleiterin Carola<br />
Dirkhoff gibt dem Kunstwerk den letzten Schliff.<br />
Vereinte Kräfte: Mit etwas Unterstützung ist der<br />
Anfang schnell gemacht.
IN GUTEM GEIST 48<br />
„Spirituelle Tankstelle“ gab Kraft<br />
Die Pflege altersverwirrter Menschen führt oft an die eigenen Grenzen, denn sie verlangt<br />
sehr viel Geduld und Kraft. In der St. Cyriakus-Kirche in der Stadtmitte fanden die Besucher<br />
einen offenen Ort, wo nichts verlangt oder erwartet wurde. Stattdessen bot sich die<br />
Kirche an als Raum für neue Begegnungen und Erfahrungen.<br />
Rückzugsort und meditativer Rastplatz: Ein<br />
rotes Zelt, geborgen in einer Nische des<br />
Kirchenschiffs, wurde zur „spirituellen Tankstelle“<br />
Wer allein sein wollte, blieb ungestört<br />
Doch dreimal täglich - die Zeitpunkte waren<br />
auf den Zeitplan des Pflegepersonals in Altenheimen<br />
und Pflegediensten abgestimmt<br />
- gaben dort Geistliche und Gemeindemitglieder<br />
ihren Zuhörern mit Musik und Text<br />
Foto: © Taut-Franci<br />
einen gedanklichen und geistlichen Impuls<br />
Er begann an jedem Tag mit einem anderen<br />
Motiv Dabei stand auch der achtsame,<br />
bewusste Umgang mit dem eigenen Ich als<br />
einem Geschenk Gottes im Mittelpunkt: Der<br />
Impuls machte Mut zur Anerkennung und<br />
zur positiven Sicht – Denkansätze, die im<br />
fordernden Alltag von pflegenden Angehörigen<br />
und Pflegepersonal oft untergehen<br />
Andächtig: Zur musikalischen Begleitung vertieften<br />
sich die Besucher der „spirituellen Tankstelle“<br />
in der Kirche St. Cyriakus in ihre Texte.<br />
Auch kam die Erfahrung von Gottes Nähe<br />
zur Sprache, die heilsam wirken kann<br />
Gemeindereferentin Cordula Holte, Beate<br />
Harst von den Missionsärztlichen Schwestern,<br />
Schwester Gertrud Dederichs und<br />
Marie Schulte im Walde widmeten einen Tag<br />
der Klage und damit schmerzhaften, häufig<br />
von Scham begleiteten Gefühlen Eine Gruppe<br />
alter Frauen, darunter zwei Rollstuhlfahre-
49<br />
Botschaften: Ein Wunschbaum nahm während<br />
der Aktionswoche die Bitten auch von Erkrankten<br />
auf. „Ich wünsche mir, Menschen um mich<br />
zu haben, die Geduld mit mir haben“, schrieb<br />
ein Kirchenbesucher.<br />
rinnen, hatte den Weg in die Kirche gefunden<br />
Sie wurden begleitet von zwei jungen<br />
Pflegerinnen Keine der Besucherinnen gab<br />
zu erkennen, ob Schwester Beate ihr bei der<br />
Eröffnung aus der Seele sprach: „Wir dürfen<br />
ja nicht klagen, wer will das Klagen denn<br />
hören?“<br />
Aber Klage braucht einen Ausdruck, jeder<br />
braucht von Zeit zu Zeit eine Klagemauer<br />
Foto: © Taut-Franci<br />
Die Initiatorinnen der „spirituellen Tankstelle“<br />
fanden eine Lösung ohne Worte Rasseln,<br />
Klappern und Ratschen wurden herumgereicht,<br />
bis jede Besucherin ein einfaches<br />
Musikinstrument in der Hand hatte<br />
Schwester Beate brachte die Empfindung<br />
auf den knappen und vertrauten Nenner der<br />
Überbeanspruchten: „Alles ist mir zuviel, ich<br />
möchte am liebsten losschreien “<br />
Und dann füllte kraftvolles Scheppern, Rasseln<br />
und Klappern den Kirchenraum, als die<br />
Besucher ihren Klagen Raum gaben
IN GUTEM GEIST 50<br />
Gottesdienste für Demenzkranke gestalten<br />
Was für die Gesellschaft gilt, trifft auch auf<br />
die Kirchengemeinden zu: Viele Mitglieder<br />
sind alt oder hochbetagt, manche demenziell<br />
verändert Damit der Gottesdienst nicht an<br />
ihnen vorübergeht, sondern einen Widerhall<br />
in ihrer Persönlichkeit auslöst und Erinnerungen<br />
weckt, werden seine Strukturen an<br />
„Für den Augenblick“ und darüber hinaus<br />
die Ansprüche der Dementen angepasst Als<br />
Referentin erläuterte Diplom-Sozialpädagogin<br />
Marie Schulte im Walde im Katholischen<br />
Stadthaus die Regeln, an denen sich ein<br />
Gottesdienst für Demenzkranke (und ihre Angehörigen)<br />
orientieren sollte: Kurze, prägnante<br />
Texte, bekannte Lieder und Gebete, Bilder<br />
Einen Gottesdienst „für den Augenblick“ gestaltete Pfarrerin Birgit Neumann in der Evangelischen<br />
Gnadenkirche. Der Posaunenchor unter Leitung von Johannes Penkalla gab ihm<br />
eine besondere Prägung. Zum anschließenden Kaffeetrinken im Gemeindehaus waren<br />
auch die Willy-Brandt-Gesamtschüler eingeladen, die einige Gemeindemitglieder durch<br />
den Nachmittag begleitet hatten.<br />
Foto: © Josfeld<br />
und Symbole, Elemente zum Mitmachen und<br />
Mitnehmen Neben Informationen über die<br />
Demenz kam auch die praktische Umsetzung<br />
im Gottesdienst zur Sprache, der den<br />
Betroffenen Momente intensiven Erlebens<br />
vermitteln soll<br />
Angehörigen und Pflegenden galten beim<br />
ökumenischen Gottesdienst in der St<br />
Cyriakus-Kirche unter dem Motto „Du bist ein<br />
Segen“ die Gebete und <strong>Gedanken</strong> der Gläubigen<br />
Damit verbunden war ein Segensritual<br />
in dichter Atmosphäre, das manchen Teilnehmer<br />
sehr persönlich berührte<br />
Der Abschlussgottesdienst der Aktionswoche<br />
in der St Cyriakus-Kirche war in besonderem<br />
Maß ausgerichtet an der traditionellen<br />
Liturgie und sie diente auch dem Propsteichor<br />
unter Leitung von Ursula Kirchhoff als<br />
musikalischer Bezugsrahmen Kerzenschein<br />
Mit Gebet und Gesang: Auch Schülerinnen<br />
leisteten einen Beitrag zum Gottesdienst in der<br />
Gnadenkirche.
