Agoraphobie-Patienten erzählen – Sprachliche Verfahren bei der ...

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Bsp.(27) Thomas (CD ab 03:11) 93 Tho MANCHE sind halt (.) ham wahrscheinlich noch ANdere komplEXe oder so, 94 manche ham WIRklich NUR das, 95 beziehungsweise ICH hab zum beispiel meine äh die soZIALphobIE noch dazu, 96 allerdings ↓GANZn(.) ich schWIMM noch irgendwo an der OBERfläche .h; Der Sprecher positioniert sich innerhalb "seiner" Kategorie "an der OBERfläche" (96) und distanziert sich deutlich, das zeigt sich im gesamten Gespräch, von schwerer Betroffenen oder stärker eingeschränkten Mitgliedern dieser Gruppe (vgl. z.B. Thomas: 91-106; 114-117; 423-437; 550-558). Alle Sprecher zeigen die Tendenz, sich selbst durch die Dokumentation von Kampf- geist, Anpassung, Gelehrigkeit oder Verarbeitung im oberen Teil der Paniker- Hierarchie zu positionieren. Sie betonen die eigene Normalität in Bezug auf andere Angsterkrankte und Anomalie in Bezug auf die Gegenkategorie der Gesunden. 5.2.2 Die Dokumentation von Verarbeitung Die Dokumentation von Verarbeitungsleistung bei der Darstellung und Herstellung von Identität, ist ein Verfahren der Selbstpositionierung innerhalb der Paniker- Kategorie: Bsp. (28) Pascal (CD ab 14:57) 552 Pa und dann hab ich IRgendwann, 553 IRgendwann einfach begrIffen, 554 gesagt , 555 ; 556 - 557 Ju mhm 558 Pa , 559 ich HAB mich nIch mit ANgefreundet, 560 aber ich HAB=s akzep↑TIErt, "IRgendwann" habe er "einfach begrIffen", dass die Angst "n TEIL" von ihm", "irgendwas (.) IN" ihm ist und es "akzep↑TIErt", sagt Pascal. Er beschreibt einen Verarbeitungs- oder Bewältigungsprozess der eigenen Person, den er an vielen Stellen des Gesprächs relevant setzt. 78

Ein Vorher und ein Nachher werden einander gegenübergestellt: In der Zeit "daVOR" habe er immer "gegen die angst (.) ANgekämpft", sie "IMmer als FEIND betrachtet" (s. 536-541) und sich gefragt " WArum is irgendwie der fluch auf MIR>?" (550). Aber "nachDEM" er "das dann irgendwo dann KOMplett einfach SO […] ANgenommen" habe, sei "es wIrklich (.) NUR noch bergAUF gegangen" (s. 618-626). Pascal spricht davon in der ersten Therapie wIrklich "ABsolut kONtraproduktiv auch gegen die therapEUten auch gearbeitet" zu haben und versucht zu haben "was die erzählt haben, […] nIEder zu diskutieren" (214-217). Er problematisiert das vergangene Ich deutlich und sieht in dessen Verhalten die unmittelbare Ursache für den fehlenden Therapieerfolg: "weil ich mich EINfach wahrscheinlich von vOrne herein dagegen gewEhrt habe" (209). Pascal setzt sich in der Erzählsituation direkt mit seinem vergangenen Ich auseinander, bewertet es und distanziert sich deutlich von dessen Sicht- und Handlungsweisen. Dadurch wird eine "selbstbezügliche Positionierung seines gegenwärtigen Selbst" vorgenommen (Lucius- Hoene/Deppermann 2004: 206), also Aussagen über die gegenwärtige Identität getroffen. Pascal vermittelt im Gespräch einen Verarbeitungsprozess, der mit der Korrektur der eigenen Haltung und Einstellung in der Vergangenheit einhergeht und präsentiert Verarbeitung als zentrales Kriterium seiner Identität. Diese Darstellung und Herstellung von Verarbeitungs-Identität wird in vielen Erzähl- passagen reproduziert. Der Vergleich unterschiedlicher Sequenzen zeigt, dass Pascal auf ein bestimmtes Repertoire an Motiven und Themen zurückgreift, um seinen Verarbeitungsprozess zu dokumentieren. Die Tabelle im Anhang "Motive und Themen zur Dokumentation von Bewältigung" (A8) nimmt eine Gegenüberstellung exemplarischer Gesprächspassagen vor. Es zeigt sich, dass die vier Themen (1) "Begreifen", (2) "Verinnerlichen" von (thera- peutischer) Theorie, (3) "nicht gegen die Angst kämpfen", sondern (4) "als Teil des Selbst annehmen", als zentrale Motive zur Herstellung von Verarbeitungs-Identität fungieren. Pascal rephrasiert, reformuliert und repetiert diese Themen an unterschiedlichen Stellen des Gesprächs. Varianten von Begreifen sind "EINsicht", "vernUnftsmäßig; kOpfmäßig; gefÜhlsmäßig" dahinterstehen oder "erkenntnis". Der Prozess des In-sich-Aufnehmens wird in zweierlei Hinsicht relevant gesetzt. Er 79

