Bernhard Heisig - Brusberg Berlin

Bernhard Heisig - Brusberg Berlin Bernhard Heisig - Brusberg Berlin

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08.12.2012 Aufrufe

Abb. S. 42. Abb. S. 38. Abb. S. 41. Herbert Kreppel Eine Chronik aus dem unendlichen Krieg Das dritte Wagenbild: die Frau, die als Courage tanzte, zieht allein. Tief gekrümmt, in rechtem Winkel beinahe. »... nehmts mich mit!« lautet der Satz, den Heisig unter das letzte Bild der Serie schreibt. Man hört eine brüchige Altweiberstimme. Aber fordernd, beinahe ein Befehl. Die Untertitel wären hilfreich beim Entschlüsseln der anderen Bilder. Sonderbare Namen (»Eilif«, »Schweizerkas«), Militärpersonal (»Werber«, »Feldhauptmann«, »Lagerhure«). Ein Koch, ein Einäugiger. Eine Frauensperson namens Kattrin. Sie trommelt. Schreit sie auch? In allen Bildern sind Entdeckungen zu machen. Wie ein Archäologe, der entzückt Bruchstücke zusammenpaßt. Auf drei Bildern das Kreuz: ein schwarzes, auf einem Zettel, ... und dann zweimal ein Golgathakreuz. Aber wie! Welch ein Fund des Malers! Von schräg hinten gesehen, der Gekreuzigte auf der abgewandten Seite. Deutlich nur sein rechter Arm ist zu sehen, schemenhaft der Oberkörper, die Dornenkrone. Ein brutaler Nagel oder Dübel ist so weit hineingeschlagen, daß er auf der Rückseite des Querbalkens lang hervorsteht. Auffallend die an die Rückseite des Kreuzes gelehnte Leiter. Wozu mag sie gedient haben? Um den zu Kreuzigenden hochzuhieven? Oder um, vielleicht, das INRI-Schild anzubringen? Im Vordergrund der Crucifixus-Bilder eine gespenstische Erscheinung, ein Soldat mit einem vorn merkwürdig gespaltenen Helm, einäugig, ein Totenkopf beinahe, dazu einmal ein wirklicher Totenkopf und der Kopf eines Schreienden, eine Unterschrift lautet: »Warum? Es ist ein Glaubenskrieg.« Zwei Bilder handeln von jener Kattrin. »Kattrin verwundet«, »Kattrin trommelt auf dem Dach«. Das Bild der Verwundeten zeigt einen schreienden Menschen, Stirn und ein Auge unter einem Verband, das freie Auge zugekniffen im Schmerz. Im Zentrum, förmlich aus dem Bild herausspringend, der Mund. Die Zähne. (Wo habe ich solche Schneidezähne schon einmal gesehen? Picassos Guernica, das schreiende Pferd.) Heisigs verwundete Kattrin ist wieder ein Bild, das Auge und Ohr attackiert. Der Schrei ist kein Munch’scher kosmischer Angstschrei, sondern sehr diesseitig, hemmungslos, schrill, überlaut. Ein Sirenengeheul. Von da an hängt der Schrei über der Betrachtung der Bilder.

Phase II Nun doch die Erinnerung zulassend, die Kenntnis des Stücks, dessen, was man über den Stückeschreiber zu wissen glaubt und in Aufführungen gesehen hat und auf den Photos der »Modellinszenierung« von Brecht und Erich Engel, 1949. Da ist das Photo der trommelnden Kattrin jener Berliner Aufführung. Bei Heisig fällt die Leiter auf (auf dem Theaterphoto sieht man sie nicht). Sie steht im gleichen Winkel wie an Heisigs Golgatha-Kreuzen. Zufall? Ein großer Unterschied zwischen dem Ausdruck von Brechts Kattrin (Angelika Hurwicz) und Heisigs Kattrin: die Hurwicz trommelt verbissen, energisch, nahezu mit (boshaftem) Vergnügen, mit weit ausholendem Arm, auf die Trommel konzentriert. Die heisigsche in Panik, weit aufgerissene Augen, aufgerissener Mund (auch hier: als schrie die Stumme), die Schlegel nahe bei der Trommel. Kurze Bewegungen, hastigerer Rhythmus, Zeit- und Angstdruck. Brechts Hoffnung: Das Stück ist 1939 geschrieben, als der Stückeschreiber einen großen Krieg voraussah: er war nicht überzeugt, daß die Menschen »an und für sich« aus dem Unglück, daß sie seiner Ansicht nach betreffen mußte, etwas lernen würden. ... Wenn jedoch die Courage weiter nichts lernt – das Publikum kann, meiner Ansicht nach, dennoch etwas lernen, sie betrachtend. Brechts Sorge: daß seine Courage als eine von den Opfern gesehen werden könnte; nicht als eine, wenn auch kleine, von den Tätern; und es könnte sich so bei den Zuschauern ein (genetisch bedingtes?) Mitleid mit der Mutter vor ein (zu erlernendes) Durchschauen ihrer Berechnung drängen. Freilich ist Brecht an solchem Mißverständnis nicht unschuldig. Es ist nicht leicht zu entdecken, daß die Worte »Mutter« und »Courage« im Titel einander nicht schmücken sollen (sozusagen als: »Mama, die Tapfere«), sondern, da »Courage« hier »Kühnheit im Geschäftlichen« bedeutet (... ich bin durch das Geschützfeuer von Riga gefahrn mit fünfzig Brotlaib im Wagen. Sie waren schon angeschimmelt, es war höchste Zeit, ich hab keine Wahl gehabt. ... ), sind »Mutter« und »Courage« als Widerspruch zu lesen. Am Ende hat sie ihre Kinder verloren. Das Geschäftliche ist ihr geblieben, da hat sie »keine Wahl«. In einer sehr schönen Inszenierung von Richard Schechner, New York 1974, wurde gezeigt: als die Courage überzeugt sein mußte, daß ihre Tochter Kattrin tot war, deckte sie die Leiche nicht, wie Brechts Regieanweisung angibt, mit einer Blache zu. Sie zog sie aus. Splitterfasernackt. Es waren ja noch brauchbare Kleider, brauchbare Stiefel. Werte. Die konnte man doch nicht verkommen lassen. Dann ging Mutter Courage weiter und ließ die nackte tote Tochter liegen. Kein Wert mehr. Betrachtet man die fünfzehn großen Lithographien, so scheint zunächst, daß Bernhard Heisig sich von Brechts Humor nicht hat anstecken lassen. Im Stücktext sind auch in schwärzesten Situationen Sätze zu finden, die zum Lachen reizen. Bei Heisig, scheinbar, nur das Erschreckende, bestenfalls ins Groteske distanziert. Dann aber, beim genaueren Blick auf die Serie der zwanzig Zeichnungen: da ist der Humor, Heisigs Humor dem brechtschen gar nicht so fern, Grazie, Leichtigkeit, Rhythmus. Keck und fröhlich feilschen die Courage und der Koch um den Kapaun, die Bewegungen sind tänzerisch und kokett, ums Geschäft scheint es weniger zu gehen; hübsch ist die Lagerhure, sexy wie junge Frauen in Goyas Caprichos, und die Courage lächelt dazu. Auf 32 33