51<br />
Foto: © Josfeld<br />
und alte Kirchenlieder <strong>wie</strong> „Maria breit den<br />
Mantel aus“ sollten Erinnerungen wecken an<br />
manche Hochfeste – viele haben Gemeindemitglieder<br />
in hohem Lebensalter bereits<br />
an diesem geweihten Ort erlebt Um ihn zu<br />
besuchen, sind manche nun auf Hilfsmittel<br />
<strong>wie</strong> Rollator oder Rollstuhl ange<strong>wie</strong>sen<br />
In seiner Predigt sprach Propst Paul Neu-<br />
Propst Paul Neumann:<br />
mann allen Dank aus, die bei der Aktionswoche<br />
mitgemacht haben Er verband damit die<br />
Hoffnung, dass die Woche Wirkung zeigen<br />
werde, weil sie neue Horizonte eröffnet habe:<br />
„Denn endlich sind viele Dinge offen und<br />
öffentlich ausgesprochen worden, die früher<br />
im Privaten geblieben sind “ Denn eine auf<br />
Erfolg und Leistung aufgebaute Gesellschaft<br />
neige dazu, Krankheiten auszublenden und<br />
zu verstecken Bei manchen Angehörigen<br />
spiele auch Scham eine Rolle: „Sie tun sich<br />
schwer, ihre früher so aktiven und geistig<br />
regen Eltern in der Öffentlichkeit zu zeigen “<br />
Aus christlicher Sicht gehört die Erfahrung<br />
von Leid und Krankheit zum Leben, das Gott<br />
geschenkt hat Propst Neumann betonte: „Es<br />
gibt keinen Grund, Demenzkranke zu verstecken<br />
Ganz im Gegenteil!“ Der Geistliche<br />
Konzentriert musiziert: Der evangelische Posaunenchor<br />
gab dem Geschehen eine besondere<br />
Note.<br />
forderte die Gemeinde auf, den Demenzkranken<br />
Türen zu öffnen, um ihnen auf ihre<br />
eigene Weise die Teilhabe an Leben und<br />
Gesellschaft zu ermöglichen „Auch sie haben<br />
das Recht, in unserer Gesellschaft einen Platz<br />
zu haben und menschliche Wertschätzung<br />
- auch und gerade in ihrer Krankheit - zu<br />
erfahren“, schloss der Geistliche<br />
„Es gibt keinen Grund, Demenzkranke zu verstecken. Ganz im Gegenteil!“<br />
Ein „Wunschbaum“ nahm während der<br />
Aktionswoche mit seinen Zweigen die auf<br />
Zetteln notierten <strong>Gedanken</strong> von Kirchenbesuchern<br />
und Betroffenen auf Sie sollten<br />
beschreiben, was sie sich wünschten für<br />
den Fall eigener Demenzerkrankung Die<br />
Besucher des Abschlussgottesdienstes<br />
hörten nach der Predigt des Propstes eine<br />
Auswahl dieser Bitten Was wäre, wenn<br />
? Die Antwort war bekannt: Wachsende<br />
Hilfsbedürftigkeit, Ange<strong>wie</strong>sensein auf<br />
andere, verbunden mit der Furcht, verlassen<br />
zu werden: „Ich wünsche mir, Menschen um<br />
mich zu haben, die Geduld mit mir haben“,<br />
schrieb ein Kirchenbesucher<br />
Zum Abschluss des Gottesdienstes rührten<br />
sich viele Hände Die Gemeinde dankte dem<br />
Propsteichor mit Applaus für seinen Einsatz
IN GUTEM GEIST 52<br />
„Die Welt mit anderen Augen sehen“<br />
„Die Welt mit anderen Augen sehen“: Diesen Perspektivwechsel schlug der Titel einer Ausstellung<br />
den Besuchern der St. Cyriakus-Kirche vor. Die dort gezeigten Bilder verband kein<br />
künstlerisches Konzept, sondern eine gemeinsame Eigenschaft: Sie wurden gemalt von<br />
demenzkranken Bewohnern aus 18 Duisburger Pflegeeinrichtungen. Mitarbeiter dieser<br />
Heime wurden zuvor im Duisburger Wilhelm-Lehmbruck-Museum geschult, um Demenzkranke<br />
zur Kreativiät anzuregen, sie bei der Begegnung mit Kunst zu begleiten und mit<br />
ihnen zu arbeiten.<br />
Foto: © Dahlhoff<br />
Blickpunkt St. Cyriakus: Die Kirche war ein Haupt-<br />
veranstaltungsort während der Demenzwoche.<br />
Demente verlieren zwar ihre Erinnerungen<br />
und ihre kognitiven Fähigkeiten Aber der<br />
Alzheimer-Gesellschaft Duisburg ist das<br />
Potential wichtig, das demenziell veränderte<br />
Menschen nach <strong>wie</strong> vor besitzen, jeder in<br />
unterschiedlicher Intensität und Ausprägung<br />
Diese emotionale und schöpferische Kraft<br />
wird nach Überzeugung der Gesellschaft zu<br />
wenig beachtet und genutzt Denn sie kann<br />
unabhängig von Sprache und Rationalität einen<br />
Zugang eröffnen, wenn die Malerei und<br />
ihre Inhalte zum Ausgangspunkt für Kontakt<br />
und Austausch werden<br />
Die stellvertretende Vorsitzende der Alzheimer-Gesellschaft<br />
Duisburg, Orla-Maria<br />
Wunderlich, wusste bei der Vorstellung des<br />
Projekts zahlreiche persönliche Geschichten<br />
zu erzählen über die demenzkranken Maler<br />
und ihre Werke Viel Biografisches kommt in<br />
ihren Bildern zum Ausdruck; <strong>wie</strong> bei allen kreativen<br />
Menschen dient der Bildträger oft als<br />
Folie für Erinnerungen Aber auch aktuelles<br />
Empfinden wurde deutlich Wer sich auf die<br />
kreativen Arbeiten von Demenzpatienten<br />
einlässt, kann über die Kunst neue Wege in<br />
der Kommunikation entdecken<br />
Das Mal-Projekt begann im Jahr 2007 und<br />
wird in einigen Einrichtungen fortgesetzt<br />
KONTAKT<br />
Die Alzheimer-Gesellschaft Duisburg e.V. ist<br />
zu erreichen unter Telefon 02 03 / 30 95 - 104,<br />
E-Mail: info@alzheimer-duisburg.de.
53<br />
Demenz-Parcours<br />
Wie die Kunstausstellung „Die Welt mit anderen<br />
Augen sehen“ will auch der Demenz-Parcours<br />
einen Einblick in die Welt geben, in<br />
der Demenzkranke leben. Deren Sicht ist für<br />
Nicht-Erkrankte oft nicht nachvollziehbar,<br />
was Ungeduld und Unverständnis auslöst –<br />
und auf der Seite des Betroffenen <strong>wie</strong>derum<br />
Verwirrung und Schmerz hervorruft.<br />
Der Parcours konfrontierte die Besucher in der<br />
St Cyriakus-Kirche mit praktischen Aufgaben<br />
und Hürden Beim Lösungsversuch stellten<br />
sich Gefühle ein, die den Empfindungen eines<br />
Dementen vergleichbar sind, wenn er im<br />
Alltag scheitert – Ärger, Scham und Selbstzweifel<br />
Ein Beispiel: Auf 20 Fotos war der<br />
komplexe Vorgang der Butterbrot-Zubereitung<br />
in seinen einzelnen Handlungsschritten<br />
abgebildet Brot abschneiden, Schrank öffen,<br />
zum Messer greifen Welches ist die richtige<br />
Reihenfolge? Was als unbewusster Akt <strong>wie</strong><br />
von selbst von der Hand geht, erfordert als<br />
bewusste Leistung Konzentration, kostet Zeit<br />
Wenn der „Tatort“ zu hektisch wird...<br />
Das Fernsehprogramm überfordet viele<br />
Demenzkranke mit rasanten Kamerafahrten,<br />
schnellen Schnitten und Dialogen, komplizierten<br />
Handlungen und zu vielen Informationen<br />
In der Cyriakus-Kirche waren stattdessen Filme<br />
zu sehen, die für demente Zuschauer gedreht<br />
wurden - mit ruhiger Kameraführung und<br />
langen Einstellungen, häufigen Wiederholungen<br />
der gesprochenen Worte Tiere stehen im<br />
– und ruft ein Stirnrunzeln hervor Über dieses<br />
eigene Erleben will der Demenzparcours ein<br />
besseres Verständnis für die Welt der Erkrankten<br />
vermitteln: So fühlt es sich an, an Demenz<br />
erkrankt zu sein<br />
Der Parcours wurde entwickelt von der Evangelischen<br />
Stiftung Tannenhof<br />
Mittelpunkt, sie sind oft auch in der Realität<br />
Sympathieträger Der Zuschauer soll sich in<br />
der Welt der Bilder mit vielen vertrauten Mo-<br />
INFO<br />
Kniffelig: Der Demenz-Parcours konfrontierte die<br />
Besucher mit praktischen Aufgaben und Hürden.<br />
KONTAKT<br />
tiven wohlfühlen Weitere Informationen über<br />
die Filmprojekte sind im Internet unter<br />
„www ilsesweitewelt de“ zu finden<br />
Der Verlag hat der „Lebendigen Bibliothek“ ein Filmset mit Begleitbuch und Fotokarten<br />
geschenkt, das ausgeliehen werden kann.<br />
Foto: © Josfeld<br />
Die Ausleihe wird vom Demenz-Service-<br />
zentrum Bergisches Land koordiniert:<br />
Telefon 0 21 91 / 12 - 12 12,<br />
www.demenz-service-nrw.de.
