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Q-Mag 2016: Rock `n` Roll, Ausgabe 3

Wie viel Musik steckt in Texten? Inwiefern greift ein Kunstgenre ins andere über? Kann das geschriebene Wort Musik werden? Oder liegt ihr Wechselspiel schlicht darin, sich gegenseitig zu inspirieren? Das sind die Fragen, die wir uns in dieser Ausgabe gestellt haben. Den Antworten auf der Spur, führten wir interessante Interviews, ließen in Lyrik und Kolumnenbeiträgen unseren Gedanken freien Lauf, suchten in Romanen und bei Autoren und fragten bei Musikern, einer Konzertfotografin und einer Lektorin nach. Herausgekommen ist ein bunter, wilder Mix an Artikeln, die vielleicht nicht immer konkrete Antworten, aber doch Anregungen zum Nachdenken bieten. Rock `n` Roll eben! Mitgewirkt an dieser Ausgabe haben: Melanie Meier, Katharina Groth, Renè René Grandjean, Kari Lessír, Katharina Gerlach, Manfred Schreiber, Marny Leifers, Li-Sa Vo Dieu, Divina Michaelis, Christina Kania, Regina Mengel, Kathleen Stemmler, Elsa Riegler, Jana Oltersdorff, Florian Tietgen, Martina Bauer

Wie viel Musik steckt in Texten? Inwiefern greift ein Kunstgenre ins andere über? Kann das geschriebene Wort Musik werden? Oder liegt ihr Wechselspiel schlicht darin, sich gegenseitig zu inspirieren?
Das sind die Fragen, die wir uns in dieser Ausgabe gestellt haben. Den Antworten auf der Spur, führten wir interessante Interviews, ließen in Lyrik und Kolumnenbeiträgen unseren Gedanken freien Lauf, suchten in Romanen und bei Autoren und fragten bei Musikern, einer Konzertfotografin und einer Lektorin nach. Herausgekommen ist ein bunter, wilder Mix an Artikeln, die vielleicht nicht immer konkrete Antworten, aber doch Anregungen zum Nachdenken bieten. Rock `n` Roll eben!

Mitgewirkt an dieser Ausgabe haben: Melanie Meier, Katharina Groth, Renè René Grandjean, Kari Lessír, Katharina Gerlach, Manfred Schreiber, Marny Leifers, Li-Sa Vo Dieu, Divina Michaelis, Christina Kania, Regina Mengel, Kathleen Stemmler, Elsa Riegler, Jana Oltersdorff, Florian Tietgen, Martina Bauer

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Inhalt<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser, - Editorial<br />

News im Zeitraffer - Neuigkeiten<br />

Musik zieht uns zwischen die Zeilen - Leitartikel<br />

„Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust“ - Interview<br />

Australische Träume - Kurzgeschichte<br />

Die Musiktruhe - Kolumne<br />

„Musik ist eine Form von <strong>Mag</strong>ie“ - Interview<br />

„Weltenlied“ von Manuel Charisius - Buchrezension<br />

„Piraten sind kein großes Ding mehr“ - Interview Teil 1l<br />

und ich habe ihn gesehen - Lyrik<br />

„Piraten sind kein großes Ding mehr“ - Interview Teil 2<br />

Zwischen Komponieren und Aufnehmen ist das Arrangement - Artikel<br />

Von Musik und Geschichten - Artikel<br />

Taktgefühl - Lyrik<br />

Die Qindies und ihre Musik - Artikel<br />

Bilder rocken - Artikel<br />

Der Narrenkönig - Leseprobe<br />

Impressum<br />

Quellenangaben / Musik zieht und zwischen die Zeilen<br />

Qindie präsentiert: Kaydee


Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

darf ich Ihnen einen Sekt reichen?<br />

Hier bitte, nehmen Sie!<br />

Ich möchte mit Ihnen auf dieses<br />

<strong>Mag</strong>azin anstoßen, die dritte <strong>Ausgabe</strong><br />

des Q-<strong>Mag</strong>s, die den Titel »<strong>Rock</strong> <strong>`n`</strong><br />

<strong>Roll</strong>« trägt. Passend dazu erklingt im<br />

Hintergrund ein Song, suchen Sie sich<br />

einen aus! Vielleicht etwas von Chuck<br />

Berry? Little Richard? Bill Haley? B.B.<br />

King? Oder lieber etwas, das sich aus<br />

dem <strong>Rock</strong> <strong>`n`</strong> <strong>Roll</strong> heraus entwickelt<br />

hat? Etwas von AC/DC? Led Zeppelin?<br />

The <strong>Roll</strong>ing Stones? Lynyrd Skynyrd?<br />

Linkin Park? Lady Gaga? Ja,<br />

wir können auch zeitgemäßer werden,<br />

denn welche moderne Stilrichtung hat<br />

nicht – wenn auch entfernt – ihren Ursprung<br />

im <strong>Rock</strong> <strong>`n`</strong> <strong>Roll</strong>?! Lehnt sich<br />

an seine starke Schulter? Nährt sich<br />

von ihm? Lernt von ihm?<br />

Vielleicht wundern Sie sich nun<br />

und fragen sich, wo in diesem Kontext<br />

das geschriebene Wort bleibt, ist<br />

dies doch immerhin ein <strong>Mag</strong>azin, in<br />

dem sich alles darum dreht. Sie denken<br />

an Songtexte, ich sehe es Ihnen<br />

an, während Sie mit leicht gerunzelter<br />

Stirn an Ihrem Sekt schlürfen und<br />

nach dem Inhaltsverzeichnis schielen.<br />

Die Lyrik in den Songtexten, denken<br />

Sie, diese Poesie, die offenen<br />

und versteckten Anspielungen, das<br />

Traumhafte, das Schmerzhafte, das<br />

Wunderbare und das Entrückende<br />

und Entrückte. Sie denken an Lyriker<br />

wie Bob Dylan oder Jim Morrison von<br />

The Doors, an die brutale Wucht von<br />

Gangsta-Rap oder die offene Rebellion<br />

gegen das Establishment im<br />

Punk-<strong>Rock</strong>. Was sonst könnte Musik<br />

mit Literatur zu tun haben?<br />

Das ist richtig, aber kurz gedacht.<br />

Musik und Literatur hängen eng<br />

zusammen, wenn auch viele ihrer<br />

Wechselbeziehungen unter der sichtbaren<br />

(beziehungsweise hörbaren)<br />

Oberfläche verborgen bleiben. Wie<br />

alle Kunst, so befruchten sich auch<br />

diese beiden gegenseitig. Sie sind<br />

Ausdruck des Zeitgeschehens und<br />

der Kultur, wenn sie sie nicht gerade<br />

maßgeblich mit- oder umgestalten.<br />

Die Art und Weise, wie ein Roman<br />

aufgebaut ist, mit welchen Worten<br />

etwas dargestellt wird und was er<br />

zum Thema hat, kann ein klares Bild<br />

vom jeweiligen Zeitgeist abliefern. In<br />

der Musik tritt dies (meistens) für uns<br />

sehr viel nachfühlbarer zu Tage, ist in<br />

einen Tonträger eingefangene Empfindung<br />

einer ganzen Generation, eines<br />

Augenblicks oder einer einzelnen<br />

Person. Manchmal alles zusammen.


In diesem Nährboden wurzeln beide<br />

Ausdrucksmöglichkeiten und präsentieren<br />

uns ihre Früchte.<br />

In diesem <strong>Mag</strong>azin stellen wir die<br />

beiden Größen nebeneinander, betrachten<br />

sie und suchen Parallelen.<br />

Wo liegt ihre Wechselbeziehung? Wo<br />

überschneiden sie sich? Wie profitiert<br />

das eine vom anderen? All dies haben<br />

wir uns gefragt, und wir haben ein paar<br />

… nun ja, nicht immer Antworten, aber<br />

hoffentlich doch Anstöße zum Nachdenken<br />

und Weiterdenken gefunden.<br />

So wie der <strong>Rock</strong> <strong>`n`</strong> <strong>Roll</strong> seinerzeit eingestaubte,<br />

überholte Anschauungen<br />

und Regelwerke zum Einsturz brachte<br />

und alle anderen Künste inspirierte<br />

und noch immer inspiriert.<br />

Ich bedanke mich an dieser Stelle<br />

ganz herzlich bei all den fleißigen<br />

und kreativen Helfern, die dieses<br />

<strong>Mag</strong>azin möglich gemacht haben!<br />

Ich darf die begnadete Künstlerin<br />

Kaydee nicht unerwähnt lassen, die<br />

uns exklusiv die Covergrafik gestaltet<br />

hat! Und auch bei Ihnen bedanke<br />

ich mich, geneigter Leser! Stoßen wir<br />

noch einmal an mit unserem Sekt!<br />

(<strong>Rock</strong> <strong>`n`</strong> <strong>Roll</strong> und Sekt?! Natürlich!<br />

Was sonst? Alles andere wäre nur<br />

Klischee … oder? ^^)<br />

Melanie Meier, Herausgeberin &<br />

Chefredaktion<br />

Qindie präsentiert: Melanie Meier


ausgewählt und zusammengestellt von Kari Lessír<br />

Auf Wattpad sollen die Autoren<br />

zukünftig an der Werbung mitverdienen<br />

Wattpad, nach eigenen Angaben mit<br />

rund 45 Mio. Nutzern im Monat die<br />

weltgrößte E-Book-Community, will<br />

es Selfpublishern zukünftig erlauben,<br />

an Werbung mitzuverdienen. Dafür<br />

werden kleine Werbe-Videos in die<br />

Texte der Autoren eingeklinkt. Ein<br />

Teil der Einnahmen soll den Autoren<br />

ausbezahlt werden. Ein erster Test im<br />

Frühsommer dieses Jahres hat vielversprechende<br />

Ergebnisse erzielt.<br />

Weiterführende Informationen:<br />

ebook-fieber.de<br />

Schreib-Camp mit Qindie-Autorin<br />

und Lektorin Elsa Rieger<br />

Vom 10. bis 13. November <strong>2016</strong> veranstaltet<br />

Elsa Rieger, Qindie-Autorin<br />

und Lektorin aus Wien, ein intensives<br />

Schreibcamp für maximal sechs Personen,<br />

um gezielt mit jedem einzelnen<br />

Teilnehmer arbeiten zu können.<br />

Das Seminar richtet sich an Autoren,<br />

die bereits Schreib- und Publikationserfahrung<br />

besitzen und den erklärten<br />

Willen haben, sich ernsthaft mit ihrem<br />

Können auseinanderzusetzen.<br />

Weiterführende Informationen: Elsa<br />

Rieger<br />

Neues Bewerbungsprozedere bei Qindie<br />

Seit Anfang des Jahres <strong>2016</strong> hat die Autorenvereinigung Qindie ihr Bewerbungsprozedere<br />

