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2<br />

inhalt<br />

Einhunde<br />

Hältst du es für egoistisch, zufrieden sein zu wollen? Seit wann bist du nich<br />

treibt deine Leistung die Höhe? Wo fühlst du dich wohler: deiner Wohn<br />

Wer bist du, wenn du mit dir allein bist? Seite 4 Kreativität oder Kontrolle<br />

Menschen? Denkst du oft, du müsstest dir erst etwas erarbeiten? Was ist d<br />

ein einsames Genie oder ein beliebter Idiot? Hörst du eher auf deinen K<br />

liebsten outsourcen? Welche Menschen fehlen in deinem Leben? Seite 8<br />

Für welches Laster hast du vollstes Verständnis? Seite 10 Beunruhigt dich<br />

Wunder anfühlen? Bist du manchmal unzufrieden mit dem, was du dir sc<br />

verkomplizierst du dein Leben? Wozu zwingt dich die Vernunft? W<br />

Aus welchem Bedürfnis speist sich deine Social-Media-Suc<br />

dir, reich zu werden? Seite 14 Welche Unsicherheiten möchte<br />

nachdem du „Ich kann das nicht!“ gesagt hast? Welche Kom<br />

Leben organisieren, wenn du dein eigener Coach wärst? Was stresst dic<br />

gehen, wenn du obdachlos wärst? Welchen Teil deines Jobs find<br />

du dich kritisierst? Seite 16 Wie oft dient dir fehlendes Geld a<br />

würdest du gern korrigieren? Wie gern provozierst du? Wo liegen für dich<br />

Welche Pflichten halten dich von deinen Träumen ab? Wie würde dein W<br />

von ganzem Herzen? Schätzen andere Menschen dich auf den ersten Blick a<br />

täglichen Leben? Bist du wirklich so rational, wie du dich siehst? Welche d<br />

Partnerprofilen: Sagst du die ganze Wahrheit über dich? Warum nicht? W<br />

Internet? Was würdest du gern stehlen? Was wolltest du als Kind, und wa<br />

Warum wird das nicht passieren? Wie würdest du die Wirtschaft verbessern<br />

anderen erfüllen könntest? Seite 8, 17, 21 Hoffnung oder Hoffnungslosigke<br />

mit dir selbst zu beschäftigen? In welcher Situation verhältst du dich unty<br />

besten? Wann hast du zuletzt erfolgreich improvisiert? Wie viel von deinem<br />

Welche deiner Charakterzüge sollen andere nicht sehen? Zu wem wü<br />

trumpf“? Über welche deiner Ausreden wirst du in 20 Jahren den Ko<br />

eine unerklärliche Obsession? Versuchst du oft, es anderen recht zu mac<br />

kündigen, nachdem du im Lotto gewonnen hättest? Wer trifft die Ents<br />

zen müsstest? Sparst du dir das Schönste für später auf? Wie gern provoz<br />

Geschichten von Aussteigern in dir eine Sehnsucht hervor? Seite 8, 17,<br />

morgen anfangen, wenn du keine Angst hättest? Worauf könntest du verzi<br />

du besser lösen als andere? Wie wichtig sind dir gute Manieren? Was fü<br />

Wie wärst du als Politiker: eher Despot oder Demokrat? Welche deiner schlec<br />

oder Familienfeiern? Ist Selbstdarstellung wichtig? Woher kommen deine b<br />

täglich zu tun hast? Wie viel von deinem täglichen Tun ist unnötig? Was


inhalt<br />

3<br />

rt Fragen<br />

t mehr davon überzeugt, dass du alles besser weißt? Welche Unsicherheit<br />

ung oder außerhalb? Beneidest du manchmal Menschen ohne Einkommen?<br />

? Faszinieren dich Geschichten von einflussreichen oder von einfachen<br />

as Vordringlichste, das du heute noch erledigen musst? Wärst du lieber<br />

opf oder auf deinen Bauch? Welchen Teil deines Lebens würdest du am<br />

, 17, 21 Beantwortest du die Frage „Wer bist du?“ mit deinem Beruf?<br />

deine To-do-Liste? Oder gibt sie dir Sicherheit? Was würde sich wie ein<br />

hon immer gewünscht hast? Ein einfaches Leben – wie sähe das aus? Wie<br />

as frustriert dich immer wieder? Was können Tiere besser als wir?<br />

ht? Was wäre dein Grund, auszuwandern? Wünschst du<br />

st du mit Geld bekämpfen? Fühlst du dich wieder besser,<br />

plimente fühlen sich unverdient an? Wie würdest du dein<br />

h gerade am meisten – und könntest du es ändern? Wohin würdest du<br />

est du völlig überbewertet? Wer setzt die Standards, nach denen<br />

ls Ausrede? Wovon befreit dich der Alkohol? Was in der Welt<br />

die Grenzen der Toleranz? Erfüllt dich dein Instagram-Profil mit Stolz?<br />

unsch-Jobtitel aussehen? Magst du das Ergebnis deiner täglichen Arbeit<br />

ls einen glücklichen Menschen ein? Wie oft brauchst du Urlaub von deinem<br />

einer Ideen wirst du niemals umsetzen? In Bewerbungsgesprächen oder in<br />

elches Meisterwerk vollbringst du täglich? Vermisst du das Leben vor dem<br />

rum willst du das jetzt nicht mehr? Was sollte sich 2017 für dich ändern?<br />

? Warum spielst du deine Talente runter? Wie sehen die Träume aus, die du<br />

it? Welchen Fehler begehst du immer wieder? Was hält dich ab, dich mehr<br />

pisch? Wonach suchst du dein Leben lang? Versteht dich dein Partner am<br />

Leben ist Fassade? Hast du dir deine Lebensumstände selbst ausgesucht?<br />

rdest du eigentlich gern Nein sagen? „Peter Pan“ oder „Pippi Langspf<br />

schütteln? Welchen Rat gibst du anderen immer wieder? Hast du<br />

hen? Hast du Zeit, einfach mal nichts zu tun? Würdest du deinen Job<br />

cheidungen über dich? Wie alt wärst du, wenn du dich selbst einschätierst<br />

du? Seite 18 Woher weißt du, was richtig und was falsch ist? Rufen<br />

21 Hast du die Art von Freunden, die du dir wünschst? Womit würdest du<br />

chten, wenn der Tag fünf Stunden weniger hätte? Welches Problem kannst<br />

hlt sich für dich wichtiger an: deine Partnerschaft oder deine Freunde?<br />

hten Angewohnheiten ist die beste? Was ist dir unangenehmer: Betriebsfeste<br />

esten Ideen? Interessieren dich überhaupt die Menschen, mit denen du<br />

wird ohne dich niemals entstehen? Seite 22


4<br />

persönlichkeit<br />

Wer<br />

bist du,<br />

wenn


persönlichkeit<br />

5<br />

du mit<br />

dir allein<br />

bist?


6<br />

persönlichkeit<br />

Der Wirtschaftspsychologe und Persönlichkeitsforscher<br />

Dr. David Scheffer hat Tests entwickelt, die zeigen,<br />

was Menschen unbewusst antreibt. Berufsberater, Unternehmen und<br />

Hochschulen nutzen seinen Ansatz unter anderem bei der Personalauswahl.<br />

Ein Gespräch über Gruppendruck, Potential und Selbsterkenntnis.