GUTER RAT FÜR ANGEHÖRIGE 54<br />
Guter Rat war nicht teuer<br />
Die Aktionswoche gab den Besuchern einen überblick über ein vielfältiges Angebot von<br />
Beratung und Unterstützung.<br />
Selbsthilfegruppen brachten sich ein<br />
Die große Aktionsfläche fiel aus dem Rahmen - und sie fiel ins Auge. Im Erdgeschoss und<br />
gut platziert bot das Karstadt-Kaufhaus den Selbsthilfegruppen für Angehörige Demenzkranker<br />
ein Forum. Die Mitglieder nutzten diese Chance, in der Öffentlichkeit präsent<br />
zu sein, und wechselten einander ab in der Betreung ihres Info-Standes. An sechs Tagen<br />
fanden Ratsuchende dort von 10 bis 18 Uhr einen Ansprechpartner für Fragen rund um die<br />
Demenz – zum Beispiel Christa Tappen.<br />
Sie weiß, dass die Krankheit viele Fragen aufwirft<br />
und Angehörige verzweifeln lässt Eine<br />
Foto: © Taut-Franci<br />
Begegnung während der Aktionswoche ist<br />
ihr im Gedächtnis geblieben Vor ihr saß eine<br />
Gemeinsam stark sein: Das Motto der Selbsthilfegruppe<br />
begegnete den Besuchern des Kaufhauses<br />
Karstadt beim Einkaufsbummel. Und wer<br />
wollte, konnte sich direkt beraten lassen.<br />
<strong>Bottrop</strong>erin, die ihren dementen Ehemann<br />
dreimal wöchentlich zur Betreuung in eine<br />
Tagesstätte brachte Aber der Mann sperrte<br />
sich dagegen Die Ehefrau schlug Christa Tappen<br />
am Info-Stand vor: „Ich hol’ jetzt meinen<br />
Mann und dann sagen Sie ihm, dass er in die<br />
Tagesstätte gehen soll!“<br />
Das wäre der falsche Weg gewesen, sagt<br />
Christa Tappen Wenn der Ehemann nicht in<br />
die Tagesstätte wolle, dann sei die Ehefrau<br />
gut beraten, diese Ablehnung ernst zu<br />
nehmen und nach den Ursachen zu suchen:<br />
Ist der dreimalige Besuch zuviel verlangt?
55<br />
Ist diese Tagesstätte der richtige Ort? Fühlt<br />
sich der Lebenspartner abgeschoben? Mit<br />
diesen Fragen, mit der Suche nach einem<br />
Ausweg aus der konfliktträchtigen Situation,<br />
wäre die Ehefrau bei einer Selbsthilfegruppe<br />
an der richtigen Adresse, glaubt Christa<br />
Tappen „Aber sie hatte keine Lust, sich einer<br />
Gruppe anzuschließen, denn dann müsste<br />
sie sich ja bekennen “ Zu der Krankheit ihres<br />
Lebenspartners<br />
Christa Tappen hat ihre heute 83-jährige<br />
Mutter, die nun im Heim betreut wird, durch<br />
alle Stadien der Demenz begleitet Von den<br />
ersten Anzeichen, den Gedächtnislücken und<br />
Aussetzern, über die wachsende Überforderung<br />
und Irritation bis zum mehrwöchigen<br />
Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik<br />
Christa Tappen hat dabei gelernt, dass<br />
Demente recht haben Immer „Denn man<br />
muss ihnen immer die Sicherheit geben,<br />
dass sie nichts falsch machen “ Der Mutter sei<br />
bewusst gewesen, dass in ihrem Kopf vieles<br />
nicht mehr <strong>wie</strong> gewohnt ineinander griff, und<br />
INFO<br />
sie habe deshalb oft geweint Auch dieses<br />
Stadium ging vorüber „Heute geht es meiner<br />
Mutter gut “ Christa Tappen weiß, dass sie als<br />
Tochter mehr unter der Demenz ihrer Mutter<br />
leidet als die 83-Jährige, die sich nicht mehr<br />
daran erinnern kann, dass der Bissen auf der<br />
Gabel in den Mund gehört „Ich habe mich<br />
von meiner Mutter verabschiedet Das ist<br />
nicht mehr meine Mutter “<br />
Die <strong>Bottrop</strong>erin gibt ihr Wissen über verwirrte<br />
Senioren gern in der Selbsthilfegruppe weiter<br />
Dabei ist ihr klar, dass keine zwei Menschen<br />
in ihrer Krankheit auf gleiche Weise reagieren<br />
Aber Angehörige können die Tipps anderer<br />
Betroffener versuchsweise anwenden und<br />
Verhaltenweisen ausprobieren Was voraussetzt,<br />
dass ein Pool an Erfahrungen zur Verfügung<br />
steht, <strong>wie</strong> ihn die Gruppe bietet<br />
Auch die Demenzberaterin des Gesundheitsamtes<br />
schätzt die praktische Ausrichtung<br />
der Selbsthilfe Ihre Alltagskompetenz werde<br />
an keiner Universität gelehrt, stellt Barbara<br />
Josfeld fest<br />
In den beiden Selbsthilfegruppen Stadtmitte und Eigen sind neue Mitglieder willkommen. Die<br />
SHG Stadtmitte trifft sich an jedem 1. Dienstag im Monat von 16 bis 18 Uhr an der Gerichtsstraße<br />
3 im 2. Obergeschoss (Angehörigen-Betreuung im Demenz-Café im Haus möglich).<br />
SHG Eigen: Treffen an jedem 2. Dienstag im Monat, 17.30 bis 19.30 Uhr, AWO Seniorenheim,<br />
Rheinbabenstraße 38 a (Betreuung eines Angehörigen während der Treffen nach Absprache<br />
im Heim möglich). Kontakt vermittelt das Selbsthilfebüro unter Telefon 0 20 41 / 230 19.<br />
Heike Taut-Franci, Leiterin der Selbsthilfegruppe<br />
Stadtmitte, bewertet die Aktionswoche<br />
als „enormen Erfolg“ 45 intensive Gespräche<br />
haben Mitglieder der Selbsthilfe-Gruppen<br />
mit Ratsuchenden aus <strong>Bottrop</strong> und anderen<br />
Städten geführt Dabei beantworteten sie<br />
auch viele praktische Fragen und rieten in<br />
fünf Fällen zu einem Demenz-Test Heike<br />
Taut-Franci zieht Bilanz: „Ich glaube, wir haben<br />
etwas für <strong>Bottrop</strong> getan <strong>Bottrop</strong> hat aber<br />
auch etwas für uns getan “
GUTER RAT FÜR ANGEHÖRIGE 56<br />
„Silviahemmet Touch“ - Wohlgefühl durch Berührung vermitteln<br />
Der Malteser Hilfsdienst e V eröffnete in<br />
<strong>Bottrop</strong> im Frühjahr 2012 die bundesweit erste<br />
Malteser Tageseinrichtung für Menschen in<br />
der Frühphase der Demenz Dieser Tagestreff<br />
unter dem Namen „MalTa“ im Stadtteil Eigen<br />
arbeitet nach dem Modell von „Silviahemmet“,<br />
zu Deutsch etwa Silvia-Heim Die schwedische<br />
Königin hatte 1996 die Stiftung „Silviahemmet“<br />
gegründet, nachdem sie durch<br />
die Demenzerkrankung ihrer Mutter für das<br />
Thema sensibilisiert worden war Ziel dieser<br />
Tageseinrichtung ist es, Demenzkranken eine<br />
weitgehend selbstbestimmt Lebensweise zu<br />
ermöglichen, ihre Lebensqualität zu erhal-<br />
Fotos: © Josfeld (2)<br />
ten und die Angehörigen zu entlasten Drei<br />
täglich gemeinsam zubereitete Mahlzeiten<br />
dienen als Fixpunkte<br />
Mario Schneeberg, Leiter des Tagestreffs,<br />
betont: Angeboten werde von 9 bis 15 Uhr<br />
Tagesbetreuung, aber keine Pflege Zielgruppe<br />
seien ausschließlich Demente in der<br />
frühen Phase ihrer Erkrankung<br />
Dem Namen der schwedischen Königin<br />
ist auch die Entspannungsmassage „Silviahemmet<br />
Touch“ verpflichtet Sie arbeitet mit<br />
sanften Berührungen von Hand und Rücken<br />
und wurde entwickelt, um der Ruhelosigkeit<br />
vieler Demenzkranker Entspannung und<br />
Gut informiert: Die Mitarbeiter des Malteser<br />
Hilfsdienstes erläuterten den Besuchern das Konzept<br />
ihrer Tageseinrichtung für Menschen in der<br />
Frühphase der Demenz. Die Einrichtung wurde<br />
im Frühjahr durch Königin Silvia eröffnet.<br />
Eigenes Erleben: Heike Taut-Franci (links), Leiterin<br />
der Selbsthilfegruppe, lernt die Entspannungsmassage<br />
„Silviahemmet Touch“ kennen.<br />
ein angenehmes Körpergefühl entgegen zu<br />
setzen Diese Technik konnten Interessenten<br />
bei der Aktionswoche am Stand der Malteser<br />
kennenlernen<br />
KONTAKT<br />
Malteser Tagestreff , Scharfstraße 13,<br />
Ansprechpartner: Mario Schneeberg,<br />
Telefon 0 20 41 - 375 46 42,<br />
www.malteser-demenzkompetenz.de
57<br />
„Snoezelen“ - angenehme Reize für alle Sinne<br />
Im Caritas-Altenheim St Hedwig ist jeder<br />
Bereich mit einem „Snoezelen“-Wagen<br />
ausgerüstet, zudem gibt es einen „Snoezelen“-Raum<br />
Im Zelt an der Hansastraße<br />
erläuterten die Mitarbeiter den Begriff und<br />
führten seine Bedeutung praktisch vor Beim<br />
„Snoezelen“ vermitteln Pflegerinnen oder<br />
Therapeutinnen dem Dementen angenehme<br />
Sinnesreize, die im Optimalfall mit seiner<br />
Biographie korrespondieren Die Methode<br />
wurde 1978 in Holland als Freizeitangebot für<br />
geistig behinderte Kinder entwickelt, doch<br />
habe sich gezeigt, dass „Snoezelen“ positive<br />
Wirkung erziele bei allen Menschen mit<br />
Hirnleistungsstörungen, erläuterte Altentherapeutin<br />
Dorothe Kropp Beim „Snoezelen“<br />
werden in einer entspannten und stimmungsvollen<br />
Atmosphäre die Sinne durch<br />
Musik, Lichteffekte, leichte Vibrationen, taktile<br />
Stimulationen und angenehme Gerüche<br />
angesprochen Der Demenzkranke fühlt sich<br />
wohl und gut aufgehoben; intellektuelle<br />
Anforderungen spielen keine Rolle<br />
Foto: © Danneberg<br />
KONTAKT<br />
Altenheim St. Hedwig, Nordring 77,<br />
46240 <strong>Bottrop</strong>, Telefon 0 20 41 / 99 04 - 0,<br />
E-Mail: st.hedwig@caritas-bottrop.de<br />
Die Kraft der Berührung: Sanftes Streicheln<br />
vermittelt Entspannung und Wohlgefühl.