neu gestaltet. Pro Monat können sich nun nur noch zehn<br />

Selfpublisher oder Hybridautoren um eine Aufnahme bewerben. Qindie<br />

vergibt dabei Silber- oder Goldmitgliedschaften: Entspricht ein Werk den<br />

Anforderungen, erhält der Autor – so er die Qindie-Regeln akzeptiert – die<br />

Silbermitgliedschaft. Beim fünften „qindifizierten“ Buch wird daraus eine<br />

Goldmitgliedschaft, bei der automatisch jedes weitere Werk ohne neuerliche<br />

Prüfung mit dem großen „Q“ ausgezeichnet ist.<br />

Weiterführende Informationen: Qindie


E-Books im Hardcover-Format<br />

lesen<br />

Kobo führt mit dem E-Reader „Aura<br />

One“ einen deutlich größeren E-Book-<br />

Reader ein: Statt wie gewöhnlich 6<br />

Zoll misst der Bildschirm hier 7,8 Zoll<br />

und erinnert in seinen Dimensionen<br />

an ein gebundenes Buch. Gewicht<br />

und Handling entsprechen allerdings<br />

dem eines normalen E-Readers, ergänzt<br />

durch eine wasserdichte Oberfläche<br />

und Nachtbeleuchtung ohne<br />

blauen Lichtanteil.<br />

Weiterführende Informationen: Selfpublisherbibel<br />

Website des Kobo Aura One:<br />

Kobobooks<br />

Kindle Storyteller Award bereits<br />

im zweiten Jahr<br />

Bereits zum zweiten Mal hat Amazon<br />

in diesem Jahr den Kindle Storyteller<br />

Award ausgeschrieben. Bis Mitte August<br />

wurden bereits über 1.100 Bewerbungen<br />

eingereicht, womit die gesamte<br />

Teilnehmerzahl des Vorjahres<br />

übertroffen wurde. Viele der Titel standen<br />

in den Top 100 der Kindle Charts.<br />

Vertreten sind die unterschiedlichsten<br />

Genres, darunter Krimis, Liebesromane,<br />

moderne Märchen für Erwachsene<br />

und Kinderbücher.<br />

Die Gewinnerin ist:<br />

Halo Summer: Aschenkindel.<br />

Die übrigen Finalisten sind:<br />

Emma C. Moore: Finian Blue Summers.<br />

Martin Gresch: Exit-Strategie.<br />

Janine Hofeditz: Hüter der Schatten.<br />

Melisa Schwermer: So bitter die<br />

Schuld.<br />

Weiterführende Informationen:<br />

Buchreport.de<br />

Website des Kindle Storyteller<br />

Awards: Amazon Storyteller<br />

Qindie präsentiert: Kari Lessir


von Katharina Groth<br />

In meinem Kopf arbeitet es. Ich starre<br />

auf die leere Seite vor mir und überlege<br />

krampfhaft, wie ich einen Artikel<br />

beginnen könnte, der von Musik<br />

handelt, aber direkten Bezug auf das<br />

Schreiben nehmen soll. So funktioniert<br />

das nicht. Ich setze meine Kopfhörer<br />

auf und lehne mich auf meinem<br />

Schreibtischstuhl zurück. Volle<br />

Lautstärke. Gedanken aus. Elle King<br />

dröhnt mir mit ihrer Reibeisenstimme<br />

in den Ohren und singt davon, dass<br />

sie diese Nacht leben möchte, als<br />

wäre es ihre letzte. Grob übersetzt –<br />

so wie der Text in meinem Kopf Form<br />

annimmt – rät sie uns, unvorsichtiger<br />

zu sein, etwas zu wagen, damit wir<br />

am Ende unseres Lebens nicht dastehen<br />

und etwas bereuen. Ich muss<br />

grinsen und denke unwillkürlich an<br />

meine aktuelle Protagonistin. Aus<br />

diesem Holz ist sie geschnitzt. Und<br />

auf einmal singt Elle King das Lied<br />

nicht für mich oder Tausende anderer<br />

Menschen, sondern für meine Hauptfigur.<br />

Ja, das könnte ihr Lieblingslied<br />

sein. Ich sehe sie vor mir, wie sie<br />

laut grölend unter der Dusche steht<br />

und mitsingt. Auf einmal bekomme<br />

ich Lust, an meinem Roman weiterzuschreiben,<br />

nehme die Kopfhörer<br />

ab und will gerade das Fenster mit<br />

dem leeren Dokument schließen, als<br />

ich zu verstehen beginne. Da ist er.<br />

Der Ansatz zu diesem Artikel. Doch<br />

ich brauche mehr Meinungen und so<br />

frage ich meine Kollegen von Qindie.<br />

Für mich ist die<br />

richtige Musik beim<br />

Schreiben immens<br />

wichtig, jeder Charakter<br />

erhält von<br />

mir eine eigene<br />

Vorliebe in Sachen<br />

Musikrichtung,<br />

auch wenn ich die<br />

oft gar nicht im Roman erwähne. Es<br />

hilft mir aber, in die Figur zu schlüpfen.<br />

Geht es in einem Abschnitt also<br />

um einen Charakter, höre ich die entsprechende<br />

Musik - und damit höre<br />

ich sehr oft Sachen, die mir selbst<br />

gar nicht gefallen, sagt Melanie Meier<br />

beispielsweise und erzählt mir, dass<br />

für ihre Loki von Schallern-Reihe<br />

sogar Musik komponiert wurde, die<br />

auch immer wieder in den Büchern<br />

auftaucht. Das finde ich faszinierend<br />

und möchte mehr wissen. Sind es<br />

also nicht nur die Autoren, die gerne<br />

Musik hören, sondern auch unsere<br />

Protagonisten?<br />

In der Zaubertränke-Reihe gibt es<br />

immer wieder Song-Zitate. So hängt<br />

meine Heldin Lyra im ersten Band<br />

ihrem Verflossenen zu den Klängen


von „Lamplight“ der BeeGees nach.<br />

Sophus macht Stimmübungen zu „I<br />

would do anything for love“ von Meat<br />

Loaf und fliegt mit einer Begleiterin<br />

von Wernigerode nach Dresden,<br />

ununterbrochen „I would walk 500<br />

miles“ von den Proclaimers schmetternd,<br />

erzählt mir David Pawn und<br />

das sind nicht die einzigen Lieder, die<br />

sich in seinen Büchern<br />

wiederfinden.<br />

Ich fühle mich bestätigt.<br />

Also ist der<br />

Gedanke an meine<br />

„Last Damn Night“<br />

grölende Protagonistin<br />

doch nicht so<br />

weit hergeholt.<br />

Regina Mengel nickt ebenfalls wissend<br />

und sagt: In Hochzeit mit Huhn hat die<br />

Hauptfigur Lisa ihrer besten Freundin<br />

einen ganz speziellen Klingelton auf<br />

ihrem Handy zugeordnet. Saskia ist<br />

nämlich ein sehr lauter Mensch und in<br />

aller Regel kaum zu übersehen. Deshalb<br />

ist ihr Klingelton der Song „Augen<br />

auf (ich komme)“ von Oomph. Als ich<br />

das höre, muss ich<br />

schmunzeln und tatsächlich<br />

habe ich bei<br />

diesen Worten direkt<br />

ein bestimmtes Bild<br />

von Lisas bester<br />

Freundin. Vielleicht<br />

auch, weil ich selbst<br />

so eine Freundin<br />

habe.<br />

Mein Roman ‚Ein dunkel Licht‘ hätte<br />

auch heißen können: Musik liegt in<br />

der Luft. Als mein Prota seine Wohnung<br />

betritt röhrt es aus einer der<br />

Musikbars gegenüber ‚Summer in the<br />

City‘ von The Lovin‘ Spoonful. Später<br />

in seiner Wohnung spielt er am Klavier<br />

‚Unchained Melody‘ von den Righteous<br />

Brothers. Während seiner Heldenreise<br />

wirft in einem Pub jemand<br />

eine Wurlitzer an, die zuerst ‚Help‘ von<br />

den Beatles spielt und anschließend<br />

‚Do you believe in <strong>Mag</strong>ic‘ von den Lovin‘<br />

Spoonful. Tage später ist in dem<br />

Pub eine Party, bei der ein Gesangswettbewerb<br />

stattfindet, schaltet nun<br />

auch Matí sich ein. Meine Recherche<br />

bestätigt nicht nur meinen ersten Gedanken,<br />

sondern treibt mich sogar<br />

noch weiter: Musik schafft Stimmung,<br />

lässt Orte lebendig werden. Und das<br />

nicht nur bei uns zu Hause, in der Diskothek,<br />

in einer Bar,<br />

auf einem Konzert,<br />

sondern auch in<br />

unseren Büchern.<br />

Musik transportiert<br />

Stimmung und lässt<br />

uns ganz nah bei<br />

den Protagonisten<br />

sein.<br />

Zentrales Thema in meinem Roman<br />

Weltenlied ist die magische Kraft einer<br />

einfachen Flöte, die Welt nach<br />

Belieben (und Können) des Spielers/<br />

der Spielerin - im Roman gibt es beide<br />

- zu verändern. Die sprichwörtlich<br />

„zauberische“ Kraft der Musik hat<br />

mich schon immer fasziniert, ist Musik<br />

doch Kommunikation, Spielfreude,<br />

Ausdruck von Emotionen, Unterhaltung<br />

und Inspiration zugleich -- und<br />

noch vieles mehr, wovon sich einiges<br />

mit Worten vielleicht gar nicht fassen<br />

lässt, stößt Manuel Charisius meine<br />

Gedanken erneut an. Hat Musik die


erwähnte zauberische Kraft auch in<br />

der Welt jenseits der Protagonisten?<br />

Ich überlege und erinnere mich daran,<br />

wie direkt Elle Kings Gesang<br />

ein Bild meiner Hauptfigur in meinen<br />

Geist projiziert hat. Es war so klar,<br />

wie vorher nur selten.<br />

Also ist Musik<br />

Zauberei? Definitiv,<br />

ich stimme Manuel<br />

zu. Und noch<br />

etwas Anderes<br />

kommt mir in den<br />

Sinn. Kann Musik<br />

Inspiration sein für<br />

eine Geschichte?<br />

Ich lasse mich oft von Musiktiteln inspirieren.<br />

Ich habe zum Beispiel eine<br />

1.000 Wortgeschichte mit dem Titel:<br />

Elastisches Herz („Elastic Heart“,<br />

Sia) geschrieben. Die ist jedoch nur<br />

auf meinem Blog zu lesen. Genauso<br />

ist mir die Idee zu meinem jetzigen<br />

Romanprojekt durch einen Musiktitel<br />

gekommen. „Hurt No One“ von The<br />

Used. Meistens passiert das, wenn<br />

mich der Titel zum Nachdenken anregt.<br />

Wie kann ein Herz elastisch sein?<br />

Oder: In welcher Situation befindet sich<br />

jemand, der sagt: Ich wollte niemals<br />

jemandem schaden, schaltet Mika<br />

Krüger sich direkt ein und ich lausche<br />

ihr fasziniert. Natürlich. Wem ist nicht<br />

schon mal die Frage durch den Kopf<br />

gegangen: Was hat der Songschreiber<br />

sich bei diesem Text gedacht? Machen<br />

sich Musiker nicht genauso viele<br />

Gedanken über ihre geschriebenen<br />

Werke wie wir? Fragen über Fragen<br />

und irgendwie zieht mich das Thema<br />

Musik immer tiefer in die Materie. Die<br />

Seite füllt sich förmlich von alleine.<br />

In meiner Kurzgeschichte<br />

„Musiks<br />

Tod“ (demnächst<br />

überall, jetzt bei<br />

Amazon) geht es<br />

um einen Jungen,<br />

der von tödlicher<br />

Stille verfolgt wird<br />

und nur durch Musik<br />

gerettet werden kann. Doch seit<br />

dem Verschwinden seiner Mutter<br />

verbietet ihm sein Vater das Spielen,<br />

sagt nun Katharina Gerlach. Der Gedanke<br />

von tödlicher Stille verfolgt zu<br />

werden, macht mich betroffen. Auch<br />

wenn die Überlegung, dass Musik<br />

die Rettung sein kann, gleichermaßen<br />

schön ist.<br />

In meinen Gedanken sitzen die<br />

Qindie-Autorenkollegen und ich alle<br />

längst an einem Stammtisch in einer<br />

Kneipe, die ein wenig aussieht als<br />

wäre sie Herr-der-Ringe entsprungen<br />

und reden über Musik. Ist das<br />

<strong>Mag</strong>ie? Musik-<strong>Mag</strong>ie?<br />

In „Blauer Mond“ geht es um Musik.<br />

Der Erzähler ist ein Sänger und<br />

Schauspieler, der in seiner Jugend<br />

einen NDW-Hit hatte. Da es um einen<br />

fiktiven Titel geht, hat ein Freund<br />

von mir ihn realisiert. Neben diesem<br />

Lied spielt noch Brahms Poco allegretto<br />

aus der dritten Sinfonie eine<br />

gewichtige <strong>Roll</strong>e. Und in der Playlist<br />

stehen Morissey, Adam Ant, Queen,<br />

Uriah Heep oder auch Fräulein Menke<br />

und sogar Josef Beuys‘ „Sonne<br />

statt Reagan“, kommt es jetzt von<br />

Florian Tietgen. Schon wieder ein<br />

Lied, das nur für ein Buch in die Realität<br />

umgesetzt wurde. Wobei ist nur


das richtige Wort?<br />

Eigentlich nicht,<br />

denn ich stelle fest,<br />

dass es das Musikstück<br />

nicht bloß zu<br />

einem einfachen<br />

Lied macht, sondern<br />

zu einem Teil<br />

des Buchs. Wie<br />

ein eigenes Kapitel<br />

oder ein entscheidender<br />

Absatz.<br />

Das Lied „Kalinka“,<br />

von Victor Nikitin<br />

gesungen, spielt<br />

eine besondere<br />

<strong>Roll</strong>e in Alexejs<br />

Familiengeschichte.<br />

Sein Großvater<br />

war während des<br />

2. Weltkriegs russischer<br />

Soldat und das Lied hat zwei<br />

Mal einen tiefen Eindruck bei ihm<br />

hinterlassen. Diese beiden Ereignisse<br />

werden an verschiedenen Stellen<br />

erwähnt. Alexej erinnert sich an<br />

diese Episoden seiner Familiengeschichte,<br />

wenn er selbst verzweifelt<br />

ist und keinen Ausweg sieht und sie<br />

geben ihm Hoffnung, sagt Jacqueline<br />

Spieweg, als eine kleine Pause<br />

entsteht. Sie erzählt mir auch noch<br />

die beiden Situationen, in die Alexej<br />

gerät und die Vorstellung nimmt mich<br />

mit. Automatisch habe ich das Lied<br />

in den Ohren und die Stimmung, die<br />

es trägt. Es ist, als würde es die Passage<br />

im Buch verstärken und erst<br />

richtig die Wahrheit enthüllen, die<br />

sich hinter den Worten verbirgt. Also<br />

trägt Musik nicht nur dazu bei, unsere<br />

Protagonisten zu vervollständigen,<br />

ist Inspiration, Leid und Glück, sowie<br />

ein Kapitel in unseren Geschichten,<br />

sondern ist auch der melodische<br />

Hintergrund zu entscheidenden Szenen?<br />

Das bedeutet, dass ich den Leser<br />

mit der bloßen Erwähnung eines<br />

Musikstücks zurück an die Stelle im<br />

Roman entführen kann, wo die Melodie<br />

zum ersten Mal Gewicht hatte?<br />

Mir wird auf einmal klar, wie stark Musik<br />

in unseren Büchern ist, und dass<br />

ich ihre Wirkung vollkommen unterschätzt<br />

habe.<br />

„It‘s My Life“ ist ein lebensbejahendkraftvoller<br />

Titel von John Bon Jovi,<br />

den bestimmt jeder schon mal gehört<br />

hat. In der „silent sea“-Mystery-<br />

Trilogie zieht er sich durch alle drei<br />

Bände und taucht zum ersten Mal bei<br />

einer Amateur-Misswahl auf, bei der<br />

Lana, die Protagonistin, zu den Gewinnerinnen<br />

gehört. Später untermalt<br />

der Song weitere wichtige Eckpunkte<br />

in Lanas Leben, was vom gerade<br />

überstandenen Suizidversuch bis hin<br />

zu viel erfreulicheren Ereignissen<br />

reicht, durchbricht<br />

Michael Stuhr meine<br />

Gedanken und<br />

bestätigt sie zeitgleich.<br />

Ja, anscheinend<br />

ist Musik<br />

nicht nur für uns,<br />

sondern genauso<br />

lebensnotwendig<br />

für unsere Figuren.<br />

In meinem Roman “Sehen und gesehen<br />

werden“, ist das letzte Lied,<br />

das die Protagonistin hört, als sie eine<br />

Party verlässt, “The Roof is on Fire“.<br />

Am nächsten Tag denkt sie daran


zurück und wünscht<br />

sich, das Dach hätte<br />

tatsächlich gebrannt,<br />

sagt nun<br />

Nike Mangold. Ein<br />

leises Lachen geht<br />

durch die kleine Autorengemeinschaft,<br />

gekrönt von einem<br />

wissenden Grinsen. Nach dem, was<br />

wir schon gehört haben, verstehen wir<br />

es, haben irgendwie die gleiche Basis.<br />

Denn das, was Nike gemacht hat, ist:<br />

mit Musik einen schlichten Gedanken<br />

ihrer Protagonistin zu verstärken.<br />

In meinen Büchern<br />

kommt nur wenig Musik<br />

vor, weil ich selber<br />

kaum Musik höre<br />

(lenkt mich ab). Aber<br />

in „Sehnsucht nach<br />

ihr“ ist der Wolf ein<br />

Teil eines Straßentrios,<br />

das sich mit Folksongs<br />

sein Geld verdient.<br />

Vielleicht sollte ich noch dazu<br />

schreiben, dass Ruben (der Wolf) der<br />

Sänger ist und durch seinen Liebeskummer<br />

die Lieder so emotional singt,<br />

dass er die Passanten zu Tränen rührt,<br />

meint nun Divina Michaelis. Mein erster<br />

Gedanke ist auf einmal, dass ich<br />

selbst gerne Passant wäre, der Ruben<br />

zuhört. Und damit hat sie mich irgendwie.<br />

Und ist es nicht das, was wir<br />

wollen? Den Leser packen, in unsere<br />

Geschichten ziehen und nicht wieder<br />

rauslassen bis er das letzte Wort gelesen<br />

hat: Ende.<br />

Ich stehe auf und lächele in die Runde.<br />

Danke, sage ich, einfach, weil es<br />

mehr nicht zu sagen gibt außer einem<br />

ehrlich gemeinten Dank. Ich habe<br />

mich an diesem Tag in Welten entführen<br />

lassen und viel gelernt. Und noch<br />

bevor ich mich versehe, sind die Seiten<br />

voll. Ich sitze so plötzlich wieder an<br />

meinem Schreibtisch, dass ich einen<br />

Moment brauche, um wieder zu mir zu<br />

kommen. Ich blinzele. Wo ist die kleine<br />

Hobbit-Kneipe? Weg. Selbst indirekt<br />

hat es die Musik geschafft, mich<br />

zwischen die Zeilen zu ziehen, in eine<br />

andere Welt geschickt. Das ist <strong>Mag</strong>ie,<br />

das ist Musik. Und Leute? Das ist<br />

<strong>Rock</strong>’n‘<strong>Roll</strong>.<br />

Quellenangaben: Autoren, Bücher &<br />

erwähnte Musik<br />

Qindie präsentiert: Selma J. Spieweg


von Melanie Meier<br />

Freitagabend nach einer letzten sonnigen<br />

Augustwoche: Ich habe die<br />

Ehre, jemanden interviewen zu dürfen,<br />

dessen Musikartikel, -rezensionen,<br />

Romane und Kolumnen ich allein<br />

aus dem Grund so gerne lese,<br />

weil sie spritzig, frisch und fantasiereich<br />

geschrieben sind. Der Gegenstand,<br />

der Inhalt dieser Artikel<br />

tritt dahinter zurück – und dies ist das<br />

größte Kompliment, das man einem<br />

Schriftsteller wohl machen kann. Jedenfalls<br />

empfinde ich das so.<br />

Das ist der Grund, warum ich René<br />

Grandjean in die ›Schaltzentrale‹<br />

dieses <strong>Mag</strong>azins geholt habe, zu der<br />

er nun gehört. Bei der Entstehung<br />

dieser <strong>Ausgabe</strong> haben wir erstmals<br />

zu dritt zusammengearbeitet, Katharina<br />

Groth, René und ich. Und was<br />

scheint naheliegender, als René um<br />

ein Interview zu bitten?!<br />

Melanie: René, zünden wir uns erst<br />

einmal eine Zigarette an. Als erstes<br />

Statement. ^^ Und als zweites frage<br />

ich dich, wie geht’s dir und wie ist das<br />

Wetter in Bonn?<br />

René: Hey, Melanie. Es ist mir eine<br />

Freude auf wen zu treffen, der noch<br />

weiß, was es bedeutet, zusammen<br />

eine zu rauchen. Das hat eine ganz<br />

eigene Qualität, was jedoch nicht jeder<br />

versteht. Danke der Nachfrage,<br />

mir geht es bestens. Das Wetter ist<br />

heute wechselhaft, die Beleuchtung<br />

wird langsam herbstlich, was mir<br />

ausgesprochen gut gefällt. Ich habe<br />

schon die Kürbiskopflichterkette über<br />

der Balkontür befestigt. Zum Glück<br />

ist meine Heimatstadt Bonn aber zu<br />

jeder Jahreszeit bezaubernd.<br />

Melanie: Kommen wir ohne weitere<br />

Umschweife zum Thema, kommen<br />

wir zur Musik und zur Schriftstellerei.<br />

Was davon ist dein älterer Weggenosse,<br />

das Musizieren oder das<br />

Schreiben?<br />

René: Für Musik interessiere ich<br />

mich schon seit frühester Jugend.<br />

Meine ersten Platten kaufte ich bereits<br />

mit zehn oder elf Jahren. Wenig<br />

später saß ich auch schon mit Freunden<br />

in der Garage und versuchte<br />

mich an der Gitarre, bald am Bass.<br />

Letzterem habe ich mich bis heute<br />

verschrieben. Es ist ein wundervolles<br />

Instrument, das dem Eingeweihten<br />

unendlich viele Möglichkeiten bietet.<br />

Man kann herrlich durchdrehen beim<br />

Erarbeiten der Details, welche ein


Lied zum Grooven bringen. Allein die<br />

augenscheinlich banale Frage, wie<br />

lange welcher Ton klingt, hat bereits<br />

manchen Bassisten in den Selbstmord<br />

getrieben. Das Schreiben entdeckte<br />

ich erst jenseits der Dreißig<br />

für mich. Es war tatsächlich eine<br />

recht spontane Idee, einen Roman<br />

zu schreiben. Ich konnte einfach keine<br />

geeigneten Musiker für eine Band<br />

auftreiben und wollte dennoch etwas<br />

Kreatives schaffen. So entstand „Der<br />

Sommer der Vergessenen“. Dass<br />

mich die Schreiberei so nachhaltig<br />

fasziniert, damit habe ich allerdings<br />

nicht gerechnet. Jetzt schlagen eben<br />

zwei Herzen in meiner schmalen<br />

Brust. Beide links, aber das ist ja<br />

selbstverständlich.<br />

Melanie: Was bedeuten die beiden<br />

Ausdrucksmöglichkeiten für Dich?<br />

Gibt es einen Unterschied, wann Du<br />

zu welchem Mittel greifst, um schöpferisch<br />

tätig zu werden?<br />

René: Musik machen ist direkt und<br />

ungefiltert. Ich spiele den Ton, schon<br />

ist er im Ohr des Zuhörers. Ob ich will<br />

oder nicht, zurückholen funktioniert<br />

nicht. Schreiben ist introvertiert, isolierend,<br />

leise und zumindest bei mir oft<br />

zäh und quälend langsam. Ich spiele<br />

ausschließlich in Bands, musiziere<br />

nicht einsam am Rechner vor mich hin.<br />

Dementsprechend ist Musik bei mir<br />

immer mit Kommunikation, Austausch,<br />

kreativen Reibereien und Kompromissen<br />

verbunden. Schreibe ich, bin ich<br />

auf mich allein gestellt, im Guten wie<br />

im Schlechten. Mit den richtigen Menschen<br />

in musikalische Verzückung<br />

zu geraten, wenn alles stimmt und<br />

richtig zusammenkommt, ist ein irres<br />

Erlebnis, auf eine ganz eigene Art intim,<br />

weshalb ich auch nicht mit Idioten<br />

Musik machen kann. Eine gute Band<br />

ist ein wenig wie eine „Gang“. Davon<br />

habe ich glücklicher Mann gleich zwei!<br />

Schreiben ist konzentriert, zwingt zur<br />

Reflexion, was schmerzhaft sein kann.<br />

Möchte ich eine klare Nachricht loswerden,<br />

dann schreibe ich. Musik mache<br />

ich um ihrer selbst willen.<br />

Melanie: Wenn ich<br />

an deinen Roman<br />

›Make new Memory<br />

oder wie ich<br />

von vorne begann‹<br />

denke, der ja in Zusammenhang<br />

mit<br />

der Musik steht,<br />

drängt sich mir diese<br />

Frage auf: Wie<br />

bedingen die beiden Medien einander?<br />

Geht für dich das eine ohne<br />

das andere? Wie kam’s zu diesem<br />

Roman?<br />

René: In „Make new Memory“ reist<br />

der Ich-Erzähler Nori Greth ja zurück<br />

in die Achtziger, um seine Kindheit zu<br />

korrigieren und die Weichen für sein<br />

späteres Erwachsenenleben neu zu<br />

stellen. Dazu gehört, dass er ein Bombenattentat<br />

auf das Live Aid-Festival in<br />

London verhindern will, weil nach dem<br />

Tod seiner Lieblingsbands sein Leben<br />

vor die Hunde ging. Unter uns, ich finde<br />

die Idee nach wie vor großartig und<br />

wundere mich, dass das Buch nicht<br />

erfolgreicher ist. Vielleicht ja nach meinem<br />

Tod. Geboren wurde „Make new<br />

Memory“, als ich Tears for Fears hörte<br />

und mir plötzlich der Gedanke kam,


wie unendlich dankbar ich dieser und<br />

anderen Bands für ihre Musik bin, die<br />

mein Leben so sehr bereichert, und<br />

was wohl ohne sie aus mir geworden<br />

wäre. Vielleicht ein Coldplay-Fan oder<br />

Schlimmeres!<br />

Mein Debüt „Der<br />

Sommer der Vergessenen“<br />

ist ja<br />

eher eine Art Urban<br />

Fantasy-Roman,<br />

beinahe ganz ohne<br />

popkulturelle Anleihen.<br />

Insofern kann<br />

ich sagen, ja, Musik<br />

geht ohne Schreiben und andersrum.<br />

Andererseits ist von mir kein Krimi im<br />

Heimwerkermilieu zu erwarten, weil<br />

mich gewisse Themen einfach nicht<br />

interessieren, weshalb ich auch keine<br />

Ahnung von ihnen habe. Literarisch<br />

werde ich stets das machen, wonach<br />

mir ist. Wozu ist man denn freier<br />

Autor, wenn nicht deshalb? Weitere<br />

Romane, die im weitesten Sinne mit<br />

Musik zu tun haben, sind dabei sehr<br />

wahrscheinlich. Lange Rede, kurzer<br />

Sinn: Ich würde sagen, die beiden<br />

Medien bedingen sich nicht zwangsläufig<br />

gegenseitig. Wenn ich jedoch<br />

über ein Thema schreibe, in dem ich<br />

mich auskenne, brauche ich nicht<br />

viel recherchieren und das Ergebnis<br />

ist mit großer Wahrscheinlichkeit authentisch.<br />

Letzteres finde ich bei allem,<br />

was man so treibt, sehr wichtig.<br />

Melanie: Eine ganz fiese Frage:<br />

Wenn Du zwischen beiden Talenten<br />

wählen müsstest, welchem würdest<br />

Du den Vorrang geben, und warum?<br />

René: Was für ein schrecklicher Gedanke.<br />

Das ist, als würdest Du mich<br />

fragen, ob Du mir ein Ohr abschneiden<br />

oder ein Auge ausstechen sollst.<br />

Stand heute würde ich mich wohl<br />

zähneknirschend für die Musik entscheiden.<br />

Privat liegen schwierige<br />

Jahre hinter mir. Es galt, viele Entscheidungen<br />

zu treffen, um mich wieder<br />

aufs Gleis zu stellen. Eine davon<br />

war, die Schreiberei hier und da auch<br />

mal ruhen zu lassen. Und siehe da,<br />

mein Leben hat sich erst grundlegend<br />

verändert, schließlich sogar verbessert.<br />

Ich kann nicht mit Bestimmtheit<br />

sagen, was genau Ursache ist, was<br />

Wirkung - im Ergebnis geht es mir jedoch<br />

gerade mit viel Musik und weniger<br />

Schreiben verdammt gut.<br />

Melanie: Du schreibst auch Musikrezensionen.<br />

Müsste ich jemandem,<br />

der noch nie eine solche von<br />

dir gelesen hat, sagen, wie ich sie<br />

beschreiben würde, würde ich das<br />

so machen: Sie sind sehr persönlich,<br />

witzig und romantisch eingefärbt und<br />

damit unmittelbar und eindrucksvoll<br />

wie die Musik selbst. Liegt das in deiner<br />

Absicht oder ist das ein vielmehr<br />

ungewollter Geniestreich?<br />

René: So viel Lob, ich erröte. Ursprünglich<br />

sollten die Rezensionen<br />

nur regelmäßiges Futter für meine<br />

Seiten auf Facebook, Twitter und Co.<br />

liefern. Ich tue mich schwer mit dem<br />

Marketing rund um meine Bücher<br />

und war froh, dass ich neben Katzenbildern<br />

und „Hurra, heute drei Seiten<br />

geschrieben und sieben gelöscht“<br />

etwas zum Posten habe. Inzwischen


verzögert das Rezensieren jedoch<br />

tatsächlich die Fertigstellung meines<br />

dritten Romans „Der Sommer der Vergessenen<br />

– Madenkind“, weil es mir<br />

unglaublich viel Spaß macht mit den<br />

Leuten von Crazewire, so der Name<br />

des Blogs, in dessen Auftrag ich<br />

schreibe, zu arbeiten.<br />

Eine Rezension ist ja lediglich eine<br />

Momentaufnahme des Eindrucks, welcher<br />

der Rezensent von dem Kunstgut<br />

hat, über das er berichten darf. Deshalb<br />

ist mir wichtig, dass der Leser weiß, in<br />

welcher Verfassung ich gerade bin: Verliebt,<br />

verkatert, entspannt, angepisst<br />

- alles das verändert ja die Wahrnehmung.<br />

Des Weiteren möchte ich, dass<br />

meine Wortwahl und das Drumherum,<br />

welches ich einfließen lasse, das Gefühl<br />

widerspiegelt, das mir die Musik vermittelt.<br />

Bin ich im Urlaub, erinnert mich ein<br />

Song an etwas, ist es pathetisch und<br />

groß oder heimlich und klein? Ist ein Album<br />

langweilig, wird es meistens auch<br />

mein Text. Zu guter Letzt geht es mir<br />

weniger um Objektivität als darum, wie<br />

es mir höchstpersönlich mit Künstler XY<br />

geht. Ich betreibe also Gonzo-Journalismus<br />

in seiner reinen Form, was streng<br />

genommen ein ziemlich alter Hut ist.<br />

Melanie: Musik wirkt i.d.R. laut verschiedenen<br />

Wissenschaften direkt<br />

auf den Menschen, sie setzt offensichtlich<br />

ohne Umwege in den emotionalen<br />

Bereichen des Gehirns an<br />

(vorausgesetzt, wir empfinden sie als<br />

harmonisch), während andere Künste<br />

mehr nach Reflexion und Verständnis<br />

des Gesehenen / Gehörten verlangen.<br />

Entsprechend ist es nicht verwunderlich,<br />

dass Musik auch ihnen als Inspirationsquelle<br />

dient.<br />

Was denkst Du, geht das auch in anderer<br />

Richtung? Können Worte Musik<br />

werden (abgesehen von Songtexten /<br />

dem Gesang)?<br />

René: Texte brauchen Rhythmus,<br />

wie Musik, sonst taugen sie nichts.<br />

Wo große literarische Werke mit der<br />

Wucht eines Symphonieorchesters<br />

daherkommen, sind meine Romane<br />

wohl eher analoger Synthie Pop. Ich<br />

bezweifle, dass Literatur diese ungezähmte,<br />

unmittelbare Intensität erreichen<br />

kann, die der Musik innewohnt.<br />

Vielleicht in vorgelesener Form, aber<br />

dann ist es ja auch das Element der<br />

Sprache, nicht nur das geschriebene<br />

Wort, das die Emotion erzeugt. Lachen<br />

über Gelesenes funktioniert gut,<br />

weinen bei mir nicht, aber ich hörte,<br />

bei vielen anderen. Angst, Anspannung,<br />

Unbehagen, all das kann man in<br />

Bücher hineinschreiben. Sogar Liebe.<br />

Die Musik ist dennoch klar im Vorteil,<br />

denn ihr steht Ton und Text zur Verfügung.<br />

Das gelesene Wort hingegen<br />

entsteht ja erst im Kopf des Lesers.<br />

Ja, ich bin in deinem Kopf! Näher kann<br />

man einem anderen Menschen wohl<br />

kaum kommen. Wenn überhaupt, dann<br />

scheint mir die Lyrik die größte Chance<br />

zu haben, Musik zu werden. Ich<br />

bin da recht unbefleckt, stelle mir aber<br />

vor, dass die Dichtung in Versen noch<br />

stärker als andere literarische Genres<br />

über Rhythmus, Ästhetik und die<br />

Schwingungen zwischen den Zeilen<br />

funktioniert. Dieser Rauschzustand,<br />

den Musik auslösen kann, zu dem hat<br />

das geschriebene Wort jedoch keinen<br />

Zugang. Ergo: Wörter können nicht zu<br />

<strong>Rock</strong> ‚n‘ <strong>Roll</strong> werden. Schade.


Melanie: Du spielst in einer Band als<br />

Bassist. Kann man euch irgendwo im<br />

Netz anhören, gibt es einen Link, den<br />

du mir geben kannst?<br />

René: Selbstverständlich, liebend<br />

gern. Seit Kurzem bin ich in der Backing-Band<br />

des für sein junges Alter<br />

unverschämt guten Singer/Songwriters<br />

David Nevory vertreten.<br />

Des Weiteren spiele ich in einer<br />

Band mit Namen Crossed Out Names.<br />

Unsere Musik würde ich als<br />

Mischung aus The Killers und Tori<br />

Amos beschreiben, aber da kann<br />

sich jeder herzlich gerne selbst ein<br />

Bild machen.<br />

Melanie: Gibt es etwas in der derzeitigen<br />

Musikentwicklung, das du gern<br />

verändert sehen möchtest?<br />

René: Mit der Erfindung des MP3-<br />

Formats nahm das Elend seinen<br />

Lauf, wenn du mich fragst. Ich bedauere<br />

den Tod des Musikfernsehens,<br />

weil seit dem Ende von MTV<br />

der Videoclip als eigene Kunstform<br />

vor sich hin dümpelt. Sicher produziert<br />

so gut wie jeder Musiker Videos<br />

für Youtube, aber das ist meistens<br />

billiger Mist, verglichen mit Michael<br />

Jacksons „Thriller“ oder anderen<br />

Meisterwerken jener Ära. Ich würde<br />

einen Virus begrüßen, der alle MP3-<br />

Dateien unwiderruflich zerstört. Oder<br />

wir schalten einfach das Internet ab.<br />

Obwohl, ich schaue täglich mehrere<br />

Stunden Katzenvideos, das würde<br />

mir sicher abgehen. Und wo sollten<br />

dann zukünftig radikale Gruppierungen<br />

neue Mitglieder werben?<br />

Melanie: <strong>Rock</strong> and <strong>Roll</strong>: Was bedeutet<br />

diese Stilrichtung für Dich<br />

persönlich?<br />

René: Mehr als nur Musik, soviel<br />

ist klar. Lebenseinstellung, Haltung,<br />

Lifestyle. Eine gewisse Unangepasstheit<br />

habe ich mir auch jenseits<br />

der Vierzig erhalten, wenn meine<br />

Haare auch nicht mehr dunkelblau<br />

sind und ich meine Ohrringe schon<br />

vor Jahren abgelegt habe. Keine Ahnung,<br />

warum mir eine destruktive Lebensweise,<br />

welche ja mit dem <strong>Rock</strong><br />

‚n‘ <strong>Roll</strong> eng verknüpft ist, so reizvoll<br />

erscheint. Gehe ich Freitag trinken,<br />

viel trinken, habe ich einen Kater bis<br />

Mittwoch, ich bin ja auch nicht mehr<br />

der Jüngste. Das ist nicht annähernd<br />

cool und furchtbar grausam, dennoch<br />

passiert mir das regelmäßig. Von<br />

Drogen lasse ich aus Angst, sie würden<br />

mir zu gut gefallen, die Finger.<br />

Zum Glück bin ich weder als Musiker<br />

noch als Autor erfolgreich, das wäre<br />

mit großer Wahrscheinlichkeit mein<br />

vorzeitiges Ende.<br />

Es steckt natürlich mehr im <strong>Rock</strong><br />

‚n‘ <strong>Roll</strong> als Exzess. Mir kommt der<br />

Begriff „Sehnsucht“ in den Sinn. Leidenschaft,<br />

Feuer, ungezügelte Kraft.<br />

Melanie: Zu guter Letzt hätte ich gerne<br />

den Link zu dem Song, der für dich<br />

in deinem Leben entscheidend war/<br />

ist, der vielleicht alles verändert hat.<br />

René: Das kann nur „Thunder Road“<br />

von Bruce Springsteen and the E<br />

Street Band in einer Liveversion aus<br />

den Siebzigern sein. Es gibt eine<br />

Handvoll immer wiederkehrender<br />

Motive im lyrischen Universum von


Springsteen, welches sich übrigens<br />

neben der zeitlos meisterhaften Musik<br />

zu erforschen lohnt. Zu jenen<br />

Motiven oder Bildern gehören ein<br />

gelobtes Land, das es zu finden gilt,<br />

Versprechen, leider oft gebrochen,<br />

die Straße als Sehnsuchtsort, Autos<br />

als Erfüllungsgehilfen fürs Fortgehen<br />

und unbedingt das Mädchen. In<br />

„Thunder Road“ kommt all dies zum<br />

Tragen, es ist quasi die reine Essenz<br />

des Springsteen. Das Lied beschreibt,<br />

wie ein junger Mann vorm<br />

Haus seines Mädchens steht und sie<br />

überredet, zu ihm ins Auto zu steigen,<br />

um fortzugehen. Dabei sagt er<br />

wundervolle Dinge wie „You ain’t a<br />

beauty but, hey, you’re allright.“ Ich<br />

habe diesen Satz mal benutzt, er hat<br />

den Praxistest nicht bestanden.<br />

Ich hörte „Thunder Road“ zum ersten<br />

Mal mit elf Jahren. Es ist eine<br />

seltsame Komposition, wie eine Endlosschleife,<br />

kein wirklicher Refrain,<br />

alles verschwimmt auf wunderbare<br />

Weise miteinander. Heute, einunddreißig<br />

Jahre später, hat der Song keinen<br />

Deut seiner Intensität eingebüßt.<br />

Wenn du mich fragst, das ist doch<br />

geradezu magisch! Erinnere ich mich<br />

an den ganzen Scheiß, den ich in den<br />

Neunzigern mochte, davon bedeutet<br />

mir heute nichts mehr irgendwas.<br />

Textlich bedient Springsteen sich hier<br />

starker klassischer Bilder, die einem<br />

Film Noir entsprungen zu sein scheinen.<br />

Ich glaube, es ist Nacht, aber mit<br />

Bestimmtheit weiß ich das nicht. Leise<br />

erklingt Roy Orbison aus dem Radio.<br />

Er singt für die Einsamen. Die Fliegengittertüre<br />

schlägt zu. Sie schwebt<br />

einer Vision gleich über die Veranda,<br />

ihr Kleid weht im Wind. Schicke mich<br />

nicht nach Hause, bittet er sie, ich kann<br />

mich dem Alleinsein nicht stellen. Nicht<br />

schon wieder. Bitte gehe nicht zurück<br />

ins Haus, du weißt, warum ich hier bin.<br />

Fürchte dich nicht. Du denkst, wir sind<br />

nicht mehr jung. Habe ein wenig Vertrauen,<br />

da ist <strong>Mag</strong>ie in der Nacht. Und<br />

so weiter und so fort. Später dann:<br />

Da sind Geister in den Augen all der<br />

Jungs, die du fortgeschickt hast. Sie<br />

schreien deinen Namen des Nachts<br />

in den Straßen. Und in der einsamen<br />

Kälte kurz vor der Dämmerung hörst<br />

du die Motoren ihrer Wagen aufheulen.<br />

Doch wenn du hinausgehst, hat<br />

der Wind sie fortgetragen. Ist das nicht<br />

irre gut? Hört selbst.<br />

Wenn Springsteen den finalen Satz<br />

ausruft, reißt es mir stets aufs Neue<br />

beinahe den Boden unter den Füßen<br />

weg. „It‘s town full of losers and I‘m<br />

pulling out of here to win”. „Thunder<br />

Road“ ist das Lied, das auf meiner Beerdigung<br />

gespielt werden muss. Punkt.<br />

Melanie: Danke für das Interview,<br />

René!<br />

Wer mehr über René und seine Bücher<br />

erfahren will, findet ihn hier bei<br />

Qindie.