persönlichkeit<br />

7<br />

Interview: Natalia Sadovnik, Fotos: Axel Martens<br />

Woran erkennt man einen Menschen, der seine Persönlichkeit voll<br />

auslebt?<br />

An seiner Authentizität. So ein Mensch verstellt sich nicht.<br />

Er orientiert sich nicht an den Bedürfnissen und den Erwartungen<br />

seines Umfelds, sondern folgt seiner eigenen Stimme<br />

und Bestimmung. Ein falsches Selbstbild und schädlicher<br />

Gruppendruck sind die stärksten Bremsen dabei.<br />

Wie schafft es jemand, der täglich dem Gruppendruck von Familie<br />

bis Arbeitgeber ausgesetzt ist, authentisch zu sein?<br />

Selbsterkenntnis ist der Schlüssel. Und da geht es nicht um das<br />

Wunschbild, sondern um die ehrliche Bestandsaufnahme. Wer<br />

bin ich wirklich – ohne die Erwartungshaltungen der Umgebung<br />

und von mir selbst? Besonders diese Erwartungshaltungen<br />

können sehr alt sein und bis in die Kindheit zurückreichen.<br />

Würden Sie sich als einen Menschenkenner bezeichnen?<br />

Mittlerweile: ja. Aber nicht von Natur aus. Da ich so viele Jahre<br />

mit Tests arbeite, kann ich viele Persönlichkeitsmerkmale<br />

bei einer halben Stunde Beobachtung auch so herauskriegen.<br />

Wie bei Ihnen.<br />

Was sehen Sie bei mir?<br />

Ihrem Fragezettel sehe ich bereits an, dass Sie eher sensorisch<br />

als intuitiv sind. Intuitive Menschen sehen das große<br />

Ganze, Sensoriker sind eher detailorientiert. So dicht so<br />

viele Fragen auf engem Raum zu schreiben, das würde ein<br />

in tuitiver Mensch nie machen – die brauchen viel Raum! Das<br />

ist natürlich nur ein Merkmal, aber wenn man verschie dene<br />

Merkmale beobachtet, kann sich ein klareres Bild von der<br />

Persönlichkeit ergeben.<br />

Was heißt „Persönlichkeit“?<br />

Das sind natürlich keine Schubladen, dafür sind Menschen<br />

zu komplex. Mit „Persönlichkeit“ meinen wir Psychologen<br />

eigentlich Nervenzellen und Zellverbände, die Reize und<br />

Informationen auf eine bestimmte Art immer wieder ähnlich<br />

verarbeiten. Das Körpergefühl ist auch Teil der Persönlichkeit.<br />

Ich beschäftige mich eher mit dem Gehirn.<br />

In den USA werden Tests wie der MBTI (Myers-Briggs-<br />

Typenindikator) in vielen Unternehmen bei der Personalauswahl<br />

eingesetzt. Sie ordnen Menschen in Profile ein: introvertiert,<br />

extrovertiert, analytisch oder emotional. Wissenschaftlich<br />

ist das nicht.<br />

Wir nutzen die MBTI-Theorie – aber wir messen anders.<br />

MBTI erfragt mit einem Fragebogen nur das Selbstbild.<br />

Natürlich ist ein Mensch wesentlich komplexer als ein Profil<br />

mit viel Merkmalen. Schubladen sind immer eine Vereinfachung.<br />

Jedoch kann man unsere Persönlichkeit auf<br />

bestimmten Skalen einordnen und eine Präferenz zeigen. Ist<br />

der Mensch zum Beispiel introvertiert oder extrovertiert, entscheidet<br />

er analytisch oder aus dem Bauch heraus? Bei vielen<br />

liegt eine eindeutige Präferenz vor.<br />

Und das ist wichtig für die Berufswahl?<br />

Ja, das ist sehr auffällig, dass bestimmte Typen bestimmte<br />

Berufe bevorzugen. Menschen, die eher emotional, intuitiv<br />

und aus dem Bauch heraus entscheiden, finden sich oft in der<br />

Werbung. Chirurgen und Zahnärzte sind häufig sogenannte<br />

ST-Typen – „Sensing“, „Thinking“ –, also die, die total präzise<br />

und praktisch sind.<br />

Viele Menschen möchten reich werden. Ist Geld ein Motiv?<br />

Meines Erachtens gibt es drei Motive, die alle bereits in der<br />

frühen Kindheit entstehen und deswegen oft unbewusst sind.<br />

Das erste Bedürfnis ist das Bindungsbedürfnis des Säuglings an<br />

seine Eltern – ohne sie wäre er verloren. Wenn man da ein Defizitgefühl<br />

hat, kann das einen auch als Erwachsenen antreiben.<br />

Das zweite Bedürfnis ist es, seine Umgebung zu erkunden und<br />

auch zu meistern: das Leistungsmotiv. Sich allein fortzubewegen,<br />

sich selbst zu beweisen, das haben schon kleine Kinder, und<br />

wenn man das unterbindet, kann es Folgen haben. Und es gibt<br />

das Machtmotiv, sowohl positiv als auch negativ: seinen Willen<br />

durchzusetzen und etwas zu bewegen. Geld kann für alles stehen.<br />

Davon erhofft man sich Bindung und Sicherheit, Macht. Oder,<br />

zum Beispiel, Erkenntnisse zu kaufen, die Leistung fördern.<br />

Warum sind die unbewussten Motive wichtig bei der Jobsuche?<br />

Weil Menschen oft nicht merken, was sie eigentlich antreibt.<br />

Wenn wir die richtigen Jobs für unsere Persönlichkeit finden,<br />

hat das einen signifikant positiven Einfluss auf unser Leben.<br />

Es gibt viele Studien bei Lehrern und Führungskräften, die<br />

nahelegen: Wo man einen Einfluss ausüben muss, braucht es<br />

ein starkes Machtmotiv, sonst wird man unglücklich. Man hat<br />

als Schüler schon oft Lehrer erlebt, die sich nicht durchsetzen<br />

wollten und konnten – das ist eine traurige Angelegenheit.<br />

Am Lehrerberuf lockt oft eher die Sicherheit, die Verbeamtung.<br />

Ja. Da wird vieles falsch gemacht. Gerade Lehrer sollten nicht<br />

mit Sicherheit und Verbeamtung gelockt werden, weil Einfluss<br />

oft mit einem gewissen Risiko verbunden ist. So lockt<br />

man die falschen Leute an. Vielleicht haben wir deswegen<br />

so viele Lehrer, die unglücklich sind, schnell ausbrennen und<br />

bei den Kindern relativ wenig erreichen. Das ließe sich relativ<br />

leicht vermeiden, wenn angehende Lehramtsstudenten einen<br />

solchen Test machen würden.<br />

Woher kommt das, was uns motiviert?<br />

Das ist ein Wechselspiel von Genetik und Sozialisation. Die<br />

Motive sind oft durch die Familiendynamik geprägt, in der<br />

man sich als Kind befindet. Das Bindungsmotiv entsteht<br />

häufig aus einem gefühlten Defizit von Nähe und Liebe. Ein<br />

Machtmotiv kann aus gefühlter Machtlosigkeit entstehen,<br />

zum Beispiel, wenn der Vater als machtlos empfunden wurde<br />

oder gänzlich fehlte. Selbsterkenntnis braucht Selbstbewusstsein,<br />

um etwas anders zu machen. „Selbstbewusstsein“ ist ein<br />

guter Kernbegriff. Es ist sehr schwer, Bewusstsein über sich<br />

selbst zu erlangen, weil die Erwartungen so hoch sind. Die<br />

halten eine Person permanent unter Druck.<br />

Das alles ist ja nicht neu: Sinn, Selbstbestimmung. Trotzdem hat man<br />

den Eindruck, dass das Ganze theoretisch bleibt. Woran liegt es?<br />

Oft glauben Menschen – übrigens auch Wissenschaftler –,<br />

dass das Verhalten fast komplett von Strukturen determiniert<br />

und die Persönlichkeit unwichtig ist. Die Gesamtperspektive<br />

fehlt und auch das vernetzte Denken auf unterschiedlichen<br />

Ebenen. Angefangen vom Bildungswesen, wo man Wege<br />

und Möglichkeiten schafft, bis hin in die Arbeitswelt, wo der<br />

ganze Mensch an Bedeutung gewinnen sollte und nicht nur<br />

seine Rolle als Arbeitnehmer. Das ist unsere Art, Menschen<br />

in Schubladen zu stecken, sie zu bewerten und unter Erwartungsdruck<br />

zu setzen. All das ist kontraproduktiv. Es braucht<br />

Muße, Entspannung und den ehrlichen Blick nach innen.|


8<br />

chancen<br />

JENS HERRMANN<br />

37 Jahre, aus Berlin<br />

Ich bin: Social Media Berater und Teamentwickler<br />

Ich biete: einen kreativen und ganzheitlichen Ansatz für Unternehmen, die<br />

Social Media sinnvoll für ihre Kommunikation nutzen und einen langfristigen und<br />

nachhaltigen Effekt erzielen wollen; zudem Workshops zu diesem Thema<br />

Ich suche: Unternehmen, aber auch Schulen und andere Einrichtungen, die im<br />

Kontakt zu ihrer Zielgruppe neue Wege gehen möchten<br />

Welche Menschen<br />

fehlen in deinem Leben?<br />

Oft ist es nicht das Geld oder der Mut, den wir brauchen, um neue Wege<br />

Es sind Gleichgesinnte, die uns stärken. Menschen,<br />

die unsere Träume ernst nehmen und Projekte nicht zerreden, sondern realisieren.<br />

Solche Menschen stellen wir hier vor.<br />

Fotos: Benne Ochs


chancen<br />

9<br />

VOLKA HINZE<br />

45 Jahre, aus Hildesheim<br />

Ich bin: vor 18 Jahren zum ersten Mal in einem Heißluftballon<br />

mitgefahren und seitdem „infiziert“. Zunächst habe ich nur davon geträumt,<br />

selbst mal als Pilot zu fahren. 2012 entschied ich mich, Heißluftballonpilot<br />

zu werden, und hatte 1,5 Jahre später die Lizenz in der Tasche<br />

Ich biete: Inspiriert durch meine Reisen in thailändische Klöster habe ich<br />

ein Skript für die TV-Dokumentation „Land in Sicht: Meine spirituelle<br />

Reise mit dem Heißluftballon“ geschrieben. In jeder Folge möchte ich ein<br />

anderes Land mit dem Ballon bereisen, dort weise Menschen und<br />

Meister treffen und ihre Gedanken zum Thema „Lebensglück“ sammeln.<br />

Eine Produktionsfirma steht bereits hinter dieser Idee und hat einige<br />

Ausbildungsfahrten mit der Kamera begleitet – auf Youtube unter<br />

„verpalin ballon“ zu sehen<br />

Ich suche: Unternehmer und kreative Köpfe, die dieses Projekt spannend<br />

finden<br />

IRINA DITTERT<br />

45 Jahre, Forchheim<br />

Ich bin: Diplombiologin, Psychologin, Gründerin der White Sage School, einer Schule für das Heilen<br />

Ich biete: eine neue, selbst entwickelte Methode, die die Schwangerschaft und die Geburt erleichtert,<br />

basierend auf der Wassergeburt<br />

Ich suche: Menschen mit Erfahrung bei der Entwicklung und Realisierung von Großprojekten;<br />

innovative Architekten, Ärzte und Hebammen, um mir dabei zu helfen, ein Geburtszentrum für<br />

