Agoraphobie-Patienten erzählen – Sprachliche Verfahren bei der ...
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Erfahrungsbereichen und Seins-Weisen differenzieren und ihre Divergenz als<br />
zentrale Bezugsgröße in <strong>der</strong> Interaktion etablieren. Daher fallen in den Gesprächen<br />
auch immer wie<strong>der</strong> Passagen auf, in denen die Wertungen und Kontraste<br />
abgeschwächt o<strong>der</strong> sogar aufgehoben werden. Auch Thomas nimmt eine <strong>der</strong>artige<br />
Rücknahme vor und zwar im direkten Anschluss an die obige Gesprächssequenz:<br />
Bsp. (18) Thomas (CD ab 20:52)<br />
517 Tho ähm (--) .h WEIL ich (-) n (-)-<br />
518 eigentlich ein ;<br />
519 also ich bin weißt=e,<br />
520 ich geh=ich hab normAl mein normAles privAtleben,<br />
521 mein normAles berUfsleben;<br />
522 ich BIN nich irgendwie äh psYchisch gestÖrt o<strong>der</strong> so,<br />
523 .hh und es is EINfach diese-<br />
524 ne ne ne gestEIgerte ANGST;<br />
Ausdrückliche Verweise auf ein normales Alltagsleben, auf den Beruf und an<strong>der</strong>e<br />
Aktivitäten, die im obigen Beispiel die Aussage, ein "VÖLLig normaler mensch" (518)<br />
zu sein, exemplifizieren, finden sich in allen vorliegenden Gesprächen 78 . Thomas<br />
intensiviert durch den Gradpartikel "VÖLLig" (518) und seine Akzentuierung diese<br />
insgesamt lauter gesprochene Wertung zusätzlich. Der Modalpartikel "eigentlich"<br />
markiert hingegen Vagheit und eingeschränkte Gültigkeit. Seine "gestEIgerte<br />
ANGST" lässt Thomas in bestimmten Situationen "anormal" o<strong>der</strong> "irrational" handeln<br />
bzw. wirken und impliziert, dass das Adjektiv "normal" in Bezug auf die eigene<br />
Person nur eingeschränkte Gültigkeit besitzt.<br />
Durch den Kontrast solch ambivalenter Bewertungen und Kategorisierungen <strong>der</strong><br />
eigenen Person wird die Koexistenz zweier Wirklichkeitsbereiche explizit im<br />
Gespräch etabliert. Es sind Wertungen, die aus <strong>der</strong> Perspektive des <strong>erzählen</strong>den Ich<br />
vorgenommen werden. Diese "Erzählevaluationen" (Lucius-Hoene/Deppermann<br />
2004: 23) 79 halten den Rezipienten zu entsprechenden Differenzierungen an, die <strong>der</strong><br />
Tabelle zu entnehmen sind. Diese Unterscheidungen sollen zum Maßstab seiner<br />
Interpretation werden.<br />
78 Gülich/Schöndienst/Wörmann (2005) stellen fest, dass Panikpatienten "stress the contrast<br />
between their helplessness in a panic attack and their usual autonomy". Diese Beobachtung<br />
geht weiter als die obigen und lässt sich in den hier behandelten Gesprächen kaum<br />
nachweisen.<br />
79 Labov/Waletzky sprechen von "external avaluation" (1967/1973).<br />
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