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Es ist Sonntag. Endlich habe ich mal einen Tag<br />
frei und kann ausschlafen, auch Malik bleibt<br />
zu Hause. Am Nachmittag kommt Josy mich<br />
besuchen. Natürlich sprechen wir über die Arbeit,<br />
ich verfluche Nando des öfteren und schwärme<br />
ihr gleichzeitig von Rafael vor. Schon seit einiger<br />
Zeit weiß ich, dass Josy unerklärlicherweise<br />
unheimlich in unseren Chef Casper verliebt ist,<br />
der sicherlich zehn Jahre älter ist, aber weder<br />
dies, noch die Tatsache, dass er etwas kräftiger ist,<br />
scheinen sie zu stören. Ich kann nicht glauben, was<br />
für eine Wirkung erfolgreiche mächtige Männer<br />
auf Frauen haben, und wieder wandern meine<br />
Gedanken zu dem aufgeblasenen Kerl Nando. Ich<br />
koche gerade für uns Nudeln, da meine Mutter<br />
arbeitet, als plötzlich völlig aufgelöst Malik und<br />
sein Freund Petro von draußen hereingestürmt<br />
kommen. »Lina, du musst mir helfen, ich habe<br />
meinen Ball verloren und bekomme ihn nicht<br />
mehr da raus«, erklärt Malik mit Händen und<br />
Füßen. Petro schnappt nach Luft, offenbar sind<br />
sie die Treppen hochgestürmt. »Deinen Ball? Den<br />
ich dir erst letzte Woche gekauft habe?« Ich ziehe<br />
meine Augenbrauen mahnend hoch und Josy<br />
lacht. »Na kommt, wir helfen euch. Wo ist er den<br />
hingefallen?« Josy hat einen Narren an meinem<br />
kleinen Bruder gefressen, was nicht verwunderlich<br />
ist. Mit seiner süßen Art und seinen großen Augen<br />
gewinnt er jedes Herz für sich.<br />
Ich stelle den Herd ab und schließe hinter uns die<br />
Haustür. »In ein Auto ist er gefallen«, erklärt Petro<br />
noch immer außer Atem. Josy und ich bleiben beide<br />
stehen. »Wohin?« Malik wirbelt zu uns herum.<br />
»Wir haben das nicht gesehen, ich habe einen<br />
Schuss gemacht, so wie Ronaldo, und plötzlich kam<br />
der Wind und der Ball ist zum Fenster des Autos<br />
geflogen.« Ich fluche leise. »Madre Mia, Ronaldo?<br />
Also, verdammt Malik, du musst besser aufpassen!«<br />
Wir überqueren die Straße zum Fußballplatz, der<br />
gegenüber von unserem Haus liegt. Malik führt<br />
uns ein Stück die Straße entlang und bleibt dann<br />
vor einem Auto stehen. »Scheiße«, murmele ich<br />
leise, als ich dieses erblicke. Nein, Malik konnte<br />
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kein Auto aus der Gegend beschießen, nein, er<br />
musste einen riesigen silbernen Mercedes treffen.<br />
So ein teures Auto habe ich hier noch nie gesehen.<br />
Die hintere Scheibe ist zersplittert, und auf dem<br />
Rücksitz liegt Maliks Ball. »Klasse. Und jetzt?«<br />
Josy lacht. »Komm, ich stehe Schmiere und du<br />
holst ihn schnell heraus, dann hauen wir alle ab.«<br />
Malik klatscht begeistert bei Josy ein, doch in dem<br />
Moment sehe ich, wie genau gegenüber die Tür zu<br />
einem sehr guten Tortilla-Laden aufgeht.<br />
Ich kann nicht glauben, wie grausam das Schicksal<br />
sein kann, als ich erkenne, wer da auf das Auto<br />
zusteuert. Nando, zwei weitere Männer und zwei<br />
Frauen kommen aus dem Laden und steuern<br />
direkt auf das Auto zu. Die Frauen schauen<br />
angeekelt auf die Straße, offensichtlich kommen<br />
sie nicht oft in diese Gegend, die Männer beißen<br />
allerdings genüsslich in ihre Tortillas. Das gibt es<br />
doch nicht, was für ein verdammter Zufall ist das<br />
denn? Ich verschränke die Arme, als Nando mich<br />
sieht und überrascht, aber doch grinsend auf uns<br />
zukommt. Jetzt erkenne ich die beiden Männer<br />
neben ihm auch, sie sind fast immer mit ihm im<br />
