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Abschlussbericht NRW zweitausend-30

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<strong>NRW</strong> ZWEITAUSEND-<strong>30</strong><br />

STARK UND GERECHT!


<strong>NRW</strong> ZWEITAUSEND-<strong>30</strong><br />

STARK UND GERECHT!


INHALT<br />

1<br />

12<br />

16<br />

18<br />

21<br />

IN <strong>NRW</strong> BEGINNT DEUTSCHLANDS ZUKUNFT!<br />

KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

GUTE ARBEIT – NEUE ENERGIE – DIGITALE INNOVATIONEN<br />

EUROPAS ZUKUNFTSREGION NR. 1<br />

DAS WIRTSCHAFTSLAND DER ZUKUNFT:<br />

EIN INNOVATIONS- UND BILDUNGSLAND<br />

· Treibhäuser für Wachstum und Beschäftigung: Leitmärkte und Innovationssysteme<br />

· Gesucht und gefunden: die Alfred Krupps des 21. Jahrhunderts<br />

· Von der Kita bis zur Weiterbildung: Bildungspolitik ist Innovationspolitik<br />

25<br />

DAS WISSENSCHAFTSLAND <strong>NRW</strong>:<br />

FORSCHUNG FÜR DEN MENSCHEN – LÖSUNGEN FÜR EIN BESSERES LEBEN<br />

· Wissenschaftliche Antworten auf die großen Herausforderungen<br />

· Wissenschaft für einen erfolgreichen Strukturwandel –<br />

Politik für eine erfolgreiche Wissenschaft<br />

28<br />

AUFBRUCH IN DAS DIGITALE ZEITALTER:<br />

DIE WIRTSCHAFT 4.0 KOMMT AUS <strong>NRW</strong><br />

· Unternehmen aller Branchen, digitalisiert euch!<br />

Innovationspolitik für Handwerk und Mittelstand<br />

· Digitale Infrastruktur: Das Glasfasernetz wird zum Standard<br />

· Made in <strong>NRW</strong>: Datenschutz, Datensicherheit und Datenmündigkeit<br />

· Rohstoff Open Data<br />

· Schutz vor digitaler Monopolmacht und die Standards der Wirtschaft 4.0<br />

· Die Zwillingsschwestern der Datensicherheit: Datenschutz und Datenmündigkeit<br />

34<br />

GUTE ARBEIT IN EINER GERECHTEN UND MENSCHLICHEN ARBEITSWELT!<br />

· Vollbeschäftigung und gute Arbeit für Nordrhein-Westfalen<br />

· Die Zukunft gehört der Mitbestimmung und der Sozialpartnerschaft<br />

· Starke Gewerkschaften und neue Formen der Interessenvertretung<br />

für Arbeitnehmer und Solo-Selbstständige<br />

· Von der Arbeitslosenversicherung zu einer modernen Arbeitsversicherung<br />

· Ein sozialer Arbeitsmarkt gegen Langzeitarbeitslosigkeit<br />

38<br />

NEUE ENERGIE: DER FORTSCHRITTSMOTOR FÜR NORDRHEIN-WESTFALEN<br />

· Die rote Energiewende: sicher, sauber und bezahlbar<br />

· Der Energiemarkt 3.0 und Unterstützung für Stadtwerke<br />

· Steigerung der Energieeffizienz von Unternehmen und Haushalten<br />

· Moderne Nutzung fossiler Energieträger<br />

· Kaskadennutzung von Rohstoffen


2<br />

44<br />

46<br />

49<br />

DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

BILDUNG, AUFSTIEG UND SOZIALE SICHERHEIT FÜR ALLE MENSCHEN<br />

IN NORDRHEIN-WESTFALEN<br />

GERECHTIGKEIT BEGINNT MIT CHANCENGLEICHHEIT!<br />

(ABER SIE HÖRT DAMIT NOCH NICHT AUF!)<br />

KEIN KIND ZURÜCKLASSEN!<br />

CHANCENGLEICHHEIT DURCH VORBEUGUNG UND INDIVIDUELLE FÖRDERUNG<br />

· Vorbeugung gelingt durch Kooperation:<br />

ein dichtes Netz kommunaler Präventionsketten für Nordrhein-Westfalen<br />

· Jede Stadt eine Bildungslandschaft! Kommunale Netzwerke<br />

für Bildungsgerechtigkeit<br />

· Löschen, wo es brennt! Je größer die (Bildungs-)Armut,<br />

desto dringender sind Personal und Geld<br />

· Aufsuchen, beraten und helfen!<br />

· Gebührenfreie Bildung: ein soziales Grundrecht und ein Gebot der Fairness<br />

53<br />

DIE SCHULE 20<strong>30</strong>:<br />

HAUPTSTADT EINER OFFENEN BILDUNGSWELT<br />

· Die Schubkraft für ein gelingendes Leben:<br />

umfassende Bildung in einer vernetzten Schule<br />

· Ein Recht auf Ganztag in allen Schulen an jedem Wohnort<br />

· Bildung für das digitale Leben: mündig, frei und sicher durch die Netzwelt<br />

· Eine Schule für die Demokratie – und mehr Demokratie für die Schule<br />

· Bund, Länder und Kommunen: gemeinsam das beste Bildungssystem Europas schaffen!<br />

60<br />

EINE BERUFSAUSBILDUNG FÜR JEDEN JUGENDLICHEN<br />

UND DAS ENDE DER JUGENDARBEITSLOSIGKEIT IN <strong>NRW</strong><br />

· Von der Schule in den Beruf: ohne Brüche, ohne Warteschleifen<br />

· Initiativen gegen den drohenden Fachkräftemangel:<br />

regionale Kooperation für die berufliche Bildung<br />

· Fairness auf dem Ausbildungsmarkt: eine Mindestvergütung für Auszubildende<br />

· Das Ende der Jugendarbeitslosigkeit in <strong>NRW</strong><br />

63<br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>:<br />

DAS ATTRAKTIVSTE HOCHSCHULLAND EUROPAS!<br />

· Attraktive Studienbedingungen und gute Lehre<br />

· Der modernste Hochschulcampus Europas<br />

· <strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>: wo Frauen an Hochschulen gleichberechtigt sind


66<br />

FAMILIE LEBEN 20<strong>30</strong>:<br />

ZEIT FÜR KINDER – ZEIT FÜR ELTERN – ZEIT FÜR SELBSTBESTIMMUNG!<br />

· Neue Regeln für mehr Selbstbestimmung<br />

· Wer Flexibilität verlangt, muss auch Flexibilität bieten!<br />

Elemente eines neuen „Normalarbeitsverhältnisses“<br />

· Ein <strong>NRW</strong>-Pakt für Vereinbarkeit<br />

· Vorbilder belohnen! Familienpolitik für kleine und<br />

mittelständische Unternehmen<br />

· Ein fairer Arbeitsmarkt: Frauen verdienen mehr!<br />

· Aktive Väter für mehr Partnerschaftlichkeit fördern:<br />

Bessere Infrastruktur, Familienleistungen und Arbeitskultur!<br />

· Kinderkrankentage für Patchworkfamilien<br />

· Kinderbetreuung von der Kita bis zur Schule:<br />

mehr Angebote, mehr Flexibilität, keine Gebühren!<br />

· Die Vereinbarkeit von Familie, Ausbildung und Studium<br />

· Helfende Hände für Familien: eine Bonuskarte für<br />

haushaltsnahe Dienstleistungen<br />

· Wer pflegt, braucht finanzielle Sicherheit!<br />

· Ein neuer Familienleistungsausgleich:<br />

Auf Kinder kommt es an, nicht auf Trauscheine!<br />

· Vorbild sein! Familienpolitik im öffentlichen Dienst<br />

und in den Kommunen<br />

· Familienpolitik ist kommunale Zeitpolitik:<br />

Bündnisse für Familienzeit!<br />

75<br />

LEBENSQUALITÄT UND SELBSTBESTIMMUNG<br />

IM ALTER<br />

· Gut wohnen im Alter<br />

· Selbstständigkeit bewahren: Zugang zu Hilfsangeboten vereinfachen<br />

· Telemedizin fördern, Digitalisierung nutzen!<br />

· Gebührenfreie Ausbildungs- und Studiengänge für die Pflege<br />

· Mehr Ausbildungsplätze, mehr Durchlässigkeit und bessere Weiterbildung<br />

· Arbeitsbedingungen verbessern. Dialog für gute Arbeit in der Pflege<br />

· Mehr Vollzeit und flexible Pflegeteilzeit<br />

· Gerechte Bezahlung in der Pflege<br />

· Pflege gerecht organisieren<br />

· Ein neuer Personalschlüssel und eine bessere Sozialversicherung<br />

· Robotik und technische Unterstützungssysteme:<br />

Entlastung für das Pflegepersonal und mehr Eigenständigkeit für Pflegebedürftige<br />

· Hospiz- und Palliativversorgung: in Würde Abschied nehmen.


3<br />

82<br />

85<br />

87<br />

HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

SOZIALDEMOKRATISCHE POLITIK FÜR LEBENSWERTE STÄDTE UND GEMEINDEN<br />

WAS BEDEUTET ÖFFENTLICHE LEBENSQUALITÄT?<br />

EINE ANTWORT AUS OBERHAUSEN<br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>:<br />

TRENDS UND HERAUSFORDERUNGEN FÜR STÄDTE UND GEMEINDEN<br />

· Wachsende Städte<br />

· Stadt ist nicht gleich Stadt. Und Land ist nicht gleich Land<br />

· Nordrhein-Westfalen 20<strong>30</strong>: ungeahnte Freiheit – ungezählte<br />

Möglichkeiten – neue Lebensqualität<br />

93<br />

UM HEIMAT MUSS MAN SICH KÜMMERN!<br />

· Öffentliche Investitionen in öffentliche Lebensqualität<br />

· Unser Ziel: sechs Milliarden Euro für die Stadtentwicklung in <strong>NRW</strong><br />

· Zentrale Unterstützung für einzigartige Konzepte<br />

· Vorbeugen ist besser als Reparieren:<br />

Quartiersanalysen als „Frühwarnsystem“ und Erfolgskontrolle<br />

· Neue Standards für die Stadtentwicklung:<br />

Gemeinschaft, Sport und Kultur, Begrünung und Verbraucherschutz<br />

· <strong>NRW</strong> trotzt dem demografischen Wandel – durch Solidarität,<br />

interkommunale Zusammenarbeit und digitale Dienstleistungen<br />

· Eine neue Ära der Kooperation und interkommunalen Zusammenarbeit<br />

· Flächendeckende Breitbandnetze für digitale Dienstleistungen<br />

· Gelebte Solidarität: Dorfläden, Bürgerbusse oder Tauschbörsen<br />

· Modernisierung und Aufwertung von Dorfkernen<br />

101<br />

DER NORMALFALL, KEIN GLÜCKSFALL:<br />

EINE GUTE UND BEZAHLBARE WOHNUNG IN EINER INTAKTEN NACHBARSCHAFT<br />

· Bis zu zwei Millionen Wohnungen für Nordrhein-Westfalen<br />

· Die öffentliche Hand spielt wieder mit:<br />

Investitionen in Neubau und Modernisierung<br />

· Die Renaissance des mietpreisgebundenen Wohnungsbaus<br />

· Neue Flächen für wachsende Städte<br />

· Faire Regeln für faire Mieten<br />

· Gemeinsam leben und wohnen in Nordrhein-Westfalen<br />

104<br />

EINE NEUE STADT FÜR NORDRHEIN-WESTFALEN:<br />

DAS RHEINISCHE REVIER WIRD ZUM WELTWEITEN VORBILD FÜR<br />

ÖFFENTLICHE LEBENSQUALITÄT UND MODERNE STADTENTWICKLUNG


105<br />

SCHNELL, DIGITAL UND FLEXIBEL:<br />

MODERNE MOBILITÄT FÜR JEDEN AN JEDEM ORT!<br />

· Investitionen in das beste Verkehrswegenetz Europas<br />

· Eine neue Infrastruktur für den (Öffentlichen) Nahverkehr in <strong>NRW</strong><br />

· Ein Internet der Mobilität für Nordrhein-Westfalen<br />

· Mobil in <strong>NRW</strong>: ein Land – ein Verkehrsraum – ein Tarifsystem<br />

· Mobilität für Menschen mit Behinderung<br />

108<br />

IN SICHERHEIT LEBEN UND SICH SICHER FÜHLEN:<br />

HART GEGEN KRIMINALITÄT UND HART GEGEN<br />

DIE URSACHEN VON KRIMINALITÄT!<br />

· Eine von uns: die Polizei vor Ort<br />

· Mehr Personal und eine verbesserte Ausstattung für Polizei,<br />

Verfassungsschutz und Justiz<br />

· Konsequent gegen Alltagskriminalität<br />

· Cyberkriminalität bekämpfen!<br />

· Sexuelle Selbstbestimmung schützen!<br />

· Für Sicherheit sorgen: ein attraktiver Beruf!<br />

112<br />

ANPACKEN! MITBESTIMMEN! GEMEINSAM ETWAS ERREICHEN!<br />

EHRENAMTLICHES ENGAGEMENT UND LOKALE DEMOKRATIE<br />

· Demokratie vor Ort: mehr als Wählen und Abstimmen<br />

· Mitbestimmung im Quartier:<br />

Stadtteilmanagement und Stadtteilbudgets<br />

· Lokale Demokratie 20<strong>30</strong>:<br />

Engagement, Alternativen und gesunde Finanzen<br />

· Eine gerechte Aufteilung von Sozialleistungen<br />

· Der Stärkungspakt Stadtfinanzen<br />

· Höhere Zuweisungen aus dem Landeshaushalt<br />

116<br />

EIN LAND DER KULTUR IST EIN LAND DER ZUKUNFT<br />

GEMEINSCHAFT BRAUCHT DIE KÜNSTE UND ORTE DER KULTUR<br />

· Ein flächendeckendes Kulturangebot für <strong>NRW</strong><br />

· Gute Arbeit für Nordrhein-Westfalens Künstlerinnen und Künstler<br />

· Eine Kultur des Miteinanders braucht die Künste und<br />

kulturelle Einrichtungen<br />

· Kultur der Erinnerung pflegen und fortsetzen<br />

· Ein Kulturförderplan für Nordrhein-Westfalen


IN <strong>NRW</strong> BEGINNT<br />

DEUTSCHLANDS<br />

ZUKUNFT!


12<br />

IN <strong>NRW</strong> BEGINNT DEUTSCHLANDS ZUKUNFT<br />

Einleitung<br />

IN <strong>NRW</strong> BEGINNT<br />

DEUTSCHLANDS ZUKUNFT<br />

Nordrhein-Westfalen ist weit mehr als nur<br />

das einwohnerreichste Bundesland. Viel mehr!<br />

Wäre <strong>NRW</strong> ein unabhängiger Staat, fände man es unter den stärksten Ländern<br />

der Europäischen Union: als Volkswirtschaft, als Wissenschaftsland und als Zentrum<br />

europäischer Kunst und Kultur. Zusammen mit der Industrie erwirtschaften<br />

unsere kleinen und mittleren Unternehmen ein Bruttoinlandsprodukt von über<br />

600 Milliarden Euro. Jeder vierte deutsche Weltmarktführer kommt aus <strong>NRW</strong>.<br />

Nirgendwo gibt es mehr Museen, Theater oder Sportvereine. In keinem Land gibt es<br />

mehr Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen. Und auch das ist<br />

Nordrhein-Westfalen: ein Einwanderungs- und Integrationsland, seit über 100 Jahren.<br />

N<br />

ordrhein-Westfalen ist ein Land mit<br />

großen Stärken und vielen Erfolgen.<br />

Es ist aber auch ein Land sozialer<br />

und ökonomischer Unterschiede.<br />

Es gibt Städte, die wachsen, und<br />

Städte, die schrumpfen. Es gibt ländliche Räume,<br />

die prosperieren, und ländliche Räume, deren<br />

Einwohnerzahlen sinken. Boom-Regionen mit<br />

Vollbeschäftigung grenzen an strukturschwache<br />

Regionen, die gegen Langzeitarbeitslosigkeit und<br />

soziale Ungleichheit zu kämpfen haben.<br />

Die Aufgaben der Landespolitik liegen somit<br />

auf der Hand: Die wirtschaftlichen und sozialen<br />

Gegensätze in Nordrhein-Westfalen müssen<br />

entschärft und schließlich überwunden werden.<br />

Das wird gelingen, wenn Politik, Wirtschaft und<br />

Gesellschaft in <strong>NRW</strong> die großen wirtschaftlichen<br />

und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer<br />

Zeit gemeinsam zu meistern verstehen.<br />

Mehr noch: Ob Deutschland vor diesen Herausforderungen<br />

bestehen kann, wird sich in seinem<br />

größten Bundesland, seinem wichtigsten<br />

Wirtschaftsstandort und seinem Energieland Nr. 1<br />

entscheiden. In Nordrhein-Westfalen entscheidet<br />

sich, ob die Energiewende ein Erfolg wird und ob<br />

die Ära der digitalen Ökonomie zu einer Ära der<br />

deutschen Wirtschaft.<br />

Wenn wir trotz des demografischen Wandels<br />

auch in Zukunft über ausreichend Fachkräfte für<br />

Innovation, Qualität und Ingenieurskunst verfügen<br />

wollen, dann müssen wir dort ein leistungsstarkes<br />

und gerechtes Bildungssystem schaffen,<br />

wo die meisten Kinder und Jugendlichen aufwachsen:<br />

bei uns in <strong>NRW</strong>!<br />

Wenn Deutschland ein erfolgreiches Integrationsland<br />

werden soll, dann muss Integration dort<br />

gelingen, wo mehr Menschen mit Migrationshintergrund<br />

leben, als andere Bundesländer Einwohner<br />

haben: in Nordrhein-Westfalen.<br />

Und auch das: Die Zukunft der Kommunen –<br />

ihre Lebensqualität und ihre Handlungsfähigkeit –<br />

entscheidet sich nicht in den schönen Dörfern<br />

Bayerns. Sie entscheidet sich in den Metropolregionen<br />

an Rhein und Ruhr und ihrem ländlichen<br />

Umland.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Einleitung 13<br />

Mit anderen Worten: In <strong>NRW</strong> entscheidet sich<br />

Deutschlands Zukunft.<br />

Wie soll diese Zukunft aussehen? Wie wollen wir<br />

in <strong>NRW</strong> im Jahr 20<strong>30</strong> leben, arbeiten und wirtschaften?<br />

Was müssen wir heute in die Wege<br />

leiten, damit Nordrhein-Westfalen in 15 Jahren –<br />

trotz der oben genannten Herausforderungen –<br />

ein starkes und gerechtes Land ist? Das sind die<br />

Leitfragen des Programms „<strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong>“<br />

der SPD-Landtagsfraktion. Wir entwickeln ein<br />

Zukunftsbild für Nordrhein-Westfalen, das uns in<br />

den kommenden Jahren als Kompass für unsere<br />

parlamentarische Arbeit dienen wird. Es wird<br />

deutlich machen, welche Werte unser Handeln<br />

leiten, welche konkreten Ziele wir uns für Nordrhein-Westfalen<br />

setzen und welche Wege wir<br />

beschreiten wollen, um sie zu erreichen.<br />

WOFÜR WIR STEHEN<br />

Unser Leitbild für Nordrhein-Westfalen ist eine<br />

Gesellschaft, in der die Aussicht auf sozialen Aufstieg<br />

weitaus realistischer ist als die Angst vor<br />

dem Abstieg. Wohlstand und soziale Sicherheit<br />

sind die Regel, Armut und exorbitanter Reichtum<br />

eine Ausnahme. Hier gilt das Prinzip echter Leistungsgerechtigkeit:<br />

Ungleiche Einkommen und<br />

Vermögen beruhen auf unterschiedlichen Leistungen<br />

und Talenten, nicht aber auf Privilegien<br />

für wenige.<br />

Ungleichheiten sind nur dann zu rechtfertigen,<br />

wenn sie sich zum Vorteil aller Menschen in einer<br />

Gesellschaft auswirken. Wenn alle von ihr profitieren,<br />

kann Ungleichheit gerechter als Gleichheit<br />

sein – aber eben nur dann.<br />

Wir wissen, dass Länder, die soziale Ungleichheit<br />

begrenzen, größeren wirtschaftlichen Erfolg<br />

haben. Hier ist die Arbeitslosigkeit geringer und<br />

es gibt weniger Kriminalität. Die Menschen sind<br />

gesünder, gebildeter und auch zufriedener. Und<br />

doch ist der Zweck eines modernen Sozialstaates<br />

nicht in erster Linie, Reichtum umzuverteilen.<br />

Sein Zweck ist es, jedem Menschen soziale Rechte<br />

zu verleihen und Zugang zu öffentlichen (Dienst-)<br />

Leistungen zu verschaffen, die es ihm ermöglichen,<br />

ein selbstbestimmtes Leben zu führen.<br />

Selbstbestimmung ist die Fähigkeit, das Leben<br />

in die eigenen Hände zu nehmen. Selbstbestimmung<br />

ist die höchste Form der Freiheit. Selbstbestimmung<br />

bedeutet etwas ganz anderes als jene<br />

kalte „Eigenverantwortung“, die das Leben von<br />

Menschen allein der Logik des Marktes unterwirft.<br />

Wer jedes Risiko fürchten muss, weil jeder<br />

Fehler und jedes Unglück zu einer existentiellen<br />

Bedrohung wird, kann weder flexibel sein noch<br />

seine individuellen Möglichkeiten nutzen. Selbstbestimmung<br />

ist nur dann möglich, wenn es ausreichend<br />

soziale Sicherheit gibt, die es erlaubt,<br />

etwas zu wagen und Initiative zu ergreifen. Selbstbestimmung<br />

gibt es nur durch Solidarität in einer<br />

sozialen Demokratie. Solidarität verschafft allen<br />

Menschen Freiräume, die sie sich nicht einfach<br />

kaufen können. Sie verleiht jedem Menschen die<br />

Kraft, das Beste aus seinen Talenten und Fähigkeiten<br />

zu machen. Wem das Leben aus den Händen<br />

gleitet, der erhält eine zweite oder dritte Chance.<br />

Die Zeit der „Privat-vor-Staat“-Ideologie ist abgelaufen.<br />

Wir wollen eine starke öffentliche Hand,<br />

die schützt und stützt, die anschiebt und im Notfall<br />

auch auffängt.<br />

Unser Leitbild für Nordrhein-Westfalen ist eine inklusive<br />

Gesellschaft – eine Gesellschaft für alle –,<br />

in der jeder Mensch Anteil am gesellschaftlichen<br />

Fortschritt in unserem Land hat, an seinen wirtschaftlichen<br />

Erfolgen, seinem lebendigen Kulturleben<br />

und seinen demokratischen Mitbestimmungsrechten.<br />

Anders als die Mehrheit zu sein –<br />

sei es aufgrund von körperlichen Handicaps,<br />

einer Migrationsgeschichte oder einer sexuellen<br />

Orientierung – ist kein Grund für Entsagung und<br />

schon gar keine Rechtfertigung für Ausgrenzung.<br />

Die inklusive Gesellschaft beginnt in Kita und<br />

Schule und hört in der Arbeitswelt noch nicht auf.<br />

Eine Politik für gesellschaftliche Integration und<br />

Inklusion ist keine Politik für Minderheiten. Von


14 IN <strong>NRW</strong> BEGINNT DEUTSCHLANDS ZUKUNFT Einleitung<br />

Barrierefreiheit und Bildungsgerechtigkeit, von<br />

Vielfalt und Toleranz profitieren alle Menschen<br />

in Nordrhein-Westfalen – ökonomisch, kulturell<br />

und politisch.<br />

In Nordrhein-Westfalen leben vier Millionen Menschen,<br />

deren Familien seit 1950 nach Deutschland<br />

eingewandert sind. Als Bürgerinnen und Bürger<br />

gehören sie alle zu diesem Land, ganz gleich ob<br />

sie glauben oder nicht glauben, ob sie Christen,<br />

Juden, Muslime oder Agnostiker sind. Wir in Nordrhein-Westfalen<br />

wissen, wie Integration gelingen<br />

und woran sie scheitern kann. Integration gelingt<br />

durch Bildung, Chancengleichheit und gute Arbeit.<br />

Und sie verlangt nach gemeinsamen politischen<br />

Grundwerten.<br />

Nordrhein-Westfalen ist seit jeher ein weltoffenes<br />

und tolerantes Land. Integration verlangt<br />

nicht, dass wir unsere Werte in Frage stellen oder<br />

relativieren. Wir sind stolz auf unsere politische<br />

Kultur der Liberalität und Toleranz. Individuelle<br />

Freiheit und Selbstbestimmung kombiniert mit<br />

Demokratie, Solidarität und Gerechtigkeit sind<br />

die stärksten und attraktivsten Ideen, die je in<br />

eine politische Ordnung gegossen wurden. Wir<br />

werden das Recht auf individuelle Selbstbestimmung<br />

eines jeden Menschen verteidigen, wenn es<br />

durch Rassismus oder religiösen Fanatismus bedroht<br />

wird. In Nordrhein-Westfalen können alle<br />

Demokraten beweisen, dass die offene Gesellschaft<br />

und ihr demokratischer Rechts- und Sozialstaat<br />

stärker, gerechter und erfolgreicher sind als<br />

alles, was die Feinde der offenen Gesellschaft zu<br />

bieten haben. Aufstieg, Sicherheit und Selbstbestimmung<br />

sind für alle möglich, die sich anstrengen<br />

– für Einwanderer und für Einheimische.<br />

Was Menschen unterscheidet, muss sie noch<br />

lange nicht trennen. Im Gegenteil: Vielfalt<br />

macht uns stärker. Unsere gemeinsame Zukunft<br />

zählt, nicht unsere Herkunft.<br />

WAS WIR ERREICHEN WOLLEN<br />

Wir sind der festen Überzeugung, dass technologische<br />

und wirtschaftliche Innovationen die<br />

Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt<br />

sind. Sie führen zu Produktivitätsgewinnen, die in<br />

Wohlstandsgewinne für alle verwandelt werden<br />

können. Immer mehr Menschen erhalten dann<br />

immer bessere Güter, die ein selbstbestimmtes<br />

Leben ermöglichen: Einkommen und soziale<br />

Sicherheit, Wissen und Bildung, Gesundheit,<br />

Mobilität und Energie. Wir setzen auf Fortschritt<br />

und die traditionellen Stärken Nordrhein-Westfalens.<br />

Einst war Nordrhein-Westfalen ein Pionierland<br />

der Industrialisierung. Jetzt wird es zu einem<br />

Pionierland digitaler Produktionsprozesse, neuer<br />

Dienstleistungssektoren und effizienter Energietechnologien.<br />

Bis 20<strong>30</strong> wird <strong>NRW</strong> die Innovationsregion<br />

Nr. 1 in Europa sein. Wir werden<br />

Wachstum, Vollbeschäftigung und Wohlstand in<br />

alle Regionen unseres Landes bringen. Es ist nicht<br />

zuletzt seine Tradition als Land der Sozialpartnerschaft,<br />

die <strong>NRW</strong> zu einem Kraftwerk für gute<br />

Arbeit, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche<br />

Innovationen machen wird.<br />

Nordrhein-Westfalen ist das Stammland der<br />

christlichen und sozialdemokratischen Arbeiterbewegung.<br />

Wir wollen ihr Versprechen der Solidarität<br />

wieder einlösen, und zwar mit einer<br />

neuen Bildungs-, Sozial- und Familienpolitik. Wir<br />

errichten einen neuen Sozialstaat. Er wartet nicht<br />

mehr auf soziale Missstände und Ungerechtigkeiten,<br />

die er im Nachhinein zu reparieren oder zu<br />

lindern versucht. Er bekämpft sie an der Wurzel<br />

und verhindert, dass sie das Leben eines Menschen<br />

einschnüren und nicht mehr freigeben.<br />

Nordrhein-Westfalen ist das Land der Städte<br />

und Regionen, die Identität verleihen und ihren<br />

Menschen Heimat sind. Trotz des demografischen<br />

Wandels oder ökonomischer Strukturschwächen<br />

kann jeder Ort Heimat sein, bleiben oder wieder<br />

werden. Es ist unsere feste Überzeugung, dass


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Einleitung<br />

15<br />

man Stadtteile, Dörfer und Quartiere nicht mit<br />

ihren Problemen alleinlassen darf. Hier sind<br />

Menschen zuhause. Ihre Heimat beginnt vor der<br />

Haustür und sie haben ein Recht darauf, dass<br />

man sich um ihre Heimat kümmert. Wo erforderlich,<br />

werden wir Stadtteile sanieren. Wo es einen<br />

Trend zu stetig steigenden Mieten gibt, werden<br />

wir ihn brechen. Wir sind entschlossen, allen<br />

Städten und Gemeinden zu gesunden Finanzen<br />

zu verhelfen.<br />

<strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong> – unser Zukunftsbild für<br />

Nordrhein-Westfalen – ist ein Land, das wirtschaftlich<br />

und technologisch zur Spitzengruppe<br />

der Welt gehört. Die Produktivitätsfortschritte<br />

der digitalen Ökonomie werden in Kaufkraft für<br />

alle verwandelt. Es ist ein Land, in dem die Mitte<br />

wieder wächst, weil es Vollbeschäftigung gibt<br />

und eine vorbeugende Bildungs- und Sozialpolitik<br />

für sozialen Aufstieg sorgt. Das Bildungssystem<br />

bietet ausreichend viele Plätze in hervorragenden<br />

Kitas, Schulen und Hochschulen –<br />

gebührenfrei.<br />

Es ist ein Land mit lebenswerten Städten, Gemeinden<br />

und Quartieren. Gute und bezahlbare<br />

Wohnungen in intakten Nachbarschaften sind<br />

wieder der Normalfall, nicht mehr ein Glücksfall.<br />

Es ist ein Land, in dem jeder Ort Heimat sein<br />

kann, weil er genügend Lebensqualität für ein<br />

selbstbestimmtes Leben bietet.<br />

In Nordrhein-Westfalen entscheidet sich<br />

Deutschlands Zukunft.<br />

Mehr noch: Im besten Sinne beginnt sie hier<br />

auch.<br />

Kein Kind wird zurückgelassen. Mutter zu sein,<br />

ist für eine alleinerziehende Köchin kein Armutsrisiko<br />

und für eine alleinerziehende Akademikerin<br />

kein Karrierehindernis mehr.<br />

Es ist ein Land, in dem die vielfältigen Lebensentwürfe<br />

und Familienmodelle seiner Bürgerinnen<br />

und Bürger nicht mehr an überkommenen Regeln,<br />

Leistungsanreizen oder sozialen Unsicher heiten<br />

scheitern. Wir schaffen Freiräume für ein selbstbestimmtes<br />

Leben und sichern es ab. Junge<br />

Eltern müssen sich nicht mehr fragen, wie viel<br />

Familienzeit ihr Job erlaubt. Stattdessen werden<br />

sie gefragt, wie sich ihr Job an ihre Vorstellungen<br />

von einem gelungenen Familien- und Arbeitsleben<br />

anpassen lässt.


1<br />

KRAFTWERK <strong>NRW</strong>


KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

GUTE ARBEIT – NEUE ENERGIE – DIGITALE INNOVATIONEN<br />

Bis 20<strong>30</strong> wird Nordrhein-Westfalen die Innovationsregion Nr. 1 in Europa<br />

sein. Wir werden Wachstum, Vollbeschäftigung und Wohlstand in alle<br />

Regionen unseres Landes bringen.<br />

Wir investieren in die Mobilität von Menschen, Gütern und Daten. Wir fördern<br />

Forschung und Technologieentwicklung auf allen Wissens gebieten<br />

und Leitmärkten, die für zukünftiges Wachstum, für Vollbeschäftigung<br />

und gesellschaftlichen Fortschritt von herausragender Bedeutung sind.<br />

Wir vernetzen Wirtschaft und Wissenschaft, damit besonders kleine und<br />

mittelständische Unternehmen mit neuen Technologien innovative und<br />

marktreife Produkte und Dienstleistungen entwickeln können.<br />

Wir setzen auf eine rote Energiewende und nutzen sie als Motor für<br />

Innovationen und Fortschritt. Virtuelle Kraftwerke und intelligente<br />

Stromnetze werden alle Energieverbraucher und Energieerzeuger vernetzen.<br />

Energie wird sicher, sauber und bezahlbar sein.<br />

Wir werden die sozialen Rechte und Grundwerte der sozialen Marktwirtschaft<br />

in das Zeitalter der digitalen Wissensökonomie überführen.<br />

Nordrhein-Westfalen wird 20<strong>30</strong> ein Kraftwerk für gute Arbeit, soziale<br />

Gerechtigkeit und wirtschaftliche Innovationen sein.


18<br />

KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Europas Zukunftsregion Nr. 1<br />

EUROPAS ZUKUNFTSREGION NR. 1<br />

Mitten in Europas Zukunftsregion Nr. 1 leuchtet des nachts<br />

ein weltbekanntes Bauwerk.<br />

Es ist aber nicht der Eiffelturm, auch nicht der Tower of London. Es ist<br />

der Kölner Dom. Und die „European Region of the Future“ ist Nordrhein-Westfalen.<br />

Alle zwei Jahre lässt das Foreign<br />

Direct Investment Magazine (fDi)<br />

– Tochter der britischen Financial<br />

Times und renommiertes Fachblatt<br />

der Londoner City – Wirtschaftswissenschaftler<br />

die ökonomischen Zukunftsaussichten<br />

aller europäischen Städte und Regionen<br />

untersuchen. Ihre Kriterien sind investitionsstarke<br />

Industrien und Handelsunternehmen,<br />

ausländische Direktinvestitionen, der Zustand<br />

der Infrastruktur, ausgebaute Breitbandnetze,<br />

Qualität von Wissenschaft und Forschung, gut<br />

ausgebildete Fachkräfte sowie die Wirtschaftsfreundlichkeit<br />

der Politik. Auch die Lebensqualität<br />

vor Ort zählt zu den Vergleichskriterien.<br />

Schließlich wollen Investoren sicher sein, dass sie<br />

begehrte Fachkräfte aus der ganzen Welt an den<br />

Ort ihrer Investitionen locken können.<br />

» <strong>NRW</strong> IST DAS<br />

INNOVATIONS-<br />

ZENTRUM DES<br />

KONTINENTS «<br />

Unterm Strich gab es 2016 wieder den gleichen<br />

Sieger wie schon 2014: Nordrhein-Westfalen<br />

hat die Île-de-<br />

France (Großraum Paris), Südostengland<br />

(Großraum London),<br />

Baden-Württemberg und Bayern<br />

auf die Plätze verwiesen. <strong>NRW</strong><br />

punktet mit seinem innovativen<br />

Mittelstand und seinen investitionsstarken<br />

Industrien, insbesondere aus der Logistik-,<br />

Gesundheits- und Pharmaindustrie. Über<br />

800 mittelständische Weltmarktführer, die<br />

„Hidden Champions“, haben ihren Sitz in <strong>NRW</strong>.<br />

Hier gibt es die dichteste Hochschullandschaft<br />

Europas, ein duales Ausbildungssystem von Weltruf<br />

und mehr hochqualifizierte Fachkräfte als<br />

irgendwo sonst in Europa. Auch bei den Patentanmeldungen<br />

ist Nordrhein-Westfalen der europäische<br />

Rekordhalter. Mit über 18.000 Patenten<br />

zwischen 2003 und 2014 ist Nordrhein-Westfalen<br />

das Innovationszentrum des Kontinents.<br />

Unser Land erhält jedes Jahr die höchsten ausländischen<br />

Direktinvestitionen und die zweithöchsten<br />

in der EU. Die fDi-Experten loben die<br />

ausgezeichnete Infrastruktur, insbesondere das am<br />

besten ausgebaute Breitbandnetz in Deutschland.<br />

Die Handelswege von China nach Europa, die<br />

„neuen Seidenstraßen“ und die wahrscheinlich<br />

wichtigsten Wirtschaftsrouten des 21. Jahrhunderts,<br />

führen nach Duisburg. Der „Lifestyle“ seiner<br />

Menschen gilt den Experten als Ausweis gehobener<br />

Lebensqualität. Der Service für Neuansiedlungen<br />

von Unternehmen in Düsseldorf steht –<br />

Pars pro Toto – für die Wirtschaftsfreundlichkeit<br />

des Landes.<br />

Das fDi-Ranking verrät viel über<br />

die Stärken unseres Landes. Wichtiger<br />

noch: Es zeigt uns, worin wir<br />

in <strong>NRW</strong> investieren müssen, um<br />

stark zu bleiben und noch stärker<br />

zu werden: in unsere Infrastruktur,<br />

insbesondere den weiteren Ausbau<br />

der Breitbandnetze, aber vor allem in Bildung,<br />

Wissenschaft und Forschung. Und genau für<br />

diese Investitionen hat die SPD-Fraktion in enger<br />

Zusammenarbeit mit der Landesregierung in<br />

den letzten Jahren gesorgt. Mit Erfolg: Seit<br />

2010 sind in <strong>NRW</strong> 600.000 sozialversicherungspflichtige<br />

Arbeitsplätze entstanden. Im Ruhrgebiet<br />

gibt es heute wieder genauso viele<br />

Erwerbstätige wie zu den Glanzzeiten von Kohle


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Europas Zukunftsregion Nr. 1 19<br />

und Stahl. Die Jugendarbeitslosigkeit ist um<br />

14 Prozentpunkte gesunken. Die Arbeitslosigkeit<br />

insgesamt war im Sommer 2016 so niedrig wie<br />

seit 23 Jahren nicht mehr.<br />

Gleichwohl wissen wir auch, dass der rasante<br />

Strukturwandel der letzten Jahrzehnte in einigen<br />

Regionen unseres Landes wirtschaftliche Strukturschwächen<br />

hinterlassen hat. Und wir wissen<br />

um die sozialen Probleme, die die betroffenen<br />

Kommunen noch immer belasten: (Bildungs-)<br />

Armut, Langzeitarbeitslosigkeit und soziale<br />

Ungleichheit. Dabei verläuft die Trennungslinie<br />

zwischen Licht und Schatten nicht nur entlang<br />

regionaler Grenzen, sondern oft quer durch<br />

unsere Städte und Gemeinden.<br />

Bis 20<strong>30</strong> werden wir Schritt für Schritt diese<br />

Gegensätze überwinden. Politik, Unternehmen<br />

und Gewerkschaften müssen die großen Herausforderungen<br />

unserer Zeit gemeinsam angehen:<br />

den globalen Konkurrenzdruck, die Ausbildung<br />

einer digitalen Wissensökonomie, den demografischen<br />

Wandel und die Gestaltung der Energiewende.<br />

Gemeinsam werden wir Ziele erreichen,<br />

die für jeden allein unerreichbar wären. Wo <strong>NRW</strong><br />

stark ist, wird es noch stärker werden. Wo es noch<br />

Strukturschwächen gibt, werden wir eine neue<br />

wirtschaftliche Dynamik entfachen. Wir werden<br />

Wachstum, Vollbeschäftigung und Wohlstand in<br />

alle Regionen unseres Landes bringen.<br />

TOP EUROPEAN REGIONS OF THE FUTURE<br />

REGION<br />

1. North Rhine-Westphalia<br />

2. Île-de-France<br />

3. South East England<br />

4. Baden-Württemberg<br />

5. Dublin Region<br />

6. Canton of Zug<br />

7. Bavaria<br />

8. Central Federal District<br />

9. Scotland<br />

1o. Uusimaa<br />

11. Stockholm County<br />

12. East of England<br />

13. Hessen<br />

14. Canton of Zurich<br />

15. North-Holland<br />

COUNTRY<br />

Germany<br />

France<br />

UK<br />

Germany<br />

Ireland<br />

Switzerland<br />

Germany<br />

Russia<br />

UK<br />

Finland<br />

Sweden<br />

UK<br />

Germany<br />

Switzerland<br />

Netherlands<br />

» AS THE LEADING<br />

ECONOMIC LOCATION IN<br />

GERMANY WITH MARKET<br />

POTENTIAL FOR<br />

INNOVATION IN EUROPE,<br />

WE ARE A MAGNET FOR<br />

INTERNATIONAL INVESTORS.<br />

SOME 18,ooo INTERNATIONAL<br />

COMPANIES ARE BASED<br />

IN NORTH RHINE-<br />

WESTPHALIA -- AND WE<br />

ARE READY FOR MORE! «<br />

Garrelt Duin, Minister of Economic Affairs,<br />

Energy and Industry, North Rhine-Westphalia


20<br />

KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Europas Zukunftsregion Nr. 1<br />

Nordrhein-Westfalen ist seit der industriellen<br />

Gründerzeit ein Innovationsland. Damit wurde<br />

die Grundlage für Wertschöpfung und Wohlstand<br />

gelegt. Auch im Zeitalter der digitalen Wissensökonomie<br />

wird <strong>NRW</strong> ein Innovationsland sein.<br />

Ein Innovationsland verlangt nach einem modernen<br />

Staat, der offensiv in Bildung, Wissenschaft,<br />

Forschung und Infrastruktur investiert. Diese<br />

öffentlichen Investitionen sorgen für wirtschaftliche<br />

Dynamik, gesellschaftlichen Fortschritt und<br />

soziale Gerechtigkeit. Sie sind durch nichts zu<br />

ersetzen. Erst öffentliche Investitionen bestellen<br />

das Feld, auf dem sich freies Unternehmertum<br />

entfalten kann, gute Arbeitsplätze entstehen und<br />

schließlich Gewinne und auskömmliche Einkommen<br />

geerntet werden.<br />

Wir investieren in die Mobilität von Menschen,<br />

Gütern und Daten. Wir fördern Forschung und<br />

Technologieentwicklung auf allen Wissensgebieten<br />

und Leitmärkten, die für zukünftiges Wachstum,<br />

für Vollbeschäftigung und gesellschaftlichen<br />

Fortschritt von herausragender Bedeutung sind.<br />

Wir vernetzen Wirtschaft und Wissenschaft,<br />

damit insbesondere kleine und mittelständische<br />

Unternehmen mit neuen Technologien innovative<br />

und marktreife Produkte und Dienstleistungen<br />

entwickeln können. Wir setzen auf das private<br />

Unternehmertum und werden Existenzgründungen<br />

anschieben und absichern. Wir werden 20<strong>30</strong><br />

das Gründerland Deutschlands sein.<br />

Die vielleicht größte Herausforderung der nächsten<br />

Jahre besteht darin, die Prinzipien und Regeln<br />

der sozialen Marktwirtschaft in das Zeitalter der<br />

digitalen Ökonomie zu überführen – in Nordrhein-Westfalen,<br />

in Deutschland und darüber<br />

hinaus. Ohne Regeln gibt es keine Rechte, weder<br />

für Unternehmen noch für Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmer. Unternehmen haben ein<br />

Recht auf fairen Wettbewerb, auf den Schutz<br />

ihrer Urheberrechte und auf den Schutz vor digitaler<br />

Monopolmacht. Arbeitnehmerinnen und<br />

Arbeitnehmer – und auch Solo-Selbstständige –<br />

haben ein Recht auf gute Arbeit, ein Recht auf<br />

Weiterbildung, auf gerechte Bezahlung und<br />

soziale Sicherheit.<br />

Eine moderne und vorausschauende Wirtschaftspolitik<br />

setzt auf die Kraft der Sozialpartnerschaft.<br />

Sie gehört zu den Markenzeichen des Rheinischen<br />

Kapitalismus in Nordrhein-Westfalen. Sie war<br />

eine Voraussetzung für den Erfolg des Modells<br />

Deutschland, und sie wird einer der Gründe sein,<br />

warum die besten Produkte der Industrie 4.0 die<br />

Aufschrift „Made in Germany“ tragen werden.<br />

Nur durch eine enge Sozialpartnerschaft wird es<br />

uns gelingen, die Wirtschaft 4.0 um eine menschliche<br />

Arbeitswelt 4.0 zu erweitern.<br />

Die Unternehmen und Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen<br />

können optimistisch in die<br />

Zukunft blicken. Wir werden dafür sorgen, dass<br />

aus den glänzenden Zukunftsaussichten schon<br />

bald eine glänzende Gegenwart wird: durch Vollbeschäftigung,<br />

gute Arbeit und soziale Sicherheit<br />

für alle Menschen in <strong>NRW</strong>.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Das Wirtschaftsland der Zukunft: ein Innovations- und Bildungsland 21<br />

DAS WIRTSCHAFTSLAND<br />

DER ZUKUNFT: EIN INNOVATIONS-<br />

UND BILDUNGSLAND<br />

Am Anfang steht eine Idee:<br />

Räder für Eisenbahnen könnten viel stabiler sein, wenn man sie aus einem einzigen<br />

Stück Stahl herstellt, anstatt sie aus gebogenen Stäben zusammenzuschweißen. Die<br />

Idee funktioniert. Als Alfred Krupp 1853 ein Patent für ein nahtloses und bruchsicheres<br />

Eisenbahnrad anmeldet, beginnt nicht nur die Geschichte eines der erfolgreichsten<br />

Unternehmen Deutschlands. Seine Idee wird zu einem Produkt, das Eisenbahnen<br />

und Stahlerzeugnissen – die Hightechprodukte des 19. Jahrhunderts – einen neuen<br />

Entwicklungsschub verleiht. Es beginnt die Geschichte der Hochindustrialisierung<br />

des Ruhrgebiets. Das Silicon Valley des 19. und 20. Jahrhunderts ist ein Iron Valley,<br />

und es liegt im späteren Nordrhein-Westfalen.<br />

Die technologischen Innovationen<br />

der Industrialisierung lösen eine<br />

ökonomische Revolution aus, die<br />

schließlich in politischen, sozialen<br />

und gesellschaftlichen Umwälzungen<br />

mündet. Die Industrialisierung schafft mit<br />

ihren enormen Produktivitätssteigerungen die<br />

Voraussetzungen für gesellschaftlichen Fortschritt<br />

und für den modernen<br />

Sozialstaat: Immer mehr Menschen<br />

erhalten Zugang zu immer<br />

mehr materiellen und immateriellen<br />

Gütern, die ihnen ein besseres<br />

Leben ermöglichen: Einkommen<br />

und soziale Sicherheit, Wissen und<br />

Bildung, Gesundheit und Mobilität<br />

und schließlich auch politische<br />

Mündigkeit und Demokratie.<br />

Gewiss, der gesellschaftliche Fortschritt folgte<br />

den technologischen und wirtschaftlichen Innovationen<br />

nicht auf dem Fuße. Er musste erst von<br />

der Arbeiterbewegung erkämpft und verteidigt<br />

werden (und daran hat sich bis heute nichts<br />

» MODERNE<br />

WIRTSCHAFTS-<br />

POLITIK MUSS<br />

IMMER AUCH<br />

INNOVA TIONS-<br />

POLITIK SEIN «<br />

geändert). Gleichwohl zeigt uns die Geschichte,<br />

dass Wachstum und Wohlstand, soziale Gerechtigkeit<br />

und Sicherheit maßgeblich von technologischen,<br />

wirtschaftlichen und sozialen Innovationen<br />

abhängig sind. Was schon in der Mitte des<br />

19. Jahrhunderts galt, gilt heute umso mehr: In<br />

einer Zeit, in der Ideen und Wissen die gleiche<br />

Bedeutung zukommt wie Rohstoffen, wenn nicht<br />

gar eine größere, muss moderne<br />

Wirtschaftspolitik immer auch<br />

Innovationspolitik sein.<br />

Innovationspolitik schafft einen<br />

Lebens- und Wachstumsraum für<br />

neue Produkte und Geschäftsmodelle.<br />

Sie hofft nicht einfach<br />

nur auf die Gründung von Startups,<br />

sie fördert sie gezielt. Innovationspolitik<br />

investiert in unabhängige Wissenschaft<br />

und Forschung und vernetzt sie mit<br />

Gründerinnen und Gründern sowie den etablierten<br />

Unternehmen des Mittelstands und des<br />

Handwerks. Sie setzt auf zukunftsweisende<br />

Leitmärkte und sorgt für eine moderne (und


22<br />

KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Das Wirtschaftsland der Zukunft: ein Innovations- und Bildungsland<br />

digitale!) Infrastruktur. Die Voraussetzung für<br />

eine starke Wirtschaft ist freilich immer ein herausragendes<br />

Bildungssystem. Bildung ist die<br />

Muttererde, aus der starke Unternehmen, gute<br />

Arbeitsplätze und gesellschaftlicher Fortschritt<br />

emporwachsen. Innovationspolitik investiert in<br />

Kitas, Schulen und Hochschulen, damit es auch<br />

20<strong>30</strong> noch genügend Fachkräfte gibt, die neue<br />

Ideen und Geschäftsmodelle auch umsetzen und<br />

weiterentwickeln können. Das Bildungssystem<br />

in <strong>NRW</strong> wird 20<strong>30</strong> nicht nur für individuelle Bildungserfolge<br />

sorgen, sondern auch für Bildungsgerechtigkeit<br />

und echte Chancengleichheit.<br />

i<br />

LEITMÄRKTE FÜR <strong>NRW</strong><br />

Maschinen- und Anlagenbau und Produktionstechnik<br />

Neue Werkstoffe<br />

Mobilität und Logistik<br />

Informations- und Kommunikationswirtschaft<br />

Energie- und Umweltwirtschaft<br />

Medien und Kreativwirtschaft<br />

Gesundheit und Lifescience<br />

Nicht zuletzt: Ein Lebens- und Wachstumsraum<br />

für erfolgreiche Produkte und Geschäftsmodelle<br />

muss immer auch ein Ort für soziale Innovationen<br />

sein. Dazu zählen gleiche Aufstiegschancen<br />

für Frauen und Männer, neue Arbeitszeitmodelle<br />

für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, neue<br />

Modelle für die soziale Absicherung und die Interessenvertretung<br />

von Arbeitnehmern in neuen<br />

Wissensberufen. Darüber hinaus geht es auch<br />

um Innovationen für mehr Lebensqualität in<br />

unseren Städten und Gemeinden. Denn sie sind<br />

genauso wenig nur „Standorte“ wie ihre Einwohner<br />

nur „Fachkräfte“. Sie sind Menschen, die<br />

ein Zuhause in lebenswerten Gemeinden wollen.<br />

Bei uns in <strong>NRW</strong> werden sie ein Zuhause finden.<br />

TREIBHÄUSER FÜR WACHSTUM<br />

UND BESCHÄFTIGUNG: LEITMÄRKTE UND<br />

INNOVATIONSSYSTEME<br />

Unser Weg zur Vollbeschäftigung führt über<br />

eine Leitmarktstrategie und über regionale<br />

Innovationssysteme. Leitmärkte sind die großen<br />

Wachstumsfelder der Zukunft, weil hier<br />

Produkte und Dienstleistungen zur Bewältigung<br />

der großen gesellschaftlichen Herausforderungen<br />

entwickelt und verkauft werden.<br />

Diese Herausforderungen sind der demografische<br />

Wandel, Klima- und Umweltschutz,<br />

die zunehmende Urbanisierung, Fragen der<br />

Mobilität und eine sichere Energieversorgung.<br />

Die wachsende Nachfrage nach entsprechenden<br />

Produkten und Dienstleistungen regt zu technischen<br />

und sozialen Innovationen an, die auf<br />

Leitmärkten umgesetzt werden. Leitmärkte überlagern<br />

Branchengrenzen und führen zu branchenübergreifendem<br />

Transfer von Wissen und Technologien.<br />

Eine Leitmarktstrategie kom biniert<br />

ebendiese Leitmärkte mit den eigenen wirtschaftlichen<br />

Stärken und Standortvorteilen. Für<br />

Nordrhein-Westfalen lassen sich acht Leitmärkte<br />

identifizieren, auf die sich unsere Wirtschaftsund<br />

Innovationspolitik konzentrieren wird.<br />

Die Leitmarktstrategie geht mit einer aktiven<br />

Innovationspolitik einher. Ihre Aufgabe ist es zunächst,<br />

leistungsstarke Schulen, Hochschulen und<br />

Forschungseinrichtungen zu finanzieren. Wissenschaft<br />

und Forschung an staatlich finanzierten<br />

Institutionen müssen frei und unabhängig<br />

sein. Sie sind allein dem Allgemeinwohl und<br />

dem gesellschaftlichen Fortschritt verpflichtet.<br />

Aber ihre Forschungsleistungen haben auch<br />

einen großen wirtschaftlichen Wert. Das gilt<br />

sowohl für die Grundlagenforschung als auch für<br />

eine anwendungsorientierte Wissenschaft. Ihre<br />

Erkenntnisse – und seien es nur wissenschaftliche<br />

Rand- und Nebenprodukte – sind Initialzündungen,<br />

für neue Ideen, Produkte und Geschäftsmodelle.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Das Wirtschaftsland der Zukunft: ein Innovations- und Bildungsland<br />

