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Bernhard Heisig - Brusberg Berlin

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Abb.<br />

S. 40.<br />

Abb.<br />

S. 29.<br />

Herbert Kreppel<br />

Eine Chronik aus dem unendlichen Krieg<br />

Einige Eindrücke bei der Betrachtung von <strong>Bernhard</strong> <strong>Heisig</strong>s Lithographien zu Bertolt Brechts<br />

»Mutter Courage und ihre Kinder. Eine Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg«<br />

Phase I<br />

Ein Gedankenspiel: betrachten, als würde man<br />

Bertolt Brechts Stück nicht kennen, wüßte<br />

auch nicht, wer Bertolt Brecht war. Oder ist.<br />

<strong>Bernhard</strong> <strong>Heisig</strong>s Blätter studieren, als wären<br />

sie Spuren von Unbekanntem, von Archäologen<br />

gefunden.<br />

Bilder vom Kriege. Vergangenheit, offensichtlich.<br />

Von einer vergangenen Zeit: Planwagen,<br />

Topfhelme, Spieße, Schwerter, ein Zettel mit<br />

einem schwarzen Kreuz, eine Kanone, ein Gekreuzigter,<br />

eine Stall-Laterne. Eine Trommel.<br />

Bilder zum Sehen – und Hören: Wagenräder,<br />

Wispern, Keuchen, Marschtritte. Getrommel<br />

und Gepfeife. Gelächter (selten). Auch Fetzen<br />

von Tänzen. Schießen, Schreie der Wut, des<br />

Schmerzes, der Angst. Und immer wieder das<br />

Gequietsch und Geknarr des Wagens. Und da,<br />

ein Untertitel: »Der Wagen der Courage« und<br />

an dem Planwagen ein Brett, da steht »Courage«<br />

drauf und davor tanzt eine Frau in Kopftuch,<br />

schwerer loser Jacke, weitem dicken Rock<br />

und groben Stiefeln. Sie sagt (oder singt?),<br />

<strong>Bernhard</strong> <strong>Heisig</strong> hat die Zeile darunter gekritzelt:<br />

»Ich laß mir den Krieg nicht von euch<br />

madig machen.« (Krieg ist für diese Frau also<br />

etwas Wahres – und Schönes und Gutes. Und<br />

da will sie keine üble Nachrede.)<br />

Dreimal ist die Frau mit dem Kopftuch auf<br />

ihrem Planwagen zu erkennen. Das erste Mal<br />

selbviert. Sie auf dem Bock, hält sich mit einer<br />

Hand am Wagendach fest. Neben ihr eine<br />

zweite, geduckte Frauensperson. An der Deichsel<br />

zwei Männer mit runden Hüten. Der Mond<br />

(oder eine winterliche Sonne) scheint hinter<br />

Silhouetten kahler Bäume, spiegelt sich in<br />

einer Pfütze. Der Wagen und die schlammige<br />

Straße teilen das Bild in einer steilen Diagonale<br />

von rechts oben nach links unten. So<br />

bekommt das Gespann Tempo und die Szene<br />

strahlt eine Art unheimlichen Optimismus aus.<br />

Da ist (und das gilt für die ganze Serie der<br />

Bilder): Bewegung. Nie Stillstand. Auch die<br />

Großaufnahmen sind immer Schnappschüsse,<br />

als seien heftige Gesten kurz »eingefroren«.<br />

Sprechende mitten im Satz vom Blitzlicht<br />

getroffen.<br />

Dann, über der Zeile »Mutter Courage unterwegs<br />

mit ihrem Wagen«: wieder schwindelnd<br />

steil schräg von oben gesehen. Obwohl der<br />

Winkel, in dem der Wagen von der Waagrechten<br />

wegzukippen scheint, der gleiche ist wie<br />

im ersten Bild, hat das Gefährt noch mehr<br />

Tempo. Da sind nur noch drei Menschen, zwei<br />

ziehen, offensichtlich angestrengter, vielleicht<br />

wollen sie schneller vorwärtskommen, vielleicht<br />

ist der Wagen auch schwerer. Auf dem<br />

Bock sitzt nur noch die Frau, die ganze Haltung<br />

sagt: »Chefin«. Sind die Ziehenden die<br />

zwei Männer wie zuvor oder zieht ein Mann<br />

und jene andere weibliche Figur, die geduckt<br />

auf dem Bock saß? Keine Sonne (kein Mond?),<br />

keine Bäume, keine spiegelnde Pfütze. Den<br />

Hintergrund füllt eine marschierende Soldatenkolonne,<br />

dicht an dicht. Keine Gesichter<br />

(schwarze Flecken an Stelle der Gesichter),<br />

ein Wald von Spießen, wie auf Stichen des<br />

Stefano della Bella oder des Callot. Darüber<br />

ein heller Himmel. Der Wagen fährt neben<br />

der Marschkolonne her, gehört dazu und doch<br />

wieder nicht. Sehr martialisch alles, kraftvoll.<br />

Die suggerierte Tonkulisse: Trommeln und<br />

Trompeten, vielleicht.<br />

30 31<br />

Abb.<br />

S. 30

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