12 Serie Manufakturen Manufakturen – es gibt sie noch (Teil 2) Handgemachtes ist heiß begehrt und erlebt seit Jahren eine wahre Renaissance. In der Fortsetzung unserer Serie über ausgewählte Manufakturen in Berlin geht es um Brillen und Korsetts. Zusammengetragen von Ulla C. Binder. Mitte <strong>bitte</strong>!
Grenzgänger zwischen Fetisch und Fashion 13 Das Korsett hat es Tonia Merz angetan, denn es bietet einen großen Markt, der von der Fetischszene über Oper, Bühne, Theater und Film bis zur ganz normalen Kundschaft reicht; ab und an sogar gesundheitliche oder orthopädische Bereiche abdeckt. Noch während sie ihr Studium beendete, bekam sie die ersten Aufträge für maßangefertigte Korsetts und baute drei bis vier davon pro Monat. 2002, direkt nach ihrer Diplomarbeit, gründete sie To.mTo in der Torstraße 22. Seither fertigen sie und ihr vier- bis sechsköpfiges Team dort mit großer Leidenschaft Korsetts für Damen – und auch für Herren. Das Korsett hat eine funktionelle Wandlung durchlaufen. Es ist nicht mehr nur Unterwäsche, sondern eher Oberbekleidung geworden. Früher waren sie reiner Fetisch oder Wäsche, heute werden die Überbrustkorsetts als Oberteil getragen, als Abendgarderobe oder Hochzeitsbekleidung. Die Unterbrustkorsetts werden gern als breiter Gürtel verwendet. Die Herstellung hat sich seit den letzten 200 Jahren – also seit Erfindung der Nähmaschine und der Industrialisierung – im Elementaren nicht sehr verändert, erklärt Tonia Merz. Die Grundkonstruktionen sind sehr ähnlich, die Lage der Nähte, die Verschlüsse sind genau gleich geblieben, es wird immer hinten geschnürt. Was sich geändert hat, ist, dass die Stangen nicht mehr aus Fischbein (aus den Barten großer Wale) hergestellt werden, sondern durch Spiralfedern oder Federbandstahl ersetzt wurden. Tonia Merz erklärt auch den Unterschied zwischen Korsett und Korsage, die oft miteinander verwechselt werden. Die Korsage sieht einem Korsett zwar ähnlich, aber verändert die Körperform nicht. Sie sitzt passgenau auf dem Körper, wird nicht geschnürt und komprimiert höchstens durch Stretchstoffe ein wenig. Das Korsett hingegen erreicht durch die Schnürung wirklich eine Taillenreduzierung von zehn bis fünfzehn Zentimetern. Von jedem Schnitt ist in jeder Größe ein Exemplar im Verkaufsraum vorhanden und kann dort an probiert und gekauft werden. Falls ein Korsett nicht passen sollte, wird es nach Maß und Wunsch individuell angefertigt. Tonia Merz’ stärkste Fähigkeiten sind Toleranz und Aufgeschlossenheit. Sie nimmt die Menschen einfach so, wie sie sind, und kann ihnen das gut vermitteln – ob alt, jung, dick, dünn oder Rollstuhlfahrer, ob man das Korsett auf einer Hochzeit, Party oder ganz privat tragen möchte. Das Korsett findet in vielen Bereichen der Gesellschaft seinen ganz besonderen Platz. Korsetts gibt es schon seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Steckbrief: TO.mTO Berlin, Werkstatt & Showroom Torstraße 22, 10119 Berlin www.tomto.de Serie Manufakturen Die Fotografin und Autorin Ulla C. Binder studierte Freie Kunst und Textildesign und hat im Rahmen ihrer Ausbildung diverse handwerkliche Berufe kennengelernt. Für ihr Buch hat sie eine feine Auswahl erlesener Manufakturen in Berlin ausfindig gemacht. Ulla C. Binder: »Manufakturen. Handgemachtes aus Berlin« 208 Seiten, 90 farbige Abbildungen, 19,95 €, Nicolai Verlag