GUTER RAT FÜR ANGEHÖRIGE 58<br />
„Breathworks“ oder<br />
Achtsamkeit im Alltag<br />
Pflegende Angehörige werden oft mehrfach<br />
beansprucht: Von Seiten des Pflegebedürftigen<br />
oder Dementen, der Familie und des<br />
Berufs Daraus kann eine zermürbende Belastung<br />
entstehen, und an diesem Punkt setzt<br />
die „Breathworks“-Methode an Im Info-Service-Treffpunkt<br />
vom KWA-Stift Urbana an der<br />
Poststraße erläuterte die Breathworks-Trainerin<br />
und Diplom-Biologin Tanja Stevanovic<br />
das Frei-von-Stress-Konzept, das 2004 in<br />
Großbritannien entwickelt wurde Grundlage<br />
sind bewusste Wahrnehmung und Achtsamkeit<br />
im augenblicklichen Erleben Ziel ist es,<br />
Stress-Faktoren zu erkennen und besser mit<br />
ihnen umzugehen Dazu beitragen sollen<br />
unter anderem Atem- und Entspannungsübungen,<br />
sanfte Bewegungen und spezielle<br />
Meditationstechniken<br />
Tanja Stevanovic arbeitet in Gelsenkirchen<br />
und bietet Kurse und Workshops auch im<br />
<strong>Bottrop</strong>er Marienhospital an<br />
KONTAKT<br />
Tanja Stevanovic, Eulerstraße 14,<br />
45883 Gelsenkirchen,<br />
Telefon 02 09 / 275 75 47,<br />
E-Mail: breathworks@email.de<br />
www.breathworks.de<br />
Einen Zugang eröffnen: Mit diesem Bild, das Demenzberaterin<br />
Barbara Josfeld selbst gemalt hat,<br />
veranschaulicht sie die Wirkung des Gedächtnistrainings<br />
mit Dementen. Die Arbeit aktiviert die<br />
Erinnerung, öffnet (bildlich gesprochen) Reißverschlüsse<br />
– Blicke in die Vergangenheit.<br />
Foto: © Josfeld
59<br />
Innere Kraftquellen<br />
aufdecken<br />
Das „Insite-Zentrum“ bot während der Aktionswoche<br />
Gelegenheit, Achtsamkeit kennenzulernen:<br />
Der Begriff bezeichnet die Wahrnehmung<br />
des gegenwärtigen Augenblicks<br />
in einer Haltung der Freundlichkeit, auch den<br />
eigenen Grenzen gegenüber Meinungen,<br />
Urteile und Bewertungen werden dabei<br />
möglichst vermieden Kommunikations- und<br />
Körperübungen, Meditation und Gespräche<br />
sollen den Zugang zu inneren Kraftquellen<br />
aufdecken<br />
KONTAKT<br />
Monika Apfelhofer, Erzieherin und Altentherapeutin,<br />
und Dr. med. Karl-Georg Büscher,<br />
Arzt in eigener Praxis mit dem Schwerpunkt<br />
Präventivmedizin, Peterstraße 12,<br />
Telefon 0 20 41 / 372 97 58<br />
Zeit für ein Gespräch - denken Sie auch an sich!<br />
Betreuung und Pflege eines hilfsbedürftigen<br />
Menschen stellen den Alltag in der Familie<br />
auf den Kopf Oft werden Bedürfnisse und<br />
Wünsche der pflegenden Angehörigen in<br />
den Hintergrund gedrängt Silvia Elschner<br />
macht Mut, die eigenen Interessen und<br />
Ansprüche nicht aus den Augen zu verlieren:<br />
Ein offenes Ohr schenkte der „Sieben Freunde e. V.“<br />
Die Mitglieder des <strong>Bottrop</strong>er Vereins bringen<br />
Erfahrungen aus unterschiedlichen sozialen<br />
Berufen mit, <strong>wie</strong> Erzieherin, Diplom-Pädagogin<br />
und Seniorenbetreuerin Sie verstehen<br />
sich als Lotsen in einer Welt, deren Komplexität<br />
für viele Menschen immer schwerer<br />
zu durchschauen ist Als Aufgabengebiet<br />
betrachtet der Verein zunächst Probleme in<br />
Erziehung und Partnerschaft so<strong>wie</strong> familiäre<br />
Konflikte Nach einer Fortbildung 2011 wurde<br />
ein Angebot zur Demenzberatung aufgebaut,<br />
das Seniorenberaterin Heike Rex koordiniert<br />
Foto: © Fotolia<br />
„Das offene Ohr“ konnten Besucher während<br />
der Aktionswoche an unterschiedlichen<br />
Schauplätzen in der Stadt kennenlernen<br />
„Sieben Freunde e V “ bietet die Betreuung<br />
von Demenzpatienten in ihrem häuslichen<br />
Umfeld an, und dabei wollen die Helfer die<br />
Gesamtsituation - wenn möglich, auch die<br />
der Familie - in den Blick nehmen Individualität<br />
und Interessen des Demenzkranken seien<br />
wichtig, zu berücksichtigen sei aber auch<br />
die sch<strong>wie</strong>rige Aufgabe des Angehörigen,<br />
der in die Rechte und die Privatsphäre des<br />
Gut gesagt: Ein Gespräch hilft, den eigenen<br />
Standpunkt zu klären.<br />
„Nur wenn Sie gut für sich sorgen, können<br />
Sie auch für Ihren Angehörigen da sein“, stellt<br />
die Mitarbeiterin des KWA-Stifts Urbana fest<br />
Die Krankenschwester und psychologische<br />
Beraterin bot sich während der Aktionswoche<br />
im KWA-Info-Treff an der Poststraße 4 als<br />
Ansprechpartnerin für Fragen rund um die<br />
Pflege und als Zuhörerin an, wenn Besucher<br />
über ihre Sorgen reden und sie kurzfristig<br />
mit einem verständnisvollen Gegenüber<br />
„teilen“ wollten Silvia Elschner leitet darüber<br />
hinaus einen Gesprächskreis für pflegende<br />
Angehörige<br />
KONTAKT<br />
KWA-Stift Urbana, Info-Service-Treffpunkt,<br />
Poststraße 4, Telefon 0 20 41 / 77 19 08<br />
Kranken eingreife Die Kosten für Beratung<br />
und Betreuung übernimmt die Pflegekasse,<br />
erklärt der Verein, der bei Antragstellung und<br />
Auseinandesetzung mit dem Kostenträger<br />
behilflich ist<br />
KONTAKT<br />
Heike Rex, Telefon 0 28 58 / 83 21 48,<br />
E-Mail: heike.rex@sieben-freunde.com
GUTER RAT FÜR ANGEHÖRIGE 60<br />
Gutes Wohnen trotz Demenz<br />
Wohnberatung für Demenzkranke und<br />
ihre Angehörigen dient mehreren Zielen:<br />
Gefahrenquellen auszuschalten, räumliche<br />
und zeitliche Orientierung zu erleichtern,<br />
Maßnahmen gegen Unruhe und Verwirrtheit<br />
zu treffen Im Verlauf der Erkrankung<br />
sollte immer <strong>wie</strong>der überprüft werden, ob<br />
die Gestaltung der Wohnung noch optimal<br />
an die aktuellen Bedürfnisse des demenziell<br />
veränderten Bewohners angepasst sei, erklärt<br />
Ingo Scheuer, Wohnberater beim Arbeiter<br />
Samariter Bund (ASB) Im Möbelhaus Beyhoff<br />
Foto: © Grimpe<br />
Verwirrung: Ein dementer Mensch versucht, sich die nächsten Handlungsschritte zu merken – nach<br />
Hause, Tür zu, umziehen, Zähne putzen, ins Bett gehen.<br />
an der Gladbecker Straße stand er während<br />
der Aktionswoche für einen Vormittag als<br />
Ansprechpartner zur Verfügung<br />
Ingo Scheuer kommt auf Wunsch zu<br />
einer ausführlichen Beratung ins Haus und<br />
erläutert nach einem Rundgang durch die<br />
Wohnung, was aus seiner Sicht im Interesse<br />
von mehr Sicherheit und besserer Orientierung<br />
umgestaltet werden sollte Praktische<br />
Beispiele: Stolperkanten an Teppichen entfernen,<br />
Bewegungsraum durch das Entfernen<br />
