Bernhard Heisig - Brusberg Berlin

Bernhard Heisig - Brusberg Berlin Bernhard Heisig - Brusberg Berlin

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08.12.2012 Aufrufe

Kerstin Decker Heisigs »Mutter Courage...« »gezeichnet« gewesen sein. Oder es lag nur daran, daß realsozialistische Brigadiere einfach so wenig begabt waren zum Morbiden, zur Bild gewordenen Vergängnis. Kriegs-Barockfiguren sind da ungleich talentierter. Kreaturen mit Schöpfungsriß in der Mitte. Bestimmt haben sich die Genossen die allseits gebildete sozialistische Persönlichkeit anders vorgestellt. Optimismus ist manchmal eine besonders heimtückische Form der Dummheit. Jeder Apokalyptiker weiß das. Den Zurückhaltenderen – den Feineren auch? – genügte dieses Wissen. Wozu dem Staat etwas ins Gesicht sagen, was er ja doch nicht begreifen konnte? Bis zur Bewußtlosigkeit säkularisierte Menschen verstehen nicht mal mehr Schöpfungsrisse. Andererseits müssen Apokalyptiker gar nicht religiös sein. Jedenfalls nicht unmittelbar. Es reicht schon, daß sie Maler sind. Und man kann sich sehr wohl darüber streiten, wer zuerst da war – der Maler oder der Prophet. Ihr Gestus ist ja derselbe, dieses Ich-hab’s-gesehen-! Heisigs Bilder schreien das heraus. Immer wieder diesen einen Satz. Vielleicht sind allzeit auch nur jene unter den Sehern Propheten geworden, die nicht malen konnten. Was ist denn eine Vision? Ein Bild natürlich. Und nun muß man unterscheiden. Es gibt die großen und die kleinen Heisig-Verhängnisbilder. Auf den größeren wie dem »Maler und sein Thema« ist so ziemlich alles drauf, was Heisig »sieht«. Es sind jene gedrängten, ineinanderstürzenden assoziativen Wirklichkeitssplitter, großartig oft, Rätselbilder, enträtselnd zugleich. Und doch in ihrer Verwobenheit manchmal ungemein weltanschauungshaft. Pädagogisch sogar. Selbst diesen Zug zum Belehrenden teilt Heisig mit den großen Schwarzsehern. Waren die Apokalyptiker gar auch die ersten Pädagogen? Vielleicht wirken sie darum unmodern in unserer Gesellschaft der Schwererziehbaren. Heisigs leinwandgewordene Medienkritik mag einem fremd bleiben, weil sie doch ein Drauf-Blick ist. Mir sind Heisigs Menschen-Bilder am liebsten. Gerade die kleineren unter ihnen, deren Figuren dennoch jeden (Bild)-Rahmen zu sprengen scheinen wie jene der »Mutter Courage«-Lithografien. Und dabei müssen sie ohne dieses wunderbare Heisig-Gelb oder -Grün auskommen, diese verrücktgewordenen Expressionisten-Visionärsfarben. Nun gut, es gibt es doch, ein groteskes Kreuz-Balken-Gelb-Orange im einzigen Ölbild des Courage-Zyklus. »Warum, es ist ein Glaubenskrieg = gottgefällig« steht darunter. Was für ein Titel. Ist das etwa modern, gegenwärtig? Den Dreißigjährigen Krieg malen im Jahre 2000. Dabei hatte Heisigs Leipziger Kollege Tübke gerade schwere Erfahrungen mit dem Bauernkrieg gemacht, den plötzlich auch keiner mehr so richtig zeitgemäß fand. Das größte Ölgemälde Deutschlands auf 1500 qm mit 3000 handelnden Personen. Und allein das Jüngste Gericht ist vierzehn Meter hoch. Mag sein, Heisig hätte auch gern mal wie alle Apokalyptiker ein vierzehn Meter hohes Jüngstes Gericht gemalt. Erst daran läßt sich ermessen, wie sehr sich sein Dreißigjähriger Krieg doch von dem der Bauern bei Tübke unterscheidet. Er ist nur 60 cm hoch und oft ist eine Person ganz allein auf dem Bild. Aber so, daß man die Gesichter nicht mehr so schnell los wird. Vor allem das Kattrins nicht, der stummen Tochter der Mutter Courage. »Kattrin trommelt auf dem Dach«. Wir erkennen an der Trommlerin, der Warnerin mit den entsetzensoffenen Augen unschwer den Gestus des Propheten, des Sehers. Und in der »Verwundeten Kattrin«, der Stummen, die bei Heisig brüllt wie keine sonst, begegnet er wieder. Abb. S. 39 Abb. S. 9, S. 41 Abb. S. 41