23<br />

Durch die Finanzierung seiner Hochschulen und<br />

Wissenschaftseinrichtungen übernimmt der<br />

Innovationsstaat das Risiko teurer Forschungsprojekte,<br />

von denen niemand weiß, ob sie neue<br />

Erkenntnisse bringen oder ob und wann diese<br />

Erkenntnisse praktische Folgen haben werden.<br />

Die Freiheit ergebnisoffener Wissenschaft können<br />

sich Privatunternehmen nicht leisten. Aber<br />

sie können und sollen von ihren Erkenntnissen<br />

profitieren, indem sie von kreativen und findigen<br />

Unternehmerinnen und Gründern aufgegriffen<br />

und in neue Produkte verwandelt werden.<br />

Nichts zeigt die ökonomische Kraft kluger Innovationspolitik<br />

besser als die Entstehungsgeschichte<br />

eines kleinen Geräts, das unser Alltagsleben<br />

in den letzten zehn Jahren stärker<br />

verändert hat als jede andere Technologie. Die<br />

Rede ist vom iPhone. Alle Technologien, die<br />

dieses „Smartphone“ intelligent machen, sind<br />

einst mit Hilfe staatlicher Wissenschaftsförderung<br />

entwickelt worden: Internet, GPS,<br />

Touchscreen oder Spracherkennung. Keine dieser<br />

Technologien wurde von Apple erfunden.<br />

Die Genialität des Steve Jobs und seiner Ingenieure<br />

bestand darin, das enorme Potential<br />

dieser Technologien zu erkennen, sie zusammenzufügen,<br />

weiterzuentwickeln, kinderleicht<br />

bedienbar zu machen und dann auch noch<br />

elegant aussehen zu lassen. Das war eine große<br />

Leistung, keine Frage. Aber sie wurde nur möglich,<br />

weil es zuvor öffentlich finanzierte Grundlagen-<br />

und Anwendungsforschung gegeben<br />

hatte, die mutige Unternehmerinnen und Unternehmer<br />

nutzen konnten.<br />

Wir wollen, dass die „iPhones“ des Maschinenbaus,<br />

der Logistik oder der Energiewirtschaft<br />

aus <strong>NRW</strong> kommen. Deshalb werden wir Nordrhein-Westfalen<br />

zum Vorbild für regionale Innovationssysteme<br />

machen. Wissenschaftliche Innovationen<br />

aus <strong>NRW</strong> werden noch schneller und in<br />

deutlich höherer Anzahl zu einer wirtschaftlichen<br />

Wertschöpfung in <strong>NRW</strong> führen. Innovationssysteme<br />

zeichnen sich durch eine enge Vernetzung<br />

und Kooperation von Unternehmen,<br />

Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen,<br />

Kommunen, Politik und Zivilgesellschaft<br />

aus. Hier zirkulieren Ideen und hier<br />

wird Wissen ausgetauscht. Universitäre Patentverbünde<br />

und Patentscouts gehören ebenso zu<br />

diesen Innovationssystemen wie die Förderung<br />

von Studierenden, Wissenschaftlerinnen und<br />

Wissenschaftlern, die mit einer neuen Idee neue<br />

Unternehmen gründen. Diese Netzwerke sind<br />

offen und international vernetzt, aber sie nutzen<br />

eben auch die Vorteile räumlicher Nähe. Einen<br />

hohen Stellenwert hat die Kooperation von Wissenschaftlern<br />

mit kleinen und mittelständischen<br />

Unternehmen. Wir öffnen ihnen mit zugeschnittenen<br />

Förderprogrammen den Zugang zu Wissenschaft<br />

und Forschung.<br />

Durch den gegenseitigen Wissens- und Erfahrungsaustausch<br />

ist <strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong> der deutsche<br />

Innovationsstandort. Leitmärkte und Innovationssysteme<br />

haben sich als Treibhäuser für<br />

Wachstum und Beschäftigung erwiesen. Hier ist<br />

die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft<br />

gelebte Praxis. Die einstigen Berührungsängste<br />

von einigen kleinen und mittleren Unternehmen<br />

spielen keine Rolle mehr, die Gesellschaft<br />

profitiert mehr denn je von wissenschaftlicher<br />

Forschung. Zudem wird <strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong> der Standort<br />

in Deutschland sein, der die bürokratischen<br />

Hürden bei der Vergabe von Fördermitteln für<br />

kleine und mittelständische Unternehmen derart<br />

eingeebnet hat, dass er ein Vorbild für ganz<br />

Deutschland geworden ist.<br />

GESUCHT UND GEFUNDEN:<br />

DIE ALFRED KRUPPS DES 21. JAHRHUNDERTS<br />

Wir warten nicht länger auf die Alfred Krupps<br />

des 21. Jahrhunderts. Wir werden sie gezielt<br />

suchen und fördern. Im Innovationsland <strong>NRW</strong><br />

wird es eine neue Gründerzeit geben. <strong>NRW</strong> wird<br />

zum Gründerland Nr. 1. Denn wir werden für eine<br />

neue Gründerkultur werben und den Wagemut<br />

für einen Sprung in die Selbstständigkeit unterstützen<br />

und sozial besser absichern. In Gründer-


24 KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Das Wirtschaftsland der Zukunft: ein Innovations- und Bildungsland<br />

zentren werden Start-ups auch durch Coachings<br />

und Beratung bei steuer- oder arbeitsrechtlichen<br />

Fragen und in Genehmigungsverfahren unterstützt.<br />

Antrags- und Genehmigungsverfahren<br />

werden vereinfacht, für Gründer überflüssige<br />

Berichts- und Informationspflichten entfallen.<br />

Erfahrenere (IT-)Unternehmer sollen verstärkt<br />

als „Gründungspaten“ gewonnen werden – auch<br />

für Unternehmen in den kreativen Branchen<br />

oder Lifestyle-orientierte handwerksähnliche<br />

Betriebe. Eine Förderung der Machbarkeitserprobung<br />

bereits vor dem eigentlichen Projektantrag<br />

senkt Hürden. Diese Förderung muss insbesondere<br />

auch dem Aufbau, Management und der<br />

Pflege von Open-Source-Projekten zukommen,<br />

deren Bedeutung für Alltagsleben und auch<br />

Wirtschaft zunimmt.<br />

VON DER KITA BIS ZUR WEITERBILDUNG:<br />

BILDUNGSPOLITIK IST INNOVATIONSPOLITIK<br />

Weil Wirtschaftskraft mehr denn je Innovationskraft<br />

voraussetzt, müssen wir dafür sorgen, dass<br />

es in Zukunft – und dem demografischen Wandel<br />

zum Trotz – noch ausreichend arbeitende Menschen<br />

gibt, die für Innovationen sorgen, – seien<br />

es Arbeitnehmer oder Selbstständige. Dass noch<br />

immer die soziale Herkunft über den Bildungserfolg<br />

entscheidet, ist also nicht nur eine Ungerechtigkeit,<br />

es ist auch eine unverantwortliche<br />

Verschwendung von Talenten und Chancen.<br />

Eine vorbeugende Bildungs- und Sozialpolitik ist<br />

immer auch eine kluge Wirtschafts- und Innovationspolitik.<br />

Sie beginnt mit frühkindlicher<br />

Bildung und hört mit dem Hochschulabschluss<br />

noch nicht auf. Wir werden uns auf Bundesebene<br />

für ein Recht auf Weiterbildung und berufliche<br />

Qualifikation für alle Arbeitnehmerinnen und<br />

Arbeitnehmer einsetzen.<br />

Fort- und Weiterbildungen werden sich in<br />

Zukunft stärker an individuellen Qualifizierungsbedürfnissen<br />

und den biografischen Profilen der<br />

Beschäftigten ausrichten, weniger an oft nur vage<br />

spezifizierten Bedürfnissen des aktuellen Arbeitgebers<br />

oder der gerade tagesaktuellen Förderkulisse.<br />

Wir unterstützen den Vorschlag der IG Metall<br />

für einen „Tarifvertrag Qualifizierung“.<br />

Zur Stärkung der lebenslangen Weiterbildung<br />

und des Interesses an neuen Entwicklungen<br />

benötigt die Wissensgesellschaft einen garantierten<br />

stabil verfügbaren, sozial gerechten und<br />

„netzneutralen“ Internetzugang, der so selbstverständlich<br />

sein soll wie ein Post- und Telefonanschluss.<br />

Deshalb werden wir uns für flexible<br />

Weiterbildungsregelungen, insbesondere in Bezug<br />

auf technologische Entwicklungen und<br />

„digitale“ Kompetenzen, einsetzen.<br />

Mit jedem Kind, das wir nicht zurücklassen,<br />

gewinnt unsere Wirtschaft einen Facharbeiter,<br />

eine Ingenieurin oder einen mutigen Unternehmensgründer<br />

mehr. Mit jedem Schulabbruch,<br />

den wir vermeiden, mit jedem jungen Menschen,<br />

dem wir zu einem höheren Bildungsabschluss<br />

verhelfen, und mit jedem Elternteil, dem wir die<br />

Vereinbarung von Familie und Beruf erleichtern,<br />

wird Nordrhein-Westfalen nicht nur gerechter,<br />

sondern auch wirtschaftlich stärker!


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Das Wissenschaftsland <strong>NRW</strong>: Forschung für den Menschen – Lösungen für ein besseres Leben 25<br />

DAS WISSENSCHAFTSLAND <strong>NRW</strong>:<br />

FORSCHUNG FÜR DEN MENSCHEN –<br />

LÖSUNGEN FÜR EIN BESSERES LEBEN<br />

Wir stehen für Innovation, Fortschritt und Internationalität.<br />

Dabei ist immer der Mensch im Mittelpunkt. Wir setzen uns für ein modernes Wissenschaftssystem<br />

ein, das im Dienst des Gemeinwohls steht. Dafür verbindet sozialdemokratische<br />

Innovationspolitik den leistungsstarken Wissenschaftsstandort <strong>NRW</strong> mit den<br />

unterschiedlichen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Lebensentwürfen der Menschen.<br />

Es geht um spürbare Verbesserungen der Lebenswelt – um Fortschritt, der bei den<br />

Menschen ankommt.<br />

<strong>NRW</strong> hat im Jahr 20<strong>30</strong> die dichteste<br />

Wissenschaftslandschaft und eine<br />

Nähe von Wissenschaft und Gesellschaft,<br />

die in Deutschland und<br />

Europa ihresgleichen sucht: Nirgend<br />

wo sonst trifft eine so dichte Wissenschaftslandschaft<br />

auf ein so dichtes Verkehrsnetz, eine<br />

so hohe Bevölkerungsdichte, eine so stark industriell<br />

geprägte Wirtschaft, eine so große gesellschaftliche<br />

Vielfalt und zugleich eine so zentrale<br />

Lage in Europa.<br />

Diese Investitionen lohnen sich: Indem Herausforderungen<br />

unmittelbar erkannt und erforscht,<br />

Lösungen probiert und Anwendungen umgesetzt<br />

werden können, wird diese Innovationskraft zum<br />

Eckpfeiler einer prosperierenden und wachsenden<br />

Wirtschaft, die viele neue, attraktive Arbeitsplätze<br />

in unserem Land schafft. Außerdem entstehen<br />

in diesem „Living Lab“ <strong>NRW</strong>, das aktiv von<br />

uns gefordert und gefördert wird, entscheidende<br />

Beiträge zur Bewältigung der großen gesellschaftlichen<br />

Herausforderungen.<br />

Diese Voraussetzungen nutzen<br />

wir und machen <strong>NRW</strong> zum innovativsten<br />

Wissenschaftsstandort<br />

in Europa. Dabei nutzen wir auch<br />

eine deutliche Steigerung der Ansiedlung<br />

außeruniversitärer Forschungsinstitute<br />

in unserem Land.<br />

Unser Ziel ist es, dass möglichst<br />

viele Innovationen der Zukunft<br />

und die Ideen für die Gesellschaft<br />

im Jahr 20<strong>30</strong> von den Forscherinnen<br />

und Forschern in <strong>NRW</strong> entwickelt werden.<br />

Dafür setzen wir auf eine innovative und vernetzte<br />

Wissenschaftslandschaft, moderne Hochschulcampus<br />

und ein kreatives Forschungsumfeld für<br />

die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.<br />

» INNOVATIONS-<br />

KRAFT WIRD<br />

ZUM ECKPFEILER<br />

EINER PROSPE-<br />

RIERENDEN UND<br />

WACHSENDEN<br />

WIRTSCHAFT«<br />

Im Fokus stehen für uns sowohl<br />

eine starke Grundlagenforschung<br />

als Basis für wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse als auch die mit ihr<br />

verschmelzende anwendungsorientierte<br />

Forschung. Gelebte Transund<br />

Interdisziplinarität wird zur<br />

großen Stärke des Standorts <strong>NRW</strong><br />

und zu einem entscheidenden<br />

Element für die schnelle und<br />

unmittelbare Anwendung von<br />

Forschungsergebnissen in der Praxis. Ein weiterer<br />

Aspekt ist die Stärkung der Fachhochschulen, die<br />

wir weiter ausbauen werden. Sie haben einen<br />

besonders kurzen Draht zur Wirtschaft und können<br />

Lösungen somit oft schnell umsetzen.


26<br />

KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Das Wissenschaftsland <strong>NRW</strong>: Forschung für den Menschen – Lösungen für ein besseres Leben<br />

WISSENSCHAFTLICHE ANTWORTEN AUF<br />

DIE GROSSEN HERAUSFORDERUNGEN<br />

Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen<br />

sind bereits jetzt zentraler Bestandteil der<br />

Arbeit der Wissenschaftslandschaft <strong>NRW</strong>. Klimawandel<br />

und Erderwärmung verlangen nach<br />

neuen nachhaltigen Lösungen für den Energieverbrauch<br />

oder die Nutzung von Rohstoffen. Die<br />

Entwicklung nachhaltiger Lebensstile ist eine<br />

Voraussetzung für die Bewältigung von Bevölkerungszuwachs<br />

und Wanderungsbewegungen<br />

auf der Erde.<br />

Die SPD-Landtagsfraktion fühlt sich bei der<br />

Beantwortung der großen weltweiten Herausforderungen<br />

unserer Zeit dem Erbe Willy Brandts<br />

und dem Wert der Einen Welt verpflichtet.<br />

Gerade junge Menschen erwarten, dass Wissenschaft<br />

und Forschung sich diesen Herausforderungen<br />

stellen. Die Wissenschaftslandschaft in<br />

<strong>NRW</strong> leistet 20<strong>30</strong> interdisziplinär und vernetzt<br />

herausragende Arbeit und begreift die Arbeit an<br />

der Lösung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen<br />

als eine ihrer zentralen Fragestellungen.<br />

Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag<br />

zur Zukunftssicherung des Standortes <strong>NRW</strong>. So<br />

ist beispielhaft der Cluster Energie- und Speicherforschung<br />

international sichtbar und prägt die<br />

Wahrnehmung des Landes in der Ära der auslaufenden<br />

Nutzung der Kohle als Primärbrennstoff.<br />

WISSENSCHAFT FÜR EINEN ERFOLGREICHEN<br />

STRUKTURWANDEL – POLITIK FÜR EINE ERFOLG-<br />

REICHE WISSENSCHAFT<br />

<strong>NRW</strong> ist das Land in Europa, in dem erfolgreicher<br />

Strukturwandel besichtigt werden kann.<br />

Die gewonnene Expertise der vergangenen Jahrzehnte<br />

zeigt, dass die Ansiedlung und die Etablierung<br />

von Hochschulen und außeruniversitären<br />

Forschungsinstituten entscheidend sind für die<br />

Bewältigung des Strukturwandels. Dabei ist für<br />

viele Menschen in unserem Land Strukturwandel<br />

immer noch mit der Bewältigung der Krise<br />

der Montanindustrien verbunden. 20<strong>30</strong> werden<br />

wir aber bereits die Folgen des digitalen Strukturwandels<br />

nachhaltig erleben. Unsere Antwort auf<br />

die damit verbundenen Fragestellungen ist eng<br />

mit dem Ausbau und der nachhaltigen Sicherung<br />

der Wissenschaftslandschaft in <strong>NRW</strong> verbunden.<br />

Wir werden deshalb die Wissenschaftslandschaft<br />

in <strong>NRW</strong> nachhaltig sichern.<br />

<strong>NRW</strong> führt den eingeschlagenen Kurs fort und<br />

setzt voll auf Bildung, Wissenschaft und Forschung.<br />

Auch finanziell. Trotz der Notwendigkeit<br />

der Haushaltskonsolidierung werden wir<br />

hier nicht sparen: Ausgaben für Bildung, Wissenschaft<br />

und Forschung sind essentiell wichtig<br />

für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und<br />

werden deshalb ausnahmslos als Investitionen<br />

betrachtet, die von den Regelungen einer Schuldenbremse<br />

ausgenommen sind.<br />

Wir wirken jedoch auch darauf hin, dass die Rahmenbedingungen<br />

für die Finanzierung dieser<br />

Zukunftsfelder besser werden: Bund und Länder<br />

werden sich auf eine Finanzarchitektur einigen,<br />

die der Bedeutung der Wissenschaft für die<br />

Zukunft unseres Landes gerecht wird. Dies muss<br />

auch die dauerhafte Fortführung der bestehenden<br />

Pakte und eine insgesamt verstetigte Beteiligung<br />

des Bundes an der Finanzierung der Hochschulen<br />

bedeuten. Darüber hinaus wirken wir auf<br />

eine stärker innovationsorientierte Ausrichtung<br />

des EU-Haushalts hin und intensivieren unsere<br />

Unterstützung für die Akteure aus <strong>NRW</strong> bei der<br />

Beantragung europäischer Forschungsförderung.<br />

Neben dem weiteren Ausbau und der Modernisierung<br />

der bestehenden Infrastruktur für Wissenschaft<br />

und Forschung werden wir im Bereich<br />

Bildung und somit auch im Bereich der Hochschulen<br />

investieren. Diese Investitionen stärken<br />

die Zukunftsfähigkeit und Innovationskraft<br />

<strong>NRW</strong>s und tragen dazu bei, dass wir die besonderen<br />

Chancen, die sich aus der intelligenten<br />

Vernetzung von Wissenschaft und der besonderen<br />

Wirtschaftsstruktur unseres Landes ergeben,<br />

nutzen. <strong>NRW</strong> ist ein Industrieland – und wir sind<br />

fest davon überzeugt, dass die Industrie auch


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Das Wissenschaftsland <strong>NRW</strong>: Forschung für den Menschen – Lösungen für ein besseres Leben 27<br />

20<strong>30</strong> noch zentral für <strong>NRW</strong> ist. Durch gezielte,<br />

staatlich finanzierte Programme treibt das Land<br />

die Innovationsfähigkeit und -geschwindigkeit<br />

der gesamten Gesellschaft voran. Die enge Verknüpfung<br />

von Wissenschaft und Gesellschaft<br />

und eine innovationsstarke Wirtschaft sind für<br />

uns die besten Mittel, um den Strukturwandel<br />

unseres Landes zu gestalten und zum Erfolg zu<br />

bringen.<br />

Weil unsere Innovationsstärke in erster Linie auf<br />

den Leistungen der Menschen in <strong>NRW</strong> beruht,<br />

gehören gute Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler und ein<br />

modernes Wissenschaftssystem für uns untrennbar<br />

zusammen. Ein zentraler Aspekt zum Ausbau<br />

der Innovationskraft unseres Landes ist zudem<br />

die Stärkung von Frauen in der Wissenschaft, die<br />

aktuell noch unterrepräsentiert, deren Fähigkeiten<br />

für einen erfolgreichen Wissenschaftsstandort<br />

aber unverzichtbar sind.<br />

INDUSTRIE 4.0<br />

Intelligente Fabrik<br />

Virtuelles Kraftwerk<br />

GUTE ARBEIT<br />

DIGITALISIERUNG<br />

ENERGIEWENDE<br />

Internet der Dinge<br />

RESSOURCENÖKONOMIE<br />

Fernwärme und<br />

Reststoffnutzung


28<br />

KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Aufbruch in das digitale Zeitalter: Die Wirtschaft 4.0 kommt aus <strong>NRW</strong><br />

AUFBRUCH IN DAS DIGITALE ZEITALTER:<br />

DIE WIRTSCHAFT 4.0 KOMMT AUS <strong>NRW</strong><br />

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts treten wir mit der Digitalisierung<br />

in die vierte Phase der Industrialisierung.<br />

Ihre neue Qualität besteht in einer vielfachen intelligenten Vernetzung<br />

von Maschinen, Produkten und Daten. Sie führt zu immensen<br />

Produktivitätssteigerungen – manche Schätzungen gehen von <strong>30</strong> Prozent<br />

und mehr in den kommenden 10 bis 15 Jahren aus.<br />

D<br />

iese Produktivitätssteigerungen<br />

beruhen vor allem auf der Vernetzung<br />

sogenannter intelligenter<br />

Maschinen: Die Maschine bestellt<br />

sich selbst den gerade geforderten<br />

Typ eines Rohlings und tauscht sich selbstständig<br />

mit anderen Maschinen oder Lagersystemen<br />

über verfügbare Kapazitäten aus. Der Rohling<br />

wiederum sagt der Maschine, wie er bearbeitet<br />

werden will. Das Endprodukt sendet kontinuierlich<br />

Daten über seine Verwendung an seinen Hersteller<br />

zurück, damit dieser das Produkt kontinuierlich<br />

anpassen und verbessern kann.<br />

Die „intelligente Fabrik“ verbindet schließlich die<br />

Effizienz der Massenproduktion mit der Qualität<br />

einer individuellen Maßanfertigung. Dabei ist<br />

nicht einmal sicher, ob eine Fabrik in jedem Fall<br />

noch gebraucht wird. Denn der 3D-Druck macht<br />

oft eine physische Lieferung überflüssig. Es<br />

reicht eine über das Netz bereitgestellte „Druckanleitung“<br />

samt Betriebs- und Wartungssoftware<br />

bzw. softwaregesteuerter Betriebs- und<br />

Wartungsdienstleistung.<br />

Handwerker müssen Ersatzteile nicht mehr bestellen,<br />

sondern können Produktionsanleitungen<br />

aus dem Internet verwenden und durch ihren<br />

3D-Drucker selbst herstellen. Auf ihren Datenbrillen<br />

erhalten sie zudem die visualisierten Einbauanleitungen.<br />

Auf Internetplattformen vernetzen sich verschiedene<br />

Soft- und Hardwareanbieter, Produktionsund<br />

Dienstleistungsanbieter, um Wissen und<br />

Kapazitäten zu bündeln und um ihren Kunden<br />

maßgeschneiderte Produkte anbieten zu können.<br />

Gerade kleine und mittlere Unternehmen können<br />

so ihren Vertrieb auf die ganze Welt ausweiten.<br />

Produkte werden aber immer seltener gekauft.<br />

Ihre Nutzung wird über Internetplattformen als<br />

Dienstleistung nachgefragt und bezahlt.<br />

Kurzum: Das „Internet der Dinge“ und der 3D-<br />

Druck bringen neue Geschäftsmodelle hervor.<br />

Neue Zuliefer- und Dienstleistungssektoren entstehen.<br />

Die Grenzen zwischen der virtuellen und<br />

der realen Welt verschwimmen genauso wie die<br />

Grenzen zwischen dem Industriesektor und dem<br />

Dienstleistungssektor. Das sind nur einige Beispiele<br />

einer digitalisierten Ökonomie.<br />

Egal wie wir diese neuen Produktionssysteme<br />

nennen wollen – „Industrie 4.0“, „Internet der<br />

Dinge“ oder wie die Amerikaner „Industrial Internet“<br />

–, ihre weitreichenden Folgen lassen sich<br />

schon allein daran ablesen, dass oft nur von<br />

Maschinen die Rede ist, aber nicht von Menschen.<br />

Muss uns das Sorgen bereiten? Ist das eine<br />

Bedrohung, auch und gerade für Arbeitsplätze in<br />

Nordrhein-Westfalen, dem Industrieland Nr. 1 in<br />

Deutschland und Europa? Was bleibt von unserer


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Aufbruch in das digitale Zeitalter: Die Wirtschaft 4.0 kommt aus <strong>NRW</strong> 29<br />

Privatsphäre, wenn Alltagsgegenstände unseren<br />

Lebenswandel auswerten oder unsere zwischenmenschlichen<br />

Kontakte aufzeichnen? Und was<br />

wird aus unserer Selbstbestimmung, was bleibt<br />

von unserer Kreativität, sollten Maschinen das<br />

Handeln von Arbeitnehmern und Konsumenten<br />

kontrollieren und dirigieren?<br />

i<br />

INDUSTRIE 4 .o UND WIRTSCHAFT 4.o<br />

Die Digitalisierung wird als vierte Phase der Industrialisierung<br />

bezeichnet: die Industrie 4.0.<br />

Die erste Phase begann mit der Erfindung der Dampfmaschine<br />

im 18. Jahrhundert, die die Arbeitskraft von<br />

Menschen und Tieren durch die Kraft der Maschinen<br />

ersetzte. Die explosionsartige Produktivitätssteigerung<br />

der standardisierten Fließband- und Massenproduktion<br />

markierte Anfang des 20. Jahrhunderts den Beginn<br />

der zweiten Phase. Sie wurde in den 1970er Jahren durch<br />

die dritte Phase abgelöst: Automatisierung durch Computer,<br />

Roboter und EDV. Die neue Qualität der Industrie 4.0<br />

sind ihre intelligente Vernetzung über das Internet und<br />

die Auswertung riesiger Datenmengen („Big Data“).<br />

Gemeint ist<br />

1. die intelligente Vernetzung von Maschinen untereinander,<br />

2. die Vernetzung der Maschinen mit ihrer Umwelt durch<br />

Sensoren und Antriebselemente,<br />

3. die Vernetzung der physischen Maschinenwelt mit der<br />

virtuellen Datenwelt des Internets,<br />

4. die intelligente Vernetzung der Maschinen mit ihren im<br />

Gebrauch befindlichen Produkten.<br />

Weil diese Vernetzungen völlig neue Geschäftsmodelle<br />

hervorbringen und die gesamte Wirtschaft, auch Handwerk,<br />

Handel und Dienstleistungen betreffen, spricht man auch<br />

von der Wirtschaft 4.0.<br />

Die Digitalisierung ist also nicht nur eine Frage<br />

der Technologie und der Technologiepolitik. Sie ist<br />

auch eine Herausforderung für die Wirtschafts-,<br />

Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, nicht zuletzt<br />

die Bildung und die Bürgerrechte. Wir sind davon<br />

überzeugt, dass die Chancen weit größer als<br />

die Risiken sind und dass die Vorteile der digitalen<br />

Ökonomie ihre Nachteile weit übertreffen.<br />

Vorausgesetzt, wir sind willens und fähig, die<br />

digitale Ökonomie politisch zu gestalten und<br />

für gesellschaftlichen Fortschritt zu nutzen. Wir<br />

müssen die Digitalisierung nicht über uns ergehen<br />

lassen. Wir können sie gestalten und wir<br />

wollen sie gestalten!<br />

Die Geschichte der Industrialisierung zeigt, dass<br />

das möglich ist. Die Antworten auf die politischen<br />

und sozialen Fragen ihrer ersten Phasen<br />

in Deutschland waren die Demokratie und der<br />

Sozialstaat, die betriebliche Mitbestimmung und<br />

das progressive Steuersystem. Erst durch diese<br />

politischen Innovationen wurden die brutalen<br />

Auswüchse des Industriekapitalismus zurückgeschnitten,<br />

seine immensen Produktivitätsgewinne<br />

in Wohlstandsgewinne für alle transformiert<br />

und schließlich der Nutzen technologischer<br />

Innovationen für alle Bürgerinnen und Bürger<br />

zugänglich und erschwinglich.<br />

Das ist die Blaupause für sozialdemokratische<br />

Politik im digitalen Zeitalter. Wir können die<br />

neuen technologischen Möglichkeiten und die<br />

enormen Produktivitätssteigerungen der Digitalisierung<br />

in Wohlstand und in ein besseres Leben<br />

für alle Menschen verwandeln. Tatsächlich werden<br />

die Produktivitätssteigerungen nur die Lücke<br />

verkleinern, die sich bis 20<strong>30</strong> zwischen dem Bedarf<br />

an Arbeitskräften und dem Angebot auftun<br />

wird. Wissenschaftliche Studien gehen davon<br />

aus, dass 20<strong>30</strong> zwei Millionen Arbeitskräfte in<br />

Deutschland fehlen werden. Um trotzdem unsere<br />

Wirtschaftskraft zu erhalten, brauchen wir erstens<br />

ein besseres und gerechteres Bildungssystem,<br />

zweitens bessere Chancen für Frauen im Arbeitsleben<br />

und drittens ein Einwanderungsgesetz.


<strong>30</strong><br />

KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Aufbruch in das digitale Zeitalter: Die Wirtschaft 4.0 kommt aus <strong>NRW</strong><br />

Die große politische Aufgabe der Gegenwart<br />

besteht darin, die Prinzipien, Grundwerte und<br />

Regeln der sozialen Marktwirtschaft in die Ära<br />

der digitalen Wissensökonomie zu überführen.<br />

Der Sozialstaat und die Errungenschaften der<br />

Gewerkschaftsbewegung sind keine Artefakte<br />

einer vergangenen Zeit, sondern die Fundamente<br />

für Wachstum, Wohlstand und Gerechtigkeit im<br />

21. Jahrhundert. Was wir verhindern wollen, ist<br />

die – oft durch das Adjektiv „kreativ“ oder schlicht<br />

durch das englische Wort „disruption“ getarnte –<br />

Zerstörung von sozialen Rechten,<br />

sozialen Sicherheiten, Verbraucher-<br />

und Bürgerrechten.<br />

Im Gegenzug werden wir unsere<br />

Unternehmen durch eine gezielte<br />

Innovationspolitik dabei unterstützen,<br />

zu Weltmarktführern<br />

digitaler Produktionsprozesse,<br />

Dienstleistungen und Produkte<br />

zu werden. Wir werden Initiativen<br />

für Datenschutz und Datensicherheit<br />

auf den Weg bringen und unsere Unternehmen<br />

vor digitaler Monopolmacht schützen.<br />

Digi tale Diaspora wird es 20<strong>30</strong> in <strong>NRW</strong> nicht mehr<br />

geben. An jedem Ort werden Breitbandleitungen<br />

zur Verfügung stehen. Die Übertragungsraten von<br />

Glasfaserkabeln werden der Standard sein.<br />

UNTERNEHMEN ALLER BRANCHEN,<br />

DIGITALISIERT EUCH! INNOVATIONSPOLITIK<br />

FÜR HANDWERK UND MITTELSTAND<br />

Die vielen hundert Weltmarktführer im produzierenden<br />

Gewerbe aus Nordrhein-Westfalen<br />

haben eine ausgezeichnete Ausgangsposition,<br />

um die Ära der digitalen Ökonomie zu ihrer Ära<br />

zu machen. Das gilt im Übrigen auch für den<br />

Handel und das Handwerk. Auch das Handwerk<br />

ist eine Innovationskraft! Doch noch zögern viele<br />

Unternehmen, wenn es um die Erschließung der<br />

neuen Technologien der Industrie und Wirtschaft<br />

4.0 geht. Es fehlt kleineren und mittleren Unternehmen<br />

noch zu oft das Wissen um die Potenziale<br />

des „Internets der Dinge“. Und selbst wenn<br />

» MITTELSTAND<br />

UND HANDWERK<br />

WERDEN WICHTIGE<br />

PARTNER<br />

REGIONALER<br />

INNOVATIONS-<br />

SYSTEME SEIN «<br />

es vorhanden ist, gibt es zu oft keinen Zugang<br />

zu diesen Technologien. Hier schlummert das<br />

Potenzial. Wissenschaftliche Studien, die ansonsten<br />

die Stärken und Chancen unseres Landes<br />

belegen, weisen nach: Bei 70 Prozent der kleinen<br />

und mittleren Unternehmen spielt die Digitalisierung<br />

derzeit nur eine geringe Rolle.<br />

Das muss sich ändern: Wir werden Mittelstandsund<br />

Handwerksinitiativen auf den Weg bringen,<br />

die unseren kleinen und mittleren Unternehmen<br />

Zugang zu den neuen Technologien<br />

verschaffen. Mittelstand<br />

und Handwerk werden wichtige<br />

Partner regionaler Innovationssysteme<br />

in Nordrhein-Westfalen<br />

sein. Es muss zudem mehr Unterstützung<br />

für unseren Mittelstand<br />

auch auf dem Feld der<br />

Online-Vermarktung geben. Eine<br />

die Vermarktung und Kundenkommunikation<br />

erleichternde,<br />

zeitgemäße online-Präsenz von<br />

Mittelständlern und Innovationsnetzwerken aus<br />

<strong>NRW</strong> muss zum Standard werden. Mit Pilotprojekten<br />

werden wir gemeinsame Vermarktungsplattformen<br />

unterstützen.<br />

Generell gilt: Unternehmen aller Branchen, digitalisiert<br />

euch! Aber macht das zusammen mit<br />

euren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern!<br />

Die Erfahrung zeigt: Unternehmen, die ihre Beschäftigten<br />

beim Übergang in die digitale Ökonomie<br />

einbinden und zu Rate ziehen, werden<br />

die enormen Möglichkeiten technologischer<br />

Innova tionen schneller und besser für sich nutzen<br />

können als jene, die glauben, darauf verzichten zu<br />

können.<br />

DIGITALE INFRASTRUKTUR:<br />

DAS GLASFASERNETZ WIRD ZUM STANDARD<br />

Für das Glasfasernetz müssen klare Geschwindigkeits-<br />

und Stabilitätsziele für die Jahre bis<br />

2020 und 20<strong>30</strong> aufgestellt und gegenfinanziert<br />

werden, wo sich der Breitbandausbau für die


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Aufbruch in das digitale Zeitalter: Die Wirtschaft 4.0 kommt aus <strong>NRW</strong> 31<br />

Anbieter nicht rechnet; etwa mit Hilfe von Breitbandbürgerfonds,<br />

so sich tragfähige Modelle<br />

anbieten. Die Einführung der nächsten und übernächsten<br />

Mobilfunkgenerationen muss durch<br />

Forschungsförderung unterstützt werden. Ein<br />

diskriminierungsfreier Internetzugang und Netzneutralität<br />

auch für die Anbieter von Online-Angeboten<br />

müssen als wichtige Aufgabe der Daseinsvorsorge<br />

aufgefasst und geschützt werden.<br />

MADE IN <strong>NRW</strong>: DATENSCHUTZ, DATENSICHER-<br />

HEIT UND DATENMÜNDIGKEIT<br />

Ein Grund für die digitale Zurückhaltung vieler<br />

Unternehmen ist die mangelnde Datensicherheit.<br />

Der Raub von Daten kann ein existentielles<br />

Risiko sein. Auf der anderen Seite entscheiden<br />

Daten – ihr Austausch, ihre Erhebung und Verarbeitung<br />

– heute mehr denn je überwirtschaftlichen<br />

Erfolg. Big Data, also die Verwertung großer<br />

Datenmengen, ist das Rückgrat aller neuen<br />

Geschäftsmodelle und treibt die Entwicklung<br />

jener Technologien und Produkte voran, die unser<br />

Leben verbessern und gesellschaftlichen Fortschritt<br />

versprechen.<br />

Aber dieses Versprechen wird nur dann eingelöst<br />

werden, wenn Daten nicht nur erhoben und ausgewertet,<br />

sondern auch geschützt werden können.<br />

Wenn das nicht der Fall ist, werden unsere<br />

Unternehmen nicht investieren und ihre Wachstumschancen<br />

nicht nutzen können. Cyberspionage<br />

muss, insbesondere im Falle der Industriespionage,<br />

strenger geahndet werden und nach<br />

auch vollstreckbaren Sanktionsformen gegen<br />

ausländische Regierungen muss gesucht werden.<br />

Außerdem wird digitaler Eigentumsschutz<br />

alltägliche Praxis werden müssen. Gleichzeitig<br />

benötigen wir einen gesetzlichen Schutz für<br />

Whistleblower, die Schaden von der Allgemeinheit<br />

abwenden helfen oder durch ihre Veröffentlichungen<br />

demokratische/freiheitsrechtliche Interessen<br />

schützen.<br />

Gegenstand der staatlichen Forschungsförderung<br />

müssen in Zukunft mehr als bisher die<br />

Datensicherheit und der Datenschutz sein.<br />

Wir werden die Entwicklung einer effektiven<br />

Datensicherheitstechnologie fördern, die alle<br />

Unternehmen nutzen und anbieten können,<br />

nicht nur die Big Player der Szene. Des gleichen<br />

Schutzes bedürfen Nutzerkonten, Kundenkonten<br />

und soziale Profile von Privatpersonen.<br />

Cloud-Dienste made in <strong>NRW</strong> sind genauso zu<br />

fördern wie Firewalls, vertrauenswürdige Verschlüsselungsverfahren<br />

oder ein konkurrenzstarker<br />

Virenschutz. Möglicherweise werden<br />

wir neben dem freien Internet auch gesicherte<br />

und separierte Netze brauchen, die kritische<br />

Kommunikation sichern. All das sind Innovationen,<br />

die von Firmen in <strong>NRW</strong> entwickelt, vermarktet<br />

und einem Bundes- oder Landesamt für digitale<br />

Sicherheit zertifiziert werden können. In <strong>NRW</strong><br />

gibt es bereits Forschungseinrichtungen wie das<br />

Horst Görtz Institut für IT-Sicherheit in Bochum.<br />

Kurzum: Eine digitale Sicherheitsindustrie, die<br />

Wissensbestände, Projekte und die Kommunikation<br />

unserer Wirtschaftsunternehmen effektiv<br />

schützt, wird ein Eckpfeiler des Innovationslandes<br />

Nordrhein-Westfalen sein.<br />

ROHSTOFF OPEN DATA<br />

Wir werden die digitale Bereitstellung von offenen<br />

Daten (nicht von privaten Daten) stärker vorantreiben<br />

und streben eine möglichst flächendeckende<br />

Veröffentlichung behördlicher Daten –<br />

insbesondere auch der von den Kommunen ans<br />

Land gemeldeten Daten – über das Landesportal<br />

Open.<strong>NRW</strong> an. Open Data bietet die Chance, dass<br />

sich neue Geschäftsmodelle und Anwendungen<br />

entwickeln, die wirtschaftlichen Nutzen für <strong>NRW</strong><br />

bringen. Daten sind ein Produktionsrohstoff. Bei<br />

Open Data kann hier sogar der Staat zum Rohstoffgeber<br />

für Wertschöpfungen Dritter werden.<br />

Auch wollen wir, dass verstärkt Software mit<br />

freiem Quellcode eingesetzt wird. Zusätzliche<br />

Wettbewerbe und sogenannte Hack-Days sollen<br />

Programmiererinnen und Programmierer dazu<br />

ermuntern, aus diesen Daten nützliche Anwendungen<br />

für die Allgemeinheit zu erstellen.


32<br />

KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Aufbruch in das digitale Zeitalter: Die Wirtschaft 4.0 kommt aus <strong>NRW</strong><br />

SCHUTZ VOR DIGITALER MONOPOLMACHT<br />

UND DIE STANDARDS DER WIRTSCHAFT 4.0<br />

„Stellen Sie sich vor, Sie leben im Jahr 1913 und<br />

die Post, die Telefongesellschaft, die Stadtbibliothek,<br />

die Druckereien, die Vermessungsbehörde,<br />

die Kinos und die Landkartenhersteller befinden<br />

sich alle in der Hand eines undurchsichtigen<br />

Unternehmens, das der Öffentlichkeit keinerlei<br />

Rechen schaft schuldig ist“, schreibt Rebecca Solnit<br />

über Googles Monopolmacht. „Wenn Sie ein<br />

Jahrhundert nach vorn springen, dann ist heute<br />

im Internet mehr oder weniger genau das der<br />

Fall.“ „Wäre er heute am Leben“, schreibt Richard<br />

Sennett über den amerikanischen Präsidenten<br />

Theodore Roosevelt (der vor 100 Jahren u. a.<br />

Standard Oil zerschlug), „dann würde er seine<br />

Kanonen auf Google, Apple, Facebook, Amazon<br />

und Microsoft richten.“<br />

Ob eine Zerschlagung dieser Monopolisten und<br />

Oligopolisten tatsächlich einmal notwendig sein<br />

wird, bleibt abzuwarten. Zunächst ist festzuhalten:<br />

Marktbeherrschende Unternehmen müssen<br />

sich strengeren Regeln und Kontrollen unterwerfen,<br />

als es auf einem Kunden- und Nutzermarkt<br />

der Fall wäre.<br />

Die jüngere Geschichte der Industrialisierung<br />

zeigt jedenfalls, dass es technologische Normen<br />

und Standards sind, durch die neue Märkte und<br />

Produktivitätspotentiale erschlossen werden<br />

können. Wer die Standards setzt, der macht die<br />

Spielregeln und der hat das Sagen. Wenn wir<br />

verhindern wollen, dass unsere Maschinen- und<br />

Anlagenbauer, unsere Chemie- oder Logistikunternehmen<br />

zu Vasallen von digitalen Lehnsherren<br />

absteigen (gemeint sind natürlich die bekannten<br />

Internetgiganten), dann müssen die Standards<br />

der Industrie 4.0 aus Europa, Deutschland und<br />

Nordrhein-Westfalen kommen. Mit Unterstützung<br />

der Politik muss es gelingen, ein industrielles<br />

Betriebssystem „Mittelstand 4.0“ zu etablieren.<br />

Das gilt erst recht im Hinblick auf die Normen<br />

und Standards digitaler Handelsplattformen, die<br />

für die Vernetzung und den Vertrieb industrieller<br />

Produkte und Dienstleistungen in Zukunft die<br />

gleiche Bedeutung haben werden wie Amazon,<br />

iTunes oder Google schon heute für den Konsumentenmarkt.<br />

DIE ZWILLINGSSCHWESTERN DER<br />

DATENSICHERHEIT: DATENSCHUTZ UND<br />

DATENMÜNDIGKEIT<br />

Viele Innovationen der digitalen Ökonomie beruhen<br />

auf der – mehr oder minder – freiwilligen<br />

„Zuarbeit“ der Konsumenten, also auf der Auswertung<br />

des Nutzungsverhaltens von intelligent<br />

vernetzten Maschinen und Produkten. Wenn<br />

zum Beispiel der anfallende Müll digital erfasst<br />

und ausgewertet wird, kann das die Effizienz des<br />

Recyclings steigern und dem Umweltschutz dienen.<br />

Wenn aber der anfallende Müll einem Menschen<br />

individuell zugeordnet werden kann, wie<br />

hoch ist dann das Risiko, dass seine Kranken- oder<br />

Lebensversicherung von zu viel Cola-Dosen oder<br />

Schokoladenverpackungen erfährt, die ihr Grund<br />

genug sind, die Beiträge zu erhöhen?<br />

Im digitalen Zeitalter ist die Privatsphäre ein geschützter<br />

Raum, in dem wir Informationen über<br />

uns selbst aufbewahren. Manchen Menschen<br />

gewähren wir Zugang zu diesen Informationen,<br />

anderen nicht. Wir entscheiden selbst! Die Privatsphäre<br />

schützt unsere individuelle Freiheit. Denn<br />

frei zu sein, bedeutet eben auch, einen privaten<br />

Ort zu haben, an dem man mit seinen Gedanken<br />

und dem, was man tut und versucht, allein sein<br />

kann, ohne den Manipulationsversuchen politischer<br />

oder ökonomischer Interessen ausgesetzt<br />

zu sein. Deshalb ist es kein Zufall, dass im Kanon<br />

der individuellen Grundrechte die politischen<br />

Beteiligungsrechte (freie Entfaltung der Persönlichkeit,<br />

Meinungs-, Versammlungs- und<br />

Religions freiheit) an der Seite der Rechte zum<br />

Schutz der Privatsphäre stehen.<br />

Die Privatsphäre eines Menschen ist unverkäuflich.<br />

Entsprechende Geschäftsmodelle, insbesondere<br />

bei Versicherungen und Dienstleistungen der<br />

Daseinsvorsorge, die Preisnachlässe gegen die


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Aufbruch in das digitale Zeitalter: Die Wirtschaft 4.0 kommt aus <strong>NRW</strong> 33<br />

Übermittlung persönlicher Daten (z. B. Körperfunktionen,<br />

Gesundheitsdaten, Fahrverhalten)<br />

vorsehen, sind zu verbieten. Auch der Ausschluss<br />

von Versicherungen aufgrund der Verweigerung<br />

einer kontinuierlichen Übermittlung persönlicher<br />

Daten ist zu untersagen. Denn die Unterschiede<br />

zwischen Bonus-, Standard- und Strafpreisen<br />

sind nur eine Frage der kritischen Masse. Bonuspreise<br />

verwandeln sich schnell in Standardpreise,<br />

Standardpreise schnell in Strafpreise, und damit<br />

wird die theoretische Freiwilligkeit zu einem praktischen<br />

Zwang.<br />

Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu bestimmen,<br />

welche Daten über ihn gespeichert, ausgewertet<br />

und weitergegeben werden. Bevor dies<br />

geschieht, muss er zustimmen, und zwar nicht<br />

nur durch einen einzigen Ja-Nein-Klick am Ende<br />

seitenlanger allgemeiner Geschäftsbedingungen.<br />

Jeder Nutzer muss kontinuierlich und über<br />

höherschwellige Verfahren seine Zustimmung<br />

geben. Bestehende Datenschutzgesetze müssen<br />

im Internet stärker als bisher durchgesetzt werden.<br />

Bei Verstößen sind empfindliche Strafen zu<br />

verhängen.<br />

Jeder Nutzer ist regelmäßig über die von ihm<br />

gespeicherten Daten und Datenauswertungen<br />

zu informieren. Der Gesetzgeber muss zudem<br />

einen Rahmen setzen, der festlegt, welche Daten<br />

gesammelt und zu welchen Zwecken sie ausgewertet<br />

werden dürfen.<br />

Regeln wir das Internet den Prinzipien des demokratischen<br />

Rechtsstaates unterwerfen können.<br />

Wir werden es jedenfalls nicht hinnehmen, dass<br />

es die großen Internetkonzerne sind, die die<br />

Normen unseres Zusammenlebens festlegen,<br />

Datenschutz definieren und die Grenzen unserer<br />

Privatsphäre bestimmen. Denn all das dürfen nur<br />

die Bürgerinnen und Bürger selbst, durch Wahlen<br />

und Abstimmungen.<br />

Staatliche Regeln und marktwirtschaftliche<br />

Steuerung sind wichtige Elemente, um die Digitalisierung<br />

für gesellschaftlichen Fortschritt zu<br />

nutzen. Ihre Wirkungsmacht ist aber nicht unbegrenzt.<br />

Jeder einzelne Mensch hat das Recht und<br />

auch die Verantwortung, seine Privatsphäre und<br />

die seiner Mitmenschen zu schützen. Wir setzen<br />

auf Aufklärung – und zwar im allerbesten Sinne<br />

des Immanuel Kant: als Ausgang des Menschen<br />

aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.<br />

Jeder Mensch muss wissen, wie digital vernetzte<br />

Kommunikationstechnologie im Grundsatz funktioniert,<br />

was mit seinen Daten passieren kann<br />

und wie er verantwortungsvoll mit seinen Daten<br />

umgehen kann. Je mehr wir in die Daten- und<br />

Risikomündigkeit investieren, desto besser werden<br />

wir als Bürgerinnen und Bürger die Vor- und<br />

Nachteile von neuen Technologien und Geschäftsmodellen<br />

für uns und andere bewerten<br />

können.<br />

Die Antwort auf die soziale Frage der industriellen<br />

Revolution war der demokratische Sozialstaat.<br />

Und er ist auch die Antwort auf die neuen<br />

sozialen Fragen der digitalen Ökonomie. Die prinzipielle<br />

Antwort auf die Frage nach dem Erhalt<br />

von Demokratie, Datenschutz, Verbraucherrechten<br />

und Privatsphäre im digitalen Zeitalter kennen<br />

wir ebenfalls schon lange: Es ist der demokratische<br />

Rechts- und Verfassungsstaat. Statt zu<br />

fragen, wie wir unsere Bürgerrechte an das Internet<br />

anpassen (und was von ihnen übrig bleiben<br />

kann), sollten wir uns besser fragen, mit welchen


34<br />

KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Gute Arbeit in einer gerechten und menschlichen Arbeitswelt!<br />

GUTE ARBEIT IN EINER<br />

GERECHTEN UND MENSCHLICHEN<br />

ARBEITSWELT!<br />

Die intelligente Fabrik des “<br />

Internets der Dinge“ wird keine menschenleere Fabrik sein.<br />

Zudem entstehen mit neuen Geschäftsmodellen, Dienstleistungs- und Zuliefersektoren<br />

auch neue Arbeitsplätze. Aber natürlich wird die Digitalisierung die Arbeitswelt und<br />

den Arbeitsmarkt verändern. Die Arbeitsorganisation wird dezentraler und die Aufgaben<br />

der Beschäftigten werden komplexer und auch anspruchsvoller. Das stellt ganz neue<br />

Anforderungen an ihre Qualifikation.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Gute Arbeit in einer gerechten und menschlichen Arbeitswelt! 35<br />

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

werden als Entscheider<br />

und Problemlöser gefragt sein,<br />

denn die digitale Produktion ist<br />

nicht störungsresistent. Auch soziale<br />

Kompetenzen erlangen einen höheren Stellenwert,<br />

weil mit der Verzahnung einst getrennter<br />

Abteilungen und Aufgaben der Bedarf an zwischenmenschlicher<br />

Kommunikation zunimmt.<br />

Entgegen vielen Befürchtungen wird klar: Mehr<br />

zwischenmenschliche Kommunikation ist in der<br />

digitalen Fabrik gefragt, nicht weniger. Technik<br />

und Arbeitsgestaltung müssen zusammengedacht<br />

und zusammengebracht<br />

werden. Die Menschen müssen<br />

die Systeme steuern, nicht umgekehrt.<br />

Bei allen Unterschieden zwischen<br />

den frühen Phasen und<br />

der jetzt angebrochenen vierten<br />

Phase der Industrialisierung<br />

gibt es doch eine Herausforderung,<br />

die ihnen gemein ist: die<br />

Beteiligung aller Menschen an<br />

den Wohlstandsgewinnen durch immense Produktivitätssteigerungen.<br />

Wir setzen uns für eine<br />

Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

an den Produktivitätsfortschritten ein.<br />

Schlägt sich der Produktivitätsgewinn auch in<br />

steigenden Löhnen nieder, könnte das jährliche<br />

Wirtschaftswachstum um bis zu ein Prozent höher<br />

ausfallen und in Deutschland zusätzlichen<br />

Wohlstand von mehr als 100 Milliarden Euro<br />

jährlich schaffen. Es lohnt, sich jedenfalls daran zu<br />

erinnern, was schon Henry Ford wusste: „Autos<br />

kaufen keine Autos.“ Im Zeitalter der digitalen<br />

Ökonomie werden zwar Maschinen mit Maschinen<br />

kommunizieren. Sie werden sich aber nicht<br />

gegenseitig kaufen und bezahlen. Mit anderen<br />

Worten: Auch in der neuen Welt der digitalen<br />

Ökonomie stellen sich die klassischen Fragen<br />

nach einer gerechten Verteilung von Gewinnen,<br />

der Schaffung von Kaufkraft, nach angemessenen<br />

Arbeitszeiten und nach den Bedingungen sozialer<br />

Sicherheit.<br />

» VOLLBESCHÄF-<br />

TIGUNG IN GUTER<br />

ARBEIT IST DAS<br />

KERNZIEL SOZIAL-<br />

DEMOKRATISCHER<br />

WIRTSCHAFTS-<br />

POLITIK «<br />

VOLLBESCHÄFTIGUNG UND GUTE ARBEIT<br />

FÜR NORDRHEIN-WESTFALEN<br />

Die Voraussetzung für Selbstbestimmung ist<br />

gute Arbeit. Nur durch sie können Menschen am<br />

gesellschaftlichen Leben teilhaben, ihre Fähigkeiten<br />

und Interessen verwirklichen, sozial aufsteigen<br />

und im Austausch mit anderen Verbundenheit<br />

und Bestätigung finden. Gute Arbeit<br />

bedeutet interessante, gut bezahlte und sozial<br />

abgesicherte Arbeit in einem toleranten, gesundheitsfördernden<br />

und familienfreundlichen Umfeld,<br />

bei der die Menschen über Prozesse und das<br />

Ergebnis mitbestimmen.<br />

In einer sozialen Marktwirtschaft<br />

bedarf es neben Innovationen<br />

auch Interessenausgleich<br />

und Kooperation, um gute Arbeit<br />

und Selbstbestimmung – auch<br />

der Schwächeren – zu ermöglichen.<br />

Im Mittelpunkt dieses<br />

kooperativen Ausgleichs von<br />

Interessen stehen die humane<br />

Ausgestaltung der Arbeit und<br />

die gerechte Verteilung der Produktivitätsgewinne<br />

in Institutionen und Unternehmen.<br />

Vollbeschäftigung in guter Arbeit zu<br />

erreichen, ist daher das Kernziel sozialdemokratischer<br />

Wirtschaftspolitik.<br />

DIE ZUKUNFT GEHÖRT DER MITBESTIMMUNG<br />

UND DER SOZIALPARTNERSCHAFT<br />

Kreativität, Erfindergeist, Problemlösungskompetenz<br />

und Kooperationswille der Menschen sind<br />

die Grundlagen für soziale und technologische<br />

Innovationen. Wirtschaftlicher Erfolg – erst recht<br />

in der digitalen Wissensökonomie – entsteht<br />

aus dem Fachwissen, den sozialen Kompetenzen<br />

und der Kreativität gut ausgebildeter Arbeitnehmerinnen<br />

und Arbeitnehmer. Ohne sie gibt es<br />

keine Innovationen, keine wirtschaftliche Dynamik<br />

und keinen Fortschritt. Es liegt im ureigenen<br />

Interesse der Unternehmen, eine humane digitale<br />

Arbeitswelt gemeinsam mit ihren Beschäftigten<br />

und den Gewerkschaften zu gestalten.