Wasser- und Meeresgeburten auf Hawaii zu eröffnen<br />

MAX RÜDEL<br />

35 Jahre, aus München<br />

Ich bin: gelernter Werbekaufmann mit Leidenschaft für<br />

Musik und Gründer des Start-ups kanoon.de, einem<br />

Netzwerk, in dem User kostenlose Produkte durch User<br />

Generated Promotion verdienen können<br />

Ich biete: unternehmerische Kreativität, Marketingwissen<br />

und ein Netzwerk in der Musik- und Medienbranche<br />

Ich suche: Unternehmen, die auf kanoon.de Channels<br />

betreiben oder sich anderweitig engagieren möchten, sowie<br />

weitere Ideen, wie man aus kanoon mehr herausholen kann<br />

MIRIAM WIESE, 45 Jahre, aus Hamburg<br />

Ich bin: begeistert von der Idee des Biomeilers,<br />

Wärme aus der Zersetzung von Schnittgut zu gewinnen.<br />

Deshalb möchte ich diese Idee verbreiten und den<br />

Biomeiler etablieren. Um das tun zu können, werde<br />

ich das Unternehmen Wiesenmeiler mit dem Standort<br />

Hitzacker gründen: www.wiesenmeiler.de<br />

Ich biete: viel (erneuerbare) Energie, Power und Wärme<br />

Ich suche: dafür Menschen, die meine Vision und Idee mit<br />

vorantreiben und unterstützen<br />

NEDIA JOUINI<br />

39 Jahre, aus Konstanz am Bodensee<br />

Ich bin: Yogalehrerin, Kinderyogalehrerin, Heilpraktikerin<br />

für Psychotherapie, Diplomjuristin. Ich habe meine<br />

Festanstellung in Führungsposition gekündigt, um ein<br />

sinnvolleres Leben zu führen<br />

Ich biete: Yogaunterricht und Therapie für Erwachsene,<br />

Kinder und Familien<br />

Ich suche: Ich möchte ein Familienzentrum mit<br />

Schwerpunkt Yoga und gesunde Ernährung am Bodensee<br />

eröffnen und suche dafür Gleichgesinnte und Entscheider.<br />

Im Rahmen des Therapiezentrums ist auch eine<br />

Integrationshilfe für Flüchtlinge geplant<br />

Vernetzt euch über www.millionways.org


10<br />

wahrheiten


wahrheiten<br />

11<br />

Ist Lügen<br />

eine Kunst?<br />

Jede Story hat eine Vorgeschichte. Jede Wirklichkeit<br />

einen ausgefransten Rand.<br />

Frühjahr 1999: Ivanas helle Stimme mit tschechischem<br />

Akzent klingt für mich glitzernd und verführerisch wie<br />

Trüffel der Firma Sprüngli. Es knistert in der analogen<br />

Telefonleitung. Sie sitzt in ihrem Büro in Palm Beach,<br />

Florida, und gibt mir 30 Minuten. Ich sitze in meiner<br />

Wohnung in Los Angeles, die womöglich kleiner ist als<br />

Ivanas Badezimmer in einer 45-Zimmer-Villa, die ihr<br />

Donald abgeben musste.<br />

„Kommen wir zur Sache …“, sagt Ivana. „ Sie haben recht:<br />

Donald wurde ,Donald‘ getauft, weil sein Vater in Donald<br />

Duck vernarrt war. Walt Disney war die Leitfigur der<br />

Trumps. Der kleine Donald soll in den Spuren von Walt<br />

Disney marschieren. Noch heute. Überrascht Sie das?“<br />

„Nein …“, antworte ich.<br />

Stille.<br />

Dann ein Knistern in der Leitung. Ich weiß nicht weiter,<br />

verpasse die Anschlussfrage.<br />

(Sie hätte lauten müssen: „Walt Disney hat seine Eltern<br />

gehasst. Darum hat Pinocchio keine Mutter, ist Cinderella<br />

das Opfer böser Stief eltern, wird Bambis Mutter<br />

getötet und der großartige Elefant Dumbo gewaltsam<br />

von seiner Mutter getrennt.“ Hier hätte ich jetzt ansetzen<br />

müssen: „Walt Disney glaubt, dass jede Empfängnis unbefleckt<br />

ist. Und Donald?“)<br />

Stattdessen frage ich etwas Banales.<br />

„Was haben Sie heute schon so gemacht, Mrs Trump?“<br />

„Yoga mit meinem Trainer. Danach reiten. Später habe<br />

ich noch Kunstunterricht.“<br />

Klingt nach einem vollen Tag.<br />

„Vielleicht faulenze ich dann noch am Pool, wenn dieses<br />

Gespräch vorbei ist …“<br />

Ivana, damals 49 Jahre alt, spricht mit einer beschwingten<br />

Privatstimme, die sich stark von der entschlossenen,<br />

kräftigen, professionellen Stimme unterscheidet, die sie<br />

in der Öffentlichkeit als Exfrau des Milliardärs Donald<br />

benutzt.<br />

„Was für eine Rolle spielen Sie heute in der Welt?“<br />

„Ich verkörpere die ,Sister‘ aller verwundeten Frauen und<br />

erkläre ihnen, wie sie sich seelisch von Albtraum-Männern<br />

heilen können…“<br />

Er ließ Mike Tyson über<br />

Nietzsche und Charles Bronson<br />

über das Seelenleben der<br />

Pflanzen philosophieren. Die<br />

Interviews von Tom Kummer<br />

machten süchtig – bis herauskam,<br />

dass sie frei erfunden waren.<br />

Der einstige Star-Interviewer<br />

erinnert sich an sein letztes echtes<br />

Gespräch und zeigt noch<br />

einmal, warum Lüge manchmal<br />

schöner ist als die Wahrheit.<br />

Illustration: Josef Schewe<br />

„Indem Sie Frauen animieren, auf Ihrem eigenen Shopping-Channel<br />

,The World of Ivana‘ einzukaufen?“<br />

„Ja, auch. Aber ich habe noch eine tiefere Botschaft. Ich<br />

weiß, dass Sie die verstehen. Ich habe eines Ihrer Interviews<br />

mit Sharon Stone gelesen. Großartig! Das zeigt<br />

eine Frau, die überlegen ist.“<br />

„Sie spielen selbst eine großartige Rolle, Mrs Trump!“<br />

„Vielen Dank. Vielleicht werde ich bald mal für einen<br />

Oscar nominiert …“ Sie kichert.<br />

Das echte Telefongespräch mit Ivana Trump entwickelt<br />

sich harzig, kommt nicht so in Schwung, wie ich es mir<br />

gewünscht habe. Oder besser: wie es sich die Abnehmer<br />

meines Stoffes erhoffen, die mich damals zum Superstar<br />

unter den Star-Interviewern promoviert haben.<br />

Ivana hat einen Berater zur Seite, der ihr immer wieder<br />

Antworten zuflüstert oder auf Papier schreibt. Darauf<br />

deuten die Pausen, die Ivana zwischen meinen Fragen<br />

einlegt. Ivana weiß, dass es sich um ein Interview handelt,<br />

das auf der Titelseite der Beilage einer der größten<br />

deutschen Tageszeitungen erscheinen wird. Sie spricht<br />

mit mir, weil das Teil einer globalen Werbekampagne ist.<br />

Aber da ist mehr. Eine Vorgeschichte. Die ausgefranste<br />

Wahrheit:<br />

Wir sind in die vom Schein beherrschte Welt der Postmoderne<br />

hineingeboren worden, deren bestimmendes Element<br />

die Show ist. In der Show gibt es keine Wahrheit,<br />

sondern Effekte. Je brillanter die Show ist, umso überzeugender<br />

ist sie gelungen und desto begeisterter werden<br />

die Leser- und Zuschauermassen sein. Selbst die vorsichtigsten<br />

Journalisten renommierter Zeitungen beginnen in<br />

den Neunzigern, Teile meiner Idee zu übernehmen: die<br />

Zauberei, den Illusionismus, die herablassende Coolness,<br />

die moralisierende Ironie, das Pop-Element.<br />

Ivana Trump ist für mich – seit dem Schauspieler Nicolas<br />

Cage im Jahr 1996 – das erste Interview, bei dem<br />

ich die interviewte Person tatsächlich sprechen höre. Es<br />

wird meine letzte Story für eine deutsche Wochenendbeilage,<br />

bevor sich eine „Implosion des Realen“ ereignet,<br />

wie das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ meinen Fall<br />

beschreibt, und mein Name sich zum Inbegriff des Medienskandals<br />

verwandelt.<br />

Zuletzt war es Nicolas Cage, den ich nach seinem<br />

Oscar-Gewinn für „Leaving Las Vegas“ am Telefon hatte.<br />

Aber dazwischen sind dreißig komplett erfundene Interviews,<br />

Gespräche mit mir selbst, Titelgeschichten, Sensationen<br />

im Stil der Rollenprosa entstanden. Und dabei<br />

baut sich eine seltsame Verweiskette auf.<br />

„Ja, Nicolas Cage – das ist einer meiner Lieblinge“, sagt<br />

Ivana jetzt ganz leise. „,Leaving Las Vegas‘ war ein großartiger<br />

Film. Hätte Donald den bloß gesehen! Ist doch<br />

sein Thema. Alkohol. Aber lassen wir das. Ich habe Ihr<br />

Interview im ,Esquire‘ gelesen. Es war berührend, erhellend,<br />

wirklich aufregend …“<br />

Klar, ich hätte jetzt bei Ivana nachhaken müssen. Donald<br />

und Alkohol? Donald und Männerängste? Donald und<br />

Disney? Aber meine Interviewtechnik ist miserabel. Ich<br />

habe keine Ahnung, wie ein richtiges Interview geführt<br />

werden muss. Besonders am Telefon. Schrecklich läuft es<br />

mit Ivana im Frühling 1999. Und dabei habe ich mir vorgenommen,<br />

diesmal alles eins zu eins aufzuschreiben, was<br />

auf meinem Tonband erklingt.<br />

Was folgt, ist nicht zu stoppen.<br />

Mein abgetipptes Tonband-Interview mit Ivana Trump –<br />

ein Zusammenschnitt des 30-minütigen Gesprächs –<br />

wird von der Redaktion in München abgelehnt. Das ist<br />

noch nie passiert. Womöglich fehlt die grotesk-poetische<br />

Komik, die meine gefälschten Interviews durchzieht, die<br />

den Medienprofis entweder vollkommen zu entgehen<br />

scheint oder sie besonders anzieht.<br />

Nach gut dreißig inszenierten Interviews wird ein Kummer-Text<br />

als „etwas langweilig“ deklariert. Ausgerechnet<br />

derjenige, den man entsprechend der Gattungserwartung<br />

als „echt“ deklarieren könnte.