Sehen Propheten und Apokalyptiker eigentlich abstrakt? Sieht Kattrin und mit ihr Heisig etwa Kreise und Quadrate? Nicht, daß das nicht ginge. Einer hat mal ein schwarzes Quadrat gesehen. Was für ein Menetekel! Aber es ist nicht einfach wiederholbar. Problematisch werden die Abstrakten immer dann, wenn sie anfangen, auch abstrakt zu denken und dieses für einzig wahrheitsfähig halten. Abstraktes Denken, das ist vielleicht die wesentlichste geistige Erfahrung aus der DDR, ist inhuman. Denn es begreift nur, was es längst schon weiß. Es ist unfähig, Erfahrungen zu machen. Der »ideologische Überbau« der DDR war nichts anderes als eine abstrakte Geschichtsmetaphysik. Darum war sie nicht zu korrigieren, nur zu stürzen. Nein, Apokalyptiker, wenn sie Künstler werden, sehen nicht abstrakt. Schon weil eine Zeitform für sie nicht existiert: Vergangenheit. Die natürliche Leidenschaft aller Apokalyptiker ist die Geschichte. Aber als Gegenwart. Ihr Blick voraus ist nicht ohne den Blick zurück. So erklärt sich, warum Heisig fast immer »Geschichte« malte. Daß er den Krieg auf seine Bilder bannte, und nun auch den Dreißigjährigen, als wäre er gestern zuende gegangen. Oder als wäre er nie zuende gegangen? Wo Geschichte ihre Last nicht einer abstrakten Fortschrittsidee übergibt, um sich gewichtslos zu machen, ist sie grauenhaft konkret. »Ich hab’s gesehen«. Der Ausdruck des Sehers und des Künstlers. Es ist derselbe auf Kattrins Gesicht wie auf Heisigs Bildern. Kattrin ist stumm. Vielleicht muß man stumm sein – nicht reden können auf die geläufige Weise –, um daran zum Künstler zu werden. Um anders sprechen zu lernen. Um anzufangen zu malen. Der Stumme ist der Zeuge par excellence. Erleidender, Erleidende wie Kattrin, aber immer irgendwie auch neben dem Geschehen und darüber hinaus. Solche Zeugenschaft definiert den Künstler. »Kattrin trommelt auf dem Dach« zu »Mutter Courage« Originallithografie, 2000 auf Bütten 65,5 x 50 cm siehe Seite 41 8 9