36<br />

KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Gute Arbeit in einer gerechten und menschlichen Arbeitswelt!<br />

Nur so werden die Unternehmen in <strong>NRW</strong> trotz<br />

des demografischen Wandels dauerhaft ausreichend<br />

motivierte Fachkräfte mit ihrem Knowhow<br />

(er)halten und neu gewinnen können.<br />

Im Zeitalter der Digitalisierung bietet betriebliche<br />

Mitbestimmung enorme Chancen, das im<br />

Unternehmen vorhandene Wissen und Können<br />

der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu<br />

heben. Der Einsatz neuer Technologien erlaubt<br />

umfassende Transparenz und Information und<br />

vereinfacht demokratische Beteiligungsverfahren.<br />

Unternehmen mit Mitbestimmung sind<br />

häufig nicht nur die attraktiveren Arbeitgeber.<br />

Die Erfahrungen aus der Wirtschaftskrise nach<br />

2008 lehren auch: Mitbestimmung und Gewerkschaften<br />

helfen, in schwierigen Situationen gemeinsame<br />

Lösungen zu finden.<br />

Die gut ausgebildeten Fachkräfte von heute<br />

und morgen wollen gehört werden und mitentscheiden.<br />

Kommandowirtschaft<br />

von Vorständen, die in<br />

kurzen Abständen Unternehmen<br />

wechseln und sich weder<br />

mit dem regionalen Unternehmensumfeld<br />

noch mit seinen<br />

Stakeholdern (v. a. den Belegschaften)<br />

identifizieren, ist langfristig<br />

Gift für Motivation und<br />

Produktivität. Viele Unternehmen<br />

in <strong>NRW</strong> leben dagegen eine<br />

Kultur des Miteinanders und<br />

des Ausgleichs auf Basis von<br />

betrieblicher Mitbestimmung,<br />

Tarifpartnerschaft und sozialer Verantwortung.<br />

Die neuen Möglichkeiten der digitalen Ökonomie<br />

werden dann erfolgreich in den Unternehmen<br />

zu Produktivitätssteigerungen und Innovationen<br />

führen, wenn auch die Beschäftigten mit ihrem<br />

Können und ihren Bedürfnissen beteiligt werden<br />

und an den wirtschaftlichen Erfolgen teilhaben.<br />

»STARKE<br />

GEWERKSCHAFTEN<br />

SIND DER<br />

GARANT FÜR<br />

WOHLSTANDS-<br />

GEWINNE DER<br />

ABHÄNGIG<br />

BESCHÄFTIGTEN«<br />

STARKE GEWERKSCHAFTEN UND NEUE<br />

FORMEN DER INTERESSENVERTRETUNG FÜR<br />

ARBEITNEHMER UND SOLO-SELBSTSTÄNDIGE<br />

Nach wie vor gilt: Starke Gewerkschaften sind<br />

der Garant für Wohlstandsgewinne für abhängig<br />

Beschäftigte. Ihre Rechte werden wir schützen<br />

und, wo erforderlich, die Rechte von Betriebsräten<br />

ausbauen. Allerdings: Die Auflösung von<br />

Betriebs- und Branchenstrukturen und die Zergliederung<br />

in z. T. global verteilte Arbeitsprozesse<br />

erschwert die klassische Arbeitnehmervertretung.<br />

Die Machtungleichgewichte zwischen Beschäftigten<br />

und global agierenden Unternehmen<br />

erfordern jedoch auch und gerade für die digitale<br />

Arbeit 4.0 eine gemeinsame Interessenvertretung<br />

der Beschäftigten sowie Absicherung und<br />

Regulierung. Hier bedarf es neuer Formen der<br />

Interessenvertretung, die den veränderten Bedingungen<br />

der neuen Arbeitswelt gerecht werden.<br />

Mit ihr können Sozialversicherungen und<br />

gesetzlicher Gesundheits- und Arbeitsschutz<br />

so gestaltet werden, dass sie in<br />

dieser neuen Arbeitswelt (z. B.<br />

Crowdworking, Projektarbeit,<br />

Selbstständigkeit, Vereinbarkeit<br />

von Familie und Beruf, flexible<br />

Arbeitszeiten und -orte, Sicherheit<br />

und Stabilität bieten.<br />

Nach dem Vorbild des Saarlands<br />

und Bremens werden wir in enger<br />

Abstimmung mit den Gewerkschaften<br />

eine Arbeitnehmerkammer<br />

einrichten, die eine<br />

politische Interessenvertretung<br />

unabhängig von einer Organisation im Betrieb<br />

oder Arbeitsverhältnis von Solo-Selbstständigen<br />

sicherstellt. Sie bietet Beratung, Informationen,<br />

übernimmt Aufgaben im politischen Lobbying<br />

sowie bei der Politik- und Gewerkschaftsberatung<br />

und organisiert berufliche Weiterbildung.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Gute Arbeit in einer gerechten und menschlichen Arbeitswelt! 37<br />

VON DER ARBEITSLOSENVERSICHERUNG ZU<br />

EINER MODERNEN ARBEITSVERSICHERUNG<br />

Wir werden uns im Bund dafür starkmachen,<br />

die Arbeitslosenversicherung zu einer modernen<br />

Arbeitsversicherung auszubauen, die die Flexibilität<br />

und Dynamik einer neuen Arbeitswelt und<br />

den Mut zur beruflichen Weiterentwicklung (als<br />

Gründer, in einem neuen Beruf oder mit neuen<br />

Technologien am bisherigen Arbeitsplatz) durch<br />

neue Sicherheit schützt und stärkt. Notwendig<br />

sind ferner eine leistungsfähige Arbeitsvermittlung<br />

und zielgruppenspezifische Angebote.<br />

Die Arbeitsagenturen sollen in „Agenturen für<br />

Arbeit und Qualifizierung“ umgebaut werden.<br />

Online vollständig nutzbare Arbeitsplatzbörsen<br />

sollen für den Arbeitseinstieg von Flüchtlingen<br />

oder Langzeitarbeitslosen eröffnet werden. In<br />

Nordrhein-Westfalen geht die Landesregierung<br />

bereits mit gutem Beispiel voran.<br />

EIN SOZIALER ARBEITSMARKT GEGEN<br />

LANGZEITARBEITSLOSIGKEIT<br />

Wir wissen, dass nicht alle Betroffenen aus der<br />

Langzeitarbeitslosigkeit geholt werden können.<br />

Damit sich dieser Zustand nicht über Generationen<br />

verfestigt, werden wir in Nordrhein-Westfalen<br />

einen sozialen Arbeitsmarkt aufbauen. Er wird<br />

Möglichkeiten zur dauerhaft geförderten öffentlichen<br />

Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen<br />

schaffen. Soziale Berufe sowie Dienstleistungen<br />

und Hilfstätigkeiten werden im Sinne gemeinwohlorientierter<br />

Arbeitsmarktprojekte gefördert<br />

und auskömmlich entlohnt. Ein weiteres Aufgabenfeld<br />

im Allgemeininteresse ist die (manuelle)<br />

Arbeit im Naturschutz, etwa das ökologische Monitoring<br />

oder die Aufforstung in Stadt und Land<br />

zum CO 2<br />

-Ausgleich und zur Erhöhung der Lebensqualität.<br />

Hierzu sollen Modellprojekte in <strong>NRW</strong><br />

als Pionierland durchgeführt werden.


38<br />

KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Neue Energie: der Fortschrittsmotor für Nordrhein-Westfalen<br />

NEUE ENERGIE:<br />

DER FORTSCHRITTSMOTOR FÜR<br />

NORDRHEIN-WESTFALEN<br />

Wir werden die Energiewende als Fortschrittsmotor nutzen.<br />

Wir in <strong>NRW</strong> werden die „Erstanwender“ neuer Energietechnologien und Effizienzpraktiken<br />

sein. Wir sichern uns Wettbewerbsvorsprünge und neue Exportchancen.<br />

Im Jahr 20<strong>30</strong> wird unsere Energieversorgung bereits sehr weit nach dem aussehen,<br />

was vor wenigen Jahren noch Science-Fiction zu sein schien: Virtuelle Kraftwerke<br />

und „smarte“ Stromnetze werden große und kleine Energieverbraucher und Energieerzeuger<br />

vernetzen und zwischen Angebot und Nachfrage eine Balance herstellen –<br />

bundes- und auch europaweit.<br />

Das virtuelle Kraftwerk bedeutet<br />

nichts anderes als die Möglichkeit,<br />

die vielen tausend lokalen Anlagen<br />

zur Erzeugung von regenerativer<br />

Energie so effektiv zusammenzufassen<br />

und den Strom so problemfrei an<br />

die vielen tausend lokalen Verbraucher in <strong>NRW</strong><br />

weiterzugeben wie aus einem imaginären „landesweiten“<br />

Großkraftwerk heraus. Stromüberangebote<br />

werden durch neue Speicher, etwa eine<br />

Wasserstoffinfrastruktur, Fernwärmeerzeugung<br />

oder synthetische Kraftstoffe für den Verkehr,<br />

aufgefangen und wieder in unser Stromnetz<br />

eingespeist. Steht die „erneuerbare“ Infrastruktur<br />

zur Stromerzeugung erst einmal und ist sie<br />

intelligent mit dem Wärme- und Treibstoffbereich<br />

vernetzt, werden wir fossile Energieträger<br />

nur noch zur Grundlastsicherung oder zum Stahlkochen<br />

benötigen.<br />

Die heute nötigen Investitionen werden sich<br />

20<strong>30</strong> schon lange amortisiert haben. Und das<br />

soziale Problem der Energiearmut, das für ein<br />

starkes Land wie <strong>NRW</strong> inakzeptabel ist, können<br />

wir genau mit diesen Mitteln auch lösen: mit erneuerbarer<br />

Energie, die 25 Jahre lang umsonst<br />

aus den Solarpaneelen und Windrädern kommt,<br />

mit günstiger öffentlicher Mobilität, aber auch<br />

dadurch, dass wir heute die Möglichkeiten zu<br />

energieeffizienten Lebens- und Wirtschaftsweisen<br />

schaffen. Letztendlich werden Energieund<br />

Ressourceneffizienz als Innovationstreiber<br />

wirken, nicht die Klimaschutzziele selbst.<br />

Das Industrieland Deutschland hat mit der Energiewende<br />

eine weltweite Pionierrolle übernommen.<br />

Sie erfordert die größte wirtschafts- und<br />

industriepolitische Transformationsleistung in<br />

der Geschichte des Landes. Wenn die Energiewende<br />

in Deutschland gelingen soll, muss sie<br />

in Nordrhein-Westfalen gelingen, dem Energieland<br />

Nr. 1 der Republik. Im Jahr 2013 betrug<br />

die nordrhein-westfälische Stromproduktion<br />

175 Mrd. kWh, etwa 27 Prozent der bundesweiten<br />

Stromerzeugung. Gemessen an der Wirtschaftsleistung<br />

mit 21,7 Prozent des bundesweiten Bruttoinlandsprodukts<br />

und seinem Bevölkerungsanteil<br />

von 21,4 Prozent ist damit die Stromproduktion<br />

von überdurchschnittlicher Bedeutung für <strong>NRW</strong>.<br />

Das deutsche Klimaziel, die CO 2<br />

-Emissionen um<br />

40 Prozent bis zum Jahr 2020 im Vergleich zum<br />

Jahr 1990 zu reduzieren, ist nur zu erreichen, wenn<br />

<strong>NRW</strong> sein Ziel einer Reduktion von 25 Prozent


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Neue Energie: der Fortschrittsmotor für Nordrhein-Westfalen 39<br />

Zwischenspeicher und<br />

Kaskadennutzung Energie<br />

Effizienzoptimierung<br />

Hoher Anteil<br />

erneuerbarer<br />

Energieträger<br />

H 2<br />

CH 4<br />

Neue<br />

Treibstoffe<br />

Mobilität/<br />

Neue<br />

Verkehrskonzepte<br />

Synthetische<br />

Kraftstoffe<br />

H 2 -Mobilität<br />

Gewerbliche<br />

Verbraucher<br />

und Erzeuger<br />

von Energie<br />

VIRTUELLES KRAFTWERK<br />

EFFIZIENZ & FLEXIBILITÄT<br />

Einspeisung ins<br />

Erdgasnetz<br />

Anteil fossiles Gas<br />

für Haushalte<br />

Elektromobilität<br />

Gesicherte<br />

Energie<br />

Flexible fossile<br />

Kraftwerke<br />

KWK<br />

Fernwärme<br />

Biogas<br />

Kaskadennutzung<br />

CO 2 Biomasse<br />

Solardächer<br />

BHKW<br />

Bauten<br />

Haushalte sind<br />

auch Erzeuger<br />

von Energie<br />

Braunkohle<br />

Synthesegas (Chemie)<br />

Olefine, Polymere<br />

Dünger (Agrochemie)<br />

Pharmazeutika<br />

Synthetische Kraftstoffe<br />

erfüllt. Dafür haben wir bereits die Weichen gestellt.<br />

Zugleich muss die Energiewende aus ihrem<br />

Grundgedanken heraus notwendigerweise in<br />

eine gesamteuropäische, zumindest aber nachbarschaftliche<br />

Vernetzung von Stromerzeugung<br />

und -nutzung münden. Auch hier gehen wir in<br />

<strong>NRW</strong> vorweg. Wir prüfen mit unseren Partnern in<br />

Belgien Möglichkeiten, das belgische Stromnetz<br />

mit unserem zu verbinden und mit Hilfe unseres<br />

zukünftigen Smart Grid auch dort Versorgungssicherheit<br />

herzustellen – nicht zuletzt, um die<br />

hochgefährlichen Pannen- und Bröckelmeiler in<br />

Tihange und Doel möglichst bald vom Netz nehmen<br />

zu können.<br />

Wir setzen uns in Nordrhein-Westfalen für eine<br />

moderne Energiewirtschaft ein, die verlässlich<br />

sauberen und bezahlbaren Strom für Privatkunden<br />

und Wirtschaft liefert, insbesondere für<br />

die energieintensive Industrie.<br />

DIE ROTE ENERGIEWENDE:<br />

SICHER, SAUBER UND BEZAHLBAR<br />

Die Energiewende in Deutschland und vor allem<br />

in Nordrhein-Westfalen hat eine neue Phase<br />

erreicht. Gerade in der Zeit bis zur Abschaltung<br />

der letzten Kernkraftwerke 2022 entsteht für<br />

Deutschland ein großer Handlungsbedarf, der in<br />

Nordrhein-Westfalen nicht zu Strukturbrüchen<br />

führen darf, sondern als Chance für die Verbesserung<br />

unserer Wettbewerbsfähigkeit genutzt<br />

werden muss. Längst geht es nicht mehr um<br />

einen Konkurrenzkampf zwischen erneuerbaren<br />

und konventionellen Energien, sondern um die<br />

effiziente Vernetzung des Gesamtsystems, in<br />

dem die Erneuerbaren Energien bereits die dominante<br />

und weiter wachsende Rolle spielen. Auch<br />

wenn der Anteil der fossilen Energieerzeugung<br />

immer weiter sinkt, brauchen wir effiziente und<br />

flexible Kraftwerke als Ergänzung noch so lange,<br />

bis Stromspeicher und intelligente Netze diese


40 KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Neue Energie: der Fortschrittsmotor für Nordrhein-Westfalen<br />

Rolle vollständig übernehmen können. Dieses<br />

Miteinander kostengünstig und effizient zu<br />

organisieren, ist eine Aufgabe, der wir uns in<br />

Nordrhein-Westfalen stellen.<br />

Wir werden Nordrhein-Westfalen als Industrieland<br />

4.0 und als den zentralen Versorgungssicherheitsgaranten<br />

für Deutschland und Europa<br />

gestalten. Wettbewerbsfähige Energiepreise und<br />

eine sichere Energieversorgung stehen in einem<br />

untrennbaren Zusammenhang mit der industriellen<br />

Wertschöpfung, die unser Land auszeichnet.<br />

Denn wir wissen seit Jahrzehnten, dass Wirtschaft<br />

und Energie zwei Seiten derselben Medaille sind.<br />

Daher werden wir nicht nur den Ausbau der erneuerbaren<br />

Energien vorantreiben, sondern uns<br />

auch für die Schaffung vernünftiger Rahmenbedingungen<br />

für eine sichere und preisgünstige<br />

Energieversorgung einsetzen. Darin haben Kraftwerke<br />

zukünftig die Rolle der flexiblen Ergänzung<br />

der erneuerbaren Energien. Die Stromnetze müssen<br />

den neuen Anforderungen der dezentralen<br />

Bewirtschaftung gewachsen sein.<br />

DER ENERGIEMARKT 3.0 UND<br />

UNTERSTÜTZUNG FÜR STADTWERKE<br />

Wir werden uns auf Bundesebene und auch<br />

mit europäischen Partnerregionen für ein europäisches<br />

Umstellungs- und Steuerungsprojekt<br />

der Energieerzeugung einsetzen. In regionalem<br />

Maßstab ist etwa ein Netz virtueller Kraftwerke<br />

und smarter Stromnetze mit den Benelux-Staaten<br />

denkbar, wenn gemeinsame Ziele zum Aufbau<br />

regenerativer Energien vereinbart werden<br />

können.<br />

Wir wissen, dass nicht nur die großen Energiekonzerne<br />

Schwierigkeiten mit der Finanzierung<br />

ihrer Umstrukturierungspläne hin zum neuen<br />

Energiemarkt 3.0 mit hohen Dienstleistungsanteilen<br />

für ihre Energiekunden haben – sondern<br />

gerade auch die kleineren Stadtwerke. Der<br />

zunehmend komplexere und digitalisierte Energiemarkt<br />

braucht Stadtwerke, die über Sektorgrenzen<br />

hinausdenken, die Direktvermarktung<br />

der Erneuerbaren Energien für die Bürgerinnen<br />

und Bürger in unserem Land anbieten und ein<br />

verantwortungsvolles Bilanzkreismanagement<br />

leisten können. Wir werden die Stadtwerke darin<br />

auf EU-, Bundes- und Landesebene politisch<br />

und auch über spezielle maßgeschneiderte<br />

Finanzierungsinstrumente unterstützen müssen.<br />

Dabei werden wir auch die Mittel für die Weiterentwicklung<br />

aller Fern- und Nahwärmenetze in<br />

<strong>NRW</strong> berücksichtigen müssen, die zu einer Optimierung<br />

der Vernetzung dieser Infrastrukturen<br />

beitragen können.<br />

STEIGERUNG DER ENERGIEEFFIZIENZ VON<br />

UNTERNEHMEN UND HAUSHALTEN<br />

Einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung des<br />

Klimawandels stellt die Reduktion der Treibhausgasemissionen<br />

durch Steigerung der Energieeffizienz<br />

von Unternehmen und Haushalten dar. In<br />

<strong>NRW</strong> wurden hier z. B. im Bereich des verarbeitenden<br />

Gewerbes seit 1990 mit einer Steigerung der<br />

Effizienz um 40 Prozent riesige Fortschritte erzielt.<br />

Es bedarf aber weiter umfassender Forschung<br />

und Entwicklung und nicht zuletzt auch<br />

der Beratung der Energieverbraucher zur Anwendung<br />

vorhandener und neuer Lösungen. Entsprechende<br />

Technologien, Verfahren und Konzepte<br />

entfalten nicht nur ihren Nutzen für den Klimaschutz<br />

in <strong>NRW</strong>, sondern sind wichtige Innovationen<br />

für den globalen Leitmarkt Umwelt- und<br />

Energiewirtschaft.<br />

Die produzierenden Unternehmen bleiben durch<br />

permanente Effizienzsteigerungen wettbewerbsfähig<br />

und modernisieren bereits fortlaufend.<br />

Wir werden weitere Techniksprünge anstoßen,<br />

begleiten und ihre betriebliche Implementierung<br />

beschleunigen. Insbesondere in den mittelständischen<br />

Betrieben besteht auch heute immer<br />

noch ein großes ungenutztes Effizienzpotential,<br />

das wir bis 20<strong>30</strong> ausschöpfen wollen, was auch<br />

die Baubranche und die Anlagenherstellung<br />

beleben wird.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Neue Energie: der Fortschrittsmotor für Nordrhein-Westfalen<br />

41<br />

Gleichwohl wissen wir, dass die energieintensive<br />

Industrie die verlässliche Basis der industriellen<br />

Wertschöpfung für unser Land bildet. Daher<br />

setzen wir uns für verlässliche Investitionsbedingungen,<br />

wettbewerbsfähige Energiepreise, den<br />

verstärkten Ausbau unserer Infrastruktur und<br />

attraktive Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen<br />

ein. Um die zukünftig immer stärker schwankenden<br />

Strompreise nicht zu einem Wettbewerbsnachteil<br />

für deutsche Produktionsanlagen<br />

werden zu lassen, werden wir gemeinsam mit<br />

den Unternehmen und der EnergieAgentur.<strong>NRW</strong><br />

Untersuchungen und Handlungskonzepte für<br />

Lastverschiebungen und Nachfrageflexibilisierungen<br />

auf den<br />

Weg bringen.<br />

Wir werden die Industrie in<br />

unserem Land aktiv bei der Optimierung<br />

ihrer Produktionsprozesse<br />

im Zusammenhang mit den<br />

zukünftigen Flexibilisierungsanforderungen<br />

unterstützen und<br />

dazu auch ein „Virtuelles Institut<br />

Smart Energy“ einrichten, das sich mit den Chancen<br />

und konkreten Ansätzen der Digitalisierung<br />

in der Energiewende beschäftigt. Dies wird die<br />

bisherigen Ansätze für virtuelle Kraftwerke im<br />

Ruhrgebiet und im rheinischen Revier mit aufgreifen<br />

und weiter stärken.<br />

Auch die zukünftige Alltagsgestaltung in den Privathaushalten<br />

wird bis 20<strong>30</strong> weit weniger energieintensiv<br />

sein. Schon bis 2020 soll der Gesamtstromverbrauch<br />

in Deutschland um elf Prozent<br />

sinken. Dabei werden wir sicherstellen, dass ein<br />

bezahlbarer Strompreis für alle privaten Verbraucher<br />

gewährleistet bleibt. Die Energiewende darf<br />

nicht zu neuen sozialen Ungerechtigkeiten führen.<br />

Ohne eine individuelle Optimierung der Heizungsund<br />

Warmwassernutzung im Alltag der Menschen<br />

ist eine kostengünstige Energiewende nicht<br />

einzuhalten, obwohl bereits wenige Änderungen<br />

» DIE ENERGIE-<br />

WENDE DARF<br />

NICHT ZU NEUEN<br />

SOZIALEN UNGE-<br />

RECHTIGKEITEN<br />

FÜHREN «<br />

in den Alltagsgewohnheiten (Duschzeiten,<br />

Lüftung und Heizung, Stand-by-Schaltungen,-<br />

Wäschetrockner) zu deutlichen Entlastungen<br />

führen würden. Wir weiten die Aufklärungsmaßnahmen<br />

aus, etwa durch die Stadtwerke und Verbraucherzentralen.<br />

Aber auch die Haushaltsgeräte müssen energieeffizienter<br />

werden, denn die Energiewende<br />

kann auf der Verbrauchsseite nicht allein auf den<br />

Schultern der Privatkunden lasten. Wir werden<br />

uns auf Bundes- und EU-Ebene für strengere<br />

Stromverbrauchswerte bei Unterhaltungselektronik<br />

und „weißer Ware“<br />

einsetzen, etwa durch eine Abschaffung<br />

der Stand-by-Schaltung<br />

und eine „Top-Runner-Politik“<br />

nach dem erfolgreichen Vorbild<br />

Japans: Die heute effizientesten<br />

Geräte setzen die Standards,<br />

die dann jeweils fünf Jahre später<br />

für alle Wettbewerber verbindlich<br />

werden.<br />

MODERNE NUTZUNG<br />

FOSSILER ENERGIETRÄGER<br />

Zur Erreichung der CO 2<br />

-Reduktionsziele von<br />

40 Prozent Senkung bis 2020 und 80 – 95 Prozent<br />

bis 2050 im Vergleich zu 1990 und der damit<br />

verbundenen Ausbauziele im Bereich der Erneuerbaren<br />

Energien in <strong>NRW</strong> (Klimaschutzgesetz)<br />

bedarf es neben dem Ausbau der erneuerbaren<br />

Energien bis auf weiteres auch einer modernen<br />

und klimaeffizienten Nutzung fossiler Energieträger.<br />

Dazu gehört insbesondere Gas (z. B. als<br />

Synthesegas, Flüssiggas / LNG oder Erdgas), aber<br />

auch Erdöl, Braun- und Steinkohle. Dabei verschwimmen<br />

die Grenzen zwischen stofflicher und<br />

energetischer Nutzung. Entsprechende Forschung<br />

zu klimagerechten neuen Nutzungsformen werden<br />

wir unterstützen. Dies hilft der Wirtschaft im<br />

<strong>NRW</strong> des Jahres 20<strong>30</strong> nicht zuletzt als Exporteur<br />

klimafreundlicher Technologien in allen Energieund<br />

Rohstoffbereichen.


42 KRAFTWERK <strong>NRW</strong><br />

Neue Energie: der Fortschrittsmotor für Nordrhein-Westfalen<br />

KASKADENNUTZUNG VON ROHSTOFFEN<br />

Wer nachhaltiges Wirtschaftswachstum ermöglichen<br />

will, um der jetzigen und den kommenden<br />

Generationen eine lebenswerte Gegenwart zu<br />

ermöglichen, muss deutlich machen, wie Produktion<br />

und Konsum derart in eine Wechselbeziehung<br />

gesetzt werden können, dass Rohstoffe<br />

nicht verschwendet, sondern weiterentwickelt<br />

und weiterverwendet werden.<br />

Unsere Antwort darauf ist das Konzept einer zirkulären<br />

Wertschöpfung: Reststoffe werden zu<br />

Rohstoffen.<br />

Das ist mehr als ein Abfallrecycling nach dem bekannten<br />

Muster des Grünen Punkts: Nach dem<br />

Vorbild natürlicher Stoffkreisläufe soll vielmehr<br />

der Abfall eines chemischen Nutzungs- oder<br />

Herstellungsprozesses den Grundstoff für einen<br />

weiteren darstellen, damit der Ressourcenbedarf<br />

in <strong>NRW</strong> insgesamt sinkt und unsere Wirtschaft<br />

zusätzliche, bislang verschenkte „BIP-Schätze“<br />

heben kann. Das CO 2<br />

aus Kraftwerken und Müllverbrennungsanlagen<br />

kann zur Algenzucht eingesetzt<br />

werden, statt in die Atmosphäre entlassen<br />

zu werden; und diese Algen sind geeignet zur<br />

Herstellung von Biotreibstoffen für den Verkehr.<br />

Aus altem Bauholz können langlebige Möbel gefertigt<br />

werden, anstatt es nur zu verfeuern. Organische<br />

Abfälle hingegen werden schon lange<br />

kompostiert – genau dies ist eine aus der Natur<br />

übernommene Kaskadennutzung. Dafür bedarf<br />

es einer Neuorganisation von Wertschöpfungsketten:<br />

bei der Entwicklung, dem Produktdesign,<br />

der Herstellung, dem Vertrieb, der Reparatur,<br />

der Zerlegung und Wiederverwendung von Stoffen<br />

und Bauteilen. All diese Schritte erfordern<br />

nicht zuletzt auch neue, einfache und komplexe<br />

Dienstleistungen, die im Zuge digitaler Wertschöpfung<br />

besser und billiger werden. So werden<br />

wir Emissionen senken, Rohstoffeffizienz sowie<br />

Versorgungssicherheit steigern und gleichzeitig<br />

Wohlstand und gute Arbeit in <strong>NRW</strong> sichern.<br />

„Cradle to Cradle“-Entwürfe für neue Technikprodukte<br />

werden in Zukunft die Möglichkeit<br />

bieten, sogar einzelne Bauelemente aus Gebrauchsgütern<br />

nach Beschädigung oder Veraltung<br />

modular weiterzuverwenden. Es werden<br />

wertvolle (und potenziell gleichzeitig giftige)<br />

Rohstoffe wie seltene Erden, Schwermetalle und<br />

Computerbauteile in Zukunft nur noch sortenrein<br />

eingesetzt. Sie können immer wieder weiterverwertet<br />

werden, ohne dass ein energieintensives<br />

Recycling mit Einschmelzvorgängen<br />

und vielen Giftstoffemissionen notwendig ist. So<br />

machen wir uns nicht zuletzt unabhängiger von<br />

Rohstoffimporten aus dem nichteuropäischen<br />

Ausland.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Neue Energie: der Fortschrittsmotor für Nordrhein-Westfalen<br />

43<br />

ENERGIEWENDE:<br />

DAS VIRTUELLE KRAFTWERK VERNETZT MEHRERE ERZEUGER<br />

UND VERSCHIEDENE VERBRAUCHER<br />

Windkraft<br />

Photovoltaik<br />

DIE ZIELE:<br />

EFFIZIENZ<br />

FLEXIBILITÄT<br />

LEISTUNG<br />

1 2 2 1<br />

Softwareenergiemanagement<br />

Privat:<br />

Stromverbraucher und<br />

Stromerzeuger<br />

1. BHKW/KWK<br />

2. Speicher<br />

Gewerblich:<br />

Stromverbraucher und<br />

Stromerzeuger<br />

1. BHKW/KWK<br />

2. Speicher<br />

Biogas<br />

KWK-Anlagen/<br />

Heizkraftwerke


2<br />

DU BIST<br />

NICHT ALLEIN!


DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

BILDUNG, AUFSTIEG UND SOZIALE SICHERHEIT<br />

FÜR ALLE MENSCHEN IN NORDRHEIN-WESTFALEN<br />

Jeder Mensch will sein Leben in die eigenen Hände nehmen und das<br />

Beste daraus machen. Doch nicht jeder hat von Anfang an die Kraft dazu,<br />

manchen gleitet das Leben aus den Händen, manchen wird es aus der<br />

Hand gerissen. Doch dann gilt in Nordrhein-Westfalen noch immer das<br />

Versprechen der christlichen und sozialdemokratischen Arbeiterbewegung:<br />

Du bist nicht allein!<br />

Das ist das alte Versprechen der Solidarität, das wir wieder einlösen<br />

werden, und zwar mit einer neuen Bildungs-, Sozial- und Familienpolitik.<br />

Wir errichten einen neuen Sozialstaat. Er wartet nicht mehr auf soziale<br />

Missstände und Ungerechtigkeiten, die er im Nachhinein zu reparieren<br />

oder zu lindern versucht. Er bekämpft sie an der Wurzel und verhindert,<br />

dass sie das Leben eines Menschen einschnüren und nicht mehr freigeben.<br />

Nordrhein-Westfalen ist 20<strong>30</strong> ein europäisches Vorbild für Chancengleichheit,<br />

Aufstieg durch Bildung und soziale Sicherheit für Familien.<br />

Jede Stadt wird eine eng vernetzte Bildungslandschaft sein. Bildung ist<br />

gebührenfrei, von der Kita bis zur Hochschule. Jedes Kind wird individuell<br />

gefördert, keines mehr zurückgelassen. (Bildungs-)Armut wird sich nicht<br />

mehr vererben und kein Grund für Arbeitslosigkeit oder Fachkräftemangel<br />

mehr sein.<br />

Dank neuer Arbeitszeitmodelle und einer flächendeckenden Kinderbetreuung<br />

ist die einst utopisch anmutende Vereinbarkeit von Familie und<br />

Beruf 20<strong>30</strong> Realität geworden. Jeder Mensch hat mehr Zeit, die er über<br />

seine Lebensphasen verteilen kann: für den Beruf, für Weiterbildung<br />

und gesellschaftliches Engagement, für Kindererziehung und Pflege.<br />

Die soziale Absicherung dieser Lebensphasen, die bessere Verteilung von<br />

Arbeitszeit und mehr Chancen für Frauen sind die Meilensteine sozialdemokratischer<br />

Reformpolitik bis 20<strong>30</strong>.


46<br />

DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Gerechtigkeit beginnt mit Chancengleichheit!<br />

GERECHTIGKEIT BEGINNT<br />

MIT CHANCENGLEICHHEIT!<br />

(Aber sie hört damit noch nicht auf!)<br />

An einem Abend im Mai 2010 kommen in der Essener Uniklinik vier Kinder zur Welt,<br />

die wir hier Lisa, Antonia, Lukas und Can nennen. Es fällt nicht schwer, sich auszumalen,<br />

was ihre Eltern und Großeltern an jenem Tag empfinden. Es ist ein glücklicher Tag, voller<br />

Hoffnung und Optimismus. Ihre Kinder und Enkelkinder sollen zu selbstbewussten<br />

Menschen heranwachsen, die sich schon bald Ziele für ihr Leben setzen und die meisten<br />

dieser Lebensziele hoffentlich auch erreichen. Die Zukunft ist offen und alles ist möglich.<br />

So scheint es jedenfalls.<br />

Tatsächlich können wir nicht wissen,<br />

was aus den vier Kindern einmal<br />

werden wird. Wir können nicht wissen,<br />

wie erfolgreich ihr Bildungsweg<br />

und ihre Berufskarrieren sein werden,<br />

ob sie einmal ein hohes oder ein geringes<br />

Einkommen haben werden, ob sie gesund bleiben<br />

und ob sie einmal einen Ort finden, den sie<br />

ihr „Zuhause“ nennen. Schon gar nicht können<br />

wir wissen, ob sie einmal mit Zufriedenheit auf<br />

ihr Leben blicken werden.<br />

Was wir aber wissen können, ist, wie wahrscheinlich<br />

das alles ist. Dazu reicht es, einen Blick auf<br />

den sozialen Status ihrer Eltern zu werfen und<br />

anschließend einen Blick in die Statistik.<br />

Um Lisa und Lukas muss man sich wenig Sorgen<br />

machen. Ihre Eltern sind Akademiker und arbeiten<br />

im Management eines Unternehmens bzw. als<br />

Beamte im höheren Dienst. Die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass Lukas und Lisa einmal den Bildungsabschluss<br />

und das Einkommensniveau ihrer Eltern<br />

erreichen werden, liegt bei über 70 Prozent. Allerdings<br />

gibt es 2010 noch zu wenige Kitaplätze in<br />

<strong>NRW</strong>. Lisas alleinerziehende Mutter wird aus diesem<br />

Grund von Vollzeit- zu Teilzeitarbeit wechseln<br />

müssen, was ihre Karriere erst einmal ausbremst.<br />

Cans Eltern sind keine Akademiker. Sein Vater<br />

ist Maschinenführer, seine Mutter Einzelhandelskauffrau.<br />

Damit liegt die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass Can einmal Lehrer, Arzt oder Manager<br />

wird, bei nur 20 Prozent. Für Antonia beträgt<br />

diese Wahrscheinlichkeit nur zehn Prozent. Auch<br />

ihre Mutter ist alleinerziehend. Sie wird alles<br />

in ihrer Macht Stehende tun, um ihrer Tochter<br />

einen sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Doch<br />

ihre Möglichkeiten sind begrenzt. Denn es ist<br />

nicht einmal sicher, ob sie ihren Beruf als Köchin<br />

angesichts der Arbeitszeiten in der Gastronomie<br />

noch weiter ausüben kann.<br />

Was genau eine gerechte Gesellschaft ausmacht,<br />

war schon immer umstritten und wird immer<br />

umstritten sein. Aber wer kann und wer will<br />

eine Wirklichkeit rechtfertigen, in der die Lebenschancen<br />

eines Menschen schon weitgehend feststehen,<br />

bevor er überhaupt laufen kann? Selbst<br />

radikale Marktliberale fühlen sich unwohl bei<br />

dem Gedanken, dass das Einkommen von Eltern<br />

die Lebenschancen ihrer Kinder begrenzt.<br />

Gerechtigkeit beginnt immer mit Chancengleichheit.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Gerechtigkeit beginnt mit Chancengleichheit! 47<br />

Wir haben deshalb den Mai 2010 als Ausgangspunkt<br />

gewählt, weil das der Monat war, in dem<br />

Hannelore Kraft zur Ministerpräsidentin gewählt<br />

wurde. Seitdem verwirklichen wir eine neue Bildungs-,<br />

Familien- und Sozialpolitik. Der Sozialstaat<br />

darf nicht länger nur ein Reparaturbetrieb<br />

sein, der erst im Nachhinein die Folgen unzureichender<br />

Bildung, prekärer Lebensverhältnisse<br />

und mangelhafter Förderung zu lindern versucht.<br />

Diese Versuche sind nicht nur sehr teuer, sie sind<br />

auch zu oft erfolglos.<br />

Wir setzen stattdessen auf Vorbeugung: Armut<br />

an Bildungs- und Lebenschancen darf sich nicht<br />

mehr vererben. Die Ursachen sozialer Ungleichheit<br />

bekämpfen wir an ihrer Wurzel. Wir errichten<br />

Schritt für Schritt ein durchlässiges Bildungssystem,<br />

das für Chancengleichheit sorgt. Ein<br />

dichtes Netz aus individuellen Förderangeboten<br />

und sozialen Präventionsketten wird Familien<br />

unterstützen und jedem Kind den Start in ein<br />

selbstbestimmtes Leben ermöglichen.<br />

Für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten<br />

beginnt Gerechtigkeit immer mit Chancengleichheit.<br />

Sie hört damit aber noch nicht auf. Und<br />

genau das unterscheidet uns von anderen politischen<br />

Lagern. Für Marktliberale zum Beispiel<br />

ist das gesellschaftliche Leben ein Wettrennen<br />

um materielle Güter: Je mehr Konkurrenten ich<br />

hinter mir lasse, desto größer ist mein Gewinn.<br />

Das sei fair und gerecht, solange es zu Beginn des<br />

Rennens Chancengleichheit gibt, mithin niemand<br />

durch seine soziale Herkunft einen Vorsprung<br />

erhält. Demnach sei der Gerechtigkeit Genüge<br />

getan, wenn Politik und Gesellschaft dafür sorgen,<br />

dass alle Konkurrenten von der gleichen Position<br />

aus starten können.<br />

Doch selbst wenn man das Leben als Wettrennen<br />

begreift, ist das zu kurz gedacht. Was ist mit<br />

den Hindernissen auf der „Rennstrecke“, die sich<br />

in Form von Wirtschaftskrisen oder Schicksalsschlägen<br />

vor einigen plötzlich und unverschuldet<br />

auftun, vor anderen aber nicht?<br />

Wir werden kein Kind mehr zurücklassen.<br />

Doch damit nicht genug: Für Sozialdemokratinnen<br />

und Sozialdemokraten ist Selbstbestimmung<br />

weder ein käufliches Gut noch ein Almosen. Ein<br />

Kind darf für eine alleinerziehende<br />

Köchin genauso wenig die Ursache<br />

für prekäre Beschäftigung<br />

sein wie für eine alleinerziehende<br />

Akademikerin ein Karrierehindernis.<br />

Die Selbstbestimmung beider<br />

Frauen hat für uns den gleichen Wert. Die beste<br />

Bildung für beide Kinder erst recht. Bildung ist ein<br />

soziales Grundrecht. Sie wird gebührenfrei sein,<br />

von der Kita bis zur Hochschule. Darüber hinaus<br />

wird es für jedes Kind zwischen dem ersten und<br />

16. Lebensjahr ein Betreuungs- und Bildungsangebot<br />

geben, das den Bedürfnissen des Kindes<br />

und seiner Eltern entspricht.<br />

» BILDUNG IST<br />

EIN SOZIALES<br />

GRUNDRECHT«<br />

Im Grunde ist das Bild eines „Wettrennens“ schon<br />

falsch. Unsere Gesellschaft ist mindestens so sehr<br />

auf Kooperation angewiesen wie auf fairen Wettbewerb.<br />

Wir sollten unsere Gesellschaft eher<br />

als eine Bergsteigerseilschaft begreifen, in der<br />

jeder den anderen absichert, damit<br />

niemand ins Bergfreie fällt.<br />

Der Erfolg eines jeden Einzelnen<br />

ist von dem Zusammenhalt der<br />

Gruppe und der Leistungsbereitschaft<br />

aller abhängig. Wer Besonderes<br />

zum Erfolg aller beiträgt, hat auch ein Recht<br />

auf einen besonderen Anteil an den Gewinnen<br />

der Kooperation. Aber alle, die sich in den Dienst<br />

der Gemeinschaft gestellt haben, erhalten einen<br />

auskömmlichen Anteil. Niemand muss fürchten,<br />

leer auszugehen, schon gar nicht, weil sie oder er<br />

vielleicht nicht so stark ist wie andere oder einfach<br />

nur größeres Pech hatte.


