Bernhard Heisig - Brusberg Berlin

Bernhard Heisig - Brusberg Berlin Bernhard Heisig - Brusberg Berlin

brusbergfineart.com
von brusbergfineart.com Mehr von diesem Publisher
08.12.2012 Aufrufe

Abb. S. 5. Adolf Dresen Der Stein beginnt zu reden gerechtigkeit derer, die sich in die Rolle des Richters berufen fühlen, verhindert eine wirkliche Vereinigung der Deutschen, Selbstgerechtigkeit gegen die Ostdeutschen, Selbstgerechtigkeit auch gegen Heisig, den großen Maler auch in Zeiten der DDR. Sie scheint immer noch nicht begriffen, die alte Geschichte von der Ehebrecherin, die gesteinigt werden soll, und die Jesus rettet mit den Worten, wer selbst ohne Schuld sei, der solle den ersten Stein werfen. Bei uns fliegen immer noch die Steine, und es gäbe weiß Gott Wichtigeres, über das zu sprechen wäre. Heisig bestreitet nicht, die Macht der Massenmanipulation am eigenen Leib erfahren zu haben – und wer wollte das für sich leugnen? Der erliegt ihr vielleicht am gründlichsten. Aus vielen Bildern Heisigs röhrt, blökt, schreit, trompetet es auf den Betrachter ein; auf einem Ölbild von 1977/79, »Der Maler und sein Thema«, macht er das sogar zum Thema: er duckt sich unter dem Lärm einer brüllenden Öffentlichkeit, die ihn behämmert, bedröhnt, agitiert, propagiert, manipuliert... Da aber kommt etwas zustande wie ein Wink, alles erstarrt in der Stille, wird zum Bild, kein Ton dringt aus der Leinwand, man sieht nur noch die Fratze. Man empfindet es als Wohltat, daß das Medium stumm ist. Es kann das Lärmmachen darstellen, es selbst macht keinen Lärm. Es ist eine Grenzüberschreitung des Malers, er betritt eine ihm eigentlich unzugängliche Dimension. Man denkt an Beckmanns »Mann im Dunkeln« – einen Mann im Dunkeln kann man nicht malen, malen heißt immer beleuchten. Daher konnte Beckmann nur eine Plastik machen, es ist wohl seine einzige geblieben – Heisig hat sie in seinen Beckmann-Porträts zweimal mitgemalt. Wie der Mann sich da im Dunkeln vorwärts tastet, ist man versucht, selbst die Augen zu schließen und ihn auch nur zu ertasten. Auch im Dun- keln, mag die Bronzestatue besagen, kann man seinen Weg finden, man muß ihn dann eben in sich selber suchen – eine Plastik, von der ich gern eine Kopie hätte. In dem ganzen uns umgebenden Lärm, mag es umgekehrt bei Heisig heißen, hört man nichts, nichts, nichts, und deshalb muß man davor die Ohren verschließen. Heisig hat eine Abneigung gegen diese Art Lärm, ja gegen alles, was auch nur den Verdacht einer »Aussage« weckt. Vielleicht verdächtigt er sogar die Kunst, also sich selbst. Als er seine Mutter malte, eine, wie man so sagt, »einfache Frau« mit den abgearbeiteten Händen der Färberin, die sich für das Porträt sonntäglich anzog und nun dasitzt und am Maler vorbeiblickt mit dem schiefen Blick derer, denen das Leben oft falsche Ware unterschob, schrieb Heisig darunter: »Die Mutter mißtraut den Bildern«. Vielleicht mißtraut auch er den Bildern. Vielleicht muß er sie gerade deshalb machen. Und vielleicht wird er gerade deshalb mit ihnen nie fertig. Auch Brechts Stück beschreibt eine »einfache Frau«, kleine Geschäftsfrau, wie er sagt, um das antiquierte Wort »Marketenderin« zu vermeiden. Sie zieht mit ihrem Planwagen zwischen den wirren Fronten des Dreißigjährigen Krieges umher, an dem sie soviel zu verdienen hofft, daß sie ihre drei Kinder füttern kann – während sie sie zugleich, eins nach dem anderen, in eben diesem Krieg verliert. Brechts »Courage« mag Heisig an all die mutigen Frauen erinnert haben, die ihre Kinder durch den Zweiten Weltkrieg brachten, nicht zuletzt an die eigene Mutter, deren Züge ihm wohl hin und wieder auch bei seinen »Courage«-Bildern dazwischen kamen. Auch sie hatte ihren Mann 1941 verloren, hatte den Untergang Breslaus miterlebt, wurde schließlich als Umsiedlerin mit ihrem Sohn in das fremde Mitteldeutschland verschlagen. Auch sie hat, um den Sohn in den harten Zeiten durchbringen zu können,