12<br />

wahrheiten<br />

Operiere ich als Künstler, dessen Arbeit<br />

bloß aussieht wie Journalismus?<br />

Womöglich will ich die ganze Welt immer<br />

nur in Anführungszeichen sehen.<br />

„Kannst du das nicht besser?“, fragt mich ein leitender<br />

Redakteur.<br />

„Doch“, sage ich. „Ich könnte das schon besser.“<br />

„Wieso überlegst du dir nicht was anderes?“, fragt er. „Es<br />

muss kein Interview sein. “<br />

„Klar, kann ich machen.“<br />

So entsteht ein 14-teiliger Thesenkatalog, Ivana Trump<br />

als deutsche Philosophin, mit jeweils ein bis fünf Unterpunkten,<br />

Listen eines typischen Populärkonsum-<br />

Pragmatismus, angereichert um Aussagen aus der Philosophy<br />

of Andy Warhol, mit Zwischen-Untertiteln wie<br />

„Das Werden, das Sein und das Nichts“ oder „Über die<br />

Pragmatik des Hedonismus“.<br />

Die Geschichte wird, ganz postironisch, auf dem Titelblatt<br />

mit der blauen Farbe eines klassischen Taschenbuchs<br />

aus der Suhrkamp-Reihe eingerahmt. Die Redaktion ist<br />

begeistert. Die Leser. Die Werber. Ich auch.<br />

Aber was wäre gewesen, hätte ich damals – wie sonst immer<br />

– das gleiche Spiel gespielt: mich selbst im Spiegel<br />

betrachtet, räsonierend, reflektierend, Erinnerungen an<br />

Sharon, Gwyneth oder Johnny vorüberziehen lassen.<br />

Alle „intim“, alles feuchte Träume eines Anti-Journalisten.<br />

Und dann: nur noch einmal, ein einziges Mal mit<br />

Ivana über die tiefen Dinge des Lebens und über Donald<br />

reden. Mit Leidenschaft! Hinschauen, wo niemand hinschauen<br />

kann. Dazu bin ich auserkoren worden.<br />

„<br />

Das Knistern in der Leitung aus Florida ist wieder da. Es<br />

schafft eine vertraute Atmosphäre.<br />

„Ivana, Ihr Exmann sollte schon 1986 um die US-Präsidentschaft<br />

kandidieren. Wegen Ihrer Skandalscheidung<br />

verzichtete er …“<br />

„Stimmt. Etwa fünf Jahre vor unserer Scheidung bekommt<br />

er einen Brief von Ronald Reagan …“<br />

Der Klang von Ivanas Stimme hat sich wieder verändert,<br />

vermittelt jetzt die kalte hysterische Herzlichkeit einer<br />

Rezeptionistin im Trump Tower von Las Vegas.<br />

„… also denkt er darüber nach. Aber da ist die Scheidung,<br />

da ist dieser Skandal, da bin ich – und die amerikanischen<br />

Frauen lieben mich und hassen ihn. Also verzichtet er auf<br />

die Kandidatur. Aber der Gedanke lässt ihn nicht mehr los.“<br />

„Haben Sie damals jemals darüber nachgedacht, wie man<br />

diesen Donald stoppen kann, bevor er Unheil anrichtet?“<br />

Ich höre Stimmen im Hintergrund. Eine Hand wird wieder<br />

auf die Muschel gelegt. Da ist es wieder, ein Knistern.<br />

„… indem die Öffentlichkeit mir besser zuhört, wenn ich<br />

von diesem Mann erzähle. Aber das will ja niemand hören<br />

…“<br />

„Was will die Öffentlichkeit nicht hören? Sie haben Donald<br />

Duck erwähnt. Und Onkel Walt. Die waren wichtig<br />

für Ihren Exmann, korrekt?<br />

„Wir haben während unserer Ehe oft über Mickey Mouse<br />

geredet. Donald wollte mir als Europäerin amerikanisches<br />

Kulturgut vermitteln. Da war er nicht zu stoppen.“<br />

Der große Witz von Mickey und seinen Kollegen basiere<br />

auf Geschwindigkeit, die mit Ökonomie gepaart sei. Für<br />

jemand wie Donald, der ein so intensives Verlangen hat,<br />

seine Umwelt zu kontrollieren, entsprach der Disney-Zeichentrickfilm<br />

dem idealen Medium. Es gewährleistet totale<br />

Kontrolle. Das ist alles, was einen Trump interessiert.<br />

Viele mächtige Amerikaner erfüllten sich, wie Walt Disney<br />

mit Disneyland, den eigenen Traum vom Gelobten<br />

Land. Henry Ford kaufte eine Kleinstadt, der Zeitungsmagnat<br />

Hearst errichtete Hearst Castle, und der Playboy-Herausgeber<br />

erfand die Playboy Clubs …<br />

„Donald will Amerika als seine Spielwiese besitzen. Deswegen<br />

hatte er schon 1986 Ambitionen, Präsident zu<br />

werden. Er wünscht sich einen Themenpark, in dem der<br />

Amerikanismus in Reinzustand existiert.“<br />

„So was wie ein mythologischer Schrein? Und was hätten<br />

Sie als Frau darin für eine Rolle gespielt?“<br />

„Womöglich die Seelsorgerin.“<br />

„Was fehlte Donald?“<br />

„Er wurde von Kinderängsten geplagt. Von analerotischen<br />

Tendenzen. Vielleicht waren das die Folgen der Prügel,<br />

die sein Vater austeilte. Vielleicht war es aber auch die<br />

Tatsache, dass die etwas senile Großmutter den kleinen<br />

Donald mit Abführbonbons zu belohnen pflegte.“<br />

„Hat Donalds Kinderangst, seinen Schließmuskel nicht kontrollieren<br />

zu können, vielleicht zu der Obsession geführt,<br />

einen total kontrollierten Lebensraum zu erschaffen?“<br />

„So tief mag ich jetzt nicht vordringen.“ Ivana kichert.<br />

„Es gibt ja auch noch seinen Starrsinn, seine Knausrigkeit,<br />

den Ordnungswahn … den Selbsthass.“<br />

„Selbsthass?“<br />

„Ich glaube, in Donald steckt so was wie die Sehnsucht,<br />

ein Schurke zu sein, ein Kerl, der heuchelt, verführt,<br />

hohnlacht, über Leichen schreitet. Er nahm immer an,<br />

wer nicht betrügt, täuscht, hereinlegt, der wird selbst betrogen,<br />

getäuscht und hereingelegt.“<br />

„Von Frauen reingelegt?<br />

„Frauen sind in Donalds Weltbild grundsätzlich minderwertig.<br />

Oder dann muss es das absolute Weib sein, also<br />

Natur, Wildnis, Ursprung, Grenzenlosigkeit. Und damit<br />

eine ständige Gefahr für sein Ich.“<br />

„Er gab Ihnen aber auch eine Chance. Sie kamen nach<br />

Amerika und waren arm.“<br />

„Ich hatte ein Gefühl für Stil, und so hat er mich mit dem<br />

Interior Design seines ,Grand Hyatt Hotel‘ beauftragt.<br />

Das war alles.“<br />

„Gleichzeitig hat er Ihnen Ihre Garderobe diktiert.“<br />

„Er nannte es ,Powerdressing‘. Kostüme mit breiten<br />

Schultern und kurze Röcke wie vom Straßenstrich. Ich<br />

durfte nie älter als 28 aussehen.“<br />

„Er hat Ihnen dann im Jahr den symbolischen Lohn von<br />

einem Dollar bezahlt.“<br />

„Damit war ich die am miesesten verdienende Nutte in<br />

Amerika – dazu noch eine, die er betrog.“<br />

Ivana kichert.<br />

„Nach Ihrer Scheidung erhielten Sie 14 Millionen Dollar<br />

in bar und eine Villa mit 45 Zimmern. Und Sie wurden<br />

selbst eine erfolgreiche Unternehmerin. Das haben Sie<br />

Donald zu verdanken, oder?“<br />

„Das habe ich mir selbst zu verdanken.“<br />

Stille.<br />

„Ivana, kann ich kurz eine Pause einlegen? Nachdenken?“<br />

„Klar. Ich schalte schnell die Klimaanlage höher, okay?“<br />

Okay.<br />

Nachdenken. Wie funktioniere ich? Wieso ist meine<br />

Welt eine bessere Welt? In meiner Welt stellen Stars sich<br />

tiefe Fragen, sprechen über das Verhältnis von Schein und<br />

Sein. Operiere ich vielleicht als Künstler, dessen Arbeit<br />

bloß aussieht wie Journalismus? Womöglich will ich die<br />

ganze Welt immer nur in Anführungszeichen sehen. Und<br />

dabei die Produktionsbedingungen, die unsere Wirklichkeit<br />

ausmachen, untersuchen und entblößen. Aber wie<br />

schafft man das, wenn die Medien längst zum korrupten<br />

Komplizen der Wirklichkeitsproduktion geworden sind?<br />

Wo steckt der Ursprung von Image und PR-Fabrikation?<br />

Soll ich mit Ivana darüber sprechen?