48 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Gerechtigkeit beginnt mit Chancengleichheit!<br />

Wir wollen eine Gesellschaft für alle, in der jeder<br />

Mensch in jeder Lebensphase genug Freiraum,<br />

soziale Sicherheit und Unterstützung erhält, um<br />

seine Vorstellungen eines gelungenen Lebens<br />

verwirklichen zu können: von Kindheit und Jugend<br />

über das Familien- und Berufsleben bis hin<br />

zu einem selbstbestimmten Leben im Alter.<br />

Nordrhein-Westfalen wird ein Land sein, in dem<br />

jeder Mensch zu jeder Zeit auf das Versprechen<br />

der Solidarität vertrauen kann:<br />

Du bist nicht allein!<br />

LEBENSPHASEN:<br />

UNSERE ZIELE, UNSERE POLITIK. <strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>.<br />

KINDHEIT<br />

Ziel:<br />

Gleiche Chancen und beste Bildung unabhängig<br />

von der Herkunft und vom Geldbeutel der Eltern<br />

Unsere politischen Maßnahmen:<br />

• Gebührenfreie Bildung<br />

• Lebenslanges Lernen<br />

• Kommunale Präventionsketten<br />

• Schulen als Mittelpunkt<br />

kommunaler Bildungslandschaften<br />

JUGENDALTER<br />

Ziel:<br />

Soziale Spaltung im Bildungssystem überwinden;<br />

Übergang zwischen Schule, Ausbildung, Studium<br />

und Arbeitsleben erleichtern<br />

Unsere politischen Maßnahmen:<br />

• Berufsorientierte Übergangssysteme<br />

• Produktionsschulen für ganz <strong>NRW</strong><br />

• Ausbildungsgarantie, enge Kooperation<br />

von Bildungsinstitutionen<br />

ERWACHSENENALTER<br />

Ziel:<br />

Vereinbarkeit von Familie und Beruf: mehr Zeit,<br />

Sicherheit und Selbstbestimmung für Frauen,<br />

Männer, Kinder und pflegende Angehörige<br />

Unsere politischen Maßnahmen:<br />

• Neues ”<br />

Normalarbeitsverhältnis“<br />

• Kinderbetreuung: mehr Angebote und Flexibilität,<br />

keine Gebühren!<br />

• Vereinbarkeit: Familienarbeitszeit, gerechtes<br />

Familiensplitting, betriebsgerechte Familienkultur<br />

• Gleicher Lohn für gleiche Arbeit<br />

SENIORENALTER<br />

Ziel:<br />

Selbstbestimmtes Leben unabhängig von Alter,<br />

Geschlecht und Herkunft oder persönlichen<br />

Handicaps in solidarischer Gesellschaft ermöglichen<br />

Unsere politischen Maßnahmen:<br />

• Bildungsangebote für ”<br />

Best Ager“ ausbauen<br />

• Neue Wohnformen fördern: Mehrgenerationenhäuser,<br />

Mehrgenerationen-Wohnen, Alten-WGs<br />

• Integrierte Gesundheitszentren<br />

• Technische Unterstützungssysteme/Telemedizin<br />

• Pflegepersonal stärken


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Kein Kind zurücklassen! Chancengleichheit durch Vorbeugung und individuelle Förderung 49<br />

KEIN KIND ZURÜCKLASSEN!<br />

CHANCENGLEICHHEIT DURCH VORBEUGUNG<br />

UND INDIVIDUELLE FÖRDERUNG<br />

Die Bestandsaufnahme ist ernüchternd:<br />

Im Jahr 2011 hat fast die Hälfte aller Kitakinder in Bielefeld keine Deutschkenntnisse,<br />

die ihrem Alter entsprechen. Das will die Stadt nicht länger hinnehmen. Sie schickt<br />

Sprach- und Lesepaten in ihre Kitas, um die Kinder gezielt zu fördern. Mit Erfolg! Im Jahr<br />

2013 können fast drei Viertel aller Kinder, denen zuvor ein „erhöhter Förderbedarf“<br />

attestiert wurde, mit altersgerechten Deutschkenntnissen eingeschult werden.<br />

D<br />

ie Stadt Arnsberg ist nicht weniger<br />

erfolgreich: Sie baute Moosfelde,<br />

ein benachteiligtes Quartier im<br />

Stadtteil Neheim, zu einem Zentrum<br />

für Familien, Bildung und Gemeinschaftsleben<br />

aus. Heute gibt es dort eine<br />

Grundschule mit Ganztagsbetreuung, eine Kita,<br />

ein Familienhaus mit U3-Betreuung, Spiel- und<br />

Sportplätze, einen Jugendtreff sowie das städtische<br />

Familienbüro. Und das alles in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft auf einem einzigen Areal. Das<br />

Ergebnis: Der Anteil von Kitakindern mit unzureichenden<br />

Deutschkenntnissen sinkt zwischen<br />

2011 und 2013 um 20 Prozent. Im Jahr 2013 gehen<br />

fast doppelt so viele Moosfelder Grundschüler auf<br />

das Gymnasium wie fünf Jahre zuvor. Im gleichen<br />

Zeitraum muss kein Kind unter 14 Jahren in<br />

staatliche Obhut genommen werden; die Kosten<br />

für die Jugendhilfe in Moosfelde sinken unter den<br />

Gesamtdurchschnitt der Stadt.<br />

Auch in Hamm setzt die Stadt auf individuelle<br />

Förderung: die individuelle Bildungsbegleitung.<br />

Sie beginnt bereits im Vorschulalter und endet<br />

erst mit dem Übergang in das Berufsleben. Das<br />

Konzept wirkt: Insbesondere in den Stadtteilen<br />

mit vielen sozialen Problemen erhöht sich die<br />

Lesefähigkeit von Grundschülern deutlich. Alle<br />

Drittklässler, die eine individuelle Begleitung erhalten<br />

haben, können heute besser lesen als im<br />

Landesdurchschnitt. Die Bildungsbegleitung verhindert<br />

schlechtere oder führt sogar zu besseren<br />

Zensuren. Über 75 Prozent aller Schulkinder in<br />

allen Altersklassen verbessern ihre Leistungen.<br />

Über die Hälfte aller „schulmüden“ Kinder nimmt<br />

durch die Bildungsbegleitung wieder regelmäßig<br />

am Unterricht teil. Wenn sogenannte<br />

schwer vermittelbare Schülerinnen und Schüler<br />

eine individuelle Förderung erhalten, kann<br />

35 Prozent von ihnen ein Ausbildungsplatz vermittelt<br />

werden. Das ist ein großer Erfolg, denn<br />

früher galten diese Jugendlichen als aussichtslose<br />

Fälle auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.<br />

Drei Städte, drei Beispiele, drei Erfolgsgeschichten.<br />

Sie zeigen, wie wirksam eine vorbeugende Bildungs-<br />

und Sozialpolitik ist. Individuelle Förderung<br />

für Kinder, Unterstützung für ihre Familien<br />

und lückenlose Präventionsketten von der Geburt<br />

bis zum Übergang in den Beruf: All das sorgt<br />

für mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit.<br />

Davon profitieren alle Menschen in Nordrhein-Westfalen,<br />

auch diejenigen, die ihren Kindern<br />

aus eigener Kraft einen gelungenen Start<br />

ins Leben bieten können. Denn mit jedem Kind,<br />

das wir nicht zurücklassen, gewinnt unsere


50 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Kein Kind zurücklassen! Chancengleichheit durch Vorbeugung und individuelle Förderung<br />

Gesellschaft einen Facharbeiter, eine Ingenieurin<br />

oder einen Wissenschaftler mehr. Unsere Unternehmen<br />

gewinnen eine Fachkraft und die staatliche<br />

Gemeinschaft einen weiteren Steuerzahler.<br />

Wichtiger noch: Ein weiterer Mensch erhält die<br />

Chance, das Beste aus seinem Leben zu machen.<br />

VORBEUGUNG GELINGT DURCH KOOPERATION:<br />

EIN DICHTES NETZ KOMMUNALER PRÄVENTIONS-<br />

KETTEN FÜR NORDRHEIN-WESTFALEN<br />

Wir werden ein dichtes Netz von Förderangeboten<br />

und Präventionsketten spannen, das<br />

sich über alle Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen<br />

erstreckt. Wo es in der Bildungsund<br />

Familienpolitik noch getrennte Strukturen<br />

und Verantwortlichkeiten gibt, werden wir sie<br />

vernetzen. Denn vorbeugende Politik ist eine<br />

Querschnittsaufgabe. Sie wird nur dann gelingen,<br />

wenn Eltern, Familien, Schulen und Kindertagesstätten<br />

mit den Kommunen, freien Trägern und<br />

Vereinen zusammenarbeiten. Dazu gehört auch<br />

ein kommunales Lernnetzwerk. Hier können alle<br />

Kommunen ihre Erfahrungen austauschen und<br />

voneinander lernen, welche Präventionsmaßnahmen<br />

erfolgreich sind und welche nicht.<br />

Vorbeugung durch individuelle Förderung lohnt<br />

sich. Sie mag am Anfang zusätzliches Geld kosten,<br />

aber schon bald wird sie Bund, Ländern und<br />

Kommunen weitaus höhere Ausgaben für soziale<br />

Reparaturkosten ersparen. Dieses Geld muss in<br />

neue Präventions- und Fördermaßnahmen investiert<br />

werden.<br />

i<br />

KOMMUNALE PRÄVENTIONSKETTEN<br />

Kommunale Präventionsketten sind die praktische<br />

Verwirklichung unseres vorbeugenden Politikansatzes.<br />

Präventionsketten erstrecken sich über alle Lebensphasen<br />

eines Kindes – von der Geburt über die<br />

frühkindliche Bildung und den Eintritt in das Schulsystem<br />

bis hin zum Übergang in das Berufsleben. Eine<br />

Präventionskette besteht aus mehreren Stationen, von<br />

denen jede unterschiedliche Aufgaben wahrnimmt:<br />

Ärzte, Krankenschwestern und Hebammen helfen<br />

bei der Anwendung von Screeningverfahren für Neu -<br />

geborene, Sozialpädagog/innen und Erzieher/innen<br />

geben Familien praktische Hilfestellungen im Alltag und<br />

Lehrer/innen ermöglichen den Ausbau von Förderange<br />

boten in Schulen. Für eine stabile Präventionskette<br />

werden alle Akteure gebraucht. Wichtig ist: Es gibt nicht<br />

das „eine“ Rezept für alle Kommunen. Regionale und<br />

kommunale Besonderheiten und Bedürfnisse spielen<br />

eine große Rolle. Deshalb arbeiten die teilnehmenden<br />

Kommunen in einem Lernnetzwerk zusammen – um<br />

aus guter Praxis von dem jeweils anderen zu lernen<br />

und die Präventionskette an die eigenen kommunalen<br />

Gegebenheiten anzupassen.<br />

JEDE STADT EINE BILDUNGSLANDSCHAFT!<br />

KOMMUNALE NETZWERKE FÜR BILDUNGS-<br />

GERECHTIGKEIT<br />

Das Beispiel Moosfelde in Arnsberg hat es<br />

gezeigt: Wo Ganztagsschulen und Kitas mit kommunalen<br />

Bildungs- und Familienbüros sowie der<br />

Kinder- und Jugendhilfe eng verzahnt werden,<br />

entsteht eine Bildungslandschaft. Hier lernen<br />

Kinder schneller und besser als in getrennten<br />

Systemen, denn nur hier stehen alle Mittel für<br />

eine individuelle Förderung ohne Wartezeiten zur<br />

Verfügung. Zudem gelingt der Übergang von der<br />

frühkindlichen zur schulischen Bildungsphase<br />

ohne Brüche. Schulische und außerschulische<br />

Bildungsangebote greifen ineinander, die Vermittlung<br />

von formalem Sachwissen und sozialen<br />

Kompetenzen geht Hand in Hand. Jede Stadt in<br />

Nordrhein-Westfalen sollte eine Bildungslandschaft<br />

sein. Wir werden sie weiter fördern, ausbauen<br />

und noch schlagkräftiger machen.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Kein Kind zurücklassen! Chancengleichheit durch Vorbeugung und individuelle Förderung 51<br />

Im Mittelpunkt kommunaler Bildungslandschaften<br />

stehen die Schulen. Sie sind nicht nur ein Ort<br />

für die Vermittlung von Sachwissen. Sie sollten<br />

ein Ort sein, an dem Gemeinschaft und gesellschaftliche<br />

Integration gelebt und erlernt werden.<br />

Unsere Schulen müssen der Knotenpunkt eines<br />

engen Netzwerkes von Familien, Vereinen und<br />

(außerschulischen) Bildungsträgern sowie der<br />

Kinder- und Jugendhilfe sein. Wir werden sie noch<br />

weiter als bisher für Berufsgruppen jenseits des<br />

Lehrberufes öffnen, damit sie den ganzheitlichen<br />

Bildungsauftrag in einer vernetzten Bildungslandschaft<br />

auch erfüllen können. Neben hervorragend<br />

ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern,<br />

die ihren Beruf mit Leidenschaft ausüben,<br />

brauchen unsere Schulen multiprofessionelle<br />

Teams. Dazu zählen zum Beispiel Schulsozialarbeiter<br />

und Sonderpädagoginnen, Schulkrankenpfleger<br />

und Schulpsychologinnen, auch Medienpädagogen<br />

und Dolmetscherinnen. Jede Schule<br />

kann dabei unterschiedliche Fachkräfte beschäftigen,<br />

die je nach Bedarf auch an anderen Schulen<br />

eingesetzt werden können.<br />

Generell gilt, dass die Inklusion von Kindern mit<br />

Handicaps oder die Integration von Einwandererkindern<br />

nur dann schnell<br />

und dauerhaft erreicht werden,<br />

wenn in der Summe mehr Fachpersonal<br />

für Kitas und Schulen zur<br />

Verfügung steht. Neue Fachkräfte<br />

sollten zudem die Vielfalt unserer<br />

Gesellschaft repräsentieren und Vorbilder für Integration,<br />

Inklusion und Gleichberechtigung sein.<br />

LÖSCHEN, WO ES BRENNT!<br />

JE GRÖSSER DIE (BILDUNGS-)ARMUT, DESTO<br />

DRINGENDER SIND PERSONAL UND GELD<br />

Wir müssen zuerst dort für Bildungsgerechtigkeit<br />

und neue Lebenschancen sorgen, wo es<br />

am wenigsten davon gibt. Deshalb handeln wir<br />

nach den Maximen „Ungleiches ungleich behandeln“<br />

und „Löschen, wo es brennt!“. Schon heute<br />

» WIR SETZEN<br />

AUF HILFE ZUR<br />

SELBSTHILFE «<br />

unterstützen wir Kitas, die Kinder aus benachteiligten<br />

Familien fördern, mit zusätzlichem Geld<br />

für mehr Personal. Dieses Prinzip muss für die<br />

gesamte Bildungskette gelten.<br />

Der Bedarf vor Ort entscheidet über zu ergreifende<br />

Maßnahmen und über die Verteilung von<br />

Ressourcen. Familienzentren müssen vor allem<br />

in Kommunen und Quartieren errichtet werden,<br />

die besonders stark von Bildungs- und Einkommensarmut<br />

betroffen sind. Kitas werden dort<br />

benötigt, wo besonders viele Kinder aufwachsen<br />

und die Armut überdurchschnittlich hoch ist. Das<br />

Gleiche gilt für zusätzliche Lehrkräfte und multiprofessionelle<br />

Teams. Für die Verteilung von Geld<br />

und Personal werden wir einen Sozialindex mit<br />

eindeutigen Indikatoren einführen, damit wir<br />

jenen Schulen zuerst helfen können, die diese<br />

Hilfe auch zuerst benötigen.<br />

AUFSUCHEN, BERATEN UND HELFEN!<br />

In zu vielen Familien in benachteiligten Quartieren<br />

mangelt es an alltagspraktischem Wissen,<br />

z. B. über Verbraucherschutz, Mietrecht oder Konsumverhalten.<br />

Die öffentliche Hand sollte nicht<br />

warten, bis die Not der betroffenen Eltern und<br />

Kinder so groß ist, dass sie um<br />

Hilfe bitten. Dann ist der Schaden<br />

zumeist schon größer, als er<br />

sein müsste (mögliche Kosten für<br />

die Kommune übrigens auch).<br />

Wir setzen auf eine aufsuchende<br />

Familien- und Verbraucherberatung, die Hilfe<br />

bietet, bevor aus Verschuldung Überschuldung<br />

wird oder der Strom nicht mehr bezahlt werden<br />

kann. Kinder und Jugendliche können lernen,<br />

was ein verantwortungsvolles Konsumverhalten<br />

ausmacht, oder zum Besuch von Jugend treffs<br />

animiert werden. Wir setzen auf Hilfe zur Selbsthilfe,<br />

auch durch eine schnelle Zuteilung von<br />

Familienpatinnen und -paten oder durch die Entsendung<br />

von Stadtteilmüttern und -vätern in benachteiligte<br />

Quartiere.


52 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Kein Kind zurücklassen! Chancengleichheit durch Vorbeugung und individuelle Förderung<br />

GEBÜHRENFREIE BILDUNG: EIN SOZIALES<br />

GRUNDRECHT UND EIN GEBOT DER FAIRNESS<br />

Bildung muss gebührenfrei sein. Für alle Kinder<br />

und von Anfang an. Bildungschancen sind immer<br />

auch Lebenschancen, und ohne Bildung gibt es<br />

auch keine Selbstbestimmung. Bildung ist ein soziales<br />

Grundrecht, das nicht erst gegen Gebühren<br />

gewährt werden darf. Jedes Kind hat das gleiche<br />

Recht auf die bestmögliche Bildung. Dieses Recht<br />

besteht unabhängig von Eltern und Herkunft und<br />

hat deshalb immer den gleichen Wert. Bis 20<strong>30</strong><br />

werden wir von der Kita bis zur Hochschule ein<br />

gebührenfreies Bildungssystem errichten.<br />

Die Gebührenbefreiung erfüllt nicht nur das Gebot<br />

gleicher Rechte und gleicher Chancen für alle<br />

Kinder. Sie ist auch ein Gebot der Fairness gegenüber<br />

ihren Eltern. Ein Bildungssystem ohne Gebühren<br />

würdigt und entlastet Familien aus der<br />

arbeitenden Mitte in Nordrhein-Westfalen. Denn<br />

sie sind es, die jeden Tag aufs Neue einen Beitrag<br />

von unschätzbarem Wert für die Zukunft<br />

aller Menschen in unserem Land leisten. Insbesondere<br />

junge Eltern, die in der Rushhour ihres<br />

Lebens stehen und auf die ohnehin noch unzählige<br />

Herausforderungen warten, werden von<br />

einer finanziellen Unsicherheit befreit.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Die Schule 20<strong>30</strong>: Hauptstadt einer offenen Bildungswelt 53<br />

DIE SCHULE 20<strong>30</strong>: HAUPTSTADT EINER<br />

OFFENEN BILDUNGSWELT<br />

“ Für einige Schüler ist die Schule ein schönerer Ort als ihr Zuhause . Sie freuen sich,<br />

wenn sie nach den Ferien wieder zu uns kommen dürfen.“<br />

Es ist nicht zu überhören: Die Direktorin der Gesamtschule Barmen in Wuppertal ist<br />

sehr stolz auf ihre Schule. Das kann sie auch sein, denn ihre Gesamtschule gewann<br />

2015 den Schulpreis der Robert Bosch Stiftung, der seit 2006 für herausragende<br />

pädagogische Konzepte und Lernbedingungen vergeben wird. Dabei sind die Rahmenbedingungen<br />

der Wuppertaler Gesamtschule alles andere als einfach: „Die Gesamtschule<br />

Barmen ist eine Insel mitten in einem sozialen Brennpunkt“, heißt es im Porträt der<br />

Robert Bosch Stiftung. Die Hälfte der Eltern sind Alleinerziehende, über <strong>30</strong> Prozent<br />

der Kinder haben einen Migrationshintergrund und nur 17 Prozent von ihnen bekamen<br />

eine Gymnasialempfehlung. Und doch wechseln am Ende der Sekundarstufe 1 rund<br />

60 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in die Oberstufe. Bei landesweiten Tests<br />

liegen Barmener Gesamtschüler oft über dem Landesdurchschnitt. Seit Jahren hat<br />

kein Schüler mehr die Schule ohne Abschluss verlassen.<br />

D<br />

er Grund dafür ist die individuelle<br />

Förderung aller Schülerinnen und<br />

Schüler, ganz gleich ob mit Behinderungen<br />

oder besonderen Begabungen.<br />

„Die Lernarrangements<br />

sind sehr fein auf die individuellen Bedürfnisse<br />

der Schüler abgestimmt“, lobt die Stiftung. Trotzdem<br />

– oder gerade deshalb – lernen starke und<br />

schwache Schüler gemeinsam. „Jeder ist unterschiedlich<br />

gut. Der eine kann das, der andere<br />

das“, sagt ein Junge aus der achten Klasse. Jüngere<br />

Schüler haben Paten aus der zehnten Klasse,<br />

jeder hat eine Aufgabe für die Gemeinschaft: als<br />

Pate, Medienscout oder Schulsanitäter. Im Ganztag<br />

gibt es täglich bis zu zwölf Zusatzangebote<br />

mit Unterstützung von Eltern oder außerschulischen<br />

Partnern. Nicht zuletzt ist die Schule ein<br />

Ort gelebter Demokratie: Die Schülerinnen und<br />

Schüler können bei der Aufstellung der Schulregeln<br />

mitbestimmen.<br />

Das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Lüdenscheid<br />

und die Erich-Kästner-Schule in Bochum<br />

(die Preisträger von 2014 und 2012) können ähnlich<br />

große Bildungserfolge vorweisen, und das<br />

aus den gleichen Gründen: Ihre Schülerinnen<br />

und Schüler schneiden bei Leistungstests überdurchschnittlich<br />

gut ab, weil sie individuell gefördert<br />

werden. Das Geschwister-Scholl-Gymnasium<br />

begann einst mit der Integration von Hochbegabten.<br />

Am Ende des Versuchs stand eine unerwartete<br />

Erkenntnis, sagt eine Lehrerin: „Danach<br />

war uns klar: Wer Begabte fördern kann, kann<br />

auch Schüler mit Behinderungen fördern. Es geht<br />

um den Blick auf Kinder, das Erkennen ihrer Ressourcen.<br />

Und dann bemühen wir uns, ein Netzwerk<br />

an Unterstützungen für diese Potentiale zu<br />

knüpfen.“ Die Robert Bosch Stiftung ist jedenfalls<br />

voll des Lobes: „Unterschiedliche Ausgangslagen,<br />

Lernstände und Potentiale sind der Normalfall.<br />

(...) Sie hat ein Fördermodell entwickelt, das sehr


54 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Die Schule 20<strong>30</strong>: Hauptstadt einer offenen Bildungswelt


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Die Schule 20<strong>30</strong>: Hauptstadt einer offenen Bildungswelt 55<br />

viele erreicht und unkonventionelle Einzellösungen<br />

ermöglicht. Die Lernentwicklung wird hier<br />

konsequent beobachtet und durch eine individuelle<br />

Lern- und Förderplanung unterstützt. Zusatzangebote,<br />

Lerntutorien, Lerncoaching und Hausaufgabenbetreuung<br />

im Lernbüro berücksichtigen<br />

Begabungen und Lernschwierigkeiten gleichermaßen.<br />

Neben Lehrpersonen wirken hier auch<br />

Schülerinnen und Schüler mit. Das sichert nicht<br />

nur hohe fachliche Leistungen, es fördert auch<br />

das soziale Lernen und das Schulklima.“<br />

Auch die Erich-Kästner-Schule in Bochum hat sich<br />

ihren Preis durch individuelle Förderung verdient.<br />

Sie hat zudem noch ein ganz besonderes Programm:<br />

Sie bietet eine intensive und individuelle<br />

Begleitung beim Übergang in die Berufswelt. In<br />

der Schule gibt es das Berufsorientierungsbüro,<br />

das „BoB“. Von dort aus halten drei Lehrer engen<br />

Kontakt zur Bundesagentur für Arbeit und zu<br />

regionalen Unternehmen. Sie vermitteln Praktika<br />

und helfen bei Bewerbungen. „Mittlerweile rufen<br />

die Firmen schon bei uns an“, erzählt ein Mathelehrer,<br />

dem die Stiftung „einen geradezu sportlichen<br />

Ehrgeiz“ attestiert, wenn er schwierige Fälle<br />

zu vermitteln hat.


56 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Die Schule 20<strong>30</strong>: Hauptstadt einer offenen Bildungswelt<br />

Wir können viel von den drei Schulen für das<br />

gesamte Bildungssystem lernen.<br />

Jedes Kind hat Talente. Sie sind Schätze, die<br />

gesucht werden müssen, die nicht immer auf<br />

Anhieb zu finden sind, aber schließlich doch<br />

gehoben werden können, bei jedem Kind. Am<br />

Anfang eines erfolgreichen Bildungsweges steht<br />

immer das Kind selbst, seine Begabungen und<br />

seine Handicaps. Ganz gleich ob hochbegabt<br />

oder mit Lernschwächen, ob mit Migrationshintergrund,<br />

mit bildungsnahem oder bildungsfernem<br />

Elternhaus, es ist die individuelle Förderung,<br />

die in ein gelingendes Leben führt.<br />

Das Bildungssystem der Zukunft wird durchlässiger<br />

sein, längeres gemeinsames Lernen ermöglichen<br />

und individuelle Bildungswege bieten. Vor<br />

allem werden wir die vielen, noch immer separierten<br />

Teilbereiche unseres Bildungssystems in<br />

eine einzige, offene und vernetzte Bildungswelt<br />

verwandeln. Die Hauptstadt dieser Bildungswelt<br />

wird die Schule sein. Sie bleibt der wichtigste Ort<br />

für die Vermittlung von Wissen. Aber sie wird mit<br />

allen Einrichtungen und Organisationen vernetzt<br />

sein, die sich schon heute um<br />

eine ganzheitliche Bildung der<br />

Kinder in Nordrhein-Westfalen<br />

verdient machen: mit Kindertagesstätten,<br />

Vereinen oder der<br />

Kinder-, Jugend- und Familienhilfe.<br />

An der Seite der Lehrerinnen<br />

und Lehrer werden multiprofessionelle<br />

Teams stehen, die<br />

je nach Bedarf pädagogische,<br />

psychologische oder medizinische<br />

Expertise zur individuellen<br />

Förderung beisteuern.<br />

Wir wollen den überparteilichen<br />

Schulkonsens über das Jahr<br />

2023 hinaus weiterentwickeln.<br />

Schulformen sind weit weniger<br />

wichtig als die Unterrichtsgarantie und die<br />

Unterrichtsqualität. Jedes Kind hat ein Recht auf<br />

» DAS BILDUNGS-<br />

SYSTEM DER<br />

ZUKUNFT WIRD<br />

DURCHLÄSSIGER<br />

SEIN, LÄNGERES<br />

GEMEINSAMES<br />

LERNEN<br />

ERMÖGLICHEN<br />

UND INDIVIDUELLE<br />

BILDUNGSWEGE<br />

BIETEN «<br />

die bestmögliche Unterrichtsqualität, ganz gleich<br />

an welchem Ort es in Nordrhein-Westfalen zur<br />

Schule geht.<br />

Eines dürfen wir aber nicht vergessen: Eine gute<br />

Schule ist zwar für Kinder und Jugendliche überaus<br />

wichtig, aber sie ist nicht ihr einziger Lebensinhalt.<br />

Kindheit und Jugend sind kein Trainingslager<br />

für das Berufsleben. Es sind ganz besondere<br />

Lebensphasen, in denen jeder Mensch einen<br />

Schatz an Erfahrungen, Erlebnissen und Erinnerungen<br />

sammelt, die durch nichts, was später<br />

noch kommen mag, aufgewogen werden. In<br />

Zukunft wird jedes Kind an jeder Schule in jeder<br />

Schulform wieder ausreichend Zeit haben, um sich<br />

die Welt jenseits des Unterrichts zu erschließen<br />

und sich zu einer selbstbewussten Persönlichkeit<br />

zu entwickeln.<br />

DIE SCHUBKRAFT FÜR EIN GELINGENDES LEBEN:<br />

UMFASSENDE BILDUNG IN EINER VERNETZTEN<br />

SCHULE<br />

Kinder und Jugendliche lernen nicht nur in der<br />

Schule – und dort auch nicht nur im Unterricht.<br />

Sie lernen überall dort, wo sie sich aktiv mit ihrer<br />

Umwelt auseinandersetzen: in<br />

den Angeboten der Kinder- und<br />

Jugendhilfe, in Sportvereinen,<br />

Musikschulen, Bibliotheken oder<br />

im privaten Kreis der Familie. All<br />

das sind bedeutende Orte des<br />

Lernens außerhalb von Schule<br />

und Familie. Diese „nonformalen“<br />

und „informellen“ Orte des<br />

Lernens müssen noch stärker<br />

in die Abläufe klassischer Bildungsinstitutionen<br />

eingebunden<br />

werden. Die Jugendhilfe zum<br />

Beispiel leistet überaus wichtige<br />

Bildungsarbeit für Nordrhein-Westfalen.<br />

In ihren Einrichtungen<br />

erfahren Kinder und<br />

Jugendliche Bindung und Anerkennung,<br />

die ihnen ansonsten oft fehlt. Die Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter sind für sie eine


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Die Schule 20<strong>30</strong>: Hauptstadt einer offenen Bildungswelt 57<br />

i<br />

zweite Familie, oft sogar ein Familienersatz. Die<br />

Jugendhilfe kann vieles auffangen, was im Leben<br />

dieser Kinder ins Rutschen geraten ist. Vor allem<br />

kann sie benachteiligten Kindern und Jugendlichen<br />

jene Alltagsbildung vermitteln, die für den<br />

Schulerfolg unerlässlich ist.<br />

FORMALE BILDUNG, INFORMELLE BILDUNG<br />

UND ALLTAGSBILDUNG<br />

Unter formaler Bildung versteht man die Vermittlung<br />

von „klassischem Schulwissen“, das in der Berufsausbildung<br />

oder im Studium vertieft, spezialisiert und<br />

angewendet wird. Grob vereinfacht geht es um Lesen,<br />

Schreiben, Rechnen, Fremdsprachen, Faktenwissen, das<br />

Analysieren von Problemen, das Finden von Lösungswegen,<br />

das Anwenden von Methoden etc.<br />

Die Schule der Zukunft wird mit allen Orten<br />

vernetzt sein, an denen Kinder und Jugendliche<br />

lernen und zu Persönlichkeiten werden. Und sie<br />

wird eine Ganztagsschule sein. Ihre Stärke besteht<br />

in der Kombination von klassischer Schulbildung<br />

und informeller Alltagsbildung. Es ist<br />

diese Kombination, die Lernerfolge steigert und<br />

zukünftige Bildungswege erfolgreicher macht.<br />

Sie ist die Schubkraft für ein gelingendes Leben.<br />

Die Integration von Alltagsbildung in den Schulablauf<br />

ist für ein zukunftsweisendes Bildungssystem<br />

unerlässlich. Damit das funktioniert,<br />

muss der Ganztag einem pädagogischen Rhythmus<br />

folgen. Lehrkräfte sollten auch nachmittags<br />

unterrichten und die Inhalte des Ganztagsunterrichts<br />

in einem verbindlichen Rahmenkonzept<br />

festgelegt werden.<br />

Informelle Bildung (auch Alltagsbildung genannt) vollzieht<br />

sich in der Familie, der Nachbarschaft, im Freundeskreis,<br />

im Verein oder auch in den besonderen Angeboten<br />

einer Ganztagsschule. Gemeint ist das Lernen durch<br />

Erleben, Ausprobieren, Beobachten, Zuhören, Imitieren,<br />

Reden und Diskutieren. Dabei werden soziale, personale<br />

und instrumentelle Kompetenzen erworben, wie zum<br />

Beispiel Toleranz, Empathie und Verantwortung, Kritikund<br />

Teamfähigkeit, Lernbereitschaft und Kreativität,<br />

Entscheidungsfreude, Selbstbehauptung; auch die Fähigkeit,<br />

alltägliche Zusammenhänge von Ursache und<br />

Wirkung zu erkennen und zu nutzen.<br />

Informelle Bildung ist die Voraussetzung für formalen<br />

Bildungserfolg – und das in jeder Lebensphase. Umso<br />

wichtiger ist es, dass sie in das Schulsystem integriert<br />

wird.


58 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Die Schule 20<strong>30</strong>: Hauptstadt einer offenen Bildungswelt<br />

EIN RECHT AUF GANZTAG IN ALLEN SCHULEN<br />

AN JEDEM WOHNORT<br />

Die SPD-Fraktion wird sich in Bund und Land für<br />

die Einführung eines gesetzlichen Anspruchs<br />

auf eine Ganztagsbeschulung einsetzen. Dieser<br />

Anspruch muss unabhängig von Wohnort, Schulform<br />

oder individuellen Besonderheiten gelten.<br />

Alle Grund- und weiterführenden Schulen sollen<br />

bis 20<strong>30</strong> über ein frei zugängliches Ganztagsangebot<br />

verfügen. Ganztagsangebote benötigen<br />

Entfaltungsräume: Die SPD-Fraktion setzt sich<br />

für umfassende Neubau-, Umbau- und Sanierungsmaßnahmen<br />

der Bildungseinrichtungen in<br />

Nordrhein-Westfalen ein.<br />

Das Essen für Kinder in Kitas und Schulen<br />

(inklusive einer warmen Mahlzeit pro Tag) soll in<br />

Zukunft flächendeckend und kostenlos angeboten<br />

werden. Großküchen und Kantinen sollen dabei<br />

überwiegend auf gesunde regionale Lebensmittel<br />

zurückgreifen.<br />

BILDUNG FÜR DAS DIGITALE LEBEN: MÜNDIG,<br />

FREI UND SICHER DURCH DIE NETZWELT<br />

Die Digitalisierung bringt jeden Tag eine neue<br />

Technologie hervor, die unser Leben vereinfachen,<br />

oft verbessern, in jedem Fall verändern<br />

wird. Was auch immer 20<strong>30</strong> alles möglich sein<br />

wird, Raum und Zeit werden kaum noch eine<br />

Rolle spielen. Schon heute kann sich jedes Kind<br />

das Wissen und die kulturellen Schätze der Welt<br />

in Sekundenschnelle auf ein Smartphone laden.<br />

Die Chancen für gesellschaftlichen Fortschritt<br />

sind phänomenal, die Möglichkeiten eines jeden<br />

Einzelnen, sich die Welt zu erschließen, nahezu<br />

unbegrenzt.<br />

Wir müssen allerdings lernen, wie wir uns in der<br />

digitalen Sphäre unserer Lebenswelt mündig,<br />

frei und sicher bewegen können. Denn mit jeder<br />

Frage, die wir dort stellen, geben wir auch Antworten<br />

über uns selbst. Mit fast jeder Anwendung,<br />

die wir nutzen, werden wir bzw. unsere<br />

Daten benutzt. Wo wir nach Wissen suchen,<br />

findet sich immer auch Unsinn. Wir können fast<br />

jeden Menschen in der industrialisierten Welt erreichen<br />

oder sind von ihm erreichbar, aber nicht<br />

jeder ist uns wohlgesinnt. All das müssen wir<br />

wissen. Und wir müssen wissen, wie wir damit<br />

umgehen. Das gilt erst recht für unsere Kinder.<br />

Die Schulbildung wird mehr denn je Alltagsbildung<br />

für das digitale Leben sein müssen. Das<br />

ist die große neue Herausforderung für alle, die<br />

in unserem Land Verantwortung für Kinder und<br />

Jugendliche übernehmen. Wie gelingt in der digitalen<br />

Gesellschaft ein behütetes Aufwachsen,<br />

das gleichzeitig alle Chancen offenhält, die sie<br />

unseren Kindern bietet?<br />

Kein Kind zurückzulassen, bedeutet in der digitalen<br />

Gesellschaft nichts anderes, als zu verhindern,<br />

dass Kinder zu reinen Objekten der Netzgesellschaft<br />

oder gar zu „digitalen Analphabeten“<br />

werden. Von den Möglichkeiten des technologischen<br />

Fortschritts darf niemand ausgeschlossen<br />

werden. Die Schule wird die Wissensgrundlagen<br />

für die mündige Nutzung digitaler Technologien<br />

legen. Neben dem Erwerb technischer Kompetenzen<br />

ist unser wichtigstes Bildungsziel die Befähigung<br />

zu einem verantwortungsvollen, selbstbestimmten,<br />

kreativen und kritischen Umgang mit<br />

digitalen Medien, Dienstleistungen und Daten.<br />

Die Nutzung neuer Techniken in der frühkindlichen<br />

wie auch schulischen Bildung darf nicht<br />

zur sozialen Ausgrenzung führen: Der Zugang<br />

zu neuen Lehrmaterialien wird allen Kindern in<br />

gleicher Weise zur Verfügung stehen.<br />

Unser Bildungssystem muss von der Kita bis zur<br />

Hochschule für die digitale Zukunft gerüstet sein:<br />

Deshalb brauchen wir in allen Einrichtungen unseres<br />

Bildungssystems Pädagoginnen und Pädagogen,<br />

die den Umgang mit neuen Medien lehren<br />

und deren Inhalte kritisch vermitteln können.<br />

Das Fach „Medienkompetenz“ wird einen<br />

festen Platz in der Ausbildung einnehmen. Die<br />

technische Ausstattung der „Zentren für schulpraktische<br />

Lehrerausbildung“ werden wir fortlaufend<br />

modernisieren.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Die Schule 20<strong>30</strong>: Hauptstadt einer offenen Bildungswelt 59<br />

EINE SCHULE FÜR DIE DEMOKRATIE –<br />

UND MEHR DEMOKRATIE FÜR DIE SCHULE<br />

Willy Brandt hatte recht: Die Schule der Nation ist<br />

die Schule (und nicht etwa das Militär). Denn in<br />

einer Demokratie ist jede Schule auch eine Schule<br />

für die Demokratie. Alle Jugendlichen sollen sie<br />

als mündige und selbstbewusste Bürgerinnen<br />

und Bürger verlassen. Das gelingt umso besser,<br />

je mehr sie die demokratischen Spielregeln auch<br />

durch eine demokratische Praxis vermittelt. Wir<br />

werden die Schulen in Nordrhein-Westfalen weiter<br />

demokratisieren, indem wir die Mitbestimmungsrechte<br />

von Schülerinnen und Schülern<br />

erweitern. Sie sollen im Rahmen bestehender<br />

Curricula mitentscheiden dürfen, wenn zum<br />

Beispiel festgelegt wird, welche Unterrichtsinhalte<br />

in welcher Reihenfolge behandelt<br />

werden. Politisches Engage-<br />

ment für die Grundwerte<br />

unserer Verfassung muss von<br />

Schulen gefördert werden,<br />

auch durch Freistellungen<br />

vom Unterricht.<br />

» IN DER<br />

DEMOKRATISCHEN<br />

SCHULE DES<br />

JAHRES 2o3o<br />

WERDEN ALLE<br />

KINDER INDIVIDUELL<br />

GEFÖRDERT«<br />

In der demokratischen Schule<br />

des Jahres 20<strong>30</strong> werden alle<br />

Kinder individuell gefördert,<br />

um Chancengleichheit zu<br />

garantieren. Wir wollen deshalb<br />

die klassischen „Hausaufgaben“ in Schulaufgaben<br />

verwandeln. Denn wissenschaftliche Studien<br />

belegen, dass die angeordnete Verschiebung<br />

des formalen Lernens aus dem Schulunterricht<br />

Kinder benachteiligt, die aus bildungsfernen<br />

Schichten kommen. Der didaktische Grundsatz<br />

„Üben, Wiederholen und Festigen“ kann an den<br />

Schulen selbst – in Lern- und selbstständigen Arbeitszeiten<br />

innerhalb des rhythmisierten Ganztages<br />

– verwirklicht werden. Gute Schülerinnen<br />

und Schüler werden andere unterstützen. Jedes<br />

Kind profitiert. Es gibt mehr Lernerfolge und vor<br />

allem mehr Chancengleichheit.<br />

BUND, LÄNDER UND KOMMUNEN:<br />

GEMEINSAM DAS BESTE BILDUNGSSYSTEM<br />

EUROPAS SCHAFFEN!<br />

In Deutschland könnte es 20<strong>30</strong> das beste Bildungssystem<br />

Europas geben. Wir haben alles,<br />

was wir dafür brauchen: Konzepte, Köpfe und<br />

Ressourcen. Das Ziel ist ehrgeizig,<br />

aber nicht unrealistisch. Vorausgesetzt,<br />

Bund, Länder und Kommunen<br />

machen sich gemeinsam<br />

auf den Weg und teilen sich die<br />

notwendigen Bildungsinvestitionen.<br />

Doch noch verhindert das<br />

sogenannte Kooperationsverbot<br />

in der Schulpolitik einen gemeinsamen<br />

Aufbruch. Es muss abgeschafft<br />

werden. Und auch der<br />

qualitative Ausbau kommunaler<br />

Bildungslandschaften wird schneller und besser<br />

gelingen, wenn sich Bund, Länder und Kommunen<br />

die Finanzierung teilen.


60 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Eine Berufsausbildung für jeden Jugendlichen und das Ende der Jugendarbeitslosigkeit in <strong>NRW</strong><br />

EINE BERUFSAUSBILDUNG FÜR<br />

JEDEN JUGENDLICHEN UND DAS ENDE<br />

DER JUGENDARBEITSLOSIGKEIT IN <strong>NRW</strong><br />

Die individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen darf nicht mit<br />

dem Schulabschluss enden. Sie muss weit darüber hinausreichen.<br />

Wir werden in den kommenden Jahren ein Übergangssystem von<br />

der Schule in den Beruf aufbauen, durch dessen Beratung, Begleitung und<br />

Förderung jeder Jugendliche in Nordrhein-Westfalen eine berufliche<br />

Perspektive erhält: sei es durch die Vermittlung in eine Berufsausbildung<br />

oder durch die Aufnahme eines Studiums. Es gilt der Grundsatz:<br />

Kein Abschluss ohne Anschluss!<br />

Wir verfügen mit der dualen<br />

Ausbildung über das beste<br />

Berufsausbildungssystem<br />

der Welt. Wir werden es fortlaufend<br />

an die sich stetig<br />

wandelnden Erfordernisse einer neuen Arbeitswelt<br />

anpassen. Wir werden es stärker als bisher<br />

bewerben und wir werden es auf der Berufsschulseite<br />

noch besser finanzieren. Einen drohenden<br />

Fachkräftemangel werden wir durch eine<br />

enge Kooperation von Bildungsinstitutionen,<br />

Unternehmen und Gewerkschaften zu verhindern<br />

wissen. Mit Hilfe einer Ausbildungsgarantie, mit<br />

einem sozialen Arbeitsmarkt und dem Ausbau<br />

der beruflichen Weiterbildung bauen wir eine<br />

Brücke in das Arbeitsleben für alle Jugendlichen,<br />

die aus unterschiedlichen Gründen heute nicht<br />

in den ersten Ausbildungs- und Arbeitsmarkt vermittelt<br />

werden können.<br />

Im Jahr 20<strong>30</strong>, wenn die vorbeugende Bildungspolitik<br />

ihre volle Wirkung entfaltet hat, wird der<br />

Übergang von der Schule in das Berufsleben nicht<br />

mehr an mangelnder Ausbildungsreife scheitern.<br />

Nordrhein-Westfalen wird dann ein Land ohne<br />

strukturelle Jugendarbeitslosigkeit sein.<br />

VON DER SCHULE IN DEN BERUF:<br />

OHNE BRÜCHE, OHNE WARTESCHLEIFEN<br />

Bereits heute profitieren mehrere hunderttausend<br />

Schülerinnen und Schüler vom „Übergangssystem<br />

Schule-Beruf in <strong>NRW</strong>“. Sie werden frühzeitig bei<br />

ihrer Berufswahl, bei der Studienorientierung<br />

und beim Eintritt in Ausbildung oder Studium<br />

beraten und unterstützt. Alle jungen Menschen<br />

erhalten nach der Schule möglichst schnell eine<br />

Anschlussperspektive, ohne Brüche und ohne<br />

Warteschleifen. Wir werden dieses erfolgreiche<br />

System bis 20<strong>30</strong> kontinuierlich ausbauen und<br />

weiterentwickeln: Schülerinnen und Schüler<br />

werden die Möglichkeit zur Erarbeitung eines<br />

individuellen Berufswegeplans erhalten und<br />

regelmäßige Schulpraktika durchführen dürfen.<br />

Fachleute aus Verbänden, Gewerkschaften und<br />

Unternehmen werden wir noch stärker in die<br />

berufsorientierte Schulberatung einbeziehen.<br />

Berufsbörsen und Kontaktika sowie der Einsatz<br />

von Talentscouts werden diese individuelle Beratung<br />

praktisch ergänzen. Auch das Angebot an<br />

Betriebspraktika für Lehrerinnen und Lehrer<br />

werden wir in den nächsten Jahren schrittweise<br />

ausbauen.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Eine Berufsausbildung für jeden Jugendlichen und das Ende der Jugendarbeitslosigkeit in <strong>NRW</strong> 61<br />

Damit junge Menschen ohne Warteschleifen<br />

„unter einem Dach“ beraten und vermittelt<br />

werden können, werden wir die Gründung regionaler<br />

Jugendberufsagenturen fördern. Jugendberufsagenturen<br />

vernetzen alle<br />

relevanten Leistungen und Angebote<br />

für die Übergangsphase<br />

zwischen Schule und Beruf:<br />

Berufsberatung, Ausbildungsund<br />

Arbeitsvermittlung, Jugendhilfe<br />

und Schulunterricht.<br />

Jugendliche, die nach der Schule<br />

keinen Ausbildungsplatz bekommen,<br />

werden wir stärker als<br />

bisher in Produktionsschulen<br />

fördern und qualifizieren. Dort<br />

gehen berufliches Lernen und<br />

praktische Arbeit Hand in Hand.<br />

Wo ein Bedarf an Produktionsschulen<br />

besteht, werden sie in Zukunft schnell<br />

und unbürokratisch eingerichtet.<br />

INITIATIVEN GEGEN DEN DROHENDEN<br />

FACHKRÄFTEMANGEL: REGIONALE<br />

KOOPERATION FÜR DIE BERUFLICHE BILDUNG<br />

In den Jahren bis 20<strong>30</strong> droht in einzelnen Regionen<br />

und Branchen ein Fachkräftemangel, zum<br />

Beispiel in technischen Berufsfeldern oder Gesundheits-<br />

und Pflegeberufen. Die Gründe dafür<br />

sind vielfältig. Dazu zählen der demografische<br />

Wandel, veränderte Berufsbilder und -wünsche<br />

oder die oft nur unzureichende Vermittlung und<br />

Betreuung von Studien- und Ausbildungsabbrechern<br />

oder Jugendlichen mit Migrationshintergrund.<br />

Wir werden diesem Fachkräftemangel mit<br />

unterschiedlichen Initiativen entgegentreten:<br />

„Kein Kind zurücklassen!“, „Kein Abschluss ohne<br />

Anschluss!“, kommunale Bildungslandschaften<br />

oder die „Fachkräfteinitiative <strong>NRW</strong>“.<br />

Die Abwendung eines Fachkräftemangels ist<br />

eine Querschnittsaufgabe, die nur regional und<br />

»JUGENDBERUFS-<br />

AGENTUREN<br />

VERNETZEN<br />

ALLE RELEVANTEN<br />

LEISTUNGEN<br />

FÜR DIE ÜBER-<br />

GANGSPHASE<br />

ZWISCHEN<br />

SCHULE UND<br />

BERUF «<br />

branchenspezifisch gelöst werden kann. Gefragt<br />

ist die enge Zusammenarbeit von Arbeitgebern,<br />

Kammern, Arbeitsverwaltungen und Arbeitnehmervertretungen.<br />

Wir werden alle Regionen in<br />

<strong>NRW</strong> zur Ausarbeitung spezifischer<br />

Handlungspläne animieren<br />

und junge Menschen gezielt<br />

in unterbesetzte Fachbranchen<br />

vermitteln. Diese Fachkräfteinitiative<br />

muss in Verbändern und<br />

Kammern beworben und ihre<br />

Vorteile für alle Betriebe besser<br />

erklärt werden. Wir werden den<br />

Stellenwert und die Entwicklungschancen<br />

der dualen Berufsausbildung<br />

im Rahmen einer<br />

landesweiten Kampagne bewerben.<br />

Eine duale Berufsausbildung<br />

eröffnet große berufliche Chancen,<br />

die Eltern, Jugendlichen<br />

und Betrieben noch offensiver nähergebracht<br />

werden müssen. Unsere Maßnahmen setzen<br />

allesamt auch auf die schnellere und gezieltere<br />

Integration in Ausbildung und Arbeitsmarkt.<br />

Der drohende Fachkräftemangel erfordert auch<br />

eine engere Kooperation aller Bildungsinstitutionen,<br />

insbesondere zwischen Schulen und Berufskollegs.<br />

Wir werden Berufsschulen besser ausstatten,<br />

zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer<br />

qualifizieren und einstellen. Den Einstieg von<br />

Quereinsteigern werden wir vereinfachen. Auch<br />

Unternehmen sind in der Verantwortung und<br />

müssen mit Ausbildungs- und Praktikumsplätzen<br />

nachziehen: Wir werden die regionale Umlagefinanzierung<br />

für Ausbildungsplätze in jenen Branchen<br />

unterstützen, in denen dringend Fachkräfte<br />

gebraucht, aber zu wenige ausgebildet werden.<br />

Damit unterstützen wir alle Unternehmen, die<br />

schon heute ausbilden und damit Verantwortung<br />

übernehmen: sowohl für ihre eigene Zukunft<br />

als auch für die ihrer ganzen Branche und nicht<br />

zuletzt für die Zukunft der Jugendlichen.


62 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Eine Berufsausbildung für jeden Jugendlichen und das Ende der Jugendarbeitslosigkeit in <strong>NRW</strong><br />

FAIRNESS AUF DEM AUSBILDUNGSMARKT: EINE<br />

MINDESTVERGÜTUNG FÜR AUSZUBILDENDE<br />

Die Ausbildung ist der erste Schritt in die finanzielle<br />

Unabhängigkeit. Der Anfang dieses Lebensabschnitts<br />

ist häufig mit einem Umzug und mit<br />

steigenden Miet- und Lebenshaltungskosten<br />

verbunden. Die tarifliche Ausbildungsvergütung<br />

hält damit nicht Schritt. Das Bundesinstitut für<br />

Berufsbildung hat für Auszubildende eine monatliche<br />

Durchschnittsvergütung in Höhe von<br />

761 Euro im Jahr 2013 errechnet. Rund 28 Prozent<br />

der Auszubildenden erhalten jedoch nur<br />

500 Euro oder weniger. Wir werden deshalb<br />

eine Debatte über eine Mindestausbildungsvergütung<br />

anstoßen und uns dafür einsetzen, dass<br />

diese schrittweise eingeführt wird.<br />

DAS ENDE DER JUGENDARBEITSLOSIGKEIT<br />

IN <strong>NRW</strong><br />

Bis spätestens 20<strong>30</strong> soll Nordrhein-Westfalen<br />

ein Land mit Vollbeschäftigung sein. Der erste<br />

Meilenstein auf diesem Weg ist das Ende der<br />

Jugendarbeitslosigkeit. Je mehr wir in unser Bildungssystem<br />

investieren und je schneller wir es<br />

zu einer eng vernetzten Bildungswelt mit individueller<br />

Förderung und lückenlosen Präventionsketten<br />

ausbauen, desto geringer wird die Jugendarbeitslosigkeit<br />

sein. Wenn wir heute die Weichen<br />

richtig stellen, wird sie zur Gänze verschwinden.<br />

Trotz der Produktivitätsfortschritte<br />

der Industrie 4.0 wird der Fachkräftebedarf so<br />

groß sein, dass jeder ausbildungsreife Jugendliche<br />

derart gute Berufsaussichten hat, dass dies einer<br />

Job-Garantie gleichkommt. Umso wichtiger ist<br />

ein gerechtes und leistungsstarkes Bildungssystem,<br />

das jedem jungen Menschen zu einer<br />

zukunftssicheren Ausbildung mit entsprechenden<br />

Berufschancen verhilft.<br />

Doch noch gibt es Jugendliche mit Bildungsund<br />

Ausbildungsdefiziten. Sie sind auf dem<br />

ersten Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nicht<br />

oder nur sehr schwer zu vermitteln. Wir dürfen<br />

diese jungen Menschen nicht ihrem Schicksal<br />

als Langzeitarbeitslose überlassen. Auch sie können<br />

lernen, wollen anpacken und etwas leisten.<br />

Deshalb werden wir eine Ausbildungsgarantie in<br />

Form einer drei- bzw. dreieinhalbjährigen außerbetrieblichen<br />

Ausbildung einsetzen. Ein sozialer<br />

Arbeitsmarkt, die öffentliche Finanzierung von<br />

Arbeit und Beschäftigung, für die es einen gesellschaftlichen<br />

Bedarf, aber keinen Markt gibt,<br />

ist ein weiteres Instrument im Kampf gegen die<br />

Langzeitarbeitslosigkeit junger Menschen. Berufliche<br />

Weiterbildung, die regelmäßige Überprüfung<br />

von Zwischenzielen und eine tarifliche<br />

Entlohnung sind wichtige Elemente dieser<br />

Strategie.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>: das attraktivste Hochschulland Europas! 63<br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>:<br />

DAS ATTRAKTIVSTE<br />

HOCHSCHULLAND EUROPAS!<br />

Gleiche Bildungschancen sind nicht nur eine Frage sozialer Gerechtigkeit, sondern auch<br />

Grundlage von Wohlstand, wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlichem Fortschritt.<br />

Nordrhein-Westfalen ist auf die Ideen und die Kreativität seiner Menschen angewiesen.<br />

Bildung, Wissenschaft und Forschung sichern die Ausbildung unseres beruflichen und<br />

akademischen Fachkräftenachwuchses. Sie sind die Voraussetzung für die Innovationskraft<br />

und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und nicht zuletzt für gesellschaftlichen<br />

Zusammenhalt und Fortschritt. Denn Bildung schafft die Voraussetzung dafür,<br />

das Leben selbstbestimmt zum Erfolg zu führen, neue Wege zu gehen und eigene<br />

Wünsche und Ideen auch umsetzen zu können. In Zukunft werden wir den Zusammenhalt<br />

unserer Gesellschaft nur sichern, wenn wir allen bei uns lebenden Menschen<br />

Wege zur politischen, sozialen und ökonomischen Teilhabe eröffnen. Bildung ist der<br />

Schlüssel dafür, junge Menschen anzuerkennen, wertzuschätzen und ihnen<br />

konkrete Perspektiven für ihr Leben zu eröffnen.<br />

A<br />

n unseren Hochschulen werden<br />

Menschen beruflich qualifiziert<br />

und/oder gehen den Weg in die<br />

Wissenschaft. Spätestens im Jahr<br />

20<strong>30</strong> ist Aufstieg durch Bildung<br />

für jeden möglich, der Talent mitbringt und fleißig<br />

ist. Und zwar unabhängig vom Geldbeutel<br />

oder von der Herkunft seiner Eltern. Dazu gehören<br />

für uns ein gebührenfreies Studium, ein<br />

gut finanziertes BAföG und die Durchlässigkeit<br />

unseres Bildungssystems – zum Beispiel für<br />

beruflich Qualifizierte oder Studierende ohne<br />

Abitur. Bildungsgerechtigkeit, das Versprechen<br />

von Aufstieg durch Bildung, gute Arbeitsbedingungen<br />

und ein Wissenschaftssystem im Dienst<br />

der Gesellschaft stehen für uns im Mittelpunkt:<br />

Wir machen Politik für die Studierenden, für<br />

ihre Eltern und für die Beschäftigten an unseren<br />

Hochschulen. Wir sorgen für gute Arbeitsbedingungen<br />

und ein Wissenschaftssystem im Dienst<br />

der Gesellschaft.<br />

Attraktive Studienbedingungen, eine starke soziale<br />

Infrastruktur und gute Lehre sind die besten<br />

Mittel gegen hohe Abbrecherquoten. Sie sind ein<br />

Erfolgsfaktor für alle Hochschulen. Besser vergleichbare<br />

und somit weniger extrem spezialisierte<br />

Studiengänge sorgen für berufliche Flexibilität<br />

und soziale Mobilität, zum Beispiel für Ortswechsel<br />

nach dem Bachelor. Ein aktives Diversity-<br />

Management gehört ebenso selbstverständlich<br />

zu einer modernen Hochschule wie die Suche<br />

nach und die Förderung von Talenten, die unsere<br />

Gesellschaft brauchen wird.