von Möbeln schaffen, mit Piktogrammen<br />
an Schränken die Orientierung in der Küche<br />
erleichtern, Medikamente und Putzmittel aus<br />
dem Bad entfernen, Temperaturbegrenzer in<br />
den Armaturen installieren, um die Gefahr der<br />
Verbrühung zu reduzieren<br />
KONTAKT<br />
Ingo Scheuer, Wohnberatungsstelle <strong>Bottrop</strong>,<br />
An der Kommende 12 -14, 46238 <strong>Bottrop</strong>,<br />
Telefon 0 20 41 / 375 46 80,<br />
E-Mail: ischeuer@asb-ruhr.info
61<br />
Knappschaft brachte die grauen Zellen in Schwung<br />
Die Knappschaft ist in der vom Bergbau geprägten Stadt <strong>Bottrop</strong> eine der beiden mitgliederstärksten<br />
Krankenkassen. Daher wurde der mit Landesmitteln geförderte Pflegestützpunkt,<br />
der Versicherte aller Krankenkassen mit unabhängigen Informationen über<br />
Leistungen bei Pflegebedürftigkeit versorgen soll, in der Geschäftsstelle der Knappschaft<br />
an der Hochstraße 24 eingerichtet. Das Knappschaftskrankenhaus <strong>Bottrop</strong> ist eine feste<br />
Größe im medizinischen Versorgungsspektrum der Stadt.<br />
Vor diesem Hintergrund erwartete die Besucher<br />
am Info-Stand an der Hochstraße 24 ein<br />
täglich wechselndes Angebot an Informationen<br />
und praktischen Tipps, zu dem alle<br />
Knappschafts-Partner ihr Teil beitrugen Für<br />
Foto: © Danneberg<br />
Unterhaltung sorgte die Bergmannskapelle<br />
des Bergwerks Prosper Haniel mit einem Konzert<br />
- darüber hinaus brachten am Info-Stand<br />
spielerische Angebote die grauen Zellen der<br />
Besucher in Schwung<br />
Beratung vor der Haustür: Die Knappschaft bot<br />
vor dem Eingang zu ihrer Niederlassung an<br />
der Hochstraße vielfältige Informationen und<br />
Unterhaltung an.<br />
Mitarbeiter der neurologischen Klinik des<br />
Knappschaftskrankenhauses demonstrierten<br />
mit Pinsel und Farbe, <strong>wie</strong> Malen und Basteln<br />
über das Vergessen hinweg eine Brücke<br />
bauen kann zur noch intakten Erinnerung<br />
Demenzkranker, die als Anknüpfungspunkt<br />
dient für ein Gespräch Ergotherapeuten<br />
aus dem Reha-Zentrum stellten Ideen und<br />
Vorschläge für den Alltag mit Demenzkranken<br />
vor: Der Tag soll Anregungen bieten, darf<br />
aber nicht überfordern<br />
Die Pflegeberater des Pflegestützpunktes<br />
gaben Informationen zu speziellen Angeboten<br />
in der Region an Interessenten<br />
weiter, berieten persönlich oder vermittelten<br />
Ansprechpartner<br />
Marlen Lehrke, stellvertretende Küchenleiterin<br />
des Knappschaftskrankenhauses, beließ es<br />
beim Thema Ernährung nicht bei der Theorie<br />
Am Info-Stand griffen die Besucher gerne zu,<br />
wenn „Fingerfood“ angeboten wurde: leicht<br />
greifbare Happen, nicht größer als zwei Bissen,<br />
sprechen viele Demenzpatienten an, die<br />
von einer Mahlzeit am Tisch mit Messer und<br />
Gabel überfordert sind
DEMENZ UND MIGRATION 62<br />
Alt werden in der Fremde<br />
Foto: © Josfeld<br />
Demenz kennt keine ethnischen Grenzen. Mit einer Info-Veranstaltung in russischer und<br />
einer Filmdokumentation in türkischer Sprache mit Diskussion wandte sich die Arbeiterwohlfahrt<br />
(AWO) während der Aktionswoche an Besucher mit Migrationshintergrund.<br />
Welche Problematik sich hinter dem Thema „Demenz und Migration“ verbirgt, verdeutlichte<br />
Diplom-Sozialpädagogin Elena Maevskaya einem deutschsprachigen Publikum in ihrem<br />
Vortrag unter dem Titel „Demenz und Migration“. Sie ist Mitarbeiterin im Demenz-Servicezentrum<br />
für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Gelsenkirchen, das sich auf die<br />
praktische Arbeit mit Migranten konzentriert.<br />
Verständigung: Die Patenschaften junger<br />
Migrantinnen machten deutlich, <strong>wie</strong>viel Nähe<br />
möglich ist – auch über kulturelle Grenzen<br />
hinweg.<br />
Studien zur gesundheitlichen Versorgung<br />
von Patienten mit Migrationshintergrund<br />
sind der Referentin nicht bekannt, geschweige<br />
denn mit dem zusätzlichen Faktor<br />
Demenz Anzeichen deuteten darauf hin,<br />
dass der Alterungsprozess in dieser Bevölkerungsgruppe<br />
früher einsetze, denn Migration<br />
sei oft mit Stress und Belastung verbunden
63<br />
Die Referentin ver<strong>wie</strong>s in diesem Zusammenhang<br />
auf eigene Erfahrungen mit beruflicher<br />
Qualifikation: In der Bundesrepublik<br />
wurde ihr russischer Studienabschluss nicht<br />
anerkannt, weshalb sie in Deutschland ein<br />
zweites Studium absolvierte<br />
Nach den Erfahrungen der Sozialpädagogin<br />
bilden demenziell veränderte Migranten eine<br />
unterversorgte Gruppe mit besonderem Unterstützungsbedarf<br />
Für viele sei die Verständigung<br />
in deutscher Sprache ein ständiges<br />
Problem und die Kommunikationssch<strong>wie</strong>rigkeiten<br />
verschärften sich bei einsetzender<br />
Demenz: Denn krankheitsbedingt fallen die<br />
Erkrankten in ihre im Langzeitgedächtnis verankerte<br />
Muttersprache zurück und vergessen<br />
die jüngst erworbenen Deutschkenntnisse<br />
Damit sind sie aber oft unerreichbar für die<br />
Pfleger(innen) in deutschen Heimen Denn<br />
den meisten fehlen sowohl sprachliche<br />
als auch kulturelle Kompetenzen in Bezug<br />
auf die Heimatländer der demenzkranken<br />
Migranten Denen wäre am besten mit<br />
Personal geholfen, das die Muttersprache<br />
der Pflegebedürftigen spricht, folgert Elena<br />
Maevskaya<br />
Die größten Sch<strong>wie</strong>rigkeiten bereiten aus<br />
Sicht der Referentin Informationsdefizite bei<br />
den Zuwanderern, denen Unterstützungsangebote<br />
von Gesundheitswesen und Alten-<br />
Sozialpädagogin Elena Maevskaya:<br />
hilfe in Deutschland unbekannt seien Daher<br />
seien als praktische Hilfsmittel Übersetzungen<br />
des deutschsprachigen Materials sinnvoll<br />
Einer sprachlichen Hürde anderer Art begegnen<br />
Betroffene und Therapeuten in den<br />
bekannten Test- und Diagnoseverfahren Sie<br />
basierten in der Mehrzahl auf Sprache und<br />
seien daher für den Einsatz bei Migranten<br />
nicht geeignet<br />
Bei russischen Migranten stellt sich nach<br />
Darstellung der Referentin ein besonderes<br />
Problem: Begründet durch die historische<br />
Rolle der Psychiatrie in Russland begegnen<br />
russische Migranten dieser medizinischen<br />
Fachrichtung mit Misstrauen und diese Skepsis<br />
übertragen sie auf deutsche Einrichtungen<br />
