Agoraphobie-Patienten erzählen – Sprachliche Verfahren bei der ...

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schreibung/Erzählung der situativen Umstände, in deren Rahmen ein Erleben stattfand. (Fiehler 2001: 1431) Eine angemessene Bearbeitung der Erzählungen von Angstpatienten verlangt eine Erweiterung der bisher dargestellten Forschungsperspektive. Manifestierte Emotionen sind hier nicht nur in Hinsicht auf ihre kommunikativen Funktionen oder ihre Pragmatizität relevant. Auch eine linguistische Sichtweise auf das Phänomen pathologischer Angst darf neben dem funktionalen Charakter der Emotionsmanifestation und ihrer interaktiven Wirkung, Aspekte des tatsächlichen Erlebens nicht vernachlässigen. Emotionsmanifestationen werden nicht grundsätzlich kontrolliert oder strategisch-dramaturgisch eingesetzt. Vielmehr ist zwischen "der beabsichtigten Re-Inszenierung eines Affekts im Sinne einer kontrollierten, hörerbezogenen Gestaltung und dem tatsächlichen Erleben, dem Vereinnahmt-Werden durch einen Affekt" zu unterscheiden (Lucius- Hoene/Deppermann 2004: 39; kursiv im Orig.). Vor dem Hintergrund dieser Differenzierung lassen Gefühle oder Stimmungen, die sich entweder in bestimmten Momenten der Interaktion einstellen, sie insgesamt begleiten und teilweise auch beherrschen, Rückschlüsse auf emotionale Relevanzen und Verarbeitungsprozesse zu. Denn es ist davon auszugehen, dass der zum Ausdruck kommende Affekt […] nicht dem erlebten der geschilderten Situation entspricht, sondern eher eine heutige (oder auf einer späteren Evaluation des Ereignisses beruhende) emotionale Reaktion auf die biografische Bedeutung dieses Erlebnisses und die Tragik seines Schicksals darstellt. (Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 40) Gefühlsmanifestationen durch "Ausdruck" oder "Thematisierung" in Angst- und Panikdarstellungen können daher prinzipiell sowohl "kommunikative" als auch "selbstbezogene Funktionen" haben (Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 40). Einerseits werden Bewertungen und Grade der persönlichen Beteiligung und Betroffenheit vermittelt, die der "interaktiven Gestaltung der Erzählsituation" dienen (Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 40), andererseits können im Erzählprozess entstehende Affekte "weitreichende Funktionen für […] (den) psychischen Haushalt, besonders für die Bewältigung von bedrohlichen oder traumatischen Erfahrungen erfüllen" (Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 40). 26

Einen eigenen Bereich innerhalb der affektbezogenen linguistischen Forschung stellt die Metaphernforschung dar. "Gefühle sind immer wieder ein Feld für Unbeschreibbarkeit", erklärt Surmann, und "Metaphern stellen einen Ausweg aus der Bedrängnis der Unbeschreibbarkeit dar" (2004: 116f.). Insofern kann dem metaphorischen Sprechen grundsätzlich eine große Bedeutung bei der Emotionsvermittlung, bzw. der Kommunikation emotionaler oder affektiver Inhalte beigemessen werden 33 . […] Metaphern sind in besonderer Weise in der Lage, durch ihre bildgebende Kraft […] das Nicht-Sagbare des inneren Erlebens, der affektiven Gestimmtheit zur Sprache zu bringen. (Martens-Schmid 2002: 225) Fiehler ordnet metaphorisches Sprechen den Verfahren der "Erlebens- und Emotionsbeschreibung" zur "Thematisierung" von Emotionen zu. Vertreter der kognitiven Metapherntheorie gehen davon aus, dass Metaphern unser Verständnis und unsere Konzeptualisierung von Emotionen maßgeblich beeinflussen 34 . Es wird nach übergreifenden Systemen, nach metaphorischen Konzepten gefragt, die sich in alltagssprachlichen Sprechweisen abbilden und bestimmte Denkstrukturen oder ein bestimmtes Verstehen repräsentieren. Kövecses (1990) folgt in seiner Analyse der Emotionskonzepte ("Emotion Concepts") dem kognitiven Metaphernbegriff, den sein Lehrer George Lakoff und der Philosoph Marc Johnson in ihrer Arbeit zu "Metaphors We Live By" (1980) prägten: Die beiden Autoren postulieren die Ubiquität von Metaphern und zwar nicht nur in der Sprache, sondern auch im Denken und Handeln des Menschen (1980: 11). Lakoff/Johnson gehen davon aus, dass Sprache und Denken sich wechselseitig beeinflussen und abbilden. Sie beobachten, dass Metaphern nicht beliebig sind, sondern aus übergreifenden metaphorischen Systemen hervorgehen, die ein "metaphorisches Konzept" (1980: 15) offenbaren. Durch diese metaphorischen Konzepte, so ihre These, strukturieren wir unsere Erfahrung und unser Denken: 33 Den empirischen Beleg für den engen Zusamenhang von Metaphern und Emotionen liefern z.B. Ortony/Fainsilber in ihrer quantitativen Untersuchung zur Rolle von Metaphern in Emotionsbeschreibungen (1998). Stählin (1914) war einer der ersten, der diese Konnexion postulierte. 34 Vgl. Kövecses: "metaphors contribute a great deal of content to emotional concepts" (Kövecses 1990: 205; s. auch 2000: 188). 27