wahrheiten<br />

13<br />

„Tom, sind Sie noch da?“<br />

„Ja. Schön, Ihre Stimme wieder zu hören.“<br />

„Ich kann schon verstehen, dass es nicht leicht ist für Sie.<br />

Dieser Ort, an dem unsere Wirklichkeit entsteht, kann ja<br />

selbst nicht wirklich sein.“<br />

„Das haben Sie schön gesagt. Was machen Sie gerade?“<br />

„Ich habe mir einen Morgenmantel angezogen. Die<br />

Klimaanlage ist viel zu kalt eingestellt.“<br />

Wir kichern beide.<br />

„Tom, wie läuft das bei Ihnen beim Schreiben? Wenn die<br />

Realität implodiert, wie Sie gesagt haben?“<br />

„Schwer zu erklären. Die Perspektiven stürzen ein, die<br />

Grenzen der Wahrnehmung und der ganze Irrsinn, all das<br />

Irreale und Surreale, dem ich in der Wirklichkeit begegne,<br />

kann dann nur in meiner Sprache, in meinem Reality<br />

Studio Halt finden und sich zu einer Art neuen Wirklichkeit<br />

formen. Aber interessiert Sie das wirklich? Ich will<br />

Sie nicht langweilen.“<br />

„Tun Sie nicht. Klingt alles sehr spannend. Ihre Interviews<br />

sind also im Wesentlichen Gespräche mit sich<br />

selbst? Vielleicht haben Sie ja eine Vorahnung: Der Fake<br />

wird bald die neue Realität…“<br />

„Kann schon sein, Ivana. Immer wieder lasse ich meine<br />

Stars Sätze sagen, die auf meinen eigenen Zustand verweisen.<br />

Johnny Depp sagt bei mir: ,Objektivität ist genauso<br />

wie Wahrheit und Wirklichkeit ein reiner Mythos.‘<br />

Mike Tyson lobt die Güte französischer Fischsuppe. Er<br />

diskutiert seine ausdrückliche Wertschätzung für das, was<br />

er ,Wissen‘ nennt und sagt: ,Ich war früher in meiner<br />

Karriere den Gegnern extrem überlegen. Darum wollte<br />

ich mich mit Wissen vollpumpen. Wissen schafft Stabilität<br />

und macht das Leben lebenswert.‘“<br />

„In Ihren Gesprächen scheint überhaupt keine Asymmetrie<br />

zwischen Reporter und Star zu existieren. Wieso?“<br />

Das ist der Trick. Ich erschaffe eine fast erschreckende<br />

Symmetrie, ein Gespräch von gleich zu gleich, unter langjährigen<br />

Bekannten. Eine Vertrautheit entsteht, ein persönlicher<br />

Ton. Ich wage aber auch den aggressiven, herausfordernden<br />

Ton. Schon nach ein paar Wortwechseln wird<br />

zum Beispiel Nicolas Cage ausfallend und brüllt: „Dieses<br />

Interview dauert noch genau fünf Sekunden, wenn<br />

Sie nicht endlich sagen, worauf Sie’s abgesehen haben …“<br />

Meine Stars und ich haben immer alle das gleiche Vorwissen.<br />

Cage extemporiert über Francis Bacon, kennt<br />

selbstverständlich Rainer Werner Fassbinders „Händler<br />

der vier Jahreszeiten“. Nie ist es für mich ein Hindernis,<br />

heikle Themen zu diskutieren. In jedem Interview geht es<br />

um den Status von Wahrheit, den Bruch zwischen Image<br />

und Wirklichkeit in Hollywood.<br />

Courtney Love sagt: „Ich betrüge so echt – ich bin jenseits<br />

von Betrug!“<br />

Zu Courtney, der verstorbenen Witwe von Kurt Cobain,<br />

habe ich eine besondere Beziehung entwickelt. Sie lässt<br />

mich in eine besondere Tiefe eindringen. Ich lasse sie<br />

fantastische Verse zwischen Lautréamont, Breton und<br />

Burroughs sagen. „Alle meine Gedichte brennen“, sagt<br />

Courtney. „Minotauren fressen die Genitalien des Mondes.<br />

Die Sonne ist in Aufruhr, und ausgeflogene Fallschirmspringer<br />

landen in unseren Träumen. Jede Nacht<br />

schlagen sich in den Bergen alte Männer mit Bandagen<br />

ihren Weg zum Mond. Saurier und Vampire fliegen vorbei.<br />

Aber sie sind freundlich gestimmt.“<br />

Wieso wollte das niemand als Fake erkennen? Wie belastend<br />

und erregend muss es gewesen sein, Journalismus als<br />

Fälschung zu betreiben?<br />

Es war sicher auch ein Hilferuf. Und das hätte man erkennen<br />

können. Immerzu stelle ich zum Beispiel in meinem<br />

Roman „Good Morning Los Angeles“ von 1996 Regeln<br />

zur Steigerung journalistischer Effektivität auf. Die<br />

erste lautet: „Sabotiere deine Vorsicht, indem du dich so<br />

nahe ans Feuer wagst, wie es nur geht.“ Oder: „Für mich<br />

verschmolzen Wirklichkeit und Unwirklichkeit zu einem<br />

ziemlich gefährlichen Gemisch.“ Dass ich in meinem<br />

Buch – das nicht als Roman deklariert ist – einfach die<br />

Wahrheit aufschreibe, auf diesen abwegigen Gedanken<br />

kommt kein Chefredakteur.<br />

Dabei inspiriert dieses Buch auch meine Interviews. Auf<br />

Seite 105 heißt es: „Es schien, als ob weder die Moral<br />

noch das positive Wertesystem eine Gesellschaft voranschreiten<br />

lassen, sondern ihre Unmoral und ihre Laster.“<br />

Ein schöner Gedanke – so schön, dass auch Bruce Willis<br />

ihn sich zu eigen gemacht hat: „Ich habe ziemlich früh<br />

kapiert, dass nicht die Moral uns Menschen voranschreiten<br />

lässt, sondern die Unmoral, die Laster, der Zynismus“,<br />

sagte der Star im November 1998 in einem „Vogue“-Interview<br />

mit mir.<br />

„Aber was treibt Sie an?“<br />

„Eine betörende Win-win-Situation: Die Stars bekamen<br />

schöne Titelgeschichten, wirkten intelligent und belesen.<br />

Die <strong>Magazin</strong>e bewiesen ihre doppelte Kompetenz,<br />

populär und intelligent zu wirken, und den Lesern wurde<br />

zurückprojiziert, was sie sich schon immer heimlich<br />

gewünscht hatten: dass es gute, moralisch und philosophisch<br />

redliche Gründe dafür gibt, sich für Stars zu interessieren,<br />

außer ihrem Erfolg und Aussehen.“<br />

„Ich finde Ihren Stoff sexy, Tom. Wurden die Leute nicht<br />

süchtig danach?“<br />

„Niemand wollte mich stoppen. Mein Stoff wird zum<br />

Hirnfutter für eine neue Generation von Lesern: die popkulturellen<br />

Nerds, die bald ihre Privatwelten zum ganz<br />

großen Universum erklären und mit der totalen Introspektion<br />

des realen und medialen Alltags die Macht der<br />

Bloggersphäre und Social Networks begründen.“<br />

„Was heißt ,Introspektion‘?“<br />

„Selbstbetrachtung. Der nach innen gerichtete Blick hätte<br />

vielleicht auch bei Donald zur Selbsterkenntis geführt.<br />

Nach Sigmund Freuds Libidotheorie kann das hilfreich sein.“<br />

„Was soll denn das sein: Libidotheorie?“<br />

„Die Energie des Sextriebs. Eine Theorie, die womöglich<br />

viele Phänomene von Donalds krankem Seelenlebens<br />

erklären könnten.“<br />

„Glaube ich nicht. Donald ist eher so was wie ein soldatischer<br />

Mann.“<br />

„Ein was?“<br />

„Donald nähert sich jeder Frau in einer Mischung aus<br />

Angst, Mystifizierung, Verklärung, Herabsetzung und<br />

Gewalttätigkeit.“<br />

„War Donald Ihnen gegenüber gewalttätig?“<br />

„Nein. Es war anders. Ich kann es nicht erklären.“<br />

„Hat Donald um sich geschlagen, wenn es nicht mehr<br />

anders ging?“<br />

„Nein. Aber er hat mich komplett entsexualisiert.“<br />

„Was heißt das?“<br />

„Er hat bloß fantasiert, statt mich real zu begehren. Er hat<br />

mich zum toten, idealisierten Objekt erhöht. Das alles,<br />

um nur ja keinen realen Kontakt erleben zu müssen.“<br />

„Vielleicht war es eine Art psychischer Mord bei lebendigem<br />

Leibe?“<br />

„Ich weiß es nicht. Er hat jedenfalls einen Hass gegen mich<br />

gezeigt, der in Wahrheit gegen sich selbst gerichtet war. Und<br />

dazu haben wir Champagner getrunken. Das war alles.“|<br />


14<br />

geld<br />

Die drei Süchte, die den größten Schaden anrichten, sind<br />

EROIN,<br />

KOHLENHYDRATE<br />

UND EIN FESTES<br />

MONATS<br />

GEHALT<br />

Wie wichtig ist Geld?<br />

Ein Gespräch mit dem Philosophen<br />

Dr. Gerhard Hofweber<br />

* aus: „Kleines Handbuch für den Umgang mit Unwissen“ von Nassim Nicholas Taleb


geld<br />

15<br />

Interview: Martina Weinhaus<br />

Stimmen Sie zu, dass das feste Monatsgehalt auf uns wie eine Droge<br />

wirkt?<br />

Nun, wenn als Droge, dann höchstens als Sedativum oder<br />

Narkotikum. Es hat etwas Betäubendes, Einschläferndes. Es<br />

bietet Sicherheit, jedoch nur in materiellem Sinne, und diese<br />

Sicherheit ist trügerisch.<br />

Dennoch streben wir nach dieser Sicherheit.<br />

Das stimmt. Aber dies ist eben ein Zeichen dafür, in welch<br />

tiefer Verunsicherung wir gefangen sind. Wir versuchen, diese<br />

mit materiellem Überfluss zu kompensieren. Da dies aber<br />

nicht gelingt, denken wir, wir bräuchten mehr Geld, immer<br />

mehr Geld. Es ist eher die Sucht nach Sicherheit. Diese finden<br />

wir aber weder im festen Monatsgehalt noch in dem, was<br />

wir anders erwirtschaften.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Auch als Selbstständiger erwirtschafte ich Geld. Aber mein<br />

Einkommen ist viel stärker an die Qualität meiner Leistung<br />

gebunden. Ich muss mich mehr anstrengen, und dies bringt<br />

Vitalität mit sich. Natürlich auch mehr Druck. Für den Angestellten<br />

spielt die Vitalität dagegen keine so große Rolle.<br />

Sie wird gehemmt. Denn egal, wie gut oder schlecht ich eine<br />

Leistung erbringe: Auf mein Monatsgehalt hat das keinen<br />

Einfluss. Es fließt so oder so auf mein Konto.<br />

Aber wird der Mensch, wenn das Geld unmittelbar an die Leistung<br />

gebunden ist, nicht nur noch nach seiner Leistung bewertet?<br />

Richtig. Aber im Arbeitsverhältnis ist das auch ganz adäquat.<br />

Der Lohn ist die Anerkennung meiner Leistung. Bei der Arbeit<br />

sollte ich nicht als Mensch gewürdigt werden, sondern in<br />

meiner Funktion.<br />

Noch mal zurück zur Sehnsucht nach dem Materiellem und der<br />

darin vermuteten Sicherheit. Woher kommt diese Sehnsucht?<br />

Wir haben den Zugang zu der tiefen Dimension unseres Daseins<br />

verloren. Wir finden den Zugang nicht mehr zu unserem<br />

wahren Selbst, dem „inneren Menschen“, wie dies in der<br />

philosophischen Tradition ausgedrückt worden ist. Die obersten<br />

Werte wie Wahrheit, Schönheit und das Gute bestimmen<br />

unser Menschsein nicht mehr. Wir erleben die Störung einer<br />

grundlegenden Ordnung.<br />

*<br />

Welcher Ordnung?<br />

Der tiefen metaphysischen Ordnung der Wirklichkeit, welche<br />

in der Philosophie und den Religionen immer wieder<br />

ausgedrückt worden ist. Ordnung überhaupt heißt, dass alles<br />

proportional zum anderen seinen richtigen Platz hat. Dies beinhaltet<br />

aber, dass es einen objektiv richtigen Platz und eine<br />

objektiv richtige Ordnung gibt. Diese bezieht sich auf alle<br />

Lebensbereiche: auf die Natur ebenso wie auf die Ordnung<br />

unserer Gefühle.<br />

Nein. Was braucht Trauer?<br />

Trauer braucht Hinwendung. Hinwendung statt Ablenkung,<br />

und das meint, sich den tieferen Gefühlsschichten zuwenden,<br />

statt zu versuchen, sich in der äußeren Schicht abzulenken.<br />

Macht Geld glücklich?<br />

Nein. Kann es gar nicht. Weil es nur Mittel zum Zweck ist.<br />

Entscheidend aber ist der Zweck, das Ziel: Wofür und wozu<br />

möchte ich leben? Das ist keine Frage des Geldes. Geld hat<br />

auch gar nicht den Sinn, glücklich zu machen. Genauso wenig<br />

wie die Wirtschaft überhaupt.<br />

Dennoch erleben wir Geld als Freiheit.<br />

Richtig. Aber es ist eine negative Freiheit, die wir erleben.<br />

Eine Freiheit „von“ etwas, von Zwängen. Wir haben Hunger,<br />

also gehen wir einkaufen oder bestellen online etwas zu essen.<br />

Wir schaffen damit die Abwesenheit eines Zwangs, nämlich<br />

Hunger zu haben. Entscheidend ist aber die Freiheit „für“<br />

etwas. Dies ist etwas ganz anderes.<br />

Nämlich?<br />

Die Fragen „Was ist der Sinn meines Daseins?“ „Was will ich<br />

überhaupt?“ „Wofür möchte ich leben?“ „Wozu bin ich hier<br />

auf der Erde?“. Das mag vielen banal oder hoffnungslos naiv<br />

erscheinen, aber es sind philosophische Fragen. Es sind die<br />

Kernfragen des Lebens. Wenn ich mich dieser Erkenntnis<br />

verweigere, verweigere ich mich einem erfüllten Leben.<br />

Wie entkomme ich aber dem Bedürfnis nach materieller Sicherheit?<br />

Das Materielle kann ja gar keine wirkliche Sicherheit bieten.<br />

Wir sehen doch überall, wie groß die Angst bei den Menschen<br />

ist, obwohl wir materiell im Überfluss leben. Sicherheit<br />

bietet der innere Kern. Was gibt mir wirklich Halt im Leben?<br />

Auch hier beginnt die Frage mit einer Frage an mich selbst,<br />

mit einem Weg nach innen.<br />

Dennoch: Wie schafft es ein Familienvater – Mitte dreißig, beruflich<br />

erfolgreich, zwei Kinder, die abends auf ihn warten, ein Haus,<br />

ein Auto, die beide abbezahlt werden müssen –, sich zwischen<br />

Beruf s alltag, der Familie und den Rechnungen noch um die eigene<br />

Erkenntnis zu kümmern?<br />

Es ist heute ein weitverbreitetes Phänomen, dass wir glauben,<br />

hauptsächlich die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen,<br />

so wie Sie es beschreiben. Der Familienvater ist getrieben von<br />

Sachzwängen – das Haus, das Auto –, und dann wollen alle<br />

noch etwas von ihm. Die Kinder wünschen sich, dass abends<br />

vorgelesen wird. Und die Frau möchte auch gesehen werden.<br />

Funktioniere ich nur noch, dann crasht es irgendwann. Worauf<br />

es dann ankommt ist, das Steuer des Kahns, mit dem ich<br />

auf dem Fluss des Lebens fahre, wieder selbst zu übernehmen.<br />

Sich zu fragen: Will ich das überhaupt? Ist das das Leben, das<br />

ich leben möchte? Oder erfüllle ich nur die Erwartungen anderer?<br />

Wie äußert sich diese Ordnung?<br />

Die äußere Dimension ist die des Angenehmen und Unangenehmen.<br />

Diese Ebene ist am ehesten herstell- und manipulierbar.<br />

Der gesamte Konsum und alles, was ich mir für Geld<br />

kaufen kann, berührt genau diese Dimension. Die tieferen<br />

Dimensionen dagegen können durch Geld weder berührt<br />

noch manipuliert werden.<br />

Aber Geld kann meinen Gefühlszustand beeinflussen.<br />

Auf der äußeren Ebene: ja. Es wird ja auch als Macht erlebt,<br />

wenn ich meine Gefühle selbst beeinflussen und herstellen kann,<br />

und es macht Spaß, zum Beispiel mit einem Cabrio zu fahren.<br />

Aber hilft Ihnen das Cabrio, wenn Sie in tiefer Trauer sind?<br />

Reicht das aus?<br />

Nein, aber es ist der Anfang. Der notwendige Anfang. Ansonsten<br />

bleibe ich im Absurden und kann darin nicht glücklich<br />

werden. Und der Witz ist doch der: Das gestresste Leben<br />

und die Überforderung sind so „normal“ geworden, dass wir<br />

glauben, es müsse so sein. Dabei ist genau dies die Störung der<br />

Ordnung, von der ich sprach.<br />

Sind wir geldgieriger geworden?<br />

Ja. Weil nur noch das Geld als letzter Wert gesehen wird, der<br />

mir Sicherheit gibt. Davon brauchen wir dann immer mehr.<br />

Wie ein Kranker, der seine Medizin braucht. Insofern macht<br />

der falsche Bezug zum Geld abhängig statt unabhängig.|


16<br />

unbedeutende menschen<br />

Kann ich was?<br />

Susanne Lehmann, 44 Jahre, hält sich für unbedeutend. Die Sekretärin<br />

arbeitet in einer niedersächsischen Kleinstadt und ist unfreiwillig Single. Sie schreibt<br />

täglich eigene Texte, die sie selbst „nicht wirklich gut“ findet. Wie diesen.<br />

