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Bernhard Heisig - Brusberg Berlin

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Abb.<br />

S. 5.<br />

Kerstin Decker<br />

<strong>Heisig</strong>s »Mutter Courage« oder<br />

Kleine Einführung ins Verhängnis<br />

Menschen, die sich irgendwann entschlossen<br />

haben, das Dasein vornehmlich unter ästhetischem<br />

Vorzeichen wahrzunehmen, nennt man<br />

Künstler. Es gibt auch Kritiker. Künstler und<br />

Kritiker erkennt man daran, daß sie besonders<br />

gern, lange und mit existentiellem Ernst über<br />

Dinge diskutieren, deren Hauptkennzeichen<br />

ihre grundsätzliche existentielle Irrelevanz ist.<br />

Die letzten zehn Jahre verbrachten sie etwa<br />

damit, sich öffentlich über die Frage zu unterhalten:<br />

Kann ein Maler, der schon in der DDR<br />

malte, modern sein? Kann, sagen wir, <strong>Bernhard</strong><br />

<strong>Heisig</strong> modern sein? Heute, im Angesicht<br />

der neuen »Mutter Courage«-Bilder, ja der<br />

ganzen Ausstellung »<strong>Bernhard</strong> <strong>Heisig</strong>. Der<br />

Maler und sein Thema« können wir das noch<br />

besser beantworten: Nein, niemals! Denn <strong>Heisig</strong><br />

ist ein Apokalyptiker. Apokalyptiker sind<br />

grundsätzlich unmodern. Schon Kassandra war<br />

entschieden unmodern. Gibt es eigentlich<br />

staatstragende Apokalyptiker?<br />

Die meisten Regierungen besitzen die Neigung,<br />

sich ihre Schwarzseher vom Hals zu schaffen.<br />

Die DDR ermahnte <strong>Heisig</strong> nur. Kassandra traf<br />

es da viel härter. Das wiederum, vermuten wir,<br />

liegt an der Sublimierung. Apokalyptiker, die<br />

nicht reden, sondern nur malen, haben es viel<br />

besser. Es sind verborgene Apokalyptiker. Verborgener<br />

Apokalyptiker – ist das nicht die<br />

Definition des Künstlers?<br />

Künstler, wir ahnten es längst, sind Untergeher<br />

mit Stil, ja mehr noch, mit gesellschaftlichem<br />

Taktgefühl. Die alttestamentarischen<br />

Propheten ließen das noch sehr vermissen.<br />

Man denke nur an Äußerungen Jeremijas’ wie<br />

»Habt ihr denn vergessen der Übeltaten eurer<br />

Väter und der Übeltaten der Könige Judas und<br />

der Übeltaten ihrer Fürsten und euerer Übeltaten<br />

und der Übeltaten, die eure Weiber im Lande<br />

Juda und auf den Gassen von Jerusalem<br />

begangen haben?« mitsamt der darauf aus-<br />

gesetzten Strafen. <strong>Heisig</strong>s Bilder formulieren<br />

das ähnlich gewalttätig und nur ungleich rücksichtsvoller.<br />

Auch der <strong>Heisig</strong>-Satz, seine Malerei sei Ausdruck<br />

einer eher »bedauernden Haltung« dem<br />

Dasein gegenüber, zeugt von außerordentlicher<br />

Höflichkeit. Propheten und Apokalyptiker<br />

sind sonst grundsätzlich unhöflich. Das spricht<br />

am meisten gegen die Schwarzseher als gesellschaftliche<br />

Gruppierung. Und daß sie so ungemein<br />

anstrengend sind. Und pathetisch. Ist<br />

<strong>Heisig</strong> etwa nicht pathetisch? Pathos ist auch<br />

unmodern. Dieses Alles-ist-Verloren-! oder<br />

Ich-habe-eine-Vision-! paßt einfach zu den<br />

wenigsten Gelegenheiten. Es fällt unangenehm<br />

auf bei Abendgesellschaften, stört bei der<br />

Arbeit, verdirbt den Urlaub, ja, es paßt nicht<br />

mal zum Frühstück. Trotzdem ist es erstaunlich,<br />

daß es nicht viel mehr Apokalyptiker gibt.<br />

Denn das Leben ist eine Unternehmung, die<br />

grundsätzlich schlecht ausgeht. Es ist die<br />

größte Widerlegung jeglichen Optimismus’.<br />

Künstler sind gewiß jene, die das nicht vergessen<br />

können. <strong>Heisig</strong>s Bildern sieht man dieses<br />

bedenkliche Ende an.<br />

Er hat sich einen Menschenmaler genannt.<br />

Aber es ist noch etwas anderes. <strong>Heisig</strong> malt<br />

Kreaturen, nein, anders, er malt die Kreatur in<br />

uns, bis dorthin, wo sie auf das Geistige trifft,<br />

wo sie Begierde wird, Wut, ja Mord, und er<br />

malt denselben Weg wieder zurück. Man steht<br />

vor den »Mutter Courage«-Figuren, vor Schweizerkas<br />

und Eilif, vor der blinden Tochter Kattrin<br />

und weiß es so deutlich wie lange nicht mehr.<br />

<strong>Heisig</strong> malt alle Schichten des Menschseins auf<br />

einmal. Er malt den Riß, der durch die Schöpfung<br />

geht. – Wahrscheinlich zeichnete er diesen<br />

Schöpfungsriß schon mitten in den Bundeskanzler<br />

Schmidt hinein. Der Bundeskanzler als<br />

Kreatur? Und sogar jener frühe »Brigadier«,<br />

für den die Partei ihn so belobigte, muß doch<br />

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