Club. Wie immer sehen alle aus, wie frisch aus<br />
einem Modemagazin entsprungen. Ich sehe kurz<br />
an mir herunter. Heute bin ich das totale Gegenteil<br />
von dem, was ich im B.B. zu repräsentieren<br />
versuche. Meine Haare sind zu einem Zopf nach<br />
oben gebunden, ich trage einen langen Rock und<br />
ein weißes Top, dazu einfache Flipflops. Ich frage<br />
mich, wie die Frauen überhaupt in ihren Stilettos<br />
und dem Minirock laufen können.<br />
»Layla, was für eine Überraschung. Was tust du denn<br />
hier?« Nando kommt näher und sieht einen Moment<br />
erstaunt zu Malik, der sich an mich klammert und<br />
sich leicht hinter meinem Rock versteckt. Offenbar<br />
hat Nando diese einschüchternde Wirkung nicht<br />
nur auf Erwachsene. Er nickt Josy zu und sieht<br />
mich abwartend an. Ich will gerade etwas sagen,<br />
als einer der anderen Männer laut flucht und<br />
sich die Scheibe ansieht. Nando sieht von der<br />
kaputten Scheibe zu Malik, der anfängt zu weinen<br />
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und scheint zu verstehen. »Ist das dein Sohn?«<br />
Ist ja klar, wer in so einer Gegend wohnt, kann<br />
ja nur mit 16 schwanger sein. »Nein, das ist mein<br />
Bruder. Hör zu, das war keine Absicht, es tut ihm<br />
leid, ich bezahle die Reparatur. Gib mir einfach<br />
die Rechnung, wenn du das nächste Mal ins B.B.<br />
kommst.« Ich habe zwar nicht mal annähernd eine<br />
Ahnung, wie ich das jemals bezahlen soll, aber<br />
was soll ich sonst sagen? Malik zieht an meinem<br />
Rock. »Der Ball, können wir den wieder haben?«<br />
Er schluchzt leise und ich kann meinem kleinen<br />
Liebling nicht böse sein, schon gar nicht, wenn er<br />
weint. Nando lächelt, hockt sich hin, so dass er in<br />
einer Höhe mit Malik ist und winkt ihn zu sich.<br />
Etwas unsicher geht dieser zu ihm. »Hey kleiner<br />
Mann, wie heißt du?«<br />
»Malik«, mein Bruder sieht immer wieder zu<br />
dem kaputten Fenster, hinter dem sein Ball liegt.<br />
»Malik ... du hast genauso schöne Augen wie deine<br />
Schwester, weißt du das?« Malik lacht leise. »Ja,<br />
meine Schwester ist die Schönste. Petro liebt sie<br />
auch.« Er zeigt auf seinen Freund, der neben mir<br />
steht und rot anläuft, so dass selbst ich lächeln<br />
muss, so unangenehm ich diese Situation auch<br />
finde. Nando lacht und geht zum Auto, er holt<br />
den Ball heraus, und die Frauen beschweren sich<br />
lauthals, wie sie jetzt in dem Auto sitzen sollen.<br />
Malik tritt ein paar Schritte zurück, als die beiden<br />
anderen Männer, die bisher das Ganze ruhig<br />
beobachtet haben, näher kommen.<br />
»Du brauchst keine Angst zu haben, Malik. Ich<br />
bin Fernando …Nando, deine Schwester und ich<br />
kennen uns. Das hier ist mein Bruder José.« Er zeigt<br />
auf einen der Männer, und ich erkenne jetzt auch<br />
die Ähnlichkeit zwischen ihnen. »Und mein bester<br />
Freund Alonzo«. Die Männer nicken meinem<br />
kleinen Bruder kurz zu, aber man sieht ihnen an,<br />
dass sie genauso wenig wie ich eine Vorstellung<br />
haben, was Nando da gerade macht. Alonzo fängt an,<br />
die Glasscherben aus dem Auto zu entfernen, und<br />
langsam wird mir das zu merkwürdig. »Okay, also<br />
wie gesagt, gib mir die Rechnung und ich bezahle<br />
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sie.« Nandos Blick wandert zu mir, unsere Augen<br />
begegnen sich, genau das, was ich seit unserem<br />
Aufeinanderprallen vermieden habe, denn ab und<br />
zu konnte ich es nicht verhindern, dass ich an diese<br />
