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Hohenzollerische Heimat - Hohenzollerischer Geschichtsverein eV

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Straßburg, das 1940 bei Oran in Nordafrika der Vernichtung der<br />

französischen Flotte durch die Briten entkommen konnte, dann<br />

aber auf der Reede vor Toulon versenkt worden war. Die geäußerte<br />

Meinung, die Anwesenheit der Franzosen habe Sigmaringen vor<br />

Bombardierung bewahrt, könnte zutreffend sein. Schließlich kann<br />

man an Toten keine Rache mehr üben. Die Sigmaringer schrieben<br />

ihre Rettung selbst jedoch wohl in erster Linie dem Wirken ihres<br />

Stadtpatrons Sankt Fidelis zu.<br />

Im Manuskript lesen wir anschließend die folgende Textpassage:<br />

„Ich (Francis Bout de l'An) verbrachte den letzten Abend in Gesellschaft<br />

eines Professor, eines Vertrauten des Ministers Deat, der<br />

ein Experte auf dem Gebiet der Rechts und des Spiritismus war. Er<br />

hatte mir geraten, im Verlauf der Nacht sehr aufmerksam zu sein.<br />

"Sie haben die Gelegenheit, das Gespenst (fantöme) der Hohenzollern,<br />

die weiße Frau sehen. Wenn Sie das Appartement des Fürsten<br />

belegen, kann sie sich offenbaren . Ich hatte die weiße Frau nicht<br />

gesehen, die gemäß Legende im Augenbhck großer Katastrophen<br />

erscheint, sondern statt dessen die Zimmerfrau, eine Agentin der<br />

Gestapo, die gewöhnlich gewissenhaft meine Schubladen durchwühlte.<br />

Sie fragte mich ohne Ironie, ob ich die folgende Nacht bleiben<br />

würde".<br />

Im zweiten Abschnitt, überschrieben mit „Acht Monate Auseinandersetzungen"<br />

(Huit mois de disputes), verschafft uns der Autor<br />

eindrückliche Einblicke in die Absichten der nach Sigmaringen gekommenen<br />

Franzosen und deren Beziehungen untereinander. Wie<br />

der Autor ausführt, hatte selbst die drohende Gefahr keine Einigkeit<br />

unter den einzelnen Mitgliedern der französischen Regierung,<br />

auch den Flüchthngen gegenüber, geführt. Die Uneinigkeit war, wie<br />

der Gewährsmann schrieb, Ende August (im Text: September)<br />

1944 entstanden, als in Beifort Ministerpräsident Laval ebenso wie<br />

die Mehrheit der Minister ihr Ämter niederlegten, nämlich Abel<br />

Bonnard, Bichelonne, Gabolde und Paul Marion. Letztere nannte<br />

man die „passiven Minister" im Unterschied zu den „aktiven Ministern",<br />

den fünf Mitgliedern der neuen Regierungskommission für<br />

die Verteidigung der nationalen Interessen Marcel Deat (zuständig<br />

für Arbeit), General Bridoux (zuständig für die Kriegsgefangenen),<br />

Joseph Darnand (zuständig für die Miliz und die Organisation der<br />

Streitkräfte an der Ostfront) und dem Journalisten Jean Luchaire<br />

(zuständig für Propaganda) unter dem Vorsitz des Botschafters<br />

Fernand de Brinon. Nach Bout de fAn bildete die Regierungskommission<br />

keine Einheit, deren Grund vermutlich in der Mitgliedschaft<br />

der beiden Parteivorsitzenden Marcel Deat und Joseph<br />

Darnand beruhte; die de Brinon abwechselnd unterstützte.<br />

Es gab somit zwei Regierungen, nämhch die alte und die neue, die<br />

in gefährlicher Nachbarschaft im Sigmaringer Schloss wohnten,<br />

wobei die passiven Minister, da sie früher angekommen waren, die<br />

besseren Appartements bewohnten. Laval, dem das von Petain abgelehnte<br />

Appartement Kaiser Wilhelms II. zur Verfügung gestellt<br />

worden war, enthielt sich jeglicher politischer Betätigung. Er erlernte<br />

vielmehr die deutsche Sprache, sah den Milizionären beim<br />

Angeln in der Donau zu und unterrichtete sich über die Ernährung<br />

der Rinder in Württemberg. Dennoch erhielt er nach Auffassung<br />

gewisser aktiver Minister zu viele Besuche. Laval wurde zu seiner<br />

großen Befriedigung schließlich im Schloss Wilflingen in Verbannung<br />

geschickt, obwohl seine Garde in diesem isolierten Dorf einen<br />

Angriff von Fallschirmjägern befürchtete.<br />

Der Weggang Lavais bedeutete keine Ruhe für Sigmaringen. Die<br />