Ein Vorher und ein Nachher werden einan<strong>der</strong> gegenübergestellt: In <strong>der</strong> Zeit<br />

"daVOR" habe er immer "gegen die angst (.) ANgekämpft", sie "IMmer als FEIND<br />

betrachtet" (s. 536-541) und sich gefragt " WArum is irgendwie<br />

<strong>der</strong> fluch auf MIR>?" (550). Aber "nachDEM" er "das dann irgendwo dann KOMplett<br />

einfach SO […] ANgenommen" habe, sei "es wIrklich (.) NUR noch bergAUF<br />

gegangen" (s. 618-626).<br />

Pascal spricht davon in <strong>der</strong> ersten Therapie wIrklich "ABsolut kONtraproduktiv auch<br />

gegen die therapEUten auch gear<strong>bei</strong>tet" zu haben und versucht zu haben "was die<br />

erzählt haben, […] nIE<strong>der</strong> zu diskutieren" (214-217). Er problematisiert das<br />

vergangene Ich deutlich und sieht in dessen Verhalten die unmittelbare Ursache für<br />

den fehlenden Therapieerfolg: "weil ich mich EINfach wahrscheinlich von vOrne<br />

herein dagegen gewEhrt habe" (209). Pascal setzt sich in <strong>der</strong> Erzählsituation direkt<br />

mit seinem vergangenen Ich auseinan<strong>der</strong>, bewertet es und distanziert sich deutlich<br />

von dessen Sicht- und Handlungsweisen. Dadurch wird eine "selbstbezügliche<br />

Positionierung seines gegenwärtigen Selbst" vorgenommen (Lucius-<br />

Hoene/Deppermann 2004: 206), also Aussagen über die gegenwärtige Identität<br />

getroffen. Pascal vermittelt im Gespräch einen Verar<strong>bei</strong>tungsprozess, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong><br />

Korrektur <strong>der</strong> eigenen Haltung und Einstellung in <strong>der</strong> Vergangenheit einhergeht und<br />

präsentiert Verar<strong>bei</strong>tung als zentrales Kriterium seiner Identität.<br />

Diese Darstellung und Herstellung von Verar<strong>bei</strong>tungs-Identität wird in vielen Erzähl-<br />

passagen reproduziert. Der Vergleich unterschiedlicher Sequenzen zeigt, dass Pascal<br />

auf ein bestimmtes Repertoire an Motiven und Themen zurückgreift, um seinen<br />

Verar<strong>bei</strong>tungsprozess zu dokumentieren. Die Tabelle im Anhang "Motive und<br />

Themen zur Dokumentation von Bewältigung" (A8) nimmt eine Gegenüberstellung<br />

exemplarischer Gesprächspassagen vor.<br />

Es zeigt sich, dass die vier Themen (1) "Begreifen", (2) "Verinnerlichen" von (thera-<br />

peutischer) Theorie, (3) "nicht gegen die Angst kämpfen", son<strong>der</strong>n (4) "als Teil des<br />

Selbst annehmen", als zentrale Motive zur Herstellung von Verar<strong>bei</strong>tungs-Identität<br />

fungieren. Pascal rephrasiert, reformuliert und repetiert diese Themen an<br />

unterschiedlichen Stellen des Gesprächs. Varianten von Begreifen sind "EINsicht",<br />

"vernUnftsmäßig; kOpfmäßig; gefÜhlsmäßig" dahinterstehen o<strong>der</strong> "erkenntnis". Der<br />

Prozess des In-sich-Aufnehmens wird in zweierlei Hinsicht relevant gesetzt. Er<br />

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