ungewollte, aber nicht unangenehme Nähe denken<br />
musste. Und das letzte, was ich gebrauchen kann,<br />
ist, dass dieser Typ weiß, dass ich ihn nicht so ganz<br />
aus meinen Gedanken halten kann. Als ich den<br />
Augenkontakt schnell wieder abbreche, lächelt<br />
Nando und beugt sich wieder zu Malik. »Weißt du<br />
was, kleiner Mann? Ich habe eine Idee, wie wir das<br />
Ganze hier einfach vergessen. Wie findest du das?«<br />
Malik lächelt. »Das wäre so toll, wir haben nämlich<br />
kein Geld.« Ich merke, wie die Frauen die Hand<br />
vor den Mund schlagen. »Der arme Kleine!« Ich<br />
werde wütend. »Okay Malik, komm her Schatz,<br />
das reicht, ich kläre das schon.« Malik will sich<br />
gerade zu mir umdrehen, doch Nando stoppt<br />
ihn, indem er Maliks kleine Hand in seine große<br />
nimmt. Er sieht mich an, und ich merke, dass ich<br />
mich schäme, vor ihm so dazustehen. Nicht mehr<br />
die Frau aus dem B.B., sondern die Wahrheit. In<br />
einer dreckigen, armen Gegend, mit Klamotten,<br />
die nicht mal so viel kosten, wie ein Lippenstift der<br />
Frauen, mit denen er sich abgibt und dass er jetzt<br />
schwarz auf weiß gehört hat, dass es so ist, dass wir<br />
kein Geld haben. Eigentlich sollte es mir egal sein,<br />
was er, was irgendwer von mir hält, aber ich merke,<br />
dass es nicht so ist, und das macht mich wütend<br />
auf mich selbst. Nando wuschelt über Maliks Kopf.<br />
»Wo wohnt ihr?« Malik deutet mit seinem Kopf zu<br />
unserem Haus und sieht dann wieder zu Nando.<br />
»Okay, wenn du verrätst, wie deine hübsche<br />
Schwester heißt, vergessen wir das alles« Malik<br />
lacht laut. »So einfach geht das?« Nando zuckt<br />
die Schultern. »Das ist gar nicht so einfach, deine<br />
Schwester dazu zu bekommen, mir das zu sagen,<br />
also bitte ich dich und dafür vergessen wir das, und<br />
du bekommst deinen Ball wieder. Der ist übrigens<br />
klasse, wie der von Ronaldo.« Malik öffnet erstaunt<br />
seinen Mund und ich seufze leise, jetzt hat er Malik<br />
für sich gewonnen.<br />
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»Lina … also Celina, aber alle nennen sie Lina.«<br />
Nando lächelt und gibt Malik den Ball. »Okay,<br />
kleiner Mann, danke für die Information, das<br />
war mir mehr als eine Autoscheibe wert. Sag<br />
deiner sturen Schwester, wir haben das unter uns<br />
geklärt, wie richtige Männer.« Malik strahlt und<br />
schlägt bei Nando ein, bevor er mit Petro wieder<br />
auf den Fußballplatz läuft. »Malik, ich koche<br />
gerade, sei in zwanzig Minuten zu Hause«, rufe<br />
ich ihm schnell hinterher, er dreht sich während<br />
des Rennens zu mir um. »Dürfen Petro und sein<br />
Bruder auch kommen?« Ich nicke, »von mir aus,<br />
aber seid pünktlich.« Dann wende ich mich wieder<br />
zu Nando, der das Ganze beobachtet, während<br />
alle anderen langsam ins Auto einsteigen. »Ich<br />
bezahle die Scheibe, es kommt gar nicht in Frage<br />
… « Nando grinst nur. »Meine Güte, bist du stur,<br />
ich will kein Geld von dir … Celina. Vergiss es<br />
einfach.« Mit diesen Worten dreht er sich um und<br />
geht zur Fahrertür. »Nein… ich vergesse es nicht<br />
… ich werde«, bevor Nando einsteigt, sieht er mich<br />
mit einem undefinierbaren Blick an. »Ich werde<br />
nichts nehmen Celina, also vergiss es einfach.« Ich<br />
verschränke die Arme und sehe zu, wie Nando aus<br />
der Parklücke fährt.<br />
»Lina … nicht Celina ... Lina«, murmele ich leise<br />
und ziehe die nur noch grinsende Josy hinter mir<br />
zur Wohnung zurück.<br />
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