und ihre Vertreter „Das Thema Demenz ist mit<br />
einem Tabu belegt“, stellte Elena Maevskaya<br />
fest „In Russland ist der Begriff nicht bekannt “<br />
Die Mitarbeiter in Gesundheitswesen und<br />
Altenhilfe sollten für das Thema „Demenz<br />
und Migration“ sensibilisiert, interkulturelle<br />
Öffnungsprozesse in den bestehenden Einrichtungen<br />
unterstützt werden<br />
Die Landesinitiative Demenz-Service NRW<br />
bietet mit über 2 000 Angeboten, Initiativen,<br />
Diensten und Einrichtungen in NRW<br />
Unterstützung bei Demenz für Betroffene<br />
und Angehörige Ihre zentralen Akteure sind<br />
„Das Thema Demenz ist mit einem Tabu belegt. In Russland ist der Begriff nicht bekannt.“<br />
12 Demenz-Servicezentren, die regional<br />
eingebunden sind Darüber hinaus wurde das<br />
Demenz-Servicezentrum für Menschen mit<br />
Zuwanderungsgeschichte in Gelsenkirchen<br />
eingerichtet Träger ist die AWO Das Servicezentrum<br />
widmet sich ausschließlich dem Themenspektrum<br />
„Demenz und Migration“, ist für<br />
ganz NRW zuständig und wird vom NRW-Ministerium<br />
für Gesundheit, Emanzipation, Pflege<br />
und Alter und den Landesverbänden der<br />
Pflegekassen gefördert Zu seinen Aufgaben<br />
gehören Information und Vermittlung von<br />
Unterstützung für demenzkranke Migranten<br />
und ihre Angehörigen so<strong>wie</strong> die Entwicklung<br />
muttersprachlicher Broschüren und Texte<br />
KONTAKT<br />
Demenz-Servicezentrum für Menschen mit<br />
Zuwanderungsgeschichte, Paulstraße 4,<br />
45889 Gelsenkirchen, Telefon 02 09 / 60 48 30,<br />
www.demenz-service-nrw.de
FACHLICHES<br />
Formen der Demenz und therapeutische Möglichkeiten<br />
Oberarzt Thomas Lunke gab bei zwei Vorträgen einen überblick über Demenzerkrankungen und aktuelle Therapieansätze<br />
Thomas Lunke, Facharzt für Neurologie und<br />
Oberarzt der neurologischen Klinik im Knappschaftskrankenhaus<br />
<strong>Bottrop</strong>.<br />
Vergesslichkeit ist unangenehm und eine<br />
häufige Begleiterscheinung des Alters, aber<br />
Demenz besitzt eine andere Qualität Thomas<br />
Lunke bezeichnet mit diesem Begriff eine<br />
seit mindestens sechs Monaten andauernde<br />
Störung des Gedächtnisses und des Denkvermögens,<br />
die so ausgeprägt ist, dass sie<br />
Alltagsaktivitäten beeinträchtigt<br />
In Deutschland leiden etwa 1,2 Millionen<br />
Menschen an einer Demenz, pro Jahr werden<br />
in der Bundesrepublik 200 000 Neuerkrankungen<br />
verzeichnet<br />
Bis 2050 ist von einer Verdoppelung der Patientenzahl<br />
auszugehen, bereits heute bildet<br />
Demenz die häufigste Ursache von Pflegebedürftigkeit<br />
Das bedeutet: Die Gesellschaft<br />
muss sich darauf einstellen, für die Versorgung<br />
von Demenzpatienten in steigendem<br />
Umfang Geld und Personal bereit zu stellen,<br />
betonte Lunke<br />
Die Medizin hat Kriterien <strong>wie</strong> sinkende<br />
Gedächtnisleistung, Abnahme weiterer<br />
kognitiver Fähigkeiten und verminderte<br />
Urteilsfähigkeit festgelegt, um die Diagnose<br />
Demenz zu sichern Wichtig sei bei der<br />
weiteren Diagnostik die Unterscheidung<br />
zu ähnlichen Krankheitsbildern, um vor<br />
allem andere behandelbare Krankheiten<br />
<strong>wie</strong> Stoffwechselstörungen, Hirntumoren,<br />
Störungen in der Hirnwasserzirkulation etc<br />
aufzudecken<br />
Zudem gibt es unterschiedliche Demenzformen<br />
Thomas Lunke nannte Beispiele:<br />
Die vaskuläre Demenz entsteht aufgrund<br />
von Durchblutungsstörungen im Gehirn<br />
oder infolge einer Reihe kleiner Hirninfarkte<br />
Degenerative Demenz wird ausgelöst durch<br />
den Abbau von Nervenzellen im Gehirn, <strong>wie</strong><br />
ihn die Alzheimer- oder Parkinson-Krankheit<br />
verursachen Welche Faktoren diesen<br />
Prozess in Gang setzen, ist noch nicht<br />
ausreichend bekannt Doch wurden bei<br />
Alzheimer-Patienten typische strukturelle<br />
Veränderungen festgestellt: Im Gehirn<br />
bilden sich Eiweiß-Ablagerungen außerhalb<br />
der Zelle, die Amyloid-Plaques In den Nervenzellen<br />
führen enzymatische Störungen<br />
zu einer Veränderung der Tau-Proteine, die<br />
innerhalb der Nervenzelle stützende Funktionen<br />
haben Dies scheint die physiologische<br />
Stabilisierungsfunktion für die Mikrotubuli<br />
zu beeinträchtigen, so dass verstärkte<br />
Bündelbildungen („Alzheimer-Fibrillen“) entstehen<br />
Die Folge: die Neurofibrillenbündel<br />
verklumpen, die Zellen sterben ab<br />
64<br />
Unter den unterschiedlichen Demenzformen<br />
ist die Alzheimer-Krankheit mit 60<br />
Prozent die häufigste, es folgen die vaskuläre<br />
Demenz und die Lewy-Body-Demenz<br />
Hinter Demenzerscheinungen können<br />
sich auch Alkoholmissbrauch, ein Hirntumor,<br />
Vitamin- oder Elektrolytmangel und<br />
vieles mehr verbergen; in diesen Fällen<br />
setzt die Therapie bei der Ursache an<br />
Durch Medikamente kann der Verlauf der<br />
Demenz verzögert werden Dabei gilt:<br />
Der Nutzen der Therapie ist umso größer,<br />
je früher die Behandlung beginnt Erfolg<br />
scheint eine noch experimentelle Therapie<br />
mit Immunglobulinen zu versprechen<br />
Das entsprechende Medikament hat im<br />
Versuch den Zustand von Alzheimer-Patienten<br />
über drei Jahre stabil gehalten,<br />
mithin den fortschreitenden Abbau der<br />
Gehirnzellen gestoppt Die Untersuchung<br />
wird mit einer größeren Teilnehmergruppe<br />
fortgesetzt Auf nicht-medikamentösem<br />
Gebiet können Therapieformen <strong>wie</strong> ein<br />
Realitäts-Orientierungs-Training oder kognitives<br />
Training positive Wirkungen zeigen<br />
Zum Abschluss seines Vortrags hielt<br />
Thomas Lunke den Zuhörern Verhaltensleitlinien<br />
im Umgang mit Dementen vor<br />
Augen Sie bräuchten keinesfalls Bevormundung,<br />
sondern vielmehr Unterstützung,<br />
Anregung und Orientierungshilfe<br />
Da haben <strong>Bottrop</strong>er den Vorteil, über den<br />
Mobilen Demenzservice Zugang zu den<br />
vielfältigen Angeboten wohnungsnah zu<br />
bekommen
65<br />
Lebensrisiko: Je älter wir werden, desto höher ist die Gefahr,<br />
an Demenz zu erkranken. In der Gruppe der über 90-Jährigen<br />
ist zur Zeit jeder zweite betroffen.<br />
Deutschland altert: Der Anteil der über 70-Jährigen bildet<br />
etwa ab dem Jahr 2030 einen Schwerpunkt in der Alterspyramide,<br />
die im Vergleich zu früheren Jahrzehnten auf dem<br />
Kopf steht.