64 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>: das attraktivste Hochschulland Europas!<br />

Wir setzen dabei konsequent auf die Internationalität<br />

unserer Hochschulen und sind im Jahr<br />

20<strong>30</strong> Europas erfolgreichster Hochschulstandort<br />

bei der Gewinnung herausragender Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />

und -wissenschaftler.<br />

ATTRAKTIVE STUDIENBEDINGUNGEN<br />

UND GUTE LEHRE<br />

Gute Lehre und Studienerfolg sind im Jahr 20<strong>30</strong><br />

noch mehr als heute anerkannte Merkmale hervorragender<br />

Hochschulen. Wir werden dafür<br />

sorgen, dass Spitzenleistungen in der Lehre den<br />

gleichen Stellenwert in unseren Hochschulen erhalten<br />

wie Spitzenleistungen in der Forschung.<br />

Die Digitalisierung der Bildung wird nicht nur die<br />

Infrastruktur im Bildungssektor verändern, sondern<br />

auch die Lehre an Hochschulen. Die Hochschulen<br />

werden die Chancen der Digitalisierung<br />

umfassend nutzen, um Lehre und Studienbedingungen<br />

zu verbessern und sich gleichzeitig als<br />

Einrichtungen auch weiterhin unverzichtbar zu<br />

machen, beispielsweise in Abgrenzung zu digitalen<br />

Bildungsangeboten im Netz. Die Digitalisierung<br />

ist deshalb an allen Hochschulen eines<br />

der zentralen strategischen Handlungsfelder. Die<br />

einzigartige Vielfalt unserer Hochschullandschaft<br />

bietet die besten Voraussetzungen dafür, die Digitalisierung<br />

in gesellschaftlichen Fortschritt für<br />

alle Lebens- und Arbeitsbereiche zu verwandeln.<br />

„Digitalisierung <strong>NRW</strong>“ ist der Markenkern unseres<br />

Bundeslandes.<br />

Die Lehre selbst wird digital.<br />

Online-Inhalte, -Kurse und -Studiengänge<br />

relativieren die Bedeutung<br />

von Zeit und Raum. <strong>NRW</strong> ist<br />

weiterhin der Trendsetter, wenn<br />

es um Fernlehre geht.<br />

Flexiblere Studieneingangsphasen, die der Heterogenität<br />

der Studienanfängerinnen und -anfänger<br />

Rechnung tragen, werden genauso wie der<br />

Abbau von Barrieren für eine inklusive Hochschule<br />

Realität. Das Modell der demokratischen,<br />

» <strong>NRW</strong> HAT DEN<br />

MODERNSTEN<br />

HOCHSCHUL-<br />

CAMPUS<br />

EUROPAS «<br />

offenen Hochschule hat sich gegen die Idee einer<br />

Hochschule als Wirtschaftsunternehmen durchgesetzt.<br />

Gute Arbeit wird allgemein als Voraussetzung<br />

für hervorragende Wissenschaft und exzellente<br />

Lehre anerkannt. Toleranz, Weltoffenheit<br />

und interkulturelle Kompetenz sind dabei gelebte<br />

Werte unserer Hochschullandschaft. <strong>NRW</strong> ist<br />

damit bei den jungen Studierenden in Europa<br />

ein Synonym für gute Studienbedingungen, die<br />

erfolgreiches Studieren in einem lebens- und<br />

liebenswerten Umfeld ermöglichen.<br />

Um die Vielzahl von Studiengängen im Sinne<br />

der Studierenden besser zu strukturieren, wird<br />

die Akkreditierung neu organisiert. Die zu große<br />

Spezialisierung wird eingedämmt und die breiter<br />

angelegten Qualifikationsziele des Bachelorstudiums<br />

werden wieder zur Geltung kommen. Die<br />

Rahmenbedingungen werden wir dabei so gestalten,<br />

dass sie den Studierenden ein selbstbestimmtes<br />

Studium ermöglichten, beispielsweise<br />

durch Teilzeitstudiengänge, flexiblere Regelstudienzeiten<br />

und so weiter.<br />

DER MODERNSTE<br />

HOCHSCHUL CAMPUS EUROPAS<br />

<strong>NRW</strong> hat 20<strong>30</strong> den modernsten Hochschulcampus<br />

Europas. Das gilt zum einen für die Infrastruktur<br />

– Hochschulen als Lernräume und Begegnungsstätten<br />

müssen auch baulich an die<br />

Herausforderungen der Zukunft angepasst werden.<br />

Das gilt aber auch für die Verknüpfung<br />

von Wissenschaft und<br />

Gesellschaft, die als Gegenmodell<br />

zum Elfenbeinturm ein entscheidendes<br />

Kriterium für ein zukunftsfähiges<br />

Wissenschaftssystem sein<br />

wird.<br />

Der weitere Ausbau und die<br />

Modernisierung der bestehenden Infrastruktur<br />

für Wissenschaft und Forschung sind Investitionen<br />

in die Zukunftsfähigkeit und Innovationskraft<br />

<strong>NRW</strong>s. Intelligente und auf die Anforderungen<br />

der Digitalisierung abgestimmte bauliche


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>: das attraktivste Hochschulland Europas! 65<br />

Lösungen tragen dazu bei, dass wir die besonderen<br />

Chancen nutzen, die sich aus der Vernetzung<br />

von Wissenschaft und der besonderen Wirtschaftsstruktur<br />

unseres Landes ergeben.<br />

Die soziale Infrastruktur ist 20<strong>30</strong> selbstverständlicher<br />

Teil eines modernen Hochschulcampus. Wir<br />

werden hier investieren und der Bund wird sich –<br />

genau wie bei der FernUniversität in Hagen – an<br />

den Kosten angemessen beteiligen. Forschung<br />

und Lehre gehören für uns auch im Jahr 20<strong>30</strong><br />

zusammen – der Ort dafür sind die Hochschulen.<br />

Der modernste Hochschulcampus Europas bietet<br />

für beides hervorragende Bedingungen.<br />

Wir werden diesen Weg mit einem bundesweiten<br />

Professorinnenprogramm weitergehen. Zudem<br />

machen wir überzeugende Gleichstellungskonzepte<br />

zu einer Voraussetzung für die Partizipation<br />

an Förderprogrammen. Wir werden den Transfer<br />

von Forschungsleistungen in die Wirtschaft weiter<br />

vorantreiben und den Austausch, insbesondere<br />

mit unseren leistungsstarken kleineren und<br />

mittelständischen Unternehmen, gerade auch<br />

im Bereich der Wirtschaft 4.0 fördern.<br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>: WO FRAUEN AN HOCHSCHULEN<br />

GLEICHBERECHTIGT SIND<br />

Die Förderung von Frauen in der Wissenschaft<br />

hat sich 20<strong>30</strong> ausgezahlt: Nachdem wir gegen<br />

politische Widerstände die Gleichstellung von<br />

Frauen als zentrales Ziel der Hochschulentwicklung<br />

etabliert haben, hat sich der Anteil der<br />

Frauen in den verschiedenen Führungspositionen<br />

drastisch erhöht. Wir können endlich von<br />

Gleichberechtigung reden. Immer mehr herausragende<br />

Wissenschaftlerinnen entscheiden sich<br />

bewusst für eine Wissenschaftskarriere in Nordrhein-Westfalen,<br />

weil Gleichstellung hier gelebte<br />

Realität und nicht mehr ein Anlass für hochschulinterne<br />

Auseinandersetzungen ist. Der Wissenschaftsstandort<br />

<strong>NRW</strong> profitiert massiv davon,<br />

dass die besten Köpfe ausgewählt werden und<br />

das intellektuelle Potenzial unseres Landes voll<br />

zur Geltung kommt.


66 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Familie leben 20<strong>30</strong>: Zeit für Kinder – Zeit für Eltern – Zeit für Selbstbestimmung!<br />

FAMILIE LEBEN 20<strong>30</strong>:<br />

ZEIT FÜR KINDER – ZEIT FÜR ELTERN –<br />

ZEIT FÜR SELBSTBESTIMMUNG!<br />

Im Rückblick wird man sie vielleicht die größte gesellschaftspolitische Errungenschaft<br />

der letzten 5o Jahre nennen: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.<br />

Denn sie bedeutet mehr Zeit, mehr Sicherheit und mehr Selbstbestimmung.<br />

Für Frauen, Männer, Kinder und zu pflegende Angehörige.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Familie leben 20<strong>30</strong>: Zeit für Kinder – Zeit für Eltern – Zeit für Selbstbestimmung! 67<br />

S<br />

ie bedeutet Zeit, die sich Eltern nehmen<br />

und einteilen können, für ihre<br />

Familie und ihren Beruf, über die<br />

Woche, über einige Jahre oder über<br />

Lebensphasen.<br />

Sie bedeutet Sicherheit, weil die Verringerung<br />

von Arbeitszeit nicht mehr zu einem Verlust von<br />

Berufs- und Karrierechancen oder zu Altersarmut<br />

führt. Sie bedeutet aber auch Sicherheit für Kinder,<br />

die sich auf die Anwesenheit ihrer Eltern im<br />

Familienalltag verlassen können.<br />

Sie bedeutet Selbstbestimmung, weil Männer<br />

und Frauen sich nicht mehr fragen müssen, wie<br />

viel Verantwortung für die Familie ihr Job erlaubt.<br />

Stattdessen werden sie gefragt, wie sich ihr Job<br />

an ihre Vorstellungen eines gelungenen Familienund<br />

Arbeitslebens anpassen lässt. Dass Frauen<br />

ihre Kinder oder Angehörigen umsorgen, wird<br />

nicht mehr als selbstverständlich gelten, dass<br />

Männer dies tun, nicht mehr als extravagant.<br />

Das alles ist noch nicht Realität. Aber es ist auch<br />

keine Utopie mehr. Wir werden alles tun, damit<br />

spätestens 20<strong>30</strong> die Vereinbarkeit von Familie<br />

und Beruf in Nordrhein-Westfalen Lebenswirklichkeit<br />

geworden ist. Sie wird dann Realität,<br />

wenn Politik und Gesellschaft sie nicht länger als<br />

ein individuelles Organisationsproblem abtun,<br />

sondern als eine politische, ökonomische und<br />

gesellschaftliche Herausforderung begreifen.<br />

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein<br />

Gebot ökonomischer Vernunft, weil unsere Unternehmen<br />

mehr denn je Frauen brauchen: ihre<br />

Kompetenzen, ihre Leistungen und ihren Ehrgeiz<br />

– und zwar vom Ladenlokal bis zur Chefetage.<br />

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine<br />

Frage der sozialen Gerechtigkeit: Gute Arbeit<br />

zu haben, bedeutet Sicherheit und Unabhängigkeit<br />

– in der Gegenwart und im Alter. Ein Kind<br />

darf weder ein Grund für prekäre Beschäftigung<br />

sein noch ein Karrierehindernis. Ob alleinerziehend<br />

oder nicht, ob Köchin oder Maschinenführer,<br />

ob Wissenschaftler oder Ingenieurin: Die<br />

soziale Sicherheit und die individuelle Selbstbestimmung<br />

aller Eltern haben für uns den gleichen<br />

hohen Wert. Der bestmögliche Start ihrer Kinder<br />

ins Leben erst recht.<br />

Im Jahr 20<strong>30</strong> werden sich die Bedürfnisse von<br />

Familien nicht mehr nur der Arbeitswelt unterordnen<br />

müssen. Die Arbeitswelt wird familienfreundlicher<br />

sein. Alle Menschen brauchen im<br />

Verlauf ihres Lebens mehr Zeit jenseits des Berufs:<br />

für Weiterbildung, gesellschaftliches Engagement,<br />

Kindererziehung und Pflege. Die soziale<br />

Absicherung dieser Lebensphasen, die bessere<br />

Verteilung von Arbeitszeit und bessere Chancen<br />

für Frauen – das sind die Aufgaben, die wir für<br />

Nordrhein-Westfalen angehen werden.


68 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Familie leben 20<strong>30</strong>: Zeit für Kinder – Zeit für Eltern – Zeit für Selbstbestimmung!<br />

NEUE REGELN FÜR MEHR SELBSTBESTIMMUNG<br />

„Ehe und Familie stehen unter dem besonderen<br />

Schutze der staatlichen Ordnung“, heißt es in Artikel<br />

6 des Grundgesetzes. Dort steht aber nicht,<br />

dass nur ein ganz bestimmtes Familienmodell<br />

Schutz und Unterstützung verdient. Familie wird<br />

heute in vielfältigen Formen gelebt. Für uns gibt<br />

es Familie überall dort, wo Menschen füreinander<br />

Verantwortung übernehmen und Kinder<br />

aufwachsen. Es steht dem Staat nicht zu, seine<br />

Bürgerinnen und Bürger auf ein bestimmtes Familienmodell<br />

festzulegen. Und es ist auch nicht<br />

Sache des Staates vorzugeben, ob und wie erwachsene<br />

Menschen Beruf und Familie untereinander<br />

aufteilen. Für Alleinerziehende stellt sich<br />

diese Frage ohnehin nicht. Aber der Staat muss<br />

Freiräume schaffen, in denen eine partnerschaftliche<br />

Aufteilung von Familie und<br />

Erwerbsarbeit möglich ist.<br />

Die vielfältigen Lebens- und<br />

Familienentwürfe unserer Bürgerinnen<br />

und Bürger dürfen<br />

nicht an überkommenen Strukturen<br />

oder an sozialer Unsicherheit<br />

scheitern. Sie müssen Wirklichkeit<br />

werden können. Die<br />

Aufgabe einer modernen Familienpolitik<br />

ist es, alle einseitigen<br />

Anreize und Regeln derart zu<br />

verändern, dass sie dem Recht<br />

auf ein selbstbestimmtes Familien-<br />

und Arbeitsleben nicht länger entgegenstehen.<br />

Und genau das werden wir tun. Im Land –<br />

und wo nötig auch im Bund.<br />

WER FLEXIBILITÄT VERLANGT, MUSS AUCH<br />

FLEXIBILITÄT BIETEN! ELEMENTE EINES NEUEN<br />

„NORMALARBEITSVERHÄLTNISSES“<br />

Unternehmen brauchen flexible und qualifizierte<br />

Beschäftigte. Aber wer Flexibilität erwartet, muss<br />

sie auch bieten. Das alte „Normalarbeitsverhältnis“<br />

(kontinuierliche Vollzeit plus Überstunden<br />

des männlichen Hauptverdieners) ist für immer<br />

weniger Männer und Frauen attraktiv, geschweige<br />

» FÜR UNS<br />

GIBT ES FAMILIE<br />

ÜBERALL DORT,<br />

WO MENSCHEN<br />

FÜREINANDER<br />

VERANTWORTUNG<br />

ÜBERNEHMEN<br />

UND KINDER<br />

AUFWACHSEN «<br />

denn praktikabel. In Zukunft werden Arbeitszeit,<br />

Familienzeit und Zeit für Qualifikation und Weiterbildung<br />

ineinandergreifen können. Gefragt ist<br />

ein neues Normalarbeitsverhältnis, das Flexibilität<br />

für Unternehmen mit mehr Selbstbestimmung<br />

für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

verbindet. Wir werden uns deshalb dafür starkmachen,<br />

dass sie alle das Recht haben, von Vollzeit<br />

in Teilzeit und wieder zurück zu wechseln.<br />

Unverzichtbar für ein neues Normalarbeitsverhältnis<br />

ist das Element der „Lebensarbeitszeitkonten“,<br />

durch das Arbeitszeit angespart und in<br />

bestimmten Lebensphasen wieder ausgegeben<br />

werden kann, z. B. in der Familiengründungsphase,<br />

für die Pflege von Angehörigen oder für<br />

die berufliche Weiterbildung. Insbesondere ein<br />

Recht auf Weiterbildung ist für<br />

alle Frauen und Männer von<br />

großer Bedeutung, die ihre Erwerbsarbeitsphase<br />

für Fürsorge<br />

in der Familie unterbrechen<br />

wollen oder müssen. Denn berufliche<br />

Qualifikationsverluste<br />

in der Unterbrechungsphase führen<br />

langfristig zu größeren Einkommensverlusten<br />

als das ggf.<br />

geringere Einkommen während<br />

der Unterbrechung selbst. Deshalb<br />

machen wir uns weiterhin<br />

für eine Arbeitsversicherung<br />

stark, die genau diese Umbrüche<br />

nicht zu einer Sackgasse, sondern zu neuen<br />

Chancen macht.<br />

Das zweite Element eines neuen Normalarbeitsverhältnisses<br />

ist die Familienarbeitszeit. Wir<br />

wollen, dass beide Eltern für maximal drei Jahre<br />

ihre Arbeitszeit auf 80 Prozent absenken können<br />

und 20 Prozent ihres bisherigen Einkommens<br />

als Familienleistung erhalten. Die finanzielle<br />

Unterstützung sollte sich grundsätzlich am<br />

Nettoeinkommen der Eltern orientieren. Eltern<br />

mit kleineren Einkommen sollten davon prozentual<br />

stärker profitieren als Eltern mit hohen


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Familie leben 20<strong>30</strong>: Zeit für Kinder – Zeit für Eltern – Zeit für Selbstbestimmung! 69<br />

Einkommen. Die Familienarbeitszeit ist für die<br />

öffentliche Hand bezahlbar, unterstützt eine<br />

partnerschaftliche Aufteilung der Familien- und<br />

Erwerbsarbeit und führt zu höheren Einkommen<br />

und Renten der Mütter.<br />

EIN <strong>NRW</strong>-PAKT FÜR VEREINBARKEIT<br />

Flexible und individuelle Arbeitszeitmodelle mit<br />

festen Kernarbeitszeiten sind im Interesse aller<br />

Unternehmen und ihrer Beschäftigten. Wichtig<br />

ist: Flexibilität meint für uns keine Rund-umdie-Uhr-Erreichbarkeit<br />

oder -Arbeitszeit! Feste<br />

Kernarbeitszeiten schaffen die nötige Sicherheit,<br />

um Freizeit – und somit auch die gemeinsame<br />

Zeit mit der Familie – besser planen zu können.<br />

Unser Land braucht eine Betriebskultur, die sich<br />

an konkreten Arbeitsergebnissen, weniger an der<br />

bloßen Anwesenheit der Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter orientiert.<br />

Wir werden einen <strong>NRW</strong>-Pakt für die Vereinbarkeit<br />

von Familie und Beruf schließen, der familienfreundliche<br />

Arbeitsmodelle, -zeiten und -orte<br />

zum Inhalt hat. Dieser Pakt kann nur in Kooperation<br />

von Politik, Unternehmen sowie Tarif- und<br />

Sozialpartnern vor Ort gelingen. Der „Pakt für<br />

Vereinbarkeit <strong>NRW</strong>“ soll für die Beschäftigten<br />

im Schicht- und Wechseldienst, für Betriebe und<br />

Familien Planbarkeit und Sicherheit schaffen.<br />

Kleinst-, kleine und mittelständische Unternehmen<br />

werden wir in diesem Prozess durch Servicecenter<br />

vor allem im administrativen Bereich<br />

unterstützen.<br />

Derzeit bietet nur etwa ein Drittel der Betriebe<br />

in Deutschland die Möglichkeit, von zuhause<br />

aus zu arbeiten: Wir wollen diese Zahl bis 20<strong>30</strong><br />

auf mindestens zwei Drittel aller Betriebe erhöhen.<br />

Der Zwang zur Präsenz muss der Freiheit<br />

der Flexibilität weichen.<br />

Wir setzen uns für einen Rechtsanspruch auf<br />

Teilzeitmodelle sowie für ein Recht auf Rückkehr<br />

in die Vollzeitbeschäftigung ein. Gleitzeit- und<br />

Home-Office-Modelle sollen insbesondere für<br />

Alleinerziehende ausgebaut werden.<br />

VORBILDER BELOHNEN!<br />

FAMILIENPOLITIK FÜR KLEINE UND<br />

MITTELSTÄNDISCHE UNTERNEHMEN<br />

Wir werden familiengerechte Unternehmen<br />

stärker unterstützen. Sie sollten auch finanzielle<br />

Vorteile haben, wenn sie ihren Beschäftigten<br />

helfen, Familie und Beruf in Einklang zu<br />

bringen. Tatsächlich finden kleine und mittelständische<br />

Unternehmen (KMU) immer wieder<br />

kreative und unbürokratische Lösungen, um die<br />

familiären Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter zu berücksichtigen. Denn sie<br />

wissen, dass ein familiengerechtes Unternehmen<br />

auch einen Vorteil im Wettbewerb um qualifizierte<br />

Fachkräfte hat. Ihre Lösungen müssen<br />

Schule machen! Auch wenn auf regionaler und<br />

lokaler Ebene bereits zahlreiche Beratungssysteme<br />

für KMU existieren, besteht nach wie vor<br />

großer Unterstützungsbedarf für die Identifizierung<br />

von Best-Practice-Beispielen.<br />

Gemeinsam mit Kammern und Fachverbänden<br />

bauen wir ein entsprechendes System für Beratung<br />

und Einführung kreativer Lösungen aus.<br />

Ferner werden wir das Flexi II-Gesetz reformieren,<br />

um die Einrichtung von Wertguthaben und<br />

damit das Ansparen von Zeit- und Geldguthaben<br />

über den gesamten Lebensverlauf besser an die<br />

beson dere Situation von KMU anzupassen. Wir<br />

werden das <strong>NRW</strong>-Bildungsurlaubsgesetz überarbeiten,<br />

um die bestehenden Ansprüche auf<br />

Weiterbildung mit tariflichen Regelungen zu<br />

verknüpfen. Damit stärken wir den Wirtschaftsstandort<br />

Nordrhein-Westfalen.


70 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Familie leben 20<strong>30</strong>: Zeit für Kinder – Zeit für Eltern – Zeit für Selbstbestimmung!<br />

EIN FAIRER ARBEITSMARKT:<br />

FRAUEN VERDIENEN MEHR!<br />

Frauen verdienen noch immer weniger als<br />

Männer. Warum? Weil sie oft für die gleiche<br />

Arbeit nicht den gleichen Lohn erhalten. Weil<br />

sie nicht die gleichen Aufstiegschancen haben.<br />

Weil sie oft Berufe ergreifen, die schlechter bezahlt<br />

werden. Und vor allem: Weil sie es sind, die<br />

in der Regel die familiäre Fürsorge übernehmen,<br />

öfter in Teilzeit arbeiten und ihre Erwerbsarbeit<br />

länger unterbrechen, insbesondere nach der<br />

Geburt von Kindern oder für die Pflege von Angehörigen.<br />

Und umgekehrt gilt: Weil sie weniger<br />

verdienen, müssen Frauen aus Rücksicht auf<br />

das Familieneinkommen der Familienarbeit den<br />

Vorzug vor der Erwerbsarbeit geben. Ein Prozess,<br />

den das aktuelle Ehegattensplitting übrigens<br />

unterstützt.<br />

So wird die unzureichende Vereinbarkeit von<br />

Familie und Beruf zu einem sich selbst erhaltenden<br />

Perpetuum mobile. Wir werden ihm die<br />

Energie entziehen, indem wir erstens die ungleiche<br />

Bezahlung von Männern und Frauen durch<br />

Transparenz per Gesetz bekämpfen. „Gleicher<br />

Lohn für gleiche Arbeit!“ lautet die Norm, die<br />

kein Unternehmen mehr verletzen wird, wenn<br />

es unter öffentlichen Rechtfertigungsdruck gesetzt<br />

wird.<br />

Zweitens müssen die öffentliche Hand und<br />

die Sozialpartner dafür sorgen, dass die sogenannten<br />

Frauenberufe eine Aufwertung durch<br />

höhere Löhne und Gehälter erfahren. Ist es wirklich<br />

so, dass Frauen lieber Berufe ergreifen, die<br />

schlechter bezahlt werden? Oder werden diese<br />

Berufe schlechter bezahlt, weil sie als „Frauenberufe“<br />

gelten? Zudem muss die gläserne Decke<br />

verschwinden, die Frauen den beruflichen Aufstieg<br />

versperrt. Die Frauenquote in Aufsichtsräten<br />

ist der erste Schritt.<br />

Drittens wollen wir die Vereinbarkeit von<br />

Familie und Beruf erleichtern, indem wir finanzielle<br />

und soziale Unsicherheiten begrenzen:<br />

durch Lebensarbeitszeitkonten und die Familienarbeitszeit,<br />

durch ein gerechtes Familiensplitting<br />

im Steuerrecht und eine flächendeckend<br />

hochwertige Kinderbetreuung.<br />

AKTIVE VÄTER FÜR MEHR PARTNERSCHAFT-<br />

LICHKEIT FÖRDERN: BESSERE INFRASTRUKTUR,<br />

FAMILIENLEISTUNGEN UND ARBEITSKULTUR!<br />

Wie sich Eltern die Erwerbs- und Familienarbeit<br />

aufteilen, ist ihre freie Entscheidung. Dennoch<br />

ist eine Diskrepanz zwischen Wunsch und<br />

gelebter Wirklichkeit vor allem bei jungen Familien<br />

und insbesondere bei Vätern auffällig. Zwar<br />

beteiligen sich Väter heute bereits weitaus mehr<br />

an Erziehung und Betreuung von Kindern, als<br />

ihre Väter es taten. Dennoch haben viele Mütter<br />

und auch Väter den Wunsch, die Aufteilung noch<br />

partnerschaftlicher zu gestalten. Tatsächlich aber<br />

lebt gerade einmal jede fünfte Familie das<br />

Modell, in dem Familien- und Erwerbsarbeit partnerschaftlich<br />

aufgeteilt ist; in den meisten Fällen<br />

ist noch immer der Mann in Vollzeit und die Frau –<br />

bestenfalls – in Teilzeit erwerbstätig und damit<br />

für den Großteil der Familienarbeit zuständig.<br />

Wir wollen Familien darin unterstützen, eine<br />

partnerschaftliche Aufteilung von Familienund<br />

Erwerbsarbeit leben zu können. Dazu können<br />

strukturelle Rahmenbedingungen gesetzt<br />

werden:<br />

Der Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten<br />

ermöglicht beiden Elternteilen die Teilnahme<br />

am Erwerbsleben. Der Ausbau in <strong>NRW</strong><br />

geht weiter!<br />

Unsere Familienarbeitszeit ermöglicht beiden<br />

Partnern eine vollzeitnahe Erwerbstätigkeit und<br />

mehr Zeit für die Familie. Wenn beide Elternteile<br />

32 Wochenstunden arbeiten, kommen sie<br />

zusammen auf genauso viele Arbeitsstunden<br />

wie bei der gängigen Aufteilung 44 / 20. Die<br />

Familienarbeitszeit muss jetzt eingeführt werden.<br />

Wir in <strong>NRW</strong> machen uns dafür stark.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Familie leben 20<strong>30</strong>: Zeit für Kinder – Zeit für Eltern – Zeit für Selbstbestimmung! 71<br />

Das Elterngeld ist ein Erfolgsmodell, auch im<br />

Hinblick auf die Zeit, die Väter der Erziehung<br />

und Betreuung ihrer Kinder widmen können.<br />

Aktuell ist die Bezugsdauer von Elterngeld bei<br />

Vätern in <strong>NRW</strong> jedoch rückläufig. Wir werden<br />

deshalb überprüfen, ob und wie die Anreize für<br />

eine partnerschaftliche Aufteilung verbessert<br />

werden können.<br />

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht<br />

und fällt mit einer familiengerechten Betriebskultur.<br />

Das gilt auch und gerade für Männer.<br />

Wenn sich Väter mehr als bisher ihrer Familie<br />

widmen wollen, dann dürfen ihnen ihre Arbeitgeber<br />

das nicht als mangelnde Motivation<br />

auslegen. Karriere, Leistung und Teilzeit widersprechen<br />

sich nicht. Wir wollen deshalb gemeinsam<br />

mit den Tarifpartnern ein Bündnis<br />

für mehr Familiengerechtigkeit in <strong>NRW</strong> auf<br />

den Weg bringen.<br />

KINDERKRANKENTAGE FÜR<br />

PATCHWORK FAMILIEN<br />

In Patchworkfamilien hat der neue Partner, der<br />

weder Stief- noch Adoptivelternteil ist, keinen<br />

Anspruch auf Krankengeld bei Erkrankung des<br />

Kindes. Deshalb stoßen Eltern eines kranken<br />

Kindes oft an ihre finanziellen und zeitlichen<br />

Grenzen und lassen sich widerrechtlich selbst<br />

krankschreiben. Wir wollen Eltern nicht länger<br />

alleinlassen und den Anspruch auf Kinderkrankentage<br />

verbindlich für alle abhängig Beschäftigten<br />

mit gesetzlicher Krankenversicherung<br />

ausweiten. Pro Kind sollen 20 Tage für die Betreuung<br />

eines kranken Kindes zur Verfügung<br />

stehen. In den ersten 15 Tagen soll die betreuende<br />

Person 100 Prozent vom Nettolohn erhalten,<br />

in den notfalls erforderlichen fünf weiteren<br />

Tagen 80 Prozent vom Nettolohn. Den Anspruch<br />

auf diese Leistung entkoppeln wir zudem vom<br />

Verwandtschaftsgrad der Person, die die Betreuung<br />

und Pflege des kranken Kindes übernimmt.<br />

KINDERBETREUUNG VON DER KITA BIS ZUR<br />

SCHULE: MEHR ANGEBOTE, MEHR FLEXIBILITÄT,<br />

KEINE GEBÜHREN!<br />

Das Herzstück einer modernen Familienpolitik<br />

ist eine gute und verlässliche Kinderbetreuung.<br />

Gewiss: Sie allein ist für die Vereinbarkeit von<br />

Familie und Beruf noch nicht hinreichend. Aber<br />

ohne sie bleiben alle anderen Maßnahmen nur<br />

Stückwerk. Nordrhein-Westfalen hat in den vergangenen<br />

sechs Jahren seine Ausgaben für Kitas<br />

und frühkindliche Bildung von zwei auf vier Milliarden<br />

Euro erhöht. Heute gibt es fast doppelt<br />

so viele U3-Betreuungsplätze wie 2010. Kein<br />

Bundesland hat ein größeres Angebot an offenen<br />

Ganztagsschulen als <strong>NRW</strong>.<br />

Doch wir wollen noch mehr: Gebührenfreiheit,<br />

mehr Betreuungsplätze und mehr Flexibilität.<br />

Unser Ziel ist ein flächendeckendes Angebot an<br />

Betreuungsplätzen von der Kita bis zum Ende der<br />

Sekundarstufe 1. Für jede Familie und für jedes<br />

Kind wird es ein passendes Betreuungsangebot<br />

geben – gebührenfrei.<br />

Auch die Öffnungszeiten werden flexibler sein.<br />

Wir wissen um die zahlreichen Beschäftigten<br />

im Schichtdienst oder im Einzelhandel und um<br />

kurzfristig anfallende Überstunden und Dienstreisen.<br />

Auch Krankenschwestern, Polizisten,<br />

Feuerwehrleute und alle anderen, die zu unregelmäßigen<br />

Zeiten arbeiten, müssen sich auf<br />

eines verlassen können: Für ihre Kinder gibt es<br />

in erreichbarer Nähe eine gute Betreuung, und<br />

zwar in der Kernzeit von 7.00 bis 17.00 Uhr. Darüber<br />

hinaus werden wir für alle Eltern die Möglichkeit<br />

schaffen, erweiterte Betreuungszeiten<br />

zwischen 6.00 und 7.00 Uhr sowie zwischen<br />

17.00 und 20.00 Uhr zu nutzen.<br />

Allerdings: Kindertagesstätten sind mehr als eine<br />

Spiel- oder „Verwahranstalt“: Sie stellen wichtige<br />

Weichen für die Zukunft eines Kindes. Hier<br />

vollziehen sich wichtige Entwicklungsprozesse<br />

frühkindlicher Bildung. Dementsprechend legen<br />

wir bei aller Flexibilität der Öffnungszeiten großen


72 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Familie leben 20<strong>30</strong>: Zeit für Kinder – Zeit für Eltern – Zeit für Selbstbestimmung!<br />

Wert darauf, dass unsere Kindertageseinrichtungen<br />

ihrem Bildungsauftrag nachkommen können.<br />

Entsprechend werden wir unsere Randzeiten-Betreuungsmodelle<br />

auch ausrichten: Frühkindliche<br />

Bildung findet in den Kernzeiten statt.<br />

i<br />

HAUSHALTSNAHE DIENSTLEISTUNGEN<br />

Kindertagesstätten werden Ortschaften in einer<br />

familienfreundlichen Bildungslandschaft sein.<br />

In der Nachbarschaft gibt es Familienhäuser,<br />

Bildungsbüros und Elterncafés. Gemeinschaftsleben,<br />

Beratung und Unterstützung gehen hier<br />

Hand in Hand. Väter und Mütter sind nicht mehr<br />

auf sich allein gestellt. Wer sich überfordert fühlt,<br />

erhält schnell Hilfe.<br />

Nicht zuletzt: Die Arbeit von Erzieherinnen und<br />

Erziehern in der Kinderbetreuung ist anspruchsvoll.<br />

Mit viel Einsatz begleiten sie unsere Kinder<br />

und geben ihnen viel mit für ihr weiteres Leben.<br />

Damit sie das gut machen können, brauchen wir<br />

mehr Jobs in der Kinderbetreuung. Und: Erzieherinnen<br />

und Erzieher verdienen mehr Wertschätzung,<br />

mehr Anerkennung und vor allem eine<br />

bessere Bezahlung.<br />

DIE VEREINBARKEIT VON FAMILIE,<br />

AUSBILDUNG UND STUDIUM<br />

Jungen Eltern, die aufgrund der Geburt ihres Kindes<br />

ihre Ausbildung nicht abschließen oder gar<br />

nicht erst aufnehmen konnten, wird 20<strong>30</strong> ein flächendeckendes<br />

und auswahlfähiges Angebot für<br />

eine Berufsausbildung in Teilzeit zur Verfügung<br />

stehen. Um den Abschluss der Ausbildung zu<br />

unterstützen und die Familiengründung zu vereinfachen,<br />

wird für Studierende und Auszubildende<br />

ein elternunabhängiges BAFöG angeboten.<br />

Die Universität im Jahr 20<strong>30</strong> ist ein familienfreundlicher<br />

Ort, an dem Studierenden und Lehrenden<br />

eine kostenlose ganztägige Kinderbetreuung zur<br />

Verfügung steht. Wer Kinder bekommt, benötigt<br />

Zeit: Deshalb wird es mehr Teilzeitstudien gänge<br />

und in Studien- und Prüfungsordnungen neue<br />

Möglichkeiten zur anrechnungs- und gebührenfreien<br />

Verlängerung des Studiums geben.<br />

Unter haushaltsnahen Dienstleistungen versteht man<br />

solche Tätigkeiten, die von Außenstehenden gegen Entgelt<br />

im und für den privaten Haushalt zur Entlastung des familiären<br />

Alltags geleistet werden, wie Reinigen, Putzen oder<br />

Einkaufen. Der vereinfachte Rückgriff auf haushaltsnahe<br />

Dienstleistungen soll Familien entlasten und Fürsorge- und<br />

Eigenzeiten ermöglichen. Die Aufwertung dieser Haushaltstätigkeiten<br />

vereinfacht den Zugang zum legalen Arbeitsmarkt<br />

und schränkt gering bezahlte Schwarzarbeit ein.<br />

HELFENDE HÄNDE FÜR FAMILIEN:<br />

EINE BONUS KARTE FÜR HAUSHALTSNAHE<br />

DIENSTLEISTUNGEN<br />

Wir werden den Zugang zu haushaltsnahen<br />

Dienstleistungen erleichtern und ihre gesellschaftliche<br />

Anerkennung erhöhen. Haushaltshilfen<br />

entlasten Familien und stabilisieren Partnerschaften,<br />

weil ihre helfenden Hände zeitliche<br />

Freiräume schaffen. Der Familienbericht der<br />

SPD-geführten Landesregierung zeigt, dass<br />

44 Prozent der Familien in Nordrhein-Westfalen<br />

gerne – unabhängig von den Kosten – eine<br />

externe Haushaltshilfe in Anspruch nehmen<br />

würden. Deshalb werden wir eine Bonuskarte<br />

zur Nutzung haushaltsnaher Dienstleistungen<br />

einführen, die Angebot und Nachfrage solcher<br />

Dienstleistungen – abhängig von Einkommen<br />

und Bedarf – subventioniert. Ein vergleichbares<br />

System hat sich in Belgien bereits bewährt:<br />

Dort können Familien Dienstleistungsschecks<br />

erwerben, deren tatsächlicher Wert dank staat-


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Familie leben 20<strong>30</strong>: Zeit für Kinder – Zeit für Eltern – Zeit für Selbstbestimmung! 73<br />

licher Bezuschussung und steuerlicher Ermäßigungen<br />

deutlich über der Kaufsumme<br />

liegt. Mit der von uns vorgeschlagenen Bonuskarte<br />

kann in Zukunft eine bestimmte Anzahl von<br />

„Dienstleistungsschecks“ erworben werden. Sie<br />

entlastet alle Familien, auch und gerade solche<br />

mit geringem Einkommen, und belebt den regionalen<br />

Arbeitsmarkt.<br />

WER PFLEGT, BRAUCHT<br />

FINANZIELLE SICHERHEIT!<br />

Die Mehrheit der Pflegebedürftigen wird in Nordrhein-Westfalen<br />

nach wie vor von Familienangehörigen<br />

– in der Regel von Frauen – gepflegt:<br />

Pflegende Angehörige verdienen finanzielle Sicherheit.<br />

Um kurzfristige Einkommenseinbußen<br />

durch die Erwerbsreduzierung zu verhindern,<br />

muss künftig sowohl der Zeitraum der Auszahlung<br />

des Pflegeunterstützungsgeldes (infolge<br />

akuter Pflegenotfälle) als auch die Familienpflegezeit<br />

verlängert und noch stärker an die Bedürfnisse<br />

pflegender Angehöriger angepasst werden.<br />

Ebenso müssen diese Zeiten bei der Rentenberechnung<br />

entsprechend berücksichtigt werden.<br />

Dabei kommt auch dem bereits skizzierten Modell<br />

der Lebensarbeitszeitkonten natürlich eine<br />

besondere Bedeutung zu. Pflegende Angehörige<br />

erbringen eine nicht nur für die Gesellschaft, sondern<br />

auch für das staatliche Pflege- und Gesundheitssystem<br />

wichtige Arbeitsleistung und einen<br />

volkswirtschaftlichen Beitrag, was honoriert<br />

werden muss. Pflegende Angehörige benötigen<br />

aber ebenso die Unterstützung durch professionelle<br />

Pflege in der häuslichen Versorgung.<br />

EIN NEUER FAMILIENLEISTUNGSAUSGLEICH:<br />

AUF KINDER KOMMT ES AN, NICHT AUF<br />

TRAUSCHEINE!<br />

Das aktuelle Steuerrecht geht an der Lebenswirklichkeit<br />

vieler Familien vorbei, denn es unterstützt<br />

mit dem Ehegattensplitting in einem erheblichen<br />

Umfang die Ehe, unabhängig davon, ob Kinder da<br />

sind oder nicht. Wir stehen für einen generellen<br />

Paradigmenwechsel in der Familienpolitik, der<br />

das Kind in den Fokus der Leistungen rückt.<br />

Wir wollen deshalb unverheiratete Paare mit Kindern<br />

und Alleinerziehende steuerlich besserstellen.<br />

Alle Eltern verdienen mehr Unterstützung,<br />

ganz gleich ob Kinder bei Alleinerziehenden, bei<br />

Verheirateten, bei Unverheirateten oder in gleichgeschlechtlichen<br />

Partnerschaften aufwachsen.<br />

Alleinerziehende – insbesondere mit kleinem<br />

Einkommen – müssen stärker entlastet werden.<br />

Wir machen uns daher dafür stark, die entsprechenden<br />

familienpolitischen Leistungen des<br />

Familienleistungsausgleichs sowie des Ehegattensplittings<br />

zu einem neuen, am Kind orientierten<br />

System zusammenzuführen. Dabei wollen<br />

wir sicherstellen, dass alle, die mit dem bisherigen<br />

System geplant haben, einen Bestandsschutz<br />

erhalten.<br />

VORBILD SEIN! FAMILIENPOLITIK IM ÖFFENT-<br />

LICHEN DIENST UND IN DEN KOMMUNEN<br />

Wer Flexibilität verlangt, muss auch Flexibilität<br />

bieten. Wenn also Politik und Gesetzgeber von<br />

den Unternehmen mehr Flexibilität und Familiengerechtigkeit<br />

verlangen, sollten sie dafür auch<br />

Vorbild sein und mit dem öffentlichen Dienst<br />

beginnen.<br />

Deshalb werden wir den öffentlichen Dienst<br />

in <strong>NRW</strong> zu einem Vorbild für eine familiengerechte<br />

Arbeitswelt machen: durch die Einführung<br />

einer Familienarbeitszeit und familiengerechter<br />

Arbeitszeitmodelle, durch flexible Weiterbildungsmöglichkeiten<br />

und neue Karrieremuster.<br />

Wir werden die starre Organisation des Berufslebens<br />

durchbrechen, die die Vereinbarkeit von<br />

Familie und Beruf erschwert. Wir tragen dafür<br />

Sorge, dass jeder Beschäftigte im öffentlichen<br />

Dienst in <strong>NRW</strong> die Berufstätigkeit im Laufe seines<br />

Lebens unterbrechen kann, um sich weiterzubilden,<br />

sich um die eigenen Kinder zu kümmern<br />

oder die eigenen Eltern durch Fürsorge zu unterstützen.


74 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Familie leben 20<strong>30</strong>: Zeit für Kinder – Zeit für Eltern – Zeit für Selbstbestimmung!<br />

FAMILIENPOLITIK IST KOMMUNALE<br />

ZEITPOLITIK: BÜNDNISSE FÜR FAMILIENZEIT!<br />

Familienpolitik ist auch kommunale Zeitpolitik.<br />

Es geht um Öffnungszeiten von Behörden, von<br />

Bildungs-, Betreuungs- und Gesundheitseinrichtungen.<br />

Es geht um Mobilität und damit um<br />

Fahrzeiten von Bussen und Bahnen. Nicht zuletzt<br />

geht es um die Zeitpunkte, die Verfügbarkeit<br />

und die Dauer von Jugend- und Freizeitangeboten.<br />

Schulkinder haben 75 Ferientage im<br />

Jahr. Eltern zusammengenommen aber nur<br />

60 Urlaubstage – maximal. Alleinerziehende<br />

höchstens die Hälfte. All das sind Beispiele, die<br />

zeigen, welch große Bedeutung den Kommunen<br />

für eine gelingende Familienpolitik zukommt.<br />

Als „sozialer Nahraum“ können sie Familien das<br />

geben, was sie neben sozialer Sicherheit am<br />

meisten brauchen: Zeit. Wir werden Familienzeitpolitik<br />

zu einem neuen Politikfeld machen,<br />

das in jeder Stadt und in jeder Gemeinde Chef(innen)sache<br />

sein sollte. Unsere Kommunen brauchen<br />

vor Ort ein gesellschaftliches Bündnis für<br />

mehr Familienzeit.<br />

STÄDTE UND GEMEINDEN – HEIMAT FÜR FAMILIEN<br />

Sicherheit: auf der<br />

Straße und zuhause<br />

Gute und bezahlbare<br />

Wohnungen<br />

Gute Schulen und<br />

Kitas in der Nähe<br />

Schöne Fassaden,<br />

saubere Straßen<br />

ÖFFENTLICHE<br />

LEBENSQUALITÄT<br />

Kurze Wege zum Arzt, zum<br />

Einkaufen oder zum Sportplatz<br />

Busse und Bahnen: schnell,<br />

günstig und gut vernetzt<br />

Begrünte Straßenzüge,<br />

schöne Parks und Spielplätze<br />

Lebendiges Kulturund<br />

Vereinsleben<br />

Schnelles Internet<br />

und freies WLAN


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Lebensqualität und Selbstbestimmung im Alter 75<br />

LEBENSQUALITÄT UND<br />

SELBSTBESTIMMUNG IM ALTER<br />

Die Menschen in <strong>NRW</strong> leben immer länger und bleiben immer länger gesund.<br />

Die „Best Ager“ erlangen die Souveränität über ihre Zeit zurück. Die Frage „Was muss<br />

ich heute machen?“ stellt sich nicht mehr so oft. Dafür gewinnt eine andere Frage<br />

an Bedeutung: „Was möchte ich heute machen?“ Das Ende des Arbeitslebens ist der<br />

Anfang eines neuen, spannenden Lebensabschnitts. Der Wissensdurst von Senioren<br />

ist noch immer nicht gestillt. Im Gegenteil: Jetzt lassen sich noch unentdeckte Teile der<br />

Welt und ihres Wissens erschließen. Die Welt der Kunst und Kultur steht ihnen offen,<br />

auch weil ein leistungsstarker ÖPNV sie überall an jeden gewünschten Ort in <strong>NRW</strong><br />

bringen kann. Senioren werden das Recht und die Möglichkeiten haben, sich fortzubilden<br />

oder zu studieren. Sie müssen sich an jeder Universität einschreiben und Prüfungen<br />

ablegen können. Schritt für Schritt werden wir ein flächendeckend gebührenfreies<br />