Regierungskommission war nämhch keine wahre Regierung. Sie<br />

38<br />

war weder eine Repräsentation ihres Landes noch ein fähiger Organismus,<br />

der militärisch und politisch Deutschland in seinem<br />

Kampf beistehen konnte. Sie bemühte sich lediglich um die Verteidigung<br />

der französischen Interessen. Daraus entstand nach der<br />

Meinung des Autors eine Reihe von Intrigen, die dann zu offenen<br />

Auseinandersetzungen führten. Am 6. Januar 1945 errichtete Jacques<br />

Doriot mit Unterstützung der meisten deutschen Stellen sein<br />

„Komitee für die Befreiung Frankreichs". Er bekam seinen Rundfunksender<br />

, seine Zeitung „Le Petit Parisien", die im Gegensatz<br />

zur Zeitung „La France" von Jean Luchaire stand. Doriot beabsichtigte,<br />

die Kommission in Sigmaringen aufzuzehren.<br />

De Brinon unterstützte Doriot nach Geheimverhandlungen auf der<br />

Insel Mainau, dem Hauptquartier des Befreiungskomitees. Deat<br />

und Darnand wandten sich mit der Unterstützung des in Ungnade<br />

gefallenen deutschen Botschafters Abetz gegen den so genannten<br />

"Verrat von de Brinon". Im großen Salon der zweiten Etage des Sigmaringer<br />

Schlössen fanden, wie Bout de l'An berichtet, „stürmische<br />

Sitzungen" statt. Die Schlacht leitete Deat. Im Beisein des<br />

neuen deutschen Botschafters Reinebeck soll er gesagt haben:<br />

„Wir haben kein Verrauen zu Herrn de Brinon und wir erkennen<br />

weder seine Vereinbarung mit Doriot noch seine Autorität an".<br />

Doch auch der Tod Doriots [am 22. Februar 1945] durch Beschuss<br />

eines alliierten Flugzeugs bei Sigmaringen vermochte die<br />

Streitereien nicht zu beenden. Es gab nämhch weiterhin zwei Rivalen<br />

[Deat und Darnand], die sich gegenseitig verhöhnten. Jede<br />

deutsche Stelle, wie z, B. die Wehrmacht, die SS, das Auswärtige<br />

Amt, unterstützte die eine oder andere französische Partei.<br />

Der malerischste unter den Proteges war, wie Bout de l'An weiter<br />

ausführt, General [Besson-Rapp], Chef der Gruppe der freiwilligen<br />

Franzosen (groupe des volontiers frangais), der eine aufwändige<br />

Uniform, vergleichbar mit der Görings, trug. Die Fahne der Gruppe<br />

bestand aus der Trikolore, versehen mit dem Kreuz des Heiligen<br />

Ludwig und dem Monogram Karls des Großen. Die Anhänger sollen<br />

sich dazu verpflichtet haben, fünf Jahre in Ehelosigkeit zu leben.<br />

Dennoch soll die Gruppe keine Rekrutierungsschwierigkeiten<br />

gehabt haben. Am Sitz des Kommandanten im Westen der Stadt Sigmaringen<br />

befand sich nach der Vorlage ein großer Anschlag, der<br />

einen am Hinrichtungspfahl hängenden Erschossenen zeigt und<br />

die Legende trug: „Du, der du hierher kommst, um uns zu verraten,<br />

schaue, was du erwartest".<br />

Nach den weiteren Ausführungen des Autors ignorierte Marschall<br />

Petain die französische Kolonie von Sigmaringen, Er betrachtete<br />

sich als Gefangener und empfing niemand (Le Marechal ignorait la<br />

colonie frangaise de Sigmaringen. Ii se considerait comme prisonnier<br />

et ne recevait personne). Man sah ihn lediglich sonntags bei<br />

der Messe um 10 Uhr in der [fürsthehren] Loge der Pfarrkirche St,<br />

Johann. Jeder aber soll sich auf seine Machtbefugnis berufen haben;<br />

sein Name kehrte ohne Unterlass in den schrillen Auseinandersetzungen<br />

unter den Exilanten wieder, waren es Streitereien<br />

um Nahrung, Wohnung oder um die polische Orientierung. Die<br />

Soldtaten verachteten die Arbeiter. Die Arbeiter verachteten die<br />

Funktionsträger im Schloss. Die Bewohner der Flüchtlingslager betrachteten<br />

sich allmählich wie Ausgestoßene. Hinzu kamen die<br />

ehrgeizigen Ziele der Parteichefs sowie die Ungeduld und der Groll<br />

der Militanten. Die deutsch-französische Kollaboration erlitt in<br />

diesen acht Monaten des Elends und der schwindenden Hoffnungen<br />

einen empfindlichen Rückschritt.<br />

(Fortsetzungfolgt)

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