MMein gebraucht gekauftes Ikea-Regal ist noch aus der alten Serie, heißt<br />

also noch „Expedit“ und nicht „Kallax“. Und das stört mich. Nicht, dass<br />

es „Expedit“ heißt. Es könnte auch „Otto Regenhagel“ oder „Fritz Wilhelm<br />

Friedrich von Mittendrein-Zwetschger“ heißen. Aber es hat andere<br />

Maße. Die alte Serie ist etwa zwei Zentimeter höher und breiter. Das ist<br />

unkritisch, solange das Regal frei steht. Tut es aber nicht. Auf und neben<br />

dem „Expedit“ stehen „Kallaxe“, drei insgesamt. Der Unterschied fällt auf.<br />

Also, klar: mir. Andere würden sagen: Ist doch völlig Regal. Aber mir nicht.<br />

Ich werde mich immer an diesen zwei Zentimetern stören.<br />

Vivienne Westwood, 74, aus London, rät, Bücher zu lesen, Ausstellungen<br />

zu besuchen und sich mit Geschichte zu beschäftigen. Dies sei ihr Erfolgsrezept.<br />

Wer nicht kulturell gebildet sei, könne keine Ideen haben. Das habe<br />

ich gelesen und für gut befunden. Auch wenn es gerade nicht hilft.<br />

Fahre ich zu Ikea und investiere 25 Euro in ein neues, passendes Regal?<br />

Das gerade erstandene habe ich so sehr geschrubbt, dass man es ohne<br />

Probleme weiterverkaufen könnte. Der Dreck auf dem Regal ist weg, nur<br />

die Macken lassen sich nicht wegschrubben, das ist wie bei Menschen<br />

auch. Die Dellen und Schrammen bleiben, da kannste nix machen.<br />

Es ist nicht einfach. Zumindest für mich. Ich bin allein und bleibe es wohl<br />

auch. Mit mir selbst komme ich gut klar und langweile mich nicht. Wenn<br />

ich immer noch fünf Jahre alt wäre, würden meine Eltern nicht ohne<br />

Stolz sagen, dass ich mich schon ganz gut allein beschäftigen kann.<br />

Im Leben gibt es ja auch genug spannende Probleme zu lösen. Zum Beispiel<br />

das mit den Regalen. Aber ich muss auch damit klarkommen, dass<br />

ich allein sterben werde. Das Problem dabei ist, dass es noch nicht so<br />

weit ist. Wenn jetzt einer sagen würde: „Hast noch ein halbes Jahr“, na,<br />

dann wüsste ich ja, dass das Leid und Elend bald ein Ende hätte. Aber<br />

so? Ich baue mir meine eigene Welt, und in der finde ich mich bestens<br />

zurecht. Das ist wahnsinnig mysteriös – ein Habitus, der sehr anziehend<br />

auf Männer wirkt, wie ich feststellen konnte.<br />

Neulich habe ich mir eine Jacke bei Tchibo gekauft. Eine gewöhnliche<br />

braune Strickjacke. Als ich damit zur Kasse ging, sprach die Verkäuferin<br />

einen ihrer Standardsätze: „Die soll’s sein? Sehr gerne. Das ist ja auch<br />

mal was ganz anderes.“ Ach, ist das so?, fragte ich mich. Was soll an<br />

dieser Strickjacke anders sein? Braun, zwei Ärmel, Knöpfe – ich kann da<br />

keine bahnbrechende Neuerfindung erkennen. Wozu auch? Das Prinzip<br />

ist durchaus bewährt. Ich überlege kurz, ob ich das antworte, was mir auf<br />

der Zunge liegt: „Was ganz anderes? Um Himmels willen, dann will ich<br />

die doch nicht! Ich möchte das, was alle anderen haben.“ Dazu könnte<br />

ich eine leichte Atemnot vortäuschen. Tue ich nicht. Aus Sorge um die<br />

Verkäuferin, die dem nicht gewachsen sein könnte.<br />

Wenn ich was ganz anderes sehen möchte, sehe ich fern. Dort erfährt<br />

man zum Beispiel, dass es in Jerusalem Schabbat-Gois gibt – Helfer,<br />

die den Menschen in Israel am Schabbat helfen. Und die brauchen sie<br />

auch. Der Schabbat beginnt jeden Freitagabend und dauert 24 Stunden.<br />

Während dieser Zeit darf man weder arbeiten noch einen Lichtschalter<br />

bedienen. Macht man versehentlich das Licht an, und es ist Schabbat,<br />

dann darf man es nicht wieder ausmachen. Dafür muss dann der Schabbat-Goi<br />

kommen. Genau genommen darf man den auch nicht bitten,<br />

das zu tun, was er doch bitte tun möge – er muss es von selbst erkennen.<br />

Voraussetzung für einen solchen Schabbat-Goi ist, dass er selbst kein<br />

Jude ist. Ihm beibringen, was er wissen muss, damit er seinen Job tun<br />

kann, das muss man vor dem Schabbat erledigen. Denn am Schabbat darf<br />

man ja nicht arbeiten. Wohl aber duschen. Ein Mann in dem Bericht,<br />

den ich gestern gesehen habe, hat geduscht und dabei versehentlich das<br />

warme Wasser angedreht. Ein Schabbat-Goi musste her, um das warme<br />

Wasser wieder abzustellen. Außerdem wurde eine Frau gezeigt, die einen<br />

Schabbat-Goi zu Hilfe rufen musste, weil sie das Licht in ihrem Kühlschrank<br />

angelassen hatte. Nun war die Kühlschranktür offen, das Licht<br />

an, und sie durfte die Tür nicht wieder schließen. Denn damit würde sie<br />

ja ein weiteres Mal die Regeln des Schabbat brechen. Ein Teufelskreis.<br />

Die Absurditäten des Lebens findet man auch, wenn man nicht danach<br />

sucht. Gestern um halb sieben war Herr Otto bei mir, ein Mann in<br />

den Sechzigern, ehemaliger Kunstdozent an Hochschulen. Ich hätte<br />

mich gerne mit ihm unterhalten, aber er war da, um CD-Regale abzuholen,<br />

und nicht, um mir Kunstgeschichte beizubringen. Schade<br />

eigentlich. Meine CD-Regale sind verkauft – die freigelegte weiße Wand<br />

kann wieder atmen. Nun könnte das Zimmer allerdings wieder etwas<br />

Farbe vertragen.<br />

Apropos Farben. Herr Otto hatte unterschiedlich farbige Schuhe an. Auf<br />

seine Schuhe hätte ich gar nicht geachtet, wenn er sie nicht ausgezogen<br />

hätte, um auf den Stuhl zu turnen, um das Regal von der Wand zu<br />

schrauben. Schlichte glattlederne Herrenschuhe, der eine in einem warmen<br />

Braunton, der andere in einem hellen Beigeton. Gleiche Farbfamilie,<br />

aber total unterschiedlich. Es war nicht so, dass einer der Schuhe zu lange<br />

in der Sonne gestanden hätte, sie waren durchaus vorsätzlich so gestaltet.<br />

Ich fragte ihn, ob er die Schuhe so gekauft oder ob er zwei Paar baugleiche<br />

Modelle in unterschiedlichen Farben erworben hätte und diese dann<br />

untereinander ausgetauscht. Nein, er hat sie so gekauft.<br />

Ich finde das gut. Warum sollen Schuhe immer gleich aussehen, nur weil<br />

sie ein Paar sind? Bei Menschen erwartet man das ja auch nicht, obwohl<br />

Menschenpaare sich mit der Zeit optisch einander durchaus angleichen.<br />

Gleiche Regenjacken, identische Armbanduhren. Falls diese Schuhidee<br />

noch kein neuer Trend ist, sollte ich vielleicht damit anfangen.<br />

Wie Frau Westwood schon sagte, versuche ich die Welt zu verstehen,<br />

um die eigenen Ideen zu verwirklichen. Und ich weiß nicht, was<br />

schwieriger ist.|<br />

Hältst auch du dich für unbedeutend?<br />

Wir möchten dir das Gegenteil beweisen.<br />

Schick uns deine Geschichte:<br />

redaktion@millionways.org


chancen<br />

17<br />

HANS WERNER<br />

69 Jahre, lebt auf der Insel Ærø, Dänemark<br />

Ich bin: Auswanderer, Schlossermeister, passionierter Bootsbauer<br />

Ich biete: eine Flotte mit neun Segel- und Motorbooten, eine Bootswerft<br />

mit Charterbetrieb mit Kunden aus Deutschland, der Schweiz und<br />

Holland, fachliche Unterstützung rund um den Bootsbau, Weitergabe<br />

meines Wissen und meiner Erfahrung<br />

Ich suche: eine oder einen NachfolgerIn für die Bootswerft und den<br />

Charterbetrieb – einen jungen Menschen mit Arbeitsdrang und Durchhaltevermögen,<br />

der lernwillig, loyal, ehrlich und voller Energie ist<br />

LILO KREBERNIK<br />

41 Jahre, aus Wien, Österreich<br />

Ich bin: Skateboarder, Snowboarder, Illustrator, Kurator<br />

und Familienvater<br />

Ich biete: mein Wissen aus der Arbeit in subkulturellen<br />

Umfeldern, wie Skateboard-Events oder Streetart-Workshops.<br />

Zudem habe ich Erfahrung mit Projekten, die Besucher vor<br />

Ort mitgestalten können<br />

Ich suche: spannende Flächen, auf oder in denen man<br />

Projekte dieser Art umsetzen kann (z. B. Skateparks), sowie<br />

Räume, in denen man vor allem auch Familien erreicht.<br />

Welche Träume könntest du anderen erfüllen?<br />

Foto: Manuel Peric<br />

ANKE RAMMÉ<br />

52 Jahre, aus Schwabsoien<br />

Ich bin: freiberufliche Künstlerin und<br />

Mutter von zwei erwachsenen Kindern<br />

Ich biete: Kurse und Fortbildungen in<br />

verschiedenen kreativen Methoden, freie<br />

Aktionskunst für Kinder, Frauen und Familien;<br />

Körpermalerei, Lachyoga-Gruppenleitung,<br />

Konzeption und Durchführung von sinnvollen<br />

Events für Kinder<br />

Ich suche: Veranstalter für Aktionskunst und<br />

Fachfortbildungen im sozialen und<br />

therapeutischen Bereich sowie kreative<br />

Mitarbeiterinnen für vielfältige Aufgaben<br />

von Gipsformen gießen bis Zimmer streichen<br />

oder Dachrinnen befestigen<br />

CLAUDIA DREYER<br />

53 Jahre, aus Bad Homburg<br />

Ich bin: Personalleiterin und Buchhalterin. Im März 2016 habe ich mich<br />

entschlossen, meinen Job und meine Wohnung aufzugeben, um reisend Neues<br />

zu lernen und unterwegs zu arbeiten. Die Reise geht bereits im Dezember los!<br />