Angebot von Seniorenstudiengängen aufbauen.<br />

E<br />

ine Gesellschaft für alle ist auch und<br />

gerade eine Gesellschaft, in der alle<br />

Generationen miteinander leben statt<br />

nur nebeneinander. Jüngere stehen<br />

für Ältere ein und umgekehrt. Der gesellschaftliche<br />

Fortschritt kommt auch älteren<br />

Menschen zugute. Im Gegenzug übernehmen<br />

sie neue Verantwortung für die Gemeinschaft.<br />

Sie engagieren sich in Vereinen, kümmern sich<br />

als Quartiersmanager um ihre Nachbarschaften<br />

oder machen sich um die lokale Demokratie verdient.<br />

Sie können im Patengroßelterndienst aktiv<br />

sein und Familien und Kinder in ihrem Alltag unterstützen,<br />

zum Beispiel bei der Hausaufgabenbetreuung<br />

und in Großelternakademien.<br />

All das sind nur einige wenige Beispiele für ein<br />

aktives, selbstbestimmtes und sinnstiftendes<br />

Leben im Alter. Ein solches Leben ist schon heute<br />

wahrscheinlicher, als es je war. Und bis 20<strong>30</strong> werden<br />

sich die Aussichten älterer Menschen noch<br />

weiter verbessern. Allerdings ist ein aktives Leben<br />

von Senioren an zwei Voraussetzungen geknüpft:<br />

Gesundheit und eine auskömmliche Rente. Ist<br />

eine von beiden nicht erfüllt, wird es schwierig.<br />

Sind es beide nicht, kann es schlimm werden.<br />

Und genau das wollen wir den Menschen in <strong>NRW</strong><br />

ersparen.<br />

Unser Ziel ist es, ein selbstbestimmtes Leben<br />

unabhängig von Alter, Geschlecht und Herkunft<br />

oder persönlichen Handicaps in einer solidarischen<br />

Gesellschaft zu ermöglichen. Wir wollen<br />

soziale Ausgrenzung in Form von Altersarmut<br />

verhindern und dem Wunsch älterer Menschen<br />

nach einem möglichst langen, aktiven, gesunden<br />

und sozial abgesicherten Leben im gewohnten<br />

Umfeld Rechnung tragen. Altern muss sich in<br />

Würde vollziehen – Teilhabe an und Selbstbestimmung<br />

in der solidarischen Gesellschaft sind<br />

dafür unerlässlich.<br />

Wir machen eine vorbeugende und vorausschauende<br />

Politik nicht nur für Kinder und Jugendliche,<br />

sondern auch für ältere Menschen. Und das verlangt,<br />

sich auf eine Zukunft vorzubereiten, in der


76 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Lebensqualität und Selbstbestimmung im Alter<br />

immer mehr Menschen ab einem bestimmten<br />

Tag in ihrem Leben auf familiäre, ambulante oder<br />

stationäre Pflege angewiesen sein werden.<br />

Lebensqualität im Alter beginnt im <strong>NRW</strong> des<br />

Jahres 20<strong>30</strong> bereits im Quartier: Hier wird Teilhabe<br />

am Gemeinschaftsleben möglich, Selbstbestimmung<br />

gelebt und haushälterische wie<br />

auch pflegerische Hilfe geleistet. Ein solches<br />

Pflegeangebot richtet sich an Menschen mit unterschiedlichen<br />

körperlichen und psychischen<br />

Einschränkungen oder kulturellen und religiösen<br />

Hintergründen. Bis 20<strong>30</strong> werden wir die Pflegeinfrastruktur<br />

in <strong>NRW</strong> ausbauen und qualitativ<br />

verbessern. Gute Pflege kann nur dann gelingen,<br />

wenn wir genügend Menschen dafür begeistern<br />

können, diesen körperlich und psychisch anstrengenden<br />

Beruf auszuüben. Pflegefachkräfte<br />

müssen gerecht entlohnt werden, gute Arbeitsbedingungen<br />

vorfinden und eine berufliche Aufstiegsperspektive<br />

haben.<br />

eine pflege-, sondern auch eine wohn- und baupolitische<br />

Aufgabe. Mit der Reform des Landespflege-<br />

sowie des Wohn- und Teilhabegesetzes<br />

haben wir die rechtlichen Grundlagen für die<br />

nächsten Jahre geschaffen, um eine bedarfsgerechte<br />

Pflegestruktur aufbauen und weiterentwickeln<br />

zu können. Auch die Gründung von<br />

Seniorenwohngemeinschaften wollen wir in den<br />

kommenden Jahren weiter fördern.<br />

Das generationenübergreifende Zusammenwohnen<br />

ist eine Chance für gelebte Solidarität in der<br />

Gesellschaft. Es erleichtert die gegenseitige Unterstützung<br />

von jungen Familien und älteren<br />

Menschen Wir wollen das generationenübergreifende<br />

Zusammenwohnen in Form von<br />

Mehrgenerationenhäusern, Mehrgenerationenwohnen<br />

und „Alten-WGs“ durch bauliche Maßnahmen<br />

fördern. Das Mehrgenerationenwohnen<br />

soll nachbarschaftliche Unterstützungsnetzwerke<br />

für ältere Menschen und Familien stärken.<br />

GUT WOHNEN IM ALTER<br />

Unser Ziel ist es, alten Menschen so lange wie<br />

möglich die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben<br />

zu ermöglichen – Teilhabe ist die Voraussetzung<br />

für ein selbstbestimmtes Leben. Unser Masterplan<br />

„Altersgerechte Quartiere“<br />

soll ein langes und selbstbestimmtes<br />

Leben in der vertrauten<br />

Umgebung ermöglichen. Wir<br />

wollen, dass Quartiere in den<br />

kommenden Jahren noch stärker<br />

zum konzeptionellen Ausgangspunkt<br />

pflegepolitischer Maßnahmen<br />

werden. Quartiere sollen in<br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong> über eine seniorenund<br />

pflegegerechte Infrastruktur<br />

verfügen, die intergenerative Begegnungen<br />

ermöglicht und der Einsamkeit alter<br />

Menschen entgegentritt.<br />

Bei der zusätzlichen Finanzierung für ambulant<br />

betreutes Wohnen ist auch der Bund in der Pflicht.<br />

Altersgerechtes Wohnen ist für uns nicht nur<br />

»TEILHABE<br />

IST DIE<br />

VORAUSSETZUNG<br />

FÜR EIN<br />

SELBST-<br />

BESTIMMTES<br />

LEBEN «<br />

SELBSTSTÄNDIGKEIT BEWAHREN: ZUGANG<br />

ZU HILFSANGEBOTEN VEREINFACHEN<br />

Ältere Menschen müssen noch stärker in ihrem<br />

Lebensalltag unterstützt werden: Wir wollen<br />

deshalb den Zugang zu niedrigschwelligen<br />

Hilfsangeboten weiter vereinfachen.<br />

Haushaltsnahe Dienstleistungen<br />

wie die Begleitung<br />

bei Einkäufen, Behördengängen,<br />

Arztbesuchen, kulturellen Veranstaltungen<br />

oder die Unterstützung<br />

bei hauswirtschaftlichen<br />

Tätigkeiten erleichtern das<br />

Leben älterer Menschen in den<br />

eigenen vier Wänden, sie erhöhen<br />

die Lebensqualität. Gute<br />

Pflege rechnet sich: Wer die Inanspruchnahme<br />

niedrigschwelliger Hilfsangebote<br />

fördert, trägt zur zeitlichen Entlastung von<br />

Angehörigen und zur finanziellen Entlastung<br />

kommunaler Haushalte bei.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Lebensqualität und Selbstbestimmung im Alter 77<br />

i<br />

TELEMEDIZIN<br />

Ganz gleich ob in städtischen Quartieren oder<br />

ländlichen Gemeinden: Wir bündeln die Gesundheitsförderung,<br />

Prävention, Information, Beratung<br />

wie auch die Vermittlung haushaltsnaher<br />

Dienstleistungen oder ambulanter Pflegedienste<br />

und stationärer Pflegeheime in integrierten Gesundheitszentren.<br />

Eine integrierte multiprofessionelle<br />

Versorgung verkürzt Anfahrtswege und<br />

ermöglicht eine zielgenauere Betreuung der zu<br />

Pflegenden und ihrer Angehörigen.<br />

Unter den Begriff der Telemedizin werden diagnostische<br />

und therapeutische Verfahren zur Überwachung des<br />

Gesundheitszustandes eines Patienten über größere<br />

räumliche Entfernungen hinweg gefasst. Arzt, Therapeut<br />

und Patient können – trotz räumlicher Trennung – mittels<br />

audiovisueller Kommunikationstechnologien miteinander<br />

in Kontakt treten.<br />

Die Telemedizin wird beispielsweise zur Dokumentation<br />

und Übermittlung von Vitalparametern (Blutdruck, Gewicht)<br />

oder für Patientengespräche genutzt. Sie kommt bisher vor<br />

allem in Form der Telenotversorgung – elektronische<br />

Notrufsysteme – zum Einsatz. Als Modellregion für die<br />

Anwendung telemedizinischer Verfahren dient in <strong>NRW</strong><br />

das Projekt „Telemedizin kommt an in OWL“. Ziel dieser<br />

Modellregion Telemedizin Ostwestfalen-Lippe (OWL) ist die<br />

Etablierung einer telemedizinfreundlichen Versorgungskultur,<br />

etwa durch Ärztefortbildungen oder kostenlose<br />

Erstberatungen über Projektkonzepte und Technologien.<br />

TELEMEDIZIN FÖRDERN,<br />

DIGITALISIERUNG NUTZEN!<br />

Wir wollen das Gesundheitssystem noch stärker<br />

an den Bedürfnissen älterer Menschen ausrichten.<br />

Wir setzen uns deshalb für den breiten Ausbau<br />

der Telemedizin ein. Der Pflegefachkräfteund<br />

Ärztemangel wird sich bis 20<strong>30</strong> weiter zuspitzen:<br />

Die Wege zum nächsten Arzt werden<br />

vor allem in ländlichen Räumen länger und beschwerlicher.<br />

Die Telemedizin erleichtert den<br />

Austausch mit und die Diagnostik durch den Arzt,<br />

sie erhöht die Mobilität und trägt zur Selbstbestimmung<br />

älterer Menschen bei.<br />

Der breite Ausbau der Telemedizin und Telenotversorgung<br />

in weniger urbanisierten Regionen<br />

ersetzt keinen Arzt, verbessert jedoch die Lebensumstände<br />

und somit auch die Lebensqualität<br />

älterer Menschen. Bis 20<strong>30</strong> wollen wir auch auf<br />

Bundesebene für ein Programm zur Förderung<br />

der Telemedizin im ländlichen Raum werben. Um<br />

eine breitere Nutzung dieser Techno logien zu<br />

erreichen, müssen telemedizinische Leistungen<br />

für Kliniken, Praxen und Patienten besser abrechenbar<br />

sein: Die Telemedizin muss bis spätestens<br />

20<strong>30</strong> Teil der medizinischen Regelversorgung<br />

sein.<br />

Wir wollen die Digitalisierung ebenso wie den<br />

damit verbundenen Einsatz neuer Techniken in<br />

der stationären, ambulanten und häuslichen<br />

Pflege unter Wahrung humanitärer Grundsätze<br />

und des Datenschutzes aktiv mitgestalten. Eine<br />

Aufweichung der Netzneutralität ist zur Erreichung<br />

dieses Ziels nicht nötig. Die Technik soll<br />

ältere Menschen und Pflegebedürftige in ihrem<br />

Alltag unterstützen, nicht bevormunden oder<br />

entmündigen.<br />

Die Zahl der Menschen, die ihren Alltag nicht<br />

selbstständig bestreiten können und auf die pflegerische<br />

Hilfe anderer angewiesen sind, wird bis<br />

20<strong>30</strong> deutlich wachsen. Dementsprechend muss<br />

die Anzahl der Hilfs- und Fachkräfte in der Altenpflege<br />

erhöht werden. Der Pflegeberuf leidet<br />

gleichwohl unter ungünstigen Rahmenbedingungen:<br />

Die Bezahlung ist zu gering, die mit dem<br />

Beruf verbundenen körperlichen Anstrengungen<br />

sind überaus groß. Die hohe Arbeitsdichte


78 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Lebensqualität und Selbstbestimmung im Alter<br />

und Mehrarbeitsbelastungen führen zu Überarbeitung<br />

und Unzufriedenheit. Kranken- und Altenpflegekräfte<br />

werden mehrheitlich in Teilzeit<br />

beschäftigt – im Vergleich zu anderen Branchen<br />

überdurchschnittlich häufig.<br />

Im Nordrhein-Westfalen des Jahres 20<strong>30</strong> soll<br />

der Pflegeberuf gerechter bezahlt, flexibler<br />

wahrnehmbar und mit mehr Aufstiegschancen<br />

verbunden sein. Wir streben zudem eine<br />

grundlegende Reform der Pflegeausbildung und<br />

die Bereitstellung zusätzlicher Weiterqualifizierungsmöglichkeiten<br />

an. Pflegeberufe werden<br />

mehrheitlich immer noch von Frauen ausgeübt:<br />

Mehr als 80 Prozent der im ambulanten und<br />

stationären Pflegebereich Beschäftigten sind<br />

weiblich. Die Verbesserung der Ausbildung und<br />

die Erhöhung der Entlohnung zielen auch darauf,<br />

mehr Männer für eine Tätigkeit im Pflegesektor<br />

zu gewinnen.<br />

GEBÜHRENFREIE AUSBILDUNGS- UND<br />

STUDIENGÄNGE FÜR DIE PFLEGE<br />

Die Ausbildungskosten sind gebührenfrei und Arbeitskleidung<br />

wird allen kostenfrei zur Verfügung<br />

gestellt. Unser Ziel ist eine angemessene Ausbildungsvergütung<br />

im Bereich der Alten-, Krankenund<br />

Kinderkrankenpflege – wo dies nicht der Fall<br />

ist, streben wir bis 20<strong>30</strong> die Einführung einer<br />

Mindestausbildungsvergütung an.<br />

Bedarfsgerechte Diagnostik<br />

• Integrierte Gesundheitszentren<br />

• Telemedizin als Teil der<br />

medizinischen Grundversorgung<br />

Soziale Teilhabe<br />

• Seniorenstudiengänge<br />

• Seniorenbörsen<br />

• Mitarbeit in lokalen Strukturen<br />

(in Wohlfahrtsverbänden, in<br />

Großelternakademien oder als<br />

Quartiersmanager)<br />

SELBSTBESTIMMTES<br />

LEBEN<br />

Familienzeit<br />

• Bonuskarte zur Nutzung haushaltsnaher<br />

Dienstleistungen<br />

• Effektivere finanzielle Unterstützung<br />

von Familien (Pflegeunterstützungsgeld<br />

und Familienpflegezeit)<br />

• Pflegende Angehörige müssen entlastet<br />

werden, durch ambulante Pflegedienste<br />

und die vereinfachte Inanspruchnahme<br />

der Kurzzeitpflege<br />

Altersgerechtes Wohnen<br />

• Mehrgenerationenhäuser<br />

• Mehrgenerationenwohnen<br />

• Alten-WGs<br />

• Technische Unterstützungssysteme<br />

entlasten Familienangehörige und<br />

Pflegepersonal


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Lebensqualität und Selbstbestimmung im Alter 79<br />

Integrierte Gesundheitszentren, die unterschiedliche<br />

Professionen und Dienste unter einem Dach<br />

vereinigen, sind auf die Koordinationstätigkeit<br />

studierter Gesundheits- und Pflegewissenschaftler<br />

angewiesen. Hausinterne Pflege- oder Gesundheitsmanager<br />

können beispielsweise dabei<br />

helfen, Versorgungsbedarfe von Patienten zielgerichteter<br />

zu ermitteln und diese schnell an das<br />

zuständige Fachpersonal zu vermitteln.<br />

Die SPD-geführte Landesregierung etabliert flächendeckend<br />

Pflegestudiengänge. Wir werden die<br />

akademische Ausbildung im Pflegebereich noch<br />

praxisnäher gestalten, den Austausch mit Pflegediensten<br />

und -heimen fördern – denn: Pflege<br />

findet dort statt, wo Menschen leben.<br />

MEHR AUSBILDUNGSPLÄTZE, MEHR DURCH-<br />

LÄSSIGKEIT UND BESSERE WEITERBILDUNG<br />

Wir werden uns auf Bundesebene dafür einsetzen,<br />

dass die Kosten aller Pflegeausbildungen über<br />

eine bundeseinheitliche Ausbildungsplatzumlage<br />

getragen werden.<br />

Die Umlage kann über die<br />

Einrichtung eines Ausbildungsfonds<br />

finanziert werden. In <strong>NRW</strong><br />

haben wir die Zahl der Auszubildenden<br />

in der Pflege im Zeitraum<br />

von 2010 bis 2014 um 70 Prozent<br />

steigern können. Damit in Zukunft<br />

auch die geburtenstarken<br />

Jahrgänge angemessen versorgt<br />

werden können, muss das Land<br />

beständig um den Pflegekräftenachwuchs<br />

werben.<br />

Jungen Menschen, die sich für eine Ausbildung<br />

im Pflegesektor entscheiden, müssen Perspektiven<br />

eröffnet werden: Innerbetriebliche Karriereund<br />

Aufstiegschancen sollen gefördert, die<br />

Durchlässigkeit des Pflegeberufes soll verbessert<br />

werden. Für berufserfahrene Pflegehilfskräfte<br />

mit Eignung zur Pflegefachkraft müssen vereinfachte<br />

Bildungswege zur Weiterqualifizierung<br />

geschaffen werden. Die fachliche Aufwertung<br />

» UNSER ZIEL<br />

IST EINE<br />

ANGEMESSENE<br />

AUSBILDUNGS-<br />

VERGÜTUNG IM<br />

BEREICH DER<br />

ALTEN-, KRANKEN-<br />

UND KINDER-<br />

KRANKENPFLEGE «<br />

des Pflegeberufes muss bei zukünftigen Lohnverhandlungen<br />

der Tarifpartner noch stärker<br />

berücksichtigt werden.<br />

ARBEITSBEDINGUNGEN VERBESSERN.<br />

DIALOG FÜR GUTE ARBEIT IN DER PFLEGE<br />

Pflegearbeit ist körperlich und psychisch anstrengend<br />

– die Beschäftigungsverhältnisse sind<br />

meist gering entlohnte Teilzeitbeschäftigungen.<br />

Umfragen zeigen: Pflegekräfte sind besonders<br />

motiviert, kritisieren aber, dass die finanzielle<br />

Wertschätzung ihrer Tätigkeit ausbleibt. Die<br />

SPD-Fraktion möchte bis zum Jahr 20<strong>30</strong> auf eine<br />

deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen<br />

von Beschäftigten in allen Pflegebranchen hinwirken.<br />

Dazu gehört für uns auch eine striktere<br />

Einhaltung der Arbeitszeitordnung: Pflegekräfte<br />

benötigen geregelte Arbeits- und Freizeiten. Wir<br />

wollen den Dialog mit Gewerkschaften, Kirchen<br />

sowie freien, gemeinnützigen und öffentlichen<br />

Trägern ambulanter und stationärer Pflegedienste<br />

in Form eines ständigen runden<br />

Tisches intensivieren. Dieser Dialog<br />

für gute Arbeit in der Pflege<br />

soll die aktuellen Arbeitsbedingungen<br />

von Pflege hilfskräften<br />

und -fachkräften diskutieren<br />

und konkrete Vorschläge zur<br />

Verbesserung der Attraktivität<br />

des Pflegeberufes erarbeiten.<br />

MEHR VOLLZEIT UND<br />

FLEXIBLE PFLEGETEILZEIT<br />

Unser Ziel ist es, das Verhältnis<br />

von 70 Prozent Teilzeitund<br />

<strong>30</strong> Prozent Vollzeitstellen<br />

Schritt für Schritt umzukehren. Gut bezahlte<br />

Vollzeitbeschäftigung in der Pflege darf nicht<br />

die Ausnahme, sondern muss die Regel werden.<br />

Zugleich wollen wir den Einstieg in die befristete<br />

Teilzeitarbeit vereinfachen. Wer Familienangehörige<br />

pflegt, muss flexibel und schnell in die<br />

Teilzeitarbeit – und zurück in die Vollzeitarbeit –<br />

wechseln können.


80 DU BIST NICHT ALLEIN!<br />

Lebensqualität und Selbstbestimmung im Alter<br />

GERECHTE BEZAHLUNG IN DER PFLEGE<br />

Der von uns auf Bundesebene durchgesetzte<br />

Mindestlohn für Pflegekräfte (Pflegemindestlohn)<br />

ist nur ein erster Schritt: Mit Beginn des<br />

Jahres 2017 wird der Stundenlohn für Pflegehilfskräfte<br />

in den alten Bundesländern bei<br />

10,20 Euro, in den neuen Bundesländern bei<br />

9,50 Euro liegen. Dieser Satz muss jährlich überprüft<br />

und erhöht werden. Für andere Hilfstätigkeiten,<br />

etwa im haushaltsnahen Bereich, soll der<br />

allgemeine gesetzliche Mindestlohn gelten. Wer<br />

für die Zukunft mehr Fachkräfte in der Altenpflege<br />

fordert, darf die gegenwärtig Aktiven<br />

nicht vergessen: Wir wollen uns für eine bessere<br />

Entlohnung von Pflegefachkräften in der ambulanten<br />

und stationären Pflege einsetzen. Fachkräfte<br />

müssen leistungsgerecht bezahlt werden.<br />

PFLEGE GERECHT ORGANISIEREN<br />

Die Mehrheit der Pflegebedürftigen wird in<br />

Nordrhein-Westfalen nach wie vor von Familien -<br />

angehörigen – mit großer Mehrheit von Frauen –<br />

gepflegt: Doch auch diese Angehörigen benötigen<br />

die Hilfe ambulanter Pflegedienste, sie<br />

brauchen Zeit und finanzielle Sicherheit. Die<br />

Zahl kinderloser Frauen und Männer nimmt zu –<br />

ältere Menschen werden im Jahr 20<strong>30</strong> in zunehmendem<br />

Maße auf die Unterstützung professioneller<br />

Hilfe in der Pflege angewiesen sein – sowohl<br />

in ihren eigenen vier Wänden oder betreuten<br />

Wohngemeinschaften mit Unterstützung<br />

ambulanter Pflegedienste als auch in stationären<br />

Pflegeheimen.<br />

Die Inanspruchnahme ambulanter Pflegedienste<br />

soll Angehörige entlasten. Die stationäre Pflege<br />

muss qualitativ verbessert und Betriebe müssen<br />

für die Bedürfnisse pflegender Familienangehöriger<br />

weiter sensibilisiert werden. Die Vereinbarkeit<br />

von Familie, Beruf und Pflege kann in <strong>NRW</strong><br />

kann nur dann gelingen, wenn wir Pflege in den<br />

kommenden Jahren gerecht organisieren. Die<br />

Förderung und Nutzung neuer Technologien wie<br />

der Telemedizin oder Robotik soll pflegende Angehörige<br />

unterstützen und entlasten.<br />

Nordrhein-Westfalen im Jahr 20<strong>30</strong> soll ein pflegegerechtes<br />

Land sein, in dem Familien der zentrale<br />

Ort der Pflege bleiben und der Grundsatz „ambulant<br />

vor stationär“ seine Gültigkeit behält. Unser<br />

Ziel für die kommenden Jahre ist es, die partnerschaftliche<br />

Vereinbarkeit von Familie, Beruf und<br />

Pflege zu ermöglichen, bestehende stationäre<br />

Pflegeangebote zu verbessern und die Neugründung<br />

von Wohngemeinschaften für ältere<br />

Menschen zu vereinfachen.<br />

EIN NEUER PERSONALSCHLÜSSEL UND<br />

EINE BESSERE SOZIALVERSICHERUNG<br />

Der Personalschlüssel für die stationäre Altenpflege<br />

muss in den nächsten Jahren grundlegend<br />

reformiert werden. Hochwertige Pflege benötigt<br />

Fachkräfte, die über genügend Zeit verfügen müssen,<br />

sich der Anliegen pflegebedürftiger Menschen<br />

anzunehmen. Der für den Pflegebereich<br />

zugrunde gelegte Personal- bzw. Pflegeschlüssel<br />

zeigt an, wie viel Pflegepersonal pro Pflegeheimbewohner<br />

zur Verfügung steht.<br />

Um ein gerechteres Pflegeverhältnis gewährleisten<br />

zu können, muss das Personal in Pflegeheimen<br />

und Krankenhäusern aufgestockt werden.<br />

Um dieses Ziel zu erreichen, wollen wir den<br />

Dialog mit Gewerkschaften und privaten, freien<br />

und öffentlichen Pflegeheim- und Krankenhausträgern<br />

intensivieren.<br />

Bis 20<strong>30</strong> wird die Personalaufstellung in der<br />

Kranken- und Altenpflege schrittweise verbessert.<br />

Mehr Planstellen und eine angemessene<br />

Personal ausstattung helfen dabei, die Pflegehilfs-<br />

und -fachkräfte in der ambulanten und<br />

stationären Pflege besser einteilen und Pflegebedürftige<br />

zuweisen zu können.<br />

Der Zeitraum der Pflege muss vollständig bei<br />

der Rentenversicherung berücksichtigt werden.<br />

Mehr als 90 Prozent der häuslichen Pflege, die<br />

Angehörige erbringen, werden von Frauen geleistet,<br />

deren Altersversorgung gesichert werden<br />

muss. Denn: Wer Familienangehörige pflegt,


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Lebensqualität und Selbstbestimmung im Alter 81<br />

geht einer gesellschaftlich wichtigen Tätigkeit<br />

nach, die den Staat finanziell erheblich entlastet.<br />

Mit der Bürgerversicherung haben wir bis 20<strong>30</strong><br />

ein solidarisches Modell der Beitragsbemessung<br />

in der Kranken- und Pflegeversicherung verwirklicht.<br />

Die Bürgerversicherung beendet die<br />

„Zweiklassenmedizin“ und stellt die Teilhabe<br />

aller am medizinischen Fortschritt sicher. Wir<br />

sind der Auffassung, dass nur so eine gerechte,<br />

zukunftsfeste Versorgung und Finanzierung des<br />

Gesundheitssystems ermöglicht werden kann.<br />

ROBOTIK UND TECHNISCHE UNTERSTÜTZUNGS-<br />

SYSTEME: ENTLASTUNG FÜR DAS PFLEGE-<br />

PERSONAL UND MEHR EIGENSTÄNDIGKEIT<br />

FÜR PFLEGEBEDÜRFTIGE<br />

Die Förderung und Nutzung neuer Technologien<br />

wie der Telemedizin oder Robotik soll pflegende<br />

Angehörige unterstützen und entlasten.<br />

Der Einsatz von Pflegetechniken ist für uns keine<br />

Antwort auf den prognostizierten Fachkräftemangel<br />

im Pflegesektor, sondern eine Ergänzung<br />

der häuslichen, ambulanten und stationären<br />

Pflege. Der Einsatz der Robotik kann zur Verbesserung<br />

der gesundheitlichen Arbeitsbedingungen<br />

im Pflegebereich führen – und somit die<br />

Attraktivität des ganzen Berufsfeldes erhöhen.<br />

Das Pflegepersonal wird entlastet und Pflegebedürftige<br />

gewinnen ein Stück Eigenständigkeit<br />

zurück.<br />

Die Nutzung bereits existierender technischer<br />

Hilfsmittel im eigenen häuslichen Umfeld muss –<br />

ähnlich wie bei den Rollatoren oder Rollstühlen<br />

– über die Kranken- und Pflegeversicherung<br />

verfügbar gemacht werden. In der stationären<br />

Pflege können technische Unterstützungssysteme<br />

wie teilautomatisierte Personenlifter oder<br />

körpergetragene Hebehilfen bei Routinetätigkeiten<br />

wie dem Waschen oder Heben helfen. Wir<br />

wollen die bedarfsgerechte Entwicklung dieser<br />

Techniken unter Einbeziehung des anwendenden<br />

Pflegepersonals und der nutzenden Pflegeempfänger<br />

bis 20<strong>30</strong> weiter vorantreiben.<br />

HOSPIZ- UND PALLIATIVVERSORGUNG:<br />

IN WÜRDE ABSCHIED NEHMEN<br />

Wir setzen uns für den flächendeckenden Ausbau<br />

der Gesundheits-, Gesundheitsberatungsund<br />

Pflegeinfrastruktur im ländlichen und städtischen<br />

Raum ein. Dazu gehört für uns auch<br />

der bedarfsgerechte Aufbau einer Hospiz- und<br />

Palliativversorgungsstruktur. Wir haben uns<br />

auf Bundesebene für die Verabschiedung des<br />

„Gesetzes zur Stärkung der Hospiz- und Palliativversorgung“<br />

eingesetzt. Mit dem Gesetz haben<br />

wir einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der<br />

Strukturen in der Hospiz- und Palliativversorgung<br />

geleistet.<br />

Wir wollen die finanziellen Rahmenbedingungen<br />

von Krankenhäusern und Pflegeheimen in<br />

<strong>NRW</strong> weiter verbessern. Der Rechtsanspruch auf<br />

Beratung wird durch zusätzliche Investitionen<br />

in Beratungsangebote mit Leben gefüllt. Gesundheitszentren<br />

werden bei der Beratung von<br />

Betroffenen und Angehörigen sowie der Vernetzung<br />

von Angeboten der Hospiz- und Palliativversorgung<br />

entscheidend mithelfen. Ambulante<br />

und stationäre Hospizdienste müssen dafür<br />

finanziell noch besser ausgestattet werden.<br />

Bis 20<strong>30</strong> wird es in Nordrhein-Westfalen eine gute<br />

Versorgungslandschaft im Bereich Gesundheit<br />

und Pflege geben, unter anderem im Palliativund<br />

Hospizbereich. Hier können sich die Menschen<br />

auf die letzte Reise vorbereiten, in Würde<br />

gehen. Die Angehörigen haben die Möglichkeit,<br />

jederzeit dort zu sein und sich zu verabschieden.<br />

Es findet eine Begleitung durch professio nelle<br />

Teams statt. Ein Sterben in Würde gehört zu<br />

einem selbstbestimmten Leben dazu.


3<br />

HEIMAT BEGINNT<br />

VOR DER HAUSTÜR!


HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

SOZIALDEMOKRATISCHE POLITIK FÜR<br />

LEBENSWERTE STÄDTE UND GEMEINDEN<br />

Lebensqualität ist immer konkret, nie abstrakt. Sicherheit und Zusammenhalt<br />

muss man fühlen können. Gerechtigkeit muss man erfahren<br />

und wirtschaftliche Stärke auch persönlich spüren können. Und all das<br />

nicht irgendwo, sondern dort, wo Menschen zuhause sind: in ihren Städten<br />

und Gemeinden, in ihren Wohnvierteln und Quartieren.<br />

Bis 20<strong>30</strong> werden wir die öffentliche Lebensqualität in unseren Kommunen<br />

deutlich heben. Wir werden bis zu sechs Milliarden Euro in die Stadtentwicklung<br />

investieren. Wir werden Stadtteile modernisieren und –<br />

wo nötig – ganze Wohnquartiere sanieren. Wo es einen Trend zu stetig<br />

steigenden Mieten gibt, werden wir ihn brechen. Bis 20<strong>30</strong> werden wir bis<br />

zu zwei Millionen gute und bezahlbare Wohnungen für Nordrhein-Westfalen<br />

schaffen. Mehr noch: Im Rheinischen Revier bauen wir eine neue<br />

Stadt.<br />

Wir werden unsere Kommunen in die Lage versetzen, dem demografischen<br />

Wandel zu trotzen: Ganz gleich ob in der Stadt oder auf dem Land – jede<br />

Bürgerin und jeder Bürger wird auf eine hochwertige Daseinsvorsorge<br />

zählen können. Dazu nutzen wir die neuen Möglichkeiten digitaler Technologien.<br />

Wir bauen ein Internet der Mobilität für <strong>NRW</strong> und erneuern<br />

seinen öffentlichen Nahverkehr.<br />

Nicht zuletzt sind wir entschlossen, allen Städten und Gemeinden zu<br />

gesunden Finanzen zu verhelfen. Es geht um nicht weniger als um den<br />

Erhalt der lokalen Demokratie. Denn nur eine handlungsfähige Gemeinde<br />

kann das Versprechen auf Lebensqualität und demokratische Mitbestimmung<br />

auch einlösen.


84<br />

HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

Was bedeutet öffentliche Lebensqualität? Eine Antwort aus Oberhausen


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Was bedeutet öffentliche Lebensqualität? Eine Antwort aus Oberhausen 85<br />

WAS BEDEUTET<br />

ÖFFENTLICHE LEBENSQUALITÄT?<br />

EINE ANTWORT AUS OBERHAUSEN<br />

“ Ausgerechnet Oberhausen?“<br />

Ungläubiges Staunen ist zumeist die erste Reaktion, wenn Anne (34) und<br />

Jonas (36) im Freundes- und Kollegenkreis von ihren Umzugsplänen erzählen.<br />

Sie ziehen im Sommer 2017 mit ihren zwei Kindern von Köln-Nippes in das<br />

Oberhausener Marienviertel. Dort haben sie ein Einfamilienhaus gekauft,<br />

das es nun zu renovieren gilt.<br />

Doch warum verlässt eine Mittelschichtfamilie<br />

das schöne Köln,<br />

um eine Stadt zu ihrer Wahlheimat<br />

zu machen, die in bestimmten<br />

Kreisen nicht das beste Image<br />

genießt? Jonas lächelt: „Die Frage stellen nur<br />

Leute, die das Ruhrgebiet kaum kennen und<br />

Oberhausen schon gar nicht.“<br />

Dabei ist der erste und wichtigste Grund für ihren<br />

Wohnortwechsel sehr einfach: „Wir haben jetzt<br />

zwei kleine Kinder. Wir brauchen mehr Platz und<br />

möchten auch mehr Wohnqualität – einen Garten<br />

zum Beispiel. So schön es in Köln auch ist, ein Einfamilienhaus<br />

ist dort unbezahlbar.<br />

Dabei verdienen wir nicht<br />

mal schlecht. Und ich glaube,<br />

selbst die Mieten werden in Köln<br />

für eine normale Familie schon<br />

bald nicht mehr bezahlbar sein.“<br />

Der zweite Grund für Oberhausen<br />

ist die gute Verkehrsanbindung<br />

der Stadt. Jonas arbeitet in Duisburg<br />

und Anne noch in Köln. Sie will sich aber beruflich<br />

verbessern. „Wir werden nah am Hauptbahnhof<br />

wohnen“, erklärt Jonas. „Anne kann überall zwischen<br />

Düsseldorf und Dortmund eine neue Stelle<br />

antreten. Alles ist gut erreichbar. Das ist sehr<br />

wichtig!“ Hinzu kommt die Auswahl an Kitas und<br />

»WIR BRAUCHEN<br />

MEHR PLATZ<br />

UND AUCH MEHR<br />

WOHNQUALITÄT«<br />

Schulen. „Für unsere Kinder haben wir eine ortsnahe<br />

Anbindung an alle Schulen – und das über<br />

Jahre.“<br />

Nicht zuletzt wollen die beiden auf die kulturellen<br />

Vorzüge einer Großstadt nicht verzichten. „Denn<br />

das ist Oberhausen ja auch: eine Großstadt, meine<br />

ich. Hier gibt es ein Theater, das Ebert-Bad, den<br />

Kaisergarten und auch nette Restaurants. Einkaufen<br />

kann man hier auch gut. Und ganz ehrlich:<br />

Ich mag die Mentalität im Ruhrgebiet. Wir wollen<br />

auch nicht, dass unsere Kinder in einem abgeschotteten<br />

Akademiker-Milieu aufwachsen. Die<br />

beiden sollen in einer – ich sage mal – gemixten<br />

Gegend groß werden, mit ganz<br />

normalen Leuten.“ Dennoch: Jonas<br />

gibt zu, dass sich die beiden<br />

manchmal schon fragen, ob sie<br />

die richtige Entscheidung getroffen<br />

haben. „Wir fragen uns zum<br />

Beispiel, ob wir das Haus auch<br />

wieder zu einem guten Preis<br />

verkaufen können, wenn wir es wollen oder müssen.<br />

Hätten wir den Stadtteil nicht zufällig schon<br />

über Freunde ein wenig kennengelernt, würden<br />

wir jetzt nicht dorthin ziehen. Oberhausen hat<br />

schließlich auch eine Menge sozialer Probleme.<br />

Aber wir hoffen einfach mal auf die Stärken und<br />

die Entwicklung im Ruhrgebiet.“


86 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

Was bedeutet öffentliche Lebensqualität? Eine Antwort aus Oberhausen<br />

Fast alles, was Anne und Jonas von ihrem Wohnort<br />

erwarten, ist für die Wünsche und Vorstellungen<br />

der meisten Menschen in Deutschland und Nordrhein-Westfalen<br />

repräsentativ.<br />

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass für die<br />

Lebensqualität, den Zusammenhalt und auch die<br />

Zufriedenheit von Menschen schon sehr viel gewonnen<br />

ist,<br />

wenn sich Menschen in ihrem Lebensumfeld<br />

sicher fühlen können,<br />

wenn es dort Grünanlagen und Spielplätze gibt,<br />

wenn Mieten bezahlbar bleiben,<br />

wenn es dort ein lebendiges Kultur- und Vereinsleben<br />

gibt,<br />

wenn Freizeit- und Einkaufsmöglichkeiten in<br />

der Nähe sind,<br />

wenn Eltern gute Schulen und Kitas finden,<br />

die nichts kosten und eine Ganztagsbetreuung<br />

bieten,<br />

wenn die Wege zur Arbeit, zur Schule und zum<br />

Arzt zumutbar bleiben.<br />

All das sind Kennzeichen einer guten Stadtentwicklungs-<br />

und Quartierspolitik. Für die Lebensqualität<br />

und die Zufriedenheit der Menschen in<br />

unserem Land kann und muss Politik eine Menge<br />

tun. Es ist unsere feste Überzeugung, dass man<br />

Stadtteile, Dörfer und Quartiere nicht sich selbst<br />

überlassen darf. Sie sind keine reinen Marktobjekte.<br />

Hier sind Menschen zuhause. Ihre Heimat<br />

beginnt vor der Haustür und sie haben ein Recht<br />

darauf, dass man sich um ihre Heimat kümmert.<br />

Es gibt gewiss viele gute Gründe, in eine andere<br />

Stadt oder in ein anderes Viertel zu ziehen. Aber<br />

niemand darf dazu gezwungen sein, weil Mieten<br />

unbezahlbar werden oder weil die öffentliche Lebensqualität<br />

sinkt. Damit finden wir uns nicht ab.<br />

Lebenswerte Städte und Gemeinden sind eine<br />

Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts und<br />

der sozialen Gerechtigkeit. Sie sind nicht nur Ausdruck,<br />

sondern zugleich auch die Voraussetzung<br />

für wirtschaftlichen Erfolg.<br />

Gleichwohl wissen wir, dass längst nicht jede<br />

Stadt und jedes Quartier alle Kriterien erfüllen<br />

kann. Einige verlieren sogar immer mehr an öffentlicher<br />

Lebensqualität. Um öffentliche Lebensqualität<br />

zu erhalten und schließlich auch wieder<br />

zu steigern, müssen wir wissen, welche Herausforderungen<br />

bis 20<strong>30</strong> auf unsere Städte und<br />

Gemeinden zukommen. Nur dann kann es gelingen,<br />

Lösungen zu finden, negative Trends umzukehren<br />

und positive Trends zu verstärken.<br />

i<br />

WAS IST EIN QUARTIER?<br />

WAS BEDEUTET QUARTIERSPOLITIK?<br />

„Quartier“ ist ein Fachbegriff aus der Stadtsoziologie. Er<br />

umfasst alles, was umgangssprachlich als „Wohngegend“,<br />

„Kiez“ oder „Veedel“ bezeichnet wird. Ein Quartier kann<br />

auch ein ganzes Dorf oder ein ganzer Stadtteil sein, manchmal<br />

aber nur wenige Straßenzüge umfassen. Ein Quartier<br />

lässt sich zwar räumlich eingrenzen, aber seine Grenzen<br />

werden nicht offiziell festgelegt, sondern durch die Bewohner<br />

selbst. Es ist der überschaubare Ort ihres Alltagslebens:<br />

Hier wohnen sie, gehen einkaufen, verbringen den Großteil<br />

ihre Freizeit und pflegen Nachbarschaften.<br />

Jedes Quartier hat eigene Kennzeichen: Art, Stil und Zustand<br />

seiner Gebäude und Straßen; Sicherheit, Einkaufsmöglichkeiten,<br />

medizinische Versorgung; Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebote,<br />

Anschluss an den ÖPNV; Anzahl und Zustand<br />

von Grünflächen und Spielplätzen; auch der soziale Status<br />

(z. B. Einkommen) und die ethnische Zusammensetzung<br />

seiner Einwohner gehören dazu. Weil der Zustand eines Quartiers<br />

einen großen Einfluss auf die Lebensqualität und auch<br />

die Lebenschancen seiner Bewohner hat, zielt die Quartierspolitik<br />

auf den Erhalt und die Verbesserung der öffentlichen<br />

Lebensqualität in dieser Kleinräumigen Alltagswelt.<br />

Quartierspolitik ist konkrete Politik mit großer Wirkung<br />

auf kleinem Raum.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>: Trends und Herausforderungen für Städte und Gemeinden 87<br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>:<br />

TRENDS UND HERAUSFORDERUNGEN<br />

FÜR STÄDTE UND GEMEINDEN<br />

PROGNOSTIZIERTE<br />

BEVÖLKERUNGSVERÄNDERUNG<br />

IN NORDRHEIN-WESTFALEN<br />

01.01.20<strong>30</strong> gegenüber 01.01.2013 (Basis VZ 87)<br />

Steinfurt<br />

Minden-Lübbecke<br />

Herford<br />

Borken<br />

Münster<br />

Bielefeld<br />

Lippe<br />

Coesfeld<br />

Warendorf<br />

Gütersloh<br />

VERÄNDERUNG DER<br />

BEVÖLKERUNGSZAHL<br />

01.01.2040 GEGEN-<br />

ÜBER 01.01.2014<br />

Unter – 8,5 %<br />

– 8,5 % bis unter – 4,0 %<br />

– 4,0 % bis unter – 1,0 %<br />

– 1,0 % bis unter +3,5 %<br />

+3,5 % und mehr<br />

Kleve<br />

Heinsberg<br />

Städteregion<br />

Aachen<br />

Viersen<br />

Düren<br />

Wesel<br />

Krefeld<br />

Mönchengladbach<br />

Rhein-<br />

Kreis<br />

Neuss<br />

14 Essen<br />

13<br />

12<br />

Rhein-<br />

Erft-Kreis<br />

Euskirchen<br />

15<br />

1<br />

Recklinghausen<br />

Mettmann<br />

10<br />

Köln<br />

2<br />

9<br />

7<br />

Bonn<br />

11<br />

3<br />

4<br />

8<br />

5 6<br />

Rhein-Sieg-Kreis<br />

Oberbergischer<br />

Kreis<br />

Unna<br />

Hamm<br />

Märkischer<br />

Kreis<br />

Olpe<br />

Soest<br />

Hochsauerlandkreis<br />

Dortmund<br />

Siegen-<br />

Wittgenstein<br />

Paderborn<br />

Höxter<br />

1 Bottrop<br />

2 Gelsenkirchen<br />

3 Herne<br />

4 Bochum<br />

5 Ennepe-Ruhrkreis<br />

6 Hagen<br />

7 Wuppertal<br />

8 Remscheid<br />

9 Solingen<br />

10 Leverkusen<br />

11 Rheinisch-Bergischer<br />

Kreis<br />

12 Düsseldorf<br />

13 Mülheim a. d. R.<br />

14 Duisburg<br />

15 Oberhausen<br />

Die wichtigsten Zukunftstrends für<br />

die Städte und Gemeinden in<br />

Nordrhein-Westfalen sind der<br />

demografische Wandel und die<br />

Urbanisierung. Der demografische<br />

Wandel wird oft mit der Alterung und Schrumpfung<br />

der Bevölkerung gleichgesetzt. Das stimmt<br />

bis 20<strong>30</strong> nur bedingt. Tatsächlich wird in den<br />

kommenden 15 Jahren die Bevölkerung in <strong>NRW</strong><br />

kaum schrumpfen. Einige Prognosen gehen sogar<br />

von einem leichten Wachstum aus. Der Rückgang<br />

der Einwohnerzahl wird erst nach 20<strong>30</strong> einsetzen.<br />

Der Grund für diesen Aufschub ist die Einwanderung<br />

von Menschen aus Europa und aus<br />

den Kriegsgebieten des Nahen und Mittleren<br />

Ostens.<br />

Der demografische Wandel ist in den kommenden<br />

Jahren vor allem ein Wandel der Zusammensetzung<br />

und der Herkunft unserer Bürgerinnen<br />

und Bürger. Einwanderer sind meist jung und<br />

bekommen mehr Kinder. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung<br />

wächst. Die alteingesessenen<br />

Einwohner hingegen werden älter und ihr Anteil<br />

sinkt.<br />

WACHSENDE STÄDTE<br />

In Nordrhein-Westfalen gibt es 13 Großstädte<br />

mit mehr als 250.000 Einwohnern – mehr als<br />

in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und<br />

Nieder sachsen zusammen. Insgesamt leben über<br />

zehn Millionen Menschen in der Metropolregion<br />

Rhein-Ruhr. Mit anderen Worten: Zu mehr als


88 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>: Trends und Herausforderungen für Städte und Gemeinden<br />

ANTEIL DER BEVÖLKERUNG<br />

MIT MIGRATIONSHINTERGRUND<br />

AN DER GESAMTBEVÖLKERUNG<br />

IN NORDRHEIN-WESTFALEN 2012<br />

Ergebnisse des Mikrozensus<br />

Minden-Lübbecke<br />

Steinfurt<br />

Herford<br />

Borken<br />

Münster<br />

Bielefeld<br />

Lippe<br />

Coesfeld<br />

Warendorf<br />

Gütersloh<br />

MIGRATIONS-<br />

HINTERGRUND<br />

Unter 16 %<br />

16 % bis unter 21 %<br />

21 % bis unter 26 %<br />

26% und mehr<br />

<strong>NRW</strong>: 23,5 %<br />

Kleve<br />

Heinsberg<br />

Städteregion<br />

Aachen<br />

Viersen<br />

16<br />

Düren<br />

Recklinghausen<br />

Wesel<br />

1<br />

2<br />

3 Dortmund<br />

15<br />

4<br />

14 13 Essen<br />

Krefeld<br />

5 6<br />

Mettmann<br />

Rhein-<br />

Kreis<br />

Neuss<br />

12<br />

Rhein-<br />

Erft-Kreis<br />

Euskirchen<br />

10<br />

Köln<br />

9<br />

7<br />

Bonn<br />

11<br />

8<br />

Rhein-Sieg-Kreis<br />

Oberbergischer<br />

Kreis<br />

Unna<br />

Hamm<br />

Märkischer<br />

Kreis<br />

Olpe<br />

Soest<br />

Hochsauerlandkreis<br />

Siegen-<br />

Wittgenstein<br />

Paderborn<br />

Höxter<br />

1 Bottrop<br />

2 Gelsenkirchen<br />

3 Herne<br />

4 Bochum<br />

5 Ennepe-Ruhrkreis<br />

6 Hagen<br />

7 Wuppertal<br />

8 Remscheid<br />

9 Solingen<br />

10 Leverkusen<br />

11 Rheinisch-Bergischer<br />

Kreis<br />

12 Düsseldorf<br />

13 Mülheim a. d. R.<br />

14 Duisburg<br />

15 Oberhausen<br />

16 Mönchengladbach<br />

zwei Dritteln ist <strong>NRW</strong> ein riesiger Stadtstaat –<br />

mit all seinen Höhepunkten und Vorteilen<br />

(Bundesligavereine, Stadien, Philharmonien,<br />

Theater, Museen,<br />

Universitäten), aber auch allen<br />

Herausforderungen einer Metropole<br />

(Verkehrsaufkommen, höhere<br />

soziale Ungleichheit und erhöhte<br />

Kriminalität). Die Anforderungen<br />

an unser Bildungs- und Verkehrssystem,<br />

an die innere Sicherheit<br />

oder den Städtebau sind um Dimensionen<br />

größer als in anderen Bundesländern,<br />

von denen einige nicht einmal eine U-Bahn haben.<br />

<strong>NRW</strong> hingegen verfügt über eines der dichtesten<br />

Verkehrsnetze der Welt.<br />

» IMMER<br />

WENIGER<br />

MENSCHEN<br />

WOLLEN AUF<br />

DEM LAND<br />

LEBEN «<br />

Und die Anforderungen werden nicht kleiner.<br />

Denn der demografische Wandel geht mit einer<br />

„Urbanisierung“ einher. Immer weniger<br />

Menschen wollen auf dem<br />

Land leben. Es sind die (Groß-)Städte,<br />

wenn auch (noch) nicht alle, die<br />

neue Einwohner wie Magneten anziehen.<br />

Die Städte sind heute mehr<br />

denn je wirtschaftliche, soziale und<br />

kulturell-kreative Zentren. Junge<br />

Menschen zieht es in die Stadt, weil<br />

sie dort ihre Ausbildungs- und Studienplätze<br />

finden. Zudem ist das Job-Angebot<br />

größer und vielfältiger. Nicht zuletzt macht das<br />

Freizeit- und Kulturangebot die Städte attraktiv.<br />

Wer einmal vom Land in die Stadt gezogen ist,<br />

kehrt in der Regel nicht zurück.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>: Trends und Herausforderungen für Städte und Gemeinden 89<br />

Neu ist, dass sich nun auch eine neue Generation<br />

von Älteren von den Städten angezogen<br />

fühlt. Sie lockt die gute medizinische Infrastruktur,<br />

das dichte Netz an Pflege- und haushaltsnahen<br />

Dienstleistungen sowie die fußläufige<br />

Versorgung mit Dingen des täglichen<br />

Bedarfs. Die Mehrheit der zugewanderten Einwohner<br />

hat hingegen schon immer in den Ballungszentren<br />

gelebt. Die Städte versprachen größere<br />

Chancen auf Arbeit und sozialen Aufstieg.<br />

Auch die neue Einwanderergeneration wird sich<br />

in den Ballungszentren niederlassen. Denn hier<br />

treffen sie auf Landsleute und damit auf soziale<br />

Anschlussmöglichkeiten, die ihnen das Ankommen<br />

in ihrer neuen Heimat erleichtern.<br />

Der demografische Wandel verbindet sich mit<br />

Urbanisierung und Individualisierung. Die Folge<br />

ist, dass sich auch die Art und Weise verändert,<br />

wie Menschen wohnen möchten. Statt<br />

Mehrpersonenhaushalten mit zwei bis drei<br />

Kindern dominieren inzwischen die Ein- bis<br />

Zweipersonenhaushalte mit Alleinlebenden<br />

und älteren Menschen. Vor allem in Großstädten<br />

sind mehr als 50 Prozent der Haushalte<br />

sogenannte Singlehaushalte. Zudem hat sich<br />

die Quadratmeterzahl einer Wohnung pro Person<br />

erhöht. Die Wohnungen in <strong>NRW</strong> sind heute<br />

um ein Viertel größer als noch in den 1980er<br />

Jahren. Das gilt auch für Regionen, in denen die<br />

Einwohnerzahlen rückläufig sind.<br />

Die gesteigerte Nachfrage nach Wohnraum<br />

führt in den bereits dicht besiedelten Großstädten<br />

zu Wohnungsknappheit und treibt<br />

die Mieten in die Höhe. Die Folge sind Veränderungs-<br />

und auch Verdrängungsprozesse auf<br />

dem Mietermarkt eines Viertels, die mit den<br />

Begriffen „Gentrifizierung“ und „Segregation“<br />

beschrieben werden.