VORBEUGUNG 66<br />
Balance finden zwischen Tun und Lassen<br />
Nach aktuellem Stand der Wissenschaft ist Prävention, die gezielt vor Demenzerkrankungen<br />
schützt, nicht möglich. Wohl aber Vorbeugung, die den gesamten Organismus stärkt<br />
und damit die Widerstandsfähigkeit des Gehirns erhöht. Es gibt Hinweise darauf, dass<br />
körperliche Aktivität und ein aktives geistiges und soziales Leben Schutzfaktoren gegen<br />
Demenz bilden. Sie sind ein wirksames Gegenmittel bei „Alterskrankheiten“ <strong>wie</strong> Passivität,<br />
Einsamkeit und Depression und steigern die Lebensfreude in jedem Alter. Anregungen für<br />
eine gesunde Lebengestaltung konnten vor allem zwei Zielgruppen aus der Aktionswoche<br />
mitnehmen: Senioren, die für ihre geistige oder körperliche Fitness aktiv werden wollen,<br />
und pflegende Angehörige auf der Suche nach Ausgleich für Alltagsbelastungen.<br />
Foto: © Fotolia.de<br />
Entspannung pur: Ohne gelegentliche Auszeiten<br />
und die Chance, die „Seele baumeln“ zu lassen,<br />
droht schnell eine Überforderung. Dies kann<br />
demenzielle Entwicklungen verstärken.
67<br />
Bei Gedächtnistraining und Rummikub - einer<br />
Variante des beliebten Kartenspiels Rommée<br />
- bewegen die Teilnehmer nur die grauen<br />
Zellen im Kopf Dieser Denkprozess kann<br />
heftige Adrenalinschübe auslösen, begleitet<br />
von hellem Gelächter und Aufregung, <strong>wie</strong> im<br />
Katholischen Stadthaus zu beobachten war<br />
Yoga so<strong>wie</strong> die chinesische Bewegungskunst<br />
und -meditation Taijiquan und die ebenfalls<br />
chinesische Bewegungs- und Meditationsform<br />
Qi Gong bauen auf das Zusammenspiel<br />
von Körper und Geist, streben Harmonie an<br />
Die Qi Gong-Demonstrationen auf dem St<br />
Cyriakus-Kirchplatz mit Maria Thon faszinierten<br />
das Publikum mit ihrem ruhigen Fluss der<br />
Bewegungen<br />
Immer <strong>wie</strong>der gerät Tanzen ins Blickfeld,<br />
wenn von Prävention die Rede ist Es muss<br />
ja nicht gleich das sportliche Tanz-Fit-<br />
Foto: © Josfeld<br />
ness-Programm sein, das unter dem Namen<br />
Zumba den Puls in die Höhe treibt Neben<br />
Schachspielen und Musizieren gilt Tanzen<br />
als hervorragend geeignet, um der Demenz<br />
vorzubeugen<br />
Foto: © Josfeld<br />
Spaß für Jung und Alt: Rummikub bringt die<br />
Gehirnzellen auf Trab. Die Regeln entsprechen<br />
dem Kartenspiel Rommée.<br />
Auf der Suche nach der Mitte: Taijiquan kombiniert<br />
Bewegungs- und Meditationselemente.
AUSBLICK<br />
Ein Kraftakt, der Perspektiven eröffnet<br />
Eine Aktionswoche zum Thema Demenz? Das Interesse der Öffentlichkeit auf eine Krankheit<br />
lenken, die Befangenheit und bei dem einen oder anderen Hilflosigkeit oder gar<br />
Schuldgefühle auslöst? Die Idee zu dieser Woche wirkte gleichermaßen faszinierend <strong>wie</strong><br />
ungewöhnlich. Beinahe unmöglich zu verwirklichen schien allerdings die Absicht, mit der<br />
Veranstaltungsreihe eine positive Einstellung zur Demenz zu vermitteln, die sich scheinbar<br />
zur Volkskrankheit entwickelt. Doch von diesen Bedenken ließen sich die beiden Initiatorinnen<br />
im städtischen Gesundheitsamt, Dr. Astrid Danneberg und Barbara Josfeld, nicht<br />
abschrecken. Im Gegenteil!<br />
Fotos: © Stadt <strong>Bottrop</strong> (2)<br />
Links: Dr. Antoinette Bunse (CDU), MdL, ist<br />
stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für<br />
Soziales, Gesundheit und Familie.<br />
Ratsfrau Renate Palberg (SPD) ist Vorsitzende<br />
des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und<br />
Familie.<br />
68<br />
Dieses überzeugende Engagement zeigte<br />
Wirkung, und darüber hinaus traf das<br />
Thema offenbar einen Nerv bei vielen<br />
<strong>Bottrop</strong>ern, die aus beruflicher <strong>wie</strong> persönlicher<br />
Betroffenheit um die Bedeutung der<br />
Krankheit wissen Denn die Resonanz unter<br />
den professionellen <strong>wie</strong> ehrenamtlichen<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der<br />
Altenpflege und bei den Selbsthilfegruppen<br />
war enorm, als bei einem ersten Treffen das<br />
Projekt vorgestellt wurde Bemerkenswert ist<br />
ebenso, dass der Gedanke an eine Aktionswoche<br />
zum Thema Demenz auch außerhalb<br />
dieses Personenkreises aufgegriffen<br />
wurde <strong>Bottrop</strong>er Künstler, Tanzlehrer und<br />
Gastronomen brachten sich in das Projekt<br />
ein, Geschäftsleute stellten ihre Räume<br />
als Ausstellungs- und Aktionsflächen zur<br />
Verfügung An vielen Schauplätzen traten<br />
Schüler und Schülerinnen in Aktion, die<br />
beim Patenprojekt ihre alten Partnerinnen<br />
und Partner unterstützten Alle waren bereit,<br />
Zeit und Arbeit zu investieren<br />
Zum Start der Aktionswoche war durch<br />
vielfältige Vorarbeit der Boden bereitet: Die<br />
<strong>Bottrop</strong>er Bürger schauten nicht weg, sie<br />
blickten vielmehr interessiert hin, als sich<br />
Ungewöhnliches in ihrer Stadt tat Für einen<br />
begrenzten Zeitraum wurde der Umgang<br />
mit Demenz zu einer öffentlichen, selbstverständlichen<br />
Angelegenheit Das Projekt „<strong>Gedanken</strong><br />
<strong>wie</strong> <strong>Seifenblasen</strong>“ war ein Kraftakt,<br />
hat aber den Akteuren Selbstbewusstsein<br />
und gesellschaftliche Anerkennung vermittelt<br />
und bleibt als positives Gemeinschaftserlebnis<br />
in Erinnerung
69<br />
Die Aktionswoche hat in der Öffentlichkeit<br />
das Spektrum der Hilfs- und Beratungsangebote,<br />
hinter denen die Wohlfahrtsverbände,<br />
Kirchen, die Stadt und weitere Träger stehen,<br />
detailliert aufgefächert Die Veranstalter<br />
betraten auch Neuland mit ungewöhnlichen<br />
Aktionen für Demente und deren Familien<br />
Die Angehörigen konnten im unverbindlichen<br />
und zwanglosen Rahmen Neues kennenlernen,<br />
Anregungen ebenso <strong>wie</strong> kritische<br />
Denkanstöße mitnehmen<br />
Unabhängig von diesen unmittelbaren<br />
positiven Effekten stellt sich vor allem für das<br />
Gesundheitsamt die Frage nach Ergebnissen<br />
und Konsequenzen, die in die Zukunft<br />
weisen<br />
Einige Veranstaltungen wurden besonders<br />
gut angenommen Die Polonäse vergnügter<br />
Senioren, die beim Sommercafé mit Gesang<br />
und Musik durch den Overbeckshof zog,<br />
bleibt allen als heitere Episode im Gedächtnis<br />
Gleiches gilt für das temperamentvolle<br />
Tanzfest zum Abschluss der Aktionswoche<br />
auf dem Berliner Platz Diese erfolgreichen<br />
Veranstaltungen haben Ehrenamtler und<br />
Professionelle mit eigener Kraft auf die Beine<br />
gestellt, und in der lokalen Verankerung liegt<br />
ihre Zukunftsperspektive Diese Projekte sind<br />
ausbaufähig und bieten Anknüpfungspunkte<br />
für weitere Aktionen<br />
Bei der Vorbereitung der Aktionswoche<br />
haben sich alle Beteiligten über ein kommunikatives<br />