Ich biete: Achtsamkeit und Meditation sowie Buchhaltungs-Workshops<br />

für Existenzgründer und Kleinunternehmer. Zudem faszinieren mich<br />

Herzensverbindungen, und ich biete Flirt-Workshops an<br />

Ich suche: neue Herausforderungen und Menschen, die mir auf meiner Reise<br />

Aufgaben stellen<br />

FRANZISKA REIF-BAUMÜLLER<br />

30 Jahre, aus Hessdorf (Erlangen)<br />

Ich bin: Reiseorganisatorin, ehrenamtliche Hundeführerin und Entwicklungshelferin<br />

Ich biete: Organisation von Reisen rund um die Entwicklungshilfe (z. B. Krankenhausbau in Uganda),<br />

Organisation von Rundreisen in Afrika, USA und Europa; Begeisterung für soziales Engagement<br />

Ich suche: ein individuelles Reisebüro zum Nebenbei-Arbeiten, Menschen mit Erfahrungen und Projekten<br />

in Entwicklungshilfe und alternativem Reisen für Austausch und Zusammenarbeit<br />

Vernetzt euch über www.millionways.org


18<br />

provokation<br />

Was treibt ihn an?<br />

Lernen von Arschlöchern<br />

mit Matthias Matussek


provokation<br />

19


20<br />

provokation<br />

Verbrecher, Provokateure, umstrittene Figuren – auch sie<br />

haben das Potential, die Welt zu verändern. Oder sie zumindest<br />

aufzuregen. Wie Matthias Matussek, Journalist,<br />

Katholik und die Hassgestalt aller Linksliberalen der Republik.<br />

Text: Gerrit Wustmann, Fotos: Axel Martens<br />

A<br />

Als Jugendlicher kiffte er und wohnte in einer Mao-WG.<br />

Heute lebt er in seinem Penthouse in Hamburg und steht<br />

auf Glaube, Familie und Patriotismus. Bis 2008 leitete er das<br />

Kulturressort beim „Spiegel“ und soll dort gern mal seine<br />

Untergebenen niedergebrüllt haben. In der „Welt“, die ihm<br />

nach dem Ende der „Spiegel“-Zeit Asyl geboten hatte, lieferte<br />

er sein Outing: „Ich bin wohl homophob. Und das ist gut so.“<br />

Das brachte ihm eine Abmahnung ein. Endgültig genug hatte<br />

man, als er nach den Terroranschlägen Ende 2015 in Paris<br />

auf Facebook schrieb: „Ich schätze mal, der Terror von Paris<br />

wird auch unsere Debatten über offene Grenzen und eine<br />

Viertelmillion unregistrierter junger islamischer Männer im<br />

Lande in eine ganz neue frische Richtung bewegen“ – garniert<br />

mit einem Smiley. Sein Chefredakteur Jan-Eric Peters<br />

attestierte ihm: „Durchgeknallt.“ Dann wurde Matusseks<br />

vermeintliche Antwort publik: Er habe seine Vorgesetzten<br />

„Arschlöcher“ genannt. Stimmt gar nicht, dementierte sein<br />

Anwalt kurz darauf. Am Rauswurf änderte das nichts.<br />

Arschloch hin, Arschloch her – Matthias Matussek hat sich<br />

die Titulierung schon mehrmals eingefangen. In der „tip“<br />

wurde er auf, ausgerechnet!, Platz 13 der „100 größten Arschlöcher<br />

der Nation“ gewählt. „Ich habe mir die Rolle nicht<br />

ausgesucht – in die bin ich reingeboren worden“, sagt er und<br />

erzählt, wie er als Kind versuchte, über einen Aschehaufen<br />

zu springen, den seine Brüder auf Mutters Weisung pflichtschuldigst<br />

umgingen – natürlich landete er mittendrin. War<br />

das so was wie die harmlose Version des späteren Matthias<br />

M.? Ist also alles gezielte Provokation? „Nein! Das blubbert<br />

nicht einfach so raus – das ist schon überlegt. Ich hab ja<br />

immer schon eine Schwäche für Dissidenten gehabt.“<br />

Aber was motiviert Matussek, was treibt ihn an in seinem<br />

Feldzug gegen Feminismus, Diversität, Kirchenkritik und all<br />

die anderen hart erkämpften Errungenschaften?<br />

Der „Spiegel“-Titel „Die vaterlose Gesellschaft“ war einer<br />

der ersten großen Aufreger. Dieses Feminismus-Ding –<br />

„Die Entmachtung der Väter in der Familie“ –, das hielt er<br />

„für ein großes Verhängnis“. Fast wäre aus dem Titel nichts<br />

ge worden, weil die Frauen in der Redaktion, sagt er, Unterschriften<br />

dagegen gesammelt hätten.<br />

So gern Matussek gegen den Islam keilt: Sobald es gegen<br />

seine Kirche geht, zieht er eine Schnute: „Mich hat das Gequatsche<br />

gegen die Kirche so angeödet! Es ging immer nur<br />

um Oberflächlichkeiten, um Prunk und Amtskirche und so<br />

weiter. Und ich sage: Nein, Moment – für mich ist die Kirche<br />

wichtig!“ Dass die Deutschen immer so schlecht über<br />

ihr Land reden, vor allem im Ausland, auch davon ist er<br />

angekratzt, schrieb sogar ein Buch darüber: „Wir Deutschen.<br />

Warum uns die anderen gern haben können“. „Das habe<br />

ich wirklich nicht nur provokatorisch, sondern buchstäblich<br />

genommen.“ Denn Patriotismus könne auch „fröhlich“ sein: Das<br />

Buch erschien 2006 zur Fußball-WM. Das fand Matussek<br />

nicht schlecht, denn da wurde die Fahne auf einmal „nicht<br />

mehr nur von Skinheads und dem Rechtspack geschwenkt,<br />

sondern von Familienvätern, jungen, hübschen Frauen und<br />

so weiter“. Apropos Rechtspack: Matussek gab der „Jungen<br />

Freiheit“, der Hauspostille der Neuen Rechten, gern ein<br />

Interview. Weil er sie für „eine sehr gute Zeitung“ hält.<br />

Die Provokation funktioniert. „Du wirst zu Höchstleistungen<br />

angespornt, wenn du provoziert wirst. Ich war in einigen<br />

Talkshows, wo ich mich sehr danebenbenommen habe. Aber<br />

letztlich war mein Verhalten genau richtig. Provokationen<br />

können durchaus nützlich sein und Anstöße geben.“<br />

Hat Matthias Matussek denn auch mal wirklich übertrieben<br />

statt nur überspitzt? Bereut er etwas? Er schrieb mal, die<br />

homosexuelle Liebe sei defizitär. „Dann schrieb mir später<br />

ein schwuler bekannter Rechtsanwalt: Das ist falsch, weil<br />

die Liebe genauso groß ist wie bei den Heteros. Das tat<br />

mir dann leid! Das habe ich auch hinterher widerrufen, ja.“<br />

Also doch: nur so rausgeblubbert. In Kombination mit dem<br />

abgewandelten Wowereit-Zitat im Titel ergab das alles<br />

einen beachtlichen Shitstorm. Wie er damit klarkommt?<br />

„Ich habe mich sehr oft selber zum Gespött gemacht, mit<br />

wachsender Begeisterung.“<br />

Die Ergebnisse sind dennoch Abmahnung und Rausschmiss.<br />

Und wie reagiert er darauf? „Eigentlich mit Verachtung,<br />

muss ich sagen. Aber ich bin ja nicht nachtragend, ich kann<br />

so was ziemlich schnell vergessen. Aber in dem Moment<br />

selber ist das ein ziemlicher Einschnitt. Wenn die Leute<br />

nicht kapieren, dass zum Journalismus die Meinungsfreiheit<br />

dazugehört.“<br />

Wenn man seinen Job ernst nimmt, sagt Matussek, „und<br />

wenn die Lebenszeit knapp wird, dann konzentrierst du dich<br />

auf die Sachen, die dir wirklich wichtig sind. Und ich bin in<br />

einem Alter, wo die letzte Abfahrt bevorsteht – da mache<br />

ich natürlich die Dinge, von denen ich glaube, dass es sich<br />

lohnt, dafür zu sterben, auf die Barrikaden zu gehen.“ Auf<br />

die Barrikaden gehen, um niederzubrüllen, was andere jahrhundertelang<br />

mühsam erkämpfen mussten – man könnte<br />

meinen, in einen Aschehaufen zu hüpfen wäre die gesellschaftlich<br />

bedeutendere Kunst.<br />

Und woran denkt Matussek heute beim Schreiben? „Also,<br />

ich muss zugeben, dass ich manchmal an erbitterte Gegner<br />

denke. Das feuert mich an.“<br />

Philip Roth sagte mal: „Das Kapital eines Schriftstellers sind<br />

das Gift und die Galle, die in einem stecken.“ Als hätte er<br />

dabei an Matthias Matussek gedacht.|


chancen<br />

21<br />

ANGELA PAUL<br />

48 Jahre, lebt auf der Insel Föhr<br />

Ich bin: kreativ, liebe Tiere und würde<br />

am liebsten mit Pferden, Hunden und<br />

Menschen zusammenarbeiten. Außerdem<br />

schreibe ich, und ich male gern<br />

Ich biete: Know-how in Beziehungen<br />

zu Menschen und Tieren, um wieder<br />

zu sich selbst zu finden. Workshops zur<br />

Angstüberwindung<br />

Ich suche: Gleichgesinnte und Menschen,<br />

die Unterstützung brauchen<br />

Macht dich dein Hobby<br />

glücklicher als dein Beruf?<br />

Foto: Benne Ochs<br />

SUSANN MÜLLER<br />

34 Jahre, aus Freiberg<br />

Ich bin: Prokuristin, Assistentin der Geschäftsleitung der Frolyt Kondensatoren<br />

und Bauelemente GmbH und ein kreativer Kopf voller Ideen<br />

Ich biete: Aluminium-Elektrolytkondensatoren made in Germany; einen<br />

Maschinenbau, der von der Konstruktion bis zur Inbetriebnahme Automationssysteme<br />

umsetzt; ein kreatives Team aus Fachleuten, die offen für Neues sind<br />

Ich suche: Projekte und Ideen, die bis zur Serienreife durchdacht werden wollen – vor<br />

