28.11.2016 Aufrufe

Magazinkatalog Sevilla

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Kein Haus ohne Kacheln<br />

Einzeln betrachtet, sind es nur kleine, farbig glasierte Keramikplättchen.<br />

Zusammengesetzt zu hunderten und tausenden, ergeben sie jedoch<br />

wandgroße Kunstwerke aus Farben und Formen. Fliesen sind ein Wahrzeichen<br />

Andalusiens. Hält man die Augen offen, entdeckt man sie an<br />

jeder Ecke.<br />

Ob in den prächtigen Reales Alcázares, den Königlichen Gärten in <strong>Sevilla</strong>,<br />

in den schattigen „patios“, den kühl-grünen Innenhöfen des Stadtviertels<br />

Santa Cruz oder an den fantastischen Verzierungen auf der<br />

Plaza España im Stadtzentrum – die blauen, buttergelben oder orangeroten<br />

Fliesen verzieren so manches berühmte Bauwerk von <strong>Sevilla</strong>.<br />

Azulejos heißen die Bilder aus mehreren bemalten Fliesen, die man<br />

in <strong>Sevilla</strong> überall im Stadtbild erblicken kann. Detaillierte Landschaftsbilder,<br />

Szenen aus dem Leben von Bauern und Fischern oder Stillleben<br />

schmücken Gebäude und Geschäfte von innen und außen,<br />

Heiligengeschichten findet man an den Wänden von Kirchen und<br />

Kathedralen. Auch viele orientalische Ornamente entdeckt man in<br />

diesen Bildern.<br />

Als Erfinder der Azulejos gelten die Mauren. Sie brachten die<br />

Keramikfliesen zusammen mit ihrem distinktiven orientalischen<br />

Baustil im Mittelalter aus Nordafrika mit. Ihre Fliesengemälde<br />

bestanden vor allem aus abstrakten geometrischen<br />

Motiven. Da der Islam es untersagt, Abbilder von<br />

Menschen, Tieren oder Pflanzen zu schaffen,<br />

drücken sich die muslimischen Künstler stattdessen<br />

mit geometrischer Ornamentik aus, erschaffen<br />

filigrane Kunstwerke aus Schrift und Mustern.<br />

Die absolute Krönung, sozusagen die „Mutter<br />

aller Fliesen“, findet man daher in den heute<br />

noch erhaltenen maurischen Bauwerken<br />

in Andalusien: Tausende kleiner und großer<br />

Mosaikfliesen schmücken Böden, Wände und<br />

Decken in den Räumen und Höfen der „Palacios<br />

Nazaries“. Der von den maurischen Nasriden-<br />

Herrschern errichtete Palast liegt verborgen zwischen<br />

einer Vielzahl weiterer Gebäude im riesigen Schlosskomplex<br />

der Alhambra in Granada – und ist doch zwischen der<br />

imposanten Zitadelle, den lauschigen Gärten des Generalife<br />

und der Medina der unangefochtene Star.<br />

Ebenso imposant und gleichzeitig filigran-elegant wirkt die Mezquita-<br />

Catedral in Cordoba, eines der größten Sakralgebäude der Welt.<br />

Auch nach der „Reconquista“, der Rückeroberung Südspaniens durch<br />

die christlichen Herrscher, blieben die andalusischen Kunsthandwerker<br />

bei ihrem Leisten. Sie entwickelten die Fliesenherstellung weiter,<br />

so dass mehrfarbige Glasuren gebrannt werden konnten. Viele Paläste<br />

des neuen christlichen Adels in <strong>Sevilla</strong> sind mit solchen Fliesen im<br />

Mudejar-Stil ausgestattet.<br />

Gebäude, die von außen schlicht weiß, fast fensterlos und gänzlich<br />

unverziert aussehen, explodieren in einem Rausch von Farben und<br />

Mustern, sobald man sie betritt. Jeder Innenhof in Südspanien bezaubert<br />

seine Besucher mit einem Fliesenboden und gefliesten<br />

Wänden mit ganz eigenen, detailverliebten Ornamenten. Vorherrschend<br />

ist die Farbe Blau, die den schattigen Innenräumen im<br />

heißen südspanischen Sommer noch eine Portion Extra-Kühle<br />

verleihen soll. Die Keramikfliesen können aber noch mehr: Sie<br />

speichern die Sonnenhitze und geben sie in der Nacht wieder ab,<br />

wobei sie die Temperatur in den Innenhöfen um bis zu 10° Celsius<br />

senken können.<br />

Kunsthandwerker aus den Niederlanden brachten im<br />

16. Jahrhundert ihren eigenen Stil mit nach Spanien.<br />

Der Alcázar in <strong>Sevilla</strong> mit seinen blumig-bunten Fliesenbekleidungen<br />

ist ein Beispiel für den modernen,<br />

flämischen Stil. Im 19. Jahrhundert entdeckte<br />

der Jugendstil die Schönheit der Kacheln neu.<br />

Gesamtkunstwerke wie die Plaza España<br />

in <strong>Sevilla</strong> oder die fantastischen Bauwerke<br />

des Künstlers Antonio Gaudí sind über<br />

und über mit bunten Fliesen dekoriert, die<br />

dank industrieller Herstellung nun günstig zu<br />

haben waren. Die Fliese fand ihren Weg in die<br />

Küchen der Menschen.<br />

Heute sagt man in Spanien „Non ava casa con azulejos“,<br />

wenn jemand so arm ist, dass er sich nicht einmal Fliesen für<br />

sein Haus leisten kann.<br />

35

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!