Abb. S. 29. Abb. S. 35. Abb. S. 36. den Mut der »Courage« beweisen müssen, vielleicht auch deren berechnende Kälte und Härte. Doch während Brecht die Haltungen seiner Figuren in seinem Stück nicht nur darstellt, sondern regelrecht ausstellt, fehlt Heisig jede demonstrative Geste. Einen Satz wie den, der in der »Theaterarbeit« des Berliner Ensembles das Spiel der Hurwicz, Darstellerin der stummen Kattrin, beschreiben soll, könnte es bei Heisig nicht geben: »Die Schauspielerin hat, eine heroische Haltung zeigend, die besondere Art gezeigt, wie sie bei ihrer Figur zustande kommt...« Heisig hat Sinn nicht nur für Erzählendes, sondern auch für Theatralisches, er malt sich selbst mit Kasperpuppen, wie Beckmann inszeniert er seine Bilder. In Brechts Sinn zeigen aber kann etwas nur einer, der es besser weiß. Heisigs Bilder folgen der Handlung. Zuerst ist da, wie in der Aufführung, der Planwagen des Vorspiels, bespannt mit den Söhnen Eilif und Schweizerkas, oben mit der Maultrommel oder der Mundharmonika die stumme Tochter Kattrin und die singende Courage: »Ihr Hauptleut, laßt die Trommel ruhen...« Der kleine Trupp macht einen unternehmenden Eindruck – Brecht: »Auftrieb, Unternehmungslust, eine neue Zeit wird erwartet, neue Geschäfte kündigen sich an...«. Da stößt sie auf Werber für einen Feldzug in Polen, und sie halten sich an Eilif, der das Wagenziehen satt hat und die Reden von Ruhm und Eroberung gierig aufsaugt; um ihn zu bewahren, rückt die Mutter dem Werber sogar mit dem Messer zuleibe, doch auch der weniger wendige Schweizerkas scheint am Krieg Gefallen zu finden; da blufft die Mutter die Soldaten und ihre Kinder mit einer bösen Prophezeiung: sie würden alle im Krieg umkommen (ist das Schweizerkas, der da erschrickt? Ich erinnere mich, wie Heinz Schubert diese Szene spielte: dümmlich stolz, daß auch er würdig sei, in einem Krieg zu fallen, stolz auch auf die prophetische Gabe der Mutter); trotz aller Vorsicht brennt Eilif durch – und so muß die stumme Tochter sich nun mit ins Geschirr spannen. An einem anderen Kriegsschauplatz, die Courage feilscht mit dem Feldkoch eben um einen Kapaun, begegnet sie ihrem verlorenen Sohn wieder: er wird im Zelt des Feldhauptmanns wegen seiner Kühnheit eben ausgezeichnet; bei aller Freude benutzt sie das Ereignis doch, um den Preis hochzutreiben; ihr kühner Sohn singt und vollführt einen Säbeltanz. Einige Figuren spült der Krieg in die Nähe des Planwagens – die betrunkene Lagerhure Yvette erzählt der Courage von ihrem Leben bei der Armee; der Feldprediger erklärt dem Feldkoch angesichts der Gefahren, die dem Sohn Eilif im Krieg drohen: »In dem Krieg fallen ist eine Gnad und keine Ungelegenheit, warum? Es ist ein Glaubenskrieg... und also Gott wohlgefällig. Heisig hat dasselbe Motiv noch einmal in Öl gemalt – es ist ihm offenbar wichtig. Das Bild geht über Brecht hinaus, indem es den Gekreuzigten selber malt – wie in Heisigs anderen Kriegsbildern (etwa in »Christus fährt mit uns« von 1978–91). Es geht ihm um den Mißbrauch einer Ideologie. Es entspricht Brechts Meinung, daß es in diesem »Glaubenskrieg« nicht um den Glauben, sondern allein um Interessen geht, daß aber den kleinen Leuten, die für die Interessen anderer kämpfen sollen, etwas anderes eingeredet wird. Die haben die Wahrheit längst begriffen – so wirbt der Werber um Eilif mit den Worten: »Es ist gegen uns gesagt worden, daß es fromm zugeht im schwedischen Lager, aber das ist üble Nachred, damit man uns schadet. Gesungen wird nur am Sonntag, eine Stroph! Und nur, wenn einer eine Stimm hat.« Oder man hört die Courage philosophieren: »Wenn man die Großkopfigen reden hört, führens die Krieg nur aus Gottesfurcht und für alles, was gut und schön is. Aber wenn man genauer hinsieht, sinds nicht so blöd, sondern führen die 44 45 Abb. S. 37 Abb. S. 37 Abb. S. 38 Abb. S. 39 Abb. S. 23

