Bernhard Heisig - Brusberg Berlin

Bernhard Heisig - Brusberg Berlin Bernhard Heisig - Brusberg Berlin

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08.12.2012 Aufrufe

Adolf Dresen Der Stein beginnt zu reden Krieg für Gewinn.« Sie setzt dann fort: »Und anders würden die kleinen Leut wie ich auch nicht mitmachen.« Die »Großkopfigen« können der Courage, was die Interessen betrifft, nichts vormachen – ihr Irrtum ist es nur, daß auch sie am Krieg verdienen könnte. Heisig ist eine Generation jünger. Er hat die durchschlagende Wirkung der Massenpropaganda und der Bewußtseinsindustrie am eigenen Leib erfahren. Er weiß, daß der »Glaube« durchaus geglaubt wird. Er hält sich nicht für klüger als es die Courage ist. Das Ideologische wird von den meisten der kleinen Leute immer weniger durchschaut, und das ist vielleicht das Problem unserer Zeit. Sich dem Gedröhn der Lautsprecher und dem Geratter der Rotationsmaschinen zu entziehen, wird immer schwieriger. Das Dickicht der Meinungen und Gegenmeinungen wird immer undurchdringlicher. Auch Brecht schwor einst auf eine Idee, die heute, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, ihren Kredit verloren hat. Was würde er heute sagen? Fände er auf dem Boden noch einen Stand, den er einmal für fest hielt? Heisig dagegen verwirklicht kein Konzept, er konstruiert nicht, er holt das Bild aus dem Stein heraus, wie er auch das Ölbild aus der Leinwand herausholt. Es bildet sich gewissermaßen selbst aus Flecken und Strichen, es kommt aus dem Chaos, und die Spur des Chaos haftet ihm noch an. Vielleicht kommt es nie ganz ans Licht, doch das schadet nicht – im Gegenteil. Heisig schmiert es einem nicht aufs Brot. Er beläßt einen nicht in der Passivität eines Konsumenten. Man muß selbst einiges in das Bild hineinsehen, manchmal vielleicht sogar das Wichtigste. Man muß es ergänzen, es gewissermaßen fertig malen. Da ist eine Beziehung zum Partner, die diesen an der Erzeugung selbst beteiligt, ihn zum Mitschöpfer macht – und darin vor allem liegt die Lust an der Kunst. Er hat keine Lehre bereit, er will höchstens hinaus auf ein Symbol, ein Zeichen, das in unserer kahlen Zeit so schwer zu haben ist und das er sich manchmal, wie Beckmann, aus älteren Zeiten borgt. Wie Heisig die Dinge nicht aus einem System von Ideen, sondern aus unbekanntem Urgrund holt, sieht man auch an seinen 20 auf Umdruckpapier gezeichneten Lithographien, Vorstudien zur »Courage«-Folge mit einem eigenen Wert, Porträts der grinsenden Courage, der Lagerhure Yvette, des betenden und fressenden Pastors; er zeichnet auch Szenen, die Brecht nicht schrieb, wie die Verwundung der Kattrin und die Hinrichtung Eilifs – alles Annäherungen, aber schließlich ist das Ganze eine Annäherung. Irgendwann werden die Evangelischen, mit denen Courage und ihr Anhang bisher marschierten, besiegt, und eine andere Fahne wird aufgezogen. Ein Einäugiger taucht auf und fahndet nach der Regimentskasse der Besiegten. Der ehrliche Schweizerkas, den die Mutter nicht aus dem Krieg heraushalten konnte, versteckt sie, wird aber erwischt, erschossen, der Mutter zwecks Identifikation vorgeführt – sie verleugnet ihn, und er wird auf den Schindanger geworfen. Vor Ingolstadt dann wird die stumme Kattrin, als sie für ihre Mutter Einkäufe erledigt, von einem Soldaten im Gesicht so verletzt und entstellt, daß sie, die Kinderliebe, für ihr Leben keinen Mann bekommen wird. Die Courage, die im Geschäft gerade etwas Glück hat, meint dennoch, der Krieg habe sein Gutes. Dann erwischt es auch ihren kühnen Sohn Eilif, auch er wird erschossen – sie erfährt es jedoch nicht und glaubt bis zuletzt, sie würde ihm wieder begegnen. Schließlich belagern die Truppen die Stadt Halle: sie soll im Schlaf überrumpelt werden, daher ist im Lager Stille nötig; als die stumme Kattrin hört, daß in der Stadt alles niedergemacht werden soll, auch die Kinder, klettert sie auf ein Dach und schlägt die Trommel; die Soldaten drohen, Abb. S. 38 Abb. S. 40 Abb. S. 41 Abb. S. 40 Abb. S. 41

