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Agoraphobie-Patienten erzählen – Sprachliche Verfahren bei der ...

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Sie spricht von ihrem "Ex-Mann", <strong>der</strong> er zum damaligen Zeitpunkt noch nicht war,<br />

und davon "damals" sauer gewesen zu sein. Sie nutzt jedoch gleichzeitig das<br />

rhetorische Präsens und reaktualisiert ihre Erlebensperspektive z.B. in<br />

Gedankenwie<strong>der</strong>gaben.<br />

Es gibt also deutliche Routinen <strong>–</strong> ein festes Konzept <strong>der</strong> Erzählung vom ersten<br />

Anfall, das auch nicht durch Störungen in <strong>der</strong> Erzählsituation (Tuten in <strong>der</strong> Leitung<br />

und Stimmen im Hintergrund) beeinflusst wird. Fortgeschrittene<br />

Verar<strong>bei</strong>tungsleistung lässt sich jedoch aus <strong>der</strong> gesprächsanalytischen Perspektive<br />

nicht rekonstruieren.<br />

Tatsächlich nehmen Relevanzhochstufungen und Dramatisierungsaktivitäten in <strong>der</strong><br />

zweiten Version noch erheblich zu. Die zweite Darstellung ist ab dem Zeitpunkt <strong>der</strong><br />

Attacke im Restaurant noch detaillierter und zieht zusätzlich kraftvolle Vergleiche<br />

heran. Die Symptome während <strong>der</strong> Angstzustände werden ausführlicher dargestellt,<br />

stärker veranschaulicht, und die Re-Inszenierung ist noch elaborierter. Die<br />

Dramatisierung selbst erscheint als Routine.<br />

Auch die Kausalität zwischen <strong>der</strong> Flucht und dem Abklingen <strong>der</strong> Symptome wird<br />

erneut hergestellt, was ebenfalls gegen einen fortgeschrittenen Erkenntnis- o<strong>der</strong><br />

Bewältigungsprozess spricht.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen ist ein zweiter Blick auf Tinas<br />

Äußerungen in Bsp. 54 zu werfen. Der Vergleich <strong>der</strong> <strong>bei</strong>den Darstellungen scheint<br />

<strong>der</strong> Hoffnung, die die Sprecherin an das wie<strong>der</strong>holte Erzählen bindet und ihrer<br />

Auffassung <strong>der</strong> Erkenntnis- und Verar<strong>bei</strong>tungsleistung des Erzählaktes zunächst zu<br />

wi<strong>der</strong>sprechen.<br />

Tatsächlich aber enthält das Beispiel 54 ein "accounting" 120 , das die dargestellten<br />

Beobachtungen erklärt: Die Form <strong>der</strong> Darstellung zwei Jahre nach dem ersten<br />

Gespräch korrespondiert mit Tinas Bedürfnis, die Geschichte jemandem zu <strong>erzählen</strong>,<br />

<strong>der</strong> sie noch nicht kennt. Tina schätzt ihre Zuhörerin in genau dieser Eigenschaft.<br />

Der Ehemann hingegen "WEISS alles; meine mÄdels wissen alles;" (Tina I: 778f.).<br />

120<br />

Das "account"-Konzept geht davon aus, "dass die <strong>Verfahren</strong>, <strong>der</strong>er sich die<br />

Gesellschaftsmitglie<strong>der</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Durchführung ihrer Aktivitäten bedienen, ihnen zugleich auch<br />

dazu dienen, diese Aktivitäten erklärbar bzw. 'darstellbar' zu machen" (Brünner/Gülich 2002:<br />

85).<br />

111

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