Einen eigenen Bereich innerhalb <strong>der</strong> affektbezogenen linguistischen Forschung stellt<br />

die Metaphernforschung dar. "Gefühle sind immer wie<strong>der</strong> ein Feld für<br />

Unbeschreibbarkeit", erklärt Surmann, und "Metaphern stellen einen Ausweg aus<br />

<strong>der</strong> Bedrängnis <strong>der</strong> Unbeschreibbarkeit dar" (2004: 116f.). Insofern kann dem<br />

metaphorischen Sprechen grundsätzlich eine große Bedeutung <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

Emotionsvermittlung, bzw. <strong>der</strong> Kommunikation emotionaler o<strong>der</strong> affektiver Inhalte<br />

<strong>bei</strong>gemessen werden 33 .<br />

[…] Metaphern sind in beson<strong>der</strong>er Weise in <strong>der</strong> Lage, durch ihre bildgebende Kraft<br />

[…] das Nicht-Sagbare des inneren Erlebens, <strong>der</strong> affektiven Gestimmtheit zur Sprache<br />

zu bringen. (Martens-Schmid 2002: 225)<br />

Fiehler ordnet metaphorisches Sprechen den <strong>Verfahren</strong> <strong>der</strong> "Erlebens- und<br />

Emotionsbeschreibung" zur "Thematisierung" von Emotionen zu. Vertreter <strong>der</strong><br />

kognitiven Metapherntheorie gehen davon aus, dass Metaphern unser Verständnis<br />

und unsere Konzeptualisierung von Emotionen maßgeblich beeinflussen 34 . Es wird<br />

nach übergreifenden Systemen, nach metaphorischen Konzepten gefragt, die sich in<br />

alltagssprachlichen Sprechweisen abbilden und bestimmte Denkstrukturen o<strong>der</strong> ein<br />

bestimmtes Verstehen repräsentieren.<br />

Kövecses (1990) folgt in seiner Analyse <strong>der</strong> Emotionskonzepte ("Emotion Concepts")<br />

dem kognitiven Metaphernbegriff, den sein Lehrer George Lakoff und <strong>der</strong> Philosoph<br />

Marc Johnson in ihrer Ar<strong>bei</strong>t zu "Metaphors We Live By" (1980) prägten: Die <strong>bei</strong>den<br />

Autoren postulieren die Ubiquität von Metaphern <strong>–</strong> und zwar nicht nur in <strong>der</strong><br />

Sprache, son<strong>der</strong>n auch im Denken und Handeln des Menschen (1980: 11).<br />

Lakoff/Johnson gehen davon aus, dass Sprache und Denken sich wechselseitig<br />

beeinflussen und abbilden. Sie beobachten, dass Metaphern nicht beliebig sind,<br />

son<strong>der</strong>n aus übergreifenden metaphorischen Systemen hervorgehen, die ein<br />

"metaphorisches Konzept" (1980: 15) offenbaren. Durch diese metaphorischen<br />

Konzepte, so ihre These, strukturieren wir unsere Erfahrung und unser Denken:<br />

33 Den empirischen Beleg für den engen Zusamenhang von Metaphern und Emotionen<br />

liefern z.B. Ortony/Fainsilber in ihrer quantitativen Untersuchung zur Rolle von Metaphern in<br />

Emotionsbeschreibungen (1998). Stählin (1914) war einer <strong>der</strong> ersten, <strong>der</strong> diese Konnexion<br />

postulierte.<br />

34 Vgl. Kövecses: "metaphors contribute a great deal of content to emotional concepts"<br />

(Kövecses 1990: 205; s. auch 2000: 188).<br />

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