legen schließlich auf sie an und schießen sie herunter. Brecht selbst überschreibt die Szene: »Der Stein beginnt zu reden.« Das geschieht im äußersten Fall. Der tiefste Grund ist erreicht. Das Mädchen, Krüppel von Kind an, die ganz und gar Hilflose, ist nun gerade die, die anderen Hilfe bringt. Die ganz und gar Wehrlose wehrt sich und tut etwas wahrhaft Heldenhaftes. Wo nur noch geschrien werden kann, beginnt sie, die Stumme, zu schreien. Darin kulminiert sowohl Brechts Stück wie Heisigs Bilderfolge. Es vertritt da eine nicht ihre Interessen, ja handelt gegen ihr ureigenstes Interesse. Es kostet sie, und sie weiß es, das Leben, an dem sie trotz allem hängt. Brecht aber schreibt ihr letztlich einen Sieg zu, vielleicht den einzigen in diesem Stück: sie rettet die Kinder der Stadt Halle. Es ist Brechts schönste und tiefste Szene, die, bei der ich viele Zuschauer habe weinen sehen – was, wie gesagt, der Theorie widersprach. Es kommt aber wohl immer noch darauf an, worüber man weint, und das Stück ist da wahrscheinlich klüger als die Theorie, vielleicht klüger als der Autor. Das ist für ihn keine Schande, vielleicht macht gerade das den Dichter aus. Brecht schrieb einmal einen großen Essay über die »Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit« – die Schwierigkeit, die Wahrheit erst einmal zu entdecken, kommt darin gar nicht vor. Er hielt die Wahrheit über die Verhältnisse der Menschen für erkannt. Er hat sich geirrt, jede Wahrheit ist endlich. Mich interessiert heute weit weniger, was der Autor wußte, als was er nicht wußte. Nicht die endliche Wahrheit ist das Wichtige, sondern wie man sie immer neu findet. Heisig wollte nicht klüger sein als seine Bilder. Auch sein Bild der trommelnden Kattrin überschreitet die Grenzen der Malerei und zeigt, wie eine Lärm macht – doch ist es das gerade Gegenteil der anderen Lärmbilder Heisigs. Die Stumme hat jetzt sogar den Mund geöffnet, man hört sie fast in die Dimension vorstoßen, die ihr doch verschlossen ist, die der Sprache, und sie blickt dabei nahezu dem Betrachter ins Gesicht. Hier schlägt nicht nur eine Trommel, sondern ein Herz. Das letzte Bild der Folge zeigt wieder die Courage, nun allein ihren Planwagen ziehend, folgend den immer zerlumpteren Heeren »Nehmts mich mit!« Sie hat, wie Brecht betont, nichts begriffen – es kommt ihm allein darauf an, daß der Zuschauer begreift. Der kann jedoch durchaus mehr begreifen, als da gelehrt wird – und eben das ist es, worin Dichtung lebendig bleibt, auch über den Autor hinaus. Das gilt auch für Brecht. Heisigs Blick kann dazu helfen. Brechts »Mutter Courage« eröffnete nach dem Zweiten Weltkrieg die vielleicht glänzendste Epoche des deutschen Theaters zuerst im Osten, dann auch im Westen. Es kommt auch auf das Theater an, diese Epoche nicht verloren zu geben. 46 47 Abb. S. 42