von Katharina Gerlach<br />

Glauben Sie an <strong>Mag</strong>ie? Besuchen Sie<br />

Australien für ein Zehntel des üblichen<br />

Preises. Informationsveranstaltung St.<br />

Pauls, Kirkstreet, Montag 17:00 Uhr.<br />

Die Musik einer australischen Band<br />

füllte mein kleines Wohnzimmer, als<br />

ich auf die Anzeige starrte und versuchte,<br />

die aufkeimende Hoffnung<br />

zu unterdrücken. So ein Angebot<br />

konnte nicht wahr sein. Australien<br />

war mein Traumland. Ich hatte alle<br />

Bücher gelesen, alle Filme gesehen<br />

und schleppte ein Erste-Hilfe-Täschchen<br />

mit mir herum, in dem alles<br />

enthalten war, was man zur Behandlung<br />

von Schlangenbissen brauchte,<br />

einschließlich der Gegenmittel<br />

für die wichtigsten Gifte. Nicht, dass<br />

ich das je brauchen würde. Ich hatte<br />

zwar jeden Pfennig gespart, so lange<br />

ich mich erinnern konnte, aber es<br />

reichte nicht – nicht einmal für eine<br />

Hinfahrkarte. Grob geschätzt wäre<br />

ich fünfzig, bevor ich genug Geld<br />

für eine dreimonatige Reise hätte.<br />

Also, was hatte ich zu verlieren?<br />

***<br />

Ich betrat St. Pauls etwas zu spät<br />

und war trotzdem die einzige Besucherin.<br />

Das hohle Gefühl in meinen<br />

Eingeweiden breitete sich aus. Ich<br />

hatte ja gewusst, dass das Angebot<br />

der Anzeige zu gut war, um wahr zu<br />

sein. Ich wollte fliehen, aber der Ausgang<br />

wurde von einem Aborigine in<br />

einem Lendenschurz blockiert.<br />

„Willkommen. Ich bin sehr glücklich,<br />

dass Sie hier sind.“ Sein faltiges<br />

Gesicht verzog sich zu dem freundlichsten<br />

Lächeln, das ich je gesehen<br />

hatte. Er nahm meine Hände und zog<br />

mich zu einer Matratze, die in dem<br />

freien Raum zwischen dem Altar und<br />

den Bänken lag. „Bitte, setzen Sie<br />

sich zu mir. Sie können in weniger als<br />

fünf Minuten in Australien sein.“<br />

Meine Hände wurden feucht. War<br />

dies echt, oder war ich doch einem<br />

Betrüger aufgesessen? Eins war sicher,<br />

er spürte meine Sehnsucht. Na,<br />

ich würde mich jedenfalls nicht um<br />

meine schwer verdienten Ersparnisse<br />

bringen lassen.<br />

„Ich habe kein Geld.“ Das war nur<br />

eine kleine Lüge.<br />

„Machen Sie sich doch keine Sorgen<br />

um etwas so Unwichtiges.“ Der<br />

Aborigine setzte sich mit gekreuzten<br />

Beinen auf die linke Seite der Matte<br />

und zeigte auf den freien Platz. „Bitte<br />

lassen Sie mich erklären. Es hängt<br />

alles mit dem Träumen zusammen.“


„Träume?“ Ich hatte von ihrer Religion<br />

gelesen. Sie bestand aus Tausenden<br />

von Geschichten über die<br />

Entstehung der Welt und die Ahnen<br />

der Aborigines. Aber was hatte das<br />

mit meinem Besuch in Australien zu<br />

tun? Das war alles zu verwirrend.<br />

Trotzdem setzte ich mich hin. Vielleicht<br />

konnte ich etwas Neues lernen.<br />

„Ob Sie es glauben oder nicht, ich<br />

komme aus einer Zeit, bevor der weiße<br />

Mann nach Australien kam. Meine<br />

Ahnen brachten mich heute her und<br />

versprachen mir, jemanden zu mir zu<br />

leiten, der mir helfen kann. Und das<br />

haben sie getan.“ Er lächelte erneut,<br />

und ich entspannte mich, ohne zu verstehen<br />

warum. „In meiner Zeit ging<br />

mein Sohn auf einen Walkabout, um<br />

sich auf die Übernahme der Häuptlingswürde<br />

vorzubereiten. Am Tag seiner<br />

Rückkehr fand ich ihn halb bei Bewusstsein<br />

in der Nähe unseres Dorfes.<br />

Er war von einer Todesotter gebissen<br />

worden, was merkwürdig war, denn sie<br />

beißen eigentlich nicht gern. Ich rief die<br />

Ahnen an. Sie brachten mich her und<br />

schickten Sie zu mir. Werden Sie mich<br />

begleiten und meinen Sohn retten?“<br />

Er sah mich mit großen, hoffnungsvollen<br />

Augen an. Wie konnte ich so einer<br />

Bitte widerstehen? Bestenfalls würde<br />

ich ein wenig von Australien sehen. Im<br />

schlechtesten Fall verschwendete ich<br />

etwas Zeit, um einem alten Irren zu gefallen.<br />

Also nickte ich.<br />

Er nahm meine Hände, und das<br />

andauernde Summen eines Didgeridoos<br />

füllte meinen Kopf. Alles Licht<br />

verschwand. Das Dröhnen erinnerte<br />

mich an einen geschäftigen Bienenkorb,<br />

aber es enthielt außerdem eine<br />

Melodie, die mich mit sich riss. Als<br />

Worte das Lied begleiteten, kehrte<br />

das Licht zurück und ich fand mich<br />

unter einem Himmel mit Vollmond<br />

und dem Kreuz des Südens wieder,<br />

das ich bisher nur aus dem Fernsehen<br />

kannte. Wilde, aromatische Düfte<br />

füllten meine Nase, und das Sirren<br />

der Insekten fiel in das Lied ein.<br />

Der alte Mann saß unter einem Eukalyptusbaum<br />

und spielte auf einem<br />

Didgeridoo. Neben ihm wälzte sich<br />

ein Mann hin und her, vielleicht in den<br />

frühen Dreißigern. Er atmete schwer<br />

und schwitzte stark. Zum Glück<br />

reichte das Mondlicht, um den Biss<br />

an seinem Knöchel zu erkennen. Ich<br />

zog mein Erste-Hilfe-Täschchen hervor<br />

und benutzte die Pumpe, um so<br />

viel Gift wie möglich aus dem Körper<br />

zu saugen. Der Mann stöhnte. Als<br />

ich mir sicher war, das Bestmögliche<br />

getan zu haben, lud ich eine Spritze<br />

mit dem Gegenmittel und injizierte es<br />

ihm. Hoffentlich reichte das, um das<br />

Gift zu besiegen. Todesottern setzten<br />

bei einem Biss sehr viel Gift frei. Meine<br />

Segenswünsche mischten sich<br />

mit dem Lied des alten Mannes, während<br />

wir warteten.<br />

Als der Morgen dämmerte wurde<br />

die Atmung des Verletzten endlich<br />

ruhiger. Er schwitzte nicht mehr<br />

und fiel in einen heilenden Schlaf.<br />

Der alte Mann hörte auf zu spielen.<br />

Die Melodie endete, und ich wurde<br />

in die Dunkelheit gerissen. Alles,<br />

was ich noch hörte, waren seine<br />

Abschiedsworte.<br />

„Danke. Wir schulden Ihnen einen<br />

langen Besuch.“<br />

***


Als mich eine Hand an der Schulter<br />

berührte, öffnete ich meine Augen.<br />

Ich lag auf der Matratze in St. Pauls,<br />

und eine junge Aborigine-Frau beugte<br />

sich mit einem Lächeln über mich.<br />

„Also sind sie doch hier. Ich hatte<br />

nicht erwartet, dass die Geschichten<br />

meines Ururgroßvaters wahr<br />

sind“, sagte sie und half mir beim Aufstehen.<br />

Dann kreuzte sie die Arme<br />

vor der Brust und verneigte sich. „Ich<br />

fühle mich geehrt, Ihre Bekanntschaft<br />

zu machen und bin gekommen, um<br />

Sie für einen mehrmonatigen Besuch<br />

zu uns nach Australien zu holen, so<br />

wie es mein Ururgroßvater verlangte.“<br />

Als sie sich wieder aufrichtete,<br />

erhellte ein Lächeln ihr Gesicht,<br />

das dem ihres Vorfahren sehr ähnelte.<br />

„Und da dachten wir alle, Sie<br />

wären seinen Träumen entstiegen.“<br />

Ja, ein Traum war es – mein Traum,<br />

der wahr wurde.<br />

Qindie präsentiert: Katharina Gerlach


von Manfred Schreiber<br />

Galaxis, die Erde, altes Europa, der<br />

Norden, Kreis Segeberg, 2061 Sülfeld,<br />

Zuhause – Ende 70er, Anfang<br />

1980er Jahre:<br />

Deutschaufsätze und Rechentürme<br />

verfasste, vergeigte man mittels Füller<br />

von Lamy (wohlsituiertes Elternhaus),<br />

Geha (Streberstyle) und Pelikan<br />

(Spielkinder). Oder Tintenkiller – das<br />

waren die harten Jungs. Sie kokelten<br />

und räucherten Toiletten aus. Solche<br />

Typen brauchte man, um an Leckereien<br />

vom Bäcker zu gelangen, während<br />

der großen Pause, unbemerkt<br />

vom Hausmeister. Schulhofgrenze<br />

überqueren: schlechtes Image. Zum<br />

Bäcker schleichen, erwischt werden:<br />

blauer Brief. Mutig, mit doller Portion<br />

Schisslaweng, wer es auf sich nahm –<br />

um hinterher gefeiert zu werden, von<br />

hungrigen Auftraggebern, die solch<br />

Wagnis nie durchgezogen hätten. Es<br />

half ja kein Zauberkasten – jemand<br />

musste gehen.<br />

Tennis: ultimativer Upper Class-Sport.<br />

Bolzplatz: Proletarier-Schmelztigel.<br />

Hörspiel-Geschichten liebten alle:<br />

ob schnieker HiFi-Turm mit Diamantnadel<br />

oder ehrwürdige Musiktruhe<br />

(Heim ungezählter Holzwürmer)<br />

– rotierende Märchen-LP’s vom<br />

Plattenteller gehörten dazu. Selbst<br />

die Tintenkiller-Fraktion neigte, weilte<br />

sie nicht zufällig im Raucherversteck,<br />

zur analogen Zerstreuung – nannten<br />

sich ihre Favoriten auch KISS und<br />

AC/DC. Wir, die Braven, liebten Eisenhans,<br />

Der kleine Muck, Bremer<br />

Stadtmusikanten und Die Regentrude<br />

– unverzichtbar schmeckten<br />

trockene Brötchen, zerrupft und eingetunkt<br />

in warmer Milch. Gern auch<br />

Zuckerei. Radioprogramme konnte<br />

die Musiktruhe auch empfangen, auf<br />

ihre Weise: frequenz-knatschig, extraterrestrisch<br />

...<br />

Draußen ging unter allen Nachbarskindern<br />

noch eine Sage um – viel<br />

grässlicher als Eckeneckepenn,<br />

überliefert durch Omas, Eltern,<br />

Geschwister:<br />

Jederzeit wachsam sein! Niemals<br />

dörflicher Idylle trauen! Von Moment<br />

zu Sekunde konnte sich Spiel<br />

in Ernst verwandeln, wenn der graue<br />

Lieferwagen mit gieriger Antenne<br />

auf dem Dach um die Ecke bog<br />

und im Schritttempo durch unsere<br />

Siedlung patrouillierte. Verstecken!<br />

Dieser Lieferwagen nahm mysteriöse<br />

Messungen vor, seine Fühler<br />

rochen alles – entsandt durch eine


Geheimorganisation namens GEZ.<br />

Unangemeldete Radios und Fernseher<br />

wurden aufgespürt, angesteuert,<br />

die Verantwortlichen zur Strecke gebracht.<br />

Besser, es blieb ruhig an der<br />

Haustür – niemand wollte, dass böse<br />

Spione die Eltern einkassierten.<br />

Man hörte von unschönen Methoden,<br />

Leute zum Reden zu bringen.<br />

Das Erste, das Zweite, das Dritte,<br />

das Undsonstgarnichts.<br />

Gefühlt liefen Winnetou-„Streifen“<br />

im sonntäglichen Nachmittagsprogramm<br />

rauf und runter. War der<br />

Abspann in voller Länge gesendet,<br />

spannen alle Kinder die gerade erlebten<br />

Indianer-Stories draußen im<br />

Spielplatz-Revier weiter: ohne Fransenhose<br />

lief kaum einer durch Knicks,<br />

über Sandhügel oder ins Maisfeld<br />

rein. Landschaften, Figuren, Silberbüchse!<br />

Auch das Fährtenlesen stellte<br />

für jeden Kumpel etwas Besonderes<br />

dar – von Brice & Co. konnte<br />

man lernen. Doch den geheimnisvollen<br />

Lieferwagen orakelte niemand.<br />

Und da kamen sie, die üblen Häscher<br />

der GEZ – im grauen Lieferwagen<br />

mit Antenne auf dem Dach!<br />

Darth Vader war finster, doch „die<br />

hier“ machten Ernst – wir verhielten<br />

uns normal, gespannt zwar, aber<br />

normal. Ganz kleine kauerten schon<br />

zitternd hinter dem Holzschuppen.<br />

Uns war auch danach, starr vor<br />

Angst. Fensterlos: Der Lieferwagen<br />

beobachtete uns, Dank Kopfkino von<br />

Alten und Großen. Aber nichts geschah.<br />

Er rollte, beschleunigte, kurvte<br />

weiter und weiter, kehrte nie wieder<br />

zurück. Aufatmen: Unser Sülfeld,<br />

unsere Siedlung, unsere Straße war<br />

angemeldet – lange bevor sie kamen.<br />

Dann bog der Eiswagen um die<br />

Ecke, bimmelte mit seinem Glöckchen,<br />

hielt genau am Bürgersteig<br />

und der Sommer war da.<br />

Qindie präsentiert: Florian Tietgen


von Marny Leifers<br />

Manuel Charisius, 1979 in Stuttgart<br />

geboren, liest und schreibt seit seiner<br />

Jugend phantastische Geschichten,<br />

bevorzugt mit Mischwesen und<br />

Gestaltwandlern in den Hauptrollen.<br />

Er studierte Anglistik und Germanistik<br />

in Heidelberg und Auckland, Neuseeland.<br />

Manuel Charisius arbeitet<br />

hauptberuflich als Autor und Texter in<br />

Heidelberg.<br />

Neben dem Schreiben macht er<br />

Musik und liebt lange Fahrradtouren<br />

und Wanderungen, bei denen ihn<br />

meist ein lauffreudiger Schlittenhund<br />

begleitet. Ab und zu bastelt er auch<br />

gerne mit Software und Elektronikkram<br />

herum oder spielt Videospiele,<br />

die heutzutage als »Retro« bezeichnet<br />

werden.<br />

Nie anzutreffen ohne:<br />

meinen Hausschlüssel<br />

Besondere Kennzeichen:<br />

Pferdeschwanz<br />

Motto: Was ich nicht selber kann,<br />

kann ich mir selber beibringen.<br />

Webseite: manuel-charisius.de<br />

Facebook: facebook.com/Manuel-<br />

Charisius.Fantasyautor<br />

Bei Qindie:<br />

qindie.de/autorinnen/a-e/c/<br />

manuel-charisius/<br />

Fantastische Bücherwelt: Wie würdest<br />

Du Dich selbst beschreiben?<br />

Manuel: Kind der neunziger Jahre<br />

mit unstillbarem Hunger nach guten<br />

Geschichten und schönen Liedern.<br />

Ohne großes politisches Interesse,<br />

aber als Wähler definitiv<br />

im links-grünen Spektrum zu verorten.<br />

Überzeugter Agnostiker und<br />

Skeptiker. Seit jeher Einzelkämpfer.<br />

Kein Überflieger, aber ein Pedant.<br />

Fantastische Bücherwelt: Wie sieht<br />

für Dich ein „normaler“ Tag aus?<br />

Manuel: Die Sonne geht auf, ich werde<br />

viel zu spät wach, begebe mich<br />

über diverse Zwischenstopps in Bad<br />

und Küche an den Schreibtisch, surfe<br />

viel zu lange im Internet und wundere<br />

mich über viel zu viele Dinge, die<br />

es eigentlich gar nicht wert sind. Ich<br />

bemühe mich um ein ausgewogenes<br />

Mittagessen, vertrete meine Eltern in<br />

puncto Hundebetreuung, gehe meinen<br />

Hobbies nach und produziere alles<br />

in allem viel zu wenig Text.<br />

Aber zur Abwechslung gibt es ja<br />

immer mal wieder auch diese gewissen<br />

»unnormalen« Tage …


Fantastische Bücherwelt: Herrscht<br />

auf Deinem Schreibtisch eher Chaos<br />

oder Ordnung?<br />

Manuel: Ich sage mal – kontrolliertes<br />

Chaos. Mein Arbeitsplatz ist vielleicht<br />

nicht penibel geordnet, aber<br />

auch nicht mit überflüssigem Kram<br />

beladen. Was ich nicht brauche, wird<br />

meistens gleich weggeräumt, ich<br />

muss also nie irgend etwas suchen.<br />

Fantastische Bücherwelt: Während<br />

Deines Studiums warst Du auch in<br />

Neuseeland, welche Auswirkungen<br />

hatte die Zeit in Auckland auf Dich?<br />

Manuel: Neuseeland vereint nicht nur<br />

alle Naturschönheiten, die man sonst<br />

von den verschiedensten Teilen der<br />

Welt her kennt, auf kaum mehr als zwei<br />

größeren Inseln, sondern hat mit der<br />

University of Auckland auch eine der<br />

besten und renommiertesten Bildungsstätten<br />

auf der Südhalbkugel anzubieten.<br />

Nicht zuletzt begegnen sich im<br />

»Land der langen weißen Wolke« viele<br />

Kulturen, vor allem aber die polynesische,<br />

die asiatische und die europäische.<br />

Gerade Auckland ist eine unglaublich<br />

weltoffene, internationale Stadt. Mit<br />

anderen Worten, Auckland war von Anfang<br />

an mein absolutes Traumziel, dicht<br />

gefolgt von Kanada und Südafrika. Das<br />

Bewerbungsgespräch verlief eher unglücklich,<br />

und umso überraschter und<br />

himmelhochjauchzend war ich, als ich<br />

das Stipendium erhielt. Ich verbrachte<br />

zwei Semester »down under«, und ich<br />

kostete jede Sekunde voll aus. Ohne<br />

Übertreibung kann ich heute sagen, die<br />

Zeit in Auckland war die beste Zeit meines<br />

Lebens.<br />

Leider war sie auch die schrecklichste.<br />

Ich war noch vollständig sozial<br />

eingebettet und keineswegs bereit<br />

für eine Rückkehr, da erreichte mich<br />

die Nachricht aus der alten Heimat,<br />

dass meine ältere Schwester nach<br />

einer plötzlichen, schweren Erkrankung<br />

im Sterben läge. Natürlich<br />

buchte ich meinen Rückflug sofort<br />

um. Zwei Tage später war ich wieder<br />

zu Hause.<br />

Seither bin ich ein anderer Mensch<br />

– zumindest fühle ich mich so. Falls<br />

ich eines Tages nach Auckland zurückkehren<br />

werde, so wird dies mit<br />

großen Schmerzen und noch größeren<br />

Ängsten verbunden sein. Also<br />

rechne ich nie mehr damit – so sehr<br />

ich mich auch nach Neuseeland zurück<br />

sehne …<br />

Fantastische Bücherwelt: Du<br />

spielst Flöte, Klavier und Gitarre –<br />

wann greifst Du zu welchem Instrument?<br />

Und wie unterschiedlich wirkt<br />

die Musik auf Dich?<br />

Manuel: Die Blockflöte war das erste<br />

Instrument, das ich überhaupt erlernt<br />

habe. Dank privatem Flötenkreis<br />

habe ich es bis in die späte Pubertät<br />

hinein auch regelmäßig gespielt,<br />

zumeist die Tenor- oder Bassstimme.<br />

Bis heute besitze ich aus jeder der<br />

fünf wichtigen Lagen ein Instrument,<br />

nur die Bassflöte fehlt. Allerdings<br />

habe ich erst in den letzten Jahren<br />

wieder öfter mal Blockflöte gespielt,<br />

meist zusammen mit Gitarren- oder<br />

Klavierbegleitung. Wie fast alle Blasinstrumente<br />

erlaubt es auch die Flöte<br />

ihrem Spieler, quasi einen großen<br />

Anteil seiner Persönlichkeit in den


Klang hineinzuweben. Du gibst deinen<br />

Atem, und das Instrument wandelt<br />

ihn in Töne um. So lässt sich<br />

allein durch die Atmung eine unendliche<br />

Fülle von klanglichen Nuancen<br />

erzielen, die im Grunde nur noch von<br />

Sängern übertroffen wird.<br />

Das Klavier kam dann gegen Ende<br />

der Grundschulzeit hinzu. An den<br />

Tasten habe ich wohl die meiste<br />

Übungspraxis. Unzählige Vorspielabende<br />

und Wettbewerbe wie Jugend<br />

Musiziert haben wir, d. h. Freunde<br />

und ich, im Zusammenspiel (Klavier<br />

vierhändig, zwei Klaviere, Klavier<br />

und Cello/Geige etc.) bestritten. Auch<br />

heute noch spiele ich regelmäßig, um<br />

meine Fingerfertigkeit weitgehend zu<br />

erhalten. Schmerzlich vermisse ich<br />

das gemeinsame Musizieren im Duo<br />

oder Trio, nachdem meine damaligen<br />

Spielpartner längst in aller Welt verstreut<br />

sind. Das Klavier ist für mich<br />

eine Art musikalisches Zuhause. Hier<br />

fühle ich mich wohl, hier kann ich mich<br />

voll entfalten. Und es ist dasjenige<br />

Instrument, bei dem ich auch heute<br />

noch den meisten Ehrgeiz verspüre.<br />

Wenn mir schon die Nachbarn beim<br />

Üben zuhören müssen, so sollen sie<br />

zumindest auch keine dilettantische<br />

Klimperei ertragen müssen.<br />

Die Gitarre kam als letztes hinzu –<br />

autodidaktisch und ohne große Ansprüche.<br />

Ein paar Lieder begleiten<br />

zu können oder mal rasch ein paar<br />

neue Akkordfolgen auszudenken,<br />

das reicht mir schon. An der Gitarre<br />

kann ich entspannen, es ist für<br />

mich sozusagen ein reines Chill-out-<br />

Instrument. Um keine Gitarristen vor<br />

den Kopf zu stoßen: Mir ist natürlich<br />

voll bewusst, dass es jede Menge<br />

Literatur für die Gitarre gibt, darunter<br />

auch hochvirtuose Werke aller möglichen<br />

Länder und Epochen. Aber ich<br />

habe nicht den Anspruch an mich<br />

selber, diese einzustudieren – zumal<br />

ich derzeit leider nicht einmal ein eigenes<br />

Instrument besitze.<br />

Fantastische Bücherwelt: Gibt es<br />

ein Instrument, das Du gern noch<br />

spielen können würdest?<br />

Manuel: Neben der Querflöte, die<br />

mich schon als Jugendlicher gereizt<br />

hat – meine Mutter behauptete allerdings<br />

immer, dass sie den Klang<br />

nicht mag, also bekam ich auch keinen<br />

Unterricht –, würde mich prinzipiell<br />

mal ein Streichinstrument tieferer<br />

Lage interessieren, z. B. Cello<br />

oder Bratsche, zumal das Repertoire<br />

an Orchester- und kammermusikalischer<br />

Literatur ja ganze Bibliotheken<br />

füllt. Und dann ist da natürlich die<br />

»Königin der Instrumente«, die Orgel,<br />

für die man als Pianist die besten<br />

Voraussetzungen mitbringt. Vor vielen<br />

Jahren habe ich mich mal daran<br />

versucht, fühlte mich durch das zusätzliche<br />

Pedal jedoch recht schnell<br />

überfordert.<br />

Fantastische Bücherwelt: Welche<br />

<strong>Roll</strong>e spielt Musik in Deinem Leben?<br />

Manuel: Sie hat mich seit frühester<br />

Kindheit begleitet und geprägt. Sie ist<br />

nichts weniger als lebenswichtig für<br />

mich.<br />

Fantastische Bücherwelt: Welche<br />

Musik hörst Du gern?


Manuel: Am liebsten höre ich Musik,<br />

die mir auf schwer beschreibbare<br />

Weise Horizonte eröffnet – allermeistens<br />

ist das klassische Musik,<br />

aber nicht nur. Am besten rede ich<br />

nicht lange drum herum und gebe<br />

stattdessen ein paar Beispiele:<br />

Bach (z. B. h-Moll-Messe), Mozart<br />

(Klavierkonzerte, Jupiter-Sinfonie),<br />

Beethovens gesamtes Klavierwerk,<br />

fast alles aus der Romantik (Chopin,<br />

Rachmaninow, Borodin, Ravel,<br />

Schumann, Clara Schumann geb.<br />

Wieck, Mendelssohn-Bartholdy, Debussy,<br />

Brahms, Grieg usw.), des<br />

weiteren Mel Bonis (Mélanie Bonis),<br />

Darius Milhaud, Jean Sibelius, Paul<br />

Hindemith, Erwin Schulhoff, Scott Joplin,<br />

George Gershwin, Andrew Lloyd<br />

Webber, die Beatles, Peter, Paul and<br />

Mary, Simon & Garfunkel, Irisches<br />

und (pseudo-)Keltisches aller Art,<br />

Erich W. Korngold, Bert Kaempfert,<br />

Vangelis, alle mögliche Filmmusik<br />

bzw. Soundtracks … um nur einige<br />

zu nennen.<br />

Fantastische Bücherwelt: Was hat<br />

Dich zu „Weltenlied“ inspiriert bzw.<br />

kannst Du Dich noch an Deine ersten<br />

Ideen dazu erinnern? War der hohe<br />

Stellenwert der Musik von Anfang an<br />

geplant?<br />

Manuel: Die allererste Idee war die:<br />

Ein Junge verwandelt sich in einen<br />

Löwen. Sie ging mir nicht mehr aus<br />

dem Kopf. Da war ich gerade 16<br />

Jahre alt. Um ganz ehrlich zu sein,<br />

habe ich diese Idee vor Weltenlied<br />

schon einmal als erzählte Geschichte<br />

zu verarbeiten versucht; und in der<br />

Rückschau bin ich daran gescheitert.<br />

Die Musik spielte bereits in der ersten<br />

Fassung eine <strong>Roll</strong>e, allerdings<br />

wurde mir erst bei der Planung von<br />

Weltenlied der wahre Stellenwert bewusst,<br />

den die Flöte und ihre Macht<br />

in Bezug auf den Plot haben würden<br />

(und seit jeher hatten).<br />

Nachdem sich Léun vor meinem inneren<br />

Auge erst einmal manifestiert<br />

hatte, ging mir auch seine Geschichte<br />

nicht mehr aus dem Kopf. Ich wusste,<br />

dass seine Geschichte die Geschichte<br />

ist, die ich erzählen muss, koste es,<br />

was es wolle. Und mir war klar, dass<br />

mein erster Versuch misslungen war.<br />

Diese Gewisssheit war ungelogen so<br />

schmerzhaft, dass sie mir Alpträume<br />

bescherte. Also beschloss ich noch<br />

vor dem Erscheinen von Streuner –<br />

und entgegen dem Rat meines damaligen<br />

Agenten – Léuns Geschichte<br />

erneut, das heißt, von Grund auf neu<br />

zu erzählen. Für meinen Ex-Agenten<br />

wohl ein Desaster, für mich als Autor<br />

jedoch eine Art Wiederverpuppung,<br />

die mich seither und auch in Zukunft<br />

guten Gewissens anstatt Zuckerwasser<br />

meine eigene Nektarquelle anfliegen<br />

lässt.<br />

Fantastische Bücherwelt: Erzähl<br />

uns doch bitte etwas über die Welt,<br />

in der die Geschichte spielt.<br />

Manuel: Nýrdan ist eine vermeintlich<br />

abgelegene Inselgruppe, in unseren<br />

Maßstäben gemessen etwa 2,000<br />

km östlich von Lesh-Tanár gelegen<br />

– ja, genau dem Lesh-Tanár, in dem<br />

der Streuner Wolf und seine Kumpane<br />

ihr Unwesen treiben, wobei die<br />

Handlung von Weltenlied wiederum<br />

zu einer völlig anderen Zeit spielt …


Wie auch immer – zu Léuns Zeit<br />

(und auch lange vor- und nachher)<br />

ist Nýrdan eine isolierte Inselwelt,<br />

gelegen in einer eher subtropischen<br />

Klimazone (daher die Reisfelder und<br />

die vergleichsweise milden Winter),<br />

mit einem Nachteil: Düsterland, eine<br />

wirtschaftlich eher semi-erfolgreiche<br />

Region im Südosten, deren dampfmaschinenbasierter<br />

technologischer<br />

Fortschritt sich nicht jedem erschließt,<br />

weshalb die breite Unterstützung seitens<br />

der restlichen Bevölkerung auch<br />

eher auf sich warten lässt …<br />

Fantastische Bücherwelt: Warum<br />

Gestaltwandler?<br />

Manuel: Weil sie mich seit jeher<br />

faszinieren.<br />

Fantastische Bücherwelt: Es beginnt<br />

mit einem Löwen. Was verbindet<br />

Dich mit diesen Tieren? Oder hat<br />

das rein inhaltliche Gründe?<br />

Manuel: Kleine und große Katzen,<br />

insbesondere Löwen, begleiten und<br />

faszinieren mich, solange ich denken<br />

kann. Schon als Kind und Jugendlicher<br />

sammelte ich alle Bilder und<br />

Infos zu Großkatzen, die ich nur bekommen<br />

konnte. Das Raubtierhaus<br />

in jedem beliebigen Zoo zog mich immer<br />

magisch an, trotz des oft genug<br />

beißenden Geruchs. Nicht zuletzt<br />

wirkte der Disney-Film Der König der<br />

Löwen Mitte der neunziger Jahre wie<br />

eine Offenbarung auf mich, von C. S.<br />

Lewis’ Aslan ganz zu schweigen. Da<br />

war es nur eine Frage der Zeit, bis<br />

mich Léuns Geschichte eines Tages<br />

treffen würde wie ein Blitz.<br />

Meine Faszination für Großkatzen<br />

geht übrigens über Káor und seine<br />

Wahrnehmung (bzw. wie er von<br />

anderen wahrgenommen wird) weit<br />

hinaus: In Weltenlied habe ich eine<br />

menschliche Gesellschaft, nämlich<br />

die der Steppenläufer, den heutigen<br />

Erkenntnissen vom Leben realer Löwenrudel<br />

nachgebildet, in denen der<br />

Nachwuchs des getöteten Alpha-<br />

Männchens vom übernehmenden<br />

Männchen getötet wird. Dieser Vorgang,<br />

so schrecklich er auch sein<br />

mag, findet sich praktisch unverändert<br />

(und unhinterfragt, wie in unserer<br />

Welt kein Löwe Fragen stellen<br />

würde) in der Kultur der Steppenläufer<br />

wieder.<br />

Fantastische Bücherwelt: Wenn<br />

Du Dich in ein Tier Deiner Wahl verwandeln<br />

könntest, welches würdest<br />

Du wählen und warum?<br />

Manuel: Einen (männlichen) Löwen.<br />

Und irgendwie bin ich innerlich von<br />

Geburt an einer, auch wenn ich, biologisch<br />

gesehen, zu den Trockennasenaffen<br />

zähle. Weil ich mich als<br />

Löwe geboren fühle.<br />

Fantastische Bücherwelt: Gibt es<br />

in dem Roman eine Figur, die Dir besonders<br />

am Herzen liegt?<br />

Manuel: Ja: Léun. Er ist ein wesentlicher<br />

Teil meines Alter Egos in Weltenlied<br />

(lies meinen Vornamen mal<br />

rückwärts …). Aber er ist nicht der einzige<br />

Teil. Alle Figuren im Roman sind<br />

irgendwie mit mir verbunden. Von daher<br />

schlägt auch mein Herz nicht nur<br />

für Léun, sondern für sie alle.


Fantastische Bücherwelt: An welchem<br />

Ort in Nýrdan würdest Du<br />

Dich gern eine Weile aufhalten? Und<br />

warum?<br />

Manuel: Das ist leicht: Die Stadt Urtán<br />

am Großen Salzsee wäre für mich<br />

der Ort erster Wahl. Urtán ist in Nýrdan<br />

eine Art Weltstadt, ein Schmelztiegel<br />

verschiedener Kulturen, fast<br />

wie Auckland in unserer Welt. Davon<br />

abgesehen würde ich jederzeit gerne<br />

Léuns Heimat Grüntal, die Geisterstadt<br />

im Zentrum von Mittwald und<br />

natürlich Schloss Larkhâ besuchen<br />

– Letzteres ist, wie ich aus sicherer<br />

Quelle weiß, für Touristen jederzeit<br />

geöffnet (auch wenn das im Roman<br />

nicht unbedingt deutlich wird)!<br />

Fantastische Bücherwelt: Gibt es<br />

Vorbilder für die Musik in „Weltenlied“?<br />

Manuel: Vorbilder nicht, vielmehr<br />

habe ich einige der Musikstücke und<br />

Lieder, von denen im Roman die<br />

Rede ist, selber auskomponiert.<br />

Fantastische Bücherwelt: Was<br />

denkst Du über die magische Kraft<br />

der Musik?<br />

Manuel: Deine Frage nimmt meine<br />

Antwort schon vorweg: Ich halte Musik<br />

– ebenso wie übrigens auch jede<br />

Geschichte und jedes Kunstwerk, ob<br />

nun mündlich, schriftlich oder bildlich<br />

überliefert – für eine real erfahrbare<br />

(wenn nicht die einzige!) Form<br />

von <strong>Mag</strong>ie. Ein Notenblatt mit dem<br />

Hauptthema von Smetanas Moldau,<br />

eine nordische Saga wie die um<br />

Gísli Súrsson, die Höhlenmalereien<br />

von Lascaux, ein Ballett wie Tschaikowskis<br />

Schwanensee, ein Gemälde<br />

wie die Mona Lisa, eine Statue wie<br />

Michelangelos David, die Büste der<br />

Nofretete, die Venus von Willendorf<br />

– all diesen beispielhaft genannten<br />

Meisterwerken menschlicher Schöpfungskraft<br />

wohnt ein Zauber inne, der<br />

sie die Zeiten trotz aller Widrigkeiten<br />

hat überdauern lassen. Das ist wahre<br />

<strong>Mag</strong>ie, finde ich.<br />

Fantastische Bücherwelt: Auf wie<br />

viele Teile ist die „Saga der Zwölf“<br />

angelegt?<br />

Manuel: Bei der Planung schwebte<br />

mir tatsächlich ein monumentales<br />

Epos von exakt zwölf Bänden<br />

vor – jeweils ein Teilband sollte die<br />

Geschichte eines der zwölf Gestaltwandler<br />

erzählen, bis sie dann im Finale<br />

endlich zusammenfinden. Diese<br />

Idee habe ich bereits beim Schreiben<br />

von Weltenlied verwerfen müssen,<br />

da sich herausstellte, dass die Zwölf<br />

viel enger miteinander verbunden<br />

sind als gedacht. In Weltenlied kommen<br />

ja bereits vier von ihnen vor, von<br />

denen zwei mit diesem ersten Band<br />

»ihre« Geschichte erleben. Ich gehe<br />

davon aus, dass auch in zukünftigen<br />

Bänden immer mehr oder weniger<br />

kleine Gruppen der zwölf Gestaltwandler<br />

zum Zug kommen werden.<br />

Band zwei, so viel kann ich schon<br />

verraten, wird in der Zeit zurückgehen<br />

und sich der recht dramatischen<br />

Geschichte um Báss den Schwarzbären<br />

und Barúka den Schwertfisch<br />

widmen.


