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Agoraphobie-Patienten erzählen – Sprachliche Verfahren bei der ...

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"Konstruktionsübernahmen" handelt (Rath 1979: 142), die an das Schema "das<br />

heißt" anschließen. Die Äußerungen setzen jeweils mit <strong>der</strong> (akzentuierten) Negation<br />

ein. Durch diese Konstruktion wird die Einschränkung des Handlungsspielraums, das<br />

"nicht mehr" in Folge erster Anfälle, in den Vor<strong>der</strong>grund gerückt. Das eigene Ich<br />

wird durch die subjektlose Konstruktion völlig aus <strong>der</strong> Darstellung ausgespart.<br />

Der erste Anfall und seine Folgen führen zu einer Ich-Instabilität, die durch die<br />

Präsentation eingeschränkter Agency 83 zum Ausdruck kommt. Das Ich erlebt, wie<br />

sich <strong>der</strong> eigene Handlungsspielraum verringert, bis hin zum völligen Verlust. Die<br />

Minimierung <strong>der</strong> Handlungsressourcen des Ich wird in <strong>der</strong> Äußerungsstruktur<br />

ikonisch abgebildet. Die Einheiten werden ab Z. 795 immer kürzer. In den Zeilen<br />

796 und 797 wird schließlich auch das infinite Verb eingespart und <strong>der</strong> völlige<br />

Verlust von Agency zum Ausdruck gebracht.<br />

Das fallend intonierte "REIN in die wohnung" (797) kann als generalisierendes<br />

letztes Glied <strong>der</strong> Liste gelten. "SO und DA blieb ich. n HALbes jahr lang." schließt<br />

Tina. Sowohl die fallende Intonation am Ende <strong>der</strong> Einheit als auch die lange Pause<br />

in Z. 800 markieren Abgeschlossenheit und Auswegslosigkeit. Das Ich <strong>der</strong> erzählten<br />

Zeit ist gebrochen, sieht sich in die Passivität gedrängt, und zieht sich zurück. Die<br />

Isolation ist eine Folge des agoraphobischen Meideverhaltens. In <strong>der</strong> Isolation sind<br />

dem Ich jedoch wichtige Ressourcen <strong>der</strong> Identitätsar<strong>bei</strong>t entzogen:<br />

Ihre Identität kann eine Person nicht nur für sich selbst konstruieren; als Grundlage<br />

ihrer Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit wie auch ihres Selbstwertgefühls bedarf<br />

sie <strong>der</strong> Anerkennung durch die An<strong>der</strong>en. (Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 49)<br />

Außerdem hat das isolierte Ich keinen Zugang mehr "zu den kulturellen<br />

Sinnstiftungsangeboten unserer Lebenswelt, die für unsere Identitätsar<strong>bei</strong>t als<br />

Ressourcen dienen", was ebenfalls zwangsläufig zu weiteren Instabilitäten und<br />

83<br />

Vgl. dazu Deppermann (2004), <strong>der</strong> Agency in Angstdarstellungen analysiert und zu <strong>der</strong><br />

Auffassung kommt, dass sie sich generell dadurch auszeichnen, "dass die Agency des<br />

erzählten 'Ich' reduziert ist. Die Einschränkung, ja oftmals völlige Ausschaltung <strong>der</strong> Agency<br />

des erzählten Ich ist ein Kernbestandteil von Angstschil<strong>der</strong>ungen und scheint konstitutiv für<br />

Angst zu sein." Deppermann weist darauf hin, dass reduzierte Agency sowohl Folge als auch<br />

Quelle von Angst sein kann (2004). Capps/Ochs (1995) sprechen in diesem Zusammenhang<br />

von einer "Grammatik <strong>der</strong> Hilflosigkeit", die durch die Präsentation <strong>der</strong> eigenen Person in<br />

"Nonagentive Roles" o<strong>der</strong> "Diminished Agentive Roles" verdeutlicht wird (1995: 66-75).<br />

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