Adolf Dresen<br />

Der Stein beginnt zu reden<br />

Krieg für Gewinn.« Sie setzt dann fort: »Und<br />

anders würden die kleinen Leut wie ich auch<br />

nicht mitmachen.« Die »Großkopfigen« können<br />

der Courage, was die Interessen betrifft,<br />

nichts vormachen – ihr Irrtum ist es nur, daß<br />

auch sie am Krieg verdienen könnte. <strong>Heisig</strong> ist<br />

eine Generation jünger. Er hat die durchschlagende<br />

Wirkung der Massenpropaganda und<br />

der Bewußtseinsindustrie am eigenen Leib<br />

erfahren. Er weiß, daß der »Glaube« durchaus<br />

geglaubt wird. Er hält sich nicht für klüger als<br />

es die Courage ist. Das Ideologische wird von<br />

den meisten der kleinen Leute immer weniger<br />

durchschaut, und das ist vielleicht das Problem<br />

unserer Zeit. Sich dem Gedröhn der Lautsprecher<br />

und dem Geratter der Rotationsmaschinen<br />

zu entziehen, wird immer schwieriger.<br />

Das Dickicht der Meinungen und Gegenmeinungen<br />

wird immer undurchdringlicher. Auch<br />

Brecht schwor einst auf eine Idee, die heute,<br />

nach dem Zusammenbruch des Ostblocks,<br />

ihren Kredit verloren hat. Was würde er heute<br />

sagen? Fände er auf dem Boden noch einen<br />

Stand, den er einmal für fest hielt?<br />

<strong>Heisig</strong> dagegen verwirklicht kein Konzept, er<br />

konstruiert nicht, er holt das Bild aus dem<br />

Stein heraus, wie er auch das Ölbild aus der<br />

Leinwand herausholt. Es bildet sich gewissermaßen<br />

selbst aus Flecken und Strichen, es<br />

kommt aus dem Chaos, und die Spur des Chaos<br />

haftet ihm noch an. Vielleicht kommt es nie<br />

ganz ans Licht, doch das schadet nicht – im<br />

Gegenteil. <strong>Heisig</strong> schmiert es einem nicht aufs<br />

Brot. Er beläßt einen nicht in der Passivität<br />

eines Konsumenten. Man muß selbst einiges<br />

in das Bild hineinsehen, manchmal vielleicht<br />

sogar das Wichtigste. Man muß es ergänzen,<br />

es gewissermaßen fertig malen. Da ist eine<br />

Beziehung zum Partner, die diesen an der<br />

Erzeugung selbst beteiligt, ihn zum Mitschöpfer<br />

macht – und darin vor allem liegt die Lust<br />

an der Kunst. Er hat keine Lehre bereit, er will<br />

höchstens hinaus auf ein Symbol, ein Zeichen,<br />

das in unserer kahlen Zeit so schwer zu haben<br />

ist und das er sich manchmal, wie Beckmann,<br />

aus älteren Zeiten borgt. Wie <strong>Heisig</strong> die Dinge<br />

nicht aus einem System von Ideen, sondern aus<br />

unbekanntem Urgrund holt, sieht man auch an<br />

seinen 20 auf Umdruckpapier gezeichneten<br />

Lithographien, Vorstudien zur »Courage«-Folge<br />

mit einem eigenen Wert, Porträts der grinsenden<br />

Courage, der Lagerhure Yvette, des betenden<br />

und fressenden Pastors; er zeichnet auch<br />

Szenen, die Brecht nicht schrieb, wie die Verwundung<br />

der Kattrin und die Hinrichtung Eilifs<br />

– alles Annäherungen, aber schließlich ist das<br />

Ganze eine Annäherung.<br />

Irgendwann werden die Evangelischen, mit<br />

denen Courage und ihr Anhang bisher marschierten,<br />

besiegt, und eine andere Fahne wird<br />

aufgezogen. Ein Einäugiger taucht auf und<br />

fahndet nach der Regimentskasse der Besiegten.<br />

Der ehrliche Schweizerkas, den die Mutter<br />

nicht aus dem Krieg heraushalten konnte, versteckt<br />

sie, wird aber erwischt, erschossen, der<br />

Mutter zwecks Identifikation vorgeführt – sie<br />

verleugnet ihn, und er wird auf den Schindanger<br />

geworfen. Vor Ingolstadt dann wird die<br />

stumme Kattrin, als sie für ihre Mutter Einkäufe<br />

erledigt, von einem Soldaten im Gesicht so<br />

verletzt und entstellt, daß sie, die Kinderliebe,<br />

für ihr Leben keinen Mann bekommen wird. Die<br />

Courage, die im Geschäft gerade etwas Glück<br />

hat, meint dennoch, der Krieg habe sein Gutes.<br />

Dann erwischt es auch ihren kühnen Sohn Eilif,<br />

auch er wird erschossen – sie erfährt es jedoch<br />

nicht und glaubt bis zuletzt, sie würde ihm<br />

wieder begegnen. Schließlich belagern die<br />

Truppen die Stadt Halle: sie soll im Schlaf<br />

überrumpelt werden, daher ist im Lager Stille<br />

nötig; als die stumme Kattrin hört, daß in der<br />

Stadt alles niedergemacht werden soll, auch<br />

die Kinder, klettert sie auf ein Dach und<br />

schlägt die Trommel; die Soldaten drohen,<br />

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