WOLL Magazin Winter 2016 für Brilon, Olsberg, Marsberg, Willingen und Diemelsee

Woll, sagt man im Sauerland. WOLL - Das Magazin aus dem Sauerland über Sauerländer Lebensart. WOLL wie Worte, Orte, Land und Leute. Woll, sagt man im Sauerland. WOLL - Das Magazin aus dem Sauerland über Sauerländer Lebensart. WOLL wie Worte, Orte, Land und Leute.

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21.12.2016 Aufrufe

Lebenserinnerungen 1815 AUSZÜGE AUS DER CHRONIK VON FERDINAND LOHMANN (1772–1828) Neunter Teil: Die Aufzeichnungen Ferdinands beschreiben ausführlich die Witterung und die große Mäuseplage. In diesen Zeilen zeichnet sich schon eine baldige Katastrophe für die Menschen ab, die durch den Krieg noch potenziert wurde. Denn es folgt das Elend der Hunger- und Notjahre. VON VOLKER GEDASCHKE Private Ereignisse Der Schwiegervater verstarb in diesem Jahr an einer Lungenentzündung. Einige wertvolle Haustiere verendeten, unter anderem das Pferd. Die Wetterlage Der Auftakt zum Frühling war viel versprechend, so dass man schon früh sein Feld bestellen konnte. Die Obstbäume standen in bester Blüte. Aber ein plötzlicher Frosteinbruch im Frühjahr vernichtete die Blüten und die Wintersaat. Die Mäuseplage Die Mäuseplage hatte in diesem Jahr verheerende Ausmaße angenommen. Nicht nur das Getreide, sondern auch die Baumrinde wurde von den Tieren aufgefressen. Aus dieser Not heraus beteten die Menschen zur heiligen Gertrud von Nivelles und baten um ihre Hilfe. Der Legende nach beendete sie einst durch ihr Gebet eine Mäuseund Rattenplage und rettete damit die Ernte ihres Landes. Deshalb wird sie als Patronin der Gärtner und Bauern, als Beschützerin der Feld- und Gartenfrüchte angerufen. Der Bildstock der heiligen Gertrud von 1695 steht an der Keffelker Straße am Abzweig Nehdener Weg. Es war die dritte Station der früheren Feldprozession. Die Heilige wird hier als Klostervorsteherin (Äbtissin) dargestellt. An ihrem Gewand zupfen unten Mäuse. Sie lebte im 7. Jahrhundert in Belgien. Viele Bauernregeln sind mit ihrem Fest am 17. März verbunden. Am bekanntesten: „Die Gertrud mit dem frommen Sinn, sie ist die erste Gärtnerin.“ Mit ihr beginnt das Gartenjahr. BILDSTOCK (1695) DER HEILIGEN GERTRUD: KEFFELKER STR. AM ABZWEIG NEHDENER WEG Karriere des Sohnes Joseph Der Sohn Joseph musste in Münster das Gymnasium besuchen, da im Zuge der Säkularisation (1803) die Klosterschule in Brilon geschlossen wurde. Erst 1821 war es durch eine Stiftung möglich, das Progymnasium zu eröffnen und ab 1858 das „Gymnasium Petrinum“. Sein Sohn Joseph (1799- 1858) machte eine glänzende Karriere als Jurist. Er leitete das Justizamt in Eslohe, danach Direktor des Stadt- und Landgerichts in Brilon und schließlich Direktor des neugegründeten Kreisgerichts. Ab 1849 gehörte er dem preußischen Abgeord ne tenhaus an. Auf Grund seiner Verdienste erhielt er 1847 den Roten Adlerorden. Foto: Volker Gedaschke Die politische Lage Rund 15km von Brüssel in der Nähe des Dorfes Waterloo fand die letzte Schlacht Napoleons statt. General Wellington und Feldmarschall Blücher beendeten seine Herrschaft, die zur endgültigen Abdankung Napoleons führte. Die Redewendung „Sein Waterloo erleben“ steht als Synonym für eine totale Niederlage. Wellington soll beim Angriff der Garde Napoleons gegen 19h auch gesagt haben: „Ich wünsche, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen.“ Die Katastrophe nimmt ihren Lauf „1815. In diesem Jahr hatte ich ebenfalls vieles und besonders 40 - WOLL Winter 2016