Fantastische Bücherwelt: Wo<br />

schreibst Du am liebsten? Brauchst<br />

Du dafür Ruhe oder begleitet Dich<br />

Musik?<br />

Manuel: Der Ort spielt eigentlich keine<br />

<strong>Roll</strong>e. Ob nun am Arbeitsplatz<br />

zu Hause in meiner Dachwohnung,<br />

am Küchentisch meiner Eltern oder<br />

auf dem Balkon – wenn ich schreibe<br />

bzw. Texte für andere erstelle, verblasst<br />

die Umgebung um mich herum.<br />

Als ich noch studiert habe, bin<br />

ich öfter mal ins Uni-Rechenzentrum<br />

gegangen. Die Arbeitsatmosphäre<br />

in den Poolräumen hat mich immer<br />

sehr motiviert. Einige Kapitel aus<br />

dem vorderen Teil von Streuner sind<br />

dort entstanden. Ruhe brauche ich<br />

beim Schreiben fast nur im Hinblick<br />

auf gesprochene Sprache. Wenn<br />

sich Leute in Hörweite unterhalten<br />

oder ein Radio vor sich hin quasselt,<br />

bringt mich das aus dem Konzept. Einen<br />

semantisch neutralen Lärmpegel<br />

kann ich zu einem gewissen Grad tolerieren.<br />

Dagegen ist Musik für mich<br />

stets willkommene Inspiration und<br />

Unterstützung, um etwa die emotionale<br />

Tragweite einer Szene im Text<br />

festzuhalten. Die Stelle in Weltenlied,<br />

als Ciára in einer fremden Stadt verkleidet<br />

auf Léun wartet – eigentlich<br />

sogar fast das ganze Kapitel – ist zu<br />

zwei bestimmten Tracks von einer<br />

CD mit keltischem Folk entstanden,<br />

die in einer Endlosschleife abwechselnd<br />

liefen. Auch die Passage auf<br />

der Sturmpflug und viele der Kapitel,<br />

die aus Ríyuus Perspektive erzählt<br />

sind, hatten sozusagen ihren jeweils<br />

eigenen »Soundtrack«.<br />

Fantastische Bücherwelt: Was ist<br />

Dir beim Schreiben wichtig? Was<br />

möchtest Du dem Leser vermitteln?<br />

Manuel: In Bezug auf meine eigenen<br />

Texte wünsche ich mir, dass sie<br />

den Menschen etwas geben. Dass<br />

du als Leser nach dem letzten Satz<br />

innehältst und das Gefühl hast, etwas<br />

mitzunehmen, was dich als Individuum<br />

bereichert. Und dass du das<br />

Buch irgendwann wieder aufschlägst<br />

und es noch einmal von vorne liest.<br />

Ich will keine Bücher schreiben, die<br />

sich in einer Nacht weglesen lassen<br />

und am nächsten Tag vergessen sind<br />

(und übrigens kann ich es auch nicht<br />

– ich habe es mal versucht und bin<br />

nach zwanzig Seiten gescheitert).<br />

Was jeder Leser für sich mitnimmt, ist<br />

übrigens nicht im Text bewusst oder<br />

unbewusst angelegt. Meine Bücher<br />

haben keine »Message«. Vielmehr<br />

ist es für jeden Menschen verschieden<br />

und absolut individuell, was meine<br />

Geschichte mit dir macht.<br />

Fantastische Bücherwelt: Was war<br />

bisher Dein schönstes Erlebnis als<br />

Autor?<br />

Manuel: Hm … schwierig. Klar, es<br />

gab ein paar echte Highlights, aber<br />

die meisten Dinge, von denen praktisch<br />

jeder Autor träumt – mehrere<br />

Auflagen, die limitierte Prachtausgabe<br />

des Erstlings, ein bedeutender<br />

Literaturpreis, die Übersetzung<br />

ins Englische — sind für mich bislang<br />

Träume geblieben. Eines der<br />

schönsten Erlebnisse war sicherlich,<br />

auf der Leipziger Buchmesse vor<br />

über einhundert Fantasy-Fans aus


dem Streuner-Manuskript lesen zu<br />

dürfen. Das war im Jahr 2009. Seither<br />

sind mir zwei unterzeichnete Verlagsverträge,<br />

das Heyne-Paket mit<br />

den ersten gedruckten <strong>Ausgabe</strong>n von<br />

Streuner sowie jede einzelne lobende<br />

Rezension eines meiner Bücher<br />

besonders im Gedächtnis geblieben.<br />

Fantastische Bücherwelt: Welche<br />

Autoren-Macken hast Du?<br />

Manuel: Wenn ich Bücher signiere,<br />

ärgere ich mich immer über meine<br />

ungelenke Handschrift und würde<br />

das gerade signierte Exemplar am<br />

liebsten gar nicht weitergeben.<br />

Fantastische Bücherwelt: Was macht<br />

Dir als Selfpublisher am meisten Freude<br />

– und was magst Du nicht so?<br />

Manuel: Am meisten schätze ich die<br />

freie, unbeschränkte Arbeitszeit, die<br />

für jedes Projekt zur Verfügung steht.<br />

Es macht mir viel Freude, eigene Texte<br />

in die Schublade zu legen und erst<br />

nach vier Wochen oder noch länger<br />

wieder anzuschauen, sie umzuarbeiten<br />

und daran zu feilen. Diese Phase<br />

der Arbeit, das umfassende Redigieren<br />

von vorhandenem Text, ist fast<br />

immer die produktivste. Erfahrungsgemäß<br />

profitiert das Endprodukt auch<br />

am meisten davon. Zudem habe ich<br />

großen Spaß an der Gestaltung von<br />

Layout und Cover, der Kapiteleinteilung,<br />

der Titelfindung, dem Verfassen<br />

von Teasern und Klappentexten<br />

und so weiter. Weniger gut dagegen<br />

bin ich in Sachen Werbung und Marketing.<br />

Sehr zurückhaltend bin ich<br />

mittlerweile auch, was den direkten<br />

Austausch mit anderen »Selfpublishern«<br />

(ich mag das Wort nicht) angeht<br />

– der immense Bücher-Output,<br />

der Eindruck allumfassender Kompetenz,<br />

das nach außen hin turmhohe<br />

Selbstbewusstsein und noch einiges<br />

mehr, was viele Autoren in diesem<br />

Bereich auszeichnet, all das wirkt auf<br />

mich einschüchternd, weckt meinen<br />

Fluchtinstinkt.<br />

Fantastische Bücherwelt: Was<br />

liest Du selbst gern? Welche Bücher,<br />

in denen Musik eine wichtige <strong>Roll</strong>e<br />

spielt, würdest Du empfehlen?<br />

Manuel: Als Leser bin ich nicht auf<br />

ein bestimmtes Genre beschränkt.<br />

Früher habe ich viel Fantasy gelesen,<br />

mit den meisten zeitgenössischen<br />

Vertretern der Sparte kann ich jedoch<br />

wenig anfangen. Heute lese ich alles,<br />

was mich interessiert, vom literarisch<br />

ambitionierten SF-Drama über den<br />

Gesellschaftsroman der sechziger<br />

Jahre bis hin zum kosmologischen<br />

Sachbuch.<br />

Musikalisch inspirierte Bücher, die<br />

ich empfehlen würde, sind z. B. Hans<br />

Bemmanns Märchenroman Stein und<br />

Flöte, in dem ein Mensch die Sprache<br />

verliert und sich erst mit Flötenmelodien<br />

wieder zu äußern vermag;<br />

der erste Band der Narnia-Chroniken<br />

von C. S. Lewis, Das Wunder von<br />

Narnia, in dem der Löwe Aslan durch<br />

seinen Gesang die Welt erschafft;<br />

Dietmar Daths preisgekröntes Meisterwerk<br />

Die Abschaffung der Arten<br />

(der musikalische Bezug ergibt sich<br />

erst beim Lesen); Maarten ’t Harts<br />

großartige Autofiktion Das Wüten der<br />

ganzen Welt, deren halbwüchsiger


Ich-Erzähler an einer Stelle angesichts<br />

eines wertvollen Klaviers, auf<br />

dem er unbedingt spielen will, eine<br />

Erektion bekommt; Hella Streichers<br />

Höhere Welten, ebenfalls ein autofiktionaler<br />

Text, der eine lesbische Liebesbeziehung,<br />

die Wende ab 1989,<br />

den Wahnsinn sowohl des Alltags der<br />

späten achtziger und frühen neunziger<br />

Jahre als auch der Lehre Rudolf<br />

Steiners, der sogenannten Anthroposophie,<br />

zum Thema hat; und nicht zuletzt<br />

Lars Vollmers pointierter, witziger<br />

Business-Ratgeber Wrong Turn,<br />

aus dem mir die Umschreibung »erster<br />

Draht, drittes Feld« (gemeint ist<br />

der Basston G auf der Gitarre) noch<br />

jetzt, nach fast zwei Jahren der Lektüre,<br />

im Gedächtnis präsent ist und<br />

mich abermals schmunzeln lässt.<br />

Fantastische Bücherwelt: Woran<br />

arbeitest Du gerade?<br />

Manuel: Daran, besser zu werden.<br />

Fantastische Bücherwelt: Herzlichen<br />

Dank für das Interview und Deine<br />

Geduld!<br />

Manuel: Ich habe zu danken!<br />

Qindie präsentiert: Fantastische Bücherwelt


Autor: Manuel Charisius<br />

Titel: Weltenlied (Die Saga der Zwölf 1)<br />

ASIN: B00LAB78N0<br />

Preis: 3,99 €<br />

358 Seiten<br />

„Weltenlied“ ist eine Geschichte, in<br />

der die Musik einen hohen Stellenwert<br />

hat und neben den Hauptfiguren<br />

nicht verblasst. Das zeigt sich auch<br />

in der Benennung der einzelnen Elemente<br />

des Buches. Es gliedert sich<br />

nicht in Teile, sondern in Strophen,<br />

die aus mehreren Kapiteln bestehen.<br />

Statt eines Prologs gibt es ein Vorspiel,<br />

statt eines Epilogs ein Nachspiel.<br />

Und es gibt Zwischenspiele.<br />

Also ganz so wie in einem Lied, was<br />

auf mich sehr stimmig wirkt.<br />

Sohn auf eine geheime Mission. Begleitet<br />

wird Prinz Gúrguar dabei nur<br />

von dem geheimnisvollen Syr Páno,<br />

einem Meistermusiker.<br />

In der ersten Strophe lernen wir<br />

den 14-jährigen Waisenjungen Léun<br />

und sein Umfeld kennen. Er lebt bei<br />

seinem Großvater in Grüntal und<br />

führt ein beschauliches Leben, bis<br />

er von einem Löwen angefallen und<br />

zerfleischt wird, jedoch unverletzt<br />

Das Vorspiel führt uns nach Düsterland,<br />

wo König Efuwâk seinem<br />

Thronfolger den Auftrag erteilt, die<br />

magische Flöte des Yleriánt zu finden<br />

und ihren Träger unschädlich zu<br />

machen. Das magische Instrument<br />

kann Düsterland vernichten, denn<br />

wer es spielt, kann die Welt nach<br />

Belieben wandeln. Die Flöte galt seit<br />

Jahrhunderten als verschollen, doch<br />

nun liegen dem König andere Informationen<br />

vor und er schickt seinen


erwacht und fortan den Löwen Káor<br />

in sich trägt. Léun kann Löwengestalt<br />

annehmen, hat anfangs allerdings<br />

keine Kontrolle über diese Fähigkeit<br />

und bringt dadurch seine Familie<br />

und Freunde in Gefahr. Zusammen<br />

mit seinem besten Freund Arrec und<br />

dem Waldhüter Héranon bricht er in<br />

die nächste große Stadt auf, um dort<br />

einen Weisen zu finden, von dem er<br />

den Umgang mit seiner Verwandlungsgabe<br />

lernen kann.<br />

Eine weitere Hauptfigur ist der junge<br />

Steppenläufer Ríyuu, dem wir in<br />

der zweiten Strophe begegnen. Er<br />

wurde vom Stammesführer aus der<br />

Zeltstadt Wáhiipa verstoßen und von<br />

seinem Gefährten getrennt. Ríyuu<br />

darf nur in seine Heimat zurückkehren,<br />

wenn er die Aufgabe seines Anführers<br />

erfüllt, den Wind zu reiten.<br />

Auf dem Weg zum nördlichen Horizont<br />

kreuzen nicht nur die Feinde aller<br />

Steppenläufer seinen Weg, sondern<br />

auch die Flöte des Yleriant.<br />

Der Roman konnte mich mit seinen<br />

stimmungsvollen Beschreibungen<br />

und geheimnisvollen Andeutungen<br />

schnell einfangen, dazu kamen<br />

noch spannende Figuren und eine<br />

abwechslungsreiche Welt, die es<br />

zu entdecken gab. Mir hat gefallen,<br />

dass die einzelnen Erzählstränge relativ<br />

ruhig beginnen und sich für die<br />

einzelnen Figuren und Kulturen Zeit<br />

genommen wird. So konnte man ein<br />

Gefühl für sie aufbauen, bevor die<br />

Geschichte an Tempo zugelegt hat.<br />

Zu der dichten Atmosphäre tragen<br />

für mich auch die Details bei, durch<br />

die ich ein besseres Gefühl für die<br />

Lebensweisen aufbauen konnte.<br />

Beispielsweise gibt es eine Szene mit<br />

Ríyuu, in der es um die zahlreichen<br />

Wörter seines Volkes für die unterschiedlichen<br />

Windarten geht. So etwas<br />

gefällt mir nicht nur sehr, es vermittelt<br />

auch einen starken Eindruck<br />

zur Lebensart der Steppenläufer.<br />

Léun merkt man sein Alter durch<br />

die pubertäre Art deutlich an, aber er<br />

hat auch eine liebevolle loyale Seite,<br />

die mir sehr sympathisch war. Und<br />

er will trotz aller Verwirrung mehr<br />

über den Hintergrund seiner Verwandlungsgabe<br />

und Káor wissen.<br />

Mit Arrec hatte ich aufgrund seiner<br />

überdrehten Art anfangs etwas Probleme,<br />

durch seine Entwicklung im<br />

Verlauf der Geschichte hat sich das<br />

aber völlig geändert. Ríyuu hat mich<br />

allein schon durch seine Sensibilität<br />

für sich eingenommen, außerdem<br />

waren da verhängnisvolle Andeutungen<br />

und meine Faszination für die<br />

Steppenläufer. Und doch hat es mir<br />

Héranon mit seiner speziellen Ausstrahlung<br />

und der für mich reizvollen<br />

Kombination aus Wissen, Tragik und<br />

Geheimnissen besonders angetan.<br />

Es geht um Freundschaft und Liebe,<br />

die Beziehungen werden sensibel<br />

beschrieben und haben mich berührt.<br />

Aber auch um das Schicksal<br />

der Welt, Wandlung und natürlich die<br />

magische Kraft der Flöte des Yleriant,<br />

die je nach Können des Spielers die<br />

Welt nach Belieben verändern kann.<br />

Oder um wieder zurück zu den Strophen<br />

zu kommen: Verwandlung, Verdunkelung,<br />

Vereinigung, Vollendung.<br />

Reizvolle Figuren, die mystische<br />

Seite der Geschichte, eine abwechslungsreiche<br />

Welt, die <strong>Mag</strong>ie der Flöte


zw. ihrer Musik, sensibel-liebevoll<br />

beschriebene Beziehungen, die Mischung<br />

aus ruhigen und actionreichen<br />

Szenen – all das verband sich für mich<br />

zu einer beeindruckenden Lektüre,<br />

die mich mitgerissen und emotional<br />

berührt hat. Und zum Spekulieren<br />

gab es auch reichlich Gelegenheit,<br />

was mir ja immer Spaß macht.<br />

„Weltenlied“ hat mich mit vielen Bildern<br />

und Gefühlen zurückgelassen,<br />

und mit einer Faszination für diese<br />

Welt. Nicht nur für bestimmte Völker<br />

und Figuren, sondern auch für den<br />

mystischen Hintergrund. Die Zwölf<br />

machen mich unheimlich neugierig!<br />

Wie sah ihre Vergangenheit aus,<br />

wohin führt die Zukunft? Außerdem<br />

wären da noch spannende, nicht<br />

aufgelöste Andeutungen – und das<br />

Nachspiel. Darum hoffe ich natürlich<br />

auch auf eine Fortsetzung ... Oder<br />

sollte Herr Charisius einer von den<br />

üblen Schurken sein, die uns arme<br />

Leser nach dem ersten Band einer<br />

Saga allein im Regen stehen lassen?<br />

~ Lass Mich Singen ~<br />

~ Und Ich Schenke Dir ~<br />

~ Eine Welt ~<br />

Über mich:<br />

Ich heiße Marny und blogge seit<br />

2008 als „Fantastische Bücherwelt“.<br />

Mein Schwerpunkt liegt bei deutschen<br />

Fantasy-Autoren, weil mich<br />

ihre Geschichten begeistern und ich<br />

finde, dass sie nicht genug Aufmerksamkeit<br />

erhalten.<br />

www.fantastische-buecherwelt.de<br />

Facebook: facebook.com/Fantastische.Buecherwelt/<br />

Qindie präsentiert: Regina Mengel


von Regina Mengel<br />

Nicht erst seit Selfpublishing zum großen<br />

Trend geworden ist, gibt es Parallelen<br />

zum Musikbusiness. Spätestens<br />

seit es E-Books – also digitale<br />

Produkte – in die Shops geschafft haben,<br />

zeigen sich immer mehr Ähnlichkeiten.<br />

Denken wir zum Beispiel an<br />

die Vielzahl illegal heruntergeladener<br />

Songs. Im Musikmarkt hat sich das<br />

Thema inzwischen halbwegs reguliert,<br />

im Buchmarkt jedoch treiben es<br />

die E-Bookpiraten derzeit noch wild.<br />

Aber fangen wir von vorn an. Lassen<br />

sich Selfpublishing und die Arbeit<br />

eines kleinen, unabhängigen Plattenlabels<br />

vergleichen? Oliver Betten<br />

von Sitzer Records war so freundlich<br />

und hat sich meinen Fragen gestellt.<br />

Vielen Dank für das nette und aufschlussreiche<br />

Telefonat.<br />

Zunächst wollte ich natürlich etwas<br />

mehr über das Unternehmen wissen.<br />

Was gibt es denn da so auf<br />

die Ohren? Seit wann existiert Sitzer<br />

Records? Und wie ‚unabhängig‘<br />

sind sie? Gibt es vielleicht doch ein<br />

großes Unternehmen, das dahinter<br />

steht?<br />

Sitzer Records produziert überwiegend<br />

deutschsprachige Musik, früher<br />

auch mal Punk, in den letzten<br />

Jahren eher Indie Pop/Indie Alternative.<br />

Oliver hat das Label 1999 gegründet<br />

und zunächst allein gewuppt. Allerdings<br />

stieß schon kurz darauf Dorea<br />

dazu, mit der er inzwischen verheiratet<br />

ist. Erst kam die gemeinsame Arbeit<br />

und dann die Liebe. Isn’t it romantic?<br />

Wie es auch vielen Autorinnen nicht<br />

fremd ist, hatten die beiden stets neben<br />

dem Label noch einen Brot- und<br />

Butterarbeitsplatz und Sitzer Records<br />

lief nebenher – sofern man das<br />

bei einem Arbeitsaufwand von gut<br />

zwei Powerarbeitstagen pro Woche<br />

so nennen darf. Um komplett davon<br />

zu leben, warf und wirft das Label<br />

nicht genug ab, aber zeitweilig bot es<br />

den beiden doch ein „nettes Zubrot“,<br />

um es mit Olivers Worten zu sagen.<br />

Auch Musik verkauft sich nicht von allein.<br />

Oliver hatte Glück und hat schon<br />

bald einen Vertrieb gefunden, der für<br />

ihn die Distribution übernommen hat.<br />

Die Musik des Labels ist somit überall<br />

und in den üblichen Varianten, CD,<br />

Vinyl und MP3, erhältlich.<br />

Sitzer Records ist komplett unabhängig,<br />

es gibt niemanden, der ihnen<br />

sagt, was sie zu tun und was sie zu<br />

lassen haben. Apropos ‚lassen‘: Gerade<br />

liegt das Unternehmen auf Eis,<br />

und ob es jemals wieder durchstartet,


steht noch in den Sternen. Im Augenblick<br />

gefällt es Oliver genau so, wie es<br />

ist. Die freigewordene Zeit braucht er<br />

für die Familie. „Die Familie hat Vorrang.<br />

Brotjob und dann noch abends<br />

und nachts das Plattenlabel, das<br />

geht nicht.“ Schließlich hat sich die<br />

Familie inzwischen verdoppelt. Zwei<br />

heranwachsende Musikfans im Alter<br />

von 4 Jahren und 4 Monaten wollen<br />

versorgt und geliebt werden.<br />

Und schon sind wir bei den Fragen<br />

nach der Übereinstimmung. Kann<br />

man Selfpublishing mit einem Indie-<br />

Plattenlabel vergleichen?<br />

Ja! Man kann. Und Nein! Man<br />

kann es auch wieder nicht.<br />

Der passendste Vergleich wäre<br />

wahrscheinlich der, das Label mit einem<br />

kleinen, unabhängigen Verlag<br />

zu vergleichen, denn beide tragen<br />

– anders als wir Selfpublisherinnen<br />

- das komplette Risiko für die Produkte,<br />

die sie herausbringen, ohne<br />

selbst der Urheber zu sein. Das ist<br />

der entscheidende, wirklich herausragende<br />

Unterschied. Sehen wir mal<br />

davon ab, dass es im Musikbereich<br />

die Möglichkeit gibt, Förderanträge<br />

zu stellen und so das nötige Kapital<br />

aufzutreiben.<br />

All die Dinge, die wir Selfpublisherinnen<br />

betreiben müssen, um unsere<br />

Bücher an die Leserinnen zu bringen,<br />

ähneln doch stark dem, was Oliver<br />

mir berichtet hat.<br />

• Ohne Marketing geht nichts und<br />

Marketing kostet.<br />

• Ohne Sichtbarkeit geht nichts.<br />

Aber Sichtbarkeit ist auch nicht<br />

alles.<br />

• Je besser ein Produkt sein<br />

solldesto höher sind die<br />

Vorlaufkosten.<br />

• Piratinnen sind lästig, unnötig<br />

und kriminell, aber vielleicht auch<br />

nicht immer von Nachteil.<br />

• Im Vergleich zu früher haben sich<br />

die Käuferinnen verändert und<br />

damit auch ihr Kaufverhalten.<br />

<strong>Roll</strong>en wir mal das Feld von hinten auf:<br />

Im Vergleich zu früher haben sich<br />

die Käuferinnen verändert und damit<br />

auch ihr Kaufverhalten.<br />

Das kommt uns Autorinnen sicher<br />

bekannt vor. Wir beklagen vielleicht<br />

eher, dass die Anzahl von Leserinnen<br />

zurückzugehen scheint im Vergleich<br />

zu früher und dass viele im E-Book-<br />

Bereich nicht bereit sind, angemessene<br />

Preise zu bezahlen.<br />

Im Musikbereich fehlt es an Käufernachwuchs.<br />

„Die Kids geben kein Geld<br />

mehr für Musik aus. Das Smartphone<br />

oder Computerspiele fressen das Taschengeld<br />

auf.“ Um mal eine Platte<br />

zu kaufen, bleibt anscheinend nichts<br />

mehr übrig. Auch hat sich der Stellenwert<br />

von Musik total gewandelt. Musik<br />

ist allgegenwärtig, vom Klingelton<br />

bis zur Fahrstuhlmusik, wir alle sind<br />

ständig von Gedudel umgeben. Sich


einfach mal hinzusetzen und bewusst<br />

seiner Lieblingsmusik zu lauschen, ist<br />

heute nicht mehr in. Immerhin, es gibt<br />

sie noch, ‚die Lieblingsband‘, auch<br />

wenn sich das Fan-Sein immer mehr<br />

zu einem Personenkult hinzuverändern<br />

scheint, bei der die Musik fast<br />

schon nebensächlich wirkt.<br />

Dieses Phänomen findet sich in<br />

Autorinnenkreisen auch. Heutzutage<br />

wird ‚die Autorin’ zum Anfassen erwartet,<br />

man ist in den sozialen Medien<br />

präsent und nur eine alteingesessene<br />

Bestsellerautorin kann sich guten<br />

Gewissens erlauben, kein öffentlicher<br />

Mensch zu sein. Verlage erwarten von<br />

Neuautorinnen, dass sie bereit sind,<br />

Lesungen zu halten und mit Bloggerinnen<br />

und Leserinnen in Dauerkontakt<br />

zu stehen. Für uns Selfpublisherinnen<br />

ist das sowieso essenziell. Denn ohne<br />

diese ständige Präsenz sind wir so gut<br />

wie tot. Ausnahmen bestätigen selbstverständlich<br />

auch hier wie immer die<br />

Regel.<br />

Piratinnen sind lästig, unnötig und<br />

kriminell, aber vielleicht auch nicht<br />

immer von Nachteil.<br />

Ja, Piratinnen, die unsere Bücher<br />

stehlen und uns damit unsere Tantiemen<br />

entziehen, sind lästig. Es sind<br />

definitiv Kriminelle, die sich an der Arbeit<br />

anderer bereichern. Und sie und<br />

alle, die von diesem ‚Dienst‘ Gebrauch<br />

machen, sind in aller Regel uneinsichtig.<br />

Warum für etwas bezahlen, das<br />

ich doch auf so einfachem Weg auch<br />

umsonst haben kann? Das Problem:<br />

Sie sind da und so sehr wir uns auch<br />

dagegen wehren, sie sind kaum in<br />

den Griff zu bekommen. Im Moment<br />

steht der E-Book-Markt noch vor einer<br />

großen Herausforderung.<br />

Da ist der Musikmarkt schon weiter.<br />

Ob zum Guten oder zum Schlechten,<br />

sei mal dahingestellt. Die Streamingdienste<br />

haben die Piratinnen weitgehend<br />

abgelöst, allerdings bekommen<br />

die Musikerinnen nur winzige Beträge<br />

für das Streamen ihrer Songs – irgendwas<br />

im Centbereich – das dürfte<br />

in etwa vergleichbar sein, mit den geringen<br />

Beiträgen die Skoobe an Autorinnen<br />

abführt. Bei Amazon sieht das<br />

finanziell schon etwas besser aus.<br />

Ich habe Oliver gefragt, wie er zu<br />

Piratenplattformen steht. Für die Musikbranche<br />

sind sie „kein großes Ding<br />

mehr“. Aber auch vor den Streamingdiensten,<br />

in den wilden Zeiten sozusagen,<br />

haben sie ihm kein Kopfzerbrechen<br />

bereitet, im Gegenteil, es<br />

kann durchaus dazu beitragen, dass<br />

eine Band bekannter wird.<br />

Diese Meinung teile ich übrigens<br />

auch für den Buchmarkt. So ärgerlich<br />

Piratenportale sind, weil sich die Betreiberinnen<br />

illegal bereichern, so wenig<br />

dramatisch sehe ich, dass meine<br />

Bücher auf solchen Portalen zu finden<br />

sind. Ich glaube – oder rede es<br />

mir erfolgreich ein - , dass diejenigen,<br />

die Bücher klauen, sie sowieso nicht<br />

gekauft hätten. Und, wenn sie im besten<br />

Fall anderen von den Büchern, die<br />

ihnen gefallen haben, erzählen, könnte<br />

das sogar zu mehr Verkäufen führen<br />

als ohne diese ‚kostenlosen‘ Bücher.<br />

Soweit gehen, es als kostenlose<br />

Werbung zu bezeichnen, würde ich<br />

allerdings nicht. Piratinnen sind und<br />

bleiben skrupellose Kriminelle, daran<br />

ändert auch ein möglicher positiver<br />

Effekt nichts.<br />

Weiter nach dem Gedicht


von Elsa Rieger<br />

und ich habe ihn gesehen<br />

jimi mich leider nicht<br />

meine rosen niedergetrampelt<br />

in tobender menge auf wackelnden<br />

goldstühlen im altgedienten<br />

konzerthaus<br />

später im stadtpark rauchten<br />

wir schlechtes dope – ich<br />

kotzte in die büsche<br />

und die eltern schimpften:<br />

negermusik – wenn ich ihnen<br />

foxy lady entgegenbrüllte.<br />

gewidmet Jimi Hendrix 1966<br />

Qindie präsentiert: Elsa Rieger


Fortsetzung des Interviews mit Oliver Betten von Sitzer Records<br />

Je besser ein Produkt sein soll,<br />

desto höher sind die Vorlaufkosten.<br />

Mit ‚besser’ meine ich in diesem Falle<br />

‚professioneller’, denn viele Punkte,<br />

die von Musikhörerinnen wie von<br />

Leserinnen als gut oder schlecht<br />

wahrgenommen werden, sind natürlich<br />

subjektiver Natur. Und über Geschmack<br />

wollen wir hier lieber nicht<br />

streiten.<br />

Ich habe Oliver gefragt, wie hoch<br />

seine Vorlaufkosten ungefähr sind.<br />

Grob geschätzt belaufen sich die<br />

Mindestkosten für die Produktion einer<br />

Platte inklusiv Aufnahme und allem<br />

drumherum auf ca. 5.000 Euro.<br />

Das kann allerdings auch problemlos<br />

bis auf 30.000 - 40.000 Euro raufgehen,<br />

wenn man ‚etwas mehr’ möchte.<br />

So hoch sind die Vorlaufkosten für ein<br />

Buch nun nicht, wenn es nicht gerade<br />

2000 Seiten dick ist und das Lektorat<br />

somit Unsummen verschlingt, aber<br />

mit 2000 Euro sollte man schon rechnen,<br />

wenn man die Profis ranlässt:<br />

Lektorat, Korrektorat, Coverdesigner.<br />

Und Werbung kostet natürlich extra.<br />

Mittlerweile hat Oliver gute Erfahrungswerte<br />

und kann einschätzen, ob<br />

die Kosten wieder reinkommen. Übrigens<br />

bleibt bei einem Plattenverkauf<br />

– ich nutze, das habt ihr sicher schon<br />

bemerkt, das Wort Platte als Synonym<br />

für alle Verkaufsvarianten – ungefähr<br />

so viel hängen wie bei einem<br />

E-Book mit einem Preis von ca. 3,49<br />

Euro – 4,99 Euro, das hängt natürlich<br />

auch ein wenig von den Tantiemenmodellen<br />

der unterschiedlichen Distributionsplattformen<br />

ab.<br />

Ein bisschen neidvoll schaue ich<br />

auf die Thematik ‚Förderung’. Oliver<br />

hat mir von einem Projekt erzählt,<br />

das mit einer Fehlbetragsförderung<br />

von 30.000 Euro unterstützt wurde.<br />

Was für eine feine Sache. Einfach einen<br />

Antrag stellen, dann hoffen und<br />

bangen und eine reelle Chance haben.<br />

Allerdings gibt es natürlich auch<br />

Auflagen, die erfüllt werden müssen,<br />

z.B. soll die Band oder die Einzelkünstlerin<br />

noch nicht mehr als zwei<br />

Alben auf den Markt gebracht haben<br />

und es muss ein Unternehmen beteiligt<br />

sein als Mitantragsteller – wie<br />

zum Beispiel Künstleragenturen oder<br />

Musikproduzenten. Was mir als Fördermöglichkeit<br />

auch gut gefällt, ist die<br />

Kurztourförderung, bei der kurze Touren<br />

und die zugehörigen Marketingaktionen<br />

mit einem kleinen Budget<br />

unterstützt werden. So etwas wäre<br />

für Autorinnen ebenfalls denkbar.