Abb.<br />

S. 42.<br />

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Herbert Kreppel<br />

Eine Chronik aus dem unendlichen Krieg<br />

Das dritte Wagenbild: die Frau, die als Courage<br />

tanzte, zieht allein. Tief gekrümmt, in rechtem<br />

Winkel beinahe. »... nehmts mich mit!« lautet<br />

der Satz, den <strong>Heisig</strong> unter das letzte Bild der<br />

Serie schreibt. Man hört eine brüchige Altweiberstimme.<br />

Aber fordernd, beinahe ein Befehl.<br />

Die Untertitel wären hilfreich beim Entschlüsseln<br />

der anderen Bilder. Sonderbare Namen<br />

(»Eilif«, »Schweizerkas«), Militärpersonal<br />

(»Werber«, »Feldhauptmann«, »Lagerhure«).<br />

Ein Koch, ein Einäugiger. Eine Frauensperson<br />

namens Kattrin. Sie trommelt. Schreit sie<br />

auch? In allen Bildern sind Entdeckungen zu<br />

machen. Wie ein Archäologe, der entzückt<br />

Bruchstücke zusammenpaßt.<br />

Auf drei Bildern das Kreuz: ein schwarzes, auf<br />

einem Zettel, ... und dann zweimal ein Golgathakreuz.<br />

Aber wie! Welch ein Fund des<br />

Malers! Von schräg hinten gesehen, der Gekreuzigte<br />

auf der abgewandten Seite. Deutlich<br />

nur sein rechter Arm ist zu sehen, schemenhaft<br />

der Oberkörper, die Dornenkrone. Ein<br />

brutaler Nagel oder Dübel ist so weit hineingeschlagen,<br />

daß er auf der Rückseite des Querbalkens<br />

lang hervorsteht. Auffallend die an<br />

die Rückseite des Kreuzes gelehnte Leiter.<br />

Wozu mag sie gedient haben? Um den zu Kreuzigenden<br />

hochzuhieven? Oder um, vielleicht,<br />

das INRI-Schild anzubringen?<br />

Im Vordergrund der Crucifixus-Bilder eine<br />

gespenstische Erscheinung, ein Soldat mit<br />

einem vorn merkwürdig gespaltenen Helm,<br />

einäugig, ein Totenkopf beinahe, dazu einmal<br />

ein wirklicher Totenkopf und der Kopf eines<br />

Schreienden, eine Unterschrift lautet: »Warum?<br />

Es ist ein Glaubenskrieg.«<br />

Zwei Bilder handeln von jener Kattrin. »Kattrin<br />

verwundet«, »Kattrin trommelt auf dem<br />

Dach«. Das Bild der Verwundeten zeigt einen<br />

schreienden Menschen, Stirn und ein Auge<br />

unter einem Verband, das freie Auge zugekniffen<br />

im Schmerz. Im Zentrum, förmlich aus dem<br />

Bild herausspringend, der Mund. Die Zähne.<br />

(Wo habe ich solche Schneidezähne schon einmal<br />

gesehen? Picassos Guernica, das schreiende<br />

Pferd.) <strong>Heisig</strong>s verwundete Kattrin ist wieder ein<br />

Bild, das Auge und Ohr attackiert. Der Schrei ist<br />

kein Munch’scher kosmischer Angstschrei, sondern<br />

sehr diesseitig, hemmungslos, schrill, überlaut.<br />

Ein Sirenengeheul. Von da an hängt der<br />

Schrei über der Betrachtung der Bilder.

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