Mäuseinvasion In diesem Jahr hatten wir eine ungeheure Anzahl von Mäusen, die beinahe alles verzehrten, was auf dem Felde gewachsen war. Mehrere Felder konnten gar nicht gemäht werden. Und von dem, was gewachsen war, überließen uns diese schändlichen Tiere kaum ein Viertel. Eine so ungeheure Menge von Mäusen wissen sich auch die ältesten Menschen nicht zu besinnen, denn sie fraßen nicht allein beinahe die ganze Winter- und Sommersaat, sondern sogar das Gras von den Wiesen und das junge Holz im Walde. An vielen Orten, wo diese Mäuse alle Baumrinde wegfraßen und das Holz dadurch trocken wurde, ist der Schaden auf mehrere Tausend Taler geschätzt worden. Auch der im Herbst gesäte grüne Roggen war von ihnen aufgefressen worden. Familiäre Ereignisse In diesem Jahr, nämlich den 15. April, reiste ich nach Münster und brachte meinen Sohn daselbst aufs Gymnasium. Am 11. Dezember abends um vier Uhr starb mein Schwiegervater J. Casp. Lohmann an einer Lungenentzündung. GRABKREUZ: JOSEPH LOHMANN wegen des Viehsterbens zu erleiden, denn mein bestes Pferd, eine für 24 Reichstalern frisch gekaufte Kuh und zwei Schweine krepierten mir in kurzer Zeit. Wintereinbruch im Frühjahr Die Witterung in diesem Jahr war abwechselnd gut und schlecht. Der Winter immer regnerisch, nur wenig kalt. Das Frühjahr zeigte sich sehr früh, denn schon am 18. Februar konnten die Pflüge zu Felde ziehen. In den Gärten wurde gearbeitet, um 12. April waren alle Obstbäume schon in der herrlichsten Blüte. Auch die Wintersaat blühte allenthalben. Diese schöne Frühlingszeit dauerte aber nur bis zum 16. April. Vom 17. auf den 18. April in der Nacht fing es an, so stark zu frieren, dass alle Blüten, das Laub an den Bäumen verfror. Und diese Kälte mit Regen und Schnee vermischt, hielt an bis August. Von dieser Zeit an blieb es gut bis nach vollendeter Arbeit, den 18. Oktober. Napoleons Waterloo und Verbannung auf St. Helena In der politischen Welt trug sich in diesem Jahr eine große Begebenheit zu. Napoleon, der von den Alliierten auf der Insel Elba im vorigen Jahr verbannt war, kam am 1. März wieder in Frankreich an. Er hatte kaum 300 Mann bei sich und eroberte damit in 20 Tagen ganz Frankreich, denn am 21. März hielt er schon seinen Einzug in Paris. Am 20. März war der König geflüchtet. Bis zum 14. Juni war seine Armee schon bis über 30.000 Mann angewachsen. Hätte er diese Armee auf einem Punkt fechten lassen, hätte er damit im Sinn gehabt, damit Frankreich auf allen Punkten zu decken und vor fremden Einfall zu bewahren, so wäre er wieder als Sieger aus dem Feld gezogen und dann wehe dem armen Deutschland. Am 14. Juni rückte er mit seiner Armee bis Waterloo vor. Bis zum 18. dauerte die Schlacht und bis dahin war er immer noch Sieger über die zwei berühmten Feldherren Wellington und Blücher. Am 18. aber sammelte sich die geschlagene preußische Armee. Während er mit Wellington stark im Gefecht war, fiel sie ihm im Rücken und schlug ihn so total, dass Napoleon seine Flucht zu Fuß nehmen musste. Er eilte nach Paris, legte dort nochmals die Kaiserkrone nieder, ergab sich den Engländern zum Gefangenen und wurde auf die Insel St. Helena verbannt. Weitere Katastrophen kündigen sich an Da das ganze Menschengeschlecht nun in diesem Jahr so viel Elend durch den schweren Krieg, durch die anhaltende Witterung, durch den ungeheuren Mäusefraß ausgestanden, so glaubte man, mit dem Frieden wäre nun auch alles Unglück überstanden und schmeichelte sich eine frohe Zukunft. Aber keiner berechnet, was Johannes schon in seiner Offenbarung sagte, wo er das Elend der Menschen beschreibt: „Siehe, ein Unglück ist vorbei und ein größeres folgt auf dem Fuße nach!“ ■ WOLL Winter 2016 - 41

Lebenserinnerungen 1815<br />

AUSZÜGE AUS DER<br />

CHRONIK VON FERDINAND<br />

LOHMANN (1772–1828)<br />

Neunter Teil: Die Aufzeichnungen Ferdinands beschreiben<br />

ausführlich die Witterung <strong>und</strong> die große Mäuseplage. In<br />

diesen Zeilen zeichnet sich schon eine baldige Katastrophe <strong>für</strong> die<br />

