Bernhard Heisig - Brusberg Berlin

Bernhard Heisig - Brusberg Berlin Bernhard Heisig - Brusberg Berlin

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08.12.2012 Aufrufe

Abb. S. 2, S. 48. Herbert Kreppel Eine Chronik aus dem unendlichen Krieg einem späteren Blatt lacht die Lagerhure schallend. Die Raufereien sind Balgereien, der das Schwert ziehende junge Soldat ein drohender Bub. In den Kattrin-Zeichnungen freilich auch hier kein Spaß. An zwei dieser Zeichnungen bleibt der Blick wieder hängen. Sie sind nicht auf Situationen des Stücks bezogen, sondern vom Zeichner allgemeiner benannt: »Elend der Zeit I«, »Elend der Zeit II«. Ein Mensch (Frau oder Mann?), die Hände vors Gesicht schlagend. Diese Bilder sind tonlos. In »I« ist der Kopf ziemlich aufrecht, sind die Finger gespreizt, die Figur scheint durch die Verzweiflungsgeste hindurchzublinzeln; in »II« ist der Kopf etwas zur Seite gebeugt, die Finger liegen eng aneinander an. Da will jemand nichts mehr sehen. Die »Zeit«, deren Elend die Hände vor den Augen abwehren sollen, könnten jene dreißig Jahre im 17. Jahrhundert sein. Oder auch unsere Zeit. Oder »Zeit« überhaupt. Einen Schießkrieg haben wir bei uns seit mehr als fünfzig Jahren nicht gehabt. Freilich rückt er uns auch heute in flimmerndern Bildern ziemlich nah auf den Leib, wenn hinten weit in den Schluchten des Balkans (oder noch weiter entfernt) die Völker aufeinander schlagen. Die Menschen in Heisigs Bildern tragen vergangenes Kostüm, andeutungsweise. Darüber sieht man leicht hinweg, vergißt es wohl auch, nach einiger Zeit der Betrachtung. Was sich aber einbrennt ins Weiterimaginieren und ins Gedächtnis, ist der Ausdruck dieser Menschen: Augen, Münder. Haltungen. Wie sie einander packen. Auch belauern. Bedrohen. Ruinieren. Unaufhörlich. Dagegen, denke ich, schreit Bernhard Heisigs Kattrin an. Unaufhörlich. 1. Der Wagen der Courage

4. »zu: Bertolt Brecht »Mutter Courage...« 2. Der Werber und Eilif (K. 1, S. 13–19) 3. »Ich stech euch nieder, Lumpen« (K. 1, S. 15, Z. 10–11) 34 35

Abb.<br />

S. 2,<br />

S. 48.<br />

Herbert Kreppel<br />

Eine Chronik aus dem unendlichen Krieg<br />

einem späteren Blatt lacht die Lagerhure schallend.<br />

Die Raufereien sind Balgereien, der das<br />

Schwert ziehende junge Soldat ein drohender<br />

Bub. In den Kattrin-Zeichnungen freilich auch<br />

hier kein Spaß.<br />

An zwei dieser Zeichnungen bleibt der Blick<br />

wieder hängen. Sie sind nicht auf Situationen<br />

des Stücks bezogen, sondern vom Zeichner allgemeiner<br />

benannt: »Elend der Zeit I«, »Elend<br />

der Zeit II«. Ein Mensch (Frau oder Mann?), die<br />

Hände vors Gesicht schlagend. Diese Bilder sind<br />

tonlos. In »I« ist der Kopf ziemlich aufrecht,<br />

sind die Finger gespreizt, die Figur scheint durch<br />

die Verzweiflungsgeste hindurchzublinzeln; in<br />

»II« ist der Kopf etwas zur Seite gebeugt, die<br />

Finger liegen eng aneinander an. Da will jemand<br />

nichts mehr sehen. Die »Zeit«, deren<br />

Elend die Hände vor den Augen abwehren sollen,<br />

könnten jene dreißig Jahre im 17. Jahrhundert<br />

sein. Oder auch unsere Zeit. Oder<br />

»Zeit« überhaupt.<br />

Einen Schießkrieg haben wir bei uns seit mehr<br />

als fünfzig Jahren nicht gehabt. Freilich rückt er<br />

uns auch heute in flimmerndern Bildern ziemlich<br />

nah auf den Leib, wenn hinten weit in den<br />

Schluchten des Balkans (oder noch weiter entfernt)<br />

die Völker aufeinander schlagen. Die Menschen<br />

in <strong>Heisig</strong>s Bildern tragen vergangenes<br />

Kostüm, andeutungsweise. Darüber sieht man<br />

leicht hinweg, vergißt es wohl auch, nach einiger<br />

Zeit der Betrachtung. Was sich aber einbrennt<br />

ins Weiterimaginieren und ins Gedächtnis, ist<br />

der Ausdruck dieser Menschen: Augen, Münder.<br />

Haltungen. Wie sie einander packen. Auch<br />

belauern. Bedrohen. Ruinieren. Unaufhörlich.<br />

Dagegen, denke ich, schreit <strong>Bernhard</strong> <strong>Heisig</strong>s<br />

Kattrin an. Unaufhörlich.<br />

1.<br />

Der Wagen der Courage

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