Ort, um den Standort Deutschland zu stärken<br />

CHRISTIAN KÄMPER<br />

40 Jahre, aus Handewitt<br />

Ich bin: Sänger der Band DUK, kreativer<br />

Querkopf, Songwriter. Als Musiker spiele ich Gitarre,<br />

singe und schreibe eigene Songs<br />

Ich biete: eine gut aufgestellte dreiköpfige Band mit<br />

eigenen Rocksongs und deutschen Texten<br />

Ich suche: einen Charakterkopf aus dem Musikbusiness,<br />

der sich gerufen fühlt, unsere Musik zu etablieren und<br />

zu vermarkten<br />

RÜDIGER ELKE<br />

47 Jahre, aus Hattersheim<br />

Ich bin: Diplom-Ingenieur, CAMINO-Coach und Lebens traum-<br />

Lotse<br />

Ich biete: Ich bin 3500 Kilometer zu Fuß durch<br />

Deutschland gewandert, um meine Berufung zu finden.<br />

Dabei habe ich Menschen kennengelernt, die ihre<br />

Herzenswünsche verwirklicht – oder aufgegeben haben.<br />

Nun möchte ich andere bei der Berufsfindung und<br />

Lebenstraum-Verwirklichung unterstützen. Dafür habe<br />

ich Caminoconcept entwickelt<br />

Ich suche: deutschlandweite Vortragsveranstalter, kreative<br />

Onlinemarketing-Profis und Projektmanager, die mich<br />

bei meiner Caminoconcept-Strategie unterstützen<br />

sowie kreative, sympathische Webdesigner, die meinen<br />

aktuellen Webauftritt caminoconcept.net verschönern<br />

Vernetzt euch über www.millionways.org


22<br />

vision<br />

Martin Cordsmeier, millionways<br />

Wer sind wir, und was wollen wir?<br />

Text: Martin Cordsmeier, Foto: Axel Martens<br />

Ich habe es immer geliebt, mit Menschen über ihr Leben und ihre Geschichte<br />

zu sprechen. Ich glaube, ich war 20 und gerade im Zivildienst,<br />

als ich damit angefangen habe. Mich haben Lebensläufe interessiert –<br />

genau wie die Frage, warum so wenige wirklich komplett glücklich damit<br />

sind, was sie erreicht haben. Gerade im Gespräch mit älteren Menschen<br />

wurde mir klar, dass sich deren bisheriges Leben an ganz wenigen Punkten<br />

entschieden hat. Die Wahl des Studiums oder des Partners konnte dabei<br />

genauso folgenschwer gewesen sein wie eine Kleinigkeit: zum Beispiel ein<br />

einziger Krankheitstag bei einer wichtigen Klausur.<br />

Diejenigen, die zufrieden waren, hatten anscheinend oft „Glück“ gehabt,<br />

häufig, weil sie zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Leuten begegnet<br />

sind – und dadurch zum Beispiel auf eine Geschäftsidee oder zu einem<br />

Arbeitsplatz gekommen waren.<br />

Ich fragte mich, ob man diese „Glücksfälle“ nicht vermehren könne. Dass<br />

diese Gespräche irgendwann die Grundlage für meinen eigenen Weg, die<br />

Stiftung millionways, sein würden, ahnte ich damals nicht.<br />

Warum also finden viele ihren Weg nicht? Oder kommen davon<br />

ab? Eine meiner möglichen Antworten: Bereits in der Schule lernt<br />

man, Konventionen zu folgen, die eigene Persönlichkeit zu verleugnen,<br />

sich in eine Gruppe einzufügen und Regeln unterzuordnen. Nicht<br />

aber, etwas aus sich zu machen. Für eine individuelle Talentförderung<br />

ist in der Schule wenig Platz, zumindest nicht im alltäglichen Lehrplan.<br />

Später versteckt man bei Vorstellungsgesprächen seine wahre Persönlichkeit,<br />

und in der Arbeitswelt setzt sich die Fremdbestimmung fort.<br />

Was in all den Biografien der Menschen auffiel, mit denen ich gesprochen<br />

hatte: In jedem Menschen steckt ein Talent – definiert man „Talent“ so,<br />

dass es zum Beispiel auch Disziplin, Eloquenz, Empathie oder strukturiertes<br />

Denken umfasst.<br />

Das eigentliche Talent, das in einem steckt, lässt sich wohl am ehesten als<br />

„das, was von selbst da ist“ beschreiben. Also das, was man als Kind schon<br />

gut konnte, was einen glücklich macht, während man es tut. Bei einigen<br />

Kindern ist das das Ausdenken von immer neuen Spielen, das Malen, das<br />

absolute Gehör bei Musik oder das „In-sich-Versinken-und-Denken“. Einige<br />

lernen extrem schnell lesen, andere können spielend mit Zahlen umgehen,<br />

wieder andere haben eine außergewöhnliche Sprachbegabung oder<br />

sind physisch und mental, quasi von Geburt, an Sportler.<br />

All diese Naturtalente sind auch im Erwachsenenalter noch da. Wenn<br />

man sich das bewusst macht oder wieder darauf gestoßen wird, dann fallen<br />

einem schnell Dinge ein, die man daraus machen könnte: Eloquente<br />

Menschen mit angeborenem Charme moderieren Veranstaltungen, disziplinierte<br />

idealistische Handwerker bauen gemeinsam mit anderen einen<br />

Biohof auf, und introvertierte belesene Denker können bei der Entwicklung<br />

einer Vertriebsstrategie zur perfekten Ergänzung all der extrovertierten<br />

Impulsmenschen werden.<br />

Aber nur die wenigsten wissen eine Antwort, wenn man sie fragt, wo ihre<br />

Stärken gebraucht werden könnten. Meist wissen sie nicht mal, dass es<br />

Stärken sind – denn was man selbst gut kann, kommt einem oft einfach<br />

nur „normal“ vor.<br />

millionways vernetzt Menschen mit der Möglichkeit, die eigenen Stärken<br />

zu erkennen und daraus etwas Reales zu machen.<br />

In den vergangenen drei Jahren haben wir in einer nichtöffentlichen Phase<br />

in Telefoninterviews herausgefunden, dass es meistens nicht das Geld ist,<br />

das für die Verwirklichung eigener Träume fehlt. Sondern Mut, Wege –<br />

und, vor allem, andere Menschen, mit denen zusammen man etwas aufbauen<br />

kann. Die einen verstehen und gleichzeitig ergänzen.<br />

Wer sich bei millionways anmeldet, lernt Möglichkeiten kennen, mehr aus<br />

sich zu machen. Sei es ein ehrenamtliches Engagement, ein passenderer<br />

Job – oder eben: andere Menschen, mit denen man Projekte oder Geschäftsideen<br />

umsetzen kann. Wir haben in einer ersten Testphase 5000<br />

Menschen interviewt, mit anderen vernetzt, und es sind 300 Projekte dabei<br />

entstanden. Bis August 2016 haben wir daraus gelernt und eine technische<br />

und personelle Infrastruktur entwickelt. Jetzt ist millionways so weit, in die<br />

Öffentlichkeit zu starten.<br />

Ich meine, es sollte nicht nur einen „Beruf“ und eine „Freizeit“ geben, sondern<br />

ein Leben, in dem verschiedene Facetten der eigenen Persönlichkeit<br />

Platz finden. Beispiel: Man kann gut rechnen, Menschen beraten und Bilanzen<br />

erstellen – also verdient man sein Geld als Steuerberater. Gleichzeitig<br />

ist man aber Familienvater, der einen Versand für Geburtstagsboxen für<br />

Kinder erfunden hat. Und ein leidenschaftlicher Maler, der von Zeit zu<br />

Zeit gern mal eine Illustration für Zeitschriften machen würde. Irgendwann<br />

wird jede dieser Facetten gebraucht – wir brauchen nur die Wege.<br />

Wir leben heute in einer Zeit, in der Selbstentfaltung Normalität werden<br />

kann. Die glücklichen Menschen, die sich komplett ausleben können, sollten<br />

nicht länger die Ausnahme sein. Früher wäre das nicht möglich gewesen,<br />

denn in der Nachkriegszeit und den darauf folgenden Jahrzehnten<br />

vernachlässigten die Menschen ihre eigentlichen Ziele, Träume, Antriebe<br />

und Talente, um dem Aufbau der Gesellschaft zu dienen. Dieser Zwang<br />

ist lange vorbei – und trotzdem leben wir bis heute so weiter. Das mag wie<br />

ein dekadentes Luxusproblem erscheinen, aber das ist es nicht: Unzufriedenheit<br />

und Unnatürlichkeit haben Folgen – wie Kriminalität, Krankheit<br />

oder zumindest ein vergeudetes Potential.<br />

Jetzt besteht die Chance, umzudenken und unser Leben nach eigenen Vorstellungen<br />

zu gestalten. Anfangen kann man, indem man sich zum Beispiel<br />

die Fragen stellt, die ganz zu Beginn unseres <strong>Magazin</strong>s stehen.<br />

Und wenn einige – und dann immer mehr – Menschen ihre persönliche<br />

Welt verändern, ändert sich im Laufe der Zeit auch die große Welt, in der<br />

wir alle leben.<br />

Das nennen wir Potentialismus.|<br />

Martin Cordsmeier ist der Gründer der gemeinnützigen Stiftung millionways.<br />

Im Frühjahr 2017 wird sein Buch im Econ Verlag erscheinen.<br />

www. millionways.org


impressum<br />

23<br />

IMPRESSUM<br />

millionways – magazin für potentialismus<br />

Herausgeber: millionways Stiftung, Potsdamer Platz 10, 10785 Berlin<br />

Vorstand: Martin Cordsmeier (V.i.S.d.P.)<br />

Konzept und Redaktionsleitung: Natalia Sadovnik<br />

Kreativ Direction: MagNetic <strong>Magazin</strong>e Network, www.magneticmagazines.de<br />

Art Direction: Mark Ernsting, Stefan Kiefer<br />

Fotos: Axel Martens, Benne Ochs, Manuel Peric<br />

Autoren: Andreas Donder, Tom Kummer, Susanne Lehmann, Martina Weinhaus,<br />

Gerrit Wustmann<br />

Illustrationen: Josef Schewe, Robin Thiesmeyer/meta bene<br />

Beratung und Produktion: Jan Florian Maas<br />

Verlag: TEMPUS CORPORATE GmbH – Ein Unternehmen des ZEIT Verlags,<br />

Buceriusstraße, Ecke Speersort 1, 20095 Hamburg<br />

Geschäftsführung: Ulrike Teschke, Jan Hawerkamp<br />

Projektleitung: Jasmin Kistner<br />

Schlussredaktion: Frauke Franckenstein<br />

Herstellung: Dirk Woschei<br />

Druck: appl druck GmbH, Senefelderstraße 3–11, 86650 Wemding


1. Hier falten<br />

4. Hier ausmalen *<br />

2. Jetzt schneiden<br />

3. Hier einreißen<br />

* Folge nicht den Anweisungen anderer.<br />

Folge deinem Potential<br />

www. millionways.org

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