Menschen ab, die durch den Krieg noch potenziert wurde. Denn<br />

es folgt das Elend der Hunger- <strong>und</strong> Notjahre.<br />

VON VOLKER GEDASCHKE<br />

Private Ereignisse<br />

Der Schwiegervater verstarb in diesem Jahr an einer<br />

Lungenentzündung. Einige wertvolle Haustiere verendeten,<br />

unter anderem das Pferd.<br />

Die Wetterlage<br />

Der Auftakt zum Frühling war viel versprechend, so dass man<br />

schon früh sein Feld bestellen konnte. Die Obstbäume standen<br />

in bester Blüte. Aber ein plötzlicher Frosteinbruch im Frühjahr<br />

vernichtete die Blüten <strong>und</strong> die <strong>Winter</strong>saat.<br />

Die Mäuseplage<br />

Die Mäuseplage hatte in diesem<br />

Jahr verheerende Ausmaße angenommen.<br />

Nicht nur das Getreide,<br />

sondern auch die Baumrinde wurde<br />

von den Tieren aufgefressen. Aus<br />

dieser Not heraus beteten die<br />

Menschen zur heiligen Gertrud von<br />

Nivelles <strong>und</strong> baten um ihre Hilfe.<br />

Der Legende nach beendete sie<br />

einst durch ihr Gebet eine Mäuse<strong>und</strong><br />

Rattenplage <strong>und</strong> rettete damit<br />

die Ernte ihres Landes. Deshalb<br />

wird sie als Patronin der Gärtner<br />

<strong>und</strong> Bauern, als Beschützerin der<br />

Feld- <strong>und</strong> Gartenfrüchte angerufen.<br />

Der Bildstock der heiligen Gertrud<br />

von 1695 steht an der Keffelker<br />

Straße am Abzweig Nehdener Weg.<br />

Es war die dritte Station der früheren<br />

Feldprozession. Die Heilige<br />

wird hier als Klostervorsteherin<br />

(Äbtissin) dargestellt. An ihrem<br />

Gewand zupfen unten Mäuse. Sie<br />

lebte im 7. Jahrh<strong>und</strong>ert in Belgien.<br />

Viele Bauernregeln sind mit ihrem<br />

Fest am 17. März verb<strong>und</strong>en. Am<br />

bekanntesten: „Die Gertrud mit dem frommen Sinn, sie ist die<br />

erste Gärtnerin.“ Mit ihr beginnt das Gartenjahr.<br />

BILDSTOCK (1695) DER HEILIGEN GERTRUD: KEFFELKER STR. AM<br />

ABZWEIG NEHDENER WEG<br />

Karriere des Sohnes Joseph<br />

Der Sohn Joseph musste in Münster das Gymnasium besuchen,<br />

da im Zuge der Säkularisation (1803) die Klosterschule in <strong>Brilon</strong><br />

geschlossen wurde. Erst 1821 war es durch eine Stiftung möglich,<br />

das Progymnasium zu eröffnen <strong>und</strong> ab 1858 das „Gymnasium<br />

Petrinum“. Sein Sohn Joseph (1799- 1858) machte eine glänzende<br />

Karriere als Jurist. Er leitete das<br />

Justizamt in Eslohe, danach<br />

Direktor des Stadt- <strong>und</strong><br />

Landgerichts in <strong>Brilon</strong> <strong>und</strong> schließlich<br />

Direktor des neugegründeten<br />

Kreisgerichts. Ab 1849 gehörte er<br />

dem preußischen Abgeord ne tenhaus<br />

an. Auf Gr<strong>und</strong> seiner<br />

Verdienste erhielt er 1847 den<br />

Roten Adlerorden.<br />

Foto: Volker Gedaschke<br />

Die politische Lage<br />

R<strong>und</strong> 15km von Brüssel in der<br />

Nähe des Dorfes Waterloo fand die<br />

letzte Schlacht Napoleons statt.<br />

General Wellington <strong>und</strong><br />

Feldmarschall Blücher beendeten<br />

seine Herrschaft, die zur endgültigen<br />

Abdankung Napoleons führte.<br />

Die Redewendung „Sein Waterloo<br />

erleben“ steht als Synonym <strong>für</strong> eine<br />

totale Niederlage. Wellington soll<br />

beim Angriff der Garde Napoleons<br />

gegen 19h auch gesagt haben: „Ich<br />

wünsche, es wäre Nacht, oder die<br />

Preußen kämen.“<br />

Die Katastrophe nimmt ihren Lauf<br />

„1815. In diesem Jahr hatte ich ebenfalls vieles <strong>und</strong> besonders<br />

40 - <strong>WOLL</strong> <strong>Winter</strong> <strong>2016</strong>

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