90 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>: Trends und Herausforderungen für Städte und Gemeinden<br />

STADT IST NICHT GLEICH STADT.<br />

UND LAND IST NICHT GLEICH LAND.<br />

Gleichwohl gibt es in <strong>NRW</strong> auch strukturschwache<br />

Städte (z. B. im Ruhrgebiet), die genauso mit<br />

Wohnungsleerstand und Bevölkerungsrückgang<br />

zu kämpfen haben wie ländliche Regionen.<br />

Oft geht durch diese Städte ein Riss: Wachsende<br />

und wohlhabende Stadtteile grenzen an<br />

schrumpfende und relativ arme Stadtteile. In<br />

diesen Städten ist die Urbanisierung noch nicht<br />

oder erst langsam zu spüren. Sie leiden noch<br />

immer an den Folgen des Strukturwandels, der<br />

viele Langzeitarbeitslose und überdurchschnittlich<br />

viele Einwohner mit nur geringen Einkommen<br />

hinterlassen hat. Das ist auch der Grund für<br />

die großen Haushaltsdefizite dieser Städte. Ihre<br />

Steuereinnahmen sind geringer, die Ausgaben<br />

für Sozialleistungen aber deutlich höher als in<br />

anderen Städten.<br />

Auf der anderen Seite gibt es in Nordrhein-Westfalen<br />

auch ländliche Regionen, die wachsen und<br />

prosperieren: Dazu zählen zum Beispiel das<br />

Münsterland, der Kreis Borken oder der Kreis<br />

Gütersloh. Ihr Vorteil ist die zentrale Lage in<br />

ihrer Region oder ihre Nähe zu Großstädten. Das<br />

prosperierende Land ist der Standort neuer mittelständischer<br />

Unternehmen und Handwerksbetriebe,<br />

wie z. B. aus der Logistikbranche, dem<br />

Dienstleistungsgewerbe oder der Informationstechnik.<br />

Das ehemals durch die Landwirtschaft<br />

geprägte Münsterland z. B. ist heute eine ländliche<br />

Industrie- und Mittelstandsregion.<br />

i<br />

WAS BEDEUTEN “<br />

GENTRIFIZIERUNG“<br />

UND “<br />

SEGREGATION“?<br />

Von „Gentrifizierung“ ist die Rede, wenn immer mehr<br />

Menschen mit höheren Einkommen in preisgünstige<br />

Viertel ziehen. Durch die neue Nachfrage zahlungskräftiger<br />

Wohnungsinteressenten und gezielte „Luxussanierungen“<br />

steigen die Mieten und Immobilienpreise. Ist ein bestimmtes<br />

Preisniveau überschritten, können sich viele der bisherigen<br />

Einwohner das Leben in ihrem einstigen Heimatviertel<br />

nicht mehr leisten. Sie ziehen weg und werden durch noch<br />

mehr Besserverdienende ersetzt. Im schlechtesten Fall droht<br />

diese Entwicklung in „Segregation“ zu münden: Eine ganze<br />

Stadt teilt sich in Akademiker-Viertel und „Luxusghettos“<br />

auf der einen sowie benachteiligte Quartiere und soziale<br />

Brennpunkte auf der anderen Seite.<br />

Segregation nimmt einer Stadt Entwicklungschancen und<br />

gefährdet ihren sozialen Zusammenhalt. Sie ist Gift für eine<br />

Stadt. Immer. Für Gentrifizierung gilt das nicht unbedingt.<br />

Hier macht die Dosis das Gift. Denn unter bestimmten Voraussetzungen<br />

kann eine dosierte Gentrifizierung durchaus<br />

erwünscht sein. Wenn Menschen aus der Mittelschicht in<br />

ein ehemaliges „Problemviertel“ ziehen, ist das ein Beweis<br />

für den Erfolg aller Maßnahmen zur Steigerung der öffentlichen<br />

Lebensqualität. Nicht zuletzt stabilisieren die neuen<br />

Bewohner diesen Erfolg, weil soziale Vielfalt einen Stadtteil<br />

gegen den sozialen Abstieg immunisiert.<br />

Gentrifizierung<br />

Segregation


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>: Trends und Herausforderungen für Städte und Gemeinden 91<br />

Festzuhalten ist: Im Hinblick auf die Lebensqualität<br />

unserer Städte und Gemeinden gibt es<br />

weder die eine Herausforderung noch die eine<br />

Lösungsstrategie. Wir haben es mit sehr unterschiedlichen,<br />

zum Teil gegenläufigen Trends und<br />

Problemlagen zu tun, die man grob in vier Typen<br />

einteilen kann (siehe Grafik). Für jeden Typ muss<br />

eine eigene Strategie entwickelt werden, die auf<br />

die Probleme vor Ort zugeschnitten ist.<br />

STRUKTURSCHWACHE<br />

GROSSSTÄDTE<br />

mit innerstädtischer<br />

Segregation und Polarisierung<br />

PROSPERIERENDE<br />

GROSSSTÄDTE<br />

mit innerstädtischer Segregation<br />

und Polarisierung<br />

TYP 1 TYP 4<br />

STRUKTURSCHWACHE<br />

LÄNDLICHE RÄUME<br />

PROSPERIERENDE<br />

LÄNDLICHE RÄUME<br />

TYP 2 TYP 3


92 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

<strong>NRW</strong> 20<strong>30</strong>: Trends und Herausforderungen für Städte und Gemeinden<br />

NORDRHEIN-WESTFALEN 20<strong>30</strong>:<br />

UNGEAHNTE FREIHEIT – UNGEZÄHLTE<br />

MÖGLICHKEITEN – NEUE LEBENSQUALITÄT<br />

Allen Herausforderungen zum Trotz gibt es in<br />

Nordrhein-Westfalen eine Vielzahl von Beispielen,<br />

die beweisen, wie erfolgreich eine ehrgeizige<br />

Struktur- und Stadtentwicklungspolitik sein<br />

kann. Heute stehen die Werkbänke der produzierenden<br />

Unternehmen in Ost- und Südwestfalen<br />

und die Metropole Ruhr positioniert sich neu:<br />

als modernere und dynamische Wissens- und<br />

Dienstleistungsregion und damit weiterhin als<br />

eine der stärksten Wirtschaftsregionen Europas.<br />

Ein beispielloser Wandel in nur wenigen Jahrzehnten.<br />

Insgesamt wächst die Wirtschaft im Ruhrgebiet<br />

wieder stärker als im Bundesdurchschnitt.<br />

Das Gleiche gilt für die Anzahl neuer sozialversicherungspflichtiger<br />

Arbeitsplätze. Ein neuer<br />

Mittelstand entsteht und mit ihm eine neue<br />

Mittelschicht. Köln wird international um seine<br />

Weltoffenheit, Lebensqualität und wirtschaftliche<br />

Stärke beneidet.<br />

<strong>NRW</strong> zeichnet sich in fast allen Wohlstandsbereichen<br />

durch gute Werte aus – ökonomisch<br />

und ökologisch, gesellschaftlich und individuell.<br />

Gerade junge Menschen schauen optimistisch in<br />

die Zukunft.<br />

Und tatsächlich: Es gibt keine Region in Deutschland,<br />

die für junge und tatendurstige Menschen<br />

aus ganz Europa bessere Startbedingungen in<br />

ein selbstbestimmtes Leben bietet als Nordrhein-Westfalen.<br />

Hier gibt es Bildung, Wissenschaft<br />

und Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung,<br />

Wohnraum und moderne Mobilität<br />

auf sehr hohem Niveau. Und trotzdem ist all das<br />

noch bezahlbar und erschwinglich.<br />

Wir sind ein Land mit ungeahnten Freiheiten und<br />

ungezählten Möglichkeiten. Hier gibt es Platz für<br />

Neues, auch und gerade weil es hier eine offene<br />

und tolerante Gesellschaft gibt.<br />

All das hat Gründe: Das Ipsos-Institut hat zwischen<br />

2012 und 2014 20.000 Menschen in<br />

Deutschland nach ihrer Lebensqualität befragt.<br />

Das Ergebnis: Die Lebensqualität ist in Nordrhein-Westfalen<br />

im Vergleich zu den anderen<br />

Bundesländern überdurchschnittlich hoch.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Um Heimat muss man sich kümmern! 93<br />

UM HEIMAT MUSS MAN<br />

SICH KÜMMERN!<br />

Heimat nennen wir den Ort, an dem wir geboren und aufgewachsen sind.<br />

Wir können aber auch an neuen Orten heimisch werden – dort, wo wir leben können,<br />

wie wir leben wollen, wo wir Familie und Freunde haben, wo man uns kennt und<br />

schätzt und wo wir Teil von Gemeinschaft sind. Heimat ist der Ort, mit dem wir uns<br />

verbunden fühlen und den wir unser Zuhause nennen. Ob und wo sich Menschen<br />

zuhause fühlen, hat viel mit ihren individuellen Bedürfnissen, Lebensentwürfen und<br />

Lebensumständen zu tun. Und doch ist die Frage nach dem Ob und Wo auch von<br />

großer politischer Bedeutung. Denn nur dort, wo sich Menschen zuhause fühlen,<br />

übernehmen sie Verantwortung für ihre Stadt, ihr Wohnviertel oder ihr Dorf. Nur dort<br />

gibt es intakte Nachbarschaften, nur dort hält man zusammen und nur dort hat man<br />

eine gemeinsame Zukunft.<br />

I<br />

m großen Maßstab heißt das nichts anderes,<br />

als dass über den Zusammenhalt unseres<br />

ganzen Landes, über unsere Zukunft als<br />

Kulturregion und als Wirtschaftsraum in unseren<br />

Städten und Gemeinden entschieden<br />

wird. Aus dieser politischen Bedeutung erwächst<br />

eine politische Verantwortung für die öffentliche<br />

Lebensqualität vor Ort. Öffentliche Lebensqualität<br />

umfasst all das, wovon bereits die Rede war: Sicherheit<br />

und Sauberkeit, gute<br />

Verkehrsanbindungen<br />

und<br />

schnelles Internet, Kultur- und<br />

Freizeitangebote, nicht zuletzt<br />

gute Schulen, Ärzte und<br />

Kitas in erreichbarer Nähe.<br />

Das ist aber noch nicht alles.<br />

Denn öffentliche Lebensqualität<br />

bemisst sich nicht allein an<br />

Nutzwerten im Alltag. Man<br />

kann sie sehen und spüren,<br />

etwa in begrünten Straßenzügen und an ansehnlichen<br />

Häusern, in schönen Parkanlagen, auf guten<br />

Spielplätzen oder belebten Wochenmärkten.<br />

» HEIMAT IST MEHR<br />

ALS GELUNGENE<br />

ARCHITEKTUR<br />

ODER DIE SUMME<br />

ÖFFENTLICHER<br />

DIENSTLEISTUNGEN «<br />

Gewiss: Heimat ist immer mehr als gelungene<br />

Architektur oder als die Summe öffentlicher<br />

Dienstleistungen. Aber ohne öffentliche Lebensqualität<br />

schwindet über kurz oder lang auch<br />

das Heimatgefühl. Jeder kennt Gemeinden oder<br />

Stadtteile, die der wirtschaftliche Strukturwandel<br />

oder der demografische Wandel gezeichnet hat.<br />

Im Verwaltungsdeutsch ist dann zum Beispiel<br />

von Stadtteilen mit „besonderem Erneuerungsbedarf“<br />

die Rede. Gemeint<br />

sind Orte mit unansehnlichen<br />

Häuserfassaden, Leerständen<br />

im Wohnungsbestand<br />

oder erhöhten Kriminalitätsraten.<br />

Wer kann, zieht<br />

weg. Neue Einwohner kommen<br />

nur, wenn sie müssen.<br />

Ein anderes, aber nicht minder<br />

bedrückendes Schicksal<br />

droht Städten und Dörfern auf dem strukturschwachen<br />

Land. Die Bewohner werden älter und<br />

weniger. Junge Familien ziehen nicht mehr her


94 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

Um Heimat muss man sich kümmern!<br />

und auch Unternehmen wandern ab. Das einst<br />

muntere Dorfleben erlischt. Das Alltagsleben in<br />

diesen Vierteln und Dörfern rutscht auf einer Spirale<br />

abwärts, bis alteingesessene Einwohner ihre<br />

einstige Heimat nicht mehr wiedererkennen.<br />

Manche politische Lager sehen das als ein unausweichliches<br />

Schicksal. Der demografische Wandel<br />

fordere seinen Preis. Arbeits- und Wohnungsmärkte<br />

sorgten eben für „disruptive Erneuerung“<br />

und irgendwann und irgendwo auch wieder für<br />

einen Ausgleich.<br />

All das halten wir für falsch. Die Zeit der kalten<br />

„Privat vor Staat-Ideologie“ ist vorbei. Fast nichts<br />

im Leben ist Schicksal. Wandel kann man gestalten<br />

und Märkte muss man gelegentlich lenken,<br />

korrigieren oder neu in Gang setzen.<br />

Jeder Ort kann Heimat sein, bleiben oder<br />

wieder werden. Man muss sich nur um ihn<br />

kümmern. Und genau das werden wir tun.<br />

ÖFFENTLICHE INVESTITIONEN IN<br />

ÖFFENTLICHE LEBENSQUALITÄT<br />

Es gibt fünf große Bund-Länder-Programme für<br />

Stadtentwicklung und Städtebau. Sie sind der<br />

Werkzeugkasten, aus dem sich unsere Kommunen<br />

bedienen können, um die Lebensqualität in<br />

ihren Stadtteilen und Quartieren zu erneuern.<br />

Je nach Bedarf werden über diese Programme<br />

Gebäude modernisiert, Fassaden renoviert oder<br />

Straßenzüge begrünt. Um die Familienfreundlichkeit<br />

eines Quartiers zu steigern, werden Bürger-<br />

und Jugendzentren eröffnet, Spielplätze und<br />

Grünflächen angelegt oder Verkehrszonen beruhigt.<br />

Baumaßnahmen zur Barrierefreiheit erhöhen<br />

die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen.<br />

Bildungsangebote und Kulturprojekte<br />

bringen die Einwohner zusammen, stabilisieren<br />

ihre Nachbarschaft und erhöhen die Identifikation<br />

mit ihrem Stadtteil.<br />

ÖFFENTLICHE DASEINSVORSORGE<br />

Öffentliche<br />

Verkehrsmittel<br />

Stadtwerke<br />

Bildungsorte<br />

Stadtgrün<br />

und Freizeit<br />

Strom, Wärme<br />

und Wasser


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Um Heimat muss man sich kümmern! 95<br />

Sozialdemokratische Politik für mehr öffentliche<br />

Lebensqualität folgt einem ganzheitlichen Ansatz:<br />

Städtebau wird mit Wirtschaftsförderung<br />

kombiniert, Stadtplanung auch als Bildungs-,<br />

Sozial- und Kulturpolitik konzipiert. All das wird<br />

zusammengedacht und aufeinander abgestimmt.<br />

Entscheidend ist, dass alle an der Entwicklung<br />

einer Quartierserneuerung beteiligt werden,<br />

die an ihr mitwirken und von ihr profitieren sollen:<br />

zuallererst die Menschen, die dort leben;<br />

ferner Unternehmen, Sozialverbände, Kirchen<br />

oder andere Non-Profit-Organisationen. Das<br />

Programm „Soziale Stadt“ fördert Kooperation,<br />

Mitbestimmung und bürgerschaftliches Engagement.<br />

UNSER ZIEL: SECHS MILLIARDEN EURO<br />

FÜR DIE STADTENTWICKLUNG IN <strong>NRW</strong><br />

Seit 2010 sorgen wir dafür, dass die Wohnraumförderung<br />

mit der Städtebauförderung enger verzahnt<br />

wird. Die öffentlichen Investitionen in die<br />

Aufwertung von Stadtteilen und Quartieren wirken<br />

wie eine Initialzündung. Sie ziehen private<br />

Initiativen und Investitionen in vielfacher Höhe<br />

nach sich und steigern die Lebensqualität dauerhaft.<br />

Aus diesem Grund wollen wir die öffentlichen<br />

Mittel für dieses Bund-Länder-Programm<br />

deutlich erhöhen. Auf Bundesebene ist es uns bereits<br />

gelungen, das entsprechende Investitionsvolumen<br />

seit 2011 zu verfünffachen. Doch wir<br />

wollen noch mehr. Bis 20<strong>30</strong> sollen bis zu sechs<br />

Milliarden Euro in die Steigerung der öffentlichen<br />

Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden<br />

geflossen sein.<br />

ZENTRALE UNTERSTÜTZUNG<br />

FÜR EINZIGARTIGE KONZEPTE<br />

Jede Stadt und jeder Stadtteil ist einzigartig.<br />

Ganz gleich wie viel Geld man in ein Entwicklungsprogramm<br />

steckt, es wird nur dann erfolgreich<br />

sein, wenn es genau auf den Ort zugeschnitten<br />

ist, an dem es wirken soll. Das ist der<br />

Grund, warum es unsere Städte und Gemeinden<br />

sind, die ein zukunftsfähiges Leitbild für ihre<br />

Quartiere entwickeln müssen. Das kann niemand<br />

anders, denn niemand anders kennt die<br />

Lage vor Ort besser als Menschen in der Kommune<br />

selbst.<br />

Doch nicht jede Kommune verfügt über genügend<br />

Fachwissen und Personal, um für sich das<br />

Beste aus den vielfältigen Förderprogrammen<br />

der EU, des Bundes und auch des Landes herauszuholen.<br />

Dieses Problem werden wir durch ein<br />

neues, zentrales Fördermanagement lösen. Wir<br />

wollen alle Förderprogramme für die Quartiere<br />

zusammenführen. Das Land muss die Betreuung<br />

seiner über 50 Einzelprogramme für Stadtund<br />

Quartiersentwicklung stärker bündeln und<br />

neues Fördermanagement einrichten. Es wird<br />

seinen Städten einen kompetenten Partner an<br />

die Seite stellen, der direkte Beratung, Hilfe und<br />

Unterstützung bietet, und das sowohl bei der<br />

Ausarbeitung von Leitbildern als auch bei der<br />

Beantragung von Förderprogrammen. Gleichzeitig<br />

wollen wir mit den Kommunen verbindliche<br />

Zielvereinbarungen für die Verwirklichung ihrer<br />

Leitbilder treffen.<br />

VORBEUGEN IST BESSER ALS REPARIEREN:<br />

QUARTIERSANALYSEN ALS „FRÜHWARNSYSTEM“<br />

UND ERFOLGSKONTROLLE<br />

Unser Ansatz einer vorausschauenden und<br />

vorbeugenden Politik lässt sich auch für die<br />

Stadt- und Regionalentwicklung nutzen. Wir<br />

werden sogenannte Quartiersanalysen einführen.<br />

Sie fungieren als Erfolgskontrolle für Förderprogramme<br />

und als „Frühwarnsystem“, weil sie<br />

schnell belastbare Daten über erwünschte oder<br />

unerwünschte Entwicklungen in einem Stadtteil<br />

oder Dorf bereitstellen können.<br />

Mit ihrer Hilfe wird es zum Beispiel möglich sein,<br />

den Verdrängungsdruck (Segregation und Gentrifizierung)<br />

auf alteingesessene Einwohner in<br />

einem Quartier abzuschwächen, bevor er seine<br />

Wirkung voll entfalten kann. Je eher man ein Problem<br />

erkennt, desto schneller und einfacher kann<br />

man es lösen.


96 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

Um Heimat muss man sich kümmern!<br />

NEUE STANDARDS FÜR DIE STADTENTWICK-<br />

LUNG: GEMEINSCHAFT, SPORT UND KULTUR,<br />

BEGRÜNUNG UND VERBRAUCHERSCHUTZ<br />

Wir werden die bewährten Elemente des Programms<br />

„Soziale Stadt“ um neue erweitern.<br />

Unser Ziel ist es, jedes Quartier zu einer familienund<br />

altersgerechten Heimat seiner Einwohner<br />

zu machen. Hier sollen alle Generationen miteinander<br />

leben können, nicht nur nebeneinander.<br />

Kindergärten und gute Schulen gehören genauso<br />

dazu wie wohnortnahe Pflege. Jedes Quartier<br />

und jeder Stadtteil braucht mindestens einen<br />

Ort für das Gemeinschafts-, Kultur- und Nachbarschaftsleben<br />

seiner Einwohner – ganz gleich<br />

welchen Alters. Aus diesem Grund werden wir<br />

wieder stärker Jugend-, Familien-, Senioren- und<br />

Bürgerzentren fördern. Die Offenheit und Multifunktionalität<br />

öffentlicher Gebäude als Förderkriterium<br />

werden wir aufwerten.<br />

i<br />

DASEINSVORSORGE<br />

Daseinsvorsorge meint die Grundversorgung aller Bürgerinnen<br />

und Bürger mit allen Gütern und Dienstleistungen, die<br />

für das alltägliche Leben notwendig sind. Zur Grundversorgung<br />

gehören z. B. die Verwaltung mit ihren sozialstaatlichen<br />

Leistungen, zudem Verkehrs- und Beförderungswesen,<br />

Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung, Müllabfuhr,<br />

Abwasserbeseitigung, Bildungs- und Kultureinrichtungen,<br />

Krankenhäuser, Friedhöfe, Bäder.<br />

Zu den neuen Standards gehört auch ein Nachbarschaftsleben<br />

mit einem breiten Sport- und<br />

Kulturangebot im Stadtteil. Wir werden Sportvereine,<br />

Sportanlagen und Kulturinitiativen noch<br />

stärker unterstützen als bisher. Denn Kultur und<br />

Sport ertüchtigen – nicht nur Körper und Geist,<br />

sondern auch den Zusammenhalt und die Selbstbestimmung<br />

in einer Stadt. Bis 20<strong>30</strong> soll es in<br />

jedem Quartier gemeinnützige Sportanlagen und<br />

Bürgerzentren geben.<br />

Grünflächen und Spielplätze sind wichtige Elemente<br />

öffentlicher Lebensqualität. Wir werden<br />

das Leitbild „Grüne Infrastruktur“ fortentwickeln<br />

und verkehrsfreie Flächen für Kinder und Jugendliche<br />

zum Standard einer dauerhaft erfolgreichen<br />

Quartiersentwicklung machen. Das Gleiche gilt<br />

für Parkanlagen und die Fassadenbegrünung.<br />

Schließlich werden wir „aufsuchende Verbraucherberatungen“<br />

einrichten. Ihre Zielgruppe sind Menschen,<br />

die aufgrund von Bildungs-, Sprach- oder<br />

Wissensdefiziten in ihrer Rolle als Verbraucher<br />

zu oft überfordert sind. Die aufsuchenden Verbraucherberatungen,<br />

die als Teil der integrierten<br />

Quartiersentwicklung zu verstehen sind, werden<br />

die bestehenden Verbraucherzentralen ergänzen,<br />

indem sie diese Menschen direkt aufsuchen, um<br />

Rat und Unterstützung anzubieten.<br />

<strong>NRW</strong> TROTZT DEM DEMOGRAFISCHEN<br />

WANDEL – DURCH SOLIDARITÄT,<br />

INTERKOMMUNALE ZUSAMMENARBEIT<br />

UND DIGITALE DIENSTLEISTUNGEN<br />

Jeder Ort kann Heimat sein, bleiben oder wieder<br />

werden. Vorausgesetzt, die öffentliche Hand<br />

garantiert ein ausreichendes Niveau an öffentlicher<br />

Lebensqualität und Daseinsvorsorge. Wie<br />

aber garantieren wir ein solches Niveau in ländlichen<br />

Regionen, deren Einwohner weniger und<br />

älter werden?<br />

Unsere Antwort besteht aus vier Teilen:<br />

stärkere interkommunale Zusammen arbeit<br />

Bereitstellung digitaler Dienstleistungen<br />

Förderung von bürgerschaftlichen Engagements,<br />

von Solidarität und gemeinwohlorientierten<br />

Unternehmensformen<br />

Modernisierung und Aufwertung von<br />

Dorfkernen


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Um Heimat muss man sich kümmern! 97<br />

Keines der vier Instrumente allein ist ein Allheilmittel<br />

gegen die negativen Folgen einer schrumpfenden<br />

Bevölkerung. Sie entfalten ihre Wirkung<br />

durch ihre Kombination. Das Alltagsleben in einer<br />

ländlichen Gemeinde, deren Einwohner weniger<br />

und älter geworden sind, wird anders als heute<br />

sein. Aber es muss nicht schlechter sein. Die alltägliche<br />

Daseins- und Gesundheitsversorgung<br />

muss und wird in allen Regionen unseres Landes<br />

gewährleistet bleiben. Wir müssen sie aber neu<br />

organisieren.<br />

EINE NEUE ÄRA DER KOOPERATION UND<br />

INTERKOMMUNALEN ZUSAMMENARBEIT<br />

Ländliche Städte und Gemeinden werden in Zukunft<br />

stärker füreinander Verantwortung übernehmen<br />

müssen. Es geht um nicht weniger als<br />

um eine neue Ära der Kooperation und Zusammenarbeit.<br />

Für die Organisation dieser neuen<br />

Zusammenarbeit gibt es bereits ein Konzept: das<br />

„Zentrale-Orte-Konzept“. Im Kern handelt es sich<br />

dabei um eine Neuverteilung von Aufgaben und<br />

Zuständigkeiten. Unterschiedlichen Städten und<br />

ZENTRALE-ORTE-KONZEPT<br />

Oberzentren mit<br />

Verflechtungsbereich<br />

(= Region)<br />

OZ<br />

Mittelzentren mit<br />

Mittelbereichen<br />

MZ<br />

MZ<br />

(OZ)<br />

MZ<br />

MZ<br />

Unterzentren und<br />

Kleinzentren mit<br />

Nahbereichen<br />

KLZ<br />

UZ<br />

(MZ)<br />

UZ<br />

KLZ


98 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

Um Heimat muss man sich kümmern!<br />

Regionen werden unterschiedliche Versorgungsfunktionen<br />

für sie selbst und ihre Nachbarstädte<br />

zugeteilt.<br />

Insbesondere dynamische Städte und Gemeinden<br />

auf dem Land werden zu Versorgungszentren<br />

und Regiopolen ausgebaut, die ihrem Umland<br />

hochwertige öffentliche Dienstleistungen<br />

bieten und Teile der Grundversorgung übernehmen.<br />

So kann z. B. eine gute Gesundheitsversorgung<br />

auch in den Randlagen des ländlichen<br />

Raumes garantiert werden. In jedem Fall muss<br />

ein „zentraler Ort“ von den Bürgerinnen und Bürgern<br />

mit zumutbarem Zeit- und Kostenaufwand<br />

erreichbar sein. Und auch das ist wichtig: Auch<br />

wenn in Zukunft nicht mehr jeder Ort das volle<br />

Spektrum öffentlicher Dienstleistungen wird<br />

bieten können, so wird doch keine Gemeinde die<br />

Mindeststandards öffentlicher Daseinsvorsorge<br />

unterschreiten.<br />

FLÄCHENDECKENDE BREITBANDNETZE<br />

FÜR DIGITALE DIENSTLEISTUNGEN<br />

Viele Dienstleistungen, für die heute noch Wege<br />

zurückgelegt werden müssen, können bis 20<strong>30</strong><br />

durch digitale Angebote abgelöst werden. Und<br />

damit sind nicht nur digitale Verwaltungsgänge<br />

oder das längst gängige Online-<br />

Shopping gemeint. Über das Netz<br />

werden wir schon bald derart<br />

komplexe Leistungen anbieten<br />

und erhalten, dass es einiges an<br />

Phantasie erfordert, um sich das<br />

heute schon vorstellen zu können:<br />

z. B. Routine-Untersuchungen<br />

beim Arzt, der noch dazu via<br />

Internet bestimmte Körperfunktionen<br />

überwacht; Online-Studiengänge<br />

und -Ausbildungen<br />

inklusive der dazugehörigen Experimente<br />

oder handwerklichen<br />

Prüfungsleistungen; Fernwartung<br />

von Haushaltsgeräten und Ersatzteile aus dem<br />

3D-Drucker. Dann spielt es keine Rolle mehr, von<br />

wo aus eine Dienstleistung angeboten wird oder<br />

» DAS FLÄCHEN-<br />

DECKENDE<br />

BREITBANDNETZ<br />

IST FÜR UNS<br />

EIN MINDEST-<br />

STANDARD<br />

DER ALLGEMEI-<br />

NEN DASEINS-<br />

VORSORGE «<br />

wo ein Mensch wohnt, der sie schnell und zuverlässig<br />

in Anspruch nehmen will.<br />

All das wird aber nur dann möglich sein und die<br />

negativen Folgen des demografischen Wandels<br />

entschärfen, wenn es an jedem Ort in jedem Dorf<br />

schnelles Internet gibt. Das flächendeckende<br />

Breitbandnetz ist für uns ein Mindeststandard<br />

der allgemeinen Daseinsvorsorge.<br />

GELEBTE SOLIDARITÄT: DORFLÄDEN,<br />

BÜRGERBUSSE ODER TAUSCHBÖRSEN<br />

Schon heute gibt es Gemeinden auf dem Land,<br />

die für private Handels- und Dienstleistungsunternehmen<br />

keine Perspektive mehr bieten. Wo<br />

es zu wenige Kunden gibt, lohnt es nicht mehr,<br />

einen Supermarkt, ein Fachgeschäft oder einen<br />

Handwerksbetrieb zu unterhalten. Gleiches gilt<br />

für öffentliche Verkehrsbetriebe, die ihr Angebot<br />

nicht aufrechterhalten können. Doch das muss<br />

nicht bedeuten, dass die Versorgung mit Waren<br />

und Dienstleistungen für den alltäglichen Bedarf<br />

komplett ausfällt. Es sind die Bürgerinnen<br />

und Bürger selbst, die sich ihre Versorgung selbst<br />

organisieren und Lücken im Angebot auffüllen<br />

können – und das oft auch schon tun. Die Rede<br />

ist von nichtkommerziellen und gemeinnützigen<br />

Dorfläden, Tauschbörsen für<br />

handwerkliche Leistungen, Bürgerbussen<br />

und vielem mehr.<br />

Nordrhein-Westfalen ist seit<br />

mehr als <strong>30</strong> Jahren das Pionierland<br />

der Bürgerbusse: Mit<br />

der Unterstützung von Land<br />

und Kommunen ergänzen über<br />

5.000 Bürgerbusse mit ihren<br />

ehren amtlichen Fahrerinnen und<br />

Fahrern das Angebot des ÖPNV.<br />

Gemeinnützige Dorfläden bieten<br />

Lebensmittel und ersetzen die<br />

geschlossene Postfiliale. Über<br />

Tauschbörsen im Netz biete ich Hilfe bei der<br />

Gartenarbeit und bekomme beizeiten Hilfe bei<br />

der Reparatur von Haushaltsgeräten.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Um Heimat muss man sich kümmern! 99<br />

Wir werden alle Formen ehrenamtlicher Nachbarschaftshilfe<br />

bzw. gemeinnütziger Handelsund<br />

Tauschmodelle noch stärker unterstützen,<br />

z. B. durch großzügige Anschubfinanzierungen<br />

oder Mittel für den Alltagsbetrieb. Die öffentliche<br />

Hand kann derartige Projekte zwar nicht komplett<br />

durchfinanzieren, aber am „letzten Euro“<br />

dürfen sie nicht scheitern. Mindestens genauso<br />

wichtig wie Finanzhilfen sind (steuer-)rechtliche<br />

Vereinfachungen und Absicherungen der ehrenamtlichen<br />

und gemeinnützigen Arbeit, die dem<br />

Erhalt der Grundversorgung dient und nicht auf<br />

kommerzielle Gewinne abzielt.<br />

MODERNISIERUNG UND AUFWERTUNG<br />

VON DORFKERNEN<br />

Jeder Ort hat eine Zukunft, in die es zu investieren<br />

lohnt. Ein Mittel zur Steigerung der öffentlichen<br />

Lebensqualität in schrumpfenden und strukturschwachen<br />

Gemeinden ist die Verschönerung<br />

und Modernisierung ihrer Dorfkerne. Denn sie<br />

verleihen einem Ort Reputation und Identität.<br />

Das gilt es zu erhalten und – wo nötig – wiederzubeleben,<br />

z. B. indem man Fassaden erneuert, den<br />

Einzelhandel unterstützt, ggf. Dorfläden gründet<br />

und Bürgerzentren eröffnet. Modernisierung<br />

kann auch den Abriss maroder Gebäude und den<br />

Neubau attraktiver und moderner Häuser und<br />

Straßenzüge bedeuten.<br />

Sozial: gerechte<br />

Verteilung von<br />

Ressourcen<br />

Siedlungsstruktur<br />

Versorgung<br />

NACHHALTIGE<br />

ENTWICKLUNG<br />

Ökonomisch:<br />

effizienter Einsatz<br />

von Ressourcen<br />

ZENTRALE-ORTE-KONZEPT<br />

Verkehr<br />

Ökologisch:<br />

Begrenzung des<br />

Verbrauchs von<br />

Ressourcen<br />

Gewerbliche Wirtschaft


100 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

Der Normalfall, kein Glücksfall: eine gute und bezahlbare Wohnung in einer intakten Nachbarschaft


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Der Normalfall, kein Glücksfall: eine gute und bezahlbare Wohnung in einer intakten Nachbarschaft 101<br />

DER NORMALFALL, KEIN GLÜCKSFALL:<br />

EINE GUTE UND BEZAHLBARE WOHNUNG<br />

IN EINER INTAKTEN NACHBARSCHAFT<br />

Lebenswertes Wohnen ist je nach Bedarf familienfreundlich, altersgerecht und barrierefrei.<br />

In jedem Fall muss es bezahlbar sein. Doch eine gute und bezahlbare Wohnung ist<br />

heute viel zu oft ein Glücksfall. Sie muss wieder zum Normalfall werden. Lebenswertes<br />

Wohnen ist für uns ein soziales Grundrecht. Es ist zwar kein Recht auf Luxus, aber eine<br />

gute Wohnung darf auch kein Luxusgut sein. Denn Wohnraum ist keine Handelsware<br />

wie jede andere. Wer für sich und seine Familie eine Wohnung in einer Stadt sucht, in<br />

der die Marktmechanismen versagen, versteht sofort, wovon hier die Rede ist.<br />

Wo es einen Trend zu stetig<br />

steigenden Mieten gibt,<br />

werden wir ihn brechen. Wo<br />

Leerstände und der Mangel<br />

an öffentlicher Lebensqualität<br />

ein Leben in intakten Nachbarschaften beeinträchtigen,<br />

werden wir sanieren und modernisieren.<br />

Der Wohnungsmarkt in Nordrhein-Westfalen<br />

braucht faire Regeln für faire Mieten. Er braucht<br />

moderne Mindeststandards für Wohnqualität<br />

und ein deutlich größeres Angebot in unseren<br />

wachsenden Städten und Regionen.<br />

BIS ZU ZWEI MILLIONEN WOHNUNGEN<br />

FÜR NORDRHEIN-WESTFALEN<br />

Wohnungsnot und Wohnungsleerstand sind<br />

zwei Symptome der gleichen Ursache: des wachsenden<br />

Missverhältnisses zwischen Bedarf und<br />

Angebot an guten und günstigen Wohnungen.<br />

Stetig steigende Mieten sind die Folge einer stetig<br />

wachsenden Nachfrage bei einem schrumpfenden<br />

Angebot. Die Leerstände in unseren<br />

Metropolregionen sind die Folge von Mängeln<br />

im Wohnumfeld oder der Wohnungen selbst.<br />

Städte oder Quartiere mit Wohnungsleerständen<br />

werden erst dann die steigende Nachfrage nach<br />

gutem Wohnraum ausgleichen können, wenn<br />

ihre Wohn- und Lebensqualität wieder steigt. In<br />

jedem Fall braucht unser Land guten Wohnraum,<br />

den sich Normal- und Geringverdiener leisten<br />

können. Wir werden Angebot und Nachfrage in<br />

Bezug auf gute und bezahlbare Wohnungen<br />

wieder in ein entspanntes Gleichgewicht bringen.<br />

Das kann – abhängig von der Dynamik auf<br />

den Wohnungsmärkten in <strong>NRW</strong> – den Neubau<br />

oder die Sanierung von zwei Millionen Wohnungen<br />

bis 20<strong>30</strong> erfordern. Die Herausforderung<br />

nehmen wir an!<br />

DIE ÖFFENTLICHE HAND SPIELT<br />

WIEDER MIT: INVESTITIONEN IN NEUBAU<br />

UND MODERNISIERUNG<br />

Die öffentliche Hand muss wieder zu einem<br />

mächtigen Spieler auf dem Wohnungsmarkt<br />

werden. Wenn private Investitionen nicht ausreichen,<br />

um ein Gleichgewicht zwischen Angebot<br />

und Nachfrage herzustellen, sind andere Akteure<br />

gefragt: Dann müssen öffentlich-rechtliche, kommunale<br />

oder genossenschaftliche Baugesellschaften<br />

die Nachfrage nach guten und günstigen<br />

Wohnungen bedienen. Wir werden sie derart<br />

fördern und stärken, dass sie sowohl den Neubau<br />

als auch den Aufkauf und die Modernisierung<br />

bestehender Wohnungen finanzieren können.


102 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR! Der Normalfall, kein Glücksfall: eine gute und bezahlbare Wohnung in einer intakten Nachbarschaft<br />

Die Privatisierung öffentlichen Wohnungseigentums<br />

lehnen wir ab. Stattdessen werden wir uns<br />

im Bund für die Wiedereinführung der „Wohnungsgemeinnützigkeit“<br />

einsetzen. Es handelt<br />

sich um ein Gesetz, das gemeinnützige Wohnungsunternehmen<br />

– z. B. eine noch zu gründende<br />

Wohnungsgesellschaft des Landes – von<br />

Gewerbe- und Körperschaftssteuern befreit. Das<br />

allerdings nur unter einer Bedingung: Die Unternehmen<br />

müssen sich dazu verpflichten, alle<br />

Gewinne oberhalb einer bestimmten Rendite in<br />

die Modernisierung oder den Neubau von Wohnungen<br />

zu investieren.<br />

DIE RENAISSANCE DES MIETPREISGEBUNDENEN<br />

WOHNUNGSBAUS<br />

Kein Bundesland investiert mehr in den sozialen<br />

Wohnungsbau als Nordrhein-Westfalen. Ein Drittel<br />

aller mietpreisgebundenen Wohnungen in<br />

Deutschland wird bei uns in <strong>NRW</strong> gebaut. Doch<br />

das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass<br />

jedes Jahr bundesweit ca. 100.000 Sozialwohnungen<br />

verschwinden, weil ihre Mietpreisbindung<br />

ausläuft. Von den einst vier Millionen Sozialwohnungen<br />

sind nur noch 1,5 Millionen übrig.<br />

Allein in <strong>NRW</strong> hat sich ihre Anzahl seit 2002 fast<br />

halbiert und liegt nunmehr bei ca. 500.000 Wohnungen.<br />

Kurzum: Der soziale<br />

und mietpreisgebundene Wohnungsbau<br />

hat viel von seiner<br />

Kraft verloren. Wir wollen sie<br />

ihm zurückgeben. Es ist Zeit für<br />

eine Renaissance.<br />

<strong>NRW</strong> verzeichnet bereits große<br />

Erfolge bei der Wohnbauförderung.<br />

Unsere Förderinstrumente<br />

sind heute vielfältiger und effektiver<br />

als noch vor Jahren. Diesen<br />

Kurs setzen wir fort. Zudem<br />

wollen wir die Regeln für Mietpreisbedingungen<br />

reformieren: In wachsenden<br />

Städten, die unter Wohnungsnot leiden, müssen<br />

auch Normalverdiener der Mitte von Preisbindungen<br />

profitieren können.<br />

» KEIN<br />

BUNDESLAND<br />

INVESTIERT<br />

MEHR IN DEN<br />

SOZIALEN<br />

WOHNUNGSBAU<br />

ALS NORDRHEIN-<br />

WESTFALEN «<br />

NEUE FLÄCHEN FÜR WACHSENDE STÄDTE<br />

Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen in unseren<br />

wachsenden Städten ist auch die Folge eines<br />

anderen Mangels: des Mangels an Bauflächen.<br />

Die besten Markt- und Förderbedingungen für<br />

den Wohnungsbau bleiben wirkungslos, solange<br />

es nicht ausreichend Flächen gibt, die bebaut<br />

werden können.<br />

Gewiss: In einem dicht besiedelten Land wie<br />

<strong>NRW</strong> darf man schon allein aus ökologischen<br />

Gründen unbebaute Flächen nicht vergeuden.<br />

Aus diesem Grund setzen wir weiterhin auf die<br />

flächenschonende Innenverdichtung unserer<br />

Städte. Aber nicht jeder Flächenverbrauch ist<br />

auch eine Flächenverschwendung. Und nicht<br />

jede unbebaute Fläche ist ein Wert an sich. Im<br />

Zweifelsfall haben gute und bezahlbare Wohnungen<br />

für uns Priorität. Deshalb werden wir<br />

die Erschließung neuer Wohnflächen in den Außenbereichen<br />

der wachsenden Städte in <strong>NRW</strong><br />

beschleunigen und vereinfachen.<br />

FAIRE REGELN FÜR FAIRE MIETEN<br />

Für Vermieter muss sich das Vermieten lohnen.<br />

Aber Wohnraum für Normal- und Geringverdiener<br />

darf weder ein Spekulationsobjekt sein<br />

noch zu Wucher verführen. Mit<br />

der Mietpreisbremse und dem<br />

Wohnungsaufsichtsgesetz haben<br />

wir neue Regeln für faire Mieten<br />

in Kraft gesetzt. Durch eindeutige<br />

Mindeststandards für Wohnqualität<br />

können sich Mieterinnen<br />

und Mieter jetzt gegen die<br />

schwarzen Schafe unter Wohnungseigentümern<br />

und Wohnungsgesellschaften<br />

wehren, die<br />

ihre Wohnungsbestände verwahrlosen<br />

lassen.<br />

Die Mietpreisbremse begrenzt bereits in 59 Kommunen<br />

den Anstieg von Mieten auf 15 Prozent in<br />

drei Jahren. Das ist ein Anfang, aber noch nicht<br />

ausreichend. Weil wir Mietwucher flächen-


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Der Normalfall, kein Glücksfall: eine gute und bezahlbare Wohnung in einer intakten Nachbarschaft<br />

103<br />

deckend unterbinden wollen, muss die Mietpreisbremse<br />

flächendeckend wirken können. Es<br />

muss verbindliche und qualifizierte Mietspiegel<br />

geben: bundesweit für jede Kommune, unabhängig<br />

erhoben, nachvollziehbar und transparent.<br />

Nicht zuletzt müssen Ausnahmen von der Mietpreisbremse<br />

kritisch überprüft und im Zweifel<br />

abgeschafft werden.<br />

GEMEINSAM LEBEN UND WOHNEN IN<br />

NORDRHEIN-WESTFALEN<br />

Nordrhein-Westfalen soll ein Land der arbeitenden<br />

Mitte sein, ein Land im Lot. Das gilt auch<br />

für das Wohnen. Es wird zwar immer Stadtteile,<br />

Quartiere und Wohnviertel geben, die teurer als<br />

andere sind. Was wir aber nicht hinnehmen werden,<br />

ist ein Zerfall in Luxus- und Armenghettos,<br />

jeweils abgekapselt und verschlossen. Wir werden<br />

nicht länger dulden, dass Bürgerinnen und<br />

Bürger durch Luxussanierungen und erzwungene<br />

Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen<br />

aus ihren Heimatvierteln verdrängt werden.<br />

Wo sich heute nur Besser- und Bestverdiener eine<br />

Wohnung leisten können, muss es auch wieder<br />

einen planungsrechtlich quotierten Mindestbestand<br />

an guten Wohnungen für Facharbeiter und<br />

Angestellte geben. Wir werden zudem dafür sorgen,<br />

dass nach Sanierungen und Modernisierungen<br />

ein bestimmter Anteil an Wohnungen mit<br />

Mietpreisbindung erhalten bleibt und im besten<br />

Fall sogar noch ausgeweitet wird. Wir werden<br />

durch eine attraktivere finanzielle Förderung,<br />

kooperative Baulandmodelle und verbesserte<br />

Flächennutzung den sozialen Wohnungsbau<br />

auf alle Städte und Quartiere mit angespannten<br />

Wohnungsmärkten ausweiten. Dafür werden wir<br />

auch Bündnisse mit der Bau- und Wohnungswirtschaft<br />

schließen und uns für eine Reduzierung<br />

der Baukosten einsetzen. Nicht zuletzt gilt es,<br />

Planungs- und Genehmigungsverfahren zu vereinfachen,<br />

um den Wohnungsbau insgesamt zu<br />

beschleunigen.<br />

Im Gegenzug muss sich die Wohn- und Lebensqualität<br />

in strukturschwachen Stadtteilen derart<br />

verbessern, dass sie auch für Alleinstehende<br />

und Familien mit mittleren und höheren Haushaltseinkommen<br />

wieder attraktiv werden.<br />

Das verlangt oft nicht weniger, als überalterte<br />

Wohngebäude durch Neubauten zu ersetzen, für<br />

Grünanlagen um und auch auf den Häusern zu<br />

sorgen, nicht zuletzt die Verkehrsinfrastruktur<br />

zu erneuern. Das Angebot an Kindergärten und<br />

Schulen, an Verbraucherberatungen und Gesundheitsdienstleistungen<br />

wird an die Bedürfnisse<br />

vor Ort angepasst. Wir wollen unsere Stadtviertel<br />

und Quartiere zu „urbanen Mischgebieten“ weiterentwickeln,<br />

in denen man nicht nur wohnen,<br />

sondern auch arbeiten und seine Freizeit verbringen<br />

kann. Das heißt aber auch, dass es dort<br />

Zeit und Platz für Volksfeste, Brauchtum und ein<br />

lebendiges Kultur- und Freizeitleben geben muss.<br />

In jedem Fall ist ein Kulturwandel in der Wohnungs-<br />

und Stadtentwicklungspolitik notwendig.<br />

Die lokale Stadt- und Wohnraumentwicklung<br />

darf nicht an den kommunalen Grenzen enden.<br />

Mehr Koordination und Kooperation sind gefragt!


104 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

Eine neue Stadt für Nordrhein-Westfalen:<br />

Das Rheinische Revier wird zum weltweiten Vorbild für öffentliche Lebensqualität und moderne Stadtentwicklung<br />

EINE NEUE STADT FÜR NORDRHEIN-<br />

WESTFALEN: DAS RHEINISCHE REVIER<br />

WIRD ZUM WELTWEITEN VORBILD<br />

FÜR ÖFFENTLICHE LEBENSQUALITÄT<br />

UND MODERNE STADTENTWICKLUNG<br />

Mit Mut, Ehrgeiz und Tatkraft kann das Rheinische Braunkohlerevier<br />

zu einem weltweiten Vorbild für Lebensqualität in Metropolregionen werden.<br />

Wir wollen hier die modernste Stadt Europas bauen. Die Gestaltung ihrer Siedlungen<br />

und Architekturen, ihrer Sozialräume und Verkehrsangebote auf den Flächen des Braunkohletagebaus<br />

bietet eine einzigartige Chance: Wir können die drei Ziele moderner<br />

Stadtentwicklung gleichzeitig verwirklichen. Mit Hilfe modernster Technologien und mit<br />

dem Erfahrungsschatz der Stadtplaner schaffen wir sozialen Zusammenhalt, ökologische<br />

Nachhaltigkeit und wirtschaftlichen Erfolg an einem Ort.<br />

Das Rheinland erwartet ein starkes<br />

Bevölkerungswachstum in allen<br />

seinen Teilregionen, nicht nur in<br />

Köln und Düsseldorf, sondern auch<br />

in Aachen, Leverkusen, dem Rhein-<br />

Erft-Kreis oder dem Rhein-Kreis Neuss. Mit der<br />

Bevölkerung wächst der Bedarf an Flächen für<br />

den Wohnungsbau oder für die Ansiedlung von<br />

Handel, Gewerbe und Industrie. Inmitten dieser<br />

Wachstumsregion liegt das Rheinische Revier.<br />

Hier hat der Braunkohlenbergbau über Jahrzehnte<br />

Flächen in Anspruch genommen und Entwicklungschancen<br />

begrenzt. Durch die Tagebaue und<br />

ihre Rekultivierung sind aber auch neue Siedlungen<br />

und Landschaften entstanden.<br />

Jetzt bietet sich die Möglichkeit, den Wachstumsdruck<br />

durch die Erschließung der freigeräumten<br />

und rekultivierten Flächen des Braunkohlereviers<br />

in mehr Lebensqualität zu verwandeln<br />

und gleichzeitig einen ungesteuerten Verbrauch<br />

von Frei- und Grünflächen zu verhindern. Den<br />

freigeräumten Tagebaulandschaften, nur <strong>30</strong> bis<br />

45 S-Bahn-Minuten vom Kölner und Düsseldorfer<br />

Hauptbahnhof entfernt, kommt dabei eine strategische<br />

Bedeutung zu. Wir wollen einen mutigen<br />

Zukunftsentwurf: innovative Konzepte für<br />

neue Landschaften, Dörfer und Quartiere.<br />

Dieses Projekt ist nicht nur ein Beitrag zum Strukturwandel<br />

im Rheinischen Braunkohlerevier. Die<br />

Innovationsregion Rheinisches Revier wird zur<br />

Referenzadresse nachhaltiger Stadtplanung und<br />

-entwicklung mit globaler Ausstrahlungskraft.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Schnell, digital und flexibel: moderne Mobilität für jeden an jedem Ort! 105<br />

SCHNELL, DIGITAL UND FLEXIBEL:<br />

MODERNE MOBILITÄT<br />

FÜR JEDEN AN JEDEM ORT!<br />

Nur wer mobil ist, führt ein selbstbestimmtes Leben.<br />

Je besser es uns gelingt, von A nach B zu kommen, desto unabhängiger sind wir von<br />

den beruflichen oder kulturellen Beschränkungen unseres Heimatortes – und zwar<br />

ohne auf seine Vorteile verzichten oder ihn dauerhaft verlassen zu müssen. Mobilität<br />

steigert nicht nur die Lebensqualität. Sie ist auch eine Voraussetzung für Teilhabe,<br />

Gemeinschaft und beruflichen Erfolg. Eine halbe Stunde Wegzeit mehr oder weniger<br />

kann darüber entscheiden, ob für einen besseren Arbeitsplatz die ganze Familie<br />

umziehen muss oder nicht.<br />

Sozialdemokratische Politik für mehr<br />

Selbstbestimmung muss also eine<br />

Politik für kürzere Wegzeiten und flexiblere<br />

Mobilitätsangebote sein. Aber<br />

das ist noch nicht alles. Denn Mobilität<br />

hat auch ihren Preis, nicht zuletzt in Form von<br />

Verkehr und seinen Nachteilen, wie zum Beispiel<br />

Staus und Wartezeiten, Unfällen oder Umweltbelastungen.<br />

Moderne Mobilität verkürzt also nicht<br />

nur Wegzeiten. Sie bietet auch mehr Sicherheit<br />

und Flexibilität, ist für jeden (auch für die öffentliche<br />

Hand) bezahlbar und reduziert Schadstoffemissionen.<br />

Bis 20<strong>30</strong> wollen wir Nordrhein-Westfalen zum<br />

Pionierland moderner Mobilität in Deutschland<br />

machen: schnell, digital und flexibel. Unser Anspruch<br />

ist moderne Mobilität für alle Menschen in<br />

Nordrhein-Westfalen, ganz gleich ob sie auf dem<br />

Land oder in der Stadt zuhause sind. Wir werden<br />

unser Straßen- und Schienennetz modernisieren,<br />

die Kapazitäten des öffentlichen Personennahverkehrs<br />

deutlich ausbauen und ein Internet der<br />

Mobilität für Nordrhein-Westfalen schaffen.<br />

INVESTITIONEN IN DAS BESTE<br />

VERKEHRSWEGENETZ EUROPAS<br />

Das Straßen- und Schienennetz in Nordrhein-<br />

Westfalen ist dichter geknüpft und besser ausgebaut<br />

als jedes andere in Europa. Diese Stärke<br />

müssen wir erhalten. Aber das erfordert Investitionen<br />

in beträchtlicher Höhe. Die Zeit drängt. Zu<br />

lange hat der Bund zu wenig investiert. Denn er<br />

ist es, der für den Erhalt von Autobahnen, Autobahnbrücken,<br />

Schienen und Wasserwegen die<br />

finanzielle Verantwortung trägt.<br />

Wir in <strong>NRW</strong> haben lange für eine Trendumkehr<br />

gekämpft. Mit Erfolg. Das größte Anti-Stauprogramm<br />

der jüngeren Geschichte wurde auf den<br />

Weg gebracht – durch <strong>NRW</strong> und für <strong>NRW</strong>.<br />

Das Land selbst wird ein Investitionsprogramm<br />

für seine Landesstraßen initiieren. Aus Rücksicht<br />

auf die öffentlichen Haushalte muss dabei das<br />

Prinzip „Erhalt vor Neubau“ gelten. Mit einer Ausnahme:<br />

Wo neue Wohn- und Gewerbegebiete<br />

erschlossen werden, muss natürlich auch die<br />

notwendige Infrastruktur neu gebaut werden.