Aber! Ich habe mich mühsam durch<br />

die einschlägigen Seiten des Bundes,<br />

der Länder und der Stadt Köln<br />

zum Thema Literaturförderung gelesen.<br />

Amtsdeutsch vom Feinsten, das<br />

mich zu folgendem Ergebnis führte:<br />

Ja, es gibt Literaturförderung, aber in<br />

aller Regel nicht für Einzelpersonen,<br />

sondern ausschließlich für Institutionen,<br />

sieht man mal von Preisen und<br />

Stipendien ab, die allerdings für Selfpublishing-Autorinnen<br />

auch eher im<br />

Bereich der weit entfernten Hoffnung<br />

liegen dürften, denn nicht-verlagsproduzierte<br />

Bücher und deren Autorinnen<br />

scheinen mir in dieser Welt<br />

(noch?) nicht zu existieren. Einzig<br />

bei Literaturpreisen, die nach unveröffentlichten<br />

Büchern suchen, kann<br />

meiner Ansicht nach eine Teilnahme<br />

sinnvoll sein.<br />

Förderanträge für Fehlbetragszuschüsse,<br />

wie sie im Musikbereich<br />

möglich sind – siehe hierzu http://<br />

initiative-musik.de/foerderprogramme.html<br />

-, bei denen Einzelprojekte<br />

gefördert werden, zum Beispiel<br />

durch Produktionskostenzuschüsse,<br />

gibt es leider in der deutschen Literaturszene<br />

nicht. Verbessert mich bitte,<br />

wenn ihr eine andere Information<br />

dazu habt. Oder vielleicht fühlt sich ja<br />

ein hier mitlesender, reicher Mensch<br />

berufen, eine entsprechende Stiftung<br />

ins Leben zu rufen? Nur zu! Meinen<br />

Segen hat er oder sie.<br />

Zum Themenbereich: Wie kommt<br />

man an Geld?, hat mir Oliver noch von<br />

einem erfolgreichen Crowdfunding erzählt.<br />

Die Band Peer hat es geschafft,<br />

binnen 6 Wochen (Ende 2013) statt<br />

der Zielsumme von 4000 Euro ganze<br />

6.066 Euro zu beschaffen und konnte<br />

das Projekt erfolgreich umsetzen. Die<br />

Kampagne lief bei startnext - https://<br />

www.startnext.com/peer -. Peer, ihre<br />

Aktivitäten und ihre Musik findet ihr<br />

hier: http://www.peerband.de/. Schaut<br />

und hört doch mal rein.<br />

Crowdfunding ist natürlich auch<br />

eine Möglichkeit für Buchprojekte.<br />

Allerdings weiß ich von zahlreichen<br />

gescheiterten Versuchen. Meiner<br />

Ansicht nach besteht nur Aussicht<br />

auf Erfolg, wenn das Projekt extrem<br />

professionell vorbereitet wird und mit<br />

originellem Videomaterial vorgestellt<br />

wird. Und natürlich macht es auch bei<br />

solchen Projekten die Sichtbarkeit.<br />

Ohne Sichtbarkeit geht nichts. Aber<br />

Sichtbarkeit ist auch nicht alles.<br />

„Es ist ein Lottospiel.“ Ob eine Band<br />

bekannt wird, ob sich eine Platte verkauft,<br />

ob sich wie aus dem Nichts<br />

Superstars ausbilden … es ist nicht<br />

vorhersagbar.<br />

Kommt uns Autorinnen irgendwie bekannt<br />

vor. Warum manches Buch plötzlich<br />

die Ranglisten hochklettert und warum<br />

ein anderes, genauso gutes oder<br />

schlechtes dagegen nicht … niemand<br />

kann vorhersehen, was aus einem Titel<br />

wird. Vielleicht auch ein Grund, warum<br />

so viele Autorinnen es schaffen, hartnäckig<br />

immer wieder mit dem nächsten<br />

und dem nächsten und dem nächsten<br />

Buch weiterzumachen. Irgendwann<br />

muss es doch mal klappen.<br />

Und dann kommt sie daher, die große<br />

Chance. Tolle Rezensionen, Fernsehauftritte,<br />

Radiointerviews. „Es tut<br />

weh“, sagt Oliver, wenn – wie er es<br />

schon erlebt hat – über die Band und<br />

die neue Platte eine ganze Seite im


<strong>Roll</strong>ing Stone <strong>Mag</strong>azin steht und sich<br />

trotzdem bei den Verkäufen nichts tut<br />

oder trotz der Aufmerksamkeit der<br />

Medien und der Fernseh- und Radioauftritte<br />

der Band „sich das Ding<br />

nicht verkauft“.<br />

Klar, ohne Sichtbarkeit ist es eher<br />

unwahrscheinlich eine Platte oder<br />

ein Buch in die begrenzte Aufmerksamkeitsspanne<br />

der potenziellen<br />

Käuferinnen zu bringen, schließlich<br />

rangeln da noch unglaublich viele andere<br />

Produkte um Aufmerksamkeit.<br />

Um so mehr Hoffnung steckt man in<br />

das Marketing. Aber selbst mit viel<br />

Promotion ist der Erfolg noch lange<br />

nicht garantiert. Top oder Flop? Man<br />

steckt einfach nicht drin.<br />

Ohne Marketing geht nichts und<br />

Marketing kostet.<br />

Hier gilt wieder mal: Ausnahmen bestätigen<br />

die Regel. Es gibt sie und es<br />

wird sie immer geben, die vereinzelten<br />

Glücksfälle, in denen eine Platte<br />

oder ein Buch einfach so von Null auf<br />

Eins schießt. Leider werden wir nie<br />

herausfinden, was genau dazu nötig<br />

ist, damit das passiert und wann nun<br />

genau die richtige Konstellation da<br />

ist, um mit dem eigenen Produkt auf<br />

den Markt zu kommen.<br />

Was bleibt uns also anderes übrig,<br />

als Marketing zu betreiben? Ich habe<br />

Oliver gefragt, wie sie es da halten.<br />

Zuerst, so hat er mir berichtet, haben<br />

sie alles selbst gemacht. Später<br />

haben sie eine Agentur für das Marketing<br />

bezahlt. „Im Ergebnis hat das<br />

keinen Unterschied gemacht.“<br />

Das entscheidende Kriterium für<br />

nennenswerte Plattenverkäufe liegt<br />

darin, ob die Band tourt oder nicht.<br />

„Tourt die Band, dann verkaufen sie<br />

Platten. In den Plattenläden eher<br />

nicht. Plattenläden gehen ja sowieso<br />

zurück.“ Die klassischen Verkaufsmodelle<br />

sind auf dem Rückzug. „Der<br />

Markt zerfällt.“<br />

Autorinnen, die bei Verlagen veröffentlichen,<br />

kennen die sogenannten<br />

Autorenpreise für ihre Bücher. Genau<br />

so funktioniert das auch bei den Platten.<br />

Die Bands können ihre Platten zu<br />

einem günstigeren Preis kaufen und<br />

verdienen so direkt am Verkauf mit,<br />

ebenso wie das Label. Das Wenige,<br />

das über die anderen Distributionswege<br />

geht – Online-Plattformen, Plattenläden,<br />

mp3-Downloads, usw. – wird<br />

genauso als Tantieme ausgezahlt, wie<br />

es auch Autorinnen kennen.<br />

Für Selfpublisherinnen, aber auch<br />

für die Verlagsautorinnen im B- oder<br />

C-Segment, bei denen die Verlage wenig<br />

bis kein Marketingbudget zur Verfügung<br />

stellen, ist es unerlässlich Marketing<br />

zu betreiben. Die Krux liegt hier<br />

wie auch bei den Vorkosten, dass wir<br />

erst einmal ordentlich Geld vorschießen<br />

müssen, ohne zu wissen, ob es<br />

jemals wieder reinkommt. Das läuft bei<br />

Sitzer Records besser. Oliver greift auf<br />

Erfahrungswerte zurück und ist sich sicher,<br />

dass das wieder reinkommt, was<br />

er ausgibt. Eine Aussage von der ich<br />

nur träume, auch wenn ich bisher das<br />

große Glück hatte, meine Vorauszahlungen<br />

jedesmal wieder einzuspielen.<br />

Ich weiß jedoch, vielen Selfpublisherinnen<br />

geht es anders. Aber die Hoffnung<br />

stirbt zuletzt.<br />

Und zunächst hoffen wir jedesmal: Das<br />

Marketing wird’s richten. Tut es auch –<br />

meistens! Manchmal leider auch nicht.


Gerade in der letzten Zeit stellen viele<br />

von uns fest, dass die halbwegs etablierten<br />

Maßnahmen weniger und weniger<br />

greifen. Was tun? Ein Patentrezept<br />

gibt es nicht. Die eine nimmt mehr Geld<br />

in die Hand, um eine breite Streuung zu<br />

erreichen, die andere versucht es mit<br />

Blogs oder Vlogs, manche spammt die<br />

Facebookgemeinde zu und schließt<br />

sich jeder erdenklichen Buchgruppe<br />

an. Sonderpreise, Kostenlosaktionen,<br />

Einführungspreise, Blogtouren, Leserunden,<br />

all das wird bemüht, Rezensentinnen<br />

gesucht, Gewinnspiele<br />

veranstaltet. Und doch beobachten<br />

wir, dass all diese Maßnahmen nicht<br />

mehr so recht greifen wollen. Woran<br />

es liegt? Sagt ihr es mir! Ihr habt Ideen,<br />

was man ändern könnte? Her damit!<br />

Huch! Das klingt nun reichlich gejammert<br />

hier am Schluss.<br />

NEIN! NEIN! NEIN!<br />

• Erstens: Jammern gilt nicht.<br />

• Zweitens: Es macht verdammt viel<br />

Spaß, Bücher zu schreiben und mit<br />

den Leserinnen in Kontakt zu sein.<br />

• Drittens: Wo steht geschrieben,<br />

dass der Weg leicht sein würde?<br />

Und bedeutete es uns auch nur halb<br />

so viel, wenn die Zeichen immer<br />

und jederzeit auf Erfolg stünden?<br />

Wir alle sind Künstlerinnen auf die<br />

eine oder andere Weise. Die eine<br />

komponiert, die andere arrangiert,<br />

die dritte schreibt Songtexte. Oder<br />

eben Romane, Lyrik oder Sachbücher.<br />

Oder irgendwas dazwischen.<br />

Alle zusammen sind wir aber auch<br />

Lebenskünstlerinnen, sei es darin,<br />

die künstlerische Seele (und die wenige<br />

Zeit) mit dem Brot- und Butterjob<br />

zu vereinbaren, oder sich jeden<br />

Tag aufs Neue zu motivieren und mit<br />

den Selbstzweifeln klarzukommen.<br />

Zum Schluss habe ich Oliver übrigens<br />

noch gefragt, wie er zu Castingshows<br />

steht. Irgendwie klang er<br />

nicht begeistert. „Finger weg“, würde<br />

er seinen Bands raten.<br />

Was soll ich dazu sagen? Vielleicht<br />

sollten wir das mit Deutschland sucht<br />

die Superautorin doch noch mal<br />

überdenken.<br />

Ich bedanke mich bei Oliver Betten<br />

für die Zeit, die er sich genommen<br />

hat, um ausführlich mit mir zu telefonieren<br />

und natürlich für die vielen<br />

interessanten Details. Er und ihr, liebe<br />

Leserinnen, mögt mir vergeben,<br />

falls ich an der einen oder anderen<br />

Stelle die ‚Musikbranchensprache’<br />

nicht richtig getroffen bzw. bewusst<br />

einfach gehalten habe. Ich bin halt<br />

Autorin und keine Musikerin.<br />

Lieber Oliver, recht herzliche Grüße<br />

an deine Familie. Ich wünsche euch<br />

eine wunderbare Zukunft und noch<br />

ganz viel Musik in eurem Leben.<br />

P.S. Ich finde das großgeschriebene<br />

Binnen-I absolut unschön. Aber auf<br />

die Damen verzichten, weil es immer<br />

so war? Nö. Drum habe ich einfach<br />

mal konsequent die weibliche Form<br />

bemüht. Wie auch im umgekehrten<br />

Fall sind natürlich die Herren<br />

gleichermaßen angesprochen. Und<br />

beim nächsten Mal machen wir es<br />

der Fairness halber wieder anders<br />

herum.


von Lektorat Vo Dieu<br />

„Das wird der Hit des Jahres!“ Freudig<br />

winkt Arthur mit einem Stapel Notenblätter,<br />

als er den Bandraum betritt.<br />

Seine Augen strahlen so hell, dass die<br />

Ringe darunter schattenlos erscheinen.<br />

Mitten in der Nacht hat ihn die Muse<br />

geküsst. Da er vergeben ist, war es ihm<br />

etwas unangenehm. Doch da sie ihm<br />

eine Hookline ins Ohr setzte, gegen<br />

die kein Wurmmittel half, hat er ihr den<br />

gestohlenen Kuss vergeben. Bis zum<br />

Morgengrauen kritzelte Arthur Kügelchen<br />

auf die Notenlinien. Die spontane<br />

Melodie hat er in einen Spannungsbogen<br />

eingebettet, einzelne Instrumente<br />

ausgearbeitet und ihnen einen großartigen<br />

Charakter verliehen. Dennoch<br />

hat er nicht nur die Komposition selbst<br />

bedacht. Da er die Stärken jedes einzelnen<br />

Musikers in seiner Band kennt,<br />

hat er ihnen herausfordernde Stilmittel<br />

eingebaut, womit sie ihre Virtuosität<br />

beweisen können<br />

Arthur könnte sich selbst auf die<br />

Schulter klopfen. Die Hände zufrieden<br />

hinter dem Rücken verschränkt,<br />

schreitet er zwischen den Musikern<br />

hindurch, die die Noten studieren und<br />

vorfreudig ihre Stimme am Instrument<br />

ausprobieren. Arthur gibt ihnen noch<br />

zehn Sekunden, aber dann ist Jubel<br />

fällig!<br />

Anerkennend wippt Trick Olon, der<br />

Leadgitarrist, den Kopf im Takt und<br />

improvisiert Dreifachgriffe über das<br />

Intro. „Ey, Arty. Wie lange hast du<br />

an dem Song gesessen, gearbeitet,<br />

gefeilt? Das hat Rhythmus, das hat<br />

Charakter, das hat Groove!“<br />

„Oh ja. Was für ein Oomph!“ Poesie<br />

Onomato, die Grazie an dem Kontrabass,<br />

steigt in <strong>Rock</strong>abilly-Manier auf<br />

ihr Instrument, als wäre sie eine australische<br />

Surferin auf einer Monsterwelle.<br />

Ihre flinken Hände reißen die<br />

Stahlsaiten an, nur um sie bum, bum<br />

zurückschnappen zu lassen.<br />

Der Schlagzeuger kann sich ebenfalls<br />

nicht mehr zurückhalten. Er wirbelt<br />

mit den Sticks über die Drums<br />

und paradiddelt in Endlosschleife.<br />

Nur Sina Esthesia, die Sängerin im<br />

gepunkteten Pettycoat, tritt von einem<br />

Fuß auf den anderen. Das Notenblatt<br />

in der Hand zerknittert wie<br />

die Zentimeter zwischen ihren Augenbrauen<br />

und scharfer Ärger stiebt<br />

in die Luft. Sie bläht ihren Bauch und<br />

schmettert den Refrain – eine Oktave<br />

höher als Arthur notiert hat – im<br />

schönsten Belcanto.<br />

Die Scheiben der Fenster springen<br />

Die Band verstummt.<br />

Ruhe.


„Da …“, flüstert Repet. Sachte, sodass<br />

man kaum unterscheiden kann,<br />

ob es seine Stimme ist, oder seine<br />

Drums, über die er streicht. „Da ist jemand,<br />

da ist jemand, da ist jemand,<br />

da ist jemand …“<br />

Mit dem Stick weist er zur Tür, wo<br />

ein Mann im Rahmen lehnt. Es ist ein<br />

unscheinbarer Mann. Einer von der<br />

Sorte, über die Zeugenaussagen unbrauchbar<br />

sind, weil sich niemand an<br />

seine Gestalt erinnert.<br />

Arthur baut sich – schon fast beschützend<br />

– vor seinen Bandmitgliedern<br />

auf und strafft die Schultern.<br />

„Wer sind Sie?“<br />

„Ich bin Lektor.“<br />

„Hallo, Lektor.“ Ohne die Deckung<br />

zu vernachlässigen, reicht ihm Arthur<br />

die Hand, die sein Gegenüber mit<br />

weichem Griff entgegennimmt. „Was<br />

führt Sie hierher?“<br />

„Ich arbeite mit Autoren zusammen.<br />

Ich denke, ich kann euch helfen.“<br />

„Wir sind aber keine Autoren.“<br />

„Aber ihr seid Künstler“, betont Lektor.<br />

Anstatt weiterzureden, macht er<br />

eine theatralische Pause. Er setzt die<br />

Brille ab, reibt sie mit seinem Jackettzipfel<br />

blank, und nachdem er sie sicher<br />

auf der Nase platziert hat, fährt<br />

er fort: „Jede Kunst, ob bildend oder<br />

darstellend, ob Musik oder Literatur,<br />

basiert auf dem gleichen Prinzip. Ihr<br />

wollt eine Geschichte erzählen.“<br />

Mit gemütlichen Schritten nähert<br />

er sich Arthur. „Als Songwriter weißt<br />

du, wie man Lieder schreibt. Du jonglierst<br />

mit Licks, Riffs und Breaks und<br />

bringst auf spannende Weise die einzelnen<br />

Parts zusammen. Doch die<br />

grundlegende Frage solltest du nicht<br />

vergessen.“<br />

Worum geht es in deiner Geschichte?<br />

Was ist das Besondere an ihr?<br />

Arthur grübelt. Er hat diese einprägsame<br />

Melodie im Kopf, die seine Musiker<br />

mit ausgefeilter Technik und höchster<br />

Virtuosität dieses Lied in die Welt hinaus<br />

tragen sollen. Die in die Welt hinausgetragen<br />

werden muss! Nur das<br />

Beste ist ihm gut genug.<br />

Nachdem er diesen Gedanken ausformuliert<br />

hat, begreift er, dass er jedem<br />

Instrument eine führende <strong>Roll</strong>e<br />

gegeben hat. Seine Band besteht aus<br />

Leadgitarristen, einem Leaddrummer<br />

und einer Leadkontrabassistin. Doch<br />

eigentlich ist Sina Esthesia die Hauptfigur.<br />

Eigentlich sollte ihr tiefgründiger<br />

Gesang im Mittelpunkt stehen – begleitet<br />

von, … ja, von wem überhaupt?<br />

Arthur will nicht seinen Musikern die<br />

wichtige <strong>Roll</strong>e entreißen und sie in die<br />

Rhythmusgruppe verdammen. Der<br />

Gedanke, eine Sologitarre zu streichen,<br />

behagt ihm gar nicht. Sein Blick<br />

wandert zu Trick, der mit hängendem<br />

Kopf und hängender Elvis-Tolle wie ein<br />

kleiner Schuljunge wirkt, und ihm wird<br />

schwer ums Herz.<br />

„Nicht verzagen. Mit ein wenig mehr<br />

Luft zum Atmen bekommen wir es hin.“<br />

Aufmunternd klopft ihm der Mann, der<br />

sich Lektor nennt, auf die Schulter.<br />

„Fräulein Esthesia ist das Herz des Liedes.<br />

Sie ist der rote Faden, um die ihr<br />

eure Musik fließen lassen müsst. Die<br />

Instrumente dürfen nicht ihren Gesang<br />

ersticken, sondern sollen ihn unterstreichen.<br />

Lasst sie die Geschichte singen!“<br />

Vielleicht kennst du es, wenn du einen<br />

Text liest, der einfach nicht gut über<br />

die Lippen geht. Deine Stimmbänder


verkrampfen sich um die Buchstaben,<br />

du verhaspelst dich und schaffst<br />

es erst nach Übung und mehreren<br />

Anläufen, durch den Text zu kommen.<br />

Dennoch ist es immer noch ein<br />

bemühtes Wörteraneinanderreihen,<br />

kein Geschichten erzählen.<br />

Woran liegt es?<br />

Wörter verheddern sich<br />

Wort- oder Lautwiederholungen verursachen<br />

eine Monotonie. Da zudem<br />

sowohl Auge als auch Zunge träge<br />

sind, behindern sie den Lesefluss.<br />

Wortwiederholungen und andere Informationen<br />

ohne Mehrwert erkennen<br />

die Autoren rasch – durch Schreibratgeber<br />

hat man eine gewisse<br />

Sensibilität entwickelt. Gleiche Laute<br />

hingegen bleiben oft unentdeckt.<br />

Der kleine plappernde Kaplan klebt<br />

klappbare poppige Pappplakate an<br />

die klappernde Kapellwand.<br />

In der Phrase „Poppige Pappplakate“<br />

stecken gleich vier labiable Plosive.<br />

Klingt fast wie beim Kirschkernspucken.<br />

Wer dieses Stakkato für seinen<br />

Stil braucht, darf es gern benutzen.<br />

Wer einen weicheren Übergang haben<br />

will, kann auf Synonyme ausweichen.<br />

Farbenfrohe Pappplakate.<br />

Wörter gehen schwer von den Lippen<br />

Um die oben genannte Trägheit zu<br />

durchbrechen, muss man frischen<br />

Wind einbringen und Atempausen<br />

schaffen. Eine Alternative zu „Pappplakate“<br />

wäre „Plakate aus Pappe“.<br />

Die Wortfußrhythmik ist ausgeglichener<br />

und angenehmer auszusprechen,<br />

zudem trennt man damit dieses hässliche<br />

3-fach-P. (Nicht vergessen, das<br />

Auge isst mit.)<br />

Wenn wir schon dabei sind, schwergängige<br />

Wörter auszumerzen, sind<br />

nicht ohnehin alle Plakate aus Papier<br />

oder Pappe? Reicht „farbenfrohe Plakate“<br />

nicht vollkommen aus? Spielt<br />

es außerdem eine <strong>Roll</strong>e, dass man<br />

das Plakat zusammenklappen kann?<br />

Braucht man das Wort „Wand“? Ist<br />

es doch klar, dass niemand Plakate<br />

auf den Boden oder an die Zimmerdecke<br />

klebt.<br />

Geht es um Sina Esthesias Konzert,<br />

das auf den Plakaten verkündet<br />

wird? Geht es um die Körpergröße<br />

des Kaplans, wodurch er<br />

beim Kleben eine Leiter braucht<br />

und beim nächsten Plakat unglücklich<br />

stürzt? Geht es um die marode<br />

Kapelle und um Spendenaufrufe?<br />

Da nur ein Thema im Vordergrund ist,<br />

können die trägen, unwichtigen Informationen<br />

gestrichen oder aufgehoben<br />

werden, bis sie an der Reihe sind.<br />

Rhythmik des Satzes<br />

Als Arthur diese Melodie auf dem Klavier<br />

gespielt hat, hat er vergessen, dass<br />

ein Mensch Luft holen muss, während<br />

er seine Finger pausenlos über die<br />

Tasten huschen lassen kann. Beim<br />

Schreiben kann dasselbe passieren.<br />

Du schreibst und schreibst, der Leser<br />

liest und bekommt Atemnot. Doch es<br />

gibt nicht nur zu lange Sätze, die vor<br />

Wörter überquellen, es gibt auch zu<br />

kurze, unvollständig klingende Sätze.<br />

Es hängt vom Inhalt ab, welche<br />

Melodie für den Satz geeignet ist.<br />

Hauptsätze geben ein schnelleres<br />

Tempo vor, aber bei einer Dichte an


Wörtern behindern sie die Verständlichkeit.<br />

Entscheidet man sich für<br />

Nebensätze, verlangsamt man den<br />

Satz. Jedoch gibt man dem Leser mit<br />

den Kommata, die die Satzteile trennen<br />

und ordnen, eine Atempause.<br />

Der kleine plappernde Kaplan klebt<br />

farbenfrohe Plakate an die klappernde<br />

Kapellwand.<br />

• Der Kaplan, der ohne Unterlass<br />

redet, klebt farbenfrohe Plakate<br />

an die Kapelle.<br />

• Ohne sein Geschwätz zu unterbrechen,<br />

klebt der Kaplan farbenfrohe<br />

Plakate an die Kapelle.<br />

• Die Plakate, die der geschwätzige<br />

Kaplan angeklebt hat, leuchten an<br />

der maroden Kapelle.<br />

Power der Position<br />

In den oben genannten drei Sätzen<br />

steht der Kaplan, einmal sein Charakter<br />

und einmal die Plakate im Fokus.<br />

In der deutschen Sprache ist nämlich<br />

der Anfang des Satzes betont. Die<br />

Mitte hängt ein wenig durch und das<br />

Ende ist wieder stark.<br />

Es ist dem Schriftsteller ins Blut<br />

übergegangen, Satzanfänge abzuwechseln<br />

– eine gute Gewohnheit.<br />

Doch während man die Redundanzen<br />

ausmerzt, vergisst man manchmal<br />

die Aussage, die man ursprünglich<br />

intendiert hat.<br />

Der Fluss zwischen den Sätzen<br />

Ein Lesefluss kann nur entstehen,<br />

wenn auf einen Satz mit logischer<br />

Konsequenz der nächste folgt. Diesen<br />

braucht der Leser, um besser<br />

folgen zu können.<br />

Die Zange zum Abschneiden der Saite<br />

liegt bereit. Bevor Trick eine neue<br />

Saite in die Mechanik seiner Gitarre<br />

einfädelt, entfernt er die alte und<br />

muss dann das eine Ende der Saite<br />

an die Halterung knoten. Der Überschuss<br />

an der Mechanik kann nun<br />

abgezwickt werden, nachdem die<br />

Saite dort festgezogen worden ist.<br />

Dass dieser Absatz holpert, ist klar.<br />

Die Ursache liegt an der sprunghaften<br />

Handlung. Der Leser muss die<br />

Chronologie zuerst erfassen, bevor<br />

er sich mit dem Inhalt beschäftigen<br />

kann.<br />

Ich nummeriere die Satzteile. 1<br />

geschieht als Erstes, 7 als Letztes.<br />

6 Die Zange zum Abschneiden der<br />

Saite liegt bereit. Bevor Trick 2 eine<br />

neue Saite in die Mechanik seiner Gitarre<br />

einfädelt, 1 entfernt er die alte<br />

und muss dann 3 das eine Ende der<br />

Saite an die Halterung knoten. 5 Der<br />

Überschuss an der Mechanik kann<br />

nun 7 abgezwickt werden, nachdem 4<br />

die Saite dort festgezogen worden ist.<br />

In die richtige Reihenfolge gebracht,<br />

ist es nicht mehr schwer zu folgen:<br />

Alte Saite entfernen, neue Saite<br />

in die Halterung, anderes Ende in<br />

die Mechanik. Zum Schluss mit der<br />

Zange die überschüssige Länge<br />

abschneiden.<br />

Der Lesefluss ist der wichtigste<br />

Faktor, um einen Text zum Singen<br />

zu bringen. Es geht dabei nicht nur<br />

um den chronologischen Zusammenhang.<br />

Man kann Ursache und<br />

Wirkung ineinandergreifen lassen<br />

und somit Mini-Konflikte erzeugen.


