Bernhard Heisig - Brusberg Berlin
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Adolf Dresen<br />
Der Stein beginnt zu reden<br />
<strong>Bernhard</strong> <strong>Heisig</strong>s Steinzeichnungen zu Brechts »Mutter Courage und ihre Kinder«<br />
Zuerst ist da der Stein des Lithographen, und<br />
er ist stumm. Die lithographische Technik,<br />
ursprünglich ein Reproduktionsverfahren, hat<br />
längst einen eigenen künstlerischen Wert bekommen,<br />
so daß sie heute, im Zeichen weit billigerer<br />
und besserer Reproduktionstechniken,<br />
allein noch für künstlerische Zwecke benutzt<br />
wird, von <strong>Heisig</strong> fast ausschließlich. Er bringt,<br />
indem er die Bilder aus ihm herausholt, buchstäblich<br />
den Stein zum Reden. Hier aber geht<br />
es noch um einen anderen Stein, der zu reden<br />
beginnt.<br />
Ich habe Brechts Aufführung der »Mutter Courage«<br />
Ende der 50er Jahre im <strong>Berlin</strong>er Ensemble<br />
viele Male gesehen. Es spielten die Weigel,<br />
Busch, Geschonnek, die Hurwicz, Schall, Schubert...<br />
Wenn die Aufführung gut war – das war<br />
nicht immer der Fall –, kamen mir die Tränen.<br />
Ich verbot sie mir damals, denn ich war Brechtianer<br />
und die Theorie des Epischen Theaters<br />
erlaubte keine Tränen. Da ging es vielmehr um<br />
Einsichten. Später empfand ich das als Lehrhaftigkeit,<br />
und es hat mir Brecht jahrelang<br />
entfremdet. »Was eine Aufführung von Mutter<br />
Courage«, heißt es in der »Theaterarbeit«<br />
des <strong>Berlin</strong>er Ensemble, »hauptsächlich zeigen<br />
sollte: Daß die Geschäfte in den Kriegen nicht<br />
von den kleinen Leuten gemacht werden...«<br />
Ja, dieses »zeigen«... Da wird man mit der<br />
Nase auf etwas gestoßen, da wird einem eine<br />
Wahrheit andemonstriert. Kann man sie nicht<br />
selbst entdecken? Ist die Entdeckung nicht das<br />
Beste an der Wahrheit? Brecht ist beinahe aus<br />
der Mode gekommen, vielleicht sogar das ganze<br />
Theater. Warum aber liefert <strong>Heisig</strong> dann, ohne<br />
aktuellen Anlaß, Illustrationen zu dem alten<br />
Stück? Er hat früher einmal, als die Aufführung<br />
des <strong>Berlin</strong>er Ensemble noch lief, 1965, eine<br />
Buchausgabe des Reclam-Verlages illustriert.<br />
Er illustrierte damals auch Grimmelshausens<br />
Buch von der »Landstörtzerin Courage«, das<br />
Brecht als Anregung benutzte, und Brechts<br />
»Dreigroschenroman«. Das war noch vor der<br />
Zeit, ehe er den Steindruck wirklich für sich<br />
entdeckte. Warum aber nimmt er jetzt, da die<br />
Courage von den Spielplänen verschwand,<br />
deren Thema wieder auf? Wegen des Themas<br />
»Krieg«? Leider ist es aktuell geblieben, im<br />
Kosovo-Krieg kämpften sogar schon wieder<br />
deutsche Soldaten, und die bösesten der<br />
Kriegsbilder <strong>Heisig</strong>s werden vermutlich noch<br />
übertroffen durch das, was da »Kollateralschäden«<br />
hieß.<br />
<strong>Heisig</strong>s angewidert-fasziniertes Interesse am<br />
Krieg erklärt sich aus seiner Biographie. Er saß<br />
als sehr junger Mann in einem deutschen Panzer,<br />
er war beteiligt an Hitlers Ardennenoffensive<br />
und am Kampf um die »Festung Breslau«,<br />
in dem seine Heimatstadt unterging, beinahe<br />
er selbst. Er überlebte den Krieg als Invalide.<br />
Der Krieg spielt in seinem graphischen und<br />
seinem malerischen Werk eine große Rolle,<br />
doch eine andere als man meinen sollte. <strong>Heisig</strong><br />
erscheint da nicht als Mahner oder Rufer,<br />
seine Bilder haben weder etwas Anklagendes<br />
noch etwas Belehrendes. Im Vorwort zu seinem<br />
Zyklus vom »Faschistischen Alptraum«<br />
sagt er: »Das Ganze ist nicht als Anklage gedacht.<br />
Dazu fühlte ich mich nicht berechtigt.«<br />
Damals in der DDR, als er den Zyklus zuerst<br />
veröffentlichte, war man zu dieser Anklage<br />
nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet,<br />
und insofern war <strong>Heisig</strong>s Mitteilung eine<br />
Art Verweigerung. Ihm fehlt jede Form der<br />
Selbstgerechtigkeit – eine Tugend, die heute<br />
besonders zählen sollte. Vor allem die Selbst-<br />
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