106 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

Schnell, digital und flexibel: moderne Mobilität für jeden an jedem Ort!<br />

Wir werden neue Konzepte für öffentliche Investitionen<br />

entwickeln und umsetzen. Öffentlichprivate<br />

Partnerschaften (ÖPP) können genauso<br />

ein effektives Beschaffungsinstrument sein wie<br />

öffentliche Sondervermögen mit verbindlichen<br />

und transparenten Tilgungsplänen. In jedem Fall<br />

muss die für die Steuerzahler günstigste Finanzierungsform<br />

gewählt werden.<br />

EINE NEUE INFRASTRUKTUR FÜR DEN<br />

(ÖFFENTLICHEN) NAHVERKEHR IN <strong>NRW</strong><br />

Wir werden in den kommenden Jahren das Leistungsspektrum<br />

und die Kapazitäten des ÖPNV in<br />

Nordrhein-Westfalen deutlich ausbauen. Er wird<br />

schnell und flexibel sein. Für kürzere Wegzeiten,<br />

mehr Pünktlichkeit und Komfort sorgen dann<br />

z. B. die sechs Linien des neuen RRX (Rhein-Ruhr-<br />

Express), die im 15-Minuten-Takt die Metropolen<br />

Nordrhein-Westfalens auf einem eigenen<br />

Schienennetz verbinden. Durch den RRX können<br />

über <strong>30</strong>.000 Personenfahrten von der Straße auf<br />

die Schiene verlagert werden – und zwar täglich.<br />

Gleichzeitig eröffnen sechs Radschnellwege<br />

neue Möglichkeiten für den Berufs- und Nahverkehr.<br />

Über 250 Kilometer sind in <strong>NRW</strong> bereits<br />

in Planung. Radfahren wird schneller und<br />

sicherer. Mobilität im Wohn- und Arbeitsumfeld<br />

(„Nahmobilität“) ist nicht weniger wichtig als<br />

die schnelle Überwindung längerer Distanzen.<br />

Unser Ziel ist ein flächendeckendes Radfahrnetz<br />

in allen Großstädten in <strong>NRW</strong>. Entscheidend ist,<br />

dass alle Verkehrsmittel besser als bisher miteinander<br />

verknüpft werden. Denn die schnellste<br />

Bahn nutzt wenig, wenn auf dem letzten Kilometer<br />

die Zeitersparnis durch moderne Verkehrsmittel<br />

wieder verloren geht.<br />

Minden<br />

Münster<br />

Bielefeld<br />

Emmerich<br />

Oberhausen<br />

Duisburg<br />

Hamm<br />

Gelsenkirchen<br />

Kamen<br />

Dortmund<br />

Essen Bochum<br />

Mülheim a. d. R.<br />

Düsseldorf<br />

Leverkusen<br />

Aachen<br />

Köln<br />

Flughafen<br />

Köln/Bonn<br />

Bonn


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Schnell, digital und flexibel: moderne Mobilität für jeden an jedem Ort!<br />

107<br />

In Gemeinden des ländlichen Raumes ohne standardisierten<br />

ÖPNV werden wir über das Internet<br />

Alternativangebote aus Anruf-Sammel-Taxis,<br />

Taxibussen, gemeinnützigen Bürgerbussen oder<br />

Car-Sharing-Angeboten miteinander vernetzen,<br />

weiter fördern und ausbauen. Durch Regionalbusse<br />

werden wir die Kommunen des ländlichen<br />

Raumes ohne Schienenanbindung mit den Ballungszentren<br />

verknüpfen. Dieses Alternativangebot<br />

kann sogar schneller, individueller und nutzerfreundlicher<br />

sein als der Standard-ÖPNV mit<br />

seinen festen Fahrzeiten und Haltestellen. Wir<br />

werden eine Energiewende im ÖPNV einleiten:<br />

Neue Elektro- und Wasserstoffantriebe für Busse<br />

und Bahnen werden die alten Wagen und Züge<br />

mit Verbrennungsmotoren ersetzen.<br />

EIN INTERNET DER MOBILITÄT FÜR<br />

NORDRHEIN-WESTFALEN<br />

Schritt für Schritt entwickeln wir ein Internet<br />

der Mobilität für Nordrhein-Westfalen, das alle<br />

öffentlichen und privaten Verkehrsträger und<br />

Mobilitätsangebote digital vernetzt. Das Internet<br />

der Mobilität – konzentriert und nutzbar in<br />

einer App – erfasst in Echtzeit die Auslastung von<br />

Autobahnen, Straßen oder Bahnen. Es berechnet<br />

(und prognostiziert!) für jede beliebige Strecke zu<br />

jedem beliebigen Zeitpunkt den schnellsten Weg<br />

und die optimale Verknüpfung von Transportmitteln.<br />

Mobilität in <strong>NRW</strong> wird „intermodal“. Für jedes<br />

individuelle Ziel gibt es per Touchscreen den<br />

optimalen individuellen Weg inklusive der ggf.<br />

notwendigen Tickets. Das Internet der Mobilität<br />

ermöglicht das fahrerlose Fahren und optimiert<br />

Verkehrsströme. Nicht zuletzt erhöht es die Sicherheit,<br />

vermeidet Umweltbelastungen und<br />

reduziert Wartezeiten.<br />

Die Digitalisierung des ÖPNV hat bereits begonnen.<br />

Wir werden ein zentrales Mobilitätsportal<br />

für alle öffentlichen Verkehrsträger in <strong>NRW</strong> eröffnen,<br />

das Echtzeit-Information, Vertrieb und Tarif<br />

vereint. Ein einheitliches E-Ticket-Tarifsystem<br />

(Tickets aufs Smartphone) gehört genauso dazu<br />

wie die fortlaufende Integration von privaten und<br />

gemeinnützigen Mobilitätsangeboten (wie z. B.<br />

Car-Sharing, Anruf-Sammel-Taxis, Bürgerbusse).<br />

MOBIL IN <strong>NRW</strong>: EIN LAND –<br />

EIN VERKEHRSRAUM – EIN TARIFSYSTEM<br />

Wir werden eine auskömmliche Finanzierung<br />

des ÖPNV in <strong>NRW</strong> sicherstellen. Die Verkehrsverbünde,<br />

Aufgabenträger und Zweckverbände in<br />

<strong>NRW</strong> müssen enger als bisher zusammenarbeiten.<br />

Denn zu einem gemeinsamen Verkehrsraum<br />

gehört auch eine gemeinsame Beförderungsqualität<br />

durch gemeinsame Fahrzeug-, Qualitätsund<br />

Sicherheitsstandards.<br />

Für uns gilt das Prinzip „Ein Land – ein Verkehrsraum“.<br />

Deshalb wollen wir auch ein einheitliches<br />

Tarifsystem schaffen: den <strong>NRW</strong>-Tarif. Er<br />

soll attrak tiv, leistungsgerecht und für jeden<br />

bezahlbar sein. Dazu gehören auch die bereits<br />

erfolgreichen „Zielgruppentarife“, wie z. B. das<br />

Schüler-Ticket, das Senioren-Ticket oder das Sozial-Ticket,<br />

das ordnungspolitisch richtig im Rahmen<br />

des ALG II vom Bund finanziert an arbeitslose<br />

Bürgerinnen und Bürger ausgegeben werden<br />

sollte. Diese Zielgruppentarife sind auf individuelle<br />

Bedürfnisse zugeschnitten und steigern die<br />

Attraktivität des ÖPNV. Diese Angebote werden<br />

wir ausbauen, z. B. indem wir das Job-Ticket in<br />

einen echten Zielgruppentarif für Unternehmen<br />

verwandeln. Der Preisnachlass für Job-Tickets soll<br />

nicht mehr von der Menge abhängig sein, die die<br />

Unternehmen für ihre Beschäftigten bestellen.<br />

Der Preisnachlass soll auf jedes einzelne Ticket<br />

gewährt werden.<br />

MOBILITÄT FÜR MENSCHEN MIT BEHINDERUNG<br />

Die Teilhabe an Mobilitätsangeboten wollen wir<br />

weiter durch attraktive Angebote steigern. Dazu<br />

gehört auch der Ausbau barrierefreier Angebote<br />

des ÖPNV. Hierzu wollen wir entsprechende Förderprogramme<br />

schaffen und mit der Umsetzung<br />

des Bahnsteighöhen- und -längenkonzepts die<br />

Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten für alle mobilitätsbeeinträchtigten<br />

Menschen weiter verbessern.


108 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

In Sicherheit leben und sich sicher fühlen: hart gegen Kriminalität und hart gegen die Ursachen von Kriminalität!<br />

IN SICHERHEIT LEBEN UND SICH<br />

SICHER FÜHLEN: HART GEGEN<br />

KRIMINALITÄT UND HART GEGEN<br />

DIE URSACHEN VON KRIMINALITÄT!<br />

Heimat ist ein Ort, an dem Menschen Teil einer Gemeinschaft sind<br />

und sich sicher fühlen können.<br />

Die allermeisten Städte und Wohnviertel in Nordrhein-Westfalen bieten genau das:<br />

einen sicheren Ort zum Leben, eine Heimat. Das muss allerdings auch so bleiben.<br />

Für die SPD-Fraktion ist deshalb ein<br />

starker, entschlossener und handlungsfähiger<br />

Rechtsstaat unabdingbar.<br />

Sicherheit dient dem höchsten<br />

Zweck des demokratischen Rechtsund<br />

Sozialstaates: einem Leben in Freiheit und<br />

Selbstbestimmung für alle Bürgerinnen und<br />

Bürger. Mehr noch: Der Schutz vor Kriminalität<br />

ist auch ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit.<br />

Reiche Menschen können sich Sicherheit kaufen.<br />

Menschen mit mittleren oder geringen Einkommen<br />

können das nicht.<br />

Unsere Politik für öffentliche Sicherheit folgt<br />

dem Prinzip „Hart gegen Kriminalität und hart<br />

gegen die Ursachen von Kriminalität!“ Wir wollen<br />

für jeden Ort in Nordrhein-Westfalen das erreichen,<br />

was wir bei Gewalt- und Jugenddelikten<br />

schon geschafft haben: eine drastische Senkung<br />

aller Formen von Kriminalität. Die Gewaltkriminalität<br />

sank 2014 auf den niedrigsten Stand seit<br />

2001. Die Jugendkriminalität ist so niedrig wie<br />

seit 44 Jahren nicht mehr. Und Straftaten gegen<br />

das Leben sind auf dem niedrigsten Stand seit<br />

20 Jahren.<br />

Wir werden in den kommenden Jahren fortführen,<br />

was wir 2010 begonnen haben: mehr Polizei –<br />

landesweit und vor Ort in unseren Städten und<br />

Quartieren, Investitionen in eine bessere Ausstattung<br />

aller Sicherheitsbehörden, die Beschleunigung<br />

rechtsstaatlicher Strafverfahren und eine<br />

Aufwertung des Polizeiberufs.<br />

Die beste Kriminalitätsbekämpfung ist indes die<br />

Bekämpfung ihrer Ursachen. Vorbeugende Sozialpolitik<br />

verwirklicht nicht nur Gerechtigkeit und<br />

führt zu wirtschaftlicher Stärke. Sie ist auch ein<br />

unverzichtbarer Bestandteil einer umfassenden<br />

Kriminalpolitik.<br />

Kriminalität entsteht nicht unabhängig von der<br />

Gesellschaft, in der wir leben. Gute ökonomische<br />

und soziale Rahmenbedingungen hemmen<br />

Kriminalität. Zu diesen Rahmenbedingungen<br />

gehört auch die öffentliche Lebensqualität: In<br />

lebenswerten Städten und Quartieren mit intakten<br />

Nachbarschaften, einem lebendigen Kulturund<br />

Gemeinschaftsleben, guten Schulen und<br />

individuellen Zukunftsperspektiven, mit Grünanlagen<br />

und ansehnlichen Straßenzügen fühlen<br />

sich Menschen sicherer als in Wohnvierteln, in<br />

denen es all das nicht gibt. Und tatsächlich: Das<br />

Bauchgefühl täuscht nicht. Politik für öffentliche<br />

Lebensqualität ist immer auch eine Politik der<br />

Kriminalprävention.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

In Sicherheit leben und sich sicher fühlen: hart gegen Kriminalität und hart gegen die Ursachen von Kriminalität! 109<br />

50 Jahre Kriminalitätsforschung lassen keinen<br />

Raum für Zweifel: Wer Kriminalität bekämpfen<br />

will, muss hart gegen ihre gesellschaftlichen Ursachen<br />

vorgehen. Wo sich soziale Ungleichheit in<br />

Grenzen hält, Armut die Ausnahme ist und eine<br />

kluge Sozial- und Bildungspolitik für Chancengleichheit<br />

und sozialen Aufstieg sorgt, gibt es<br />

wenig Kriminalität. Ein gerechtes Land ist auch<br />

ein sicheres Land.<br />

Niemand wird als Krimineller geboren. Und Kinder,<br />

um die man sich kümmert, die man an die<br />

Hand nimmt und in ein gelingendes Leben führt,<br />

werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nie einer<br />

werden. Deshalb setzen wir auf Prävention.<br />

Drei Beispiele: Das Projekt „Kein Kind zurücklassen!“<br />

hilft Kindern aus Familien, die – aus welchem<br />

Grund auch immer – schlechtere Bedingungen<br />

für den Start ins Leben haben. Nach dem<br />

Grundsatz „Vorbeugen ist besser als Heilen“ sorgt<br />

es für Bildung, Chancengleichheit und Gesundheitsvorsorge<br />

– lückenlos von der Geburt bis zum<br />

Eintritt in das Berufsleben.<br />

Das Programm „Kein Abschluss ohne Anschluss!“<br />

unterstützt junge Erwachsene beim Übergang<br />

von der Schule in den Beruf. Alle jungen Menschen<br />

in <strong>NRW</strong> sollen eine Perspektive für ihr<br />

Berufsleben erhalten: durch Ausbildung, Weiterbildung<br />

und gute Arbeit.<br />

Damit auch Jugendliche, die bereits kriminell<br />

geworden sind, noch die Kurve in ein gelingendes<br />

Leben kriegen, kümmert sich die Polizei mit<br />

tatkräftiger Unterstützung pädagogischer Fachkräfte<br />

seit 2011 erfolgreich um junge Intensivtäter.<br />

Das bundesweit einmalige Präventionsprojekt<br />

„Kurve kriegen“ setzt früh an und verhindert,<br />

dass Kinder und Jugendliche dauerhaft in die<br />

Kriminalität abrutschen.<br />

Speziell für „mehrfach Tatverdächtige und jugendliche<br />

Intensivtäter in besonderen sozialen Lagen“<br />

wurde die Idee vom „Haus des Jugendrechts“<br />

ausgebaut. Polizei, (Jugend-)Staatsanwaltschaft<br />

und Jugendamt arbeiten unter einem Dach zusammen<br />

und ermöglichen so direkte und unbürokratische<br />

Zusammenarbeit zwischen Polizei,<br />

Justiz und Jugendgerichtshilfe. Dabei werden<br />

nicht nur die Straftaten allein betrachtet, sondern<br />

auch soziale Risikofaktoren.<br />

Prävention wirkt und zahlt sich aus. Wir werden<br />

alle Präventionsprojekte ausbauen und weiterentwickeln.<br />

EINE VON UNS: DIE POLIZEI VOR ORT<br />

In jedem Stadtviertel und Quartier muss die Polizei<br />

präsent, sichtbar und ansprechbar sein. Wir<br />

setzen auf das Instrument der Bezirksdienstbeamtin<br />

bzw. des Bezirksdienstbeamten. Das<br />

sind Polizisten, die man vor Ort kennt, denen<br />

man vertraut und die selbst ihr Viertel, seine Einwohner<br />

und deren Probleme gut kennen. Diese<br />

Beamten gehören zur Gemeinschaft im Quartier.<br />

Ihre Polizeiarbeit ist immer auch Arbeit für die<br />

Nachbarschaft und den sozialen Zusammenhalt<br />

im Viertel.<br />

Wo Menschen aufeinander achtgeben und dabei<br />

von ihrer Polizei vor Ort unterstützt werden, gibt<br />

es „soziale Kontrolle“ in ihrem besten Sinne. Gemeint<br />

ist ein sanfter Druck für ein respektvolles<br />

Miteinander, eine hohe Schwelle für rücksichtsloses<br />

Verhalten und Belästigungen. Das trägt<br />

nicht nur zu einem verbesserten Sicherheitsgefühl<br />

bei, es verbessert die Sicherheit tatsächlich.<br />

Denn die Überhandnahme respektlosen Verhaltens<br />

steht oft am Anfang einer Entwicklung, an<br />

deren Ende ein Brennpunkt für Kriminalität entstanden<br />

ist.<br />

MEHR PERSONAL UND EINE VERBESSERTE<br />

AUSSTATTUNG FÜR POLIZEI, VERFASSUNGS-<br />

SCHUTZ UND JUSTIZ<br />

Seit 2010 haben wir konsequent in innere Sicherheit<br />

investiert. Die Haushaltsmittel für die Polizei<br />

haben wir um 700 Millionen Euro erhöht. Ein<br />

Plus von <strong>30</strong> Prozent. Noch stärker, um 33 Prozent,<br />

wurden die Sachausgaben für Polizeiarbeit auf


110 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR! In Sicherheit leben und sich sicher fühlen: hart gegen Kriminalität und hart gegen die Ursachen von Kriminalität!<br />

447 Millionen Euro erhöht. Diese Politik setzen<br />

wir fort. Für den Kampf gegen das organisierte<br />

Verbrechen, gegen Alltagskriminalität und politischen<br />

sowie religiösen Extremismus werden<br />

wir mehr Polizisten, Verfassungsschützer, Staatsanwälte<br />

und Richter ausbilden und einstellen.<br />

Auch die technische Ausrüstung unserer Sicherheitsbehörden<br />

muss stetig erneuert und verbessert<br />

werden. Gleiches gilt für ihre Vernetzung und<br />

Kooperation bei der Kriminalitätsbekämpfung –<br />

auch jene mit unseren europäischen Partnern.<br />

Wir werden in Nordrhein-Westfalen für bestimmte<br />

Straftaten und Tatmuster mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften<br />

einrichten. Hier werden<br />

Kompetenz und Erfahrung gebündelt, die es<br />

erlauben, Straftaten schneller und erfolgreicher<br />

aufzuklären.<br />

Wir werden unsere Justiz besser als bisher in die<br />

Lage versetzen, überführte Täter schneller zu<br />

bestrafen. Insbesondere jugendliche<br />

Straftäter müssen zügig<br />

ihrem Alter angemessene Sanktionen<br />

für ihr inakzeptables Verhalten<br />

erfahren.<br />

Darüber hinaus werden wir die<br />

bestehenden Rechtsgrundlagen<br />

für die Videobeobachtung des<br />

öffentlichen Raums ausschöpfen<br />

und an bekannten Kriminalitätsschwerpunkten<br />

dieses Instrument<br />

einsetzen. Kameras<br />

sind zwar keine Alternative zu<br />

der klassischen und präventiven Polizeiarbeit.<br />

Aber an bestimmten Orten sind sie eine sinnvolle<br />

Ergänzung.<br />

KONSEQUENT GEGEN ALLTAGSKRIMINALITÄT<br />

Wir werden gegen alle Formen der sogenannten<br />

Alltags- oder Massenkriminalität vorgehen. Gemeint<br />

sind z. B. Taschendiebstähle, Betäubungsmitteldelikte,<br />

Sachbeschädigungen, Betrugsdelikte<br />

oder Wohnungseinbrüche. Das 2013<br />

»DER RECHTS-<br />

STAAT MUSS<br />

AUCH IN DER<br />

VIRTUELLEN WELT<br />

DES INTERNETS<br />

SCHUTZ VOR<br />

KRIMINALITÄT<br />

BIETEN«<br />

eingeführte <strong>NRW</strong>-Fahndungskonzept „Mobile<br />

Täter im Visier“ (MOTIV), das sich speziell gegen<br />

bandenmäßig organisierte und überregional<br />

handelnde Einbrecher richtet, hat sich in bislang<br />

16 Schwerpunktbehörden bewährt und den<br />

Druck auf international reisende Täter erhöht.<br />

Der Erfolg hat inzwischen dazu geführt, dass die<br />

Innenministerkonferenz den anderen Bundesländern<br />

empfiehlt, das <strong>NRW</strong>-Konzept zu nutzen. Wir<br />

wollen dieses Konzept weiter ausbauen, denn<br />

gerade die psychischen Folgen bei Wohnungseinbrüchen<br />

sind oftmals gravierender als der<br />

erlittene materielle Schaden.<br />

CYBERKRIMINALITÄT BEKÄMPFEN!<br />

Der Rechtsstaat muss auch in der virtuellen<br />

Welt des Internets Schutz vor Kriminalität bieten.<br />

Denn die digitale Welt ist längst ein realer<br />

Lebensraum, in dem auch Verbrechen begangen<br />

werden und unsere Freiheit bedroht wird.<br />

Das Spektrum der Cyberkriminalität reicht von<br />

Online-Erpressung und Kreditkartenbetrug<br />

bis hin zu Waffenhandel<br />

und Hasskriminalität.<br />

Wir werden handeln, damit das<br />

Internet auch 20<strong>30</strong> noch ein<br />

freier, aber kein schutzloser<br />

Raum unseres Lebens sein wird.<br />

Wir werden uns für ein neues<br />

und modernes IT-Sicherheitsgesetz<br />

einsetzen, um neuen Gefährdungsszenarien<br />

angemessen<br />

begegnen zu können. Für<br />

neue Bedrohungen werden wir<br />

innovative Ermittlungsmethoden entwickeln<br />

lassen und einführen. Unsere Sicherheitsbehörden<br />

werden wir mit moderner IT-Technologie und<br />

mehr Fachexpertise ausstatten.<br />

SEXUELLE SELBSTBESTIMMUNG SCHÜTZEN!<br />

Die sexuelle Selbstbestimmung eines jeden<br />

Menschen verdient einen besonderen Schutz.<br />

Menschen zu schützen, bedeutet nichts anderes,<br />

als (sexuelle) Gewalt zu verhindern. Insbesondere


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

In Sicherheit leben und sich sicher fühlen: hart gegen Kriminalität und hart gegen die Ursachen von Kriminalität!<br />

111<br />

Frauen und Kinder sind bedroht. Wir müssen<br />

noch stärker als bisher auf ein Klima hinarbeiten,<br />

in dem Sexismus, Gewalt, Diskriminierungen,<br />

Demütigungen und Belästigungen nicht geduldet<br />

und mit gesellschaftlicher Ächtung bestraft werden<br />

– und zwar zuhause, in der Öffentlichkeit, in<br />

der Schule, am Arbeitsplatz und auf der Straße.<br />

Das Sexualstrafrecht kommt zumeist erst dann<br />

zum Zug, wenn es für die Opfer schon zu spät ist.<br />

Dann aber muss jeder die Macht des Rechtsstaates<br />

erfahren können. Dieser ergreift Partei für die<br />

Opfer und schützt die Rechte von Beschuldigten.<br />

Wir wollen bestehende Strafbarkeitslücken<br />

schließen und ein Prozessrecht schaffen, das auf<br />

die verletzte Würde und Intimsphäre der Opfer<br />

sexueller Gewalt Rücksicht nimmt. Wir sind uns<br />

mit den Frauen- und Opferverbänden einig, dass<br />

der Grundsatz „Nein heißt Nein!“ unmissverständlich<br />

ist und uneingeschränkt gelten muss.<br />

Der Zugang zu Hilfeeinrichtungen darf nicht<br />

an unzureichenden Finanzmitteln scheitern.<br />

Wir werden uns für einen bundesgesetzlichen<br />

Rechtsanspruch auf professionelle Hilfe und<br />

Unterstützung für die Opfer von Gewalt – insbesondere<br />

sexueller Gewalt – starkmachen. Wir in<br />

<strong>NRW</strong> werden vorangehen und die Hilfsangebote<br />

in Form von Frauenhäusern und Beratungsstellen<br />

ausbauen.<br />

und für mehr Durchlässigkeit zwischen dem<br />

öffentlichen und dem privaten Sektor. Wir werden<br />

flexible Arbeitszeitmodelle einführen und<br />

die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern.<br />

Auch dynamische Besoldungssysteme und<br />

mehr Flexibilität bei Ausgleich und Abgeltung<br />

von Überstunden gehören zu einem modernen<br />

Dienstrecht. Nicht zuletzt werden wir die Karrierechancen<br />

von Frauen verbessern sowie die interkulturelle<br />

Öffnung des öffentlichen Dienstes<br />

vorantreiben, um ihn auch für Menschen mit<br />

Migrationshintergrund attraktiv zu machen.<br />

Wir wollen, dass unserer Polizei wieder mehr<br />

Wertschätzung und Respekt für ihre wichtige<br />

Arbeit entgegengebracht wird. Dafür werben wir,<br />

wo wir können.<br />

Vor allem wollen wir für einen besseren Schutz<br />

von Amtsträgern und Rettungskräften sorgen.<br />

Wer Polizistinnen und Polizisten und andere Einsatzkräfte<br />

vorsätzlich verletzen will, greift auch<br />

unseren Rechtsstaat an. Gewaltübergriffe müssen<br />

wir konsequent bestrafen und wir müssen<br />

sicherstellen, dass die Vorfälle zügig vor Gericht<br />

verhandelt werden.<br />

FÜR SICHERHEIT SORGEN:<br />

EIN ATTRAKTIVER BERUF!<br />

Wir werden alle Berufe in Polizei, Verfassungsschutz<br />

und Justiz aufwerten und attraktiver<br />

machen. Unsere Sicherheitskräfte müssen entlastet<br />

werden. Ihre Leistungen für die Sicherheit<br />

unserer Bürgerinnen und Bürger verdienen mehr<br />

Anerkennung, was sich auch im Recht des öffentlichen<br />

Dienstes widerspiegeln muss.<br />

Ein modernes Dienstrecht wird nicht nur die<br />

Attraktivität des öffentlichen Dienstes erhöhen.<br />

Es wird auch seine Leistungsfähigkeit verbessern.<br />

Wir sorgen für bessere Aufstiegsmöglichkeiten


112 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

Anpacken! Mitbestimmen! Gemeinsam etwas erreichen! Ehrenamtliches Engagement und lokale Demokratie<br />

ANPACKEN! MITBESTIMMEN!<br />

GEMEINSAM ETWAS ERREICHEN!<br />

EHRENAMTLICHES ENGAGEMENT<br />

UND LOKALE DEMOKRATIE<br />

Die kleinsten Kicker des TuS Holsterhausen in Essen sind gerade mal vier Jahre alt.<br />

Die taktische Finesse von Dreier-Abwehrketten steht noch nicht auf dem Trainingsprogramm.<br />

Noch geht es um Grundsätzliches: Tore schießen ist gut, aber es ist nicht<br />

egal, in welches Tor man trifft. Die Geduld ihrer beiden Trainer ist sagenhaft, ihr<br />

Engagement nicht mit Geld aufzuwiegen. Denn sie bringen den zehn Jungs und zwei<br />

Mädchen Tugenden nahe, die viel wichtiger sind, als Tore zu schießen: Teamgeist,<br />

Fairness und Respekt. Sie geben den Kindern derart viel Selbstbewusstsein, dass sie<br />

auch Niederlagen aushalten können.<br />

Die beiden Jugendtrainer sind zwei<br />

von vielen tausend Menschen<br />

in Nordrhein-Westfalen, die ein<br />

Ehrenamt ausüben. Ohne sie gäbe<br />

es keinen Breitensport, keine gemeinnützigen<br />

Kulturangebote, weniger Naturschutz<br />

und keine freiwillige Feuerwehr. Sie übernehmen<br />

Verantwortung für ihre Mitmenschen,<br />

stiften Gemeinschaft und sorgen für Zusammenhalt<br />

und Lebensqualität in ihrer Stadt. Wer sich<br />

ehrenamtlich engagiert, kümmert sich um Dinge,<br />

um die sich der Staat nicht – oder nur schlecht –<br />

kümmern könnte und die man besser nicht dem<br />

Markt überlässt. Es gehört zu den vornehmlichen<br />

Aufgaben der Politik, das Ehrenamt zu schützen<br />

und zu fördern.<br />

Ehrenamtliches Engagement braucht Zeit, Räume<br />

und Plätze, natürlich auch finanzielle Unterstützung<br />

und Schutz vor rechtlichen Risiken. Und<br />

noch etwas anderes ist wichtig: Wer etwas für<br />

das Gemeinwohl tun möchte, erwartet zu Recht<br />

Beinfreiheit und Gestaltungsspielräume. Solche<br />

Spielräume wollen wir nicht nur ausweiten, wir<br />

wollen auch neue schaffen. Die Politik – insbesondere<br />

die Kommunalpolitik – kann weitaus<br />

mehr von den vielen gemeinnützigen Vereinen<br />

und ehrenamtlich Aktiven profitieren, als sie es<br />

ohnehin schon tut. Für die allermeisten Ehrenamtlichen<br />

ist ihr Engagement kein Opfer, sondern<br />

eine Bereicherung. Warum? Weil sie etwas bewegen,<br />

weil ihr Engagement wirkt. Genau diese<br />

Erfahrung können Menschen auch in der Kommunal-<br />

und Quartierspolitik machen. Denn sie<br />

besteht in konkretem Handeln auf kleinem Raum<br />

mit großer Wirkung – vorausgesetzt, die Politik<br />

sorgt für neue Gestaltungsspielräume und mehr<br />

Mitbestimmungsmöglichkeiten vor Ort. Und genau<br />

das werden wir tun.<br />

DEMOKRATIE VOR ORT:<br />

MEHR ALS WÄHLEN UND ABSTIMMEN<br />

In einer Demokratie sind Bürgerinnen und Bürger<br />

weder Bittsteller noch „Kunden“. „Alle Staatsgewalt<br />

geht vom Volke aus“ heißt es in Artikel 20<br />

des Grundgesetzes. Die Bürgerinnen und Bürger<br />

sind der Souverän. Es ist ihr Land, ihre Stadt und


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Anpacken! Mitbestimmen! Gemeinsam etwas erreichen! Ehrenamtliches Engagement und lokale Demokratie 113<br />

ihre Heimat. Ihr Wille muss für Politik und Verwaltung<br />

verbindlich sein. Die SPD-Fraktion hat<br />

in den vergangenen Jahren die Kommunalverfassung<br />

demokratisiert und vor allem die direkte<br />

Demokratie ausgebaut – sowohl im Land als<br />

auch in unseren Städten und Gemeinden. Aber<br />

eine lebendige Demokratie zeichnet sich nicht<br />

nur durch freie Wahlen und Abstimmungen aus.<br />

Wenn Bürgerinnen und Bürger jenseits von Wahlen<br />

und Plebisziten mit anpacken, sich einbringen<br />

und sich beteiligen, können sie auch politisch<br />

viel bewirken und verändern.<br />

Wir wollen neue Formen demokratischer Mitbestimmung<br />

einführen, die den Bürgerinnen und<br />

Bürgern mehr Verantwortung und Gestaltungsspielräume<br />

in ihren Stadtteilen und Quartieren<br />

überträgt. Denn die Einwohner eines Stadtteils<br />

sind „Experten“ für alles, was vor ihrer Haustür<br />

passiert. Ihr Wissen und ihre Bedürfnisse sollen<br />

durch Konsultationsverfahren in die politische<br />

Entscheidungsfindung eingehen. Das Vorbild<br />

sind sogenannte Mediationsverfahren, in denen<br />

Erfahrungsaustausch, Bürgerexpertise und Konsens<br />

im Mittelpunkt stehen, nicht Mehrheit und<br />

Hierarchie.<br />

Wir wollen politische Beteiligungsformen, für<br />

alle Menschen in einem Stadtteil oder Quartier.<br />

Das gilt insbesondere auch für jene Bewohner,<br />

die sich von demokratischen Beteiligungsverfahren<br />

nicht – oder nicht mehr – angesprochen<br />

fühlen, z. B. Menschen mit geringem Einkommen<br />

oder mit Migrationsgeschichte.<br />

MITBESTIMMUNG IM QUARTIER: STADTTEIL-<br />

MANAGEMENT UND STADTTEILBUDGETS<br />

Die ehrenamtlich aktiven Bürgerinnen und Bürger<br />

verdienen professionelle Unterstützung. Deshalb<br />

wollen wir ihnen in jedem Stadtteil einen<br />

hauptamtlichen Quartiersmanager bzw. eine<br />

hauptamtliche Quartiersmanagerin an die Seite<br />

stellen.<br />

Sie werden die Bürgerinnen und Bürger beraten<br />

und von Aufgaben entlasten, für die Ehrenamtliche<br />

weder Zeit noch Muße haben (wie z. B.<br />

Koordinations- und Bürokratieaufgaben). Um<br />

ihren Stadtteil oder ihr Quartier gestalten zu<br />

können, müssen sich sowohl die Bürgerinnen<br />

und Bürger als auch das hauptamtliche Quartiersmanagement<br />

auf die Unterstützung durch<br />

die Verwaltung verlassen können.<br />

In jedem Quartier wird es ein Forum geben, in<br />

dem seine Einwohner gemeinsam beraten, welche<br />

konkreten Ziele in ihrer Nachbarschaft verwirklicht<br />

werden sollten und welche Prioritäten<br />

gesetzt werden müssen. Zudem soll jeder Stadtteil<br />

ein Budget erhalten, über das er selbst entscheiden<br />

kann. An diesen Entscheidungsprozessen<br />

sind alle relevanten Akteure im Quartier zu<br />

beteiligen – von den Bürgern bis hin zu Vereinen,<br />

Sozialverbänden oder Kirchen. Ihre Beschlüsse<br />

werden durch die Bezirksvertretungen oder – in<br />

kleineren Gemeinden – durch den Rat abgesichert.<br />

LOKALE DEMOKRATIE 20<strong>30</strong>: ENGAGEMENT,<br />

ALTERNATIVEN UND GESUNDE FINANZEN<br />

Eine lebendige Demokratie gibt es in jeder<br />

Gemeinde, in der es Menschen gibt, die anpacken,<br />

mitbestimmen und sich gemeinsam für ein besseres<br />

Leben vor Ort engagieren. Wir wollen, dass<br />

die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen<br />

mehr lokalpolitische Mitbestimmungsrechte<br />

erhalten und damit auch mehr demokratische<br />

Verantwortung für ihre Heimat. Doch<br />

mehr Mitbestimmungsrechte führen nur dann<br />

zu mehr Demokratie, wenn es auch in der<br />

Sache etwas zu entscheiden gibt. Wer eine lebendige<br />

Demokratie vor Ort will, muss auch dafür<br />

sorgen, dass Bürgerinnen und Bürger politische<br />

Alternativen entwickeln oder zumindest zwischen<br />

solchen entscheiden können. Der demokratische<br />

Entscheidungsspielraum darf nicht<br />

durch rechtliche oder finanzielle „Sachzwänge“<br />

derart eingeschränkt werden, dass nur noch<br />

die Verfahren, aber nicht mehr die Inhalte


114 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

Anpacken! Mitbestimmen! Gemeinsam etwas erreichen! Ehrenamtliches Engagement und lokale Demokratie<br />

kommunalpolitischer Entscheidungen demokratischen<br />

Grundsätzen genügen.<br />

Wovon hier die Rede ist? Zum einen von dem in<br />

Artikel 28 des Grundgesetzes verankerten Recht<br />

einer jeden Gemeinde, „alle Angelegenheiten der<br />

örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze<br />

in eigener Verantwortung zu regeln“. Dieses<br />

Recht werden wir schützen und,<br />

wo möglich, die kommunalpolitische<br />

Selbstbestimmung wieder<br />

stärken.<br />

Zum anderen reden wir über<br />

Geld. Lokale Demokratie verlangt<br />

politische Handlungsfähigkeit.<br />

Und politische Handlungsfähigkeit<br />

setzt finanzielle<br />

Handlungsfähigkeit voraus. Wer<br />

kein Geld hat, kann wenig entscheiden<br />

und noch weniger gestalten – da<br />

helfen weder Volksentscheide noch andere Entscheidungsverfahren.<br />

Kurzum: Ein chronisches Haushaltsdefizit ist<br />

immer auch ein Demokratiedefizit. Außerdem<br />

leidet die öffentliche Lebensqualität, weil die<br />

Mittel für notwendige Investitionen fehlen.<br />

Wir werden die Haushaltskrisen in den betroffenen<br />

Städten und Gemeinden beenden und<br />

allen Kommunen zu neuer Handlungsfähigkeit<br />

verhelfen. Mit der Hilfe des Landes werden sie<br />

ihre Defizite zunächst ausgleichen und dann in<br />

Überschüsse verwandeln können. Wir haben<br />

dazu eine Strategie entwickelt, die seit 2010 umgesetzt<br />

wird.<br />

Mit Erfolg! Unser Ziel ist bereits in Sichtweite.<br />

Denn wir packen das Problem an seiner<br />

Wurzel:<br />

» EIN<br />

CHRONISCHES<br />

HAUSHALTS-<br />

DEF IZIT IST<br />

IMMER AUCH EIN<br />

DEMOKRATIE-<br />

DEFIZIT«<br />

EINE GERECHTE AUFTEILUNG VON<br />

SOZIALLEISTUNGEN<br />

Der Hauptgrund für die Haushaltsdefizite in vielen<br />

Kommunen sind die stetig steigenden Kosten<br />

für Sozialleistungen, wie z. B. Wohnkosten<br />

für Langzeitarbeitslose, Eingliederungshilfen<br />

für behinderte Menschen oder die Kinder- und<br />

Jugendhilfe. Der Bund beschließt, wer diese Leistungen<br />

in welcher Höhe erhält.<br />

Aber die Kommunen müssen<br />

sie bezahlen. Das ist keine faire<br />

Aufteilung. Der Bund muss unsere<br />

Städte und Gemeinden von<br />

solchen Kosten befreien. Dafür<br />

haben wir mit Erfolg gekämpft.<br />

Wir konnten durchsetzen, dass<br />

der Bund seit 2014 die Kosten für<br />

die Grundsicherung im Alter und<br />

die Erwerbsminderung vollständig<br />

übernimmt – also all jene unterstützt,<br />

die aus gesundheitlichen oder Altersgründen<br />

nicht allein für ihren Lebensunterhalt<br />

aufkommen können. Die entsprechenden Entlastungen<br />

für die nordrhein-westfälischen Kommunen<br />

betragen 2016 rund 1,7 Milliarden Euro.<br />

Ein weiterer Erfolg ist das kommunale Investitionsprogramm<br />

für Straßen, Krankenhäuser oder<br />

Kitas: Über eine Milliarde Euro fließen nach <strong>NRW</strong>.<br />

Eine weitere Entlastung steht noch aus: Der Bund<br />

hat zugesichert, alle Städte und Gemeinden ab<br />

2018 um fünf Milliarden Euro zu entlasten.<br />

DER STÄRKUNGSPAKT STADTFINANZEN<br />

Für insgesamt 61 überschuldete oder von Überschuldung<br />

bedrohte Kommunen stellen das Land<br />

und die kommunale Solidargemeinschaft Konsolidierungshilfen<br />

in Höhe von 5,7 Milliarden Euro bis<br />

2020 zur Verfügung. Die Kommunen verpflichten<br />

sich im Gegenzug dazu, bis 2021 einen aus eigener<br />

Kraft ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Der<br />

Stärkungspakt ist ein Erfolg. Noch 2010 konnten<br />

138 Kommunen nur einen Nothaushalt vorlegen<br />

und mussten sich strengen Auflagen der Kommunalaufsicht<br />

unterwerfen. Im Jahr 2015 befanden<br />

sich nur noch neun Städte in dieser Notsituation.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Anpacken! Mitbestimmen! Gemeinsam etwas erreichen! Ehrenamtliches Engagement und lokale Demokratie 115<br />

HÖHERE ZUWEISUNGEN AUS<br />

DEM LANDESHAUSHALT<br />

Wir erhöhen kontinuierlich die Zuweisungen des<br />

Landes an unsere Städte und Gemeinden: seit<br />

2010 auf rund 10,4 Milliarden Euro. Das ist ein<br />

Anstieg um fast <strong>30</strong> Prozent! Insbesondere Kommunen<br />

mit hohen Ausgaben für Sozialleistungen<br />

profitieren von den Zuweisungen des Landes.<br />

Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit:<br />

Sparen durch Vorbeugen!<br />

Das wirksamste Mittel, um Ausgaben für Sozialleistungen<br />

zu senken, ist noch immer, soziale<br />

Notlagen zu verhindern. Wer in Bildung, Gesundheitsvorsorge<br />

und Chancengleichheit investiert,<br />

muss später kein Geld für Arbeitslosigkeit,<br />

Zuschüsse zur Miete oder Therapien ausgeben.<br />

Im Gegenteil: Mit jedem Kind, das wir nicht zurücklassen,<br />

gewinnt unsere Gesellschaft einen<br />

Facharbeiter, eine Ingenieurin oder einen Wissenschaftler<br />

mehr. Unternehmen gewinnen<br />

Fachkräfte, die staatliche Gemeinschaft Steuereinnahmen<br />

und immer mehr Menschen die<br />

Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Das<br />

ist der Ansatz unserer vorbeugenden Bildungsund<br />

Sozialpolitik. Wir werden dafür sorgen, dass<br />

es in allen Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen<br />

lückenlose Präventionsketten<br />

gibt. Wenn sich (Bildungs-)Armut nicht mehr<br />

vererbt und die Berufs- und Lebenschancen eines<br />

Kindes nicht mehr durch den sozialen Status der<br />

Eltern eingeschränkt werden, dann öffnen sich<br />

auch neue finanzielle Handlungsspielräume für<br />

unsere Städte und Gemeinden.<br />

Soziale Gerechtigkeit sorgt für gesunde<br />

Finanzen!


116 HEIMAT BEGINNT VOR DER HAUSTÜR!<br />

Ein Land der Kultur ist ein Land der Zukunft: Gemeinschaft braucht die Künste und Orte der Kultur<br />

EIN LAND DER KULTUR IST<br />

EIN LAND DER ZUKUNFT:<br />

GEMEINSCHAFT BRAUCHT DIE KÜNSTE<br />

UND ORTE DER KULTUR<br />

Nordrhein-Westfalen zeichnet sich durch ein dynamisches, vielfältiges<br />

und innovatives Kulturleben aus, das weltweit seinesgleichen sucht<br />

Von der Hoch- und Weltkultur bis hin zu einer Laienkulturszene, die sich über das<br />

ganze Land erstreckt – zusammen mit unseren Städten und Gemeinden werden wir<br />

diese einzigartige Kulturlandschaft schützen und weiterentwickeln.<br />

Es geht um kulturelle Daseinsvorsorge,<br />

kulturelle Bildung und die Bewahrung<br />

unseres kulturellen Erbes, die Digitalisierung<br />

und die Erinnerungskultur;<br />

natürlich auch um die Unterstützung,<br />

Ausbildung und Förderung von Künstlern und<br />

ihren Werken.<br />

Nicht zuletzt: Eine inklusive und integrierende<br />

Gesellschaft – eine Gesellschaft für alle – braucht<br />

auch eine inklusive Kulturpolitik.<br />

Nordrhein-Westfalen wird 20<strong>30</strong> mehr denn je ein<br />

Land der kulturellen Vielfalt, Dynamik und auch<br />

Bildung sein – in den Städten und im ländlichen<br />

Raum.<br />

EIN FLÄCHENDECKENDES<br />

KULTURANGEBOT FÜR <strong>NRW</strong><br />

Wir werden ein flächendeckendes Kulturangebot<br />

in allen Teilen des Landes sicherstellen. Wir<br />

wollen den dauerhaften Erhalt unserer Theater,<br />

Bibliotheken, Musikschulen, Museen, Opern,<br />

Orchester und anderer kultureller Einrichtungen.<br />

Deshalb werden wir gemeinsam mit den<br />

Kommunen die Kultureinrichtungen in Nordrhein-Westfalen<br />

stärken und mit ausreichend<br />

Geld ausstatten. Gleichzeitig werden wir uns im<br />

Bund dafür einsetzen, dass auch er zu einer auskömmlichen<br />

Finanzierung der Kommunen einen<br />

Beitrag leistet, damit diese ihre kommunalen<br />

Kultureinrichtungen unterhalten können. Wir in<br />

<strong>NRW</strong> werden den Theaterpakt und den Bibliotheksentwicklungsplan<br />

für <strong>NRW</strong> erneuern.<br />

Das Land fördert renommierte Kulturveranstaltungen<br />

und Festivals. Mit der Ruhrtriennale<br />

feiert es jährlich eine weltweit beachtete Kunstpräsentation.<br />

Die Spitzenkünstler aus <strong>NRW</strong> werden gefördert,<br />

ihre Werke und Arbeiten gilt es, in einem angemessenen<br />

Rahmen zu präsentieren. In den nächsten<br />

Jahren werden insbesondere Beethoven und<br />

Engels im Mittelpunkt stehen, deren 200. bzw.<br />

250. Geburtstag 2020 gefeiert wird und deren<br />

„Häusern“ sowie deren Präsenz besondere<br />

Beachtung zukommen soll. Dies gilt auch für<br />

Pina Bausch. Ihre Arbeiten und ihr Archiv werden<br />

im Internationalen Tanzzentrum eine neue Verortung<br />

und Strahlkraft finden. Ebenso ist das Werk<br />

von Joseph Beuys weiterhin herauszuheben und<br />

einer wissenschaftlichen Erforschung stärker<br />

zugänglich zu machen.


<strong>Abschlussbericht</strong> <strong>NRW</strong> Zweitausend-<strong>30</strong><br />

Ein Land der Kultur ist ein Land der Zukunft: Gemeinschaft braucht die Künste und Orte der Kultur 117<br />

Um Kunst und ihre Inhalte zu vermitteln, Werke<br />

zu erhalten und den Zugang dazu für viele leichter<br />

zu gestalten, ist die Digitalisierung in allen<br />

Sparten auszubauen, konsequent zu planen und<br />

umzusetzen.<br />

GUTE ARBEIT FÜR NORDRHEIN-WESTFALENS<br />

KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLER<br />

Nordrhein-Westfalen ist ein Land der Künstlerinnen<br />

und Künstler. Es soll auch ein Land für Künstlerinnen<br />

und Künstler sein. Für alle Beschäftigten<br />

im öffentlichen Kulturbereich müssen gute und<br />

faire Arbeitsbedingungen gelten. Dazu gehören<br />

auch die Förderung der künstlerischen Ausbildung<br />

und ein größeres Angebot an Aufführungsmöglichkeiten,<br />

zudem mehr Werkschauen, Auftragsarbeiten<br />

und Ankaufsetats. Wir werden das<br />

Angebot an Fördermöglichkeiten ausbauen, z. B.<br />

durch Preise, Stipendien, Residenzen, Zuschüsse<br />

zu Produktionsräumen oder Projekten. All diese<br />

Angebote werden wir in einem Programm zur<br />

individuellen Künstlerförderung bündeln. Über<br />

eine Internetplattform werden wir Förder- und<br />

Vernetzungsmöglichkeiten bewerben und Informationen<br />

aufbereiten.<br />

EINE KULTUR DES MITEINANDERS BRAUCHT DIE<br />

KÜNSTE UND KULTURELLE EINRICHTUNGEN<br />

Kunst und Kultur sind ein wichtiges Element<br />

eines selbstbestimmten Lebens. Das Versprechen<br />

der sozialen Demokratie, Anteil an gesellschaftlichem<br />

Fortschritt, ökonomischer Prosperität<br />

und demokratischer Mitbestimmung für<br />

alle zu ermöglichen, wird nur eingelöst, wenn<br />

jeder Mensch auch Zugang zu Kunst und Kultur<br />

hat. Denn sie stiften Gemeinschaft, fördern<br />

die individuelle Freiheit und regen zur Reflexion<br />

gesellschaftlicher Identitäten und Traditionen<br />

an. Sie stellen sie in Frage und begründen sie<br />

neu. Ohne Kunst und Kultur gibt es keine offene<br />

Gesellschaft.<br />

KULTUR DER ERINNERUNG PFLEGEN<br />

UND FORTSETZEN<br />

Um eine lebenswerte Zukunft vorzudenken und<br />

aktuellen und zukünftigen Aufgabenstellungen<br />

gewachsen zu sein, bedarf es eines Wissens um<br />

die Vergangenheit. Hierbei spielen die historischen<br />

Erlebnisse und Erfahrungen besonders des<br />

Holocaust, der Weltkriege des 20. Jahrhunderts,<br />

von Migration, Flucht und Vertreibung sowie<br />

von Zuwanderung und Integration in unser Land<br />

eine wichtige Rolle. Auch die Geschichte Nordrhein-Westfalens<br />

gehört dazu. Diese Erinnerungskultur<br />

werden wir pflegen und erhalten, was vor<br />

allem bedeutet: Wir werden sie auskömmlich<br />

finanzieren.<br />

EIN KULTURFÖRDERPLAN FÜR<br />

NORDRHEIN-WESTFALEN<br />

Wir werden einen Kulturförderplan für <strong>NRW</strong><br />

aufstellen. In einem landesweiten Diskurs sollen<br />

Schwerpunkte, Rahmenbedingungen und Ziele<br />

für Kunst und Kultur in <strong>NRW</strong> identifiziert werden.<br />

Gleichzeitig soll ein Bericht über Aussichten und<br />

Verfassung der Künste mit all ihren Sparten und<br />

Einrichtungen Auskunft geben. Die Kulturpolitik<br />

in <strong>NRW</strong> soll in Zukunft wissenschaftlich begleitet<br />

und evaluiert werden.


HERAUSGEBER<br />

SPD-Fraktion im Landtag <strong>NRW</strong><br />

Marc Herter MdL<br />

Parlamentarischer Geschäftsführer<br />

Platz des Landtags 1<br />

40221 Düsseldorf<br />

BEZUGSADRESSE<br />

SPD-Fraktion im Landtag <strong>NRW</strong><br />

Pressestelle<br />

Platz des Landtags 1<br />

40221 Düsseldorf<br />

oder unter<br />

@<br />

SPD-Fraktion@landtag.nrw.de<br />

www.spd-fraktion.nrw<br />

twitter.com/spd_fraktion_nw<br />

facebook.com/spdfraktionnrw<br />

TEXT<br />

Dr. Gordian Ezazi<br />

Dr. Timo Grunden<br />

Shazia Saleem<br />

Edgar Voß<br />

GESTALTUNG<br />

V-FORMATION – Agentur für visuelle Kommunikation<br />

Diese Veröffentlichung der SPD-Fraktion im Landtag <strong>NRW</strong><br />

dient ausschließlich der Information. Sie darf während<br />

eines Wahlkampfs nicht als Wahlwerbung verwendet werden.<br />

Stand: November 2016


www.spd-fraktion.nrw

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