Obwohl der Gitarrist einen verstauchten<br />

Knöchel hat, ist er zur Bandprobe<br />

gehumpelt, um dabei zu sein, wenn<br />

Arthur den neuen Song vorstellt.<br />

Dieser Satz ist nicht nur chronologisch<br />

aufgebaut, die Satzteile enthalten<br />

Fragen und Antworten. Was<br />

macht der Gitarrist trotz Verletzung?<br />

Weshalb geht er zur Probe? Wo will<br />

er dabei sein?<br />

Konflikte (sowohl die sprachlichen,<br />

um die es in diesem Artikel geht, als<br />

auch die inhaltlichen) sind die treibende<br />

Kraft, die den Leser von einem<br />

Satz zum anderen leitet und ihn den<br />

Roman bis zum Ende lesen lassen.<br />

„Das ist eine ganz schöne Menge,<br />

die ich beachten muss.“ Erschöpft,<br />

doch zufrieden klappt Arthur das Notizheft<br />

zu und blickt zu Lektor, um ein<br />

bestätigendes Nicken zu erhaschen.<br />

Er bekommt ein Lächeln, das aber<br />

weniger nach „Das hast du gut gemacht“,<br />

sondern eher nach „Du hast<br />

die Spitze des Eisbergs geleckt“<br />

aussieht. Trotzdem erfüllt ihn positive<br />

Energie. Arthur weiß, was er umsetzen<br />

will. Er weiß, von welchen überflüssigen<br />

Spielereien er seine Komposition<br />

befreien muss, damit die<br />

Geschichte das Publikum erreicht.<br />

„Danke …“ Arthur stutzt. Stand hier<br />

ein Augenblinzeln vorher nicht noch<br />

ein … Ja, ein was überhaupt? Nun,<br />

wenn er sich nicht erinnern kann,<br />

scheint es nicht so wichtig gewesen<br />

zu sein.<br />

Er wendet sich zu seiner Band<br />

und klatscht in die Hände, um Aufmerksamkeit<br />

zu erlangen. „Leute,<br />

wir spielen zwei Halbtöne tiefer“, ruft<br />

er ihnen zu, denn Sinas in die Höhe<br />

trainierte Stimme klingt in den Tiefen<br />

auf natürliche Art weich und sinnlich.<br />

Perfekt für diesen Song. „Nicht murren,<br />

ich weiß, was ihr draufhabt!“<br />

Qindie präsentiert: Martina Bauer


von Divina Michaelis<br />

Warum ausgerechnet ich dieses Thema<br />

aufgreife, ist mir selbst ziemlich unerklärlich<br />

– und doch – vielleicht liegt<br />

es ja daran, dass ich immer wieder<br />

die Frage lese: „Welche Musik hörst<br />

du beim Schreiben?“ oder „Inspiriert<br />

dich Musik zu deinen Geschichten?“<br />

Die erste Frage kann ich ganz einfach<br />

mit „keine“ beantworten. Wenn<br />

ich schreibe, brauche ich Stille um<br />

mich herum, da mich alles andere ablenkt.<br />

Wenn ich schreibe, tauche ich<br />

vollkommen konzentriert in ebenjene<br />

Welt ein, die in meinem Kopf während<br />

des Schreibens Bilder entstehen<br />

und die Figuren handeln lässt. Musik,<br />

auch zum Thema passende, würde<br />

mich herausreißen – und das, obwohl<br />

einer meiner Protagonisten Musiker<br />

ist und dieses entsprechend lebt.<br />

ABER …<br />

Die zweite Frage muss ich definitiv<br />

bejahen. Selbst wenn ich beim Schreiben<br />

keine Musik höre, so mache ich<br />

dies doch zu anderen Gelegenheiten,<br />

beim Autofahren zum Beispiel, oder<br />

wenn ich in der Küche das Mittagessen<br />

vorbereite. Genau dort ist es schon<br />

oft vorgekommen, dass mich das eine<br />

oder andere Lied zu einer bestimmten<br />

Geschichte oder auch nur einer<br />

Szene inspiriert hat, die ich dann im<br />

Nachhinein wieder in das Manuskript<br />

integriere – ohne Musik natürlich.<br />

Manchmal ist es nur ein bestimmter<br />

Rhythmus, manchmal ein relativ unbedeutendes<br />

Instrument, das im Hintergrund<br />

herumschwirrt, ein anderes Mal<br />

eine besondere Stimme. Jedes Einzelne<br />

davon oder alles zusammen kann<br />

dafür sorgen, dass in meinem Kopf Bilder<br />

entstehen, die sich gut für meine<br />

Bücher verwenden lassen. Dann höre<br />

ich sie besonders gerne.<br />

Musik weckt Emotionen. Das ist<br />

unbestritten. So kann die Tonart, in<br />

welcher das Stück gespielt wird, sich<br />

direkt auf die Stimmung auswirken;<br />

ein Lied in Moll eine sowieso traurige<br />

Stimmung vertiefen oder eines in Dur<br />

gespielt die heitere Stimmung weiter<br />

erhellen. Nicht umsonst spricht man<br />

von stimmungsvoller Musik. Dementsprechend<br />

kann man bei einem<br />

Schreibtief Musik recht gut nutzen,<br />

um sich in die richtige Stimmung<br />

zu bringen – nicht zum Schreiben,<br />

sondern die zur Szene passende.<br />

Manchmal hilft es.<br />

Doch es sind nicht nur die reinen<br />

Emotionen der Tonart, die für das<br />

Schreiben als Antrieb genutzt werden<br />

können, sondern auch der Rhythmus,<br />

der den Drang auslöst, sich


mitzubewegen – und sei es nur geistig<br />

–, die Bässe, die durch die Knochen<br />

dringen und den Herzschlag<br />

verlangsamen oder beschleunigen,<br />

sowie die Stimme, die mehr oder weniger<br />

eine Geschichte erzählt.<br />

Wie gut Musik Erzählungen nicht<br />

nur vom Geschriebenen her ergänzen<br />

kann, erkennt man, wie ich finde,<br />

besonders gut in dem Stück „Peter<br />

und der Wolf“ von Sergej Prokofjew.<br />

Hier lösen bestimmte Instrumente mit<br />

den passenden Melodien entsprechende<br />

Empfindungen aus. In diesem<br />

speziellen Kindermärchen wird<br />

eine Geschichte mithilfe von Instrumenten<br />

erzählt, in der jedem beteiligten<br />

Mensch oder Tier ein bestimmtes,<br />

passendes Instrument zugeteilt wird.<br />

So wird Peter durch eine Violine dargestellt,<br />

eine fröhliche Melodie, die<br />

seine Unbeschwertheit symbolisiert<br />

und dabei gleichzeitig das Bild, das<br />

sich durch die erzählte Geschichte in<br />

den Kopf setzt, auch noch verfestigt.<br />

Ebenso zwitschert der Vogel unterstützt<br />

durch die Querflöte, quakt die<br />

Ente mittels Oboe, die Katze wird<br />

durch eine Klarinette dargestellt, der<br />

strenge Großvater durch ein Fagott<br />

und der Wolf durch drei Hörner. Alle<br />

diese Instrumente lassen Bilder im<br />

Kopf entstehen, eine eigentlich für<br />

Kinder gedachte Geschichte auch<br />

Erwachsenen spannend erscheinen.<br />

Aber es ist auch das ganz Besondere,<br />

weil man die Geschichte hören<br />

muss und nicht nur lesen kann.<br />

Dieses Mittel hat man beim rein<br />

geschriebenen Buch natürlich nicht.<br />

Aber wir haben unsere Sprache, unsere<br />

Ausdrucksfähigkeit, um vor den<br />

Augen des Lesers genau diese Bilder<br />

entstehen zu lassen, unsere innere<br />

Musik in die Geschichten zu weben.<br />

So mancher Leser würde vielleicht<br />

überrascht sein, wenn er im Nachhinein<br />

die gleichen Lieder hört wie der<br />

Autor vor dem oder beim Schreiben,<br />

wie gut diese zu dem entsprechenden<br />

Buch passen.<br />

Es ist eigentlich erstaunlich, dass<br />

Menschen, deren am besten ausgeprägter<br />

Sinn das Sehen ist, so stark<br />

auf Musik reagieren. Und doch – hat<br />

nicht jeder von uns Musik im Herzen?<br />

Lasst sie uns nutzen, um Geschichten<br />

zu schreiben, zu lesen und zu spüren.<br />

Qindie präsentiert: Divina Michelis


von Kathleen Stemmler<br />

das Taktgefühl des reinen Herzens<br />

welches sinnlos in mir schlägt<br />

lässt mich leben<br />

lässt mich leiden<br />

ich weiß genau<br />

es ist zu spät<br />

Qindie präsentiert:<br />

Kathleen Stemmler


von Marny Leifers<br />

Ich mag es, wenn in Büchern Musik<br />

eine <strong>Roll</strong>e spielt. Wenn es um Barden<br />

oder Skalden geht, um Melodien<br />

und Harmonien, um Klang und Gesang.<br />

Oder wenn es musikalische<br />

Andeutungen gibt, die einen Teil der<br />

Stimmung, der Figuren oder der Geschichte<br />

ausmachen. Die Macht der<br />

Musik. Das ist natürlich so, weil sie<br />

mir viel bedeutet und für mich eine<br />

Art <strong>Mag</strong>ie ist, von der es unzählige<br />

Facetten gibt. Musik hat also eine<br />

ähnliche Wirkung wie die Geschichten,<br />

die mich begeistern. Jedes Lied<br />

und jedes Buch ist anders, mehr oder<br />

weniger, und wirkt individuell auf uns.<br />

Je nach Geschmack, Erfahrung und<br />

Anspruch.<br />

Und weil ich ein neugieriger Mensch<br />

bin, interessiert mich auch immer,<br />

was andere gern hören. Diese Neugier<br />

schlägt sich nun in fünf Fragen<br />

nieder, die einige Qindies beantwortet<br />

haben. Ein kleiner Streifzug durch<br />

den Musikgeschmack unseres Netzwerks:<br />

Die Qindies und ihre Musik!<br />

Manuel Charisius<br />

Musik ist für mich … lebenswichtig.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

Klassik, Soundtracks, Musical.<br />

Ein Lied, das mich motiviert: »America«<br />

aus West Side Story<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

Charles Trenet, »La Mer«<br />

Musik, die ich beim Schreiben oder<br />

Lesen höre: gemischt, s. o.<br />

Melanie Döring<br />

Musik ist für mich ... Entspannung<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

am liebsten ruhige Songs, aber es<br />

kann dann auch mal sehr rockig<br />

werden. Ansonsten Country, <strong>Rock</strong>,<br />

auch mal Hardrock oder 1980er. Die<br />

1960er und 1970er finde ich auch<br />

toll. Dann noch Leonard Cohen und<br />

Klassik (das hab ich jetzt allerdings<br />

schon eine Weile nicht mehr gehört).<br />

Am liebsten höre ich die Playlisten,<br />

die mein Mann so zusammenstellt.<br />

Ein Lied, das mich motiviert:<br />

hmm ... ich glaub da hab ich keines.<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

Da gibt es viele. Zum Beispiel<br />

der „Partisan“ von Leonard Cohen.<br />

Passt immer noch in diese Zeit und<br />

macht mich immer sehr traurig. Das<br />

Lied ist, soweit ich weiß, aus den 70ern.


Musik, die ich beim Schreiben oder<br />

Lesen höre: mittlerweile nichts mehr.<br />

Früher habe ich immer was gehört<br />

beim Lesen. Nur verstehe ich jetzt<br />

die Songtexte und dann kann ich<br />

mich nicht mehr auf das Buch konzentrieren.<br />

Manchmal höre ich den<br />

Soundtrack vom Film (die Instumental-Version)<br />

beim Lesen. Bei Twilight<br />

hab ich das gemacht. Aber erst die<br />

Bücher, dann den Film und dann wieder<br />

die Bücher mit dem Soundtrack.<br />

Das war sehr entspannend.<br />

Katharina Gerlach<br />

Musik ist für mich ... <strong>Mag</strong>ie. Ich brauche<br />

Ruhe, um sie genießen zu können.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

Klassik, Rap, Blues, Hardrock, Heavy<br />

Metal, ein paar neuere deutsche<br />

Lieder und mehr. Im Prinzip entscheide<br />

ich aus dem Bauch heraus, was<br />

ich mag, unabhängig von der Stilrichtung.<br />

Die einzigen Musikrichtungen,<br />

mit denen ich mich wirklich schwer<br />

tue sind Techno und atonale Musik.<br />

Ein Lied, das mich motiviert: Nothing<br />

Else Matters von Metallica und Die<br />

Wassermusik von Händel<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

Wie schön du bist (keine Ahnung,<br />

wer das singt)<br />

Musik, die ich beim Schreiben oder<br />

Lesen höre: Beim Lesen höre ich<br />

gerne Klassik oder Blues, aber andere<br />

Musik ist auch drin. Beim Schreiben<br />

brauche ich absolute Ruhe, sonst<br />

komme ich mit meiner Geschichte<br />

durcheinander, da ich einen Großteil<br />

der Planung im Kopf mache.<br />

René Grandjean<br />

Musik ist für mich ... konservierte<br />

Erinnerung, naturidentisches Gefühl<br />

aus der Konserve, Motivator oder<br />

Downer, Leidenschaft.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

New Wave, Indie, Pop und <strong>Rock</strong>‘n‘<strong>Roll</strong>.<br />

Ein Lied, das mich motiviert: „Gonna Fly<br />

Now“, auch bekannt als „Theme from <strong>Rock</strong>y“.<br />

Hören Sie das mal beim Joggen!<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

„Thunder Road“ von Bruce<br />

Springsteen and the E Street Band,<br />

in der Liveversion vom 18. Oktober<br />

1975, Roxy Theatre, California. Alles<br />

andere ist nur Musik.<br />

Musik, die ich beim Schreiben<br />

oder Lesen höre: Angelo Badalamenti,<br />

der die Soundtracks für David<br />

Lynch Filme und Serien komponiert.<br />

Patricia Jankowski<br />

Musik ist für mich ... ebenso notwendig<br />

und selbstverständlich wie<br />

die Luft zum Atmen.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

<strong>Rock</strong>, Pop<br />

Ein Lied, das mich motiviert: „Keine<br />

wie Du“ von Laith al Deen hat mir<br />

„Der Fluch der Kelten“ beschert. ;)<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

„Against all odds“ von Phil Collins<br />

Musik, die ich beim Schreiben oder<br />

Lesen höre: Soundtracks. Je nach<br />

Stimmung, die erzeugt werden soll,<br />

verschiedene. Zurzeit z.B. „W.E.“ und<br />

„Cloud Atlas“.


Mika Krüger<br />

Musik ist für mich ... Inspiration<br />

und gleichzeitig eine Quelle zum<br />

Nachdenken.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

<strong>Rock</strong>, Metal, ab und an Pop, aber eigentlich<br />

alles, was zu mir passt. Da<br />

gibt es kaum etwas, was nicht in Frage<br />

kommt. Okay, außer Schlager und<br />

Techno.<br />

Ein Lied, das mich motiviert: Move<br />

Along von The All American Rejects.<br />

Einfach niemals aufgeben. Es geht<br />

immer weiter und kann nur besser<br />

werden!<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

Bird set free von Sia oder auch<br />

Lana Del Reys Young and Beautiful.<br />

Beides sehr düstere, aber auch unwahrscheinlich<br />

mitreißende Lieder.<br />

Musik, die ich beim Schreiben oder<br />

Lesen höre: Das ist schwer. Da gibt<br />

es kein bestimmtes Lied. Die Musik<br />

muss einfach zur Stimmung der Szene<br />

passen. Melancholisch, fröhlich,<br />

mysteriös, verrückt, hektisch, rebellisch.<br />

Eine Band, die mich allerdings<br />

seit Jahren begleitet ist Rise Against.<br />

Ganz besonders geht es da um den<br />

Song „Hero of war“.<br />

Marny Leifers<br />

Musik ist für mich … etwas, das<br />

meine Seele berührt und sie zum<br />

Schwingen bringt. Eine Art von <strong>Mag</strong>ie,<br />

die auf mich sehr intensiv und<br />

emotional wirkt. Sie ist fast immer da<br />

und gehört zu meinem Leben einfach<br />

dazu.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

Singer-Songwriter, Pop, Folk, Hip<br />

Hop, Mittelalter. Manchmal auch<br />

Easy Listening, Jazz, Country und<br />

Klassik. Oder auch alles andere,<br />

wenn es mich anspricht. Für mich<br />

unverzichtbar ist aber meine tägliche<br />

Dosis Bosse und Rea Garvey, völlig<br />

unabhängig von meiner Stimmung.<br />

Ein Lied, das mich motiviert: „So<br />

oder so“ von Bosse, „Krieger“ von<br />

den fantastischen Vier, „Come as<br />

you are“ von Nirvana, „Echo Me“ von<br />

Rea Garvey, „Wenn es scheint, dass<br />

nichts gelingt“ von Pohlmann.<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

„Junimond“ von Rio Reiser,<br />

„Caledonia“ z.B. von Dougie Mac-<br />

Lean, „Hey“ von Andreas Bourani,<br />

„Euch zum Geleit“ von Schandmaul,<br />

„Sommerregen“ von Joris, „Zu Oft“<br />

von Mark Forster, „Mit einem Bein“<br />

von Hafennacht e.V., „Here comes<br />

the Sun“ von George Harrison, …<br />

Musik, die ich beim Schreiben<br />

oder Lesen höre: Beim Lesen habe<br />

ich am liebsten meine Ruhe, beim<br />

Schreiben ist das unterschiedlich.<br />

Wenn ich etwas Eigenes schreibe<br />

oder eine Rezension, dann brauche<br />

ich Ruhe. Bei Interviews und anderen<br />

Beiträgen höre ich aber auch oft<br />

Musik, zuletzt von Anett Louisan, Revolverheld,<br />

Sting, Udo Lindenberg,<br />

Of Monsters and Men, Eivør, Lisa<br />

Hannigan und Walking on Cars. Gerne<br />

auch Soundtracks (z.B. Cloud Atlas,<br />

Pirates of the Caribbean, Thor,<br />

Hobbit)


matì<br />

Musik ist für mich ... der Antrieb,<br />

jedes Wochenende 100 Km auf<br />

dem Rad zu schrubben. Dabei höre<br />

ich alles, was für mich gute Musik<br />

ausmacht.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

die 60er, die 70er, die 80er in Abstrichen,<br />

alles ohne Disco und Hip<br />

Hop, es sei denn es wäre Mittel zum<br />

Zweck, Ian Anderson mit Orchester,<br />

Sting mit Orchester und besoffener<br />

Shanty Truppe, Gilbert O‘Sullivan<br />

(war das geil am Anfang), für besondere<br />

Momente Slade mit ihrem Weihnachtsalbum,<br />

na klar - Keith Jarrett<br />

- die Konzerte in Köln, Bregenz und<br />

Japan, ein fluffig leichter Billy Joel<br />

und jedes, aber auch wirklich jedes<br />

Stadium des Größten von allen ...<br />

David Bowie.<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

Es gibt immer mal Lieder, die einen<br />

berühren, aber eins begleitet mich<br />

seit 1973: David Bowie – Life on Mars.<br />

Musik, die ich beim Schreiben oder<br />

Lesen höre: Ich höre keine Musik<br />

beim Schreiben oder Lesen, sondern<br />

sie hilft mir bei meinen Radtouren,<br />

mir neue Geschichten auszudenken.<br />

Melanie Meier<br />

Musik ist für mich ... so wichtig wie<br />

Essen und Schlafen.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

Quer durch fast alle Stilrichtungen,<br />

von orchestraler Musik über Hardrock<br />

bis Hip Hop. Von allem das Beste! ^^<br />

Ein Lied, das mich motiviert: Oje, da<br />

gibt es viele. Im Augenblick sind das<br />

hauptsächlich Songs von Nick Cave,<br />

allen voran „Up Jumped the Devil“.<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

Ganz klar „In Your Eyes“<br />

von Peter Gabriel (wobei mir spontan<br />

auch „Sebastian“ von Steve<br />

Harley & Cockney Rebel einfällt)<br />

Musik, die ich beim Schreiben oder<br />

Lesen höre: Die Musik richte ich<br />

auf meine Protagonisten aus, sie<br />

hat meistens wenig mit dem zu tun,<br />

was ich persönlich gern höre. Beim<br />

Lesen aber höre ich keine Musik, nebenbei<br />

geht das nur beim Schreiben,<br />

ansonsten verbiete ich mir „Hintergrund-Gedudel“<br />

aus Respekt vor der<br />

Musik.<br />

Regina Mengel<br />

Musik ist für mich … jeden Tag etwas<br />

anderes.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

Schwierig zu sagen, mein Geschmack<br />

ist breit gefächert, von Hard-<strong>Rock</strong> bis<br />

Soul, von Klassik bis Jazz ist alles dabei,<br />

Schlager müssen aber nicht sein.<br />

Ein Lied, das mich motiviert: Kein<br />

Bestimmtes, das ist sehr stimmungsabhängig.<br />

Was aber immer funktioniert,<br />

weil es mich da nicht mehr auf<br />

dem Stuhl hält: One Step beyond<br />

von Madness und Lovecats von The<br />

Cure.<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

Take on me von a-ha, wahrscheinlich<br />

aus nostalgischen Gründen. ;-)


Musik, die ich beim Schreiben<br />

oder Lesen höre: Wenig, wenn<br />

dann aber eher leise Töne und mehr<br />

Instrumentales.<br />

Jana Oltersdorff<br />

Musik ist für mich ... ein täglicher<br />

Begleiter, der mir gute Laune bringt<br />

und mir morgens beim Wachwerden<br />

hilft.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

Ich bin da gar nicht so wählerisch. Mir<br />

reicht es, wenn im Hintergrund das<br />

Radio läuft. Also höre ich ziemlich viel<br />

aktuelle Charts, aber auch jede Menge<br />

Oldies aus den 60ern und 70ern<br />

oder die guten alten 80er-Klassiker.<br />

Wenn ich mir aber mal bewusst ein<br />

Album aussuche, dann ist das eine<br />

Mischung aus Madonna, George Michael,<br />

Jamiroquai oder Daft Punk.<br />

Oder Filmmusik. Der Soundtrack von<br />

„Kill Bill“ ist zum Beispiel großartig.<br />

Ein Lied, das mich motiviert: „Happy“<br />

von Pharrell Williams ist für mich<br />

ein richtiger Wachmacher.<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

„The Turn of a Friendly Card“<br />

von Alan Parsons Project oder „The<br />

Last Unicorn“ von America. Legendär<br />

und so schön märchenhaft.<br />

Musik, die ich beim Schreiben oder<br />

Lesen höre: Zum Schreiben brauche<br />

ich keine bestimmte Musik. Da läuft<br />

eben oft nur Radio leise im Hintergrund.<br />

Mich würde das eher ablenken,<br />

auch beim Lesen.<br />

David Pawn<br />

Musik ist für mich ... Entspannung<br />

und Inspiration.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

Ich höre ziemlich viel Querbeet, aber<br />

melodisch muss es sein. Mit Rap und<br />

Techno kann ich nichts anfangen.<br />

Ein Lied, das mich motiviert: Irgendwas<br />

von Abba.<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

<strong>Rock</strong>‘n‘roll I gave you the<br />

Best years of my life von Kevin<br />

Johnson - manchmal geht‘s uns<br />

doch bezüglich unserer Texte so.<br />

Musik, die ich beim Schreiben oder<br />

Lesen höre: Beim Schreiben höre<br />

ich meine Playlist rauf und runter von<br />

Uriah Heep bis Albert Hammond.<br />

Selma J. Spieweg<br />

Musik ist für mich ... etwas, was ich<br />

lieber selber mache, als sie zu hören.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

<strong>Rock</strong><br />

Ein Lied, das mich motiviert: The<br />

men they couldn‘t hang: The Colours<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

Johhny Cash: Hurt<br />

Musik, die ich beim Schreiben oder<br />

Lesen höre: gar keine. Ich liebe da<br />

die Stille.


