VDV Das Magazin Ausgabe Dezember 2016

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Einfach machen Die Digitalisierung der deutschen Industrie schreitet dynamisch voran. Dennoch haben laut einer aktuellen Umfrage des Beratungsunternehmens HY! erst 37 Prozent der deutschen Top-500-Unternehmen eine digitale Strategie entwickelt. Rund zwei Drittel arbeiten noch daran oder verzichten sogar darauf. Wie es um die deutschen Verkehrsunternehmen steht, war Anfang November Thema des VDV-Marketing-Kongresses. Rund 170 Teilnehmer waren nach Berlin gekommen, um die Digitalisierungsfortschritte in ihrer Branche zu diskutieren. Begrüßt wurden sie von Ulf Middelberg, Vorsitzender des Ausschusses für Marketing und Kommunikation des VDV, und dem Finanzvorstand der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Dr. Henrik Haenecke. Dieser brachte die zentrale Fragestellung der Veranstaltung bereits in seinem kurzen Eröffnungsvortrag auf den Punkt: „Bis vor Kurzem haben wir uns hauptsächlich damit beschäftigt, wie wir unsere Produkte verbessern können. Heute müssen wir uns fragen: Was ist unser Geschäft und wer macht es?“ Ohne Digitalstrategie kein Erfolg Google, Apple, Uber – finanzstarke Anbieter insbesondere aus der Technologiebranche haben sich mittlerweile im Mobilitätsgeschäft etabliert und machen den Verkehrsunternehmen zunehmend Konkurrenz. Eine Entwicklung, die laut Haenecke an Dynamik zunehmen wird. „Wer diesen Wandel nicht ernst nimmt, wird das gleiche Schicksal erleiden wie einige große deutsche Handelskonzerne, die sich zu spät mit dem Thema auseinandergesetzt haben.“ Die Entwicklung einer Digitalstrategie sei daher für den Erfolg auch von Verkehrsunternehmen essenziell. Worauf es beim Zusammenspiel von Marketing und Technik ankommen wird, machte Keynote-Speaker Pascal Fantou in seinem anschließenden Vortrag deutlich. Apps werden seiner Ansicht nach dabei keine große Rolle mehr spielen. „Apps sind out. Sie sind im Handling zu kompliziert und zu wenig auf die Interessen der Nutzer abgestimmt.“ Aber welches Angebot sticht aus der Masse hervor? Wem schenkt der Kunde noch seine Aufmerksamkeit? Die Lösung liegt für Fantou auf der Hand: „Nur das auf den Kern 26 06 | 2016
AUS DEM VERBAND Der Kunde ist ein verwöhntes Biest. Pascal Fantou, Consultant und Coach reduzierte Produkt wird sich durchsetzen.“ Genau da seien die neuen Wettbewerber den etablierten Unternehmen ein Stück voraus. „Warum ist Uber denn so erfolgreich? Weil es ein absolut vereinfachtes Angebot ist, das dem Bedürfnis der Nutzer entspricht.“ Dagegen überfordere die Angebotsvielfalt des ÖPNV den Kunden oft. Er empfahl daher: „Reduzieren Sie Ihre Eintrittshürden, testen Sie neue Lösungen und machen Sie Ihr Angebot einfacher. Das ist das, was der Kunde will.“ Nicht nur die großen Technologiekonzerne machen den etablierten Verkehrsunternehmen das Leben schwer. Schätzungsweise rund fünf Millionen Startups sind in den vergangenen zehn Jahren gegründet worden. „Hier haben wir es mit einer enorm schlagkräftigen Gründerszene zu tun, die im Verbund zu einer echten Bedrohung für Unternehmen werden kann“, sagte Lars Zimmermann, Geschäftsführer von HY! Berlin. Das Geheimnis ihres Erfolges? „Start-ups verfolgen andere Managementstrategien als traditionelle Unternehmen und sind von einer anderen Wertekultur geprägt.“ Von 0 nach 1 denken Dies zeige sich bereits bei der Herangehensweise an eine neue Aufgabenstellung: „Bei VW beispielsweise fragt man sich, was getan werden muss, um das Produkt zu verbessern. Ein Start-up würde sich die Frage stellen: Was muss ich tun, um das Produkt überflüssig zu machen?“, so Zimmermann. Diese „0 nach 1“-Philosophie basiere auf einer anderen Motivation. „Start-ups wollen Strukturen aufbrechen, während in der klassischen Unternehmenslehre der Die wichtigen digitalen Trends werden nicht in Deutschland gesetzt. Lars Zimmermann, Geschäftsführer HY! Berlin Erhalt im Vordergrund steht.“ Das andere Verständnis spiegelt sich auch in der Mittelverteilung wider. Während Start-ups rund 70 Prozent ihrer Finanzmittel in die Entwicklung neuer Lösungen investieren, stecken Unternehmen den gleichen Anteil in den Erhalt ihrer Produktion. Und noch ein Unterschied sei signifikant: „Bei Start-ups werden Produkte schnell an den Markt gebracht und auf Basis des eingehenden Kundenfeedbacks weiterentwickelt. Unternehmen verbringen dagegen viel Zeit mit der Produktentwicklung, was wiederum viel Geld kostet.“ Den Anschluss wieder herstellen Aussagen, mit denen Zimmermann und Fantou offen sichtlich ins Schwarze trafen. Für Günter Neuen von der Via Verkehrsgesellschaft ist die Bedrohung durch die neuen Wettbewerber schon heute greifbar. „Beim Thema Digitalisierung haben wir in den letzten Jahren gepennt. Hier müssen wir schnell unsere Klein-Klein-Denke aufgeben zugunsten einer verbandsübergreifenden Initiative.“ Ähnlich schätzte Claudia Sauer von der Kasseler Verkehrs-Gesellschaft die Situation ein. „Wenn wir zu sehr in unserer Verkehrswelt verhaftet bleiben, besteht das Risiko, dass wir den Anschluss verlieren.“ Die Ergebnisse des Marketing-Kongresses machen ihr aber Mut: „Gerade die Workshops haben gezeigt, wie vielfältig das Angebot und wie hoch die Qualität ist, mit der wir in der Branche unterwegs sind. Allerdings müssen wir uns noch stärker vernetzen und besser kooperieren, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.“ DESIGN THINKING Der zweite Tag des Marketing-Kongresses stand ganz im Zeichen des Design Thinkings. Bei diesem Ansatz werden aktuelle Probleme auf Basis von Ideen gelöst, die aus Anwendersicht entwickelt wurden. Nach einer kurzen Einführung in die sechsstufige Methodik und einer praktischen Übung in Form eines Partnerinterviews berichten Anwender aus den Verkehrsunternehmen über ihre Erfahrungen mit dem Ansatz. Einhelliger Tenor: Design Thinking eignet sich aufgrund der unmittelbaren Einbindung von Nutzern hervorragend, um alltägliche Probleme zu lösen, wie beispielsweise Schlangenbildung an Ticketschaltern oder eine unzureichende Ausstattung von Verkehrsmitteln – allerdings nur, wenn es gelingt, auch die Führungsspitze von Anfang an ins Boot zu holen. Beobachten ist neben Verstehen, Standpunkt definieren, Ideen finden, Prototypen entwickeln und Testen einer von sechs Schritten im Design Thinking-Prozess. 06 | 2016 27
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