Agoraphobie-Patienten erzählen – Sprachliche Verfahren bei der ...
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Obwohl es keine Verweise darauf gibt, dass Tina sich darüber bewusst ist, genau<br />
diese Geschichte schon im ersten Gespräch erzählt zu haben, scheint dies eine Rolle<br />
zu spielen. Möglicherweise hat sich Tinas Zuhörerin während des zweiten Telefonats<br />
an<strong>der</strong>s verhalten, vielleicht weniger Erstaunen gezeigt, so dass Tina die Erzählungen<br />
entsprechend elaborierter gestaltet. Der Interviewerin wird in Bsp. 54 die Rolle des<br />
Kummerkastens (777) zugeschrieben. Die Patientin scheint das Bedürfnis zu haben,<br />
ihren eigenen Kummer durch elaborierte Erzählweisen nicht nur nachvollziehbar zu<br />
machen, son<strong>der</strong>n auf das Gegenüber zu projizieren, um selbst davon entlastet zu<br />
werden. Im vorliegenden Beispiel lassen sich die Re-Inszenierungen und<br />
elaborierten Vergleiche dann als sprachliche Strategien zur Evokation und Projektion<br />
von Affekt auffassen. Das Maß <strong>der</strong> Re-Inszenierung orientiert sich an den<br />
(affektiven) Reaktionen <strong>der</strong> Zuhörerin. Die Evokation von Affekt, die über die<br />
Vermittlung von Affekt hinausgeht, erscheint als zentrales Handlungsziel <strong>der</strong><br />
Sprecherin.<br />
8 Resümee und Ausblick<br />
8.1 Ergebnisse <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t im Überblick<br />
Veranschaulichung und Appräsentation <strong>der</strong> Panikerfahrung erweisen sich allgemein<br />
als zentrale kommunikative Ziele <strong>der</strong> Sprecher: Vergleiche, Beispiele und/o<strong>der</strong><br />
Szenarios werden rhetorisch-strategisch eingesetzt, um subjektives Empfinden<br />
nachvollziehbar zu machen, Situationstypen zu konkretisieren und einen<br />
gemeinsamen Vorstellungsraum zu konstruieren, in dem das Gegenüber<br />
Panikanfälle gemäß seiner Vorstellungskraft "miterleben" kann. Die narrative<br />
Inszenierung von Panikattacken dient <strong>der</strong> Appräsentation. Die Sprecher bedienen<br />
sich unterschiedlicher Re-Inszenierungsstrategien gleichzeitig und nutzen zusätzlich<br />
syntaktische und prosodische <strong>Verfahren</strong>, die Aspekte wie Hektik, Wucht von<br />
Eindrücken und Ereignisabfolgen sowie Gefühle <strong>der</strong> Enge, <strong>der</strong> Panik und <strong>der</strong><br />
Ausweglosigkeit ikonisch abbilden.<br />
All diese <strong>Verfahren</strong> sind gleichzeitig Wege aus <strong>der</strong> Unbeschreibbarkeit. Die Welt <strong>der</strong><br />
Panik ist ein geschlossener, für Nicht-Betroffene unzugänglicher Sinnbereich mit<br />
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