Agoraphobie-Patienten erzählen – Sprachliche Verfahren bei der ...
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Schwierigkeiten <strong>der</strong> Identitätskonstitution führt (Lucius-Hoene/Deppermann 2004:<br />
49).<br />
Die raffende Darstellung <strong>der</strong> Zeit nach dem ersten Panikanfall ist typisch in den<br />
vorliegenden Gesprächen und impliziert, dass es einen Wendepunkt gibt, dessen<br />
Darstellung auf diese Weise vorbereitet wird. Diesen Wendepunkt stellt die<br />
Diagnosestellung durch einen Arzt dar.<br />
Dem "Ereignis" Diagnose, kommt sowohl aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Sprecher, als auch aus<br />
<strong>der</strong> analytischen Perspektive eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu.<br />
Die Betroffenen erinnern sich häufig an das genaue Datum (z.B. Tina I: 691f.) o<strong>der</strong><br />
betonen die persönliche Relevanz durch metadiskursive Kommentare zur<br />
Erinnerbarkeit (z.B. Pascal: 177). Für alle ist das Ereignis positiv konnotiert. Pascal<br />
betont das "rIEsen" (165) bzw. das "UNheimliche glück" (174), in einer Zeit, in <strong>der</strong><br />
es "SELBST professOren" gab, "die noch NIE .h von äh panikstörung gehört hatten"<br />
(166-168), auf einen jungen Assistenzarzt getroffen zu sein, <strong>der</strong> ihm "klipp und klar"<br />
(184) die Diagnose <strong>Agoraphobie</strong> gestellt habe. Auf seiner Homepage schreibt er<br />
unter <strong>der</strong> aussagekräftigen Überschrift "Über mich":<br />
Ich zweifelte so langsam an meinem Verstand, bis endlich ein junger, engagierter Assistenzarzt<br />
auftauchte und nach einem zehnminütigen Gespräch die Diagnose stellte:<br />
<strong>Agoraphobie</strong> mit Panikstörungen. Hatte ich im Leben noch nichts von gehört, aber<br />
endlich hatte die Krankheit einen Namen. (www.paniker.de)<br />
Die eindeutige Diagnose bedeutet, endlich die Ursache <strong>der</strong> Symptome zu kennen,<br />
endlich zu wissen, nicht herzkrank o<strong>der</strong> unheilbar krank zu sein und endlich<br />
behandelt werden zu können. Den <strong>Patienten</strong> wird rückwirkend Realität und<br />
Tatsächlichkeit ihres Erlebens attestiert, für das es zunächst keine medizinische<br />
Erklärung zu geben schien 84 .<br />
Die Diagnose einer Angststörung hat aber auch psycho-soziale Dimensionen für die<br />
Betroffenen. Pascal <strong>der</strong> das Ereignis aus <strong>der</strong> Gegenwartsperspektive als "rIEsen<br />
glück" bewertet, reagierte zum damaligen Zeitpunkt zunächst mit Ablehnung:<br />
Bsp. (21) Pascal (CD ab 05:20)<br />
84<br />
Lalouschek spricht in diesem Zusammenhang von <strong>der</strong> "Institutionalisierung von<br />
Beschwerden" (1995), indem "das Leiden im Rahmen des medizinischen Systems lokalisiert<br />
wird […] (und) Beschwerden als Symptome und die Kranken als PatientInnen professionell<br />
wahrgenommen werden" (2002: 213).<br />
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