Kerstin Decker<br />

<strong>Heisig</strong>s »Mutter Courage...«<br />

»gezeichnet« gewesen sein. Oder es lag nur daran,<br />

daß realsozialistische Brigadiere einfach so<br />

wenig begabt waren zum Morbiden, zur Bild<br />

gewordenen Vergängnis. Kriegs-Barockfiguren<br />

sind da ungleich talentierter.<br />

Kreaturen mit Schöpfungsriß in der Mitte. Bestimmt<br />

haben sich die Genossen die allseits<br />

gebildete sozialistische Persönlichkeit anders<br />

vorgestellt. Optimismus ist manchmal eine<br />

besonders heimtückische Form der Dummheit.<br />

Jeder Apokalyptiker weiß das. Den Zurückhaltenderen<br />

– den Feineren auch? – genügte dieses<br />

Wissen. Wozu dem Staat etwas ins Gesicht sagen,<br />

was er ja doch nicht begreifen konnte? Bis zur<br />

Bewußtlosigkeit säkularisierte Menschen verstehen<br />

nicht mal mehr Schöpfungsrisse.<br />

Andererseits müssen Apokalyptiker gar nicht<br />

religiös sein. Jedenfalls nicht unmittelbar.<br />

Es reicht schon, daß sie Maler sind. Und man<br />

kann sich sehr wohl darüber streiten, wer zuerst<br />

da war – der Maler oder der Prophet. Ihr Gestus<br />

ist ja derselbe, dieses Ich-hab’s-gesehen-! <strong>Heisig</strong>s<br />

Bilder schreien das heraus. Immer wieder<br />

diesen einen Satz. Vielleicht sind allzeit auch<br />

nur jene unter den Sehern Propheten geworden,<br />

die nicht malen konnten. Was ist denn<br />

eine Vision? Ein Bild natürlich.<br />

Und nun muß man unterscheiden. Es gibt die<br />

großen und die kleinen <strong>Heisig</strong>-Verhängnisbilder.<br />

Auf den größeren wie dem »Maler und<br />

sein Thema« ist so ziemlich alles drauf, was<br />

<strong>Heisig</strong> »sieht«. Es sind jene gedrängten, ineinanderstürzenden<br />

assoziativen Wirklichkeitssplitter,<br />

großartig oft, Rätselbilder, enträtselnd<br />

zugleich. Und doch in ihrer Verwobenheit<br />

manchmal ungemein weltanschauungshaft.<br />

Pädagogisch sogar. Selbst diesen Zug zum<br />

Belehrenden teilt <strong>Heisig</strong> mit den großen<br />

Schwarzsehern. Waren die Apokalyptiker gar<br />

auch die ersten Pädagogen? Vielleicht wirken<br />

sie darum unmodern in unserer Gesellschaft<br />

der Schwererziehbaren. <strong>Heisig</strong>s leinwandgewordene<br />

Medienkritik mag einem fremd bleiben,<br />

weil sie doch ein Drauf-Blick ist.<br />

Mir sind <strong>Heisig</strong>s Menschen-Bilder am liebsten.<br />

Gerade die kleineren unter ihnen, deren Figuren<br />

dennoch jeden (Bild)-Rahmen zu sprengen<br />

scheinen wie jene der »Mutter Courage«-Lithografien.<br />

Und dabei müssen sie ohne dieses<br />

wunderbare <strong>Heisig</strong>-Gelb oder -Grün auskommen,<br />

diese verrücktgewordenen Expressionisten-Visionärsfarben.<br />

Nun gut, es gibt es doch,<br />

ein groteskes Kreuz-Balken-Gelb-Orange im<br />

einzigen Ölbild des Courage-Zyklus. »Warum,<br />

es ist ein Glaubenskrieg = gottgefällig« steht<br />

darunter. Was für ein Titel. Ist das etwa<br />

modern, gegenwärtig?<br />

Den Dreißigjährigen Krieg malen im Jahre<br />

2000. Dabei hatte <strong>Heisig</strong>s Leipziger Kollege<br />

Tübke gerade schwere Erfahrungen mit dem<br />

Bauernkrieg gemacht, den plötzlich auch keiner<br />

mehr so richtig zeitgemäß fand. Das größte<br />

Ölgemälde Deutschlands auf 1500 qm mit<br />

3000 handelnden Personen. Und allein das<br />

Jüngste Gericht ist vierzehn Meter hoch. Mag<br />

sein, <strong>Heisig</strong> hätte auch gern mal wie alle Apokalyptiker<br />

ein vierzehn Meter hohes Jüngstes<br />

Gericht gemalt. Erst daran läßt sich ermessen,<br />

wie sehr sich sein Dreißigjähriger Krieg doch<br />

von dem der Bauern bei Tübke unterscheidet.<br />

Er ist nur 60 cm hoch und oft ist eine Person<br />

ganz allein auf dem Bild. Aber so, daß man die<br />

Gesichter nicht mehr so schnell los wird. Vor<br />

allem das Kattrins nicht, der stummen Tochter<br />

der Mutter Courage. »Kattrin trommelt auf<br />

dem Dach«. Wir erkennen an der Trommlerin,<br />

der Warnerin mit den entsetzensoffenen<br />

Augen unschwer den Gestus des Propheten,<br />

des Sehers. Und in der »Verwundeten Kattrin«,<br />

der Stummen, die bei <strong>Heisig</strong> brüllt wie keine<br />

sonst, begegnet er wieder.<br />

Abb.<br />

S. 39<br />

Abb.<br />

S. 9,<br />

S. 41<br />

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