Abb.<br />

S. 5.<br />

Adolf Dresen<br />

Der Stein beginnt zu reden<br />

gerechtigkeit derer, die sich in die Rolle des<br />

Richters berufen fühlen, verhindert eine<br />

wirkliche Vereinigung der Deutschen, Selbstgerechtigkeit<br />

gegen die Ostdeutschen,<br />

Selbstgerechtigkeit auch gegen <strong>Heisig</strong>, den<br />

großen Maler auch in Zeiten der DDR. Sie<br />

scheint immer noch nicht begriffen, die alte<br />

Geschichte von der Ehebrecherin, die gesteinigt<br />

werden soll, und die Jesus rettet mit<br />

den Worten, wer selbst ohne Schuld sei, der<br />

solle den ersten Stein werfen. Bei uns fliegen<br />

immer noch die Steine, und es gäbe<br />

weiß Gott Wichtigeres, über das zu sprechen<br />

wäre. <strong>Heisig</strong> bestreitet nicht, die Macht der<br />

Massenmanipulation am eigenen Leib erfahren<br />

zu haben – und wer wollte das für sich<br />

leugnen? Der erliegt ihr vielleicht am gründlichsten.<br />

Aus vielen Bildern <strong>Heisig</strong>s röhrt,<br />

blökt, schreit, trompetet es auf den Betrachter<br />

ein; auf einem Ölbild von 1977/79, »Der<br />

Maler und sein Thema«, macht er das sogar<br />

zum Thema: er duckt sich unter dem Lärm<br />

einer brüllenden Öffentlichkeit, die ihn<br />

behämmert, bedröhnt, agitiert, propagiert,<br />

manipuliert... Da aber kommt etwas zustande<br />

wie ein Wink, alles erstarrt in der Stille,<br />

wird zum Bild, kein Ton dringt aus der Leinwand,<br />

man sieht nur noch die Fratze. Man<br />

empfindet es als Wohltat, daß das Medium<br />

stumm ist. Es kann das Lärmmachen darstellen,<br />

es selbst macht keinen Lärm. Es ist eine<br />

Grenzüberschreitung des Malers, er betritt<br />

eine ihm eigentlich unzugängliche Dimension.<br />

Man denkt an Beckmanns »Mann im<br />

Dunkeln« – einen Mann im Dunkeln kann<br />

man nicht malen, malen heißt immer beleuchten.<br />

Daher konnte Beckmann nur eine<br />

Plastik machen, es ist wohl seine einzige<br />

geblieben – <strong>Heisig</strong> hat sie in seinen Beckmann-Porträts<br />

zweimal mitgemalt. Wie der<br />

Mann sich da im Dunkeln vorwärts tastet, ist<br />

man versucht, selbst die Augen zu schließen<br />

und ihn auch nur zu ertasten. Auch im Dun-<br />

keln, mag die Bronzestatue besagen, kann<br />

man seinen Weg finden, man muß ihn dann<br />

eben in sich selber suchen – eine Plastik, von<br />

der ich gern eine Kopie hätte. In dem ganzen<br />

uns umgebenden Lärm, mag es umgekehrt bei<br />

<strong>Heisig</strong> heißen, hört man nichts, nichts, nichts,<br />

und deshalb muß man davor die Ohren verschließen.<br />

<strong>Heisig</strong> hat eine Abneigung gegen<br />

diese Art Lärm, ja gegen alles, was auch nur<br />

den Verdacht einer »Aussage« weckt. Vielleicht<br />

verdächtigt er sogar die Kunst, also sich selbst.<br />

Als er seine Mutter malte, eine, wie man so<br />

sagt, »einfache Frau« mit den abgearbeiteten<br />

Händen der Färberin, die sich für das Porträt<br />

sonntäglich anzog und nun dasitzt und am<br />

Maler vorbeiblickt mit dem schiefen Blick derer,<br />

denen das Leben oft falsche Ware unterschob,<br />

schrieb <strong>Heisig</strong> darunter: »Die Mutter mißtraut<br />

den Bildern«. Vielleicht mißtraut auch er den<br />

Bildern. Vielleicht muß er sie gerade deshalb<br />

machen. Und vielleicht wird er gerade deshalb<br />

mit ihnen nie fertig.<br />

Auch Brechts Stück beschreibt eine »einfache<br />

Frau«, kleine Geschäftsfrau, wie er sagt, um<br />

das antiquierte Wort »Marketenderin« zu vermeiden.<br />

Sie zieht mit ihrem Planwagen zwischen<br />

den wirren Fronten des Dreißigjährigen<br />

Krieges umher, an dem sie soviel zu verdienen<br />

hofft, daß sie ihre drei Kinder füttern kann –<br />

während sie sie zugleich, eins nach dem anderen,<br />

in eben diesem Krieg verliert. Brechts<br />

»Courage« mag <strong>Heisig</strong> an all die mutigen Frauen<br />

erinnert haben, die ihre Kinder durch den<br />

Zweiten Weltkrieg brachten, nicht zuletzt an<br />

die eigene Mutter, deren Züge ihm wohl hin<br />

und wieder auch bei seinen »Courage«-Bildern<br />

dazwischen kamen. Auch sie hatte ihren Mann<br />

1941 verloren, hatte den Untergang Breslaus<br />

miterlebt, wurde schließlich als Umsiedlerin<br />

mit ihrem Sohn in das fremde Mitteldeutschland<br />

verschlagen. Auch sie hat, um den Sohn<br />

in den harten Zeiten durchbringen zu können,

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!