Netzwerk abgestimmt, dessen<br />
Fäden im Gesundheitsamt zusammenliefen<br />
Die Struktur für den weiteren Austausch ist<br />
daher vorbereitet, und der Gesprächsfaden<br />
wird sicherlich nicht abreißen Alle Akteure<br />
werden überlegen, was sie aus den „<strong>Gedanken</strong><br />
<strong>wie</strong> <strong>Seifenblasen</strong>“ in ihre tägliche Arbeit<br />
mitnehmen können, welche Anregungen bei<br />
einer Erprobung auf den Prüfstand gestellt<br />
und danach als regelmäßige Angebote in<br />
die tägliche Betreuungs- und Pflegepraxis<br />
übernommen werden können<br />
Einige Monate nach Abschluss der Aktionswoche zeichnet sich aber ab, dass sie den Anstoß<br />
für neue Ideen und Initiativen gegeben hat. Einige Beispiele:<br />
� Das Paten-Projekt, bei dem Schüler hilfsbedürftige und demente Senioren unterstützten,<br />
wird ausgewertet und fortgesetzt Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) will in Zusammen-<br />
arbeit mit dem städtischen Gesundheitsamt und der Ehrenamtagentur im nächsten Jahr<br />
Schüler eines neuen Jahrgangs an unterschiedlichen Schulformen für Ausbildung und<br />
Mitarbeit gewinnen<br />
� Der „Arbeitskreis Gerontopsychiatrie“ wird in der Öffentlichkeit die Diskussion anstoßen über<br />
ein GPS-Ortungssystem, mit dessen Unterstützung der Aufenthaltsort hilfsbedürftiger<br />
Senioren rasch ermittelt werden kann<br />
� Das „Kuratorium Wohnen im Alter“, Träger eines Seniorenstifts, hat im September in <strong>Bottrop</strong><br />
mit einer mehrwöchigen Schulung von Angehörigen Demenzkranker begonnen<br />
� Die Stadtbücherei hat ein Medienpaket in ihren Bestand aufgenommen, das auf die<br />
Bedürfnisse dementer Fernsehzuschauer zugschnitten ist Das Paket enthält Tierdoku-<br />
mentationen mit harmonischen Bildern und ruhigen Einstellungen: Ein Film war während<br />
der Demenzwoche in der Kirche St Cyriakus zu sehen<br />
� Das Trommel-Projekt, das am Eröffnungstag der Aktionswoche fröhliche Botschaften über<br />
den Berliner Platz schickte, erlebt eine Fortsetzung Die Konrad-Grundschule besucht<br />
einmal im Monat zwei Altenheime, um dort mit den Bewohnern zu trommeln und<br />
rhythmisch zu arbeiten<br />
Schließlich und endlich hoffen wir, dass die vorliegende Dokumentation auf dem Deutschen<br />
Städtetag 2013 in Berlin Impulse für einen vielseitigen <strong>Gedanken</strong>- und Erfahrungsaustausch<br />
gibt Denn diese wichtige Frage beschäftigt alle Kommunen: Welchen Beitrag kann eine Stadt<br />
zu einer verbesserten Lebensqualität der stetig wachsenden Anzahl älterer Bürgerinnen und<br />
Bürger und ihrer Angehörigen leisten?<br />
Renate Palberg, Dr. Antoinette Bunse
DANKSAGUNG<br />
Alzheimer-Gesellschaft<br />
Apfelhofer, Monika<br />
Arbeiter-Samariter-Bund<br />
Arbeiterwohlfahrt <strong>Bottrop</strong>/Gelsenkirchen<br />
Bajrami, Käsetheke<br />
Bergmannskapelle Prosper Haniel<br />
Berufskolleg <strong>Bottrop</strong><br />
Beughold, Bernadette<br />
Blanik Garten Landschaft Freiraum<br />
<strong>Bottrop</strong>er Selbsthilfegruppen<br />
Angehörige Demenzkranker<br />
breathworks<br />
„Breeze“, Seniorenband<br />
Bürgerladen Ebel<br />
Büscher, Dr Georg<br />
Caritas Fachseminar für Altenpflege Dorsten<br />
Caritas Verband <strong>Bottrop</strong><br />
Demenz-Servicezentrum für Menschen<br />
mit Zuwanderungsgeschichte<br />
Demenz-Servicezentrum Westliches<br />
Ruhrgebiet<br />
Der Farbklecks<br />
Diakonisches Werk Gladbeck <strong>Bottrop</strong> Dorsten<br />
Dirkhoff, Carola<br />
Dorf-Apotheke Kirchhellen<br />
Deutsches Rotes Kreuz <strong>Bottrop</strong><br />
Ehrenamtagentur<br />
Elefanten Apotheke<br />
Erlenkämper, Buchhandlung<br />
Euronics Formella<br />
Filmforum<br />
Flamencogruppe, Tanzschule Türk<br />
Foto Lelgemann, Inh T Hill e K<br />
Franci, Paolo<br />
Gesellschaft für Bauen und Wohnen<br />
<strong>Bottrop</strong> mbH<br />
Gesellschaft für Stadtmarketing <strong>Bottrop</strong><br />
Gnadenkirche<br />
Grasedieck, Dieter<br />
Harst, Beate<br />
Hauptschule Welheim<br />
Heinrich-Heine-Gymnasium<br />
Historische Gesellschaft<br />
Hofmann, Guido<br />
Holtbernd, Thomas<br />
Holte, Cordula<br />
Holthaus, Doris<br />
Humboldt Buchhandlung<br />
Ilses weite Welt<br />
Institut für Berufliche Bildung<br />
Josef-Albers-Gymnasium<br />
Kaprol, Michael<br />
Karstadt<br />
Katholische Familienbildungsstätte<br />
Katholische Frauengemeinschaft <strong>Bottrop</strong><br />
Katholische Kliniken Emscher Lippe<br />
KJ Funsport<br />
Klauenberg, Catrin<br />
Köhne, Regina<br />
Konradschule<br />
Kremerskothen Reisen GmbH<br />
KWA-Stift Urbana<br />
„Lebendige Bibliothek“<br />
Löber, Pia<br />
Lützenburg, Bernhardine<br />
LWL Industriemuseum<br />
„MalTa“-Tagestreff<br />
Marie-Curie-Realschule<br />
Marienhospital <strong>Bottrop</strong><br />
Marktapotheke<br />
maxQ -Fachseminar für Altenpflege <strong>Bottrop</strong><br />
Mensing GmbH<br />
Moscheeverein Prosperstraße<br />
Musikforum<br />
Musikschule <strong>Bottrop</strong><br />
Neumann, Paul, Propst<br />
Nikolaus-Groß-Schule<br />
Novartis Pharma GmbH<br />
Overbeckshof<br />
Pawliczek, Peter<br />
Pfadfinder St Pius<br />
„Pflege heute“<br />
Pflege „Roicke“<br />
Pflegestützpunkt<br />
Preuthen, Erika<br />
70
71<br />
Prospernetz<br />
Regniet, Ulrike<br />
Schindler, Martin<br />
Schmand, Marie-Luise<br />
Schmuchal, Hartmut<br />
Schulte im Walde, Marie<br />
Seniorenbeirat<br />
Seniorenstift Haus Berge<br />
� Sparkasse.<br />
Gut für <strong>Bottrop</strong>.<br />
Sieben Freunde e V<br />
„Spätblüte“, Seniorentheater der<br />
Kulturwerkstatt<br />
Spielmobil des Jugendamtes <strong>Bottrop</strong><br />
St Cyriakus-Kirchengemeinde<br />
Stadtwald Apotheke<br />
Stratmann, Dr Ludger<br />
Tagespflege Darel<br />
Tanzschule Frank<br />
Thon, Maria<br />
Traeder, Bärbel<br />
Wieczorek, Reinhard<br />
Willi-Brandt-Gesamtschule<br />
Yamaha Music Europe GmbH<br />
Zauberer „LIAR“<br />
Unser besonderer Dank gilt allen Ungenannten, die zum Gelingen der Woche beigetragen haben.
IMPRESSUM<br />
Herausgeber: Gesundheitsamt der Stadt <strong>Bottrop</strong> in Zusammenarbeit mit<br />
dem Fachbereich Kommunale Verfassungsangelegenheiten und Öffentlichkeitsarbeit<br />
Redaktion: Marie-Luise Schmand<br />
Fotografie: Michael Kaprol, Andreas Pläsken, Astrid Danneberg, Barbara Josfeld,<br />
Wolfgang Plönnigs, Heike Taut-Franci, Bärbel Traeder, Stadt <strong>Bottrop</strong>, Fotolia<br />
Gestaltung: Nina Golischewski<br />
Lektorat: Andreas Pläsken<br />
Oktober 2012<br />
72
73<br />
Foto Rückseite: © Kaprol<br />
Gemeinsam unterwegs: Heike Taut-Franci und<br />
ihr dementer Ehemann Paolo genießen den abschließenden<br />
Gang durch das Lichter-Labyrinth<br />
auf dem Berliner Platz, das durch Pfadfinder<br />
aufgebaut wurde. Paolo Franci hat der Demenz-<br />
Aktionswoche sein Gesicht gegeben.