Kathleen Stemmler<br />

Musik ist für mich … lebensnotwendig.<br />

Ohne wenn und aber. (Hat mich<br />

sogar mal vor enormer Seekrankheit<br />

gerettet.)<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

Punk-<strong>Rock</strong>, Musical / Soundtracks /<br />

Filmmusik, 90er (da fühlt man sich so<br />

jung) und dann so nebenbei aktueller<br />

Mainstream im Radio.<br />

Ein Lied, das mich motiviert: Die<br />

Ärzte - Unrockbar<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

Farin Urlaub - Immer dabei (wobei<br />

diese Frage echt schwierig ist, denn<br />

das ist sehr vom Moment abhängig)<br />

Musik, die ich beim Schreiben oder<br />

Lesen höre: Beim Lesen kann ich keine<br />

Musik hören, denn dann konzentriere<br />

ich mich voll auf die Geschichte,<br />

da lenkt Musik ab. Beim Schreiben<br />

kommt es auf die Phase des Schreibens<br />

an und was ich schreibe. Wenn<br />

ich neue Gedichte schreibe, läuft<br />

schon mal ganz laut was Passendes.<br />

Dann ist das Gedicht auch in der Zeit<br />

eines Liedes fertig. Beim Schreiben<br />

und auch beim Überarbeiten von Kurzgeschichten,<br />

den längeren Sachen,<br />

an denen ich mich versuche und den<br />

fachlichen Texten nervt Musik. Da ist<br />

es wie beim Lesen, es lenkt mich ab.<br />

Florian Tietgen<br />

Musik ist für mich ... der direkte Weg<br />

in die Seele.<br />

egal, rockig mag ich es am liebsten,<br />

aber Klassik, Oper, Country and<br />

Western, Gospel, Soul, Pop, Jazz,<br />

Hip Hop: Mich kann alles überfluten.<br />

Ein Lied, das mich motiviert: Zur<br />

Motivation eher Tempo, oft mit choaralem<br />

Intro wie „Road To Nowhere“<br />

oder „Tips for Teens“.<br />

Ein Lied, das mich emotional berührt:<br />

Berührt nicht jede Musik? Okay,<br />

ich nenne hier mal „Lightning Crashes“,<br />

von Live, das ganze Album „Nightfalls<br />

on Middle Earth“ von Blind Guardian,<br />

das Weihnachtsduett von Bill Cosby<br />

und David Bowie und dieses hier. :)<br />

Bernard Fanning – Departures (Blue<br />

Toowong Skies) aber mir fallen noch<br />

so viele auf Anhieb ein. Und beim zweiten<br />

Überlegen noch mehr.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

Berührt nicht jede Musik? Okay, ich<br />

nenne hier mal „Lightning Crashes“,<br />

von Live, das ganze Album „Nightfalls<br />

on Middle Earth“ von Blind Guardian,<br />

das Weihnachtsduett von Bill<br />

Cosby und David Bowie und dieses<br />

hier. :) Bernard Fanning – Departures<br />

(Blue Toowong Skies) aber mir fallen<br />

noch so viele auf Anhieb ein. Und<br />

beim zweiten Überlegen noch mehr.<br />

Musik, die ich beim Schreiben oder<br />

Lesen höre: Ich höre aber weder<br />

beim Schreiben noch beim Lesen.<br />

Musik ist viel zu schade, um als Hintergrundgeräusch<br />

missbraucht zu<br />

werden.<br />

Musikrichtungen, die ich gerne höre:<br />

Die Richtung ist mir zwar nicht ganz


von Christina Kania, Crazewire<br />

Im Sommer 2010 ergab sich durch<br />

einen glücklichen Umstand, dass<br />

ich die Möglichkeit bekam, für das<br />

Onlinemusikmagazin crazewire.de<br />

beim Haldern Pop Festival Fotos zu<br />

machen. Seitdem habe ich mich tiefer<br />

gehend mit dem Thema auseinandergesetzt<br />

und eine Leidenschaft<br />

dafür entwickelt, sowohl größere als<br />

auch kleinere Konzerte abzulichten<br />

und aus den gegebenen Umständen<br />

das bestmögliche Foto zu machen.<br />

Mittlerweile habe ich den Posten des<br />

Chefredakteurs im Ressort Foto bei<br />

Crazewire übernommen und fotografiere<br />

regelmäßig bei Konzerten. Das<br />

Qindie <strong>Mag</strong>azin fragte mich, wann<br />

rockt ein Foto?<br />

Was macht ein Bild zu einem guten<br />

Bild? Ich könnte jetzt weit ausholen<br />

und lange über Lichtsetzung, Farbharmonien,<br />

Komposition oder den<br />

Goldenen Schnitt schwadronieren.<br />

Doch gerade bei der Konzertfotografie<br />

hat man nur begrenzt Einfluss<br />

auf den Bildinhalt, gerade auch, was<br />

Licht und Farben angeht. Aber vielleicht<br />

ist das auch einfach nicht so<br />

essenziell?<br />

The Hives | Refused<br />

Groezrock Festival<br />

Mumford & Sons | Haldern Pop Festival<br />

Wer schon einmal versucht hat, bei<br />

einem Konzert Fotos mit dem Handy<br />

oder einer Kompaktkamera zu


machen weiß sicherlich, dass es<br />

aufgrund der Beleuchtung und den<br />

mitunter schnellen Bewegungen der<br />

Musiker zu Schwierigkeiten kommen<br />

kann. Die Bilder werden gerade bei<br />

aktiven Bands schnell unscharf oder<br />

bei wenig Beleuchtung zu dunkel<br />

oder körnig.<br />

Musik lebt von Leidenschaft, Energie,<br />

Spielfreude und den damit verbundenen<br />

Emotionen und gerade<br />

dadurch wird ein Konzert und die<br />

Fotografie dessen spannend. Die lebensfreudig-energiegeladene<br />

Punkband,<br />

welche raumgreifend über die<br />

Bühne springt, die Instrumente durch<br />

die Luft wirbelt oder vor Coolness<br />

strotzt. Der sanft-emotionale Singer-<br />

Songwriter, der eher verhalten in sich<br />

ruht und mit leisen Klängen verzaubert.<br />

Genau diese Momente und unterschiedlichen<br />

Stimmungen gilt es<br />

bei der Konzertfotografie einzufangen<br />

und dem Betrachter ohne, einen<br />

Akkord gehört zu haben, einen visuellen<br />

Eindruck vom Geschehen vor<br />

Ort zu vermitteln.<br />

Je nach Musikgenre unterscheiden<br />

sich sowohl Optik, als auch Bewegungsabläufe<br />

sowie Mimik und Gestik<br />

der Musiker. Die beiden folgenden<br />

Beispiele stellen zwei Extreme gegenüber<br />

und verdeutlichen die individuellen<br />

Gestaltungsmöglichkeiten.<br />

Dave Hause | Groezrock Festival<br />

Honig | Harmonie, Bonn<br />

Singer-Songwriter/ Folk<br />

Bei Musikern, die sich tendenziell weniger<br />

agil auf der Bühne geben und eher<br />

an den Mikrofonständer gebunden


sind, ermöglichen verschiedene Perspektiven<br />

und Detailaufnahmen eine<br />

variable Bildgestaltung. Gerade in einem<br />

solchen Fall ist es notwendig, den<br />

Hintergrund gesondert zu betrachten<br />

und gezielt auszuwählen, damit das<br />

Hauptaugenmerk auf dem Künstler<br />

liegt. So darf ein unschöner, unruhiger<br />

Hintergrund gerne in der Unschärfe<br />

verschwimmen oder abgedunkelt werden.<br />

Die Bilder sollten die Ruhe der<br />

Musik widerspiegeln um dem Betrachter<br />

einen optischen Eindruck, von der<br />

Stimmung einzufangen.<br />

Beach Slang | Underground, Köln<br />

Glen Hansard | Tom Odell<br />

Haldern Pop Festival<br />

Je aktiver die Band auf der Bühne<br />

agiert, desto schwieriger ist es, die<br />

schnellen Bewegungen einzufangen.<br />

Häufig gib es bei solchen Konzerten<br />

keinen Fotograben, um eine Nähe<br />

zwischen Band und Publikum herzustellen.<br />

Für Fotografen bedeutet das,<br />

dass entweder aus der Menge fotografiert<br />

werden muss, oder dass der<br />

Fotograf die Möglichkeit bekommt<br />

seine Stellung auf der Bühne zu beziehen.<br />

Dieser Standort ermöglicht<br />

neue Perspektiven, bei denen man<br />

das Publikum gut mit einbeziehen<br />

kann. Der Betrachter erhält die Möglichkeit<br />

einen Blick auf das Geschehen<br />

aus der Sicht der Band zu teilen,<br />

was einen ganz besonderen Reiz<br />

hat. Wirbelnde Gitarren, fliegende<br />

Sticks, Sprünge von der Bassdrum,<br />

ausladende Bewegungen solche Momente,<br />

wenn die Musiker vor Energie<br />

überzusprudeln scheinen, sind<br />

die optische Essenz solcher Shows.<br />

Auch die kleinen Details verschaffen<br />

stimmungsvolle Bilder und manchmal<br />

können kleine Elemente der Bühnen-


The 1975 | E-Werk, Köln<br />

dekoration erblickt werden, welche<br />

sonst völlig unbeachtet bleiben.<br />

Rancid | Groezrock Festival<br />

Gerade die emotionalen Momente,<br />

wenn die Fans begeistert mitsingen,<br />

die Arme in die Höhe recken,<br />

Crowdsurfen, die Bühne entern oder<br />

Mitglieder der Band sich unter das<br />

Publikum mischen, machen die besondere<br />

Stimmung des Konzertes<br />

aus. Vielleicht ist eben einfach genau<br />

das der Grund, weshalb ein Bild<br />

rockt, oder nicht?<br />

The Ghost Inside | Essigfabrik, Köln<br />

Besonders, die Interaktion der Musiker<br />

miteinander führt zu schönen<br />

Bildern, die die vorherrschende Stimmung<br />

gut einfangen.<br />

Millencolin | Live Music Hall, Köln


von Jana Oltersdorff<br />

Der König war tot, doch das war noch<br />

das kleinste Problem.<br />

Königin Ophelia schritt in ihrem<br />

Turmzimmer auf und ab. Der Saum<br />

ihres schweren Morgenmantels, den<br />

sie über ihr dünnes Nachtgewand<br />

geworfen hatte, verursachte bei jeder<br />

Drehung ein schleifendes Geräusch<br />

auf den Steinfliesen. Zwischendurch<br />

blieb sie stehen, schüttelte ihr offenes,<br />

langes Haar, warf ihre Hände in<br />

einer Geste der Verzweiflung hoch<br />

oder fasste sich an den Kopf. Dazu<br />

gab sie abwechselnd stöhnende Laute<br />

oder derbe Flüche von sich, deren<br />

genauer Wortlaut einer Königin nicht<br />

gerade statthaft war.<br />

Lord Radobald, der erste Berater<br />

seiner Majestät, beobachtete das<br />

Schauspiel nun schon seit einiger<br />

Zeit mit angespannter Miene.<br />

„Ich muss nachdenken“, hatte die<br />

Königin verkündet, bevor sie in ihre<br />

Wanderung durchs Turmzimmer verfallen<br />

war, die sie wie ein gefangenes<br />

Raubtier in einem Käfig wirken ließ.<br />

Gleich würde sie entweder explodieren<br />

oder zusammenbrechen, aber<br />

etwas musste geschehen. Radobald<br />

räusperte sich verhalten und erreichte,<br />

dass Ophelia in ihrer Bewegung innehielt<br />

und ihn schnaubend anstarrte.<br />

„Meine Königin, wir müssen etwas<br />

unternehmen“, sagte er vorsichtig<br />

„Die Zeit drängt.“<br />

Sie stieß ein freudloses Lachen<br />

aus und stemmte die Hände in die<br />

Hüften. Wie eine frisch gebackene<br />

Witwe wirkte sie im Moment nicht,<br />

eher wie eine Furie, eine wild gewordene<br />

Frau, die ihren Zorn kaum noch<br />

unterdrücken konnte.<br />

„Als ob ich das nicht wüsste! Wie<br />

konnte er mir das nur antun?“, rief sie<br />

aus.<br />

Lord Radobald zuckte mit den Achseln.<br />

Er konnte seine Herrin durchaus<br />

verstehen. König Theobald hätte<br />

sich keinen schlechteren Zeitpunkt<br />

aussuchen können, um das Zeitliche<br />

zu segnen. Er war einen Tod<br />

gestorben, den sich so mancher<br />

Mann wünschte: in den Armen einer<br />

schönen Frau, auf dem Höhepunkt<br />

körperlicher Leidenschaft. Dummerweise<br />

hatte es sich bei der schönen<br />

Frau nicht um seine Gattin Ophelia<br />

gehandelt, sondern um die zweite<br />

Küchenmagd Marianna. Das allein<br />

hätte schon ausgereicht, um die Wut<br />

der Königin zu erklären. Doch noch<br />

schlimmer war, dass in spätestens<br />

zwei Tagen eine Delegation aus dem<br />

benachbarten Königreich der Drei


Seen eintreffen würde. Seit Jahren<br />

hatten sich dessen König Aramon<br />

und Theobald, Herrscher über das<br />

Königreich der Fünf Berge, in einer<br />

Fehde verstrickt, die besonders in<br />

den Dörfern und Siedlungen entlang<br />

der Grenze immer wieder für blutige<br />

Zwischenfälle und Unruhen gesorgt<br />

hatte. Da Theobald für Staatsgeschäfte<br />

und das Wohl seines Volkes<br />

noch nie viel übrig gehabt und sich<br />

stattdessen seinen Lieblingsbeschäftigungen,<br />

den Weibern und dem Alkohol<br />

gewidmet hatte, war es stets<br />

Ophelia gewesen, die im Hintergrund<br />

dafür gesorgt hatte, dass die Dinge<br />

liefen und ihr Mann die Entscheidungen<br />

traf, die notwendig und richtig<br />

waren für sein Reich.<br />

Mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl<br />

hatten Lord Radobald und die<br />

Königin die Friedensverhandlungen<br />

mit dem Königreich der Drei Seen<br />

überhaupt erst möglich gemacht.<br />

Wenn Aramons Leute erfuhren, dass<br />

das Königreich der Fünf Berge keinen<br />

Herrscher mehr hatte, würde die Hölle<br />

losbrechen. Sie würden sie einfach<br />

überrennen und die Königin entweder<br />

zur Heirat mit Aramons Drittgeborenem<br />

zwingen oder sie töten und das<br />

Reich direkt an ihr eigenes angliedern.<br />

Ophelia hielt an und ließ sich erschöpft<br />

in einen Sessel sinken. Ihre<br />

Zofe, die steif in der Ecke gestanden<br />

und auf ihren Einsatz gewartet hatte,<br />

eilte sogleich zu ihr und bot ihr ein<br />

Glas Wein an, von dem die Königin<br />

erst vornehm nippte, es sich dann<br />

aber anders überlegte und den Inhalt<br />

in einem einzigen Schluck hinunterstürzte.<br />

Eine Weile saß sie zusammengesunken<br />

da, das Gesicht in den<br />

Händen verborgen. Hätte Radobald<br />

es nicht besser gewusst, er hätte<br />

angenommen, die Trauer wäre jetzt<br />

endgültig über sie hereingebrochen.<br />

Doch er kannte seine Königin. Die<br />

Art, wie sie gleichmäßig ihre Schultern<br />

hob und senkte und wie sie ab<br />

und zu ein Schnauben von sich gab,<br />

zeigte an, dass sie angestrengt grübelte<br />

und kurz vor einer Lösung ihres<br />

Dilemmas stand. Er verlagerte<br />

alle paar Minuten sein Gewicht von<br />

einem Bein auf das andere und wartete<br />

geduldig.<br />

Königin Ophelia erhob sich so<br />

plötzlich aus ihrem Sessel, dass<br />

Radobald vor Schreck zusammenzuckte.<br />

Sie baute sich vor ihrem ersten<br />

Berater auf.<br />

„Fassen wir die Lage zusammen“,<br />

begann sie in gefasstem Tonfall. Sie<br />

hielt einen Finger hoch und sagte:<br />

„Erstens: Unsere Reiche fechten<br />

schon seit Jahrzehnten einen Kampf<br />

um den Grenzverlauf. Der eine erlaubt<br />

dem anderen den Handel nicht. Die<br />

Durchreise auf dem Weg ins Nachbarkönigreich<br />

wird verboten oder durch<br />

horrende Gebühren erschwert. Dabei<br />

ging es immer nur um Nichtigkeiten<br />

wie die Quelle eines so genannten<br />

Wunderbaches, um das Jagdrecht in<br />

den Wäldern entlang der Grenze und<br />

um Grenzsteine, die unsere Leute angeblich<br />

versetzt haben sollen.“<br />

„Nun ja, das mit den Grenzsteinen<br />

entspricht schon der Wahrheit, auch<br />

wenn König Theobald es eher als einen<br />

Scherz angesehen hat …“, lenkte<br />

Lord Radobald zögerlich ein.<br />

„Nichtigkeiten!“, unterbrach Ophelia<br />

ihn unwirsch. Sie hob einen weiteren<br />

Finger. „Punkt zwei: Beide Seiten


etrachten eine Ehe zwischen unseren<br />

Häusern als die einzige Möglichkeit,<br />

Frieden zu schließen. Das Königreich<br />

der Drei Seen wartet seit Jahren<br />

darauf, dass wir eine Königstochter<br />

zur Welt bringen, damit Aramons dritter<br />

Sohn sie eines Tages ehelichen<br />

und unseren Thron besteigen kann.<br />

Wir haben mit Aramon darüber sogar<br />

einen Vertrag abgeschlossen. Aber<br />

…“, der dritte Finger schnellte in die<br />

Höhe, „mein lieber Gemahl hat es<br />

nicht ein einziges Mal fertig gebracht,<br />

ein Kind zu zeugen, weder mit mir,<br />

noch mit einer seiner Huren.“<br />

Lord Radobald wollte aus reiner<br />

Gewohnheit Partei für seinen Herrn<br />

ergreifen und setzte zu einer Gegenrede<br />

an, doch Königin Ophelia schnitt<br />

ihm mit einer drohenden Geste das<br />

Wort ab.<br />

„Zeige mir auch nur ein Balg am<br />

Hof, das entfernt Ähnlichkeit mit<br />

Theobald hat. Nein, der konnte sein<br />

königliches Zepter vielleicht überall<br />

reinstecken, aber herausgekommen<br />

ist nie etwas, dafür fehlte seinen Lenden<br />

der Saft!“<br />

Radobald schluckte peinlich berührt.<br />

Ophelia hatte sich in Rage<br />

geredet.<br />

„Viertens“, fuhr sie in verschärftem<br />

Ton fort, „hat Aramon von den<br />

Drei Seen die Nase voll und will nicht<br />

mehr warten, ganz zu schweigen von<br />

seinem dritten Sohn, der jetzt gerade<br />

auf dem Weg hierher ist. Dass<br />

der nicht in bester Laune sein dürfte,<br />

brauche ich dir ja wohl nicht zu<br />

erklären.“<br />

Ophelia hielt den fünften Finger<br />

hoch. „Und zu guter Letzt stirbt<br />

mein untreuer Dreckskerl von einem<br />

Gemahl plötzlich und unerwartet<br />

bei einer weiteren Nummer mit einem<br />

seiner Flittchen und hinterlässt<br />

mir nichts als einen riesigen Haufen<br />

Probleme.“<br />

Ihr Gesicht war nun ganz nah vor<br />

Radobalds. Er konnte ihre Wut glühend<br />

heiß auf seinen Wangen spüren.<br />

„Also was tun wir jetzt?“ Ihre Frage<br />

schwebte im Raum. Niemand sagte<br />

etwas oder wagte auch nur zu atmen.<br />

Radobalds Eingeweide krümmten<br />

sich unter dem brennenden Blick seiner<br />

Herrin. All die Würde und Erhabenheit,<br />

die er sonst ausstrahlte, waren<br />

wie weggeblasen. Ein piepsiges<br />

„Ich weiß es nicht“ war alles, was er<br />

hervorbringen konnte. Ophelia knurrte<br />

ihn verächtlich an und begann wieder,<br />

im Raum auf und ab zu laufen.<br />

Doch wie es aussah, hatte sie bereits<br />

einen Plan.<br />

„Wer weiß von Theobalds Tod?“<br />

fragte sie.<br />

Lord Radobald zeigte auf sich und<br />

die Zofe und ergänzte: „Außerdem<br />

der junge Mann von Theobalds Leibgarde,<br />

der in dieser Nacht Wache<br />

schiebt. Und Marianna.“<br />

Das arme Ding, dachte Radobald.<br />

Die unglückselige letzte Gespielin<br />

des Königs hockte immer noch allein<br />

in der Schlafkammer hinter der<br />

Küche und schluchzte vor sich hin.<br />

Marianna war ein nettes Mädchen.<br />

Sie hatte genau in das Beuteschema<br />

des Königs gepasst. Jung, hübsch,<br />

unerfahren und einfältig genug, sich<br />

auf die Avancen ihres Herrschers<br />

widerstandslos einzulassen. Was<br />

für ein Schock musste es für sie gewesen<br />

sein? Tränenüberströmt, nur<br />

mit einem Laken notdürftig bedeckt,


war sie zu Ophelias Kammerzofe<br />

gelaufen und hatte ihr in stammelnden<br />

Worten erklärt, der König läge<br />

in seinem Bett, seltsam verkrümmt,<br />

blau angelaufen, und geatmet hätte<br />

er auch nicht mehr. Wahrscheinlich<br />

glaubte sie, dass sie den König umgebracht<br />

hatte.<br />

Theobalds Leichnam lag übrigens<br />

immer noch in seinem zerwühlten<br />

Bett. Noch etwas, worum<br />

sie sich kümmern mussten.<br />

Die Königin riss ihn aus seinen Gedanken.<br />

„Hol den Hofnarr und warte<br />

hier mit ihm“, befahl sie ihrer Zofe.<br />

Den Hofnarr? Radobald stutzte, aber<br />

sogleich schwante ihm, was für eine<br />

Idee Königin Ophelia gerade ausbrütete.<br />

Er kam nicht dazu, den Gedanken<br />

bis zu seinem Ende zu verfolgen,<br />

denn Ophelia wandte sich nun an ihn:<br />

„Und wir beide statten der kleinen<br />

Küchenhure einen Besuch ab.“<br />

Die Kammerzofe machte einen<br />

leichten Knicks und entfernte sich.<br />

Lord Radobald sah seine Herrin fragend<br />

an. Ihre Augen funkelten entschlossen.<br />

„Hast du deine Waffe dabei?“<br />

fragte sie ihn.<br />

„Meine Königin, es ist mitten in der<br />

Nacht“, erwiderte er verdutzt.<br />

„Was soll’s“, entgegnete sie unwirsch<br />

und marschierte los. „In der<br />

Küche gibt es genügend Messer.“<br />

Radobald eilte ihr hinterher. Er ahnte<br />

nichts Gutes.<br />

***<br />

Einige Zeit später verließen die Königin<br />

und ihr erster Berater die Küchengewölbe<br />

wieder. Sie waren<br />

auf dem Rückweg in das Turmzimmer.<br />

Ophelia wischte ihre mit Blut<br />

besprenkelten Hände an einem Tuch<br />

sauber, das sie anschließend achtlos<br />

auf den Boden fallen ließ. Radobald<br />

hob es sogleich auf und ließ es in seinem<br />

Gewand verschwinden. Er war<br />

blass und fühlte sich nicht besonders<br />

gut. Die Königin dagegen schien vor<br />

Tatendrang nur so zu sprühen.<br />

„Sag dem Koch, dass er sich<br />

schleunigst nach einer neuen <strong>Mag</strong>d<br />

umschauen soll. Immerhin bekommen<br />

wir in Kürze sehr hohen Besuch“,<br />

wies sie Radobald an, während sie<br />

in so großen Schritten dahinflog,<br />

dass es ihm schwer fiel, mit ihr mitzuhalten.<br />

„Und schicke den Eltern<br />

des Mädchens eine angemessene<br />

Abfindung.“<br />

„Aber was soll ich ihnen sagen?“<br />

Ophelia machte eine wegwerfende<br />

Handbewegung. Für sie war dieser<br />

Fall längst abgeschlossen. „Ein<br />

Arbeitsunfall, was denn sonst? Hat<br />

nicht aufgepasst und sich an einem<br />

Messer verletzt.“<br />

Radobald war fassungslos. So<br />

herzlos hatte er seine Herrin noch nie<br />

erlebt. Vielleicht setzte ihr der plötzliche<br />

Tod ihres ungeliebten Gemahls<br />

doch mehr zu, als sie zuzugeben bereit<br />

war. Er folgte ihr in das Turmzimmer,<br />

wo die Zofe in Begleitung eines<br />

müde aussehenden Mannes in einem<br />

zerschlissenen Nachthemd schon<br />

auf sie wartete. Kaum betraten sie<br />

den Raum, war der Mann hellwach<br />

und sprang aus dem Sessel der Königin<br />

auf, in dem er es sich bequem<br />

gemacht hatte. Allein dafür hätte jeder<br />

andere sofort eine saftige Bestrafung<br />

erhalten, doch er war der Narr<br />

des Königs. Er genoss eine ganze<br />

Menge Freiheiten, und die nahm er


sich auch in vollen Zügen. Noch nie<br />

hatte irgendjemand im Schloss ihn<br />

für sein Verhalten oder seine Scherze<br />

gemaßregelt, denn er stand unter<br />

dem uneingeschränkten Schutz und<br />

der Zuneigung des Königs, der ihn<br />

vor einigen Monaten an den Hof geholt<br />

hatte. Obwohl er in allen Künsten<br />

der Unterhaltung bewandert war,<br />

hatte er sich vor König Theobald nie<br />

besonders anstrengen müssen, um<br />

ihn zum Lachen zu bringen. Der Narr<br />

selbst war bereits der Witz.<br />

Ophelia blieb vor ihm stehen und<br />

musterte ihn eindringlich von Kopf<br />

bis Fuß und wieder zurück, bis er unruhig<br />

wurde.<br />

„Hofnarr“, begann sie und legte<br />

eine Menge vornehmer Königlichkeit<br />

in ihre Stimme. „Ich habe einen ganz<br />

besonderen Auftrag für dich. Das<br />

Wohl deiner Königin und das des<br />

ganzen Reiches hängt von dir ab.“<br />

Die Augen des Hofnarren wurden<br />

immer größer. Nicht nur er, auch die<br />

Zofe und der erste Berater lauschten<br />

aufmerksam ihren Worten. Was die<br />

Königin ihnen sagte, ließ sie zunächst<br />

entsetzt erbleichen. Ein solcher Plan<br />

konnte doch niemals gut gehen! Nur<br />

ein Narr würde so ein Unterfangen<br />

wagen. Doch es war ja auch ein Narr,<br />

der diesen aberwitzigen Plan ausführen<br />

sollte.<br />

***<br />

Der Nachtwächter war ein junger<br />

Bauerntölpel, der nicht einmal gemerkt<br />

hatte, dass der König eine<br />

Frau auf sein Zimmer eingeladen hatte.<br />

Genau das war auch der Grund<br />

gewesen, weshalb Theobald ihn<br />

zum Dienst hatte rufen lassen. Ein<br />

einfältiger Kerl, der nicht so schnell<br />

dachte, wie eine Taube kacken konnte,<br />

war genau der richtige, um sich<br />

unbemerkt, aber standesgemäß bewacht,<br />

der Lust hinzugeben. Aber<br />

der Wächter war gesund und kräftig<br />

und steckte sowieso schon in der<br />

Sache drin, auch wenn er eine Weile<br />

gebraucht hatte, um den Zusammenhang<br />

zwischen der halbnackten<br />

<strong>Mag</strong>d, die plötzlich aus dem königlichen<br />

Schlafgemach gestürmt war,<br />

und dem toten König herzustellen.<br />

Zusammen mit Radobald musste er<br />

den Leichnam von König Theobald in<br />

einer kleinen Kammer in einem kaum<br />

genutzten Flügel des Schlosses verstecken.<br />

Als er den Befehl von Ophelia<br />

erhielt, über all dies Stillschweigen<br />

zu bewahren und niemandem auch<br />

nur ein Sterbenswörtchen darüber<br />

zu erzählen, dass König Theobald<br />

dahingeschieden war, konnte man<br />

seinem glatten Gesicht ansehen, wie<br />

es in ihm arbeitete, bis sich die Frage<br />

nach oben kämpfte, die letzten Endes<br />

auch sein Schicksal besiegelte:<br />

„Warum nicht?“<br />

Die Königin bedachte ihn mit einem<br />

entnervten Stöhnen. Sie wies Radobald<br />

an, gemeinsam mit dem jungen<br />

Mann Mariannas Leiche zu entsorgen<br />

und die Kammer zu säubern und sich<br />

anschließend auch um ihn zu kümmern.<br />

So kam es, dass am nächsten<br />

Tag nicht nur eine Stelle in der königlichen<br />

Küche frei war, sondern auch<br />

eine in der Leibgarde des Königs.<br />

Der Hofnarr indes war sprachlos.<br />

Dies war ein Zustand, in dem ihn<br />

bei Hofe noch niemals jemand erlebt<br />

hatte. Er war ein guter Hofnarr. Er<br />

hatte stets einen passenden Spruch


auf den Lippen, konnte Possen reißen<br />

und lustige Geschichten aus<br />

dem Stegreif erzählen. Er konnte jonglieren,<br />

tanzen, mehrere Instrumente<br />

spielen und liebte es, schmutzige Lieder<br />

zum Besten zu geben. Allerdings<br />

hatten all diese Vorteile nicht den Ausschlag<br />

für seine Anstellung am Hof<br />

von König Theobald gegeben. Sein<br />

Aussehen war es gewesen. Er sah<br />

seinem Herrscher auf verblüffende<br />

Weise ähnlich. Dieser Umstand war<br />

sein größter Bonus, der auf mannigfaltige<br />

Weise Ausdruck in seiner Kunst<br />

fand und in König Theobald selbst den<br />

größten Bewunderer hatte.<br />

Doch nun war der Mund des Hofnarren<br />

zu einem staunenden O geformt<br />

und verharrte in dieser Position für<br />

Stunden, während er für seinen großen<br />

Auftritt hergerichtet wurde. Was<br />

er sonst nur als Spaß inszenierte,<br />

sollte er plötzlich ganz ernsthaft und<br />

ohne Augenzwinkern vollbringen.<br />

Königin Ophelia lief um ihn herum<br />

wie ein aufgescheuchtes Huhn. Sie<br />

bombardierte den armen Narren mit<br />

nicht enden wollenden Informationen<br />

über die Fehde zwischen den Königreichen,<br />

mit Namen und Jahreszahlen,<br />

mit Etiketteregeln und Hinweisen, wie<br />

König Theobald dieses oder jenes zu<br />

sagen oder zu tun pflegte. Selbstverständlich<br />

wusste der Narr das meiste<br />

davon längst, doch diesmal ging es<br />

um korrekte Daten und Regeln und<br />

außerdem um Leben und Tod.<br />

Der Barbier war gerufen worden,<br />

um dem Hofnarren den korrekten<br />

Haarschnitt zu verpassen. Dem Hofschneider<br />

bluteten vor lauter Anstrengung<br />

schon die Finger, weil er innerhalb<br />

weniger Stunden ausgewählte<br />

Gewänder des Königs auf die Größe<br />

des Hofnarren umändern musste.<br />

Theobalds Leibesfülle übertraf die<br />

seines Narren um ein paar Zoll.<br />

Lord Radobald befürchtete, sich am<br />

Ende des Tages auch noch um einen<br />

neuen Barbier sowie einen Schneider<br />

für das Königshaus bemühen und<br />

den Familien der spurlos verschwundenen<br />

Hoflieferanten hanebüchene,<br />

aber glaubhafte Ausreden auftischen<br />

zu müssen. Glücklicherweise hatten<br />

sich beide Herren aber schon seit<br />

vielen Jahren als äußerst verschwiegene<br />

Geheimnisträger erwiesen. So<br />

genügte der Königin ihr Wort, um sie<br />

ungeschoren laufen zu lassen.<br />

„Wenn ich jeden beseitigen lassen<br />

müsste, der irgendetwas Skandalöses<br />

aus unserem Schloss weiß,<br />

hätte ich längst kein Gefolge mehr“,<br />

sagte Königin Ophelia und knuffte ihren<br />

Berater in die Seite. „Nicht wahr,<br />

mein lieber Radobald?“<br />

Der wurde kurz rot, erblasste<br />

darauf und zog es vor zu schweigen.<br />

Der Kragen seines Gewandes<br />

fühlte sich plötzlich viel zu eng an.<br />

Er verließ die Königin und ihren falschen<br />

Gemahl und schlich müde<br />

über die Gänge des Schlosses. Ein<br />

Nickerchen wäre jetzt schön gewesen.<br />

Einer der Soldaten, die am Burgtor<br />

Wache hielten, eilte auf ihn zu. Er<br />

salutierte und berichtete, dass ein<br />

Kundschafter der Abgesandten von<br />

den Drei Seen eingetroffen wäre. Die<br />

Delegation sollte am nächsten Tag<br />

zur Mittagszeit eintreffen.<br />

Radobald ließ ihn wegtreten, seufzte<br />

und machte kehrt, um seiner Herrin<br />

die Nachricht zu überbringen. An<br />

Schlaf war noch lange nicht zu denken.


Als er einige Stunden später den<br />

Hofnarren im königlichen Gewand erblickte,<br />

traute er seinen Augen kaum.<br />

Das Trugbild war verblüffend. Der<br />

Gewichtsunterschied war das Einzige,<br />

was jemandem, der Theobald gut<br />

kannte, sofort auffallen musste. Doch<br />

dafür ließ sich eine Erklärung finden.<br />

Auch Königin Ophelia war sehr angetan.<br />

Sie umrundete den Hofnarren<br />

mehrere Male und stieß einen anerkennenden<br />

Pfiff aus. Radobald hatte<br />

gar nicht gewusst, dass die Königin<br />

pfeifen konnte. „Sieh an, sieh an“,<br />

sagte sie und schnalzte mit der Zunge.<br />

„Du erinnerst mich daran, wie er<br />

war, als ich ihn kennenlernte.“<br />

Der Hofnarr errötete ob ihres Kompliments<br />

wie ein junges Mädchen.<br />

Zum ersten Mal seit der Nachricht<br />

von Theobalds Tod keimte ein wenig<br />

Hoffnung in Lord Radobald auf.<br />

***<br />

Die Abgesandten von König Aramon<br />

reagierten nicht gerade begeistert auf<br />

König Theobalds Bedingung, dass<br />

seine Frau Ophelia den Verhandlungen<br />

beiwohnen und das gleiche<br />

Mitspracherecht wie er haben sollte.<br />

Eine solche Forderung war noch nie<br />

zuvor gestellt worden. Lord Ludolf,<br />

dritter Sohn von Aramon, der sich<br />

nicht einmal Prinz nennen durfte, solange<br />

er keine Gemahlin aus königlichem<br />

Hause vorzuweisen hatte, kniff<br />

misstrauisch die Augen zusammen<br />

und dachte an die warnenden Worte<br />

seines Vaters, der ihn darauf vorbereitet<br />

hatte, wer im Königreich der Fünf<br />

Berge wirklich die Hosen anhatte.<br />

Ludolf führte die Gruppe von<br />

hochwohlgeborenen Herren mit<br />

erhobenem Haupt in die große Halle,<br />

an deren Ende Theobald auf einem<br />

prunkvollen Thron saß und sie erwartete.<br />

Ludolf hatte den Herrscher anders<br />

in Erinnerung. Zum letzten Mal<br />

waren sie sich vor ein paar Jahren<br />

begegnet. Da war er deutlich beleibter<br />

und nicht so blass um die Nase<br />

herum gewesen. Auch sonst wirkte<br />

er nervös auf Ludolf. War der König<br />

krank? Das konnte eine Erklärung<br />

dafür sein, dass Ophelia nicht von<br />

seiner Seite wich. Sie war es auch,<br />

die das Wort ergriff und als Grund für<br />

ihre Teilnahme an den Friedensverhandlungen<br />

notwendige Reformen<br />

im Königreich nannte. Sie sprach<br />

von Gleichberechtigung und Zeitgeist.<br />

Für so einen Unsinn hatte Lord<br />

Ludolf keinen Sinn. Er wollte diese<br />

Verhandlungen so schnell und erfolgreich<br />

wie möglich hinter sich bringen<br />

und wieder verschwinden.<br />

Theobald, dem sein Ruf als Schwerenöter<br />

weit vorauseilte, hatte noch<br />

immer keinen Nachwuchs vorzuweisen,<br />

von einer Prinzessin ganz zu<br />

schweigen. Für Ludolf war die Sache<br />

klar: Theobald und Ophelia hatten<br />

den Vertrag gebrochen und mussten<br />

ihm nun deutlich entgegenkommen,<br />

damit sein Vater sich auf einen dauerhaften<br />

Frieden mit seinem alten<br />

Lieblingsfeind einließ.<br />

Lady Ophelia machte auf ihn allerdings<br />

nicht den Eindruck, als ob sie<br />

sich durch männlichen Schweißgeruch<br />

und etwas Säbelrasseln einschüchtern<br />

ließ. Sie schaute ihm selbstbewusst<br />

geradewegs in die Augen und erwartete<br />

seine Zustimmung. Was soll’s,<br />

dachte er. Durch ein gönnerhaftes Nicken<br />

gab er sein Einverständnis.


Die Verhandlungen dauerten bis in<br />

die Abendstunden. Keinem der Anwesenden<br />

war bewusst der Moment aufgefallen,<br />

an dem Königin Ophelia die<br />

Führung übernommen und schließlich<br />

mit viel Diplomatie und Geschick auf<br />

ein für alle zufrieden stellendes Ergebnis<br />

zugesteuert hatte. Einzig Lord<br />

Ludolf war es nicht entgangen, dass<br />

sich Theobald bewusst zurückgehalten<br />

und seiner Frau das Wort überlassen<br />

hatte. Selbst wenn er den König<br />

gezielt ansprach und ihm eine Frage<br />

stellte, die ihm eine Entscheidung abverlangte,<br />

lenkte er das Gespräch zu<br />

Ophelia und bat sie um ihre Meinung.<br />

Die ganze Art und Weise, wie die beiden<br />

miteinander umgingen, kam Ludolf<br />

merkwürdig vor. Als er Theobald<br />

nach der Wunderquelle fragte, wandte<br />

dieser sich an Ophelia und sagte: „Ich<br />

würde sagen, die Quelle hat so viel<br />

Ärger gebracht, da können wir auch<br />

gut auf sie verzichten, oder wie siehst<br />

du das, Schatz?“ Und Ophelia hatte<br />

kurz gehüstelt, mit einer Hand seinen<br />

Arm getätschelt und ihre Zustimmung<br />

bekundet. So ging es einige Male. Am<br />

Ende war es stets die Königin, die die<br />

Antworten gab.<br />

Lord Ludolf ermahnte sich jedoch<br />

zur Ruhe. Schließlich waren Theobald<br />

und seine Frau ihnen in fast<br />

allen Punkten entgegengekommen.<br />

Der neue Grenzverlauf war exakt in<br />

die Karten eingezeichnet worden,<br />

die Handelsrouten sollten wieder geöffnet<br />

werden, und das Jagdrecht in<br />

den Wäldern an der Grenze konnte<br />

auch zur Zufriedenheit aller aufgeteilt<br />

werden. Sogar die Quelle, die angeblich<br />

Kranke heilen konnte, gehörte ab<br />

sofort zum Königreich der Drei Seen.<br />

Ludolf konnte mit überragend positiven<br />

Ergebnissen nach Hause reiten<br />

und sollte froh sein. Doch irgendwie<br />

war das alles zu einfach gewesen.<br />

Theobald und Ophelia hatten in den<br />

meisten Punkten viel zu schnell eingelenkt.<br />

Er wurde das Gefühl nicht<br />

los, dass etwas nicht stimmte.<br />

***<br />

Das Freudenfest zu Ehren des neu<br />

geschlossenen Friedens zwischen<br />

den Königshäusern war in vollem<br />

Gange. Die große Halle vibrierte vor<br />

lärmenden Menschen, die lachten,<br />

schmatzten, sangen und sich gegenseitig<br />

auf die Schultern klopften. In<br />

der Mitte war eine offene Feuerstelle<br />

eingerichtet worden, über der ein<br />

ganzes Schwein briet. Bedienstete<br />

eilten umher und füllten die Becher<br />

der Gäste mit Wein, sobald diese<br />

nur zur Hälfte ausgetrunken hatten.<br />

Eine Gauklertruppe war kurzfristig<br />

an den Hof bestellt worden, um die<br />

Gesellschaft mit Tricks und Akrobatik<br />

zu unterhalten. Irgendjemand musste<br />

schließlich den Hofnarren ersetzen,<br />

der spurlos verschwunden war<br />

und nach dem schon einige gefragt<br />

hatten. Das Mädchen aus der Küche<br />

oder der junge Soldat hingegen wurden<br />

von niemandem vermisst.<br />

Lord Radobald litt immer noch unter<br />

Atemnot. Ihm war nicht nach Feiern<br />

zumute. Stets im Hintergrund, die<br />

Augen wachsam geöffnet, beobachtete<br />

er das Treiben, ohne sich selbst<br />

aktiv an Wein, Weib und Gesang zu<br />

beteiligen. Die Verhandlungen waren<br />

überstanden, doch aufatmen konnte<br />

er erst, wenn Lord Ludolf und sein<br />

Gefolge wieder abgezogen waren.


Er bewunderte Ophelia für ihre<br />

Ruhe und Gelassenheit und war heilfroh<br />

über die erstaunlichen schauspielerischen<br />

Fähigkeiten des Hofnarren.<br />

Wie es aussah, hatte die<br />

Maskerade bisher funktioniert. Ein<br />

paar der Diener und Wachen warfen<br />

ab und zu fragende Blicke auf den<br />

König, wagten es jedoch nicht, darüber<br />

auch nur ein Wort zu verlieren.<br />

Einzig Lord Ludolf, Aramons Drittgeborener,<br />

schien sich ebenso wenig<br />

entspannen zu können wie Radobald<br />

selbst. Mit Sorge betrachtete er<br />

Ludolfs finsteres Gesicht, hinter dem<br />

es arbeitete. Der Lord hatte Verdacht<br />

geschöpft.<br />

Radobald zerrte am Kragen seines<br />

Gewandes. Seine Sorgen wurden<br />

nicht kleiner, als er seine Aufmerksamkeit<br />

auf den Hofnarren lenkte.<br />

Dieser saß mit skeptischer Miene auf<br />

seinem Platz und beobachtete mit<br />

heruntergezogenen Mundwinkeln<br />

das Spiel der Gaukler. Zwei von ihnen<br />

präsentierten eine lausige Jonglagenummer,<br />

bei der ihnen jeder dritte<br />

Ball herunterfiel. Der dritte versuchte<br />

sich als Barde. Er sang mit schiefer<br />

Stimme und begleitete sich selbst auf<br />

der Laute, die er aber mehr schlecht<br />

als recht beherrschte. Die Finger des<br />

Hofnarren trommelten nervös auf der<br />

Armlehne, und er verzog jedes Mal<br />

das Gesicht, wenn wieder ein Trick<br />

der Jongleure daneben ging oder der<br />

Barde einen Ton nicht traf.<br />

Königin Ophelia tat ihr Bestes, um<br />

sowohl ihren falschen Gemahl von<br />

den schlechten Gauklern als auch<br />

die Gäste von dem wie ausgewechselt<br />

wirkenden König abzulenken.<br />

Sie lachte übertrieben laut, prostete<br />

jedem der Abgesandten zu und gab<br />

sich besonders viel Mühe, Lord Ludolf<br />

bei Laune zu halten. Dass dieser<br />

misstrauisch war, hatte also auch<br />

sie gemerkt, dachte Radobald nervös.<br />

Sehnsüchtig wartete er auf das<br />

Ende des Festes. Bei so viel Wein,<br />

der bereits geflossen war, mussten<br />

doch bald die Ersten betrunken<br />

und schnarchend unter den Tischen<br />

liegen.<br />

Dann geschah, was Radobald befürchtet<br />

hatte: Ein Narr war ein Narr<br />

und verhielt sich auch wie einer. Er<br />

konnte nicht aus seiner Haut.<br />

Ophelias Gesichtszüge entgleisten,<br />

als der Narrenkönig aufsprang,<br />

einem der Gaukler die Jonglierbälle<br />

wegschnappte und anfing, seine eigenen<br />

Kunststückchen aufzuführen.<br />

Hoch und höher warf er die ledernen<br />

Kugeln, fing jede geschickt wieder<br />

auf, um sie erneut auf die Reise zu<br />

schicken. Fünf Bälle gleichzeitig ließ<br />

er fehlerfrei durch die Luft fliegen, bis<br />

er schließlich alle wieder auffing und<br />

sich theatralisch vor seinem sprachlos<br />

staunenden Publikum verbeugte.<br />

Auch Radobald hatte das Schauspiel<br />

mit offenem Mund und einem im<br />

Halse stecken gebliebenen Entsetzensschrei<br />

angesehen. Als er jetzt<br />

endlich wieder keuchend Luft holte,<br />

fiel ihm auf, wie still es im Saal geworden<br />

war. Die Musik hatte aufgehört.<br />

Niemand sagte ein Wort, alle starrten<br />

nur auf den König, der soeben ein<br />

Jonglage-Kunststück vorgeführt hatte,<br />

als hätte er sein Leben lang nichts<br />

anderes getan. Ophelia quollen fast<br />

die Augen aus dem Kopf, und sie öffnete<br />

und schloss den Mund, um Fassung<br />

bemüht. Jetzt erst schien der


Hofnarr zu bemerken, was er angestellt<br />

hatte. Langsam richtete er sich<br />

wieder auf und schickte ein unsicheres,<br />

entschuldigendes Lächeln in die<br />

Runde, das jedoch von niemandem<br />

erwidert wurde.<br />

Lord Ludolf fand als Erster die Sprache<br />

wieder. Tief und bedrohlich hallte<br />

seine Stimme von den steinernen<br />

Wänden wider, als er langsam sagte:<br />

„Ihr seid uns eine Erklärung schuldig,<br />

König. Oder sollte ich Euch besser<br />

gleich Hofnarr nennen und Euch fragen,<br />

was Ihr mit Theobald angestellt<br />

habt?“<br />

Ein schockiertes Raunen rollte wie<br />

eine Welle durch den Saal. Der Hofnarr<br />

wich vor dem Lord zurück. Er ließ<br />

die Bälle fallen und versteckte seine<br />

Hände hinter dem Rücken, als könnte<br />

er dadurch etwas ungeschehen<br />

machen. Königin Ophelia war aufgesprungen<br />

und bekam ihre Schnappatmung<br />

nur mühsam unter Kontrolle.<br />

Radobald schloss verzweifelt die Augen.<br />

Das ist das Ende, dachte er.<br />

„Aber, aber, Lord Ludolf“, begann<br />

der Hofnarr und schaffte es, auf überzeugende<br />

Weise empört zu klingen.<br />

„Habt Ihr mich gerade einen Narren<br />

genannt? Ihr beleidigt mich in meinem<br />

eigenen Haus? Versteht Ihr das<br />

etwa unter friedlichem Miteinander?“<br />

Ludolf erhob sich. Kampfeslustig<br />

ballte er seine Hände zu Fäusten.<br />

Ophelia stellte sich zu ihrem König<br />

und ergriff seine Hand, als wollte sie<br />

ihn davon abhalten, auf Lord Ludolfs<br />

Einladung zum Kampf einzugehen.<br />

Fast konnte man meinen, die Liebe<br />

zwischen ihr und Theobald wäre wieder<br />

aufgeflammt, so leidenschaftlich<br />

schaute sie ihren falschen Gemahl<br />

an. Radobald fragte sich, ob die Königin<br />

noch schauspielerte oder ob irgendetwas<br />

geschehen war zwischen<br />

ihr und dem Hofnarren, irgendwann<br />

im Laufe des Tages, als sie beide so<br />

hartnäckig um den Erhalt des Königreiches<br />

gekämpft hatten.<br />

Der Narrenkönig räusperte sich<br />

und verkündete mit klarer, sicherer<br />

Stimme: „Ihr alle wisst, wie sehr ich<br />

meinen Hofnarren geschätzt habe.<br />

Er gehörte zu meinen engsten Vertrauten,<br />

und ich war immer ein großer<br />

Bewunderer seiner Kunst. Was<br />

ich euch soeben gezeigt habe, hat er<br />

mir beigebracht. Leider weilt der Hofnarr<br />

nicht mehr an meinem Hof. Er ist<br />

von dannen gezogen und hinterlässt<br />

wahrlich eine große Lücke. Als König<br />

ist es nicht meine Aufgabe, den Narren<br />

zu spielen, das ist richtig. Aber“, er<br />

machte eine bedeutsame Pause und<br />

zeigte mit ausgestrecktem Finger auf<br />

die verunsichert dreinblickenden drei<br />

Gaukler, „als euer Gastgeber ist es<br />

meine Pflicht, für eure Unterhaltung<br />

zu sorgen und was diese erbärmlichen<br />

Gestalten geboten haben, ließ<br />

mich vor Scham rot anlaufen. Lieber<br />

mache ich mich selbst zum Narren<br />

und aus meinem Haus einen Narrenhof,<br />

bevor ihr euren Familien daheim<br />

erzählt, welch trauriges Schauspiel<br />

euch an meinem Hof geboten wurde.“<br />

Er schaffte es, nach diesen Worten<br />

hoch erhobenen Hauptes in die<br />

Runde zu schauen, bis sein Blick auf<br />

Lord Ludolf traf und dort ruhen blieb.<br />

Der Lord geriet sichtbar ins Wanken,<br />

wandte schließlich als Erster den<br />

Blick ab und sagte: „Bitte verzeiht<br />

meine Dreistigkeit, König Theobald.“<br />

Der Hofnarr nickte ihm als Zeichen


der Vergebung zu und ging Arm in<br />

Arm mit Ophelia zurück an seinen<br />

Platz. Nachdem auch Lord Ludolf<br />

sich wieder hingesetzt hatte, ging<br />

das Fest weiter, als wäre nichts geschehen.<br />

Es wurde noch bis spät in<br />

die Nacht geredet, getrunken und<br />

gelacht.<br />

Lord Radobald konnte endlich wieder<br />

frei durchatmen.<br />

***<br />

Königin Ophelia und ihr Gemahl<br />

verabschiedeten sich kurz nach Mitternacht<br />

von der immer noch johlenden,<br />

lärmenden Gästeschar und<br />

zogen sich in ihre Gemächer zurück.<br />

Lord Ludolf, der für den Rest des<br />

Abends in nachdenkliches Schweigen<br />

verfallen war, schaute ihnen mit<br />

zu Schlitzen verengten Augen nach.<br />

Radobald traf seine Herrin und den<br />

Hofnarren vor der Tür zu Ophelias<br />

Schlafgemach. Nachdem die Tür<br />

hinter ihnen geschlossen war, stieß<br />

er ein erleichtertes „Den Göttern sei<br />

Dank!“ aus und haute dem Hofnarren<br />

schwungvoll auf den Rücken.<br />

Ophelia lachte vergnügt wie ein junges<br />

Mädchen.<br />

„Danke, meine Königin!“ Lord<br />

Radobald ging vor ihr auf die Knie<br />

und hauchte einen Kuss auf ihre<br />

Hand. „Ihr habt uns alle gerettet! Das<br />

war eine wahre Meisterleistung!“<br />

„Ich danke dir“, sagte Ophelia zu<br />

ihrem falschen Gemahl. Sie hatte<br />

wieder diesen tiefen Blick auf ihn<br />

gerichtet, der Radobald schon zuvor<br />

aufgefallen war. Das unsichtbare<br />

Band, das sich zwischen den beiden<br />

zu bilden begonnen hatte, war fast<br />

körperlich spürbar. Sie hatten ihre<br />

Gesichter einander zugewandt, und<br />

viel fehlte nicht zu einem Kuss. Hätte<br />

man ein Streichholz dazwischen gehalten,<br />

es wäre von allein entflammt,<br />

so schienen die Funken zu sprühen.<br />

Einen Hauch von Ophelias Mund<br />

entfernt, hielt der Hofnarr inne und<br />

blickte irritiert zu Radobald, der den<br />

beiden interessiert und mit einem<br />

geradezu seligen Lächeln zuschaute.<br />

Radobald löste sich aus seinem<br />

Bann, hüstelte und stammelte: „Ja …<br />

gut … ich werde dann mal … wenn<br />

Ihr mich braucht, Herrin …“<br />

„Danke, Lord Radobald“, unterbrach<br />

Ophelia ihn, sah dem Hofnarren<br />

wieder in die Augen und fügte hinzu:<br />

„Ich habe alles, was ich brauche.“<br />

Der königliche Berater entfernte<br />

sich rückwärts aus dem Schlafgemach<br />

des Königs und schloss leise<br />

die Tür. Er lachte in sich hinein, als er<br />

sich leichtfüßig umdrehte und – geradewegs<br />

in die breite Brust von Lord<br />

Ludolf hineinlief. Hinter dem Lord lagen<br />

zwei Wachen auf dem Boden, die<br />

von Ludolf anscheinend überrumpelt<br />

und hoffentlich nur bewusstlos geschlagen<br />

worden waren. Radobalds<br />

Grinsen erstarb augenblicklich, und<br />

das beklemmende Gefühl in seiner<br />

Luftröhre kehrte zurück. Lord Ludolf<br />

kochte vor Zorn und hielt ihm sein<br />

Schwert vors Gesicht.<br />

„Was habt ihr drei da drinnen besprochen?“,<br />

fuhr er den verängstigten<br />

Berater an. „Habt ihr euch ins<br />

Fäustchen gelacht, weil alle auf euren<br />

Schwindel reingefallen sind?“<br />

Er stieß Radobald so heftig mit dem<br />

Knauf seines Schwertes, dass dieser<br />

rückwärts hinfiel.<br />

Ludolf wandte sich der Tür zu.


„Nein!“, rief Radobald und versuchte,<br />

sich hochzurappeln und den<br />

aufgebrachten Lord davon abzuhalten,<br />

das Schlafgemach zu stürmen.<br />

Doch er war nicht schnell genug. Ludolf<br />

sprang mit einem Kampfschrei<br />

ins Zimmer, das Schwert hoch über<br />

seinem Haupt erhoben, bereit, dem<br />

falschen Spiel ein blutiges Ende zu<br />

bereiten.<br />

Doch sein Schrei erstarb kümmerlich,<br />

und seine Waffe fiel ihm fast aus<br />

der Hand, als er sah, in was für eine<br />

Szene er hineingeplatzt war. Die Königin<br />

und ihr falscher Gemahl waren<br />

halb nackt ineinander verschlungen<br />

auf das Bett gesunken, so tief in ihr<br />

leidenschaftliches Liebesspiel versunken,<br />

dass sie kaum voneinander<br />

lassen konnten, als sie von Lord<br />

Ludolf so jäh unterbrochen wurden.<br />

Ophelia stieß einen spitzen Schrei<br />

aus und bedeckte sich rasch mit dem<br />

neben ihr liegenden Umhang des<br />

Königs. Der König sprang auf, stellte<br />

sich schützend vor seine Lady und<br />

suchte seinerseits nach einer brauchbaren<br />

Waffe. Er bekam einen schweren,<br />

gusseisernen Kerzenständer zu<br />

fassen und hielt ihn vor sich.<br />

„Was ist denn jetzt schon wieder?“<br />

donnerte er los. Die mit seiner <strong>Roll</strong>e<br />

gewonnene Autorität stand ihm gut.<br />

„Lord Ludolf! Wie könnt Ihr es wagen,<br />

in unsere Gemächer einzudringen?<br />

Habt Ihr denn gar keinen Anstand?“<br />

Ludolf brachte kein vernünftiges<br />

Wort hervor. Er stotterte herum,<br />

versuchte eine Entschuldigung<br />

und scheiterte kläglich.<br />

„Ihr habt Euren Friedensvertrag, Eure<br />

Länder, Euren lächerlichen Zauberquell!<br />

Jetzt macht, dass Ihr davon<br />

kommt und lasst mich und meine teure<br />

Gemahlin endlich in Ruhe!“<br />

Er machte einen Schritt auf Ludolf<br />

zu und holte schwungvoll mit dem<br />

Kerzenständer aus. Er traf Ludolf,<br />

der zu verdattert war, um rechtzeitig<br />

zu reagieren, am Arm und schlug ihm<br />

das Schwert aus der Hand.<br />

Radobald, der nun ebenfalls ins<br />

Zimmer gekommen war, nahm seinen<br />

Mut zusammen und packte den<br />

fassungslosen Ludolf am Kragen, um<br />

ihn nach draußen zu begleiten. Diesmal<br />

konnte der Lord ihm sein Grinsen<br />

nicht mehr aus dem Gesicht wischen.<br />

***<br />

Die Abgesandten vom Königreich<br />

der Drei Seen verließen Theobalds<br />

Schloss noch vor dem Morgengrauen.<br />

Auf eine umständliche Abschiedszeremonie,<br />

wie es einem so hohen<br />

Besuch normalerweise zugestanden<br />

hätte, wurde auf Lord Ludolfs<br />

Wunsch verzichtet. Ophelia und ihr<br />

Hofnarr standen Arm in Arm auf dem<br />

Balkon und sahen der immer kleiner<br />

werdenden Reitertruppe hinterher,<br />

bis sie von den Wäldern verschluckt<br />

wurde.<br />

Sie lehnte sich mit einem zufriedenen<br />

Seufzer an seine Brust.<br />

„Ob wir Lord Ludolf wieder sehen?“,<br />

fragte sie.<br />

„Glaube ich nicht“, entgegnete der<br />

Narr. „Dass er uns gestern Nacht in<br />

flagranti erwischt hat, macht schon<br />

den ganzen Morgen die Runde im<br />

Schloss. Seine eigenen Männer haben<br />

es mit Sicherheit auch vernommen.<br />

Ludolf wird jetzt erst einmal eine<br />

Weile damit beschäftigt sein, seinen<br />

guten Ruf wiederherzustellen.“


Er zog Ophelia noch fester an sich.<br />

Es half, seine Herrin so eng umschlungen<br />

im Arm zu halten, um glauben<br />

zu können, dass es kein Traum<br />

war. Sein <strong>Mag</strong>en knurrte leicht.<br />

„Frühstück?“, fragte er und grinste.<br />

Sie lachte und gab ihm einen Kuss.<br />

Gemeinsam schlenderten sie zurück<br />

ins Schlafgemach.<br />

„Sag mal, wie ist eigentlich dein<br />

richtiger Name, mein Hofnarr?“<br />

„Wenn du möchtest, lautet<br />

er ab sofort Theobald.“<br />

Ophelia lachte wieder laut auf. Sie<br />

setzte sich aufs Bett und zog ihn zu<br />

sich herunter. „Wenn du es möchtest,<br />

werde ich dich von heute bis ans<br />

Ende aller Tage Theobald nennen.<br />

Mein König.“<br />

„Narrenkönig“, korrigierte er sie lächelnd,<br />

bevor er mit ihr zurück unter<br />

die Laken schlüpfte.<br />

Königin Ophelia entschied, dass<br />

das Volk nicht über den Tod seines<br />

Königs aufgeklärt werden sollte. Der<br />

König war immer noch da und stand<br />

von nun an fest und treu an ihrer<br />

Seite.<br />

Die Leute akzeptierten erstaunlich<br />

schnell, dass sich der alte Theobald,<br />

der größte Schürzenjäger im ganzen<br />

Königreich, zu einem viel schlankeren,<br />

bis über beide Ohren in Königin<br />

Ophelia verliebten neuen Theobald<br />

gewandelt hatte. Man munkelte, er<br />

habe in der sagenumwobenen Zauberquelle<br />

ein Bad genommen.<br />

Die Geschichte von Lord Ludolf, wie<br />

er nachts in das königliche Schlafgemach<br />

platzte, verbreitete sich nicht<br />

allein. Ebenso zur Legende wurde<br />

König Theobalds grandioser Auftritt<br />

als Meister der Jonglage. Dieses<br />

Kunststückchen gab er im Lauf der<br />

Jahre bei besonderen Anlässen immer<br />

wieder gern zum Besten.<br />

So geschah es also, dass ein Narr<br />

das Königreich der Fünf Berge regierte,<br />

doch das machte er so gut,<br />

dass niemals wieder jemand Verdacht<br />

schöpfte.<br />

Diese Erzählung<br />

stammt aus dem Buch:<br />

„Des Nachts im finsteren Wald –<br />

Dunkle Märchen“


Impressum<br />

Originalausgabe November <strong>2016</strong> – Qindie<br />

© Melanie Meier, Regensburg, http://melanie-petra.jimdo.com/melanie/<br />

Das Copyright der jeweiligen Texte liegt bei den AutorInnen.<br />

Chefredaktion: Melanie Meier, Katharina Groth, René Grandjean<br />

Redaktion: Kari Lessír, Katharina Gerlach, Manfred Schreiber (Gastbeitrag), Marny<br />

Leifers, Li-SaVo Dieu (Gastbeitrag), Divina Michaelis, Christina Kania (Gastbeitrag),<br />

Regina Mengel, Kathleen Stemmler, Elsa Rieger, Jana Oltersdorff<br />

Korrektorat: Florian Tietgen, Martina Bauer, Divina Michaelis<br />

Cover © Kristina Reigber, Kaydee-Artistry.de<br />

Bildquellen: Pixabay.com<br />

Satz: Jacqueline Spieweg<br />

Dieses eBook steht unter einer Creative-Commons-Lizenz: CC BY-NC-ND 3.0<br />

Über Qindie<br />

Qindie steht für qualitativ hochwertige Indie-Publikationen. Achten Sie also<br />

künftig auf das Qindie-Siegel! Für weitere Informationen, News und Veranstaltungen<br />

besuchen Sie unsere Website http://www.qindie.de/


Quellenangaben zum Artikel „Musik<br />

zieht uns zwischen die Zeilen“<br />

Autoren, Bücher & erwähnte Musik:<br />

Mika Krüger:<br />

Website: https://dunkelfeder.<br />

com/2015/08/20/ein-biegsamesherz/<br />

Romanveröffentlichungen: Chedul<br />

– Unter Feinden, Sieben Raben<br />

Musik: Elastic Heart – Sia // Hurt no<br />

one – The Used<br />

Melanie Meier:<br />

Website: http://melanie-petra.jimdo.<br />

com/<br />

Romanveröffentlichungen: Venit,<br />

Vedit, Vicit, Die Loki-von-Schallern-<br />

Serie, Levi<br />

Musik: Loki von Schallern-Theme –<br />

Josef Meier // Loquiem – Tobi M.<br />

Link zur Musik/den Videos<br />

Regina Mengel:<br />

Website: http://www.wortentbrannt.<br />

de/<br />

Romanveröffentlichungen: Am<br />

dreizehnten Tag, Hochzeit mit Huhn,<br />

Moorgeboren, Ein Pastor zum Verlieben,<br />

Windsbraut – Verdammter Ostwind,<br />

Windsbraut – Rihalimons Geheimnis<br />

Musik: Oomph – Augen auf (ich<br />

komme)<br />

Divina Michaelis:<br />

Website: http://www.qindie.de/<br />

autorinnen/l-p/m/divina-michaelis/<br />

Romanveröffentlichungen: Bizarre<br />

erotische Geschichten, Hausmeisterpflichten,<br />

Erotische Jahreszeiten,<br />

Homo Serpentes I + II + Prequel,<br />

Sehnsucht nach dir<br />

David Pawn:<br />

Website: http://www.davidpawn.de/<br />

Romanveröffentlichungen: The<br />

american monstershow in germany,<br />

Werwölfe und andere Sorgen, Das<br />

Eidolon – Ein Jahr des Grauens,<br />

Armortentia, Pekunaria, Felix Felicis,<br />

Dux Aquilaura, Syringa Negro,<br />

Anvoutinosum, Joslyn Myers (Asta<br />

Roth & David Pawn)<br />

Musik: Lamp light – BeeGees, I<br />

would do anything for love – Meatloaf,<br />

I would walk 500 miles -<br />

Proclaimers,Words - Bee Gees, Lady<br />

in Black - Uriah Heep, Pilgrim - Enya.<br />

matì<br />

Website: http://crytz3l.wixsite.com/mati<br />

Romanveröffentlichungen: Ein<br />

dunkel Licht, Des Monsters Makel<br />

Musik: Summer in the City - The<br />

Lovin‘ Spoonful, Unchained Melody‘<br />

- Righteous Brothers, Help – Beatles,<br />

Do you believe in <strong>Mag</strong>ic - Lovin‘<br />

Spoonful, Bossa Nova Baby - Elvis,<br />

Great Balls of Fire - Jerry Lee Lewis,<br />

Let‘s Stomp - Bobby Comstock, Ferry<br />

cross the Mersey - Gerry and the<br />

Pacemakers<br />

Katharina Gerlach:<br />

Website: http://de.katharinagerlach.<br />

com/<br />

Romanveröffentlichungen: Regen<br />

für Juma, Schattenprinz, Schottlands<br />

Wächter Band 1, Waffenruhe,<br />

Amadi, Molchling; Märchenadaptionen:<br />

Die Waldhütte, Die Stiefmutter,<br />

Des Königs Mechanikerin, Der<br />

Zwerg und die Zwillinge, Hannes &<br />

<strong>Mag</strong>gie, Bellarosa, Das kalte Herz;<br />

Engels Freiheit, Victors Wut (Anke<br />

Waldmann & Katharina Gerlach)


Nike Mangold<br />

Website: https://nikemangold.wordpress.com/<br />

Romanveröffentlichungen: Prinzessinnen<br />

stehlen nicht, Die Orangerie,<br />

Sehen und gesehen werden<br />

Musik: The roof is on fire - <strong>Rock</strong><br />

Master Scott & the Dynamic Three<br />

Manuel Charisius<br />

Website: http://manuel-charisius.de/<br />

blog/<br />

Romanveröffentlichungen: Weltenlied,<br />

Streuner<br />

Florian Tietgen<br />

Website: http://www.floriantietgen.de/<br />

Romanveröffentlichungen: Blauer<br />

Mond, Auf einen Schlag, Wozu<br />

brauche ich Niko?, Anpassung,<br />

Sprachlosigkeiten: Geschichten<br />

über die Liebe, Wenn es Zeit ist …,<br />

Schwanzgeld, Stille Weihnacht,<br />

Haus der Jugend, Oft denke ich an<br />

Svea, Das war doch niemand, Helden,<br />

Auf einen Schlag<br />

Aus sich hinaus: In lautem Gedenken,<br />

Ein tiefer See, Die Wette, Tausend<br />

Stecknadeln, Und was ist mit<br />

deinem Vater?<br />

Musik: Brahms – Poco, dritten Sinfonie,<br />

Morissey, Adam Ant, Queen,<br />

Uriah Heep, Fräulein Menke, Josef<br />

Beuys - Sonne statt Reagan<br />

Links zu romaneigener Musik:<br />

https://www.youtube.com/<br />

watch?v=4VvuQrgF__o<br />

Selma J. Spieweg<br />

Website: http://jspieweg.de/buch.<br />

html<br />

Romanveröffentlichungen:<br />

Boris & Olga: Tod dem Zaren, Die<br />

Zeitmaschine des Arabers, Der Plan<br />

der Zeit<br />

Deserteur Alexej: Am falschen Ende<br />

der Hoffnung, Die Erben des Deserteurs,<br />

Der Besucher<br />

Rattenauge<br />

Musik: Kalinka - Victor Nikitin, Ach<br />

ihr Weg - Anatoli Nowikow<br />

Links:<br />

Victor Nikitin singt Kalinka<br />

Originalaufnahmen vom Konzert<br />

Ach ihr Wege<br />

Michael Stuhr:<br />

Website: http://blog-michael-stuhrsideshow.blogspot.de/<br />

Romanveröffentlichungen: PRO-<br />

JEKT KUTAMBATI: Retro-Thriller,<br />

STURM ÜBER THEDRA: All-age-<br />

Fantasy, Das Geschenk, Die Gabe,<br />

Das Opfer: silent sea-Trilogie, DÄ-<br />

MONEN DER STEPPE: All-age-<br />

Fantasy, Die Novizen, Spatz: Ein<br />

Tiermärchen, Portalfeuer, Die Nacht<br />

der Engelstränen<br />

Musik: It‘s My Life - John Bon Jovi<br />

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